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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Denise von Schoenecker sah ihren Besucher immer wieder verstohlen an. Es war der achtunddreißigjährige Buchhalter Arthur Erlau aus Lindau am Bodensee. Der mittelgroße brünette Mann machte auf sie einen besonders niedergeschlagenen Eindruck. Er war ohne Anmeldung gekommen und hatte sich dafür nun schon mehrere Male entschuldigt. Denise wollte ihm weiterhelfen und sagte: »Es geht also um Ihren Jungen, Herr Erlau.« »Ja, es geht um meinen Heiner. Er ist sieben Jahre alt, also noch zu klein, um ihn über Monate hinweg allein lassen zu können. Seine Mutter ist vor einem Jahr an Leukämie gestorben. Seitdem haben wir uns allein versorgt und kamen ganz gut zurecht. Leider haben wir keine näheren Verwandten, auch keine Bekannten, zu denen ich meinen Sohn geben könnte. Zudem möchte ich gern, dass er aus Lindau herauskommt. Durch Zufall habe ich von Ihrem Kinderheim gehört. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meinen Jungen für acht Monate aufnehmen könnten. Er würde Ihnen sicher keine Sorgen machen, weil er gut erzogen und sehr willig ist.« »Warum müssen Sie Ihren Jungen allein lassen, Herr Erlau?«, fragte Denise. »Das haben Sie mir noch nicht gesagt, aber ich sollte es wissen.« Arthur Erlau senkte den Kopf, sein Gesicht sah nun noch zermürbter aus als vorher. Es vergingen einige Sekunden, ehe er antwortete. »Ich muss eine Haftstrafe von acht Monaten absitzen.«
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Seitenzahl: 133
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Denise von Schoenecker sah ihren Besucher immer wieder verstohlen an. Es war der achtunddreißigjährige Buchhalter Arthur Erlau aus Lindau am Bodensee.
Der mittelgroße brünette Mann machte auf sie einen besonders niedergeschlagenen Eindruck. Er war ohne Anmeldung gekommen und hatte sich dafür nun schon mehrere Male entschuldigt.
Denise wollte ihm weiterhelfen und sagte: »Es geht also um Ihren Jungen, Herr Erlau.«
»Ja, es geht um meinen Heiner. Er ist sieben Jahre alt, also noch zu klein, um ihn über Monate hinweg allein lassen zu können. Seine Mutter ist vor einem Jahr an Leukämie gestorben. Seitdem haben wir uns allein versorgt und kamen ganz gut zurecht. Leider haben wir keine näheren Verwandten, auch keine Bekannten, zu denen ich meinen Sohn geben könnte. Zudem möchte ich gern, dass er aus Lindau herauskommt. Durch Zufall habe ich von Ihrem Kinderheim gehört. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meinen Jungen für acht Monate aufnehmen könnten. Er würde Ihnen sicher keine Sorgen machen, weil er gut erzogen und sehr willig ist.«
»Warum müssen Sie Ihren Jungen allein lassen, Herr Erlau?«, fragte Denise. »Das haben Sie mir noch nicht gesagt, aber ich sollte es wissen.«
Arthur Erlau senkte den Kopf, sein Gesicht sah nun noch zermürbter aus als vorher. Es vergingen einige Sekunden, ehe er antwortete. »Ich muss eine Haftstrafe von acht Monaten absitzen.« Nun sah er Denise wieder an und stieß hervor: »Unschuldig.«
»Unschuldig?«, fragte Denise.
Arthur Erlau lächelte verbittert. »Ich weiß, was Sie jetzt denken. Nämlich, dass das jeder Verurteilte behauptet. Bisher hat meine Unschuldsbeteuerungen auch niemand geglaubt. Am wenigsten die Richter.«
»Weshalb sind Sie verurteilt worden, Herr Erlau? Ich frage nicht aus Neugierde, aber mir kommt es vor, als würden Sie sich mir gern anvertrauen.«
»Ja, Sie sollten alles wissen. Vielleicht sind Sie dann eher bereit, Heiner aufzunehmen.« Arthur Erlau atmete tief ein, und es war ihm anzusehen, wie schwer ihm das Weitersprechen fiel. »Durch meine Stellung als Buchhalter bei der Firma Walther bin ich in dieses Unglück gestürzt. Bei einer Revision stellte sich heraus, dass an die hunderttausend Euro fehlten. Die Belege dafür waren mit meinem Namen abgezeichnet.« Nun wurde Arthur Erlaus Stimme etwas lauter. »Aber glauben Sie mir, ich habe mit dieser Sache nichts zu tun. Jemand muss meine Unterschrift gefälscht haben. Ich habe auch einen Verdacht, aber den konnte ich nicht aussprechen, weil mir doch niemand geglaubt hätte. Die Indizien sprachen eindeutig gegen mich. Zum einen hatte ich für die Behandlung meiner Frau viel Geld ausgegeben, zum anderen kaufte ich nach ihrem Tod einen Wagen, damit ich mit Heiner an den Wochenenden wegfahren konnte. Der Junge brauchte Abwechslung, um mit dem Schmerz um seine Mutter leichter fertig zu werden. Mir wurde auch eine dumme Angewohnheit meiner Frau, die ich ihr nie ausreden konnte, zum Verhängnis. Sie trug unser Erspartes nicht zur Bank, sondern bewahrte es zu Hause auf.«
»Dadurch konnten Sie nicht nachweisen, woher Sie das Geld für Ihre Ausgaben genommen hatten. Das verstehe ich«, meinte Denise, die versuchte, sich in die Lage dieses Mannes hineinzuversetzen.
Er zuckte die Schultern. »Was soll ich noch sagen? Das Urteil ist gefallen. Man hat die Strafe nicht einmal zur Bewährung ausgesetzt, weil die Summe der Unterschlagung zu hoch war. Da ich glücklicherweise nicht in Untersuchungshaft kam, konnte ich all die Aufregungen von meinem Jungen fernhalten.«
»Er weiß nichts von Ihrer Verurteilung?«, fragte Denise erstaunt.
»So ist es. Er weiß auch nicht, dass ich meine Stelle verloren habe. Natürlich musste ich gleich aus der Firma ausscheiden.«
»Und was wollen Sie Heiner sagen, wenn er sich jetzt acht Monate von Ihnen trennen muss, Herr Erlau? Da wird das Verschweigen wohl nicht mehr möglich sein.« Arthur Erlau wurde sichtlich nervöser. »Heiner darf niemals von meiner Strafe erfahren. Dieses Unglück muss ich vermeiden. Ich habe ihn darauf vorbereitet, dass ich für einige Monate Lindau verlassen muss. Die Firma Walther hat eine Zweigniederlassung in Holland. Ich habe nun Heiner gesagt, dass ich dort für acht Monate einspringen muss. Der Junge glaubt mir und sieht auch ein, dass er weiter in eine deutsche Schule gehen soll. Er ist ja erst in diesem Jahr eingeschult worden.«
»Bei uns in Wildmoos würde er sich bestimmt wohlfühlen. Er hätte da auch Kameraden. Besonders meinen kleinen Sohn Henrik. Er geht hier in die Grundschule und nimmt sich der Neuen gern an.«
Arthur Erlaus Gesicht hatte sich etwas aufgehellt. »Heißt das, Sie nehmen Heiner auf, Frau von Schoenecker?«, fragte er mit banger Erwartung in der Stimme.
»In Ihrem Fall ist es sicherlich angebracht«, antwortete Denise in ihrer unkomplizierten Art. »Ja, bringen Sie uns Heiner. Wir haben ein Bett für ihn frei, weil in den nächsten Tagen ein Junge das Heim verlassen wird.«
Arthur Erlau streckte die Hand aus. »Ich danke Ihnen, Frau von Schoenecker. Nun habe ich mir diesen Weg doch nicht vergeblich gemacht. Hätten Sie abgelehnt, ich wüsste nicht, was ich mit dem Jungen tun sollte. Man hat mir nur Strafaufschub bis zur nächsten Woche gewährt, damit ich Heiner unterbringen kann. Ich habe Vertrauen zu Ihnen. Kann ich mich auch darauf verlassen, dass mein Sohn nie erfährt, wo ich wirklich bin?«
»Darauf können Sie sich verlassen«, versprach Denise. »Ich pflege lediglich die Betreuer der Kinder in die Schicksale einzuweihen. Das ist nötig, damit sie wissen, wie sie mit dem jeweiligen Schützling umgehen müssen. Die anderen Kinder und Heiner werden nichts von Ihrer Strafe erfahren.«
»Die Trennung von dem Jungen wird für mich nicht leicht sein. Seit dem Tod seiner Mutter hängen wir noch mehr aneinander. Ich habe außer Heiner niemanden auf der Welt.«
Nun sah Arthur Erlau wieder vergrämt aus. Denise empfand tiefes Mitleid mit ihm. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Mann schuldig geworden war. Er machte einen redlichen Eindruck. Aber was gab es nicht alles für Unglück auf dieser Welt. Sie war geneigt, Arthur Erlau seine Unschuldsbeteuerungen zu glauben.
Bevor er wegfuhr, zeigte sie ihm noch das Kinderheim. Er sollte wissen, unter welchen Bedingungen sein Sohn hier leben würde.
*
Arthur Erlau brachte Heiner schon zwei Tage später nach Sophienlust. Als die Kinder sahen, dass ein Neuer kam, der ihnen schon angekündigt worden war, drängten sie sich aufgeregt in der Halle.
So etwas war immer ein Ereignis für sie. Der Junge machte einen frischen Eindruck. Er trug Jeans und einen orangefarbenen Anorak, unter dem der Kragen eines schwarz-weiß karierten Hemdes zu sehen war. Besonders fiel an Heiner der braune Lockenkopf auf.
Die kleine Heidi, vorwitzig wie immer, zupfte an ihren dünnen Rattenschwänzen und sagte neidisch: »Ich habe keine Locken, und ein Junge braucht sie doch gar nicht.«
»Ach, du hast immer etwas«, sagte Henrik von Schoenecker und stieß sie sanft in die Rippen.
Mit Heidi legte er sich gern an, aber er zog dabei meistens den Kürzeren. Sie puffte auch gleich zurück. »Das geht dich doch gar nichts an.«
Schwester Regine machte Heiner mit den Kindern bekannt, sagte aber lachend: »Die Namen wirst du dir erst nach und nach merken können, auf einmal sind es zu viele.«
Nun sah Henrik einen Grund, sich bemerkbar zu machen. Er trat vor Heiner. »Meinen Namen kannst du dir gleich merken. Ich heiße Henrik und werde dich mit in die Schule nehmen.«
Heiner war etwas befangen, obwohl er den Eindruck eines sonst fröhlichen Jungen machte. Es schien ihn zu beruhigen, dass sein Vater noch zwei Stunden bleiben wollte. Doch diese Zeit war schnell um, und der Abschied rückte näher und näher, während die Stimmung von Heiner und seinem Vater auf den Nullpunkt sank.
»Wirst du auch nicht auf Urlaub kommen können, Vati?«, fragte er.
Arthur Erlau wich den Blicken seines Sohnes aus. »Ich glaube nicht, dass das möglich sein wird, aber wir werden die acht Monate überstehen. Danach machen wir uns wieder eine schöne Zeit miteinander. Schade, dass ich dir nicht schreiben kann. Du bist ja noch nicht so weit, dass du meine Briefe lesen könntest, Heiner.«
»Aber man würde sie mir doch vorlesen, Vati, und in der Schule lernen wir auch jeden Tag etwas dazu«, meinte der Junge.
Der Vater kam wieder einmal in große Verlegenheit. Wie sollte er aus dem Gefängnis Briefe schreiben, die aus Holland kommen müssten? Heiner war ein aufgeweckter Junge und könnte leicht hinter diesen Schwindel kommen.
»Ich werde versuchen, dich ab und zu anzurufen, Heiner«, sagte der Vater nun etwas überstürzt.
»Dann können wir wenigstens miteinander sprechen. Ja, und wir haben ja auch noch Marianne, die Freundin deiner Mutter. Ihr werde ich schreiben, und sie erzählt es dir dann. Sie hat doch versprochen, dich ab und zu in Sophienlust zu besuchen.«
»Darauf freue ich mich, Vati. Ich mag Marianne sehr gern.« Heiner umarmte seinen Vater. »Hauptsache, du kommst bald wieder, damit ich nicht so lang alleine bin.«
»Aber du bist doch hier nicht allein. So viele Spielkameraden hast du bis jetzt noch nie gehabt.« Er hatte es nun eilig, wegzufahren.
Heiner stand mit den anderen Kindern am Tor und winkte ihm nach. Man sah ihm an, wie traurig er war. Pünktchen, die neben ihm stand, legte den Arm um seine Schultern und sagte: »Es wird dir schon bei uns gefallen. In ein paar Tagen hast du dich eingewöhnt. Schau, du hast wenigstens einen Vater. Die meisten Kinder, die hier sind, sind Vollwaisen.«
»Ja, ich habe noch einen Vater und er ist sehr lieb«, sagte Heiner.
Die kleine Heidi schaffte es wieder einmal mühelos, die etwas wehmütige Stimmung aufzulockern. Sie lachte laut und zeigte auf Heiners Gesicht. »Du hast genauso lustige Sommersprossen wie Pünktchen, aber deshalb können wir dich nicht auch so rufen.«
Schwester Regine näherte sich der Kinderschar. Bei ihr war Immo Winter, ein stämmiger neunjähriger Junge. Er war seit kurzer Zeit in Sophienlust, ein uneheliches Kind, um das sich nur die Großmutter gekümmert hatte. Seinen Vater kannte er gar nicht, und seine Mutter war schon vor Jahren in die Staaten ausgewandert, ohne ihn mitzunehmen. Seit Langem ließ sie nichts mehr von sich hören, sie schien ihr Kind regelrecht vergessen zu haben. Bei der Großmutter war es Immo nicht schlecht gegangen, sie hatte ihn vielleicht zu sehr verwöhnt, aber nun konnte auch sie nicht mehr für ihn sorgen. Nach einem Schlaganfall lebte sie in einem Pflegeheim. Denise von Schoenecker hatte mit Genehmigung des Jugendamtes den Jungen aufgenommen.
Mit ihm sollte Heiner nun das Zimmer teilen, da dort gerade der zweite Platz frei geworden war. Immo zeigte von der Freitreppe her auf Heiner und fragte: »Mit dem soll ich nun in einem Zimmer schlafen? Hoffentlich ist er nicht so ein Schlappschwanz, wie es Fritz war. Ich bin froh, dass er endlich weg ist.«
Schwester Regine sah Immo vorwurfsvoll an. »Fritz war ein sehr netter Junge. Ich will doch hoffen, dass du dich mit Heiner gut verstehen wirst. Du weißt, am Anfang braucht jeder Neue etwas Hilfe.«
»Na ja, mal sehen«, sagte Immo und ging auf Heiner zu. »Komm mit, ich zeige dir unser Zimmer. Schade, dass du zwei Jahre jünger bist als ich. Mir wäre ein älterer Junge lieber gewesen. Mit dem könnte ich wenigstens etwas unternehmen. Du wirst sehen, manchmal ist es ganz schön langweilig hier.«
Die Kinder, die das hörten, protestierten, aber das beeindruckte Immo überhaupt nicht. Er fuhr sich mit allen zehn Fingern durch das blonde Haar, als sei das seine Art, sich zu kämmen.
Heiner sah den größeren Jungen scheu an. Seine Freunde in Lindau waren ganz anders gewesen. Ihm wäre ein gleichaltriger oder jüngerer Junge, um den er sich etwas hätte kümmern können, auch lieber gewesen. In diesem Augenblick fiel ihm wieder sein liebster Freund Pauli ein. Er war vor einem halben Jahr überfahren worden und an den Folgen dieses schweren Unfalls gestorben.
»Du machst ein Gesicht wie ein Sauertopf«, sagte Immo, »aber das werde ich dir schon noch abgewöhnen.«
Schwester Regine unterdrückte einen Seufzer. Sollte sie Immo schon wieder ermahnen? Das führte meistens zu nichts. Man konnte nur hoffen, dass er sich mit der Zeit besser anpassen und seine dreiste Art etwas verlieren würde. Geduld und Nachsicht waren oft die besten Erziehungsmittel, alles andere rief nur Trotz in dem Jungen hervor.
Heiner ging noch mit in das Zimmer, aber dann sah er sich wieder nach den anderen Kindern um. Er hoffte, unter ihnen bald gute Freunde zu finden. Das würde ihm über die Trennung von seinem Vater etwas hinweghelfen.
*
Die neunundzwanzigjährige Übersetzerin Marianne Wegener hatte in Lindau eine kleine Wohnung, die sie gemütlich eingerichtet hatte.
Ihre Eltern lebten in Heidenheim und sie fuhr nur selten dorthin. So war sie ganz auf sich allein gestellt und fühlte sich oft einsam. Dazu kam auch noch eine unglückliche Liebe, die sie hinter sich hatte. Oft kam es ihr vor, als sollte sie nicht viel Glück im Leben haben.
Dabei war sie eine sehr hübsche junge Frau. Sie hatte hellbraunes Haar und tiefgraue Augen, nur wirkte ihr apartes Gesicht meistens zu ernst. Sosehr sie sich auch schon bemüht hatte, alles nicht so verbissen zu sehen, es war ihr nicht gelungen. Sie wusste, dass sich deshalb Bodo Ritter auch von ihr getrennt hatte. Er war Abteilungsleiter in einem Lindauer Kaufhaus und wusste sich das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Ihre zurückgezogene, stille Art hatte ihm nur am Anfang gefallen, dann jedoch war sie ihm auf die Nerven gegangen. Von einem Tag zum anderen war ihre Beziehung beendet. Das lag nun schon über ein Jahr zurück. Damals hatte sich Marianne noch bei ihrer Freundin Vera Erlau aussprechen können, aber bald darauf war sie gestorben.
Darunter litt Marianne noch jetzt. Am wenigsten konnte sie verstehen, dass sich Arthur Erlau zu der Unterschlagung hatte hinreißen lassen. Er hatte sich ihr anvertraut, und sie gehörte zu den wenigen, die wussten, welches Urteil über ihn gefällt worden war.
Auch an diesem Tag grübelte sie darüber nach, als sie durch das Läuten an der Wohnungstür aufgeschreckt wurde. Zu ihrer Verwunderung stand Arthur Erlau vor ihr. »Ich wollte dich noch einmal besuchen, Marianne«, sagte er, »ehe ich nun, du weißt schon.«
»Komm herein, Arthur.« Marianne ging ins Wohnzimmer voraus und bot ihrem Besucher Platz an. »Ist mit Heiner alles gut gegangen?«, fragte sie.
»Ja. Ich komme eben aus Wildmoos zurück. Der Abschied ist uns beiden sehr schwergefallen, aber ich bin fest davon überzeugt, dass ich für Heiner keinen besseren Platz hätte finden können. Ein Glück, dass ich von diesem Kinderheim hörte.«
»Dann bin ich ja beruhigt«, meinte Marianne. »Immer wieder habe ich überlegt, ob ich Heiner nicht zu mir nehmen sollte, aber du siehst ja, wie eng es bei mir ist. Ich könnte mich um ihn auch nicht genug kümmern, weil ich den ganzen Tag über meinen Arbeiten sitze.« Sie seufzte. »Morgen ist es also so weit, dass du in die Strafanstalt musst. Ich kann das noch immer nicht fassen, Arthur. Warum hast du das getan? Es passt doch gar nicht zu dir.«
Arthur Erlau sah starr geradeaus. Plötzlich sagte er: »Ich habe es nicht getan, Marianne.«
Die junge Frau beugte sich zu ihm und sah ihn fassungslos an. »Was sagst du da? Bisher warst du auf dieses Thema nicht ansprechbar. Es kann doch nicht sein, dass man dich unschuldig verurteilt hat.«
Arthur lächelte verbittert. »Es gibt nichts, was es nicht gibt. Das muss ich jetzt erleben. Ich möchte auch heute nicht darüber sprechen. Mir ist schon zu großes Unrecht geschehen, als dass ich hoffen könnte, du würdest mir glauben. Ich bin nur gekommen, um dich zu bitten, dein Versprechen einzuhalten und Heiner ab und zu in Sophienlust zu besuchen. Er wird sich riesig freuen, und mich würde es beruhigen.«
»Ich werde ihn besuchen«, sagte Marianne mit fester Stimme. »Du weißt, wie gern ich Heiner mag, und ich bin es seiner Mutter schuldig, dass ich mich etwas um ihn kümmere.«
»Danke, Marianne. Ich habe noch eine Bitte. Kann ich dir ab und zu schreiben? Ich habe Heiner gesagt, dass er über dich von mir etwas hören wird.«
»Ja, schreibe mir, Arthur. Es ist dir also gelungen, Heiner zu verheimlichen, wo du in Wirklichkeit sein wirst?«