Vaterglück - Gert Rothberg - E-Book

Vaterglück E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. »Es tut mir leid, Stefan.« Christine Hofer spürte selbst, wie dürftig, wie armselig ihre Worte klangen. Was aber sollte sie einem Mann sagen, der ihr gerade sein ganzes Herz dargeboten hatte und gegen den nichts sprach, außer dass sie seine Gefühle nicht erwidern konnte? Dieser bitteren Wahrheit ließ sich einfach kein trostreiches Mäntelchen umhängen. Schade, dachte Christine. Nun ist es sicher auch mit unserer Freundschaft vorbei. Ich hätte es gar nicht so weit kommen lassen dürfen. Aber woher hätte ich denn wissen sollen, wie ernst es Stefan Holl war? Stefan kehrte Christine den Rücken zu. Er sah angestrengt in den Garten hinaus, ohne jedoch etwas von dessen zauberhafter Schönheit wahrzunehmen. Jeden Baum, jeden Strauch, jede Blume hatte der Gartenarchitekt Stefan Holl selbst gepflanzt. Doch im Moment bedeutete ihm das alles nicht das Geringste. »Stefan«, flüsterte Christine. Sie hob zögernd die Hand, ließ sie aber wieder fallen. Was sollte sie tun? Einfach weggehen? Sie war noch nie in einer solchen Situation gewesen. Christines Stimme berührte Stefan wie ein körperlicher Schmerz. Er biss die Zähne zusammen, ehe er sich langsam umdrehte.

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Seitenzahl: 152

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Sophienlust Extra – 134 –Vaterglück

Unveröffentlichter Roman

Gert Rothberg

»Es tut mir leid, Stefan.« Christine Hofer spürte selbst, wie dürftig, wie armselig ihre Worte klangen. Was aber sollte sie einem Mann sagen, der ihr gerade sein ganzes Herz dargeboten hatte und gegen den nichts sprach, außer dass sie seine Gefühle nicht erwidern konnte? Dieser bitteren Wahrheit ließ sich einfach kein trostreiches Mäntelchen umhängen.

Schade, dachte Christine. Nun ist es sicher auch mit unserer Freundschaft vorbei. Ich hätte es gar nicht so weit kommen lassen dürfen. Aber woher hätte ich denn wissen sollen, wie ernst es Stefan Holl war?

Stefan kehrte Christine den Rücken zu. Er sah angestrengt in den Garten hinaus, ohne jedoch etwas von dessen zauberhafter Schönheit wahrzunehmen. Jeden Baum, jeden Strauch, jede Blume hatte der Gartenarchitekt Stefan Holl selbst gepflanzt. Doch im Moment bedeutete ihm das alles nicht das Geringste.

»Stefan«, flüsterte Christine. Sie hob zögernd die Hand, ließ sie aber wieder fallen. Was sollte sie tun? Einfach weggehen? Sie war noch nie in einer solchen Situation gewesen.

Christines Stimme berührte Stefan wie ein körperlicher Schmerz. Er biss die Zähne zusammen, ehe er sich langsam umdrehte.

»Schon gut«, sagte er leise. »Ich habe dich wohl überrumpelt. Ich fürchte, das war nicht ganz fair von mir.«

Scham presste Christine die Kehle zusammen. Das war wieder einmal typisch Stefan. Im nächsten Moment würde er sich noch dafür entschuldigen, dass sie ihm einen Korb gegeben hatte. Er erreichte damit natürlich nur, dass sie sich ziemlich klein und hässlich vorkam. Gegen so viel Vollkommenheit ließ sich einfach nichts ausrichten.

Christines Trotz erwachte. Er ist zu gut, dachte sie, und mit allen nur erdenklichen Tugenden ausgestattet. Wenn man es recht bedenkt, ist er fast ein bisschen langweilig. Und ganz und gar nicht das, was ich mir unter einem Mann vorstelle.

Kurt Franke fiel ihr ein. Er war in jedem Punkt das glatte Gegenteil von Stefan. Glühende Röte schoss Christine in die Wangen. Plötzlich hatte sie es sehr eilig fortzukommen.

»Ich bin froh, dass du mir nicht böse bist. Es ist doch so, nicht wahr?«

»Natürlich, Christine«, beruhigte er sie. »Gefühle lassen sich eben nicht erzwingen. Ich schlage vor, wir vergessen das Ganze.«

»Ach ja, das finde ich auch«, erwiderte sie erleichtert. »Ich glaube, ich gehe jetzt. Ich meine, wenn du nichts dagegen hast.«

»Warum sollte ich? Bitte, grüße deine Großmutter von mir.«

Christines Gesicht verdüsterte sich. Die Oma! Oje, da würde ihr noch einiges bevorstehen.

Berta Hofer hatte die elternlose Christine aufgezogen. Sie führte ein strenges Regiment. Außerdem hatte sie von Christines Zukunft ganz bestimmte Vorstellungen, die sich keineswegs mit denen ihrer Enkelin deckten. Natürlich hatte sie längst gemerkt, dass Stefan Holl sich für Christine interessierte. In ihren Augen war er genau der richtige Mann für Christine. Was tat es, dass er verwitwet war und eine kleine Tochter besaß? Er war noch keine fünfunddreißig Jahre alt und lebte in geordneten Verhältnissen. Nach ihrer Meinung war er der beste Mann, den Christine sich je erhoffen konnte. Sie ließ deshalb keine Gelegenheit verstreichen, das ihrer Enkelin klarzumachen.

Christine hatte dazu stets geschwiegen, weil sie selbst nicht daran geglaubt hatte. Nun aber war das anders. Sie musste sich jetzt auf eine heftige Auseinandersetzung mit ihrer Oma gefasst machen. Berta Hofer verfügte über ebenso viel Temperament wie ihre Enkelin. Mehr als einmal waren die Meinungen der beiden hart aufeinandergeprallt.

Christine verabschiedete sich etwas befangen von Stefan.

»Lass dich bald wieder einmal sehen«, sagte er so freundlich, als sei nichts geschehen. »Irmi wäre sehr enttäuscht, wenn du dich jetzt rar machen würdest. Ich natürlich auch.«

»Ich komme gern, Stefan«, versicherte sie, obwohl es nicht mehr so ganz stimmte.

Als sie das Zimmer verlassen hatte, fiel die Maske der Selbstbeherrschung von seinem Gesicht. Er setzte sich an den Schreibtisch und stützte den Kopf in die Hände.

O, ich Narr, dachte er. Warum habe ich bloß gesprochen? Es war zu früh. Ich hätte Geduld haben müssen. Trotz ihrer fast einundzwanzig Jahre ist Christine in vielen Dingen noch ein Kind. Sie hat noch nichts erlebt. In ihren Augen bin ich wahrscheinlich uralt.

Sein Blick fiel auf das Bild im Lederrahmen. Wie immer stand eine einzelne Rose in einem schön geschliffenen Glas daneben. Als das Foto gemacht worden war, hatte noch niemand an die heimtückische Krankheit gedacht, an der Ursula kurz darauf gestorben war. Die Aufnahme zeigte eine lachende, glückliche Ursula, die die winzige Irmi in ihren Armen hielt.

Stefan musste, seine verstorbene Frau hätte ihn verstanden. Kurz bevor es zu Ende gegangen war, hatte sie noch gesagt: »Geh nicht am Leben vorbei, Stefan. Versprich es mir. Irmi und du, ihr sollt nicht allein bleiben. Ihr dürft das Lachen nicht verlernen und auch nicht das Glücklichsein.«

Danach hatte sie ihre schönen dunklen Augen nicht mehr geöffnet.

Für Stefan war es eine schwere Zeit gewesen. Auch jetzt hatte er Ursula noch nicht vergessen. Das würde nie geschehen. Dazu war er mit ihr viel zu glücklich gewesen. Außerdem gab es Irmi, die ihn immer wieder an ihre Mutter erinnerte.

Ja, und nun Christine. War es wirklich für alle Zeiten zu Ende, noch ehe es begonnen hatte? Wie hatte es überhaupt angefangen?

Noch kein Jahr war es her, dass Irmi an einem glasklaren Dezembertag die widerstrebende Christine mit nach Hause gebracht hatte. Die beiden hatten zusammen einen Schneemann gebaut, und Irmi hatte kategorisch darauf bestanden, dass Christine sich bei ihnen aufwärmte.

Reutberg war ein kleines badisches Städtchen, in dem sozusagen jeder jeden kannte. Zumindest wusste jeder von der Existenz des anderen. So waren auch Stefan und Christine einander bereits irgendwann einmal flüchtig begegnet. Aber so richtig hatten sie einander erst durch Irmi kennengelernt. Christine, die sehr kinderlieb war, hatte es Freude gemacht, mit dem aufgeweckten Mädchen zu spielen. Zuerst war sie nur zu Irmi gekommen. Dann war ganz von selbst auch Stefan mit einbezogen worden.

Stefan war fast erschrocken gewesen, als er eines Tages entdeckt hatte, wie sehr er Christine liebte. Es war eine überwältigende Erkenntnis gewesen, denn er hatte schon nicht mehr daran geglaubt, noch einmal einer Frau zu begegnen, die ein solches Gefühl in ihm zu wecken vermochte.

Ein Klopfen an der Tür riss Stefan aus seinen trüben Gedanken.

Ohne seine Aufforderung abzuwarten, betrat Elisabeth Holl das Zimmer. Sie war Stefans Tante und betreute seit Ursulas Tod seinen Haushalt. Sie war nie verheiratet gewesen und betrachtete es nun als ihre Lebensaufgabe, für die beiden zu sorgen.

»Wir können gleich essen, Stefan.« Sie fixierte ihn schärfer. »Junge, bist du krank? Du siehst ja ganz erbärmlich aus.«

Stefan zwang sich zu einem mühsamen Lächeln. »I wo, Tante Betty, mir fehlt gar nichts.«

»Na, na!« So ohne Weiteres ließ sich Elisabeth Holl nicht täuschen. Außerdem hatte sie noch etwas anderes auf dem Herzen. »Dieses Mädchen war hier«, platzte sie heraus.

Für sie war Christine immer ›dieses Mädchen‹. Nur ganz selten nannte sie sie beim Namen. Und der Ton, in dem sie von ihr redete, sprach allein schon Bände. Sie mochte Christine nicht und begegnete ihr mit dem größten Misstrauen. Natürlich war auch ihr nicht verborgen geblieben, dass Stefans Zuneigung zu Christine von Tag zu Tag stärker geworden war. Für sie selbst hatte diese Tatsache schlaflose Nächte bedeutet.

Elisabeth Holl war eine nüchterne und realistisch denkende Frau. Sie wusste, dass sie nicht verlangen konnte, dass ein Mann wie Stefan für den Rest seines Lebens kein weibliches Wesen mehr ansah. Irgendwann würde er Irmi eine Mutter geben. Damit hatte sich Elisabeth längst abgefunden – oder sie hatte das wenigstens geglaubt. Als der Fall jedoch plötzlich akut geworden war, hatten sich ihr alle Federn gesträubt. Für sie war Christine Hofer ein junges, flatterhaftes Ding ohne jeden Ernst und jedes Verantwortungsbewusstsein. Zwar konnte sie großartig mit Irmi spielen, aber das allein befähigte sie in ihren Augen noch nicht, einen solchen Platz in Stefans und Irmis Leben einzunehmen. Deshalb behandelte sie Christine mit abweisender Höflichkeit und ließ auch gern einmal, wenn es sich gerade ergab, einige spitze Bemerkungen über ›dieses Mädchen‹ bei Stefan fallen. In letzter Zeit hatte er jedoch ziemlich allergisch auf ihre Politik der Nadelstiche reagiert, und sie hatte oftmals zurückstecken müssen. Sie hatte dies jedoch nicht aus Überzeugung getan, sondern aus Klugheit, denn sie wollte, was auch immer geschehen würde, Stefan und Irmi auf keinen Fall verlassen.

»Sie lief an mir vorbei«, fuhr Elisabeth nun fort. »Ziemlich kopflos. Nicht einmal gegrüßt hat sie. Habt ihr euch gestritten?«

»Ach, Tante Betty«, erwiderte Stefan gequält. »Das ist doch jetzt egal.«

Elisabeth vermochte der Versuchung nicht zu widerstehen. Sie musste einfach noch einmal in die Kerbe schlagen.

»Ich weiß, was vorgeht, Stefan«, sagte sie. »Ich bin ja schließlich nicht blind. Ich will dir auch nicht mit meinen Ratschlägen lästig fallen. Gott behüte, du bist ein erwachsener Mann und weißt selbst, was du zu tun hast. Nur das eine sollst du wissen: Dieses Mädchen ist nicht die richtige Frau für dich. Christine passt nicht zu dir und zu unserer Familie. Ich habe auch meine Erfahrungen, Stefan. Sie hat den ganzen Kopf voll von romantischem Firlefanz und lässt sich auf die Dauer in Reutberg nicht halten.«

Stefan blickte seine Tante betroffen an. Noch gestern hätte er eine glühende Verteidigungsrede vom Stapel gelassen und sich überhaupt jede Einmischung energisch verbeten. Doch heute war er selbst im Zweifel.

»Du siehst das so, Tante Betty?«

Elisabeth spürte, dass sie Oberwasser hatte. Das machte es ihr leicht, großzügig zu sein.

»Junger Wein muss gären«, sagte sie lächelnd. »Aber du, gib es zu, hast dieses Stadium längst hinter dir. Verrenne dich nicht in ein Hirngespinst. Du brauchst eine Gefährtin, eine Kameradin, und natürlich auch eine Frau. Eben eine gesunde Mischung aus allem. Ich wäre froh, wenn du das einsehen würdest – ehe es zu spät ist«, fügte sie in bedeutungsvollem Ton hinzu.

Stefan musste einen Augenblick nach der richtigen diplomatischen Antwort suchen. Auf keinen Fall durfte seine Tante wissen, dass Christine ihm einen Korb gegeben hatte. Wenn ihr auch die Tatsache an sich bestimmt gefallen würde, so würde sie doch mit allen Mitteln verhindern, dass Christine weiter ins Haus kommen würde. Und das durfte nicht sein. Er konnte einfach die Hoffnung nicht aufgeben.

»Ich werde mal darüber nachdenken«, sagte er leichthin.

Um die Lippen Elisabeth Holls huschte ein zufriedenes Lächeln. So viel Einsicht hatte sie gar nicht erwartet.

*

»Kurt«, sagte Christine und schmiegte sich glücklich in die Arme des jungen Mannes. »Warum kannst du nicht immer hierbleiben? Du findest bestimmt auch in Reutberg eine Stelle.«

»So – meinst du?« Kurt Franke wickelte gedankenlos eine Strähne von Christines hellblondem langem Haar um seinen Finger. »Du bist ein kleines Schaf, Chris. Meinst du, ich will auf die Dauer in einem solchen Kaff versauern? Nee, danke, das überlasse ich lieber anderen.«

Christine setzte sich kampfesmutig auf. »Ist das auf mich gemünzt? Ich würde auch lieber woanders sein, aber solange Oma lebt …« Sie seufzte. »Deshalb dachte ich auch, wie es wäre, wenn du nicht nur alle vierzehn Tage mal auf ein Wochenende kämst. Würde dir das denn nicht gefallen?«

Kurt zog sie enger in seine Arme. »Ich weiß noch etwas Besseres«, flüsterte er dicht an ihrem Ohr. »Lass alles stehen und liegen und komm mit mir. Chris, du kennst die Welt noch nicht. Du kennst überhaupt noch nichts. Nicht einmal die Liebe. Und doch sträubst du dich dagegen. Warum nur?«

Christine fühlte eine lähmende Schwäche in allen Gliedern. Natürlich kannte sie die Liebe. Nur sie hatte sie doch zu Kurt geführt. Außerdem war es lustig, dass sie nun an einem Tag gleich zwei Anträge erhielt. Aber diesen würde sie bestimmt annehmen. Allerdings, da war noch immer das Problem mit ihrer Großmutter.

»Wie gern käme ich mit dir, Kurt. Nur kann ich Oma jetzt nicht allein lassen. Du weißt, sie ist leidend. Ihretwegen habe ich auch meine Stelle im Kreisbauamt aufgegeben. Oma braucht mich.«

»Ich finde die alte Dame ziemlich egoistisch«, warf Kurt ein. »Sie hat kein Recht auf dein Leben, Chris. Mit ihrem Rheuma kann sie hundert Jahre alt werden. Willst du so lange bei ihr aushalten? Warum nimmt sie sich nicht eine Pflegerin? Sie kann es sich doch leisten. Hast du nicht einmal gesagt, sie habe eine schöne Rente?«

»Nun, so hoch ist die auch wieder nicht, Kurt.«

»Wenn sie aber dich von der Tasche wegbekommt, dann kann sie doch auch eine fremde Hilfe bezahlen. Das ist also kein Argument, Chris.«

»Willst du mit Oma reden, Kurt?«

»Ich?« Er blickte sie konsterniert an. »Was für eine Idee, Chris.«

»Ja, aber, das müsstest du doch.« Christine lief blutrot an. »Ich meine, wenn wir …«

Jetzt begriff er. So ein Schaf, dachte er spöttisch. Sie glaubt allen Ernstes, ich will sie heiraten.

»Hör mal«, begann er vorsichtig, »du musst mich richtig verstehen. Mir bedeutet eine Ehe viel, sehr viel sogar. Das muss lange und reiflich überlegt werden. Wir lieben uns, das wissen wir. Trotzdem kennen wir uns noch sehr wenig. Deswegen möchte ich gern, dass du zu mir nach Stuttgart kommst. Ich bin sehr beschäftigt, Chris. Ich weiß nicht, ob ich dich auf die Dauer immer in Reutberg besuchen kann.«

Unter halb geschlossenen Augenlidern beobachtete er die Wirkung seiner wohlgesetzten Rede. Im ersten Augenblick hatten die Worte auf Christine die Wirkung einer kalten Dusche. »Du liebst mich doch, Kurt?«, fragte sie beklommen.

»Würde ich dich sonst bei mir haben wollen?«

Wie immer hatten sich die beiden weit außerhalb des Städtchens getroffen. Dort gab es eine versteckte Bank an einem hübschen Aussichtspunkt. Um diese Jahreszeit, es war schon Spätherbst, konnten sie hier vor neugierigen Augen verhältnismäßig sicher sein. Wo aber sollten sie sich treffen, wenn es kälter wurde?

Dieser Gedanke schoss Christine durch den Kopf, als ein Windstoß das dürre Laub über den Boden wirbelte. Immer mit ihm beisammen zu sein, konnte es so viel Glück auf dieser Welt geben?

»Ich fürchte, Oma wird es nicht erlauben«, sagte Christine bedrückt.

»Dann frag sie doch gar nicht erst«, schlug Kurt mit einem leichtsinnigen Lachen vor. »Stell sie vor vollendete Tatsachen. Du bist doch erwachsen, Chris.«

»Aber … sie hat viel für mich getan. Ohne sie wäre ich in ein Waisenhaus gekommen.«

»Na und? Schließlich war das ihre Pflicht.« Er zog aus seiner Brieftasche ein Stück Papier und kritzelte etwas darauf. »Hier, nimm das. Es ist meine Adresse. Ich werde auf dich warten.«

»Kommst du denn nicht in zwei Wochen wieder hierher?«

Er zuckte die Achseln. »Das kann ich heute noch nicht versprechen. Du weißt, dass ich Vertreter bin. Für mich ist jetzt Hauptsaison. Ich bin fast immer unterwegs.«

»Und wenn ich wirklich komme und du nicht da bist?«

»Das werde ich schon regeln. Sollte ich wirklich nicht in meiner Wohnung sein, so hat der Hausmeister einen Schlüssel. Ich werde ihn informieren. Zufrieden?«

»Du denkst wirklich an alles.« Christine atmete tief durch. »Vielleicht komme ich tatsächlich.«

»Ein ›Vielleicht‹ akzeptiere ich nicht, Chris. Wenn dir an mir etwas liegt, weißt du, was du zu tun hast.«

Er blickte ihr fest in die Augen. Und wieder empfand Christine dieses seltsame Gefühl hilfloser Schwäche. Sie wusste, was immer er von ihr verlangen würde, sie würde es tun. Sie würde alles auf sich nehmen. Denn nichts konnte so schlimm sein, wie ihn zu verlieren.

»Wir sehen uns in Stuttgart, Kurt«, flüsterte sie wie unter einem Zwang. »Ich weiß nur noch nicht wann.« Sie stand auf. »Ich muss jetzt gehen.«

»Soll ich dich zurückfahren?«

Christine schüttelte den Kopf. »Wir wollen lieber nichts riskieren.«

»Gut. Dann nehme ich gleich den Weg zur Autobahn. Auf bald, mein Schatz.« Er küsste sie noch einmal und stieg in sein Auto ein. Im Davonfahren winkte er ihr flüchtig zu. Dann drückte er energisch das Gaspedal nieder.

Na, hoffentlich hat die Kleine endlich kapiert, dachte er bei sich. Deutlich genug bin ich ja gewesen. Aber es wurde auch Zeit. Das romantische Händchenhalten auf einer Bank im Wald ist auf die Dauer nichts für einen Kurt Franke.

Er war kein Mann, der sich mit halben Sachen zufriedengab. Er wollte mehr. Nämlich alles. Christines Unschuld und ihre Unerfahrenheit reizten ihn. Auch wenn er sich damit vielleicht auf ein sehr gefährliches Geleis begab. Denn wenn Marga davon erfuhr … Ach was, auch mit ihr würde er fertig werden. Und überhaupt war es noch nicht so weit.

Kurt Franke hatte ein großes Geschick, unangenehme Dinge möglichst weit von sich wegzuschieben.

Das bewies er auch in diesem Falle.

*

Christine kam ziemlich atemlos vor dem kleinen Häuschen an, das sie zusammen mit ihrer Großmutter bewohnte. Sie schlüpfte durch das Gartentor und schlenderte möglichst unbefangen über den Kiesweg zum Eingang. Von irgendwoher, das wusste sie genau, würden die scharfen Augen Berta Hofers sie beobachten. Die alte Dame musste zwar den größten Teil des Tages im Rollstuhl verbringen, aber sie hantierte so geschickt damit, dass ihr von dem, was draußen auf der Straße passierte, nur wenig entging.

An diesem Tag war sie aus verschiedenen Gründen besonders schlecht aufgelegt. Einmal plagten sie die Schmerzen mehr als sonst, und zum andern hatte sie sich wieder einmal über Christine geärgert. Berta Hofer hielt auf Pünktlichkeit. Auch liebte sie es, gegen fünf Uhr eine Tasse Tee zu trinken. Christine wusste, dass sie um diese Zeit zu Hause sein musste. Doch nun kam sie fast eine Stunde später, und Berta Hofer machte sich darüber ihre eigenen Gedanken. Sie sah Christine kommen und hörte sie kurz darauf in der Küche hantieren. Als das Mädchen dann den Teewagen ins Zimmer schob, bewahrte sie nur mit größter Mühe ihre Fassung.

»Wo bist du gewesen?«, begann sie in nörgelndem Ton. »Bei den Holls?«

Christine ergriff sofort den ihr zugeworfenen Rettungsanker. »Ja, Oma. Bitte, entschuldige, ich habe mich dort verplaudert.«

Die Mundwinkel der alten Dame zogen sich geringschätzig nach unten. »So – hast du das? Lügen kannst du wie gedruckt. Also, heraus mit der Sprache! Wo hast du dich herumgetrieben?«

Christines Herz begann wie rasend zu klopfen. War es möglich, dass ihre Großmutter etwas ahnte?

»Ich … ich war doch …«, stotterte sie.

»Ja, heute Vormittag«, fiel Berta Hofer ihr schneidend ins Wort. »Ich habe mir nämlich erlaubt, dort anzurufen. Den ganzen Nachmittag lässt du mich allein. Aber davon will ich gar nicht reden. Viel wichtiger ist mir, dass du Heimlichkeiten hast. Mir ist das schon ein paarmal aufgefallen. Und jetzt will ich die Wahrheit wissen. Wer ist der Mann?«

Christine starrte sie überrascht an. »Du weißt …?«