Verbrechen to go - Eine linke Masche - Anabel O'Leary - E-Book

Verbrechen to go - Eine linke Masche E-Book

Anabel O'Leary

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Beschreibung

Im Fall der Fälle: Ruhe bewahren - und weiterstricken. Nach zwei erfolgreich gelösten Mordfällen hat sich die ehemalige Buchhalterin Emily in Galway einen gewissen Ruf erarbeitet. Eigentlich ist sie damit beschäftigt, Werbung für ihren Foodtruck zu machen, um möglichst bald von ihrem neuen Business leben zu können. Doch dann verschwindet ein amerikanischer Tourist während einer Shoppingtour spurlos und Emily wird um Hilfe gebeten. Als sich kurz darauf die Entführer mit einer Lösegeldforderung melden, nimmt sie zusammen mit Superintendent Tony Doyle die Ermittlungen auf. Während sich Tony mit dem anstrengen Sohn des Opfers herumschlagen muss, kommt Emily - mit ihrem Foodtruck auf Tour durch das Umland von Galway - der Lösung des Falls mit einem Mal gefährlich nahe ...

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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IMPRESSUM

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12.

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

KAPITEL 30

KAPITEL 31

KAPITEL 32

KAPITEL 33

IMPRESSUM

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© Thalia Bücher GmbH

Batheyer Str. 115-117, 58099 Hagen, 2024

 

Alle Rechte vorbehalten.

KAPITEL 1

Im Fall der Fälle: Ruhe bewahren – und weiterstricken.

 

Ende Oktober scheint die Sonne in Galway nicht besonders oft. Schon gar nicht mit so viel Kraft wie im Juli. An diesem Tag ist es aber so.

Schon als Emily aus dem Cottage ihrer Großmutter Deirdre tritt und in Richtung Himmel blinzelt, weiß sie, dass sie falsch angezogen ist. Ohne groß darüber nachzudenken, hat sie sich am Morgen ein türkis-rot geringeltes Strickkleid übergestreift. Darüber trägt sie einen etwas unförmigen, dafür aber winddichten, grauen Allwetter-Parka – ein reiner Vernunftkauf im Sale. In Shoreditch, dem hippen Viertel im Londoner East End, in dem sie noch bis vor zwei Monaten wohnte, hätte sie sich mit so einem unvorteilhaften Teil nicht auf die Straße gewagt. Aber hier in Galway lässt sie sich von diesen ständigen Überraschungsschauern nicht mehr überrumpeln, das hat sie sich geschworen. Ihre Wetter-App zeigt für heute achtzig Prozent Regenwahrscheinlichkeit. Statistisch gesehen, das hat sie mal gelesen, gibt es hier nur im März und im Dezember noch mehr Regentage.

Dass ihr nun die Sonne ins Gesicht knallt, kränkt sie fast ein wenig. Lust sich noch einmal umzuziehen, hat sie trotzdem keine. Und Zeit noch viel weniger. Zwar hat sie an diesem Tag frei. Doch sie wird ihren mintgrünen Foodtruck stehen lassen und weder die Sandwiches noch die kleinen italienisch-inspirierten Törtchen namens Pastrycchini verkaufen, die ihre Freundin Sinéad in ihrem Café, dem Tea & Tarts, täglich für sie vorbereitet. Denn bis zum Nachmittag, wenn der Postshop nichts mehr annimmt, muss sie noch etwas Wichtiges erledigen.

Ein wenig zu laut zieht sie die Haustür hinter sich zu. Ihre Großmutter Deirdre wird später behaupten, das ganze Viertel habe davon gebebt, was natürlich Deirdre-typisch maßlos übertrieben ist. Aber sie kennt eben auch ihren Nachbarn Liam Quinn sehr gut. Der pensionierte Mitarbeiter der Stadtverwaltung ist ein gesetzestreuer Pingel, der bei der geringsten Ruhestörung den Telefonhörer zur Hand nimmt, um die Polizei zu rufen. Ärger, den man sich gern erspart.

Auch wenn am Ende der Straße eine Bushaltestelle ist, geht Emily den nicht allzu langen Weg ins Zentrum von Galway gerne zu Fuß. Etwas, das sie sich in London angewöhnt hat, um fit zu bleiben – und vor allem, um den oft ziemlich vollgestopften und stickigen Bussen und Bahnen zu entgehen.

Außerdem: Ihr geliehenes Klapper-Fahrrad hat einen Platten, und mit dem E-Bike ist Deirdre vorhin losgeradelt, um damit »einen guten Freund« zu besuchen. Wobei Emily stark daran zweifelt, dass sie diesem Herrn nur freundschaftlich verbunden ist. Deirdre hat die siebzig zwar schon lange hinter sich gelassen. Ihre Liebesabenteuer sind aber verwickelter als bei einem Teenager.

 

Etwa eine halbe Stunde später weiß Emily, dass ihr herbstliches Sicherheits-Outfit mit knöchelhohen Gummi-Stiefeletten, noch dazu mit Wollsocken an den Füßen, für ihren Spaziergang nicht gerade ideal war. Trotz des leichten Windes, der sie umwehte, als sie über die Father Griffin Road den Corrib überquerte, kommt sie völlig verschwitzt am Ziel an. Und das, obwohl sie das graue Allwetter-Ungetüm inzwischen über dem Arm trägt. Das Klima in London war schon kein Spaß, aber das irische will sie fertig machen! Unter ihrem Strickkleid, dessen Polyesteranteil spürbar zu hoch ist, dampft sie förmlich. Ein paar verschwitzte blonde Haarsträhnen kleben an ihrer Wange.

Leicht resigniert betrachtet sie ihr Zausel-Ich im Schaufenster des Ladens, dessen Fassade mit groben, grauen Natursteinen verputzt ist. Soll wohl irgendwie »ursprünglich« wirken. Entschlossen drückt sie die hölzerne Tür auf. Warme Luft und der süßliche Geruch von Schafswolle schlagen ihr entgegen. Für einen Moment überlegt sie, den Rückwärtsgang einzulegen und sich lieber ins Tea & Tarts zu verziehen, um mit Sinéad einen Kaffee zu trinken. Doch sie hat es ihren Eltern versprochen.

Anders als in Galway fällt der Herbst in Alicante dieses Jahr nämlich erstaunlich kalt und nass aus. Ihre Mutter Nora und ihr Vater Graham, die vor ein paar Jahren dorthin ausgewandert sind, finden es in ihrem kleinen Appartement ohne Heizung inzwischen etwas klamm.

»Emily, Schatz, du hast doch jetzt Zeit«, hat ihre Mutter ihr per WhatsApp geschrieben. Sie weiß genau, was ihre Mum ihr mit diesem lapidaren Satz eigentlich sagen will – sie spielt dezent darauf an, dass sie mit vierzig wieder Single und noch dazu ohne festes Einkommen ist. Emily erinnert sich, wie wortkarg Nora reagierte, als sie ihr vor zwei Monaten eröffnete, dass sie nicht nur ihren Job als Buchhalterin beim Londoner Traditions-Verlag Chatsworth Publishing los war, sondern auch noch ihren Freund George. Außer der Wetter-App, die ihr Ex mal mit seinem Start-up programmiert hat, ist ihr von ihm nicht viel geblieben. Aber sie kann auch sehr gut auf sich allein aufpassen. Sie nimmt sich vor, ihrer Mum das beim nächsten Anruf klarzumachen.

»Könntest du zum Aran Sweater Shop gehen und uns eine von den Merino-Shamrock-Decken kaufen?«, schreibt ihre Mutter weiter. »Dann müsste ich hier nicht jeden Abend mit einer Wärmflasche sitzen. Ich zahle dir auch das Porto. Liebe Grüße, Mum.«

Emily selbst tut sich schwer, diesen Zopfmusterdecken etwas abzugewinnen. Die Dinger sind oft schwer und ein wenig kratzig, und das seit Jahrhunderten unveränderte Design hat seine besten Zeiten hinter sich. Aber wenn es ihrer Mutter nun mal so sehr gefällt, ist gegen ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk nichts einzuwenden. Als Liebesbeweis wird sie sich an diesem Vormittag also in den Aran Sweater Shop stürzen, der sonst vor allem Touristen anzieht. Anders als der Name vermuten lässt, werden in dem Shop längst nicht mehr nur die traditionellen, schurwollenen Strickpullover verkauft, wie sie früher die Seeleute der Aran-Inseln an der Westküste Irlands trugen – sondern allerlei andere wollene Waren und zusätzlicher Nippes, der ins Handgepäck der Besucher passt.

 

KAPITEL 2

Emily betritt den Laden, und die Verkäuferin hinter der Kasse nickt ihr freundlich zu. Das Gesicht kommt ihr irgendwie bekannt vor. Breiter Mund, große braune Augen. Eine kurze praktische Föhnfrisur mit lila Strähnchen und leichter Dauerwelle. Leicht zeitverzögert klingelt es bei ihr: Sie hat diese Frau mal zusammen mit Deirdre auf der Straße getroffen. Die beiden kennen sich aus dem Women’s Club. Möglicherweise heißt sie Hazel Parker, aber Emily ist sich nicht sicher, ob sie sich das richtig gemerkt hat. Bei den vielen Bekannten ihrer Grandma verliert sie manchmal den Überblick. Die Frau hinter der Kasse hingegen scheint dieses Problem nicht zu haben.

»Emily, wie schön dich hier zu sehen!«, flötet »Möglicherweise-Hazel« ihr durch den halben Laden hindurch zu. Die zwei Kunden vor der Kasse drehen die Köpfe. So viel Aufmerksamkeit wäre doch nicht nötig gewesen, denkt Emily.

»Geht’s deinen Eltern gut in Spanien?«, bohrt Hazel ungehemmt nach.

»Ja, alles bestens«, entgegnet Emily.

»Suchst du was Bestimmtes?«

»Danke, ich sehe mich erstmal in Ruhe um«, sagt sie lächelnd und wendet sich ab.

»Kein Problem, meld dich einfach, wenn ich helfen kann.«

»Werd‘ ich machen!«

Emily lässt den Blick durch den Laden schweifen. Pullover über Pullover in vielen gedeckten Farben türmen sich auf den Tischen und in den Regalen. Außerdem Strickjacken, Ponchos, Mützen, Handschuhe und Schals. Direkt neben der Kasse gibt es noch eine Vitrine mit Schmuck. Das typische Touristen-Zeugs: Lederhalsbänder mit keltischen Anhängern und billige Versionen des Claddagh-Rings. Emily kann die Geschichte dazu im Schlaf herunterbeten, so oft hat Sinéad sie ihr erzählt. Der Legende nach wurde der Protoyp von einem Bewohner des gleichnamigen irischen Fischerdorfs geschmiedet. Der wurde zuvor von Piraten entführt und dann an einen maurischen Goldschmied als Sklave verkauft, bei dem er das Handwerk lernte. Der Ring zeigt zwei Hände, die ein Herz mit einer Krone halten – gern getragen als Freundschafts-, Verlobungs- oder Ehering. Zurzeit also nichts für Emily – es sei denn, um ihre Freundschaft mit Sinéad zu besiegeln. Ein Schild weist darauf hin, dass man im ersten Stock außerdem Pullover erstehen kann, die nach Clans sortiert sind. Emily fand so etwas schon immer ein wenig over the top. Tradition schön und gut, aber man kann es auch übertreiben mit der Herkunfts-Romantik. Ihre Mutter dachte vielleicht ähnlich, als sie Galway früh verließ, um einen Engländer zu heiraten, und lieber in einem Londoner Vorort lebte, wo auch Emily zur Welt kam.

Natürlich gibt es hier auch die Schiebermützen aus Tweedstoff, für die im Laden eine ganze Wand reserviert ist. Irgendwer hat es geschafft, diese Kappen zum Trend zu erklären. Sogar in Clubs wird das ehemalige Opa-Accessoire inzwischen getragen. Und natürlich auch hier im Aran Sweater Shop.

Ein großer, leicht beleibter Mann mit Westernhemd unter der offenen Canada-Goose-Daunenjacke steht gerade vor einem Spiegel und probiert eine der Kopfbedeckungen an. Das Exemplar aus dunkelrot-grün-meliertem Tweed thront auf seinem großen Kopf wie ein lose aufgelegter Flaschendeckel. Sichtlich angetan von sich selbst dreht er sich hin und her und betrachtet sich aus verschiedenen Winkeln im Profil. Dabei pfeift er vor sich hin und sagt immer wieder »yeah« und »cool«. Neben sich hat er einen der ladeneigenen Einkaufskörbe abgestellt. Mindestens fünf Pullover in verschiedenen Farben quellen heraus. Ganz offensichtlich befindet sich der Mann im Kaufrausch. Seine Kreditkarte wird ordentlich glühen. Ein Gedanke, der Emily an ihre eigentliche Mission erinnert.

Hinten links in einer Nische des Ladens entdeckt sie schließlich die Decken. Ein wenig kraftlos schleicht sie darauf zu. Uff – die Auswahl an verschiedenen Modellen ist auch in dieser Abteilung gigantisch. Es gibt die Klassiker mit handgestricktem Muster, aber auch karierte aus gewebter Lammwolle oder Mohair. Vorsichtig streicht sie mit den Fingerkuppen über eine gefaltete Decke aus weißer Schafswolle. Babyweich. Das Material kratzt fast gar nicht. Ganz anders, als sie es in Erinnerung hat. Doch welches von diesen vielen Designs wird ihrer Mutter gefallen? Am besten, sie fragt noch einmal bei ihr nach.

Energisch zieht sie den Reißverschluss ihres Rucksacks auf und beginnt, darin herumzuwühlen. Insgeheim verflucht sie das ausgebeulte Ding, das sie nur ausnahmsweise dabei hat, um damit die Decke nach Hause zu tragen. Leider findet man das Handy darin noch schlechter als in ihrer großen Handtasche.

»Wonach suchst du?«, sagt plötzlich jemand hinter ihr. »Ist dir ein Leprechaun in den Beutel gehüpft?«

Emily dreht sich um und blickt in ein grinsendes Gesicht, eingerahmt von schwarzen Locken. Bildet sie es sich nur ein, oder beginnt ihr Herz für einen Moment zu galoppieren wie ein irisches Jagdpferd?

»Uuuuhh, diese Augen«, sagt das Teufelchen auf ihrer linken Schulter. »Ist er nicht verdammt hot? Und er riecht so gut ... Was hält dich davon ab, einfach mit ihm ... Stopp!«, grätscht das Engelchen auf ihrer rechten Schulter hinein. »Sei vernünftig! Du wolltest doch erstmal ein wenig allein bleiben, um zu dir zu finden. Der Typ sieht vielleicht gut aus, aber willst du schon wieder Gefühlchaos? Bleib lieber standhaft wie ’ne irische Festung!«

Emily räuspert sich, um das Streitgespräch in ihrem Kopf zu stoppen.

»Juan – was machst du denn hier?«, sagt sie so beiläufig wie möglich.

»Das könnte ich dich fragen. Hätte ich gar nicht gedacht, dass DAS hier dein Geschmack ist!«

»Sssssht«, sagt Emily und sieht vorsichtig zu »Möglicherweise-Hazel« herüber, die Gott sei Dank nichts davon mitbekommen hat.

»Heute mache ich eine Ausnahme. Ich such‘ nach einem Geschenk für meine Eltern. Und du? Sag nicht, du machst jetzt auch hier Geschäfte?« Und sie fügt in Gedanken hinzu: »Wie immer am liebsten ohne Rechnung.« Sie muss daran denken, wie Deirdre ihr vor ein paar Wochen Juan O‘Connors Autowerkstatt empfohlen hat. Doch was dann zwischen ihnen passierte, war definitiv mehr, als sie von einer Autoreparatur erwartet hätte.»Ja, ich habe tatsächlich ’nen neuen Job. Oder besser: Nebenjob«, sagt er nun auf Emilys Frage.

»Als Heizungsmonteur? Oder strickst du Pullover?«, neckt sie ihn.

»Besser! Ich bin der vielleicht höchstbezahlte Babysitter von ganz Galway«, entgegnet er stolz.

»DU hütest Kinder???«, sagt Emily, die sich nichts Entfernteres vorstellen kann, als einen Juan, der einen Buggy durch Galway schiebt. Doch er gibt Entwarnung.

»Nicht mehrere, nur eins. Ein Riesenbaby.«

Juan macht eine Kopfbewegung in Richtung des Daunenjacken-Trägers, der sich inzwischen von den Tweed-Mützen abgewandt hat und in einem Berg mit Strickjacken wühlt.

»Der da?« fragt Emily ungläubig. »Der sieht ehrlich gesagt aus, als könne er sehr gut auf sich selbst aufpassen.«

»Das weiß man bei Amerikanern nie so genau.«

»Und woher kennst du ihn?«

»Ich war im Shamrock Sips was trinken und hab mitgehört, dass er nach Galways Sehenswürdigkeiten fragte. Da hab ich ihn einfach angequatscht. Volltreffer: Er fand mich ›herrlich local‹ und hat mich direkt als Tourguide gebucht. Und ich dachte: por qué no – why not?«

»Da hat er ja den Richtigen erwischt«, sagt Emily, mit einem leisen Anflug von Ironie.

»Genau!«, antwortet Juan und strahlt vor Begeisterung über seinen Fang gleich noch ein kleines bisschen mehr. »Ich zeige ihm jeden kleinen Winkel unserer schönen Stadt und wenn es sein muss, auch noch jedes kleine Dorf im Umkreis. Sag mal ... wäre so eine Tour nicht auch etwas für uns beide?«

»Mit DIR – als selbst ernanntem Professor für irische Geschichte?«, fragt Emily skeptisch.

»Wofür gibt es Google? Und wenn ich nicht weiterweiß, habe ich dann ja eine schlaue, wunderschöne Frau wie dich dabei.«

»Juan ...«, sagt Emily und rollt gespielt-genervt mit den Augen.

»Wieso? Es stimmt doch!«

Er dreht sie an den Schultern herum, so dass sie plötzlich in den bodenlangen Standspiegel hinter sich sieht. Emily ist nicht überzeugt: Ihr Haar klebt verschwitzt an ihrer Stirn, dazu das Kleid mit den Gummi-Stiefeletten. Ihr Styling-Geschick war auch schon mal besser.

»Schau, wie dein Gesicht strahlt«, begeistert sich Juan.

»Könnte daran liegen, dass mir hier drin einfach nur unfassbar heiß ist. Ich glühe.«

»Heiß, du sagst es.« Juan grinst jetzt noch etwas breiter.

Die Röte schießt Emily ins ohnehin schon tomatenfarbene Gesicht. So sehr sie sich zu Juan hingezogen fühlt: Wenn er sie mit Komplimenten überhäuft, weiß sie nicht, wohin mit sich. Sie fühlt sich geschmeichelt und freut sich. Gleichzeitig ist ihr seine direkte Art aber auch ein bisschen unangenehm. Klar, er hat diesen Modelkörper und ist im Grunde unwiderstehlich – aber verteilt er seine Zuneigung nicht auch ein wenig wahllos? Sicher sagt er jeder Frau, dass sie die Schönste für ihn ist.

Andererseits: Es gab da diese Momente, als sie vor ein paar Wochen auf dem Austern-Festival ihren Foodtruck einweihte und er ihr half, ihre Pastryccini zu vermarkten. Als er sie dann fragte, ob sie mit ihm auf die Party am letzten Abend kommt, war die Anziehung schon groß. Dass sie ihn auf der Party stehen ließ, um einen Mordfall zu lösen, war dann allerdings nicht die feine Art von ihr – doch zum Glück scheint er es ihr nicht nachzutragen.

Ihre Freundin Sinéad meint, sie solle ruhig mal ein bisschen Spaß mit dem Halbspanier haben, solange sie sich nicht zu viel von ihm erhofft. Aber Emilys Handbremse hat sich bisher noch nicht wirklich gelockert. Vielleicht, weil sie ihn kaum kennt. Sie weiß nicht einmal, was ihn nach Galway verschlagen hat. Beim nächsten Drink sollte sie ihn unbedingt mal danach fragen.

 

KAPITEL 3

»Juan, Buddy, dieser Shop is soooo great«, ruft der Amerikaner durch den Laden zu Juan herüber. Emily ist ganz dankbar, dass er ihre »Situation« damit unterbricht.

»Sorry – habe ich euch gerade gestört? Nicht, dass die Lady sauer auf mich ist.«

Er schickt ein dickes Grinsen in Emilys Richtung.

»Keine Sorge, wir sind nur Bekannte«, flötet sie und fragt sich in diesem Moment selbst, ob sie das überhaupt will.

»Ach ja?« fragt Juan, und in seinen schwarzen Augen blitzt ein Hauch von Enttäuschung auf.

»Anyway, ich gehe mal in die Umkleide, alright? Du bist ja beschäftigt.« Der Amerikaner zwinkert Juan aufmunternd zu.

»Wie wäre es danach mit ’nem Guinness?«

»Klar, Brian. Aber tob dich erstmal aus. Ich warte hier auf dich«, sagt Juan ungerührt.

Der Amerikaner reckt den Daumen nach oben, drückt ihm seine Daunenjacke in die Hand und verschwindet mit seiner wollenen Beute im Korb hinter dem Vorhang.

»So wie du mitspielst, bezahlt er dich also gut?«, fragt Emily.

»500 Dollar am Tag, da kann man nicht meckern«, sagt Juan mit abermals breitem Grinsen.

»Und wie ist er sonst so?«

»Glaub mir, dieser Brian hat lange nicht mehr mit Leuten geredet«, verrät Juan. »Bei mir plappert er jedenfalls pausenlos. Ich weiß alles über ihn. Er ist 58, wohnt in Austin, Texas, hat einen Autohandel und ist geschieden.«

»Sonst keine Familie?«, fragt Emily. Zugegebenermaßen eine typische Galwegian-Frage – die Familie steht hier über allem.

»Sein Sohn Jason macht irgendwas in der Tech-Branche mit Apps. Muss ein richtig hohes Tier sein. Aber den sieht er fast nie«, erklärt Juan und schaut dabei so nachdenklich, als käme ihm dieses Problem bekannt vor.

»Was treibt ihn dann nach Galway?«, fragt Emily. »Leute wie ihn trifft man doch eher auf ... Hawaii oder so?«

Juan beugt sich jetzt noch etwas konspirativer zu ihr vor.

»Brian denkt aus irgendeinem Grund, er sei Ire«, flüstert er.

»Wie jetzt?«, rätselt Emily.

»Naja, Brian hat einen dieser DNA-Tests gemacht. Damit kann man angeblich Infos über seine Ahnen herauskriegen. Das ist bei Amerikanern voll das Ding. Und dabei kam heraus, dass er zu mindestens zehn Prozent irisches Blut in sich hat. Seinen Namen, Conroy, findet er auch irisch.«

»Ach, und jetzt denkt er, seine Vorfahren kommen von hier. Wo wir doch alle wissen, wie seriös diese DNA-Tests sind ...«

»Exactamente!«, entgegnet Juan. »Er ist geradezu besessen davon. Hat sich vor zwei Jahren in die Ahnenforschung gestürzt und seitdem gibt’s für ihn nichts anderes. Einer seiner großen Rollkoffer war voller Papierkram, sagt er. Er ist sich ziemlich sicher, dass seine Ur-ur-ur-Großmutter mütterlicherseits von hier kommt.«

»Klingt nach ’ner verlängerten Midlife-Crisis«, stellt Emily fest.

»Gut möglich. Aber mir soll’s egal sein. Hauptsache, die kleinste Violine der Welt spielt weiter für mich.«

»Wie meinst du das?«

Juan hebt seine Hand und reibt Daumen und Mittelfinger aneinander. Cash, das hat er gemeint. Er versucht erst gar nicht zu verheimlichen, dass ihm jeder Job recht ist, der für ihn sofort bare Münze abwirft.

»Verstehe«, sagt Emily. »Dann halt ihn dir mal lieber gut warm, deinen Mister Conroy. Was macht er denn eigentlich so lange in der Umkleide? Nicht dass er von seinen irischen Ahnen ein schwaches Herz geerbt hat.« Insgeheim gesteht sich Emily ein, dass ihre Scherze auch schon mal besser waren.

»Relax. Der kommt schon gleich. Ich hol mir schnell ’nen Espresso. Für dich auch einen?«, fragt Juan, doch Emily schüttelt den Kopf. Erst das Pflicht-Shopping, dann das Vergnügen. Juan stopft die Daunenjacke in seinen Rucksack und stiefelt nach draußen.

Emily wendet sich wieder den Decken zu. Zehn Minuten später findet sie endlich etwas Passendes. Das Exemplar hat statt Zopfmuster ein dunkelblau-grünes Tartan-Design, wie man es auch in Schottland traditionell trägt, und ist wunderbar weich.

»Eine gute Wahl!«, sagt »Möglicherweise-Hazel« an der Kasse. Aus der Nähe betrachtet weist ihr Namensschild sie nun als »Tatsächlich-Hazel-Parker« aus.

»Da wird sich Deirdre aber freuen. Oder ist sie für deine Mum?«

Emily lächelt, statt zu antworten, hält ihre Karte vors Lesegerät und sieht zur Tür. Juan hat sich inzwischen seinen Koffein-Kick abgeholt und betritt wieder den Laden. Suchend blickt er sich um, runzelt seine schöne Stirn und tritt dann auf Emily zu.

»Sag nicht, er probiert immer noch an?«, fragt er und klingt nun doch ein wenig besorgt.

»Bisher ist er nicht rausgekommen«, sagt Emily.

---ENDE DER LESEPROBE---