Vatter - es war filmreif - Hans-Jürgen Kampe - E-Book

Vatter - es war filmreif E-Book

Hans Jürgen Kampe

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Beschreibung

Spanienurlaub zwischen den Fronten Eine spannende Urlaubebekanntschaft - Kokainhandel und ein überraschender Thriller Schwunghafter Kokain "Schnee" Schmuggel in Südspanien! Und die Kasseler Familie Thaler gerät unfreiwillig in die Zange von zwei verfeindeten Drogensyndikaten. Dabei wollte "Vatter" Klaus Thaler mit seiner Familie nur als Komparse in einem Film mitspielen. Denn der verschlafene andalusische Urlaubsort der Familie ist diesmal Drehort eines Thrillers, in dem die verrückte Familie mit all ihren Freunden mitwirken darf. Eine turbulente "filmreife" Geschichte, spannend und urkomisch, in dem der tollpatschige "Vatter" bis zum Schluss kein Fettnäpfchen auslässt.

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EPUB
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Seitenzahl: 332

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Hans-Jürgen Kampe

Vatter - es war filmreif

Eine „Schneegeschichte“ in Andalusien

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Das Syndikat

Das Parfum

Muttertag

Bewerbungen

Fahrt in den Süden

Ein missglücktes Casting

Policia local – korrupt

Eine neue Bekanntschaft

Drogenhandel in Andalusien

Zwei Söldner

Die Entführung

Ein begehrtes iPhone

Eine zweite Entführung

Die Familie in der Falle

Die Verhaftung

Unterschlupf bei Freunden

Flucht in die Berge

Hoffnungslosigkeit und eine Lösung

Ein überraschender Gefährte

Die Rettung

(Er)lösung

Der Filmdreh

Eine Uraufführung

Das Premierenfest

Impressum neobooks

Das Syndikat

Vatter - es war filmreif

Eine „Schneegeschichte“ in Andalusien

Hans-Jürgen Kampe

Den Schnee, auf dem wir alle talwärts fahr´n, kennt heute jedes Kind!

Falco: Der Kommissar

Impressum

Texte: © Copyright by Hans-Jürgen Kampe

Umschlag: © Copyright by Hans-Jürgen Kampe

Verlag: Hans-Jürgen Kampe

Schanzenstraße 95a

34130 Kassel

Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

1

Zu der Videokonferenz hatte Raphael geladen.

Der Kopf des Syndikats musste tiefgreifende Probleme mit den Leitern der aufgeteilten Regionen besprechen. Das Syndikat bestand seit drei Jahrzehnten und hatte sich kontinuierlich über weite Teile der Erde ausgedehnt.

Mit geschickten, mehr oder weniger „freiwilligen“ Aufkäufen, Bestechung, Drohungen, Zusagen ohne Garantien, Verbrechen und offenen oder verdeckten Kämpfen hatte die Gruppe eine Spitzenstellung bei der Produktion von Kokain in Kolumbien, Peru und Bolivien erreicht.

Die Verteilungswege und die Methoden des Transports wurden im Laufe der Jahre stets verbessert und abgesichert.

Eine wesentliche Rolle spielte dabei die Infiltration und Bestechung von Zollbeamten, Polizisten, Staatsanwälten und Richtern. Auch bei den Finanzbehörden und bei Politikern, bei Anwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Finanzberatern sowie bei Banken wurden ausgewählte Personen freiwillig oder unter Zwang zu willigen Helfern geformt, um die Wäsche des Drogengeldes und die dann notwendige Anlage des sauberen, versteuerten Geldes in legale Geschäfte ungestört zu ermöglichen.

Bis auf ein paar Probleme in der Vergangenheit, die mit Bestechung, Erpressung, Drohungen oder Gewalt gelöst wurden, konnte sich das Syndikat wie ein unterirdischer Pilz immer weiter ausbreiten.

Die Gruppe hatte sich in den einzelnen Ländern bereits wie ein Staat im Staate, eine unsichtbare Macht im Schatten, etabliert.

Heimlich, ohne Aufsehen, denn auch kritische Journalisten wurden rechtzeitig diskret ausgeschaltet.

Eine straffe Struktur in dem pyramidenähnlich organisierten Drogenkonzern garantierte absolute Kontrolle, Herrschaft, Bestrafung, Belohnung und ein ausgeklügeltes System der Verteilung der Milliardengewinne.

Der Vertrieb des Kokains wurde hauptsächlich in Städten vorgenommen. Hier gab es immer eine hohe Nachfrage an Hot Spots, wie Bahnhöfen, U-Bahn-Stationen, zentralen Plätzen, Brücken oder Parks.

Gewaschen wurden die Milliardengewinne hingegen im ländlichen Bereich. In Kleinstädten, wo zu einflussreichen Entscheidungsträgern einfacher und schneller freundschaftliche Kontakte aufgebaut werden konnten, wurde das Schwarzgeld aus dem Drogengeschäft über Restaurants, Spielotheken, Tattoo Studios, Clubs, Bars, Fitnessstudios oder auch Baufirmen unauffällig zu offiziellen Gewinnen, die dann versteuert und danach regulär offiziell in legale Projekte investiert wurden.

Aber jetzt waren zwei hartnäckige Probleme aufgetaucht, welche die Führung des Konzerns besprechen und schnell lösen musste. Sehr wahrscheinlich mit Gewalt.

Alle waren geladen und erschienen innerhalb weniger Sekunden auf den großen Bildschirmen der Junta Mitglieder. Alle, bis auf einen, um dessen Verhalten und um dessen Kopf es gehen sollte.

Die Gesichter und die Körper der Teilnehmer waren durch spezielle Computeranimation unkenntlich gemacht. Die Stimmen wurden zerhackt und mit Hilfe eines eigens entwickelten Programms in einer künstlichen Sprache wieder zusammengesetzt.

Ein Erkennen der wahren Personen oder ihrer Stimmen wäre auch für den besten Polizeicomputer unmöglich gewesen. Ein Zurückverfolgen der Geladenen war ebenfalls nicht möglich. Die Konferenz wurde über eine Vielzahl von Servern umgeleitet, die in Südamerika, in der Karibik, in Asien und in Afrika via Satelliten verbunden waren.

Ein perfektes System der Kommunikation, bis auf einen kleinen Schönheitsfehler. Denn die blechern, monotonen Kunststimmen, die alle ins Englische übersetzt wurden, reagierten minimal zeitversetzt, sodass sich zuerst die Mimik änderte und dann erst der gesprochene Satz kam, was die Teilnehmer anfangs sehr irritierte. Aber auch dieses Problem würde Raphael lösen lassen, von dem einige vermuteten, dass er von Südamerika aus die „Firma“ mit harter Hand führen würde. Für einige der Teilnehmer war es später Abend, andere mussten sich zu unterschiedlichen Nachtstunden an ihren Computer setzten. Und drei der regionalen Leiter hatten das Glück, den Termin im Laufe des Nachmittags wahrnehmen zu können.

„Ich danke Euch, für Eure Teilnahme und Eure wertvolle Zeit. Wir wollen mit der gebotenen Eile, aber auch mit der nötigen Sorgfalt, über zwei Probleme sprechen, die in Spanien aufgetreten sind. Und dann werden wir heute noch entscheiden. Wenn Du, Nelson, bitte vortragen würdest.“

Das war keine Bitte, sondern ein Befehl an Nelson. Alle Namen der Junta waren Decknamen. Auch konnte niemand feststellen, ob sich hinter den Namen und den Köpfen ein Mann oder eine Frau verborgen hatte. Die ausdruckslosen, gleichförmigen Stimmen ließen erst recht keine Rückschlüsse zu.

„Wir haben seit vier Monaten festgestellt, das unser weißes Gold aus Südamerika, dass wir zuerst nach Nordafrika verschiffen, ungerecht verteilt wird. Domingo, aus Spanien, zweigt sich immer größere Mengen der Lieferungen ab. Bisher konnte Domingo das ganz gut verschleiern, weil seine Helfer unser reines Kokain, das wir in Marokko lagern und dann verteilen, gegen gestrecktes Kokain ausgetauscht hatten. Unsere Labore haben festgestellt, dass der spanische Sektionschef mit Laktose, Glukose und Mannit den Reinheitsgehalt immer weiter verringert hat, sodass aus einem Päckchen reinem Kokain drei gestreckte wurden. Die hat er dann in Marokko austauschen lassen gegen hundert Prozent weißes Puder. Wie gesagt, die Quote für ihn war drei zu eins. Erst nach Beschwerden unserer Dealer und weiterer Untersuchungen durch unsere Chemiker haben wir den Betrug festgestellt. Bis jetzt ist der Schaden gewaltig“.

„Ich will noch etwas ergänzen“, fiel Francis mit leichtem Hall in der Stimme ein.

„Die ergaunerten Mengen von reinem Schnee hat Domingo für seinen Weiterverkauf dann ebenfalls gestreckt. Aber diesmal mit Levamisol, Phenacetin und sogar Lidocain“.

Jeder in der Gruppe wusste, dass das Schmerzmittel, das Entwurmungs- und das Betäubungsmittel in Kombination mit Kokain hochgefährlich war. Es machte den Konsumenten nicht nur sofort süchtig, was den Teilnehmern aber egal war. Vielmehr verursachte es schwere Nebenwirkungen, die bis zum Tode führen konnten. Keiner in der Gruppe konnte diese Folgen tolerieren, denn dann würden ungewollte, nicht mehr steuerbare Untersuchungen einsetzen, die Kunden würden erschreckt abwandern und sich in anderen Märkten bedienen.

„Domingo hält sich auch nicht an unsere regionale Aufteilung. Eigentlich hält er sich an nichts mehr. Sein Gebiet ist Südeuropa, endet an den Pyrenäen, am Südrand der Alpen und vor Ungarns Grenze. Aber sein gestreckter Schnee taucht jetzt auch in Frankreich, in der Schweiz und in Deutschland auf. Meine Kontaktleute haben mir sogar von Lieferungen nach Österreich und Holland berichtet. Wenn wir ihn jetzt nicht aufhalten, geht er über Osteuropa, nimmt mich in die Zange und baut sich ein Verteilsystem in ganz Europa auf. Und dann kann das Syndikat ihn nicht mehr bremsen, er ist dann zu mächtig“, warnte Viper aus dem nördlichen Europa.

„Eine Warnung hilft in dem jetzigen Stadium nicht mehr. Domingo würde sich an nichts mehr halten. Im Gegenteil, er würde eine Warnung nur als Schwäche auslegen und weiter lügen, betrügen und seine Einflusssphäre weiter vergrößern“.

Für Raphael war die Entscheidung klar. Mit Domingo war eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich.

„Ich bin von Vipers Einwand überzeugt. Die Verfehlungen sind zu lange und zu intensiv erfolgt. Domingo hat zu unseren Lasten hinter unserem Rücken neue Geschäftsfelder erschlossen. Er wird niemals klein beigeben. Und wir dürfen ein solches Verhalten keinesfalls dulden. Er würde sonst Nachahmer finden“.

Jeder in der Gruppe hatte die Warnung von Raphael verstanden. Alle lebten mit und durch die „Firma“ sehr gut. Ihre bürgerliche Existenz mit enormem Wohlstand, den Luxus, den sie ihren Partner*innen und ihren Geliebten bieten konnten, ihre Reputation in vielen wohltätigen Organisationen, ihre Villen, ihre Jachten, die wertvollen Luxusautos, die teure Ausbildung ihrer Kinder und den Schutz durch das Syndikat-keiner wollte all das durch einen Betrug an der Gemeinschaft aufgeben und sein eigenes Leben und das Leben seiner Familie riskieren.

„Ich schlage vor, wir lassen Orca und Torro das Problem lösen. Notwendige weitere Informationen bekommen wir von unseren Leuten vor Ort, auch durch die Polizei. Alle Strukturen von Domingo werden aufgelöst, seine Produktions- und Verteilstellen, sein Material und alles, was er besitzt wird zerstört. Und auch er selber wird vernichtet werden. Danach werden wir das Gebiet von Domingo ordnen und neu vergeben; an einen loyalen Partner, der uns Sicherheiten und lebende Kautionen durch seine Familie stellen muss. Ist jemand gegen diesen Vorschlag?“

Die Frage des Vorsitzenden war rein hypothetisch. Keine Gegenstimme regte sich, keiner brachte einen Einwand. Die Entscheidung war getroffen. Die Söldner Orca und Torro würden das Problem Domingo professionell lösen. Auf ihre bewährte Art. Lautlos, emotionslos und spurenlos.

Das Parfum

2

Andrea und Klaus Thaler hatten sich getrennt. Nach fünfundzwanzig Jahren Ehe und drei wohlgeratenen Kindern hatte sich die sportliche Zahnärztin entschieden, jetzt ihre eigenen Wege zu gehen und ihren Mann kurz vor der Silberhochzeit zu verlassen.

Zumindest im Bio Supermarkt beim wöchentlichen Einkauf.

Klaus hatte nämlich seit einiger Zeit beschlossen, seine Frau am Samstagmorgen zuerst auf den Wochenmarkt in der alten Markthalle von Kassel und danach in den Supermarkt zu begleiten. Was am Anfang noch harmonisch ablief, Andrea sogar gefiel und mit einem gemeinsamen Frühstück in dem renovierten Marktgebäude aus der Renaissancezeit für Harmonie zwischen den Eheleuten sorgte, entwickelte sich von Monat zu Monat problematischer.

Denn der Kasseler Steuerberater wollte die Stunden am Vormittag mit seiner Ehefrau nicht nur in lockerer Stimmung genießen. Vielmehr achtete er zunehmend darauf, was Andrea kaufte. Und vor allem-zu welchem Preis.

Andrea, die im Gegensatz zu ihrem Mann ein sehr unkompliziertes Verhältnis zu ihrem Portemonnaie hatte, gab lieber mehr Geld aus und kaufte gerne frische Bio Produkte aus der Region. Und die waren nicht ganz billig.

Ihr Mann hinterfragte allerdings seit ein paar Wochen zunehmend maulend jeden zweiten Artikel, warum man den nicht beim Discounter billiger kaufen würde.

„Erstens sind die häufig nicht bio und zweitens kosten die meistens auch nicht wesentlich weniger“, wehrte sich die zunehmend genervte Schulzahnärztin. „Und außerdem fahre ich doch nicht von Supermarkt zu Supermarkt um überall ein Sonderangebot zu kaufen. Die paar Cent Ersparnis frisst der Diesel von Deinem alten Spritfresser dreimal wieder auf.“

Andrea spielte damit auf Klaus‘ sehr alten Diesel Kombi an, der bereits letztes Jahr die dreihundert Tausend Kilometermarke bei erheblichem Ölverlust geknackt hatte. Und den Klaus auf keinen Fall gegen ein neues Modell eintauschen wollte.

Vor zwei Jahren konnte sich Andrea mit der Hilfe ihrer zwanzig und achtzehn Jahre alten Söhne Anton und Emil und der damals vierzehnjährigen Emma bei Klaus durchsetzen und einen Elektro-Kleinwagen ergattern. Das war das reparierte Auto der Frau von Klaus‘ Sozius Wolfgang, den Klaus mit seiner gefürchteten technischen Ungeschicklichkeit beim falschen Aufladen stark beschädigt hatte. Und dieses Auto durfte Andrea nach langem Überreden übernehmen, weil Klaus mit Hilfe der Haftpflichtversicherung der Frau seines Geschäftspartners ein neues Auto spendieren musste. „Neu“ war allerdings relativ, denn Klaus suchte sehr lange nach einem günstigen Vorführmodell, das er mit der aufgedruckten Reklame für das Autohaus nochmal zwanzig Prozent billiger bekam.

Andrea hatte heute darauf bestanden, mit dem Einkaufswagen allein entspannt durch die Gänge zu schlendern, ohne Hetze oder ständige Kontrollen. Nur so konnte sie den ein oder anderen spontanen Lustkauf tätigen, ohne sich jedes Mal lange erklären zu müssen.

Jetzt verbrachte die schlanke, sportliche Endvierzigerin einige Zeit in der Frisch-Fischabteilung und überlegte in Ruhe den Speiseplan für die nächste Woche.

Klaus war am Anfang hilflos in der Gemüseabteilung zurückgeblieben und irrte dann ziellos durch den großen Markt. Musik berieselte den Familienvater von der Decke, unterbrochen von Werbeansagen oder Aufrufe an die Mitarbeiter*innen: „Frau Meyer an Kasse neun, Frau Meyer bitte!“

Zuerst prüfte der Steuerberater die Angebote an alkoholfreiem Bier. Aber leider war sein Lieblingsbier, das er vor allem bevorzugte, weil es seinem Namen Klaus Thaler so stark ähnelte, nicht im Sortiment.

Nach lustlosen, langweiligen Minuten in der Abteilung für Haushaltswaren entdeckte er endlich ein Regal, das seine Aufmerksamkeit spontan fesselte. Klaus war in der Abteilung für Herrendüfte.

In der obersten Reihe standen die Produkte, die den sparsamen Familienvater am meisten interessierten. Es waren Probeflaschen mit Zerstäubern.

Klaus ging jetzt sehr zielorientiert vor. Er suchte sich die teuren Markenparfums aus und fing an, seinen Körper kostenlos zu verwöhnen.

Linker Handrücken Dolce y Gabbana. Für den rechten Handrücken durfte es Prada sein. Brustbereich links Hugo Boss, rechts harmonierte mit Baldessarini. Der Haaransatz über dem linken Ohr bekam einige Spritzer Bulgari ab, und über dem rechten Ohr landete ein heftiger Schwall aus der Flasche von Chanel. Obwohl Klaus komplett bekleidet war, wurde auch der Pullover unter den Achselhöhlen mit einigen kräftigen Stößchen Gucci aus den Zerstäubern versorgt. Ein eindeutiger Duft war bei dem Gemisch jetzt nicht mehr festzustellen.

Egal, es war umsonst und Klaus überlegte einen Moment, ob es ihm gelingen würde, bis Montagmorgen nicht zu duschen und keine Haare zu waschen. Vielleicht würde er den angesprühten Pullover auch im Büro anziehen, damit die Kollegen und Kolleginnen einschließlich der angekündigten Betriebsprüfer noch einen Rest seiner Markenvielfalt mitbekommen konnten.

Andrea, die ihren Mann zunehmend irritiert beobachtet hatte, blieb verschämt hinter dem schützenden Regal für Toilettenpapier stehen. Aus ihrer Sicht war es wahrscheinlich besser, wenn sie den Vater ihrer drei Kinder erst in der Tiefgarage diskret am Auto treffen würde. Denn im gleichen Moment hatte eine stämmige Verkäuferin den emsigen Tester ebenfalls ins Visier genommen und beendete Klaus Sprühorgie mit den kostenlosen Probeflaschen.

„Junger Mann, soll ich Ihnen unsere Probeflaschen vielleicht noch als Geschenk einpacken? Oder hatten Sie vor, doch noch einen kleinen Rest für unsere anderen Kunden übrig zu lassen?“, schnauzte die Dame in ihrer grauen Hose den verdutzten Probanden an. Ihr Namensschild über der gestreiften Bluse mit der Fliege hob sich empört nach oben und unten.

Weißes Neonlicht von der abgehängten Styropor Decke ließ den Gesichtsausdruck der aufmerksamen Angestellten noch kälter und härter wirken. Im Hintergrund trällerte die Stimme von Roland Kaiser aus den Lautsprechern, der von Liebe und Frieden sang.

Klaus war im ersten Moment peinlich berührt, wusste nicht, wie er sich erklären sollte und stammelte nur: „Ich, äh, konnte mich noch nicht endgültig festlegen. Muss erst meine Frau fragen“.

Während der Ertappte hilfesuchende Blicke die Gänge hoch und runter warf, um seine Ehefrau als letzte Rettung zu entdecken, klingelte Gott sei Dank sein Handy.

„Ich, also entschuldigen Sie bitte, aber da muss ich jetzt dran gehen. Ich glaube, also wahrscheinlich komme ich demnächst nochmal auf Ihr Angebot zurück.“

„Soll das jetzt eine Drohung für weitere kostenlose Tests sein, oder haben Sie irgendwann mal vor, tatsächlich was zu kaufen?“ Die Dame versuchte penetrant, das Gespräch am Laufen zu halten.

Mittlerweile hatten sich vier Einkaufswagen mit Rentnerehepaaren um Klaus wie eine Wagenburg geschoben, um möglichst keinen Satz des aufkommenden Streits zu verpassen.

Klaus drehte sich demonstrativ um und nahm mit zitternden, verschwitzten, aber wohlriechenden Fingern das Gespräch an.

„Ja“, meldete sich der Angerufene kurz angebunden, weil er seinen Namen nicht nennen wollte. Keiner sollte den Kasseler Steuerberater in dieser Situation identifizieren können.

„Bist Du’s Klaus?“ ertönte eine Stimme mit eindeutig Wiener Dialekt aus dem Handy.

„Kurti, ich kann im Moment nicht so richtig sprechen. Können wir später nochmal telefonieren?“ versuchte Klaus das Ferngespräch abzukürzen.

Am anderen Ende war der Mitbewohner von Thalers in der Urbanisation „Cabo de Mar“ in Südspanien. Kurti und seine Frau Gerti hatten ihre Geschäfte in Wien nach dem Kauf ihres Ferienhauses verkauft und waren ganz nach La Herradura in Andalusien gezogen.

Thalers hingegen hatten sich in der Wohnanlage ein Ferienhaus gekauft, das vor Jahren mit sehr viel Problemen und viel zu spät fertiggestellt worden war. Dieses Häuschen nutzte die Familie seitdem dreimal im Jahr während der Ferienzeit für ihren Urlaub.

Die Verkäuferin hatte sich mit verschränkten Armen vor Klaus aufgebaut, der von den parkenden Einkaufswagen an einer Flucht gehindert war.

„Na gut, Klaus, I meld‘ mi später nochamoal,“ beendete der verständnisvolle Österreicher das Telefonat.

Es half nichts, Klaus musste sich jetzt irgendwie rausreden.

„Aber die Flaschen stehen doch letztlich zum Testen da,“ versuchte der Ertappte die Flucht nach vorn.

„Aber bestimmt nicht, um sechs Flacons fast bis zum Anschlag zu versprühen,“ konterte die gestreifte Bluse empört.

Andrea konnte das Elend nicht mehr mit ansehen. Sie kannte ihren Mann und seine zunehmende Sparsamkeit seit mittlerweile über dreißig Jahren. Spontan beschloss sie, ihrem früheren Verlobten noch einmal aus der Patsche zu helfen. Beherzt schob sich Andrea um das schützende Regal herum in die wachsende Meute von neugierigen Zaungästen.

„Mein Schatz, Du hast Dich etwas vertan.“

Andrea versuchte, das Problem ihres Mannes einfach wegzulächeln.

Alle schauten die sportliche, schlanke junge Frau mit den langen blonden Haaren überrascht an.

„Die Abteilung für Damenparfums ist doch auf der anderen Seite des Regals.“

„Wie, was? Wollen Sie jetzt etwa auch noch anfangen, alles durchzutesten?“ fauchte die wachsame Angestellte Klaus‘ Rettung an.

„Im Gegenteil“, flötete die Schulzahnärztin, „mein Mann wollte mich eigentlich mit einem Parfum überraschen und hat ganz aus Versehen Herrendüfte probiert. Aber hier haben wir es ja, mein Lieblingsparfum. Klaus, bist Du so lieb und reichst mir die Großpackung von Armani aus dem Regal?“

Die Hand des Angesprochenen zuckte kraftlos und dehnte sich dann widerwillig Richtung Regal.

„Greif nur beherzt zu, mein Goldstück“, zischte Andrea ihrem Mann in sein dunkelrotes Ohr, „wir wollen doch jetzt kein weiteres Aufsehen erregen. Sonst erwähne ich unseren Nachnamen.“

Klaus schluckte schwer, aber die Verkäuferin schaute anerkennend.

„Eine gute Wahl. Also dann, weiterhin guten Einkauf,“ nickte die wachsame Angestellte dem in die Enge Getriebenen aufmunternd zu.

Der zögerte verkrampft und dachte verbittert an den Preis der hundert Milliliter des teuren Parfums. Weder zum Muttertag, noch zum Geburtstag, zum Hochzeitstag oder zu Weihnachten hatte sich der ansonsten ja liebevolle Familienvater jemals hinreißen lassen, so teure Geschenke zu machen.

Als Andrea ihren Einkaufswagen provozierend dicht an das Regal schob, blieb Klaus nichts anderes übrig, das auserwählte Geschenk mit sehr spitzen Fingern in den Wagen zu legen.

Ein anerkennendes Raunen der umstehenden Damen versüßte ihm den Zwangskauf nur geringfügig.

An der Kasse durfte Klaus den gesamten Wocheneinkauf in die mitgebrachten Taschen packen. Während sich hinter Thalers eine Schlange von ungeduldigen Kunden aufbaute, kontrollierte Andrea wie üblich den Kassenzettel.

„Gibst Du mir bitte unser Portemonnaie, Klaus“, kam die kurze Bitte.

Während einige Kunden genervt beobachteten, wie Klaus immer hektischer alle Taschen absuchte und rote Flecken im Gesicht bekam, wuchs bei seiner Frau die Befürchtung, dass ihr etwas unbeholfener Mann die Geldbörse ganz unten in einer der Taschen liegen hatte. Nur-in welcher der drei?

„Klaus, hast Du unser Portemonnaie vielleicht in die Tasche gelegt?“

„Könnte sein, weiß ich nicht genau, ich muss nachsehen“, stammelte der Ehemann errötend, denn mittlerweile setzte ein lautstarkes Murren hinter der Kasse ein.

Nach vier endlos langen Minuten hektischen Wühlens, währenddessen sich die Hälfte der Schlange erschöpft auf andere Kassen verteilt und die Kassiererin einen abgebrochenen Fingernagel vom Trommeln auf die Kasse bekommen hatte, zog Klaus verschwitzt die Geldbörse aus der dritten Tasche. Gleichzeitig bemerkte er, dass er seine Kreditkarte in der linken Gesäßtasche hatte. Aber das behielt er wohlweislich für sich.

Auf dem Nachhauseweg tätschelte die Beifahrerin die Hand ihres Mannes, der wortkarg seinen alten Kombi nach Hause steuerte.

„Verbuch‘ das Parfum einfach mal als vorgezogenes Muttertags Geschenk, mein Schatz. Vielleicht fällt Dir die Ausgabe dann leichter,“ schmunzelte Andrea ihren Mann verschmitzt an und versuchte, ihm so eine Brücke zu bauen.

„Morgen kommen doch die Kinder zum Muttertag. Mit so einem großzügigen Geschenk kannst Du mal wieder richtig punkten, bei unserem Nachwuchs“.

Klaus fand den Vorschlag nach einem kurzen Moment des Nachdenkens nicht vollkommen abartig, sodass er langsam wieder entkrampfte.

Kaum hatten beide ihre Einkäufe zu Hause ausgeladen, klingelte wieder Klaus‘ Handy.

„Also, I bin’s wieder“, krächzte Kurti aufgeregt. „Du, Klaus, es gibt enorme Neuigkeiten“.

„Um Gottes Willen Kurti. Hat sich der Zustand der Urbanisation weiter verschlechtert? Ist was Schlimmes mit unserem Häuschen passiert?“

Klaus befürchtete bei jedem Anruf aus Südspanien Hiobsbotschaften, seitdem sich der Zustand der Straßen, der Mauern und einiger Häuser aufgrund der mangelhaften Bauweise des Bauträgers Colgatex aus Granada in den letzten Jahren immer mehr verschlechtert hatte. Und der Bauträger war pleite, da war kein Geld mehr zu holen.

„Naa, nix Schlimmes. Eher’s Gegenteil. Euer Häuschen is doch eh in Ordnung. Aber I hab‘ zwei Anzeigen in den deutschen Zeitungen in Andalusien gelesen. Du, Klaus, die wollen einen Film drehen in La Herradura. Und das Tollste,-die suchen Komparsen zum Mitspielen. Hättest Interesse, zum Film zu gehen?“ Kurti verhaspelte sich fast vor Aufregung.

Klaus war perplex und wusste im ersten Moment nicht, was er dazu sagen sollte. Dann kam reflexhaft aus dem Bauch heraus seine erste Frage: „Was zahlen die denn, Kurti?“

„I weiß net, da stand nix drin. Aber die wern schon ordentlich löhnen. Und vielleicht wern mer ja berühmt oder kriegen weitere Rollen angeboten“.

Kurti schien die Frage der Bezahlung ziemlich egal zu sein. Das Wichtigste war wohl die Abwechslung, die so ein Filmdreh in das relativ ereignislose Leben der beiden österreichischen Auswanderer brachte.

„Und Kurti, weißt Du denn, was die für einen Film drehen wollen?“

„Naa, weiß I auch net. Aber die Gerti und I haben beschlossen, überall mitzuspielen. Wir sind flexibel. Außer bei der Erotik. Da hat die Gerti gesagt, da is bei ihr a rote Linie überschritten“.

Kurti ließ offen, ob er selber bei einem Erotik Film mitgespielt hätte. Klaus wollte sich das besser nicht vorstellen. Kurtis Leibesumfang hatte in den Jahren in Südspanien stetig zugenommen. Die Entwicklung der Raupe Nimmersatt war nichts im Vergleich zu den Auswirkungen der häufigen Restaurantbesuche und des heftigen Rotweingenusses auf den Umfang des kleinen lebenslustigen Wieners. Erstaunlicherweise blieb die Gerti weiterhin gertenschlank. Aber die machte seit Jahren ihr Intervallfasten 16/8, das Kurti in umgekehrter Reihenfolge absolvierte.

„Also gut, Kurti. Ich spreche mal mit Andrea. Weißt Du denn schon Näheres, wann die drehen und wie man sich bewerben kann?“

„Es stand in der Anzeige, dass der Film im Herbst gedreht wird. Aber man soll sich schon vorher bewerben für an Casting. I schick‘ Dir die E-Mail-Anschrift von denen. Du musst dann Fotos und an Lebenslauf einreichen. Alles Weitere siehst Du im Internet. Du, Klaus, I werd narrisch, wenn wir alle zum Film kommen. I sag‘ auch Euren Nachbaren, dem Daniel und dem Adrian Bescheid. Vielleicht spieln mer im Team“.

Für Kurti schien die Sache schon perfekt zu sein. Aus seiner Sicht war es klar, dass er, Gerti und seine Freunde die Komparsen Rollen bekommen würden. Obwohl sich noch keiner beworben hatte.

„Ich schau‘ mir das heute Abend mit Andrea mal im Internet an. Und ich spreche mit den Kindern, ob die Lust haben, auch mitzumachen“, wiegelte der Nordhesse erstmal vorsichtig ab.

„Und Deine Mutter, die Alma, und Deine Schwiegereltern, den Herbert und die Gisela kannst auch gleich informieren. Vielleicht hat ja auch Eure Nachbarin, die Hildegard, Interesse, in Spanien mal ganz groß rauszukommen“.

Das konnte sich Klaus gerade bei seiner Nachbarin, Hildegard Saurbier, der pensionierten Finanzbeamtin, nun beim besten Willen nicht vorstellen. Er versprach aber, alle, die schon mal bei Thalers in La Herradura zu Besuch waren, auf den Filmdreh anzusprechen.

„So könnte man Angenehmes mit dem Nützlichen verbinden und im Urlaub sogar noch Geld verdienen“, überzeugte sich der Steuerberater selber.

Die abendliche Internetrecherche ergab nicht sonderlich viel. Es wurden Komparsen, männlich, weiblich und divers, in allen Altersklassen gesucht. Die Agentur stand im Netz, die Filmgesellschaft war nicht zu identifizieren. Es wurde lediglich angedeutet, dass es sich um die Fortsetzung einer sehr bekannten, seriösen Filmreihe handeln würde, was die sehr skeptische Andrea etwas beruhigte.

Man sollte zwei Portraitaufnahmen, ein Ganzkörperfoto und einen Lebenslauf per Mail einreichen. Dann würde eine Vorabauswahl erfolgen, denn es sollten nur fünfzig Komparsen beschäftigt werden.

Bei weiterem Interesse der Agentur würde eine Einladung zum Casting in Almuñecar, der benachbarten Kreisstadt von La Herradura, erfolgen.

Das klang spannend. Der nüchterne Steuerberater wurde langsam vom Filmfieber gepackt. Urlaub und Geldverdienen, prima Idee. Und vielleicht der Start für eine Karriere als Komparse beim Film, als Zweitjob, den Klaus bis ins Rentenalter noch ausbauen konnte. Vielleicht sogar mit freiem Eintritt ins Kino, wenn seine Filme gezeigt wurden. Und mit vielen freundschaftlichen Kontakten zu bekannten Filmstars.

Klaus träumte diese Nacht besonders intensiv und ging in Gedanken alle Filmschauspieler, vor allem aber Filmschauspielerinnen, durch, die er unbedingt mal kennenlernen wollte.

Muttertag

3

Sonntag waren alle drei Thaler Sprösslinge ausnahmsweise mal zu Hause. Wie Andrea vorausgesagt hatte, waren die Kinder vollkommen perplex von der ungewöhnlichen Großzügigkeit ihres Vaters anlässlich des Muttertages. Der saugte bescheiden lächelnd das seltene Lob seiner Lendenfrüchte wie Nektar auf.

Die jetzt sechzehnjährige Emma, das pubertierende Nesthäkchen, ging noch zur Schule. Emil, ihr zwanzigjähriger Bruder, arbeitete nach seinem sozialen Jahr in Granada als Auszubildender in einer Tischlerwerkstatt und träumte davon, später Industriedesign zu studieren. Und Anton, mit zweiundzwanzig der Älteste, war am späten Samstagabend aus Marburg gekommen, wo er im sechsten Semester Jura studierte.

Alle drei Thaler Abkömmlinge hatten beschlossen, ihre Mutter mal so richtig zu verwöhnen und ihr das Frühstück zu bereiten. Da der Student aus Marburg das frühe Aufstehen hasste, musste Andrea mit knurrendem Magen noch längere Zeit im Bett liegen bleiben, bis die drei Kinder endlich ausdiskutiert hatten, wer was für das Frühstück herrichten sollte. Nachdem Andrea kurz vor einem Schwächeanfall schließlich in die Küche gerufen wurde, durfte sie die sehr kross geratenen Toasts mit einigen Tassen sehr dünnem Kaffee runterspülen. Eine brennende Kerze, ein labbriges Rührei und ein Orangensaft-Konzentrat komplettierten das Feiertagsfrühstück. Dabei bemühte sich die Geehrte redlich, freudig überrascht, halbwegs gerührt, und auch noch dankbar auszusehen.

Nach dem Frühstück verließen die drei Kinder hastig das Haus. Emma musste noch ihr Pony „Schmidtchen“ reiten, Anton und Emil wollten unbedingt ihre Freunde treffen. Andrea schaute ergriffen über das Chaos in der Küche. Seufzend gönnte sich die Hauptperson des Tages noch eine Tasse ziemlich geschmacksneutralen Kaffee, bevor sie mit dem Aufräumen begann. Mal sehen, was sich Ihr „Goldstück“ Klaus für den Feiertag ausgedacht hatte.

Klaus hatte am Morgen wenig Interesse gezeigt, außer dem teuren Parfum noch mehr in den Muttertag zu investieren. Zum Beispiel mit der ganzen Familie mal schick im Restaurant essen zu gehen. Daran könnte man sparen.

Trotz seiner Unbeholfenheit, was jegliche manuelle Tätigkeiten anging, beschloss der Familienvater seine Familie zur Feier des Tages doch noch zum Essen einzuladen. Aber auf seine Art. Klaus wollte selber kochen.

Als Klaus seiner lieben Frau seinen einsamen Beschluss mitteilte, reagierte die, wie zu erwarten, etwas zugeknöpft.

Da Andrea ein sehr ausgleichendes Naturell hatte, beschloss sie, nichts weiter dazu zu sagen und die Sache positiv zu sehen. Immerhin bemühte sich ihr Mann um sie.

Klaus hatte anfangs überhaupt keinen Plan, was er seiner Familie mit seinen fehlenden Kochkünsten vorsetzen konnte.

Irgendwas mit Nudeln. Nudeln gingen immer.

Nur, was könnte er dazu erhitzen?

Rote Fertigsauce erschien selbst ihm für den Muttertag etwas zu lapidar.

Klaus schaute als erstes in den Kühlschrank. Fertig-Sahnesauce, bereits gewürzt. Da konnte nicht viel schief gehen.

Aber da fehlte noch was. Sonntagmittag, Festessen zum Muttertag, da brauchte er noch eine edle Beilage.

Leider gab der Kühlschrank außer Salat und Parmesan nicht viel mehr her.

Aber im Eisfach wurde das liebevolle Familienoberhaupt zum Glück fündig.

„Häppi Miel, Feine Lachshappen“. Das war’s.

Nudeln kochen, den Rest in der Mikrowelle erhitzen, so einfach konnte Kochen sein. Klaus war mit sich sehr zufrieden. Selbst Salat hatte der Hobbykoch gewaschen und gerupft und seiner Familie zum Selbstanrichten noch Essig und Öl auf den Tisch gestellt.

Das Feiertagsessen konnte beginnen.

Aber leider wurde Klaus‘ merkwürdige Zusammenstellung der verschiedensten Parfumsorten dann doch ein Thema bei Tisch.

Zumal Mila, Thalers schwarzer Familienhund, am Samstag nach der Rückkehr vom Einkauf vor Freude schwanzwedelnd an Klaus geschnüffelt und sich dann jaulend von ihrem Hundekissen im Wohnzimmer verabschiedet hatte. Das geruchsempfindliche Tier lag auch jetzt noch hechelnd im kalten Treppenhaus vor der zugigen, undichten Holztür von Thalers altem Haus. Ein Platz, den der alte Hund, der Wärme liebte, nie freiwillig eingenommen hätte. Aber bei dem Geruch von Klaus.

Der Familienvater verströmte ein Gemisch aus süßlich, bitterem Moschus, gepaart mit frischen Zitruselementen, einem Hauch arabischen Sandelholz, Marzipan, mediterranen Pinienzapfen, Vanillekipferln, Ambra und einer Krönung von modernden Matsutake Pilz. Weitere Essenzen waren nicht klar auszumachen, aber nichts passte zusammen.

Andrea hatte sich morgens mit Bemerkungen zwar zurückgehalten, sich aber nach dem Frühstück geschickt in den Garten verzogen.

Trotz allem. Beim Mittagessen war das Gemaule der Kinder riesengroß.

„Irgendetwas riecht hier wie Aas und Pferdeäppel auf Orangenkompott. Bist Du das, Schimmelchen?“ wollte die reitbegeisterte Tochter respektlos von ihrem Vater wissen, den sie wegen seiner ergrauten Haare nur „Schimmelchen“ nannte.

Bevor sich der Angesprochene rechtfertigen konnte, schnupperte Emil in die Richtung seines Vaters.

„Papa, selbst der Duft Deines Essens kann Deinen Geruch nicht schlagen. Opa Herbert würde sagen, Du riechst wie ein achtstöckiges Freudenhaus“, grinste der Tischlergeselle in spe.

Und Anton konnte es sich selbstverständlich nicht verkneifen, in dieselbe Kerbe zu hauen.

„Mal ganz ehrlich, Vatter. Wenn Du die Mutter nicht schon ehelich gebunden hättest, würdest Du mit dem Geruch keine Frau mehr finden. Es riecht, als hättest Du mit Klosteinen gebadet“.

Klaus hatte sich instinktiv etwas geduckt und versprach kleinlaut, sich doch noch zu duschen und die Haare nochmal zu waschen. Sein Pullover kam in den Sack für die Reinigung.

Zu Klaus‘ Erstaunen war jeder zufrieden mit seinem Essen, keiner hatte gemeckert, nichts war übriggeblieben und Andrea tätschelte gerührt und liebevoll die Hand ihres früheren Verlobten.

Nach dem Essen wollten die Kinder selbstverständlich ihren Nachtisch. Emma stand auf und ging zum Eisfach.

„Wo ist eigentlich mein „Häppi Miel“?“ Emma hielt eine Familienpackung Stracciatella Eis in der Hand.

„Das muss doch im Eis sein, gestern habe ich es noch gesehen“.

Klaus wollte gerade bemerken, dass sein selbstgekochtes Menu mit den feinen Lachshappen aus dem „Häppi Miel“ der ganzen Familie doch anscheinend sehr geschmeckt hatte, da kam Antons Hinweis.

„Emma, das Hundefutter war doch schon seit drei Wochen abgelaufen. Bist Du sicher, dass Du das unserer Mila noch zumuten willst?“

Dem Koch fiel die Gabel aus der Hand.

„Das war ein Super Sonderangebot. Klar, das Futter muss jetzt schnellstens weg. Aber der Magen unseres Hundes wird das schon verkraften. Außerdem liebt sie doch die Lachshappen für Hunde über alles“.

Der Familienvater schaute betreten nach unten und wagte nicht zu atmen. Wieder arbeitete sich eine leuchtende Röte vom Hals bis zu den Haarspitzen. Andrea schaute ihren Mann besorgt an.

„Fehlt Dir was, mein Goldstück?“

Klaus röchelte etwas, das man mit gutem Willen als „nicht mit Absicht gemacht“ interpretieren konnte.

Die beiden Jungs schauten sich an.

„Apropos Lachs, Vatter. Wo hattest Du denn die Happen für unser Essen am Sonntag noch auftreiben können?“ Anton witterte etwas.

Klaus‘ Nase war jetzt ganz weiß geworden.

„Also, äh, ich hab‘ da was im Eis gefunden“.

„Nee, Vatter, sag‘ mir, dass es nicht das ist, was ich denke“.

Emil war aufgesprungen.

„Igitt, Papa, das ist ja ganz furchtbar. Hundefutter zum Muttertag, schlimmer geht‘ s nicht mehr“.

Emma heulte, während ihr das Eis in der Hand schmolz.

„Vatter, hinter „Feine Lachshappen“ stand dick und fett: Für den Hund“.

„Tut mir ganz furchtbar leid, aber das muss ich in der Aufregung bei der Vorbereitung des Essens wohl übersehen haben“.

Klaus war zerknirscht am Tisch zusammengesackt.

„Und wo krieg‘ ich jetzt noch das Fressen für Mila her? Das wir ihr gerade weggegessen haben?“

„Kinder, mir wird grad furchtbar schlecht. Ich muss ganz schnell raus“.

Die Hauptperson des Muttertages war hektisch aufgesprungen und hielt sich die Hand vor den Mund. Mit schnellen Schritten eilte Andrea zur Gästetoilette. Der Deckel knallte auf, würgende Geräusche übertönten die plötzliche Stille in der Küche; dann wurde zweimal gespült. Andrea kam kreidebleich aus dem stillen Örtchen und zog sich wortlos die alte Holztreppe hoch.

Oben hörte man den Schlüssel im Schloss. Andrea hatte sich eingeschlossen.

Der Muttertag war beendet.

Klaus überlegte verzweifelt, wo er jetzt noch Blumen herbekommen könnte. Zumal Aldi ja geschlossen hatte.

Währenddessen räumten die Kinder ihrer Mutter zuliebe freiwillig ab und verzogen sich dann mit strafenden Blicken in Richtung ihres Vaters nach oben.

Der schaffte es dann doch noch, mit seinen zwei linken Händen aus ihrem Garten einige Blumen abzuschneiden und in einer Vase zu arrangieren, sodass man mit viel gutem Willen von einem Muttertags Strauß sprechen konnte.

Außerdem beschloss Klaus in zerknirschter Reue, der Mutter seiner Kinder nachträglich doch noch ein großzügiges Muttertags Geschenk zu machen. Der Steuerberater hatte in der Kasseler Lokalzeitung ein Sonderangebot für ein Dutzend Sockenclips entdeckt. Damit könnte die fleißige Hausfrau das ärgerliche Wunder der verschwundenen Socken in der Waschmaschinentrommel ein für alle Mal unterbinden. Das war doch mal ein sinnvolles Präsent. Dank seiner einfühlsamen Art konnte sich Klaus gut vorstellen, dass sich Andrea über seine Kreativität bestimmt sehr freuen und seinen kleinen Fauxpas mit dem Essen sofort verzeihen würde.

Abends hatten die Kinder für ihre Mutter liebevoll den Tisch gedeckt und das Abendbrot vorbereitet.

Andrea saß immer noch wortkarg am Tisch und vermied es, ihren Angetrauten anzusprechen. Von Verzeihen war bei Andrea nichts zu erkennen. Im Gegenteil.

Die Mutter der drei Thaler Kinder hatte ihrem Mann konsequent das Abendbrot verweigert und ihm stattdessen einen Hundenapf, vollgefüllt mit Trockenfutter von Mila, auf seinen Platz gestellt.

Die Kinder grinsten schadenfroh.

Klaus beschloss, diese Provokation besser zu ignorieren und heute Abend mal zu hungern. Stattdessen versprach der Familienvater kleinlaut, die Familie als Wiedergutmachung doch noch zum Essen einzuladen.

Zustimmendes Kopfnicken des Nachwuchses und ein etwas entkrampfter Gesichtsausdruck bei seiner Frau signalisierten Klaus, dass er mit seiner spontanen Großzügigkeit nicht falsch gelegen hatte.

Bewerbungen

4

Um das leidige Thema des versehentlichen Hundefutters zum Mittagessen endgültig zu beenden, kam Klaus dann sehr schnell auf Kurtis Anruf zu sprechen. Und dass ihre Wiener Freunde fest entschlossen waren, sich zu bewerben. Vielleicht hätten die Kinder ja auch Lust, denn dann könnte er ihre Mutter auch überreden, mitzumachen. Die Großeltern, die den Winter in Spanien verbrachten und seine Mutter, Oma Alma, wollte Klaus in jedem Fall auch noch fragen.

„Stellt Euch mal vor, das klappt mit uns, dann kämen wir als Großfamilie zum Film. Ganze Szenen könnte man mit uns gestalten“, kam der reuige Familienvater ins Schwärmen.

Andrea rollte nur mit den Augen und schaute etwas genervt an die Decke. Aber die Kinder waren sofort hellauf begeistert.

„Vatter, wir könnten doch schreiben, dass wir bereits Filmerfahrung haben. Zweimal war das Fernsehen schon bei uns und hat über unser Schäfchen Lotti berichtet“, schlug der Älteste von Thalers Sprösslingen kreativ vor.

„Anton, Du Abstauber. Das war nur Lotti und ich. Außerdem war ich mit Lotti bei Günter Jauch und Thomas Gottschalk in der Quizsendung. Nur ich hab‘ die Fernseherfahrung in der Familie“, drängte sich das Nesthäkchen vor.

„Ja, ja, ist gut. Wir schreiben das genauso auf, wenn das in der Internetbewerbung überhaupt möglich ist. Aber als Erstes machen wir mal die geforderten Fotos. Wer hat das beste Handy?“ schlug Klaus diplomatisch vor, um den aufkommenden Streit zu beenden.

Emil konnte sich mit seinem neuen Smartphone gegen seine Geschwister durchsetzen und fotografierte die ganze Familie. Kopf frontal, dann von der Seite und am Schluss noch eine Ganzkörperaufnahme.

„Gott sei Dank können die Deine Mail nicht riechen, Vatter, sonst wärst Du nicht mit von der Partie“, konnte sich der Älteste ein letztes Lästern nicht verkneifen.

„Erzähl‘ Du besser mal, was Deine Freundin in Marburg macht und ob Frida sich vielleicht auch bewerben will“, konterte der „Vatter“.

Jetzt wurde Anton doch etwas kleinlaut.

„Also, ich glaub‘ nicht, dass die Frida Lust hat. Es sei denn, es wäre ein Film über den Klimawandel, in dem zu hundert Prozent gegendert wird. Und außerdem fühlt sie sich im Moment nicht so gut“.

Frida, Antons Marburger Freundin, studierte Politik und Pädagogik, kam aus dem Norddeutschen und schrieb in ihrer knapp bemessenen Freizeit „Haikus“, japanische Kurzgedichte, deren Sinn sich auch beim zehnten Mal Lesen nicht erschließen wollte.

Auf Andreas Nachfrage, der Frida als potenzielle Schwiegertochter sehr am Herzen lag, erzählte Anton, dass seine Freundin seit Kurzem Vorsitzende der Ortsgruppe der Ungeduldig Haftenden Unzufriedenen, kurz UHU, wäre, deren Ziel es war, sich an exponierten Straßen und Plätzen demonstrativ festzupappen.

Die Geschäftsführung der gleichnamigen Klebefirma hatte wohl ernsthaft erwogen, die Aktivitäten der UHU’s als gelungene PR-Aktion für die Festigkeit ihres Klebstoffs zu nutzen, was die Ortsgruppe aber entrüstet abgelehnt hatte.

Nach zwei missglückten Puderzuckerattacken auf die Figur der Elisabeth im Marburger Schloss, einem Puddingwurf auf die wuchtige Eichentür des Verbindungshauses der „Rheumania“, hatte sich die Vorsitzende leichtsinnigerweise mit einem Pappschild auf dem Rathausplatz festgeklebt.

Die Polizei ließ die engagierte Aktivistin langmütig gewähren, vor allem, als ein Platzregen niederging und alle Menschen in ihre Häuser flüchteten. Die Stadt war leer; außer Frida, die klebte am Brunnen vor dem Rathaus.

Gleichzeitig mit einem aufkommenden Regenbogen erschienen nach geraumer Zeit gemächlich vier Ordnungshüter, die erst die Reste des Schildes sicherten, ein Protokoll schrieben und danach die Studentin behutsam befreiten. Bevor die schlotternde Vorsitzende ins Warme kam, wurden noch akribisch ihre Personalien aufgenommen.

Und seitdem war Funkstille zwischen Anton und Frida, denn die kurierte ihre Blasenentzündung aus und war entsprechend gereizt.

Klaus, der durchaus für Umweltschutz zu haben war, solange sich andere einschränken mussten oder engagieren wollten, lächelte über den Eifer von Antons Freundin.

„Bestell‘ ihr doch mal gute Besserung, und sie soll beim Gendern in der Zukunft nicht ganz so streng mit mir sein. Ich bin da ziemlich großzügig. Bei mir darf die Frida auch ruhig immer mal wieder eine weibliche Form der Anrede benutzen“, schmunzelte Klaus.

„Wie meinst Du das jetzt wieder, Vatter? Da ist doch bestimmt wieder ein übler Hintergedanke dabei. Ich kenne doch Deinen merkwürdigen Humor“, fühlte sich Anton provoziert.

„Na ja, ich hab‘ überhaupt nichts dagegen, wenn sie mich beispielsweise als „die Koryphäe“ bezeichnet“, grinste Klaus seinen leicht angesäuerten Filius an.

„Apropos gereizt. Was macht eigentlich Euer dauerhaft gereizter, sehr streitbarer Strafrechtsprofessor?“, erinnerte sich Klaus an die Wutausbrüche des cholerischen Juristen vor zwei Jahren.

„Den Fuchs? Den haben sie endlich zwangsemeritiert, nach einem letzten Tobsuchtsanfall vor der Mensa. Da hat er einem Liedermacher die Gitarre vom Hals gerissen und ist darauf rumgehüpft, wie ein Känguru im Koffeinrausch. Besser wäre bei dem noch eine Zwangsemigration, denn so treibt er noch als wütender Privatmann in Marburg sein Unwesen. Aber auf jeden Fall kann er mir die Noten nicht mehr versauen“, berichtete der angehende Jurist erleichtert, der nach wie vor mit seinem Schulfreund Artur, dem „Lutscher“, in einer uralten Dachkammer am Marktplatz hauste.

„Papa, lass uns mal die Oma Alma anrufen, ob die sich auch bewerben will. Und heute Abend machen wir einen Video Call mit Oma Gisela und Opa Herbert in Spanien“, schlug Emil vor, der den unzurechnungsfähigen Professor aus Marburg nur von Antons ausschweifenden Erzählungen kannte.

Oma Alma, Klaus‘ verwitwete Mutter, wohnte ebenfalls in Kassel und hatte sich nach dem frühen Tod ihres Mannes sehr liebevoll um ihre drei Enkel gekümmert, was Andrea und Klaus sehr dankbar angenommen hatten. Denn Andreas Eltern, Herbert und Gisela Kesselmann, überwinterten seit vielen Jahren in ihrem liebevoll aus- und umgebauten Haus in Baños de Fortuna, einem kleinen Thermalbad im wüstenähnlichen Hinterland der Costa Blanca.

Oma Alma war zuerst überrascht, als ihr Sohn von den Filmplänen der Familie berichtete und fragte, ob er nicht auch für sie eine Bewerbung losschicken solle.

„Kost‘ ja nix Mutter, null Risiko. Und wenn die zusagen, wohnst Du entweder bei uns oder vielleicht bei Kurti und Gerti“, ermunterte Klaus seine immer noch sehr aktive Mutter.

„Klaus, ich denk‘ mal drüber nach. Aber vor allem, ich spreche mit Otto und Hildegard. Denn eigentlich wollten wir dieses Jahr unser silbernes Tanzabzeichen machen, jetzt trainieren wir zweimal die Woche bei Frau Riebezahl-Schondorf.“

Alma hatte Otto vor vier Jahren beim Abschlussball ihres Tanzkurses mit Fräulein Hildegard Saurbier im „Flotten Jäger“ kennengelernt. Trotz seines Alters schob der agile Endsiebziger Klaus‘ Mutter seitdem regelmäßig gelenkig zu den Rhythmen der „3 Tornados“ über die Tanzfläche.

Hildegard, die Nachbarin von Thalers, war auf Anraten ihrer Mutter immer ledig geblieben und hatte ihr bisheriges Leben ganz ihrem Werdegang als Betriebsprüferin beim Finanzamt gewidmet.

Das änderte sich, als sie Alma kennenlernte die sie zu einem gemeinsamen Weihnachtsurlaub in Thalers Ferienhäuschen überredete. Der Urlaub änderte vieles in Fräulein Saurbiers Leben.