Verführt zur Liebe - Stephanie Laurens - E-Book

Verführt zur Liebe E-Book

Stephanie Laurens

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Beschreibung

Herrliche Sinnlichkeit und ein Plot, der vor Gefahr sprüht!

Simon Frederick Cynster führt ein fast perfektes Leben. Er ist reich, angesehen und hat ein Erscheinungsbild, das alle Frauen verzückt. Nur eines fehlt ihm zum Glücklichsein: die große Liebe! Als er der schwarzhaarigen Portia Ashford begegnet, ist er wie vom Blitz getroffen. Und ein unerwartet heißer Kuss entfesselt eine flammende Leidenschaft in ihnen. Doch dann geschieht ein Mord – und Portia soll das nächste Opfer sein! Wird Simon die Frau seiner Träume beschützen können?

Die gesamte Cynster-Reihe auf einen Blick

Band 1: In den Armen des Eroberers

Band 2: Der Liebesschwur

Band 3: Gezähmt von sanfter Hand

Band 4: In den Fesseln der Liebe

Band 5: Ein unmoralischer Handel

Band 6: Nur in deinen Armen

Band 7: Nur mit deinen Küssen

Band 8: Küsse im Mondschein

Band 9: Küsse im Morgenlicht

Band 10: Verführt zur Liebe

Band 11: Was dein Herz dir sagt

Band 12: Hauch der Verführung

Band 13: Eine Nacht wie Samt und Seide

Band 14: Sturm der Verführung

Band 15: Stolz und Verführung

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Seitenzahl: 613

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Buch

Simon Frederick Cynster führt ein fast perfektes Leben. Er ist reich, angesehen und hat ein Erscheinungsbild, das alle Frauen verzückt. Nur eines fehlt ihm zum Glücklichsein: die große Liebe! Als er der schwarzhaarigen Portia Ashford begegnet, ist er wie vom Blitz getroffen. Und ein unerwartet heißer Kuss entfesselt eine flammende Leidenschaft in ihnen. Doch dann geschieht ein Mord – und Portia soll das nächste Opfer sein! Wird Simon die Frau seiner Träume beschützen können?

Autorin

Stephanie Laurens begann mit dem Schreiben, um etwas Farbe in ihren wissenschaftlichen Alltag zu bringen. Ihre Bücher wurden bald so beliebt, dass sie ihr Hobby zum Beruf machte. Stephanie Laurens gehört zu den meistgelesenen und populärsten Liebesromanautorinnen der Welt und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in einem Vorort von Melbourne, Australien.

Von Stephanie Laurens bereits erschienen:

Verheißungsvolle Küsse · In den Armen des Eroberers · Der Liebesschwur · Gezähmt von sanfter Hand · In den Fesseln der Liebe · Nur in deinen Armen · Nur in deinen Küssen · Küsse im Mondschein · Küsse im Morgenlicht

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Stephanie Laurens

Verführt zur Liebe

Roman

Deutsch von Ute-Christine Geiler

 

Die Originalausgabe erschien 2003 unter dem Titel »The Perfect Lover« bei William Morrow, an imprint of HarperCollinsPublishers, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright der Originalausgabe © 2002 by Savdek Management Proprietory Ltd

Published by Arrangement with Savdek Management Pty Ltd

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2007 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Sabine Wiermann

Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung eines Motivs von RomanceNovelCovers.com

dn · Herstellung: sam/wag

ISBN 978-3-641-23652-6V003

www.blanvalet.de

1

Ende Juli 1835,

nahe Glossup Hall bei Ashmore in der Grafschaft Dorset

»Teufel noch mal!« Simon Cynster zügelte seine Braunen und blickte mit zusammengekniffenen Augen zu dem Abhang hoch über dem Dorf Ashmore. Das eigentliche Dorf lag schon hinter ihm, er war auf dem Weg nach Glossup Hall, eine Meile weiter auf der üppig mit Grün gesäumten Landstraße.

Hinter den letzten Häusern des Dorfes erhob sich das Land steil nach oben; eine Frau folgte dem Weg, der sich über die Böschung schlängelte, auf die Anhöhe, die, wie Simon wusste, das Ergebnis altertümlicher Erdarbeiten war. Die Aussicht von dort oben reichte bis zum Solent und an klaren Tagen sogar noch weiter bis zur Isle of Wight.

Es war gewiss keine Überraschung, jemanden dort hinaufgehen zu sehen.

»Und auch keine Überraschung, dass sie niemanden bei sich hat.« Mit wachsender Verärgerung verfolgte er die dunkelhaarige, gertenschlanke und anmutige Gestalt, die den Anstieg mühelos bewältigte, ohne dabei das Tempo merklich zu drosseln, eine langbeinige Frau, die unausweichlich die Aufmerksamkeit eines jeden Mannes erregte, der Blut in seinen Adern hatte und kein Wasser. Er hatte sie sofort erkannt – Portia Ashford, die Schwägerin seiner Schwester Amelia.

Portia musste ebenfalls an der Landpartie auf Glossup Hall teilnehmen; es war der einzige bedeutende Landsitz in der Entfernung eines Spazierganges.

Das Gefühl, zum Handeln verpflichtet zu sein, keimte auf und wuchs.

»Verflucht!« Er hatte den Bitten seines langjährigen Freundes James Glossup nachgegeben und eingewilligt, auf seinem Weg nach Somerset einen längeren Halt einzulegen und James in den Prüfungen der Hausgesellschaft zur Seite zu stehen. Aber wenn Portia auch da wäre, lägen genug Prüfungen für ihn selbst bereit.

Sie erreichte die Kuppe der Anhöhe und blieb stehen, hob eine schlanke Hand, um ihr rabenschwarzes Haar aus dem Gesicht zu halten, hielt ihr Gesicht in den Wind und starrte in die Ferne. Dann ließ sie ihre Hand sinken und schritt anmutig weiter, folgte dem Weg zum Aussichtspunkt, langsam verschwand sie hinter der Kuppe, bis er sie nicht mehr sehen konnte.

Sie geht mich nichts an.

Der Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Der Himmel wusste, sie hatte ihm das oft genug vorgehalten, in verschiedenen Formulierungen, die meisten davon wesentlich ausdrucksstärker und weniger höflich. Portia war weder seine Schwester noch seine Cousine; genau genommen waren sie überhaupt nicht blutsverwandt.

Mit energisch vorgeschobenem Kinn schaute er auf seine Pferde, hob die Zügel …

Und fluchte still.

»Wilks! Wach auf, Mann!« Simon warf die Zügel dem Burschen hinter sich zu, der bis dahin vor sich hingedöst hatte. Er zog die Bremse an und stieg aus auf die Straße. »Halt sie einfach nur, ich bin gleich wieder da.«

Er steckte die Hände in die Taschen seines Rockes und ging zu dem schmalen Pfad, der nach oben führte und schließlich auf den Weg vom Schloss hierher traf, dem Portia gefolgt war.

Er handelte sich nur Schwierigkeiten ein – ein heftiger Wortwechsel war das Mindeste, was ihn erwartete –, dennoch, sie schutzlos jedem Schurken, der des Weges kam, zu überlassen, war ihm einfach nicht möglich. Wenn er weitergefahren wäre, hätte er keine Sekunde Ruhe gehabt, nicht bis sie heil und unversehrt wieder in Glossup Hall erschienen wäre.

Berücksichtigte man ihre Vorliebe für weite Spaziergänge, konnten bis dahin Stunden vergehen.

Seine Sorge um sie würde ihm nicht gedankt werden. Wenn er überlebte, ohne dass auf seinem Selbstbewusstsein ein Dutzend Mal herumgetrampelt wurde, konnte er sich glücklich schätzen. Portia hatte eine rasiermesserscharfe Zunge – ohne kleinere Schnitte würde er nicht davonkommen. Er wusste genau, wie sie sich verhalten würde, wenn er sie einholte. Genauso wie in den letzten zehn Jahren, seit er begriffen hatte, dass sie keine Ahnung hatte, was für eine Versuchung sie darstellte – und dass sie deshalb ständigen Schutz in den Situationen brauchte, in die sie ahnungslos hineinsegelte.

Solange sie außerhalb seines Gesichtsfeldes, außerhalb seines Orbits blieb, war er nicht für sie verantwortlich; wenn sie aber darin auftauchte und ohne Schutz war, fühlte er sich verpflichtet, ein Auge auf sie zu haben, dafür zu sorgen, dass ihr nichts zustieß. Er hätte es besser wissen müssen, als zu versuchen, den Drang zu bekämpfen.

Von allen Frauen, die er kannte, war sie fraglos die schwierigste, nicht zuletzt, weil sie ebenso fraglos die intelligenteste war. Trotzdem war er jetzt hier und stieg ihr nach, obwohl er genau wusste, wie er empfangen werden würde; er war sich nicht sicher, was das über seine eigene Intelligenz verriet.

Frauen! Er hatte die ganze Fahrt nach Westen über sie nachgedacht. Seine Großtante Clara war vor Kurzem gestorben und hatte ihm ihr Haus in Somerset hinterlassen. Das Erbe war wie ein Katalysator gewesen, hatte ihn gezwungen, sein Leben kritisch zu betrachten, die Richtung zu überdenken, die er eingeschlagen hatte. Doch die Unbeständigkeit seines Daseins hatte grundlegend andere Ursachen; er hatte schließlich erkannt, was es war, das dem Leben seiner älteren Cousins und der Ehemänner seiner Schwestern Sinn gab.

Den Sinn, der ihm fehlte.

Familie – ihre eigene kleine Familie, ihre Kinder – ihre eigene Ehefrau. Solche Dinge waren ihm nie zuvor wichtig erschienen; jetzt ragten sie mit einem Mal vor ihm auf, unverzichtbar für sein Leben, für seine Zufriedenheit mit dem Schicksal.

Als Abkömmling einer reichen, vornehmen Familie hatte er es in seinem Leben immer gut gehabt, aber was wog schon bloße materielle Zufriedenheit dagegen, dass er nichts wirklich erreicht hatte? Dass er in dieser Beziehung nichts vorzuweisen hatte, nagte innerlich an ihm. Es war nicht seine Fähigkeit, etwas zu erreichen, die in Frage gestellt wurde – nicht in seinen Gedanken oder, das mochte er wetten, in denen anderer –, sondern das Ziel, der Wunsch, der Grund selbst. Diese drei fehlten ihm.

Für jemanden wie ihn war das aber unverzichtbar im Leben.

Großtante Claras Erbe war der letzte Anstoß gewesen. Was sollte er mit einem weitläufigen Landsitz anfangen, wenn nicht darin wohnen? Er musste sich eine Frau suchen und die Familie gründen, die er brauchte, um seinem Dasein eine Richtung zu geben, Sinn zu verleihen.

Er hatte die Einsicht fast niedergeschlagen zur Kenntnis genommen. In den vergangenen zehn Jahren war sein Leben glatt gelaufen, wohl geordnet, und Frauen waren nur in zwei Bereichen darin vorgekommen – und beide hatte er völlig unter Kontrolle. Mit der Erfahrung zahlloser diskreter Affären war er früher ein Meister im Verführen, Genießen und schließlich Beenden diverser Verhältnisse mit den erfahrenen Damen der guten Gesellschaft gewesen, mit denen er sich gewöhnlich einließ. Daneben waren die einzigen Frauen, mit denen er zu tun hatte, die seiner Familie. Zugegeben, innerhalb der Familie hatten sie das Sagen, aber das war schon immer so gewesen, daher hatte er sich nie daran gestoßen oder genötigt gefühlt, sich dagegen aufzulehnen – man nahm es einfach als gegeben hin.

Mit seiner aktiven Beteiligung an den Cynster-Finanzgeschäften und den Zerstreuungen der vornehmen Gesellschaft, seinen Eroberungen und den Familientreffen als Würze des Ganzen war sein Leben angenehm ausgefüllt gewesen. Er hatte nie das Bedürfnis verspürt, sich auf den Gesellschaften länger aufzuhalten, die von heiratswilligen jungen Damen frequentiert wurden.

Was ihn nun in der wenig beneidenswerten Lage zurückließ, sich eine Ehefrau zu wünschen, aber nicht zu wissen, wie er eine finden sollte – wenn er nicht wollte, dass überall sämtliche Alarmglocken zu schrillen begannen. Wenn er dumm genug war, plötzlich Bälle und Gesellschaften zu besuchen, würden die liebevollen Mamas sofort merken, dass er auf Brautschau war – und die Belagerung beginnen.

In seiner Generation war er der letzte unverheiratete Mann der Familie Cynster.

Er erreichte die Kuppe des äußersten Erdwalles und blieb stehen. Das Land fiel flach ab, der Weg wand sich zu seiner Linken weiter und führte nach etwa fünfzig Metern zu einer rechteckigen überdachten Aussichtsplattform.

Die Aussicht war atemberaubend. Sonnenschein glitzerte in der Ferne auf der See; die Umrisse der Isle of Wight waren in dem weichen Sommerdunst unscharf zu erkennen.

Er hatte die Aussicht schon früher genossen. Er schaute zur Plattform und der Frau dort. Sie stand am Geländer und blickte auf das ferne Meer. Aus ihrer Körperhaltung und ihrem reglosen Verharren schloss er, dass sie ihn nicht bemerkt hatte.

Mit zusammengepressten Lippen ging er weiter. Er würde ihr keinen Grund nennen müssen, warum er sich zu ihr gesellte. In den letzten zehn Jahren hatte er sie mit demselben beharrlichen Beschützerinstinkt behandelt, den er allen weiblichen Familienmitgliedern angedeihen ließ; zweifellos war es ihre wenn auch lose Verwandtschaft – sie war die Schwester seines Schwagers Luc –, die ihn dazu veranlasste.

Für ihn war Portia Ashford ein Familienmitglied, das er beschützen musste. So weit war die Sache unstrittig.

Welche qualvolle Logik hatte die Götter zu dem Gesetz veranlasst, dass eine Frau einen Mann brauchte, um ein Kind zu bekommen?

Portia verkniff sich ein angewidertes Schnauben. Das war das Dilemma, in dem sie sich im Moment befand. Unheilvollerweise gab es daran nichts zu rütteln – die Götter hatten es so gewollt, und es gab nichts, was sie dagegen tun konnte.

Außer einen Weg um das Problem herum zu finden.

Der Gedanke verstärkte ihren Ärger, der sich zum größten Teil gegen sie selbst richtete. Sie hatte nie einen Ehemann gewollt, nie geglaubt, dass der gewöhnliche Weg einer netten, von der Gesellschaft gebilligten Ehe mit all den damit verbundenen Einschränkungen das Richtige für sie wäre. Nie hatte sie sich ihre Zukunft so vorgestellt.

Aber es gab keinen anderen Weg.

Sie nahm die Schultern zurück und stellte sich den Tatsachen: Wenn sie eigene Kinder wollte, musste sie sich einen Ehemann suchen.

Die Brise frischte auf, strich kühlend über ihre Wangen, spielte mit ihrem vollen langen Haar. Die Erkenntnis, dass Kinder – ihre eigenen Kinder, ihre eigene Familie – das waren, wonach sie sich tief in ihrem Herzen sehnte, die Herausforderung, die zu akzeptieren und zu meistern – wie ihre Mutter – sie erzogen worden war, war wie der leichte Wind hier über sie gekommen, hatte sich zunächst unbemerkt genähert. In den vergangenen fünf Jahren hatte sie sich mit ihren Schwestern Penelope und Anne um Findelkinder in London gekümmert. Sie hatte sich mit ihrem üblichen Elan in das Projekt gestürzt, überzeugt, dass ihre Ideale gut und richtig waren, nur um zu entdecken, dass sie dabei mit ihrem eigenen Schicksal konfrontiert wurde, über das sie sich bis dahin nie einen Gedanken gemacht hatte.

Und daher brauchte sie nun einen Ehemann.

Berücksichtigte man ihre Herkunft, den gesellschaftlichen Stand ihrer Familie und deren Verbindungen, ihre Mitgift nicht zu vergessen, dürfte es nicht schwer sein, einen zu finden, obwohl sie schon vierundzwanzig war. Sie war allerdings nicht so dumm, zu glauben, dass jeder x-beliebige Gentleman gehen würde. Unter Berücksichtigung ihres Wesens, ihres Temperaments und ihres Strebens nach Unabhängigkeit war es absolut notwendig, dass sie eine weise, wohlüberlegte Entscheidung traf.

Sie rümpfte die Nase, schaute blicklos in die Ferne. Niemals hätte sie es für möglich gehalten, dass es so weit mit ihr käme, sich einen Ehemann zu wünschen. Ihrem Bruder Luc hatte sie es zu verdanken, dass sie ihren eigenen Weg hatte einschlagen können, denn Luc hatte kein Interesse daran gezeigt, sie oder ihre Schwestern zur Ehe zu drängen; und ihr Weg hatte sie nicht in die Ballsäle und Empfangssalons oder gar zu Almack’s geführt – oder ähnlichen Versammlungen der Londoner Gesellschaft, auf denen heiratsfähige junge Damen ihre Ehemänner finden konnten.

Zu lernen, wie man einen Mann für sich gewann, war ihr ihrer unwürdig erschienen – ein Unterfangen, das weit unterhalb der größeren intellektuellen Herausforderungen lag, die ihr Verstand forderte …

Erinnerungen an vergangenen Hochmut – an all die vertanen Chancen, das Wissen um das Wie der Auswahl des richtigen Ehemanns zu erwerben und ihn sich dann zu angeln, die sie höchstens mit Verachtung bedacht hatte – gaben ihrer Verärgerung neue Nahrung. Wie bitter schmeckte die Erkenntnis, dass sie mit ihrem Verstand – der gemeinhin als überlegen angesehen wurde – ihre jetzige Lage nicht vorhergesehen hatte.

Die unschöne Wahrheit war, dass sie Horaz zitieren und Vergil seitenweise auswendig vortragen konnte, aber nicht die blasseste Ahnung hatte, wie sie zu einem Ehemann kommen sollte.

Ganz zu schweigen davon, den Richtigen zu finden.

Sie richtete den Blick auf die ferne See, das Sonnenlicht, das auf den Wellen glitzerte, hin und her schwankte. So wie sie im vergangenen Monat. Das war so untypisch für sie, widersprach so sehr ihrem Wesen – immer entschlossen, nie schwach oder schüchtern –, dass ihre eigene Unschlüssigkeit ihr die Laune verdarb. Ihr Wesen wollte, nein verlangte eine Entscheidung, ein festes Ziel, einen Plan. Ihre Gefühle – eine Seite an ihr selbst, von der sie sich nie hatte beeinflussen lassen – waren wesentlich unsicherer. Wesentlich weniger davon angetan, dass sie sich mit ihrem gewohnten Elan in dieses neue Projekt stürzte.

Sie war ihre Argumente immer wieder im Geiste durchgegangen. Es gab keine weiteren Aspekte zu berücksichtigen. Sie war heute hierhergekommen, entschlossen, die wenigen Stunden zu nutzen, ehe die anderen Gäste eintrafen und die Hausgesellschaft sie beim Pläneschmieden störte.

Sie kniff die Lippen zusammen und betrachtete aus schmalen Augen den Horizont, wusste um die aufkeimende Abneigung, ein Zurückscheuen vor dem Augenblick – es war so ärgerlich, aber irgendwie unweigerlich da, und so heftig, dass sie darum kämpfen musste, sich darüber hinwegzusetzen und voranzustürmen … aber sie würde nicht ohne Entscheidung gehen.

Sie umfasste das Geländer vor sich fester, hob das Kinn und erklärte mit fester Stimme: »Ich werde jede Gelegenheit nutzen, die sich bei der Hausgesellschaft bietet, alles zu erfahren, was ich nur kann, und dann ein für alle Mal zu einem Entschluss kommen.« Das war noch nicht entschieden genug; energischer fügte sie hinzu: »Welcher Gast auch immer in Bezug auf Alter und Herkunft in Frage kommt, ich schwöre, dass ich ihn in Erwägung ziehen werde.«

Da – endlich! Sie hatte ihre nächsten Schritte in Worte gefasst, zu einem feierlichen Versprechen. Das angenehme Gefühl, das jedes Mal einer Entscheidung auf dem Fuße folgte, wallte in ihr auf …

»Nun, ich muss zugeben, das ist erfreulich zu hören, allerdings bleibt die Frage, passendes Alter und richtige Herkunft wofür?«

Nach Luft schnappend wirbelte sie herum. Einen Augenblick konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Nicht aus Angst – obwohl er im Schatten stand und hinter ihm der Himmel strahlend hell war, hatte sie seine Stimme erkannt, wusste, wessen breite Schultern den Eingang zu der Plattform versperrten.

Aber was, um alles in der Welt, hatte er hier verloren?

Sein Blick wurde schärfer – ein beunruhigend durchdringender Blick aus blauen Augen, der zu bohrend war, um noch als höflich zu gelten.

»Und wofür hast du dich nicht entscheiden können? Gewöhnlich brauchst du dafür doch höchstens zwei Sekunden!«

Ruhe, Entschlossenheit – Schlagfertigkeit – kehrten jäh zurück. Sie kniff die Augen zusammen. »Das geht dich nichts an.«

Er bewegte sich absichtlich langsam, machte drei Schritte, bis er neben ihr an dem Geländer stand. Sie versteifte sich unwillkürlich, straffte die Schultern und hatte das Gefühl, nicht mehr richtig Luft zu bekommen. Etwas in ihr reagierte auf ihn. Sie kannte ihn so gut, doch hier, allein umgeben von der Stille des Himmels und der Felder, schien er größer, mächtiger.

Und irgendwie auch gefährlicher.

Vielleicht ein halber Meter lag zwischen ihnen, als er die Hand hob und auf die Landschaft zeigte. »Es sah aus, als erklärtest du es der Welt.«

Er fing ihren Blick auf, Belustigung, dass er sie ertappt hatte, funkelte in den blauen Tiefen seiner Augen, zusammen mit einer gewissen Wachsamkeit und etwas wie Missbilligung.

Seine Züge blieben ausdruckslos. »Ich nehme an, es ist zuviel gehofft, wenn ich unterstelle, dass hier irgendwo ein Lakai oder Pferdeknecht in der Nähe wartet?«

Das war ein Thema, über das sie jetzt nicht streiten würde, besonders nicht mit ihm. Sie wandte sich der Landschaft unter ihr zu und neigte kühl den Kopf. »Guten Tag. Die Aussicht ist einfach großartig.« Sie machte eine winzige Pause. »Ich hätte dich nie für einen Naturliebhaber gehalten.«

Sie spürte seinen Blick über ihr Profil gleiten, dann schaute er wieder auf die Landschaft.

»Ganz im Gegenteil.« Er schob seine Hände in die Taschen; er schien sich zu entspannen. »Es gibt ein paar Schöpfungen der Natur, die zu verehren ich fast süchtig bin.«

Sie brauchte nicht nachzudenken, um zu wissen, worauf er anspielte. In der Vergangenheit hätte sie eine schnippische Erwiderung gegeben … jetzt hörte sie im Geiste die Worte des Versprechens, das sie sich gegeben hatte … »Du bist zur Gesellschaft der Glossups hier.«

Es war keine Frage; er antwortete mit einem eleganten Achselzucken. »Was sonst?«

Er drehte sich zu ihr um, als sie sich aufrichtete. Ihre Blicke trafen sich; er hatte ihren Schwur gehört und würde ihn auch nicht vergessen …

Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, mehr Raum zwischen ihm und sich zu brauchen.

»Ich bin wegen der Einsamkeit hergekommen«, unterrichtete sie ihn kühn. »Jetzt, wo du hier angekommen bist, kann ich mich auf den Rückweg machen.«

Sie wandte sich ab und machte einen Schritt in Richtung Ausgang. Er stand ihr im Weg. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie ihm ins Gesicht schaute.

Sie sah, wie seine Miene sich verhärtete, spürte, dass er sich eine Antwort verkniff. Dass er sich zurückhielt, war unmissverständlich zu erkennen. Mit einer Gelassenheit, die so beabsichtigt war, dass es als Warnung eigentlich reichte, trat er zur Seite und winkte sie zum Ausgang. »Wie du wünschst.«

Ihre Sinne blieben geschärft, als sie an ihm vorbeiging. Ihre Haut prickelte, als stellte er wirklich eine Gefahr dar. Nachdem sie an ihm vorbei war, schritt sie mit hocherhobenem Haupt nach draußen. Mit einer Ruhe, die mehr gespielt als ehrlich empfunden war, begann sie den Weg hinabzugehen.

Mit verärgert vorgeschobenem Kinn rang Simon rücksichtslos den Drang nieder, sie aufzuhalten, sie an der Hand zu fassen und zurückzuziehen – wozu, wusste er selbst nicht genau. Dies hier, mahnte er sich, war, was er wollte: sie eingeschnappt auf dem Rückweg zu Fuß nach Glossup Hall.

Er holte tief Luft, hielt sie einen Moment an, dann folgte er ihr nach draußen in den Sonnenschein.

Und den Pfad hinab. Je eher sie wieder in Sicherheit und Gesellschaft zurück war, desto eher wäre seine eigene Reise zu Ende. Er war geradewegs von London hergefahren – er hatte Durst. Ein Glas Ale wäre nicht verkehrt.

Mit seinen längeren Schritten hätte er sie mühelos ein- und überholen können, verzichtete aber darauf. Stattdessen schlenderte er hinter ihr her, zufrieden mit seiner Aussicht. Die derzeitige Mode mit Taillen, die wirklich in der Taille saßen, stand ihr gut. Das Kleid betonte ihre schlanke Figur, ihre sanften Rundungen und ihre langen Beine. Das ins Lila gehende Blau ihres leichten Sommerkleides unterstrich ihre Farben – rabenschwarzes Haar, mitternachtsblaue Augen und blasse, fast durchscheinende Haut.

Sie war überdurchschnittlich groß; ihre Stirn befände sich in Höhe seines Kinnes – wenn sie sich je so nahe kämen.

Der Gedanke daran, wie das wohl sein würde, entlockte ihm heimlich ein grimmiges Lachen.

Als sie die Kuppe der Anhöhe erreichte, ging sie weiter und merkte dann erst, dass er ihr folgte. Sie warf ihm einen bitterbösen Blick zu, blieb stehen und wartete, wirbelte herum, als er bei ihr ankam, und schaute ihm ins Gesicht.

Ihre Augen sahen aus wie Scherben von schwarzem Feuerstein, als sie ihn wütend anstarrte. »Du wirst mir nicht den ganzen Weg bis zum Landsitz folgen.«

Portia fragte nicht, was er tat; sie wussten es beide. Sie hatten sich Weihnachten das letzte Mal gesehen, vor sieben Monaten, aber nur flüchtig, im Kreise ihrer beiden großen Familien. Damals hatte sich für ihn keine Gelegenheit ergeben, ihr auf die Nerven zu gehen, etwas, das er, seit sie vierzehn geworden war, mit Hingabe getan hatte – wenn möglich, jedes Mal, wenn sie sich trafen.

Ihre Blicke trafen sich. Etwas – Verärgerung? Entschlossenheit? – flammte in dem trügerisch sanften Blau seiner Augen auf. Dann presste er die Lippen zusammen. Mit lässiger Anmut, die bei einem so großen Mann irgendwie beunruhigend wirkte, ging er um sie herum und weiter den Weg hinab.

Sie drehte sich um, beobachtete ihn. Er ging nicht weit, sondern blieb wenige Schritte nach der Weggabelung stehen, dort, wo sich der Weg zum Schloss und ins Dorf teilte.

Er wandte sich zu ihr um. »Du hast Recht, das tue ich nicht.« Er deutete mit einer ausholenden Handbewegung nach unten.

Sie schaute in die Richtung, in die er zeigte. Eine Kutsche – seine Kutsche – stand unten auf der Straße.

»Deine Kutsche erwartet dich.«

Sie hob den Blick und schaute ihm ins Gesicht. Direkt in die Augen. Er versperrte ihr den Weg nach Glossup Hall – mit voller Absicht.

»Ich wollte eigentlich zurückgehen.«

Sein Blick wankte nicht. »Dann ändere einfach deine Meinung.«

Sein Tonfall – pure männliche Überheblichkeit und eine unterschwellige Herausforderung, die ihr zuvor noch nicht begegnet war und die sie nicht recht einordnen konnte – sandte ihr einen merkwürdigen Schauer über den Rücken. Seine Haltung war nicht offen aggressiv, aber sie zweifelte trotzdem keinen Moment daran, dass er sie daran hindern konnte und würde, wenn sie versuchte, an ihm einfach vorbeizugehen.

Wut – ihre gewöhnliche Reaktion auf Einschüchterungsversuche – erfasste sie, aber jetzt waren noch andere Gefühle dabei, heftige und äußerst irritierende Gefühle. Sie stand reglos, ganz still, sie maßen sich mit Blicken, ihr üblicher Streit darum, wer die Oberhand behielt, und doch …

Etwas hatte sich geändert.

In ihm.

Und in ihr.

War es einfach nur ihr Alter – wie lange war es her, seit sie das letzte Mal im Streit miteinander gelegen hatten? Drei Jahre? Mehr? Egal, das Schlachtfeld hatte sich verändert, und der Kampf war nicht länger derselbe. Irgendetwas war grundlegend anders. Er hatte etwas von einem Raubtier an sich, es blitzte wie Stahl unter seiner eleganten Erscheinung auf, und es schien, als nutzte sich mit den Jahren die Maske ab, hinter der er sich normalerweise verbarg.

Sie hatte immer gewusst, wie er war …

Das Versprechen, das sie sich gegeben hatte, ging ihr mahnend durch den Sinn. Im Geiste schob sie alles Ablenkende beiseite, trotzdem konnte sie es hören … erkannte die Herausforderung.

Konnte nicht widerstehen.

Mit erhobenem Kopf setzte sie sich in Bewegung, ging genauso absichtlich langsam wie er.

Die Wachsamkeit in seinen Augen nahm zu, bis seine ganze Aufmerksamkeit allein auf ihr ruhte. Ein neues Kribbeln lief ihr über den Rücken. Sie blieb vor ihm stehen und hielt seinem Blick stand.

Was sah er? Sie versuchte hinter seine Maske zu schauen, nur um festzustellen, dass das nicht ging – seltsam, denn sie hatten sich eigentlich nie Mühe gegeben, ihre gegenseitige Geringschätzung zu verhehlen – was also versuchte er zu verbergen? Was war die Ursache seiner unausgesprochenen Drohung?

Zu ihrer eigenen Überraschung merkte sie, dass sie das wissen wollte.

Sie holte Luft und erklärte ruhig: »Na gut.«

Überraschung flammte in seinen Augen auf, sogleich überschattet von Argwohn; sie drehte sich um und schlug mit gesenktem Blick den Weg zum Dorf ein, wobei sie ihr Lächeln verbarg. Und damit er nur ja nicht meinte, er habe gewonnen, fügte sie kühl hinzu: »Zufällig drückt mich einer meiner Schuhe.«

Sie hatte nur einen Schritt gemacht, als sie spürte, dass er sich aus seiner Erstarrung löste, dann kam er viel zu rasch näher.

Ihre Sinne gerieten in Aufruhr. Verunsichert verringerte sie ihr Tempo …

Er blieb nicht stehen, er beugte sich einfach vor und hob sie auf seine Arme.

»He! Was …«

Ohne langsamer zu werden rückte er sie zurecht, bis er sie genau in der gewünschten Stellung hielt und trug sie, als wöge sie nicht mehr als ein Kind.

Ihre Lungen streikten genauso wie ihr Verstand; es kostete sie einige Anstrengung, einfach nur zu atmen. »Was bildest du dir eigentlich ein?«

Dass sie es nicht verstand, war deutlich an jedem Wort zu hören. Nie hatte das geringste Anzeichen verraten, dass er eines Tages tätlich auf ihre kleinen Spitzen reagieren würde.

Sie war … was? Schockiert? Oder …?

Sie überwand energisch ihre Verwirrung und schaute ihm ins Gesicht, erwiderte seinen Blick, als er sie flüchtig ansah.

»Dein Schuh drückte – wir wollen schließlich nicht, dass dein reizender kleiner Fuß unnötig Schaden nimmt.«

Sein Ton war ausdruckslos, seine Miene ohne Arg; aber der Ausdruck in seinen Augen würde nicht als unschuldig durchgehen.

Sie blinzelte. Beide schauten nach vorne. Sie überlegte, ob sie protestieren sollte – und verwarf die Idee gleich wieder. Ihm war zuzutrauen, mit ihr zu zanken, bis sie bei der Kutsche ankamen.

Was sich wehren anging – sie war sich deutlich bewusst, und zwar mehr als ihr lieb war, dass sie körperlich schwächer war als er. Die Arme, die sie hielten, fühlten sich an wie aus Stahl; sein Schritt wurde nicht langsamer, war kraftvoll und sicher. Der Griff der Hand, die sich dicht über ihrem Knie um ihr Bein schloss, natürlich sittsam über ihren Röcken, war unnachgiebig. Seine Brust, gegen die sie gedrückt wurde, war breit und muskulös. Sie hatte seine Kraft nie als etwas angesehen, das sie berücksichtigen oder erwägen musste, doch wenn er ihr Verhältnis zueinander um körperlichen Kontakt erweitern wollte, würde sie ihre Einstellung überdenken müssen.

Und nicht nur in Hinsicht auf seine Kraft.

Während sie ihm so nahe war, von seinen Armen gehalten, fühlte sie sich – neben ein paar anderen Sachen – schwindelig.

Er wurde langsamer, und sie konzentrierte sich wieder auf ihn.

Mit einer schwungvollen Bewegung setzte er sie auf die Bank in der Kutsche.

Überrascht hielt sie sich am Rand der Kutsche fest und zog aus Gewohnheit ihre Röcke zur Seite, damit er neben ihr Platz nehmen konnte. Ihr Blick fiel auf das reichlich erstaunte Gesicht von Wilks, seinem Pferdeburschen.

»Ah … Guten Tag, Miss Portia.« Mit weit aufgerissenen Augen verneigte sich Wilks und reichte Simon die Zügel.

Wilks musste die ganze Vorstellung beobachtet haben; er wartete darauf, dass sie in die Luft ging oder wenigstens eine schneidende Bemerkung machte.

Und er war nicht der Einzige.

Sie lächelte, ein Bild der Ausgeglichenheit. »Guten Tag, Wilks.«

Wilks blinzelte verwirrt, nickte misstrauisch und eilte zu seinem Platz hinten auf der Kutsche.

Simon schaute sie an, während er einstieg und sich neben sie setzte. Als erwartete er, dass sie ihn biss. Oder ihn wenigstens anfauchte.

Ein süßes Lächeln würde er ihr nie abnehmen, daher blickte sie geradeaus, ganz gefasst, als sei es ihre Idee, mit ihm in der Kutsche zu fahren. Sein misstrauischer Blick war alle Anstrengung wert, die es sie kostete, so unbekümmert und heiter zu erscheinen.

Die Kutsche setzte sich mit einem Ruck in Bewegung, rollte vorwärts. In dem Augenblick, als seine Braunen in ein gleichmäßiges Tempo verfallen waren, erkundigte sie sich höflich: »Wie geht es deinen Eltern?«

Es folgte eine kleine Pause auf ihre Frage, dann antwortete er.

Sie nickte und stürzte sich in einen Bericht über ihre Familie, die er gut kannte, beschrieb den Gesundheitszustand jedes einzelnen Familienmitgliedes, erzählte, was jeder von ihnen trieb und was sie vorhatten. Als hätte er danach gefragt, fuhr sie fort: »Ich bin mit Lady O. hergekommen.« Seit Jahren schon war das ihre Abkürzung für Lady Osbaldestone, eine entfernte Verwandte der Cynsters und eine gute Bekannte ihrer eigenen Familie, eine ältere Dame, die die halbe vornehme Gesellschaft terrorisierte. »Sie hat die letzte Woche auf The Chase verbracht, dann musste sie hierher weiterreisen. Sie ist eine alte Freundin von Lord Netherfield, das weißt du doch, oder?« Viscount Netherfield war Lord Glossups Vater und derzeit zu Besuch auf Glossup Hall.

Simon runzelte die Stirn. »Nein.«

Portia lächelte aufrichtig; sie mochte Lady O. gerne, aber Simon fand ihren Scharfsinn wie viele Männer seiner Art irgendwie beängstigend. »Luc bestand darauf, dass sie nicht allein quer durchs ganze Land fährt, daher habe ich mich angeboten, mit ihr zu reisen. Die anderen, die bereits eingetroffen sind …«, fügte sie im Plauderton hinzu und unterrichtete ihn, wer bereits da war und wer noch erwartet wurde, genauso, wie es eine freundliche, wohlerzogene junge Dame tun würde.

Das Misstrauen in seinen Augen war immer deutlicher zu erkennen.

Dann erschienen vor ihnen die Doppelflügel der Tore von Glossup Hall, hießen sie weit geöffnet willkommen. Simon wendete die Braunen und ließ sie über die Auffahrt zum Haus traben.

Glossup Hall war ein weitläufiger Landsitz mit E-förmigem Grundriss, der zur Zeit Elisabeths I. erbaut worden war. Seine typische Fassade aus roten Ziegeln ging nach Süden, und das herrschaftliche Gebäude konnte mit drei Stockwerken und senkrecht an den Hauptbau anschließenden Seitenflügeln nach West und Ost aufwarten. Im Mittelbau befand sich der Ballsaal, nach hinten schloss sich der Wintergarten an. Als sie näher kamen, spiegelte sich das Sonnenlicht in den zahllosen Sprossenfenstern und schimmerte auf den hohen Schornsteinen mit ihren verzierten Töpfen.

Als die Braunen in die bogenförmige Auffahrt einschwenkten, war Simon völlig durcheinander. Kein gewohntes Gefühl für ihn; es gab nicht viel in der vornehmen Welt, das ihn aus dem Gleichgewicht bringen konnte.

Außer Portia.

Wenn sie mit ihm zürnte und ihn beschimpfte, ihre scharfe Zunge wie sonst einsetzte, wäre alles normal gewesen. Er hätte ihr Zusammentreffen nicht genossen, aber er hätte auch nicht diese plötzliche Verwirrung verspürt.

Sosehr er sich auch den Kopf zerbrach, er konnte sich nicht erinnern, dass sie sich ihm gegenüber je so … verhalten hätte – so weiblich und weich war die einzige Beschreibung, die ihm einfiel. Sie war gewöhnlich bestens gewappnet und widerborstig; heute hatte sie offenbar ihren Schild und ihre Speerspitzen zu Hause gelassen.

Das Ergebnis war …

Er zügelte die Braunen, zog die Bremse an und warf die Zügel Wilks zu, stieg aus.

Portia wartete, dass er um die Kutsche herumging und ihr beim Aussteigen behilflich wäre; er schaute sie an, erwartete wohl, dass sie mit ihrer üblichen unabhängigen, Ich-brauche-niemanden-Einstellung einfach herunterspringen würde. Stattdessen legte sie, als er ihr seine Hand hinhielt, ihre schlanken Finger darauf und ließ sich von ihm mit erstaunlicher Anmut helfen.

Sie blickte zu ihm auf und lächelte, als er sie losließ. »Danke.« Ihr Lächeln vertiefte sich; ihr Blick hielt seinen fest. »Du hattest Recht, mein Fuß befindet sich fraglos in einem besseren Zustand, als er es anderenfalls gewesen wäre.«

Ihre Miene war unbeschreiblich süß, als sie den Kopf neigte und sich abwandte. Ihre Augen waren so dunkel, dass er nicht sicher sagen konnte, ob das Funkeln, das er flüchtig zu sehen gemeint hatte, echt war oder nur eine Täuschung des Lichts.

Er stand auf der Auffahrt vor dem Herrenhaus, während Pferdeburschen und Lakaien geschäftig um ihn herumeilten, und schaute ihr nach, wie sie ins Haus trat. Ohne einen Blick zurück wurde sie von den Schatten auf der anderen Seite der offenen Eingangstür geschluckt.

Das Geräusch von knirschendem Kies, als seine Pferde und die Kutsche zu den Stallungen gebracht wurden, riss ihn aus seiner Versunkenheit. Äußerlich unbewegt, innerlich aber ein wenig grimmig, schritt er zum Eingang von Glossup Hall. Und folgte ihr ins Innere.

»Simon! Großartig.« Breit lächelnd schloss James Glossup die Bibliothekstür und trat vor.

Seinen Mantel dem Butler überlassend drehte sich Simon um, um James zu begrüßen.

Erleichterung stand in James’ Augen, als er ihm die Hand schüttelte. »Du bist gerade rechtzeitig gekommen, um Charlie und mir zur Seite zu stehen.« Mit einem Nicken deutete er zum Empfangssalon; durch die geschlossenen Türen drang das unverwechselbare Geräusch weiblicher und männlicher Stimmen zu ihnen, die höflich Konversation machten. »Charlie ist hineingegangen, um die Lage auszukundschaften.«

Blenkinsop, der Butler, blieb neben James stehen. »Ich werde Mr. Cynsters Gepäck auf das Zimmer bringen lassen, das er gewöhnlich bei seinen Besuchen hier bewohnt.«

James nickte. »Danke, Blenkinsop. Wir werden zu den anderen stoßen – nicht nötig, uns anzukündigen.«

Blenkinsop, ein ehemaliger Oberstabsfeldwebel, groß und mit einer Neigung zur Korpulenz, aber trotzdem tadellos gerader Haltung, verneigte sich und ging. James schaute zu Simon, dann sagte er mit einem Winken zu den Salontüren. »Dann lass uns anfangen.«

Sie betraten gemeinsam den Salon, blieben nebeneinander stehen, um jeder eine Türhälfte zu schließen. Simon fing James’ Blick bei dem Geräusch des einrastenden Schlosses auf. Portia, die von der anderen Seite des Raumes zusah, nahm an, dass sie sehr wohl wussten, welches Bild sie boten, wenn sie so nebeneinander eintraten.

Zwei tonangebende Männer der guten Gesellschaft; niemand, der Augen im Kopf hatte, konnte das übersehen, und wenn man sie so nebeneinander sah, verstärkte sich dieser Eindruck noch. Sie waren beide groß, schlank, breitschultrig und sehnig, keiner von ihnen sonderlich schwer. James braunes Haar lockte sich leicht; Simons blondes Haar war mit der Zeit dunkler geworden und wies nun ein helles Braun auf, das immer noch einen goldenen Schimmer besaß und in seidigen Wellen seinen Kopf bedeckte. Simon hatte blaue Augen und eine hellere Hautfarbe, James dagegen braune, seelenvolle Augen, die er schamlos einsetzte.

Beide waren erstklassig gekleidet, ihre Röcke passten ihnen perfekt, und der Schnitt verriet die Hand des besten Schneiders der Stadt. Ihre Halstücher waren makellos weiß, präzise geknotet und in exquisiten Falten arrangiert; ihre Westen waren Musterbeispiele zurückhaltender Eleganz.

Sie bewegten sich mit einer lässigen Anmut, als wäre sie ihnen angeboren, wie es ja tatsächlich auch der Fall war. Sie waren Seelenverwandte, wie Brüder – Lebemänner der Hautevolee. Als James die Vorstellung übernahm, war das nicht zu übersehen.

Charlie Hastings gesellte sich zu ihnen, das dritte Mitglied ihrer Clique, ein ein wenig kleinerer blonder Gentleman von der gleichen sorglosen, gut aussehenden Art.

Portia betrachtete den Rest der Gesellschaft, die verstreut in dem geräumigen Salon auf Stühlen und Sofas saß, meist mit Teetassen in der Hand. Die einzigen Gäste, die jetzt noch nicht eingetroffen waren, waren Lady Hammond und ihre beiden Töchter, die später am Nachmittag erwartet wurden.

James führte Simon erst zu dem Gastgeber, seinem Vater Harold, Lord Glossup, einem gut gebauten Herrn mittleren Alters, der allen seinen Gästen ein herzliches Willkommen bereitet hatte. Neben ihm stand George Buckstead, ein gediegener Landedelmann und alter Freund Harolds, der ihm in vieler Hinsicht ähnlich war. Zu der Gruppe um ihn gehörte auch Ambrose Calvin, der sich von den anderen Gästen irgendwie abhob. Er war Mitte dreißig und offenbar zu einer politischen Karriere entschlossen, daher rührte – so vermutete Portia – seine Anwesenheit hier.

Sie war sich nicht sicher, was genau er sich davon versprach, aber sie hatte Erfahrung mit dem Typ; er verfolgte ganz sicher ein Ziel.

Charlie, der bereits vorgestellt worden war, blieb etwas zurück; als James und Simon sich umdrehten, stellten sie fest, dass Miss Lucy Buckstead ihren Freund mit Beschlag belegt hatte. Heiter und kess, gerade erst zwanzig Jahre alt, hübsch und dunkelhaarig war Miss Buckstead entzückt, Simon die Hand zu reichen, aber ihre Augen kehrten zu rasch wieder zu James’ Gesicht zurück.

Mit einer galanten Entschuldigung zog James Simon mit sich, um ihn auch mit den anderen Anwesenden bekannt zu machen; Charlie sprang in die Bresche und lenkte Miss Buckstead ab. Portia bemerkte den Blick, den James und Simon tauschten, als sie sich der nächsten Gruppe näherten.

Zu der gehörte James’ Mutter, ihre Gastgeberin Catherine, Lady Glossup, eine farblos wirkende Matrone mit blassblondem Haar und Augen von einem verwaschenen Blau. Sie strahlte eine gewisse Reserviertheit aus, einen Anflug von Überlegenheit, die sie in Wahrheit nicht besaß. Sie war keine unfreundliche Frau, aber eine, deren Träume nicht wirklich in Erfüllung gegangen waren. Neben ihr saß Mrs. Buckstead – Helen – eine gewichtige, matronenhafte Dame, deren ruhige Heiterkeit ihre Zufriedenheit mit ihrem Los verriet.

Beide Damen lächelten gnädig, als Simon sich verneigte; er wechselte ein paar Worte mit ihnen, dann wandte er sich ab, um dem Herrn neben ihnen die Hand zu schütteln. Mr. Morton Archer war Besitzer einer Bank, überaus wohlhabend und einflussreich. Als zweiter Sohn eines zweiten Sohnes musste er selbst seinen Weg in der Welt machen und hatte dabei Erfolg gehabt. Die Selbstsicherheit, die ihm das verlieh, lag wie eine unsichtbare Aura über ihm, den teuren Kleidern und seinem gepflegten Äußeren.

Er gehörte zu Lord und Lady Glossups Generation und war Vater einer weiteren Catherine, die von allen Kitty genannt wurde und Lord Glossups ältesten Sohn Henry geheiratet hatte. Es war klar, dass Mr. Archer diesen Umstand als Eintrittskarte in die Gesellschaftsschicht betrachtete, in der er verkehren wollte.

Als er Simon vorgestellt wurde, wurde sein Blick aufmerksam; er hätte unverkennbar gerne länger mit Simon gesprochen, aber James führte ihn geschickt weiter.

Zur nächsten Gruppe gehörte Kitty Glossup, die in gewisser Weise die zweite Gastgeberin war. Blond, zierlich, aber ein wenig mollig, hatte Kitty einen rosaweißen Porzellanteint und leuchtende blaue Augen; ihre schmalen Hände waren ständig in Bewegung, ihre leicht mit Rouge geschminkten Lippen standen niemals still, lächelten entweder, schmollten oder redeten. Sie war nie glücklicher, als wenn sie im Mittelpunkt stand; sie war eitel, flatterhaft – Portia hatte festgestellt, dass sie wenig gemein hatten, aber darin unterschied Kitty sich nicht wesentlich von den meisten Mitgliedern der guten Gesellschaft.

Kitty hatte sich mit Lady Calvin und Mr. Desmond Winfield unterhalten. Cynthia, Lady Calvin, war eine gestrenge Witwe mit guten Verbindungen, eine kühle, vernünftige Dame, die ihre beiden Kinder – Ambrose und ihre Tochter Drusilla – besonnen durchs Leben geleitete. Als Tochter eines Earls bewegte sie sich in denselben Kreisen wie die Cynsters und Ashfords; sie schenkte Simon ein gnädiges Lächeln und reichte ihm ihre Hand.

Mr. Winfield war erst vor ein paar Stunden angekommen; Portia musste ihn noch kennen lernen. Seine äußere Erscheinung erklärte ihn zu einem finanziell unabhängigen Gentleman, ernst und eher nachdenklich. Sie nahm an, dass er über die Archers eingeladen worden war; sie fragte sich, ob er für ihre ältere, noch unverheiratete Tochter Winifred vorgesehen war.

Winifred selbst war bei den nächsten Gästen, zu denen James Simon danach brachte. Außerdem befanden sich darunter noch Henry Glossup, James’ älterer Bruder, Alfreda Archer, Winifreds und Kittys Mutter und damit Henrys Schwiegermutter, und Drusilla Calvin.

Als langjähriger Freund von James war Simon schon oft auf Glossup Hall zu Besuch gewesen und kannte deswegen Henry gut; sie schüttelten sich die Hände wie alte Bekannte. Henry war eine ältere, ruhigere und gediegenere Ausgabe von James, ein netter Kerl, auf dessen Schultern nun die Verantwortung für den Besitz lag.

Alfreda Archer war überspannt; Portia konnte selbst von der anderen Seite des Salons spüren, wie Simon seine Abwehrschilde aufstellte. Mrs. Archer wies alle Kennzeichen einer Mutter auf der Suche nach einem Ehekandidaten für ihre Tochter auf – am besten einem, der ihr einen Aufstieg auf der gesellschaftlichen Leiter ermöglichen würde. Im Gegensatz dazu war Winifred ruhig, begrüßte Simon mit einem sanften Lächeln und war höflich, aber nicht mehr.

Drusilla gelang das nur knapp. Sie war beinahe genauso alt wie Portia, aber da endete jede Ähnlichkeit auch schon. Drusilla erinnerte eher an eine kleine graue Maus, war zurückhaltend und auffällig ernst für ihr Alter. Sie schien sich als Gesellschafterin ihrer eigenen Mutter zu betrachten und weniger als ihre Tochter. Daher hatte sie wenig Interesse an Simon oder James, was sie auch zeigte.

Außer Lady Osbaldestone und Lord Netherfield, neben dem Portia saß, waren nur noch Oswald Glossup, James’ jüngerer Bruder, und Swanston Archer, Kittys jüngerer Bruder, anwesend. Beide waren etwa gleich alt und wiesen auch sonst Ähnlichkeiten im Verhalten und rein äußerlich auf. Beide trugen lachhaft enge, auffallend gestreifte Westen und Röcke mit langen Schößen, hielten sich für modisch tonangebend und grundsätzlich allen anderen überlegen, weshalb sie umherstolzierten und sich nicht unter die anderen Gäste mischten.

Simon nickte ihnen zu und bedachte sie mit einem Blick, der leise Missbilligung verriet.

Dann näherten sich James und er dem Sofa, auf dem Lady Osbaldestone und Lord Netherfield sich niedergelassen hatten, ein Stück abseits von den anderen Gästen, um besser beobachten zu können und unbelauscht Bemerkungen auszutauschen.

Portia erhob sich, als die beiden Männer näher kamen – nicht, weil es sich gehörte, sondern weil sie es grundsätzlich nicht mochte, wenn jemand über ihr aufragte. Und besonders nicht, wenn es diese beiden gemeinsam taten.

Lady Osbaldestone nahm Simons Begrüßung und seine Verbeugung mit einem erfreuten Klopfen ihres Gehstockes zur Kenntnis und verwies ihn sofort auf seinen Platz, indem sie sich erkundigte: »Schon gut. Wie geht es Ihrer Mutter?«

Durch lange Erfahrung immun geworden und sich deswegen auch darüber im Klaren, dass er nicht so leicht entkommen würde, antwortete er mit lobenswertem Gleichmut. Lady O. verlangte einen Bericht über das Befinden seiner jüngeren Schwestern und seines Vaters; während er ihre unersättliche Neugier befriedigte, tauschte Portia ein Lächeln mit James und verwickelte ihn und seinen Großvater in ein Gespräch über die schönsten Spazierwege in der Umgebung.

Lady O. ließ schließlich von Simon ab. Er wandte sich Lord Netherfield zu und erneuerte ihre frühere Bekanntschaft. Nachdem das geschehen war, drehte sich Simon, der nun neben Portia stand, wieder zu Lady O. um – und erstarrte.

Portia spürte das, schaute zu Lady O. – und tat es ihm nach. Der Basiliskenblick, der die gute Gesellschaft seit mehr als fünfzig Jahren in Angst und Schrecken versetzte, ruhte auf ihnen.

Auf ihnen beiden.

Sie standen wie gebannt, unsicher, in welche Richtung sie sich bewegen sollten, was sie sich hatten zu Schulden kommen lassen …

Lady O.s Brauen hoben sich entsetzlich langsam. »Ihr beiden kennt euch, nicht wahr?«

Portia fühlte, wie ihre Wangen heiß wurden; aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass es Simon nicht besser erging. Obwohl sie sich der Gegenwart des jeweils anderen bewusst waren, hatten sie beide vergessen, die Anwesenheit auf irgendeine gesellschaftlich akzeptable Art und Weise zur Kenntnis zu nehmen. Sie öffnete den Mund, aber er war schneller.

»Miss Ashford und ich sind uns vorhin schon begegnet.«

Wenn sie nicht von allen beobachtet worden wären, hätte sie ihm am liebsten einen Tritt gegeben. Seine kühle Arroganz ließ es klingen, als wäre es ein heimliches Treffen gewesen. In leichtem Ton erklärte sie: »Mr. Cynster war so freundlich, mich vom Dorf aus in seiner Kutsche mitzunehmen. Ich hatte einen Spaziergang zum Aussichtspunkt gemacht.«

»Ach ja?« Der Blick aus Lady O.s schwarzen Augen ließ sie noch einen Moment länger zappeln, dann klopfte sie mit ihrem Gehstock auf den Boden. »Verstehe.«

Ehe Portia entscheiden konnte, was genau sie damit meinte, fuhr Lady O. fort: »Gut.« Sie deutete auf die leere Tasse neben sich. »Sie dürfen mir eine neue Tasse Tee holen, Sir.«

Mit einer Bereitwilligkeit, für die Portia vollstes Verständnis hatte, lächelte Simon gewinnend, nahm Tasse und Untertasse und ging zu dem Teewagen, der bei Lady Glossup stand. James wurde beauftragt, dieselbe Aufgabe für seinen Großvater zu erledigen. Portia ergriff die günstige Gelegenheit, um sich zu entschuldigen und zu Winifred Archer und Drusilla Calvin zu schlendern – die Gäste, von denen sie annahm, es wäre am unwahrscheinlichsten, dass Simon sich zu ihnen gesellte.

Sie hatte sich vielleicht geschworen, jeden anwesenden Herrn in Erwägung zu ziehen; das hieß aber nicht, dass sie währenddessen neben einem davon stehen würde.

Und besonders nicht neben Simon.

Und ganz bestimmt nicht, solange Lady O. sie beobachtete.

Simon kehrte zu Lady O. zurück, eine volle Tasse in der Hand. Dann entschuldigte er sich geschickt; die alte Tyrannin entließ ihn mit einem Winken. Nachdem er sich selbst eine Tasse Tee geholt hatte, stellte er sich zu Charlie und Lucy Buckstead ans Fenster.

Charlie begrüßte ihn mit einem Grinsen, unterbrach seine Unterhaltung aber nicht; er war damit beschäftigt, Miss Buckstead den Kopf zu verdrehen. Nicht, dass er sich etwas dabei dachte; Charlie liebte es einfach zu flirten. Mit seinem lockigen blonden Haar, den dunkelbraunen Augen und seiner gewandten Art war er bei Damen von Geschmack und Urteilsvermögen sehr beliebt.

Diese Damen fanden gewöhnlich bemerkenswert rasch heraus, dass Charlie in den meisten Fällen viel redete, aber keine Taten folgen ließ. Nicht, dass er sich nicht ab und an mehr erlaubte, wenn es ihm passte; das war nur einfach selten der Fall.

Sogar Miss Buckstead, so naiv sie auch war, schien unbesorgt, lachte fröhlich und parierte Charlies beinahe gewagte, aber nicht die Grenze überschreitende Bemerkungen.

Simon lächelte und nippte an seinem Tee. Charlie und er wussten beide, dass sie vor Miss Buckstead sicher waren; sie hatte ein Auge auf James geworfen.

Unter dem Schutz ihres Geplauders musterte er die Gäste. Bei der Zusammenkunft ging es darum, Verbindungen zu pflegen – das war klar zu erkennen. Die Verbindung mit den Archers, Kittys Familie, und den Bucksteads, alten Freunden, und den Calvins und Hammonds, nützlichen Kontakten. Eine völlig normale Hausgesellschaft, aber angesichts von Lucy Bucksteads Anwesenheit konnte Simon James’ Taktik verstehen, dafür zu sorgen, dass der eine oder andere Gentleman als Verstärkung hinzukam.

Ihn reuten die Tage nicht, die er James schenkte; es war im Grunde genommen schließlich das, wofür man Freunde hatte. Er fragte sich allerdings, welche Unterhaltung sich ihm böte, um sich die Zeit zu vertreiben, bis er James sicher verlassen und nach Somerset weiterreisen konnte.

Sein Blick blieb an den drei jungen Damen an der Fensterreihe auf der anderen Seite hängen. Winifred Archer, Drusilla Calvin und Portia. Die beiden letzten waren etwa gleichaltrig, etwa vierundzwanzig, ein paar Jahre jünger als Kitty, deren überschwängliches Lachen er über das Stimmengemurmel der zurückhaltenderen Gäste hören konnte.

Portia blickte zu Kitty, dann wandte sie sich wieder dem Gespräch mit Drusilla und Winifred zu.

Winifred stand mit dem Rücken zu ihrer Schwester und ließ sich durch nichts anmerken, dass sie ihr schrilles Gelächter vernommen hatte. Winifred war älter; Simon schätzte, dass sie ihm mit seinen neunundzwanzig Jahren im Alter näherstand.

Er schaute zu der Gruppe um Kitty und sah Desmond Winfield zu Portia sehen. Oder zu Winifred? Desmond spannte sich, als wollte er zu ihnen gehen.

Kitty legte ihm eine Hand auf den Ärmel und stellte ihm eine Frage; er drehte sich zu ihr um und antwortete ruhig.

Neben ihm lachte Charlie; Lucy Buckstead unterdrückte ein Kichern. Ohne die geringste Ahnung, was gesagt worden war, lächelte Simon sie beide an und nippte wieder von seinem Tee.

Sein Blick kehrte zu Portia zurück.

Sonnenlicht fiel auf sie, ließ in ihrem rabenschwarzen Haar blaue Lichter aufschimmern.

Ungebeten war da wieder der warme Duft, der ihm aus ihren schweren Locken in die Nase gestiegen war, als er sie den Weg hinunter zur Kutsche getragen hatte. Er regte seine Erinnerung an und brachte auch alles andere zurück: ihr Gewicht in seinen Armen, die geschmeidige Anspannung in ihrem Körper, die viel zu weiblichen Rundungen. Die Eindrücke spülten über ihn hinweg und ließen ihn erhitzt zurück.

Er war sich ihrer als Frau nur zu deutlich bewusst gewesen – etwas, das er nie für möglich gehalten hätte. Es hatte ihn verblüfft, nicht zuletzt die Entdeckung, dass er sich in einer Ecke seines Verstandes gewünscht hatte, sie woandershin zu tragen. An einen Ort, der wesentlich weniger öffentlich wäre.

Dennoch hatte er sie nie mit einer anderen verwechselt – er hatte sehr wohl gewusst, wen er im Arm trug. Er hatte ihre spitze Zunge nicht vergessen, die Hiebe, die sie in der richtigen Laune austeilen konnte. Dennoch wollte er …

In Gedanken runzelte er die Stirn und blickte wieder zu Lucy Buckstead zurück. Wenn er eine Ehefrau wollte, dann war sie gewiss die Sorte Frau, die er in Erwägung ziehen sollte – von gutem Benehmen und sanftmütig – lenkbar. Er richtete seinen Blick auf sie … aber seine Gedanken schweiften ab …

Er stellte seine Tasse ab, brachte ein Lächeln zustande. »Wenn ich mich entschuldigen darf – ich möchte gerne den Staub von der Reise abwaschen.«

Mit einer knappen Verbeugung zu Lucy und einem Nicken zu Charlie gab er seine Tasse Lady Glossup zurück, entschuldigte sich auch bei ihr und entfloh.

Als er die Stufen zu seinem Zimmer emporstieg, drehten sich seine Gedanken nur um Portia, den unerwarteten Moment auf dem Weg und ihre ebenso unerwartete Antwort. Glossup Hall hatte ihm einen neuen Blick eröffnet; er hatte Zeit – es gab keinen Grund, die Sache nicht näher zu erforschen.

Neben allem anderen war die Herausforderung, zu entdecken, was genau eine außerordentlich gut gebildete, wohlerzogene junge Dame noch über die Welt zu lernen hatte, nahezu unwiderstehlich.

2

»Ich hätte dich nie für einen Feigling gehalten.«

Bei diesen Worten, leise, aber entschieden herausfordernd von einer Frauenstimme gesprochen, blieb Portia auf dem Absatz der Treppe im Westflügel stehen. Sie hatte die letzte halbe Stunde am Klavierflügel im Musiksalon im ersten Stock des Westflügels verbracht. Jetzt war es Zeit, in den Empfangssalon zu gehen, wo sich alle Gäste vor dem Dinner trafen – sie befand sich auf dem Weg dorthin.

Die Treppe im Westflügel wurde nicht oft von den Damen der Hausgesellschaft benutzt, da die weiblichen Gäste im Ostflügel untergebracht waren.

»Aber vielleicht ist es nur ein Trick?«

Die Worte waren wie eine Liebkosung; es war Kitty, die da sprach.

»Es ist kein Trick!« James sagte das durch zusammengebissene Zähne. »Ich spiele keine Spielchen mit dir – und das werde ich auch nie tun!«

Sie befanden sich außerhalb von Portias Sichtbereich in der Halle am Fuße der Treppe, aber James’ Abscheu war klar aus seinem Ton herauszuhören. Zusammen mit einem Anflug von Verzweiflung.

Kitty lachte. Ungläubigkeit – oder besser ihr Glaube, dass kein Mann, und besonders keiner wie James sie nicht begehren könnte – klang durch das Treppenhaus.

Ohne weiter nachzudenken stieg Portia ruhig und gelassen die Treppe hinab.

Sie hörten sie beide und drehten sich um. Beide Gesichter verrieten unangenehme Überraschung, aber nur James’ Miene zeigte etwas, das Verlegenheit nahekam; Kittys Züge zeigten einfach einen Ausdruck von Verärgerung über die Unterbrechung.

Dann erkannte James Portia; Erleichterung malte sich auf seinem Gesicht. »Guten Abend, Miss Ashford. Haben Sie sich verlaufen?«

Hatte sie nicht, aber Kitty hatte James in einen Alkoven gedrängt. »Ja, leider.« Sie bemühte sich, wenigstens ein bisschen hilflos zu wirken. »Ich dachte, ich wäre richtig, aber …« Sie machte eine vage Handbewegung.

James ging um Kitty herum. »Erlauben Sie mir – ich war gerade auf dem Weg in den Salon. Das ist vermutlich auch Ihr Ziel, nicht wahr?«

Er nahm ihre Hand und platzierte sie auf seinem Arm; sie blickte ihm in die Augen und las die Bitte darin.

»Ja, bitte. Ich wäre Ihnen für Ihre Begleitung äußerst dankbar.« Sie lächelte freundlich, dann wandte sie sich an Kitty.

Kitty erwiderte das Lächeln nicht, sondern nickte nur leicht verstimmt.

Portia hob die Brauen. »Wollen Sie nicht mit uns gehen, Mrs. Glossup?«

Neben ihr versteifte James sich.

Kitty winkte ab. »Ich werde gleich folgen. Gehen Sie nur voran.« Damit drehte sie sich um und trat zur Treppe.

James entspannte sich wieder. Portia ließ sich von ihm zum Mittelbau führen. Sie blickte ihm ins Gesicht; seine Stirn war gerunzelt und seine Haut blass. »Geht es Ihnen gut, Mr. Glossup?«

Er schaute sie an, dann lächelte er – äußerst charmant. »Nennen Sie mich doch bitte James.« Mit einem Nicken über seine Schulter fügte er hinzu: »Danke.«

Sie hob die Augenbrauen und konnte sich die Frage nicht verkneifen: »Ist sie oft so … aufdringlich?«

Er zögerte, dann antwortete er: »Es scheint schlimmer zu werden.«

Es war ihm sichtlich unangenehm; sie sah nach vorne. »Sie werden sich einfach mit anderen Frauen beschäftigen müssen, bis sie darüber hinweg ist.«

Er warf ihr einen scharfen Blick zu, kannte sie aber nicht gut genug, um sich sicher zu sein, dass sie das ironisch meinte. Sie ließ sich von ihm durch das Haus geleiten und musste sich das Lächeln verkneifen angesichts der bizarren Wendung des Schicksals, das dafür sorgte, dass ein stadtbekannter Lebemann wie James Glossup auf sie angewiesen war, um seine Tugend zu bewahren.

Sie fing seinen Blick auf, als sie die Eingangshalle erreichten; er war sich beinahe sicher, dass sie lachte, aber nicht, worüber. Der Empfangssalon war nicht mehr weit; sie schaute nach vorne. Simon würde es wissen.

Als sie über die Schwelle traten, sah sie ihn seitlich vom Kamin stehen und sich mit Charlie und zwei blonden jungen Mädchen unterhalten – Lady Hammonds Töchtern Annabelle und Cecily. Lady Hammond selbst, eine warmherzige Matrone mit einem sonnigen Gemüt, saß auf der Chaise neben Lady Osbaldestone.

Quer durch den Salon trafen sich Portias und Simons Blicke. James entschuldigte sich und ging zu seinem Vater, verwickelte ihn in ein Gespräch. Nachdem sie bei Lady Hammond stehen geblieben war, um sie zu begrüßen, eine Freundin ihrer Mutter, gesellte Portia sich zu Simon und Charlie, Annabelle und Cecily.

Die Mädchen waren wie ein frischer Luftstoß; sie waren ungekünstelt, aber ganz zu Hause in dieser Umgebung und entschlossen, der lebenslustige Mittelpunkt dieser Gesellschaft zu werden. Portia kannte sie schon viele Jahre; sie empfingen sie mit der gewohnten Freude.

»Herrlich! Ich wusste gar nicht, dass du auch hier sein würdest!«

»Oh, es wird ganz wunderbar werden – ich bin sicher, wir werden viel Spaß haben!«

Große Augen, strahlendes Lächeln – es war unmöglich, nicht ebenso zu antworten. Nach den üblichen Fragen wegen der Familien und Bekannten konzentrierte sich das Gespräch auf die erhofften Freuden der kommenden Tage und das, was Glossup Hall und die nähere Umgebung zur Zerstreuung der Gäste zu bieten hatte.

»Die Gärten sind sehr weitläufig und haben viele Wege. Das habe ich in einem Reiseführer gelesen«, gestand Annabelle.

»Oh, und da gibt es einen See – im Buch steht, er sei nicht von Menschenhand angelegt, sondern natürlich entstanden, gespeist von einer Quelle, und sehr tief.« Cecily verzog das Gesicht. »Zu tief für Kahnfahrten. Man denke nur!«

»Nun«, warf Charlie ein, »man würde ja nicht riskieren wollen hineinzufallen. Verflixt kalt, das kann ich bezeugen.«

»Gütiger Himmel!« Annabelle drehte sich zu Charlie um. »Ehrlich? Sind Sie? Hineingefallen, meine ich.«

Portia bemerkte den Blick, den Charlie Simon zuwarf, und das Zucken um Simons Lippen; sie nahm an, es war wahrscheinlicher, dass Charlie hineingestoßen worden war.

Eine Bewegung am anderen Ende des Salons erregte ihre Aufmerksamkeit. Kitty trat ein, blieb stehen und schaute sich um. Henry löste sich von seinen Begleitern und kam zu ihr. Er senkte den Kopf und sprach leise mit ihr, eindeutig eine private Unterhaltung,

Kitty versteifte sich, ihr Kopf hob sich jäh. Sie bedachte Henry mit einem beleidigten, abwehrenden Blick, dann gab sie eine sehr knappe Antwort, zeigte ihm die kalte Schulter und entfernte sich mit schmollend verzogenen Lippen, um mit Ambrose und Drusilla Calvin zu reden.

Henry schaute ihr nach. Seine Miene war angespannt, beherrscht und verschlossen, aber darunter war Schmerz zu erkennen.

Da war eindeutig nicht alles in Ordnung.

Portia wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Gespräch um sie herum zu. Annabelle sprach sie mit vor Begeisterung weit aufgerissenen Augen an: »Warst du schon dort?«

Sie hatte offenbar etwas verpasst; Hilfe suchend schaute sie zu Simon.

Ihre Blicke trafen sich; seine Augenbrauen zuckten, aber er erklärte sich bereit, sie zu retten. »Portia war dort noch nicht – die Freuden von Glossup Hall sind ihr ebenso neu wie Ihnen. Was den Tempel angeht …« Sein Blick kehrte zu Portias Gesicht zurück. »Ich muss zugeben, ich ziehe das Sommerhaus am See vor. Vielleicht ein bisschen zu einsam und ungestört für manche, aber die Stille über dem Wasser ist so beruhigend.«

»Wir müssen unbedingt einen Spaziergang dorthin unternehmen.« Cecily war eifrig damit beschäftigt, Pläne zu schmieden. »Und ich höre, es gibt auch einen Aussichtspunkt, irgendwo hier in der Nähe, nicht wahr?«

»Ich bin dort gewesen.« Simons Blick ausweichend gab Portia ihr Bestes, den Wissensdurst des Mädchens zu stillen.

Das Thema beschäftigte sie, bis das Essen angekündigt wurde. Nachdem alle an dem langen Tisch Platz genommen hatten, machte sich Portia daran – getreu ihrem Schwur –, die Möglichkeiten zu sondieren.

Welcher Gast auch immer im passenden Alter ist und die richtige Herkunft hat, ich schwöre, dass ich ihn in Erwägung ziehen werde.

Also, wer kam in Frage? Alle Männer am Tisch waren – zumindest theoretisch – von angemessener Herkunft, sonst wären sie nicht hier. Manche waren verheiratet und schieden so von vornherein aus. Von denen, die übrig blieben, kannte sie manche besser als andere.

Während gegessen und geredet wurde, sie sich an der einen oder anderen Unterhaltung beteiligte, ließ sie ihre Blicke wandern, nahm jeden zur Kenntnis und erwog jede Möglichkeit.

Ihr Blick blieb an Simon hängen, der ihr schräg gegenüber saß. Er mühte sich redlich, mit Drusilla Konversation zu machen, die seltsam reserviert schien, ernst aber auch, als sei ihr unbehaglich. Portia wunderte sich; einmal abgesehen von ihren häufigen Meinungsverschiedenheiten wusste sie genau, dass Simons Manieren tadellos waren und ihn nie im Stich lassen würden. Was auch immer das Problem war, es musste bei Drusilla liegen.

Die Gespräche um sie herum kamen zum Stillstand; ihr Blick blieb auf Simon ruhen. Sie bemerkte den goldenen Schimmer seines Haares, seine langen eleganten Finger, die sich um das Weinglas schlossen, das resignierte Zucken seiner Lippen, als er sich zurücklehnte und Drusilla sich selbst überließ.

Sie hatte ihn zu lange angestarrt. Er spürte ihren Blick.

Gerade noch rechtzeitig ehe er zu ihr sah, schaute sie nach unten, bediente sich ruhig von dem Gemüse, dann schenkte sie Mr. Buckstead neben sich ihre Aufmerksamkeit.

Erst, als sie merkte, dass Simon sie nicht länger betrachtete, atmete sie wieder frei.

Erst dann fiel ihr auf, wie merkwürdig diese Reaktion war.

Welcher Gast auch immer …

Zu der Zeit, als die Damen sich erhoben und die Herren ihrem Portwein überließen, hatte sie im Geiste drei Namen auf ihrer Liste notiert. Diese Hausgesellschaft war eindeutig ideal dafür, als Probe genutzt zu werden, ein Testfeld, auf dem sie ihr Geschick bei der Jagd nach einem Ehemann verfeinern konnte; keiner der anwesenden Gentlemen war jemand, dem sie sich vorstellen konnte, ihre Hand zu schenken, aber als Übungsmaterial waren sie durchaus geeignet.

James Glossup und Charlie Hastings gehörten genau zu der Sorte Gentlemen, deren Eigenschaften sie einzuschätzen lernen musste.

Was Simon anging – nur, weil sie ihn ihr ganzes Leben lang kannte, nur, weil sie sich die letzten zehn Jahre beinahe ständig gezankt hatten, nur, weil sie nie daran gedacht hätte, ihn auf ihre Liste zu setzen, wenn sie ihren Schwur nicht in genau diese Worte gefasst hätte – was sie nicht getan hätte, hätte sie geahnt, dass er da sein würde, war das kein Grund, die Augen vor seinen Qualitäten als Ehemann zu verschließen.

Qualitäten, die sie einzuschätzen und zu bewerten lernen musste.

Als sie in Lady O.s Kielwasser den Empfangssalon betrat, kam ihr der Gedanke, dass sie, da er nun einmal ein Cynster war, Simons Ehequalitäten als Messlatte für alle anderen nehmen sollte.

Das war ein beunruhigender Gedanke.

Glücklicherweise waren die Herren nicht anwesend, sodass sie sich erst einmal nicht weiter damit befassen musste. So ließ sie sich lieber vom Geplauder der Hammond-Schwestern und Lucy Bucksteads ablenken.

Später, als die Herren wieder zu ihnen stießen und die Unterhaltung allgemeiner wurde, fand sie sich in einer Gruppe mit Winifred Archer und Desmond Winfield wieder. Beide waren freundlich, ein wenig zurückhaltend, obwohl es keinem von beiden an Selbstbewusstsein mangelte. Bereits nach fünf Minuten hätte Portia ihr bestes Kleid darauf verwettet, dass zwischen den beiden etwas war – oder sich entwickelte. Was Winifred davon hielt, konnte sie nicht sagen, aber Desmond hatte trotz seiner tadellosen Manieren praktisch nur Augen für Winifred.