Verhängnisvolles Misstrauen - Edda Lorna Anvers - E-Book

Verhängnisvolles Misstrauen E-Book

Edda Lorna Anvers

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Beschreibung

Eine junge Frau wird tot am Hafen aufgefunden. Auf der Suche nach ihrem Mörder stößt DCS Lizzy Thornton auf einige Leute, die mit dem Opfer zerstritten waren. Sogar ihre Freundin Lydia gehört dazu und verhält sich verdächtig. Und was hat ein italienischer Kunstprofessor mit der Toten zu tun? Gleichzeitig taucht regelmäßig ein Segelboot an der Küste auf, dessen Skipper sich merkwürdig verhält.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Prolog

1 Sonntag, 18.10.2015

2 Montag, 19. Oktober

3 Dienstag, 20.Oktober

4 Mittwoch, 21. Oktober

5 Donnerstag, 22.Oktober 2015

6 Freitag, 23.Oktober

7 Samstag, 24.Oktober

8 Sonntag, 25. Oktober

9 Montag, 26.Oktober

10 Dienstag, 27. Oktober

11 Mittwoch, 28. Oktober

12 Donnerstag, 29. Oktober

13 Freitag, 30. Oktober

14 Samstag,31. Oktober

15 Sonntag, 1. November

16 Montag, 2. November

17 Dienstag, 3. November

18 Mittwoch, 4. November

19 Freitag, 6. November

Edda Lorna Anvers

Verhängnisvolles Misstrauen

Roman

Prolog

Sie hockte mittlerweile seit über zwei Stunden hinter dem wackeligen Stapel aus Reusen, Netzen und verschiedenen stinkenden Plastikwannen unterschiedlichster Farben. Ihre Kniee schmerzten, der rechte Fuß war eingeschlafen und ihr Nacken fühlte sich verkrampft an. Morgen, da war sie sich ganz sicher, würde sie fürchterliche Kopfschmerzen haben. Aber wenn sich ihre Vermutung bewahrheitete, dann wäre es alle Unannehmlichkeiten wert! Ihre Nase, mittlerweile kalt und fast gefühllos, hatte sich inzwischen an den intensiven Gestank nach altem Fisch, vermischt mit abgestorbenem, verrottendem Seetang, gewöhnt. Nur dann und wann, wenn ein Windstoß vom Wasser herüberwehte oder eine Möwe über den Reusenstapel flog, nahm sie ihn erneut wahr. Außer ihr schien sich niemand hier aufzuhalten. Hatte sie sich so sehr geirrt? Sie war fest davon überzeugt gewesen, heute hier mindestens zwei Personen beobachten zu können. Was sie brauchte, war ein Beweis für ihren Verdacht, sie musste es mit eigenen Augen sehen, bevor sie es der Polizei erzählte.

Ein leises Knirschen ließ sie zusammenzucken. Erst in diesem Augenblick bemerkte sie die Person, die sich fast geräuschlos von hinten an sie herangeschlichen hatte.

„Musst du dich wirklich immer und überall einmischen?“

Die leise, übertrieben ruhige Stimme hinter ihr klang ehrlich betrübt, fast gequält. Sie wollte aufstehen und sich umdrehen, aber ihre Beine waren von dem lange Hocken zwischen den Plastikwannen steif geworden. Sie reagierte nicht schnell genug. Sie spürte warmen Atem im Nacken, nur Millisekunden bevor sich die feste Nylonschnur um ihren Hals legte und mit einem kräftigen Ruck zusammengezogen wurde. Instinktiv versuchte sie, ihre Finger zwischen Hals und Schlinge zu schieben, aber vergebens.

‚Luft – wie kann ich mir Luft verschaffen,‘ dachte sie verzweifelt. Ihre Gedanken waren merkwürdig klar, so, als gehörten sie nicht zu ihr, sondern zu einer anderen Person. Sie musste sich doch irgendwie wehren können! Wie lautete noch die Hauptregel aus dem Selbstverteidigungskurs? Eigengewicht einsetzen, ja, das war es! Vermeintlich gab sie den Widerstand auf, machte sich schwer und ließ sich plötzlich rückwärts fallen. Aber es gelang ihr nicht! Ein Knie bohrte sich in ihren Rücken und hinderte sie daran. Erst wurde ihr schwindelig, dann schwarz vor Augen, während die Schnur immer stärker in ihren Hals schnitt, ihr das Atmen unmöglich machte. Sie strampelte und sträubte sich mit letzter Kraft, vergebens. Sie verlor erst die Orientierung und dann das Bewusstsein.

***

Als nichts mehr zuckte und das, was noch eben ein Mensch gewesen war, schwer wie Blei zu Boden glitt, war es vorbei. Die Hände schmerzten, vor allem die Außenkanten. Das kam von dem Stück Seil. Vor ein paar Tagen hatte die Schnur auf der Mole gelegen, dunkel schmutzig orange, aus festem, nicht verrottbarem Kunststoff. Was für ein makabrer Zufall! Sie hatte einfach nur dort gelegen, war irgendjemandem aus der Tasche gefallen, übriggeblieben beim Flicken eines Netzes. Eine Hand umklammerte es immer noch. Unbewusst verschwand es in der Seitentasche der Jacke.

Der Rest war schnell erledigt, nur noch den Körper zusammenfalten, mit einem alten Fischernetz dicht verschnüren, sie hinter die stinkenden Plastikwannen ziehen, ein paar alte Krabbenreusen darüber legen und verschwinden. Es war genau nach Plan verlaufen. Sogar die Gegenwehr war vorhersehbar und daher vermeidbar gewesen. Und doch war es schwerer gewesen als gedacht. So viel Kraftaufwand und so viel heftiges Gezappel.

Der eigene Atem klang extrem laut, aber die Vögel waren noch lauter. Ein Blick nach oben genügte. Mehrere Möven und sogar einige Krähen hatten aus sicherer Entfernung das Spektakel beobachtet. Der erste, mutigste Vogel schwebte heran und stieß ein triumphierendes Kreischen aus. Es dauerte nicht lange, da trauten sich auch die anderen näher. Das Bündel lag nun unauffällig zwischen den alten Fischernetzen, die dunkle Kleidung ließ den Körper mit der Umgebung verschmelzen. Ein Blick auf die Möven, die sich wie Aasgeier auf die Tote stürzten, ließ bittere Galle und den Rest der letzten Mahlzeit den Weg aus dem Magen nach oben steigen. Schnell eine Drehung zur Wasserkante und schon flog der Mageninhalt in hohem Bogen auf den Betonboden.

Mist, jetzt war verräterische DNA hier überall auf dem Boden verteilt. Zum Glück stand ein großer schwarzer Eimer zwischen den Plastikwannen, so war es möglich, Wasser an der Zapfstelle zu holen. Die Fischer benutzten solche Eimer, um ihre Gerätschaften zu reinigen. Damit konnten die Schuhe gesäubert und der Schwall des Erbrochenen gründlich entfernt werden. Das wars! Kurz darauf huschte ein undefinierbarer Schatten vorbei an den Überwachungskameras in Richtung Innenstadt.

1 Sonntag, 18.10.2015

Oliver Thornton machte sich bereit. Gewissenhaft kontrollierte er die Seile und Bandschlingen und schnallte sich mit routinierten Griffen den Klettergurt um die Hüfte. Dann überprüfte und befestigte er daran die Haken, die er benötigte, um einen kleinen Felsbrocken am Gwin Point, einer Felsformation am Küstenstreifen, der Goddards Head genannt wurde, sicher zu besteigen. Es war einer der leichtesten Felsabschnitte, eine Kletterstelle an der Steilküste oberhalb der Bucht von Trevadlock, eher langweilig für einen geübten Kletterer, wie er es war. Für heute hatte er jedoch versprochen, Henri dort die ersten Klettergriffe in freier Natur zu zeigen.

Henri Duchet war Anfang Oktober in Trevadlock eingetroffen. Der junge Franzose war etwas älter als Oliver und absolvierte in dem luxuriösen B&B oberhalb der Bucht von Trevadlock ein Jahrespraktikum, bevor er im nächsten Jahr die Hotelfachschule besuchte. Henris Vater, ein Hotelbesitzer aus Toulouse, hatte dieses Arrangement mit der Eigentümerin von Trevadlock Manor, Lydia Lynn, getroffen. Henri war davon nicht sonderlich begeistert. Er selbst wäre viel lieber in seiner Heimatstadt geblieben, seiner gewohnten Umgebung, bei seinen Freunden. Er war in diesem sehr abgelegenen Dorf sehr unglücklich. Die Leute waren zwar alle ganz nett und die Arbeit angenehm, aber außer Oliver gab es hier niemanden in seiner Altersgruppe und der war leider meistens nur an den Wochenenden anwesend.

Henri besaß zwar schon einen Führerschein, aber kein eigenes Auto. Es gab eine regelmäßige Busverbindung nach Herlingpool, der nächstgelegenen Stadt, aber bis zur Haltestelle war es ein Fußmarsch von fast drei Kilometern. Er saß also hier fest und langweilte sich in seiner freien Zeit. Lydia, seine Chefin, hatte zwar angeboten, ihm ab und zu ihren Wagen zu leihen, aber da er in der Stadt niemanden kannte, fuhr er selten dorthin. Bis jetzt war Oliver der einzige Lichtblick.

Schnell hatten sich die beiden Jungen angefreundet, zumal Oliver gut verstand, wie Henri sich fühlte. Auch er war vor eineinhalb Jahren aus seinem gewohnten Umfeld gerissen worden, als seine Mutter von Bristol nach Truro versetzt worden war und die ganze Familie dort hinzog. Eine Zeit lang hatte er sich dort einsam und verlassen gefühlt, bis er die Vorteile des Lebens in Küstennähe entdeckte. Seine Eltern, im Allgemeinen sehr vorsichtig und immer ängstlich um die Sicherheit ihrer Kinder bedacht, hatten sich dazu bekannt, in ihrer Jugend gesurft und gebouldert zu haben. Also sprach nichts dagegen, dass seine Schwester Miriam und er diese Sportarten ebenfalls ausprobierten. Während Miriam gerne auf dem Surfbrett stand, vornehmlich in den Sommermonaten, begeisterte er sich rund ums Jahr mehr für das Klettern. Die felsige Küstenlandschaft hier in West Cornwall war bekannt für seine idealen Kletterbedingungen und inzwischen hatte er sich zu einem wirklich guten Kletterer entwickelt. Oliver war nicht der typische Jugendliche, der mit Freunden in der Stadt herum hing oder Stunden vor dem Computer verbrachte. Ihn zog es hinaus in die Natur, das Klettern war für ihn eine schöne Freizeitbeschäftigung, seine wahre Leidenschaft lag aber im Bereich Botanik und Meereskunde.

Dank der Bekanntschaft seiner Mutter, Detective Chief Superintendent Lizzy Thornton, mit den Besitzern von Trevadlock Manor, hatte er im vergangenen Sommer nach Abschluss der Secondary School bei dem dortigen Naturschutzwart Will Mateland ein Praktikum absolviert. Das stärkte seinen Wunsch, später einen Beruf zu ergreifen, der seine Leidenschaften mit dem Aufenthalt in der Natur vereinte. Nun besuchte er die Sixth Form, um einen möglichst guten A-Level Abschluss zu bekommen, damit er später an einer erstklassigen Universität studieren konnte. An den Wochenenden und während der Schulferien hielt er sich regelmäßig in Trevadlock auf, wohnte bei Will und ging ihm bei der Arbeit zur Hand. Er gehörte mittlerweile fest zu der kleinen Gemeinschaft, die hier lebte.

Diesmal würde Oliver nicht nur am Wochenende hier sein, sondern auch während der gesamten kommenden Woche. Es waren Herbstferien und er wollte die gesamte Zeit über bei Will wohnen und mitarbeiten.

Henri hatte am letzten Wochenende Oliver beim Klettern zugeschaut und war fasziniert von der Art, wie locker und geschmeidig dieser sich im Felsen bewegte. Das würde er auch sehr gerne lernen! Auf sein Bitten hin hatte Oliver versprochen, ihm die Grundlagen beizubringen und heute war es so weit. Außerdem planten sie, nach der Klettertour nach Herlingpool zu fahren, um dort ein paar Bekannte von Oliver zu treffen. Vielleicht fand er dort etwas Anschluss!

Jetzt gerade half Oliver ihm, den Sicherheitsgurt anzulegen. Er erklärte ganz genau, wie wichtig der richtige Sitz und das Festzurren des Gurtes waren und warum es Sinn machte, sich immer gegenseitig zu kontrollieren.

„Routine kann tödlich sein,“ sagte er nachdrücklich. „Man denkt, alles ist o.k., weil man es ja regelmäßig macht und dann vergisst man trotzdem eine Kleinigkeit, die total wichtig ist. Darum sollte man auch nie allein klettern!“

Er deutete auf einen ungefähr viereinhalb Meter hohen Felsbrocken.

„Das ist unser Ziel für heute.“

Henri verzog das Gesicht. So hatte er es sich nicht vorgestellt. Oliver, der ihm seine Enttäuschung ansah, grinste.

„Es ist der ideale Übungsfelsen,“ erklärte er seinem neuen Freund. „Alle vier Seiten haben eine andere herausfordernde Stelle. Ich zeige dir zuerst die leichteste Seite und du versuchst, mir alles genau nachzumachen. Achte auf die Stellen, auf die ich trete und an denen ich mich festhalte.“

***

„Hast du daran gedacht, für Professor Conti ein Zimmer zu reservieren?“

Marvin Lynn betrat mit gerunzelter Stirn und dem Gästebuch in der Hand das große helle Zimmer im vorderen Bereich von Trevadlock Manor, in dem seine Frau Lydia ihr Büro eingerichtet hatte. Er hatte keinen Eintrag gefunden, dabei war er sicher, mit Lydia die Unterbringung seines persönlichen Gastes abgesprochen zu haben.

„Die regulären Zimmer waren alle schon ausgebucht. Darum habe ich beschlossen, ihn oben in einem der neuen Räume unterzubringen. Offiziell will ich sie zwar erst in einem Monat in Betrieb nehmen, aber die Handwerker sind fertig und nachdem Henri schon eines der Zimmer bezogen hat, haben Britta und er bereits angefangen, die nächsten Zimmer einzurichten. Ich dachte, das geht. Er ist doch eher ein privater Gast, er kommt doch auf deine Einladung hin.“

Marvin war erleichtert. Er freute sich seit Wochen auf den Besuch des Kunstprofessors aus Rom, den er vor einigen Monaten zufällig kennen gelernt hatte. Professor Conti war ein begeisterter Fan von Dominic Robertsen, dem weltbekannten Maler, dessen Agent, Galerist und bester Freund Marvin war.

Sie hatten lange gebraucht, um einen passenden Termin für Contis Besuch zu finden, schließlich konnte dieser nur während der vorlesungsfreien Zeit die weite Reise nach Cornwall machen. Geplant waren mehrere Treffen mit Dominic sowie einige Museumsbesuche in der Region.

„Das ist ausgesprochen nett von dir. Du wirst ihn mögen. Er ist ganz anders, als man sich einen italienischen Kunstprofessor vorstellt.“

„Nun, nachdem du ihn mir damals beschrieben hast, mit seinen gefärbten bunten Haaren und den Piercings im Ohr, bin ich tatsächlich gespannt auf ihn. Er kommt am Donnerstag, sagtest du?“

„Ja, wir habe verabredet, uns in der Galerie zu treffen. Er will sich am Flughafen einen Mietwagen nehmen, schrieb er mir, damit er flexibel ist für Unternehmungen in der Region. Er kann mir dann mit seinem Mietwagen hierher folgen. Ich glaube, er ahnt nicht, wie abseits seine Unterkunft liegt.“

„Meinst du nicht, er hat sich unser B&B und seine Lage im Internet angeschaut?“

Lydia fand es wunderbar, sich heutzutage im Internet die Welt anzuschauen. Daher war sie immer wieder erstaunt, wie wenig Marvin darüber nachdachte. Er zuckte nur mit den Schultern.

„Ich glaube, selbst wenn man es am Computer sieht, kann man sich nicht vorstellen, wie weit es tatsächlich mit dem Auto hier hinunter ist. Wir sind es gewöhnt, aber ich habe erst vor ein paar Tagen einen deiner Gäste darüber reden hören.“

„So, so. Was hat er denn gesagt?“

Lydia, die immer ein wenig auf Distanz zu ihren Gästen ging, sah ihn fragend an.

„Es war Mr Hinton . Er hat sich bitter bei Britta beklagt, dass er eine Viertelstunde von der Kreuzung oben an der Hauptstraße bis hier hinunter gebraucht hat. Sein Wagen habe zahlreiche Kratzer bekommen, weil ihm einmal ein Lieferwagen entgegengekommen ist und er ausweichen musste. Dabei ist er wohl heftig an einer Hecke entlanggeschrammt. Er sagte, und ich zitiere: Hätte ich vorher über diesen schrecklichen Weg Bescheid gewusst, ich hätte hier nicht gebucht.“

Lydia war verblüfft und auch ein wenig erschrocken. Seit der Eröffnung ihres luxuriösen B%Bs im Frühjahr hatte sich ihres Wissens noch nie ein Gast beschwert. Die meisten meinten zwar, die Fahrt hinunter nach Trevadlock sei eine Herausforderung, die Mühe aber wert. Viele versprachen bei ihrer Abreise, wiederzukommen und tatsächlich hatte sie in diesem Jahr schon drei Buchungen von Gästen für den nächsten Sommer. Es war eben diese abgelegene Lage, von der alle begeistert waren.

Trevadlock Manor, ein kleineres, aber trotzdem imposantes Herrenhaus, lag inmitten eines Naturschutzgebiets. Von den meisten Zimmern aus hatte man einen Blick auf das Meer und den alten Garten. Der Garten war kurz nach dem Bau des Manors angelegt worden, im frühen 20.Jahrhundert, zugänglich nur für die Bewohner und Gäste des Hauses. Der landesweit bekannte Küstenwanderweg verlief ein paar hundert Meter vom dort entfernt und die Bucht von Trevadlock mit seinem kleinen Sandstrand erreichte man in zwei Minuten zu Fuß. Wenn man schwimmen wollte, konnte man direkt in Badekleidung hinuntergehen.

Lydia war enttäuscht von der Reaktion Mr Hintons . Aber Britta hatte schon angedeutet, er sei ein etwas schwieriger Gast. Seine Frau dagegen genoss es, im Garten spazieren zu gehen oder in Ruhe auf einer der Bänke dort zu sitzen und ein Buch zu lesen. Ihr war anzumerken, dass ihr das Gemecker ihres Mannes peinlich war.

„Warum fährt er auch so ein großes Auto,“ meinte Lydia trotzig.

Marvin schaute sie verwundert an. Normalerweise war sie nicht so dünnhäutig und ignorierte Nörgler. Seit einigen Tagen war sie ungewöhnlich nervös. Sie schlief schlecht und er war in den letzten Nächten mehrmals wachgeworden, weil sie aufgestanden und zu ihrer kleinen Tochter Mara ins Zimmer geschlichen war.

In diesem Moment wurden sie unterbrochen. Hendrix, ihr mittlerweile sieben Jahre alter dreifarbiger Border Collie, stürmte schwanzwedelnd ins Zimmer. Aufgeregt versuchte er Lydia dazu zu bringen, vom Schreibtischstuhl aufzustehen und ihm zu folgen. Aus dem hinteren Teil des Hauses, wo sich Küche und Wirtschaftsräume befanden, hörten sie fröhliche Stimmen und Gelächter. Marvin und Lydia schauten sich an und beschlossen, dem nachzugehen.

In der großen Küche trafen sie neben ihrer Hausdame Britta und der kleinen Mara auch das junge Paar aus Zimmer drei an. Hendrix stürmte aufgeregt voran zu einem auf dem Boden stehenden Karton, aus dem leises Miauen zu hören war. Mara hielt sich an der Kante fest und schaute mit großen Augen hinein. Als Hendrix seine Nase in den Karton steckte, wurde aus dem Miauen ein deutlich hörbares Fauchen und Mara lachte begeistert auf.

„Ein kleines Kätzchen“, erklärte Britta überflüssigerweise. „Jill und Pete haben es verlassen in dieser Kiste oben an der Bushaltestelle gefunden. Können wir es bitte behalten?“

Britta, eine junge deutsche Witwe lebte seit einem halben Jahr bei ihnen. Zuerst als Gast und inzwischen als unentbehrliche Mitarbeiterin in Lydias B&B, war sie ihnen schnell zur Freundin geworden.

„Ich hatte als Kind eine Katze. Ich kümmere mich auch um sie,“ versprach sie wie ein kleines Mädchen, dass seine Eltern von einem Haustier überzeugen wollte.

Lydia hob das winzige Tier aus dem Karton, um es genauer zu betrachten. Es war mehrfarbig, in der Hauptsache rotbraun mit schwarzen und weißen Flecken und einer ganz entzückenden sternförmigen Blesse auf der Stirn.

„Nun, ich denke, wir können hier ganz gut einen Mäusefänger gebrauchen,“ sagte sie. „Vorausgesetzt, Hendrix ist einverstanden.“

Sie ging mit dem Kätzchen auf dem Arm in die Hocke und ließ den Hund schnüffeln. Er wedelte begeistert mit dem Schwanz und als ob das Kätzchen ahnte, dass es auf den Hund ankam, stupste es den großen Hund mit dem Köpfchen an und fing leise an zu schnurren.

„Das ist schon mal geklärt,“ lachte Lydia. „Ich schätze es ist sechs bis acht Wochen alt.“

Eine genauere Untersuchung ergab, dass es sich um ein weibliches Tier handelte, und nach kurzer Diskussion wurde es auf den Namen „Tessa“ getauft.

Lydia, die zwar reichlich Erfahrung mit Hunden besaß, aber sich noch nie um ein Kätzchen hatte kümmern müssen, sah Britta fragend an.

„Was muss ich alles besorgen, damit es sich bei uns wohlfühlt? Ich könnte nachher in den großen Tierladen in Herlingpool fahren.“

„Heute?“ Britta schaute sie erstaunt an, aber dann fiel es ihr wieder ein. Anders als in Deutschland, ihrer Heimat, waren in England die meisten Geschäfte sonntags geöffnet. Sie überlegte einen Moment, dann sagte sie: „Sie braucht ein Katzenklo für den Anfang, mit gutem Streu, denn sie sollte eine Weile im Haus bleiben, um sich an uns zu gewöhnen. Dann solltest du Kittenfutter mitbringen. Und ein Shampoo gegen Flöhe, wir müssen sie noch heute damit baden. Außerdem muss sie bald zum Tierarzt. Der muss nachschauen, ob sie Würmer hat und ihr die Grundimpfungen verpassen. Ich denke, das wird das Wichtigste sein.“

Lydia schaute auf das kleine Fellbündel. So ein Aufwand für dieses winzige Tier. Aber was sein musste, sollte auch getan werden.

„Gut, dann fahre ich gleich los und besorge das Nötigste. Ich rufe morgen auch direkt bei Dr Hurst an und mache einen Termin. Ich denke, wir verpassen Hendrix auch etwas gegen Flöhe. Sicher ist sicher.“

Sie warf Marvin einen fragenden Blick zu. Dieser nickte lächelnd und wandte sich an seine Tochter. „Was meinst du? Möchtest du auch ein Kätzchen haben? Du musst ganz vorsichtig damit sein. Komm, halt ihm mal zum Schnuppern deinen Finger hin.“

Mara lehnte sich an Marvins Bein an und schob zaghaft ihren Finger zum Schnäuzchen. Das kleine Tier schnupperte ebenso zaghaft an dem dargebotenen Finger und dann hielt es dem Mädchen den Kopf zum Streicheln hin. Mara quietschte vor Begeisterung, als sie das zarte Fell fühlte.

„Dann ist das auch klar. Mara mag Tessa auch. Am besten wir bringen sie erst einmal nach oben in unsere Privaträume und stellen die Kiste in unser Bad. Wenn sie dann nachher gebadet ist, kann sie sich dort eingewöhnen.“

„Soll ich die Einkäufe erledigen?“ bot Marvin an. „Ich wollte gleich sowieso in die Galerie, dann musst du nicht extra losfahren.“

„Gute Idee. Danke!“ Lydia war froh über diesen Vorschlag. So blieb ihr mehr Zeit, sich mit Mara und Tessa zu beschäftigen. Sie setzte den Neuzugang zurück in den Karton und trug ihn, gefolgt von Britta und Mara nach oben, wo sie Ende vergangenen Jahres eine Wohnung abgetrennt hatten. Hier fand ihr Privatleben statt, mittendrin im B&B und doch eine eigene kleine Welt, ein gemütlicher Rückzugsort für sie als Familie.

***

‚Wie schön und zugleich praktisch, endlich wieder einen Mann im Haus zu haben,‘ dachte Edith Felbrun, als sie ihrem Freund James das Marmeladenglas zum Aufschrauben reichte. Sie schaute bewundernd auf seine kräftigen Hände, die fast mühelos den Deckel aufdrehten, an dem sie fast verzweifelt war.

„Was hast du heute vor?“ fragte sie, während sie sich mit ihrem Becher Tee in der Hand zu ihm an den Frühstückstisch setzte. Es war Sonntag und es war James‘ freier Tag. Sie selbst arbeitete im Schichtdienst in einem Seniorenheim und heute begann ihre Arbeit erst am frühen Nachmittag, so dass sie gemeinsam das ausgiebige Frühstück genießen konnten.

„Ich denke, ich gehe ein wenig Spendensammeln,“ antwortete er, während er sich genüsslich ein Stück von der Bratwurst abschnitt und es in den Mund schob.

„Ich war lange nicht in den Geschäften auf der Greenmarket Street. Vielleicht kann ich dort irgendwo eine Spendenbox aufstellen. Ich habe an Lynns Galerie gedacht und an das neue Geschäft dort gegenüber.“

„Das ist eine Freundin von Ann.“ Edith legte die Stirn in Falten und dachte nach, bis ihr der Name des Geschäfts einfiel.

„‘Simply Nature‘, genau, so heißt der Laden und er gehört Rebecca Bregman. Sie war zusammen mit Ann auf der Gesamtschule und auch auf dem College. Sie sind schon lange befreundet.“

„Genau, und da Ann bei uns im Verein aktiv ist, hoffe ich bei ihrer Freundin einen Fuß in die Tür zu bekommen.“

„Da sei aber vorsichtig. Ich bin mir nicht sicher, ob das eine so gute Idee ist. Ich meine, die Erwähnung ihres Namens. Ann hat es sich in letzter Zeit mit so vielen Leuten verdorben, möglicherweise sind Rebecca und sie inzwischen keine Freundinnen mehr,“ warnte sie ihn.

„Klar, bin ich das.“ Er zog eine Grimasse.

„Langsam muss ich mir wirklich eine Liste anlegen mit allen Leuten, denen deine Tochter schon vor den Kopf gestoßen hat. Aber hoffentlich hat sie es sich noch nicht mit Marvin Lynn oder seiner Frau verdorben. Mrs Lynn ist immer so großzügig, wenn es um Spenden für unsere Station geht.“

„Ich glaube, Mrs Lynn ist da ziemlich unempfindlich. Sie war schließlich diejenige, die Ann erst auf den Gedanken gebracht hat, sich für den Umweltschutz einzusetzen und diese HPF-Gruppe zu gründen. Rebellisch war sie ja immer, aber seit sie sich für den Schutz des Meeres einsetzt, ist es noch schlimmer geworden. Mrs Lynn war als Lehrerin immer sehr geduldig mit ihr. Ob sie es inzwischen schon bereut?“

James Brunner zuckte mit den Schultern. Er wollte jetzt gerade nicht über die Tochter seiner Freundin reden, sondern sich sein ausgiebiges, warmes Frühstück schmecken lassen, dass Edith ihm zubereitet hatte.

Ann war der einzige Haken an ihrer Beziehung. Er leitete seit einigen Jahren die stationierte Abteilung der Royal National Lifeboat Institution. Sie war eine sehr engagierte Rettungsschwimmerin in seinem Team beim RNLI, ausdauernd im Training, bereit ein kalkulierbares Risiko einzugehen und jederzeit willig, Standdienst bei Wohltätigkeitsveranstaltungen zu machen. Bei so einer Gelegenheit hatte er ihre Mutter Edith auch kennengelernt, beim großen Herbstfest im letzten November. Sie hatte mehrere Kuchen zum Verkauf gebacken und den gesamten Erlös gespendet, immerhin fast 100 Pfund.

Es wunderte ihn regelmäßig, wie eine so ruhige, freundliche und zurückhaltende Frau eine Tochter wie Ann hervorgebracht hatte. Denn so gut Ann auch in ihrem Einsatz für den RNLI war, sie verursachte regelmäßig Ärger im Team. Einige jüngere Helferinnen hatte sie bereits vergrault. Ihre Art, immer auszusprechen was sie dachte, war oft grob und beleidigend. Sie kommandierte gern und war rechthaberisch, selbst dann, wenn sie im Unrecht war. Die Männer im Team schenkten ihren Ausbrüchen meistens nicht viel Aufmerksamkeit, die jungen Mädchen waren dem aber selten gewachsen.

Er selbst war auch schon mehrmals mit ihr aneinander geraten, allerdings erst, seit er sich mit ihrer Mutter traf und in letzter Zeit noch öfter, da er inzwischen bei ihnen eingezogen war. Sie kritisierte ihn neuerdings bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Anfangs ging es dabei nur um Kleinigkeiten, die ihm egal waren und die er ignorierte. Dann hatte sie versucht, ihn hinter seinem Rücken bei ihrer Mutter schlecht zu machen. Vor einiger Zeit erst hatte sie beim Abendessen aus heiterem Himmel gefragt, mit wieviel Geld er sich am Haushalt beteiligte. Die Frage hatte ihn überrumpelt.

„Mit mehr als Du,“ war seine Antwort gewesen. Später hatte Ann ihre Mutter bedrängt, ihr genauere Auskunft darüber zu geben und als diese sich weigerte, es ihr zu sagen, hatte sie getobt und gesagt, sie fände es schon noch heraus. Edith und er waren übereingekommen, Ann nicht zu erzählen, dass er die gesamte Miete und alle Nebenkosten für das kleine Haus am Stadtrand übernommen hatte. Sie sollte nicht wissen, dass ihre Mutter nun mehr Geld zur eigenen Verfügung hatte, denn sonst würde sie sicherlich auch mehr Taschengeld fordern, da waren er und Edith sich sicher.

Seit diesem Vorfall hatte sie ganz langsam und subtil begonnen, das Team gegen ihn aufzustacheln. Sie redete nur noch selten mit ihm, beobachtete ihn jedoch mit Argusaugen und einem Blick, der ihm manchmal einen Schauer über den Rücken jagte. Er musste vorsichtig sein, soviel war ihm klar. Unbewusst schüttelte er den Kopf. So konnte es nicht weitergehen.

Edith war offenbar in Gedanken immer noch beim Spendensammeln.

„Ich habe vor ein paar Tagen auf der Arbeit gefragt, ob ich eine Sammelbox von euch am Empfang aufstellen darf, aber meine Chefin hat es nicht erlaubt. Sie meinte, die alten Leutchen würden sich dann bedrängt fühlen. Sie hat mir sogar verboten, mit ihnen über den RNLI zu sprechen. Als Pflegeperson besäße ich ihr Vertrauen und hätte zu viel Einfluss auf sie.“

„Ist schon ok. Mach‘ dir keine Gedanken darüber. Ich werde jedenfalls heute ein paar Stunden unterwegs sein. Danach werde ich möglicherweise noch ein wenig trainieren.“

Seit einigen Monaten trainierte er ausgiebig für einen Wettbewerb der Canoeing Lifeguards, der im nächsten Jahr stattfinden sollte und für den er sich bereits angemeldet hatte. Er besaß drei verschiedene Kanus, die er in einem Schuppen am Leuchtturm von Bray lagerte und mit denen er mindestens einmal pro Woche eine Tour entlang des Küstenstreifens machte, egal bei welchem Wetter. Die British Canoeing Lifeguards Gesellschaft hatten sich zum Ziel gesetzt, eine auf Paddelbooten basierende Wasserrettung zu entwickeln. Sie planten auf Dauer ein solches Angebot an belebten Stränden Großbritanniens vorzuhalten. Die dafür ausgebildeten Kanufahrer und Rettungsschwimmer sollten auch befähigt werden, eine Reihe von Sicherheits- und Erste-Hilfe-Kurse für interessierte Freizeitpaddler anzubieten. In Rahmen ihrer Vereinstätigkeit führten sie jährliche Wettbewerbe durch, bei denen die Sicherheitsstandards und -fähigkeiten ihrer Mitglieder getestet wurden. James hatte vor, beim nächstjährigen Wettbewerb einen der ersten Plätze zu belegen.

Er schob den letzten Bissen Rührei in den Mund und wischte sich anschließend mit dem Handrücken darüber. Auch etwas, was Ann an ihm schon kritisiert hatte!

„Warum musst du dir ausgerechnet einen Mann ohne Tischmanieren ins Haus holen?“ Ihre Worte waren scharf und gezielt beleidigend gewesen.

Sie wusste genau über seine Herkunft aus dem ärmsten Teil der Stadt Bescheid. Egal, er schob die unangenehmen Gedanken beiseite. Edith war es wert, sogar ihre grässliche Tochter in Kauf zu nehmen.

Er stand auf, küsste seine Lebensgefährtin ausgiebig und leidenschaftlich, strich in Gedanken an die letzte Nacht über ihren Po, wünschte ihr einen angenehmen Arbeitstag und machte sich gut gelaunt auf den Weg, um möglichst viele Spendendosen in der Stadt zu verteilen.

***

Edith blieb noch eine Weile am Tisch sitzen. Was für ein Glück sie doch mit James hatte! In seiner Nähe fühlte sie sich sicher und geborgen, nicht nur wegen seiner körperlichen Kraft. Endlich hatte sie wieder jemanden an ihrer Seite, mit dem sie ihre Sorgen genauso teilen konnte, wie ihre Freuden. Die letzten Jahre waren sehr anstrengend gewesen, hatten sie ausgelaugt. Die viele Arbeit, nur um über die Runden zu kommen, alle Entscheidungen allein zu treffen, nur um Ann eine schöne, möglichst unbeschwerte Kindheit und Jugend mit einer guten Schulbildung zu bieten. Der Wunsch, ihrer Tochter ein besseres Leben zu ermöglichen, hatte an ihren Kräften gezehrt. Anns Vater war zwei Wochen nach der Geburt seiner Tochter verschwunden, hatte sich einfach aus dem Staub gemacht. Seitdem gab es keinen Raum für einen Mann in ihrem Leben, bis James in ihr Leben getreten war. Dank ihm fühlte sie sich endlich wieder als Frau, lebendig und geliebt.

James Brunner gingen ähnliche Gedanken durch den Kopf. Auch er fühlte sich in Ediths Gegenwart lebendig und geliebt. Sie war das absolute Gegenteil von seiner ersten Frau Monica. Sie hatte ihn nach 12 Jahren Ehe verlassen, wollte nicht verstehen, wie wichtig ihm seine Arbeit für den RNLI war und hatte ihn schließlich vor die Wahl gestellt, sich zwischen seiner Arbeit und ihr zu entscheiden. Inzwischen lebte sie in Exeter, mit einem langweiligen Buchhalter als Freund, der ihr seine gesamte Freizeit widmete.

Wenn Ann nicht wäre, sein Glück wäre vollkommen. Er wurde nicht schlau aus ihrem Verhalten. War die junge Frau eifersüchtig? Etwas an ihrem Verhalten ihm gegenüber beunruhigte ihn. Er konnte nicht genau sagen, was es war, hatte aber den Eindruck, sie suche nach einer Möglichkeit, ihm zu schaden. Lange würde er sich ihre Gemeinheiten nicht mehr gefallen lassen. Was sie nicht wusste, war, er war schlauer als sie.

Ann selbst arbeitete nicht regelmäßig. Ab und zu nahm sie Aushilfstätigkeiten an, verscherzte es sich aber schnell mit ihren Arbeitgebern. Inzwischen hatte sie in dieser Hinsicht keinen guten Ruf in der Stadt. Sie hatte einen guten Abschluss am College gemacht, sich danach aber nicht um eine weitere Ausbildung bemüht. Sie hätte ohne weiteres studieren können, wollte aber nicht fort von ihrer Mutter. Stattdessen steckte sie seit über einem Jahr ihre ganze Energie in diesen Verein, Herlingpool Plastic Free.

Ein Vorfall ein paar Tage zuvor hatte ihn nachdenklich werden lassen. Nach einem intensiven Training mit Rettungsbooten und -schwimmern am Strand von Trevadlock hatte er das ganze Team noch auf ein Pint ins Pirat Inn. eingeladen. Ann, die sonst normalerweise nie mitkam, hatte es nach einer Weile geschafft, allein mit ihm am Tresen zu stehen und hatte ihm ihrerseits ein Bier spendiert. Als er mit ihr anstieß, um sich zu bedanken, sagte sie plötzlich:

„Weißt du eigentlich, dass dich kaum jemand aus dem Team leiden kann? Sie respektieren dich und dein Engagement, aber ansonsten finden sie dich alle ziemlich ordinär, arrogant und herrschsüchtig.“

Ihr Tonfall war vollkommen ruhig und gelassen, fast freundlich, als würde sie über das Wetter reden. James schaute sie verblüfft an. Ihm fehlten die Worte, mit so einer Attacke hatte er überhaupt nicht gerechnet. Er war immer der Meinung gewesen, die Leute um ihn herum würden ihn mögen, so wie er war. Er blickte in die Runde. Die anderen Teammitglieder waren entweder in angeregter Unterhaltung oder hatten sich die Dartpfeile geschnappt, um einen freundschaftlichen Wettkampf auszutragen. Das konnte doch nicht sein! Er überlegte, was er ihr Antworten könnte, aber sie war offenbar noch nicht fertig mit dem, was sie ihm sagen wollte.

„Ich habe keine Ahnung, was Mom an dir findet,“ sagte sie gerade, „aber ich bin sicher, sie wird dich schnell leid werden. Da wird dir auch das viele Geld nicht helfen, dass du ihr gibst, wo auch immer du es hernimmst.“

James merkte, wie ihm der Mund vor Staunen offen blieb. Er brauchte ein paar Sekunden, bis er sich fasste und fragte:

„Woher weißt du, wieviel ich ihr gebe? Sie hat es dir bestimmt nicht erzählt.“

„Ich habe so meine Quellen.“ Ann blieb wage, stellte eine gleichgültige Miene zur Schau, aber innerlich jubelte sie. Es war ein Schuss ins Blaue gewesen und an seinem Gesichtsausdruck konnte sie ablesen, dass sie getroffen hatte. Einen Satz zum Abschluss konnte sie sich nicht verkneifen.

„Ich weiß, was du hier beim RNLI verdienst, das kann man überall nachlesen. Ich vermute, du hast noch eine andere Einnahmequelle. Ich meine, du musst schließlich noch für deine Ex Unterhalt zahlen.“

Sie wandte sich zum Gehen, zückte aber noch schnell ihre Geldbörse und kramte ein Pfundstück heraus. Sie ließ es in die Spendenbox auf dem Tresen fallen, grinste ihn hämisch an und verließ den Pub.

Inzwischen war er schon fast an seinem ersten Ziel angekommen. Ediths Haus lag zwar am Ortsrand, aber es waren nur etwas mehr wie dreißig Minuten Fußmarsch bis zum Hafen. Er genoss die frische Luft, der Tag war ungewöhnlich mild für die Jahreszeit und die Bewegung vertrieb seine Gedanken an Ann. Sein Büro lag über der Halle, in der die Rettungsboote untergebracht waren und obwohl er offiziell heute seinen freien Tag hatte, ging er hinauf. Er schnappte sich einen großen Stoffbeutel, ironischerweise mit einem Werbeaufdruck von ‚HPF‘ und stopfte fünf Spendendosen unterschiedlicher Größe hinein. Die wollte er heute Vormittag alle gut unterbringen und die Galerie von Marvin Lynn in der Greenmarket Street war das erste Geschäft auf seiner Liste. Wie er bereits Edith gesagt hatte, Lynns Frau Lydia war eine großzügige Spenderin des RNLI und auch neulich, als sie eine ihrer wöchentlichen Übungen in der Bucht von Trevadlock abhielten, hatte sie ihm nicht nur fünfzig Pfund als Spende zugesteckt, sondern das gesamte Team mit heißem Tee und Sandwiches versorgt, die sie aus ihrem B&B hinunter an den Strand getragen hatte.

Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass es sonntags in den Geschäften der Stadt viel ruhiger zuging als während der Woche. Auch waren die Inhaber oft selbst anwesend, damit ihre Angestellten einen freien Sonntag hatten. So konnte er ihnen persönlich sein Anliegen vortragen. Meist stand am Ende ihrer Gespräche die Spendendose gut sichtbar neben der Kasse und es steckte auch schon ein Geldschein darin.

***

Ann Felbrun gab sich große Mühe, vorsichtig die Haustür aufzuschließen. Sie war sich nicht sicher, ob James zu Hause war. Sein Wagen stand zwar in der Einfahrt, aber manchmal, bei schönem Wetter so wie heute, ging er zu Fuß in die Stadt oder ins Büro. Ihre Mutter arbeitete in dieser Woche im Spätdienst, würde also erst nach zehn zurückkommen. Sie hatte keine Lust James jetzt zu begegnen, hier, in ihrem Zuhause. Warum war er nicht in seiner eigenen Wohnung geblieben?

Vor drei Monaten hatte ihre Mutter stolz und glücklich verkündet, dass James Brunner bei ihnen einziehen würde.

„Wir wollen so viel Zeit wie möglich miteinander verbringen,“ hatte sie ihr erklärt, als sie Anns fassungslosen Blick bemerkte.

„Aber das könnt ihr doch. Deshalb muss er sich doch nicht mit seinem Krempel hier breit machen. Ihr kennt euch doch noch nicht einmal seit einem ganzen Jahr.“

Ann hatte ihre Mutter wütend und ungläubig angeschaut. Mit einer solchen Entwicklung hatte sie überhaupt nicht gerechnet. Sie hatte die Bekanntschaft des Leiters der örtlichen Seenotrettung mit ihrer Mutter anfangs ganz nett gefunden. Sie selbst tat seit ihrer frühen Jugend regelmäßig Dienst als freiwillige Rettungsschwimmerin, trainierte hart unter seiner Leitung und hoffte insgeheim, eines Tages so weit zu sein, dass sie auf dem großen Boot bei Einsätzen mitfahren durfte. Wenn ihre Mutter mit ihm befreundet war, käme sie sicher schneller an ihr Ziel, hatte sie damals gedacht. Auch als die Beziehung intensiver wurde, störte es Ann noch nicht besonders. Solange ihre Mutter für sie verfügbar war, wann immer sie es wollte, war sie zufrieden.

„Wie ich schon sagte, wir wollen mehr Zeit miteinander verbringen. Sich treffen, ausgehen, mal bei ihm und mal bei mir übernachten, das reicht uns einfach nicht. Durch meinen Schichtdienst komme ich doch oft abends spät nach Hause, da mag ich nicht mehr rausgehen. Oder wenn ich Frühdienst habe, da muss ich früh schlafen gehen, damit ich morgens überhaupt aus dem Bett komme. Wenn James hier einzieht, wird das alles viel einfacher für uns.“

„An mich denkst du wohl gar nicht?“ Wütend war sie aus dem Zimmer gerannt und hatte die Tür so fest hinter sich zugeschlagen, dass sogar der Türrahmen wackelte.

Erst am Abend hatte sie sich etwas beruhigt. Den ganzen Tag über legte sie sich im Geiste Argumente zurecht und war dann zu ihrer Mutter ins Wohnzimmer gegangen.

„Gönnst du mir nicht ein wenig Glück?“ hatte ihre Mutter gefragt, als sie ihre Vorbehalte gegen seinen Einzug deutlich zum Ausdruck gebracht hatte.

„Das hat mit gönnen nichts zu tun. Wir haben es doch schön hier, nur wir beide.“ Ann hatte sich neben ihre Mutter aufs Sofa gesetzt, und sie in den Arm genommen. Sie wollte keine Veränderungen in ihrem Umfeld. Sie war noch ein Baby gewesen, als ihr Vater sie verlassen hatte, war es gewöhnt, ihre Mutter ganz für sich allein zu haben. Für James war hier kein Platz.

Leider stieß sie zum ersten Mal in ihrem Leben bei ihrer Mutter auf echten Widerstand. Sie entwand sich Anns Umarmung und rückte ein Stück von ihr ab. Der Blick, mit dem ihre Mutter sie bedachte, verhieß nichts Gutes.

„Es ist mein Haus, mein Leben und ich werde endlich an mich denken. Du bist erwachsen. Wenn du weiter hier leben möchtest, dann musst du dich damit abfinden.“ Die Antwort kam klar und sehr bestimmt, fast wie eingeübt.

„Das hast du doch von ihm! So gemein hast du noch nie mit mir gesprochen.“ Anns störrischer Gesichtsausdruck wich dem blanker Wut. Sie stürmte aus dem Zimmer, schnappte sich ihre Jacke und rannte aus dem Haus. Wohin? Egal, einfach laufen und nachdenken. James mochte bei ihnen einziehen, das war wohl nicht zu verhindern, aber wie lange er bleiben würde, das würde man ja noch sehen!

Als sie Stunden später nach Hause zurückkehrte, lag das Haus im Dunklen. Ihre Mutter war tatsächlich schlafen gegangen, ohne wie üblich auf sie zu warten.

Jetzt schlich sie leise ins Haus, um unbemerkt zu bleiben. Ein Blick auf die Garderobe und das Sammelsurium von Schuhen darunter genügte. Sie erkannte, dass weder James noch ihre Mutter zu Hause waren. Das war eine echte Erleichterung! Im Augenblick wollte sie nichts lieber als allein sein, denn sie war immer noch wütend über den Streit mit dem Bürgermeister vorhin am Bahnhof. Was hatte er an einem Sonntagvormittag dort verloren? Manchmal hatte sie das Gefühl, er wäre gezielt auf der Suche nach ihr, um ihre Aktivitäten zu stören.

Mit viel Mühe hatte sie im Laufe der letzten Woche den Text für ein neues Flugblatt entworfen. Die Vorderseite zierte ein Foto des Küstenwanderwegs. Es war nur ein kleiner Ausschnitt des Weges, dreihundert Meter, wie eine eingefügte Skala zeigte. Darauf waren zahlreiche Stellen mit roten Kringel versehen und die Stellen als Vergrößerung eingefügt. Sie zeigten die Gegenstände, die von den Wanderern achtlos in die Landschaft geschmissen wurden: leere Wasserflaschen, gebrauchte Papiertaschentücher, Kaffeebecher, Zigarettenkippen, verschiedene Plastikverpackungen von Süßigkeiten oder Sandwiches.

Die andere Seite enthielt einen deutlichen Aufruf:

Sie war an diesem Morgen schon früh mit einem Stapel dieser Flugblätter zum Bahnhof gegangen. Um kurz vor acht sollte der Nachtzug aus London eintreffen und sie war fest entschlossen, so viele wie möglich davon an die ersten Touristen, die eintrafen, zu verteilen.

Anfangs verlief alles reibungslos und als alle Flugblätter ausgegeben waren, lief sie schnell nach Hause, erstellte weitere Kopien und eilte zurück zum Bahnhof, nur um zur Mittagszeit erneut dort zu stehen und den nächsten Ankömmlingen ihre Botschaft in die Hand zu drücken. Sie war gerade dabei, einem interessierten junge Paar mit Rucksäcken ihr Anliegen genauer zu erklären, als ihr jemand unsanft von hinten auf die Schulter tippte.

„Wenn sie nicht sofort aufhören, Leute zu belästigen, rufe ich die Polizei!“

Ann drehte sich wütende um.

„Nehmen sie ihre korrupten Finger weg,“ zischte sie, als Bürgermeister Tamblyn nach den Flugblättern in ihrer Hand griff.

Er ließ jedoch nicht los und Ann trat ihm mit aller Kraft auf den Fuß. Er jaulte kurz auf und löste dabei seine Finger von den Papieren.

„Das wird Folgen haben,“ schnauzte er sie an, vor Wut puterrot im Gesicht.

„Ich werde Sie wegen Körperverletzung anzeigen. Zeugen gibt es ja genug.“

Er blickte sich um, aber sowohl das junge Paar als auch die anderen Menschen auf dem Bahnsteig hatten keine Lust, sich in diese Streiterei hineinziehen zu lassen und waren weitergegangen.

„Ha, da haben Sie Pech.“

Ann hatte jetzt Oberwasser und lachte ihn aus. Es war nicht das erste Mal, dass sie mit Martin Tamblyn aneinander geriet.

Tamblyn, angestachelt von dem Spott in ihrer Stimme, war nicht bereit, aufzugeben. Er winkte einem Mitarbeiter des Bahnhofs zu, der mit betont unbeteiligter Miene etwas abseits stand.

„He, Sie, kommen Sie mal her und entfernen Sie diese Dame vom Bahnhofsgelände,“ rief er so laut, dass der Mann ihn nicht überhören konnte.

Gemächlich kam dieser näher und fragte höflich:

„Gibt es ein Problem?“ als wäre ihm der Streit entgangen. Er kannte sowohl Ann als auch den Bürgermeister, die er beide nicht mochte, wobei er Tamblyn schlimmer fand als die junge Frau.

„Diese Flugblätter dürfen hier nur mit Genehmigung der Bahnbehörde verteilt werden,“ klärte Tamblyn ihn auf. „Wenn Ms Felbrun,“ er deutete mit dem Zeigefinger auf Ann, „kein derartiges Dokument vorweisen kann, müssen Sie sie vom Gelände verweisen.“

„Ist schon gut, ich verschwinde.“ Ann wusste, wann sie aufgeben musste. Sie packte die Flugblätter in ihre große Tasche. Immer diese Genehmigungen!

„Es gibt genug Stellen, an denen ich weitermachen kann.“

„Sie sind eine Schande für unsere Stadt.“ Tamblyn war noch nicht fertig mit ihr. „Es gibt Menschen, die arbeiten für ihren Lebensunterhalt. Sie dagegen leben auf Kosten ihrer schwer arbeitenden Mutter. Suchen Sie sich endlich eine nützliche Tätigkeit, Sie kleine Schnorrerin.“

Das tat weh! Ann war durchaus bewusst, dass ihr volles Engagement für HPF nur möglich war, weil sie immer noch umsonst im Haus ihrer Mutter lebte. Aber ihre Mutter war einverstanden mit dem, was sie tat, hatte sich noch nie beschwert, geschweige denn darauf gedrängt, sie solle eine bezahlte Arbeit annehmen.

‚Schnorrerin‘! Ann ging diese Beleidigung nicht aus dem Sinn, während sie die Treppe hinauf in ihr Zimmer stapfte. Was bildete der Kerl sich nur ein? Zum Glück gab es auch Menschen, die sie für ihr Engagement bewunderten. Erst neulich hatte sie mit einigen Mitgliedern der Gruppe zusammen gesessen und überlegt, wie sie ihre Aktivitäten ausweiten könnten. Oliver Thornten, ein neues Mitglied von HPF, wollte heute Abend zum sonntäglichen Treffen der Gruppe dazustoßen und einen Freund mitbringen.

Sie zählte die restlichen Flugblätter, während sie überlegte, wie sie den Rest des Tages verbringen wollte. Sie hatte einhundert Stück ausgedruckt, von denen jetzt noch dreiundvierzig übrig waren. Das würde reichen, es war jetzt also nicht nötig, noch mehr davon herzustellen. Für heute hatte sie genug getan, beschloss sie. Morgen wollte sie sich am späten Nachmittag an den Hafen stellen, wenn dort die Fischer ihren Fang ausluden. Da kamen immer zahlreiche Touristen, um Fotos zu machen. Hafenidylle! Keine Ahnung hatten die! Die Männer leisteten Schwerstarbeit, von Idylle war das weit entfernt.

Während sie ihre warmen Sachen gegen einen bequemen Jogginganzug wechselte, knurrte ihr Magen laut und vernehmlich. Sie ging hinunter in die Küche, um sich etwas zu Essen zu machen. Hoffentlich hatte der gefräßige James noch etwas von dem leckeren Nudelsalat übrig gelassen, den ihre Mutter gestern Abend zubereitet hatte. Wie ausgehungert hatte er ihn in sich hineingestopft, dazu ein paar Bratwürste. Es war widerlich, ihm beim Essen zusehen zu müssen! Dieser Mann hatte keinerlei Manieren, das musste ihm mal jemand sagen.

Zu ihrer Freude fand sie noch eine ganze Portion abgedeckt im Kühlschrank. Sie steckte die letzten zwei Toastscheiben aus dem Brotkasten in den Toaster, nahm sich den Nudelsalat und ein großes Stück Käse mit an den Tisch. In Ruhe genoss sie dort ihre kleine Mahlzeit und blätterte in der Sonntagszeitung, die noch vom morgen dort lag.

Eine halbe Stunde später hörte sie Schritte den Weg zur Haustür entlang kommen. Schnell steckte sie das letzte Stück Käse in den Mund und verschwand hinauf in ihr Zimmer.

***

James hörte die Zimmertür oben zuschlagen, als er Jacke und Schuhe auszog. Also war Ann zu Hause. Er ging in die Küche, um sich einen Tee zu kochen und noch etwas von dem leckeren Salat zu essen, der im Kühlschrank auf ihn wartete. Er sah die leere Schüssel auf dem Tisch stehen, die Toastkrümel drumherum verstreut, eine leere Käsepackung, auf der sich eine Fliege breit machte und das dreckige Besteck. Er hatte schon die Türklinke in der Hand, um nach oben zu rufen, Ann solle ihr Zeug wegräumen, als er sich besann. Das war typisch, er wurde für seine Manieren kritisiert, aber Ann behandelte ihre Mutter viel respektloser und gute Manieren konnte er beim besten Willen an dieser Unordnung nicht erkennen. Aber er wollte keinen Streit vom Zaun brechen. Wenn Edith nachher nach Hause kam, sollte sie es sich gemütlich machen können und nicht zwischen zwei Fronten geraten. Ann entwickelte sich immer mehr zum Störfaktor zwischen Edith und ihm. Natürlich war ihm bewusst gewesen, dass sie seinen Einzug hier nicht so einfach hinnehmen würde, aber mit so viel Widerstand hatte er nicht gerechnet. Er kannte sie schon so lange, war im Gegensatz zu vielen anderen immer gut mit ihr ausgekommen, aber jetzt verging kein Tag ohne Streit mit ihr. Des lieben Friedens willen räumte er den Tisch frei, das benutzte Besteck und Geschirr in die Spülmaschine, die leere Käseverpackung in den Müll, wischte über den Tisch und kochte sich eine große Kanne Tee. Er musste nachher noch einmal los, etwas Persönliches erledigen. Da konnte er ebenso gut vorher in den Pub gehen und dort eine Kleinigkeit essen. Edith würde spät heimkommen und müde ins Bett fallen.

***

Es dämmerte schon, als die beiden Jungen einige Stunden später oben an den Felsen ihre Ausrüstung zusammenräumten. Henri war durchgeschwitzt und verwundert darüber, wie schnell die Zeit vergangen war. Er wollte gerade ansetzten, sich bei Oliver zu bedanken, als dieser ihn anschubste und mit gestrecktem Arm aufs Wasser deutete.

„Schau‘ mal, das Segelboot! Es scheint genau auf die Küste zu halten. Ob es wohl dort am Strand ankern will? Warum fährt es nicht in einen Hafen?“

Henri zuckte mit den Schultern. „Vielleicht wollen die Leute allein sein.“

Tatsächlich ließ das Boot kurze Zeit später seinen Anker zu Wasser. Offenbar war außer einem einzelnen Mann niemand an Bord.

„Ich weiß nicht, ob das überhaupt erlaubt ist.“ Oliver warf erneut einen neugierigen Blick in Richtung Segelboot, während er gekonnt das letzte Seil aufwickelte und es ordentlich in seinem Rucksack verstaute. „Hoffentlich denke ich daran, Will zu fragen. Aber der ist heute unterwegs. Komm, es wird Zeit, wir müssen uns noch frisch machen und dann auf nach Herlingpool.“

Henri schaute noch einmal auf den unscheinbaren Felsen, der ihm heute so viel Schweiß gekostet hatte, dann folgte er seinem Freund den Küstenweg entlang hinunter in die Bucht von Trevadlock und ins Manor House.

„Was sind das für Leute, mit denen wir uns heute treffen?“ fragte Henri, als sie sich in Lydias alten Geländewagen auf den Weg in die Stadt machten. Ihm taten zwar alle Knochen weh von den ungewohnten Bewegungen beim Klettern, aber das sollte ihn nicht daran hindern, etwas Spaß zu haben. Was machten junge Leute in seinem Alter hierzulande? Oliver war ganz anders als seine Freunde zu Hause.

„Es ist eine Gruppe von Umweltaktivisten,“ erklärte Oliver. „Du hast doch neulich das Flugblatt gesehen, in dem dazu aufgerufen wird, bei Spaziergängen Müll einzusammeln. Das ist nur ein Teil ihres Anliegens. In der Hauptsache wollen sie Plastik vermeiden und das Meer vor Vermüllung schützen. Ihre Anführerin ist Ann, sie ist unglaublich engagiert. Du wirst sie nachher kennenlernen. Ich bin gespannt, ob sie versuchen wird, dich für die Mitarbeit in der Gruppe zu gewinnen.“

„Das klingt jetzt nicht gerade nach Spaß“. Henri war enttäuscht. Er hatte sich einen lustigen Abend vorgestellt, vielleicht mit einer Runde Billiard spielen in einer Kneipe, und ein paar Gläsern Bier . Kein ordentliches Besäufnis, in der Art, wie die französische Presse die Wochenenden englischer Jugendlicher beschrieb, schließlich musste er fahren, aber das ein -oder andere Glas wollte er sich gönnen. Er hatte sogar gehofft, etwas Gras kaufen zu können. Meine Güte, wie lange hatte er schon nichts mehr geraucht. Zuhause verfügte er über eine verlässliche Bezugsquelle, aber hier war es ihm bisher nicht gelungen, an einen Joint zu kommen.

„Warte ab, sie sind alle ganz nett. Und ich habe auch etwas, was deinen Laune bestimmt heben wird.“ Oliver zog eine kleine Dose aus der Jackentasche und öffnete sie.

„Aber das ist für später, wenn wir wieder zurück sind aus der Stadt.“

Den Geruch, der aus der Dose stieg, erkannte Henri sofort und grinste.

„Wo hast du das denn her?“ Er konnte es gar nicht fassen. Der unschuldige kleine Oliver mit der Polizisten-Mutter!

„Hab im Sommer ein paar kleine Pflänzchen gezüchtet,“ klärte dieser ihn auf. „Will hat mir beim Ernten und Trocknen geholfen. Super sauberer Stoff, ungestreckt. Wir haben fast zehn Marmeladengläser voll in Wills Vorratsraum stehen. Er passt auf, dass ich mir nur an Wochenenden etwas für den Eigenbedarf nehme. Ich glaube, alle in der Bucht wissen davon, drücken ein Auge zu und lassen mir den Spaß. Ich bin mir nicht sicher, ob nicht sogar meine Mutter Bescheid weiß und mich in Ruhe lässt, solange Will aufpasst. Bei ihr weiß man nie.“

Henri schüttelte ungläubig den Kopf.

„Und deine Freunde? Rauchen die auch?“

„Nur zwei von ihnen, und das auch nur selten. Ann ist eine strickte Gegnerin von Drogen aller Art. In ihrer Gegenwart und auch vorher sollten wir es nicht tun. Sie riecht den Stoff sofort und ich habe einmal erlebt, wie sie deswegen einem Bekannten gegenüber richtig ausgeflippt ist. Ich glaube, es hat etwas mit ihrem früheren Freund zu tun. Der hatte im Rauschzustand einen Unfall und ist gestorben. Genaueres weiß ich aber auch nicht. Ich kannte ihn nicht, bin erst später zu der Gruppe gestoßen, aber Lydia, deine Chefin kannte ihn. Er war einer ihrer Schüler am College gewesen. Durch sie, beziehungsweise durch ihr eigenes Interesse am Umweltschutz ist die Gruppe überhaupt erst entstanden. Sie unterstützt sie auch immer noch.“

Henri, der nicht wusste, dass Lydia früher Lehrerin gewesen war, hob fragend die Augenbrauen.

„Das sie bezüglich Umweltschutz ziemlich extrem drauf ist, habe ich schon gemerkt. Was hat sie unterrichtet? Warum hat sie aufgehört?“

Oliver zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Aber dass sie aufgehört hat, hat was mit Mara zu tun, glaube ich. Und mit dem B&B. Hab nie gefragt. Ist doch auch egal. Pass auf, da kommt gleich der Pub in dem wir uns mit den anderen treffen. Dahinter ist ein Parkplatz, da kannst du drauffahren.“

Sie stellten den Wagen ab und gingen hinüber ins ‚Pirate Arms‘. Ein paar wenige Leute saßen bereits um einen großen Tisch versammelt und eine junge blonde Frau mit einem Pagenschnitt winkte ihnen zu. Enttäuscht musterte Henri sie. Das war also die berüchtigte Anführerin von HPF. Nicht das, was er sich von der enthusiastischen Beschreibung von Oliver erwartet hatte. Das breite, flach wirkende Gesicht wurde von einer wulstigen Nase dominiert. Die Augen standen weit auseinander und auch der Mund wirkte zu breit. Aber ihre Stimme war angenehm und sie begrüßte ihn freundlich.

Während die Jungen sich an den Tisch setzten, fuhr sie fort, den anderen zu erzählen, was ihr heute bei der Verteilung ihrer Flugblätter am Bahnhof widerfahren war.

Eine Stunde später hing Henri an ihren Lippen, fasziniert von ihrer Begeisterung und auf dem besten Weg, sich in sie zu verlieben.

Ann war angenehm überrascht. Sie hatte sich von Olivers Freund nichts weiter als einen möglichen Unterstützer erhofft. Der junge Franzose war etwa in ihrem Alter, schätzte sie. Er hörte zu ihrer Freude sehr aufmerksam zu und stellte auch sinnvolle Fragen. Offenbar gab es auch in Frankreich Menschen, die sich für Umweltschutz und den Erhalt der Meeresqualität interessierten. Außerdem entgingen ihr seine bewundernden Blicke nicht, ebenso wenig wie sein Versuch, mit ihr zu flirten. Insgeheim musste sie lächeln. Ihr tat es gut, auch mal als Frau wahrgenommen zu werden.

Es war schon dunkel, als die beiden Jungen aus der Stadt zurückkehrten. Sie stellten Lydias Wagen vor der Garage ab und gingen langsam den Weg zurück hinunter zur Bucht. Dort, an dem kleinen Strand, setzten sie sich auf einen der größeren Felsbrocken, drehten sich einen Joint und schauten rauchend den Wellen zu.

„Und, was hältst du von meinen Freunden?“ Oliver war Henris Begeisterung für Ann nicht entgangen.

„Nett,“ Henri nahm einen tiefen Zug von seinem Joint und reichte ihn an Oliver weiter.

„Aber ohne Ann wäre die Gruppe nichts. Man spürt richtig, wie sie alle mitreißt. Sie hat die richtigen Argumente, aber da ist noch mehr. Es ist,“ er suchte nach dem richtigen Wort. Sein Englisch war zwar ziemlich gut, aber hier ging es darum, ein Gefühl auszudrücken, da wurde es etwas kompliziert. „Sie brennt innerlich. Und das Feuer ist ansteckend.“

„Dich hat es ganz schön erwischt, glaube ich.“ Oliver lachte kurz auf. Er war zwar auch überzeugt, dass Ann die treibende Kraft von HPF war, fand sie aber nicht sonderlich sympathisch. Er hatte schon mehr als einmal mitbekommen, wie sie Leute abgekanzelt hatte, die eigene Ideen vortrugen. Sie wollte immer der Mittelpunkt sein, das Sagen haben und behielt es sich vor, zu entscheiden, was für die Gruppe gut und richtig war. Ihre Freundin Rebecca, die vor kurzem erst einen kleinen Öko-Laden in der Greenmarket Street eröffnet hatte, war ihm deutlich lieber. Aber sie war, wie auch Ann, ein paar Jahre älter als er und so beließ er es dabei, Rebecca aus der Ferne anzuhimmeln.

Sie saßen noch ein Weilchen an der frischen Luft, ließen das angenehme Gefühl, leicht berauscht zu sein, auf sich wirken, und alberten herum, bis ihnen kühl wurde. Oliver machte sich auf den Weg den Hügel hinauf zu Wills Haus, und Henri begab sich auf sein Zimmer ins Manor House.

2 Montag, 19. Oktober

„Noch etwas mehr als elf Monate!“ Lydia legte den Brief der Adoptionsbehörde, der vor ein paar Tagen mit der Post gekommen war, sorgfältig vor sich auf den Schreibtisch.

Nachdem sie einige Monate zuvor unter Vorbehalt zu Maras Eltern ernannt worden waren, nagte an ihr eine ganz spezielle Sorge. Erst wenn zwei volle Jahre nach dem Tod von Maras Mutter Rosi, am 6.Oktober letzten Jahres, der Vater des Kindes noch nicht ermittelt werden konnte, würde die Adoption ohne Einschränkung wirksam.

Sie seufzte tief, drehte sich zu Marvin um, der gerade herein gekommen war. Auf seinem Weg zur Arbeit wollte er sich wie gewohnt kurz von ihr verabschieden. Sie schaute ihn unsicher an.

„Hier ist schon wieder so ein Formular, eine Erklärung, die wir ausfüllen und unterschreiben müssen! Wie oft wollen Sie uns noch fragen, ob wir wissen, wer Maras Erzeuger ist?“ Sie deutete auf den Brief.

„Wenn ich ehrlich bin, wünsche ich mir von ganzem Herzen, dass er nie ermittelt werden kann und nur wir beide ihre Eltern sind. Es ist nicht so, dass ich Mara ihren leiblichen Vater vorenthalten möchte, nur ....“ Sie stockte, weil ihr kein vernünftiger Grund einfiel.

„Aber wir wollen ihr die Wahrheit doch nicht verschweigen“, antwortete Marvin. Er trat auf sie zu und nahm sie fest in den Arm.

„Eines Tages wird sie Fragen stellen, auch die, was wir alles unternommen haben, um ihren Vater zu finden. Abgesehen davon, dass es in unserem Umfeld kaum einen Menschen gibt, der nicht über die Umstände ihrer Herkunft Bescheid weiß. Und es wird immer Gerede geben.“

„Du hast recht. Wir waren ja auch nicht untätig. Will hat sehr intensive Nachforschungen unternommen und so gut wie nichts herausgefunden.“

Will Mateland, der Naturschutzwart des Trusts Cornwall Nature South West, war nicht nur ihr Freund und Nachbar. Vor ungefähr einem Jahr war er als Privatdetektiv in die kleine Bucht von Trevadlock gekommen, um im Auftrag eines Immobilienhais Häuser und Grundstücke zu erwerben. Während dieser Zeit hatte er Lydia das Leben gerettet, als diese von ihrer Cousine Rosi, Maras leiblicher Mutter, die Felsen hinunter gestoßen worden war. Kurz darauf hatte er seinen Job für die Immobilienfirma aufgegeben, war vom Privatermittler zum Naturschutzwart geworden. Ab und zu fiel er zurück in seine alte Rolle, wenn Freunde ihn darum baten, etwas für sie herauszufinden und er war wirklich gut in diesen Dingen. Bei der Suche nach Maras leiblichem Vater war er jedoch nicht weit gekommen.

Mara war im Juni 2014 zur Welt gekommen. Im September 2013 hatte ihre Mutter, Lydias Cousine, eine Reise nach Rom unternommen und es lag nahe, dass sie sich dort auf eine Urlaubsliebschaft eingelassen hatte, die zu ihrer Schwangerschaft führte. Getrieben von einer völlig unerklärlichen Angst, man könne ihr das Kind fortnehmen, hatte sie diese Schwangerschaft verheimlicht und das Kind unbemerkt zur Welt gebracht. Nach ihrem Selbstmord einige Monate später fand man Mara bei ihr. Das Baby zog bei Lydia, ihrer einzigen Verwandten und deren Mann Marvin ein. Beide hatten jahrelang versucht, eigene Kinder zu bekommen und sie liebten das kleine Mädchen innig. Sofort setzten sie alle Hebel in Bewegung, um sie zu adoptieren.

‚Vater unbekannt‘ hatte die Behörde nach der Entdeckung des Kindes in die Geburtsurkunde eingetragen und den 10. Juni als vermeintliches Geburtsdatum festgelegt. Inzwischen war sie schon sechzehn Monate alt.

Will hatte auf Lydias Bitten hin intensive Ermittlungen betrieben. Es war ihm möglich gewesen, einige andere englische Gäste ausfindig zu machen, die zur gleichen Zeit wie Rosi im Hotel Melina in Rom gewohnt hatten. Er hatte diese Leute aufgesucht und befragt, aber das Ergebnis war sehr dürftig ausgefallen. Kaum jemand konnte sich an die unscheinbare Engländerin erinnern.

Er war im Zuge seiner Nachforschungen sogar nach Italien geflogen. Dort befragte er alle Angestellten des Hotels. Rosi hatte sich damals drei Wochen lang dort aufgehalten und einige Angestellte konnten sich beim Anblick eines Fotos auch wage daran erinnern, dass sie dort gewesen war.

Die Einzige, die ihm einen Hinweis hatte geben können, war die Rezeptionistin des Hotels. Ihr war aufgefallen, dass Rosi während ihres Aufenthaltes mehrfach von einem Mann abgeholt worden war. Sie beschrieb ihn als mittelgroß und dunkelhaarig, in Italien traf das auf den größten Teil der männlichen Bevölkerung zu. Immer dunkel gekleidet, und, so glaubte sie, mit blauen Haaren, aber das konnte auch am Lichteinfall gelegen haben, ergänzte sie. Er sei allerdings nur einmal kurz in das Hotel hineingekommen, um sie abzuholen. Meistens habe er draußen in einem Auto auf sie gewartet. Der Wagen war ein roter Alpha Romeo gewesen, mehr konnte sie Will nicht berichten. Egal, wie sehr sich Will noch bei seiner Recherche bemühte, seine Suche endete hier.

„Was dieser Mann wohl an Rosi gefunden hat?“

Lydia zog das Foto ihrer Cousine aus der oberen Schublade ihres Schreibtisches und betrachtete es forschend. Rosi war keine besondere Schönheit gewesen, aber durchaus ansehnlich. Auf die meisten Menschen in ihrer Umgebung wirkte sie unscheinbar, immer mit einem unzufriedenen Gesichtsausdruck und alles in allem nicht besonders liebenswert.

„Da wir alle in der Familie dunkle Haare haben, und mein Vater sogar braune Augen hatte, können wir noch nicht einmal daraus Rückschlüsse auf das Aussehen von Maras Vater ziehen,“ sagte sie nachdenklich.

Marvin nickte. „Und ich habe auch braune Augen. Was für ein Vorteil – so sieht man ihr wenigstens nicht an, dass sie nicht unsere leibliche Tochter ist. Du glaubst gar nicht, wie froh ich darüber bin. Aber ich denke, du machst dir zu viele Sorgen. Rosi hat das Kind vor uns allen geheim gehalten, warum sollte sie Maras Erzeuger informiert haben? Nein, nein, da kommt nichts mehr.“

Er war sehr zuversichtlich, wie immer, wenn die Sprache auf dieses Thema kam. Seine oft zu sorglose, oberflächliche und sprunghafte Art war eines der wenigen Dinge, die Lydia an ihrem Mann störte. Auch jetzt sprangen seine Gedanken in eine ganz andere Richtung.

„Hast du es schon gehört? Unser lieber Bürgermeister hat sich gestern am Bahnhof ein heftiges Wortgefecht mit deinem Schützling Ann geliefert,“ berichtete er amüsiert

Lydia schaute ihn verwundert an und hob unwillkürlich beide Augenbrauen.

„Nein. Und Ann gehört nicht zu meinen Schützlingen, das solltest du nicht durcheinander werfen. Wann war das? Was hat sie ihm diesmal an den Kopf geworfen?“

Lydias Schützlinge, das waren fünf junge Männer und Frauen aus Herlingpool und Umgebung, die mit kleineren Straftaten auffällig geworden waren und die bei ihr Rat und Hilfe suchen konnten. Sie hatte diese Aufgabe erst vor kurzen übernommen und Marvin war nicht sonderlich begeistert davon. Er hatte einige Vorurteile gegenüber jungen Straftätern und hatte insgeheim Sorge, sie könnten Lydia und damit auch ihm und Mara unangenehm nahe kommen.

Anne Felbrun jedoch war eine von Lydias ehemaligen Schüler:innen in der letzten Politikklasse, die sie am College unterrichtet hatte. Lydias Vorträge über den fehlenden Umweltschutz in England, besonders das mangelnde Bewusstsein darüber in Cornwall, hatten Ann zu einer überaus aktiven, umtriebigen Umweltschützerin gemacht. Ihr Hauptaugenmerk lag auf der Vermüllung des Meeres durch Plastik und dem dringenden Bedürfnis, dem ein Ende zu setzen. Gemeinsam mit anderen Kommilitonen des damaligen Kurses hatte sie vor einiger Zeit die Gruppe ‚Herlingpool Plastic Free‘ kurz: HPF ins Leben gerufen und zahlreiche Demos durchgeführt. Regelmäßig verteilte die Gruppe unter ihrer Leitung Flugblätter in der Stadt und machte die im Sommer zahlreichen Touristen mittels Informationsständen am Bahnhof und am Hafen auf das Problem von Plastik im Meer aufmerksam. Das Interesse an ihrer Gruppe war groß, ein Teil der Einwohner Herlingpools sympathisierten mit den Zielen der jungen Frau und ihren Mitstreitenden. Dank vieler Informationen und Gesprächen hatten sich inzwischen sogar einige Geschäftsleute darauf verständigt, keine Plastiktüten mehr an ihre Kunden auszuhändigen. Das berühmte Zitat des weltbekannten Pioniers in der Meeresforschung, Jacques Yves Cousteau, war auf fast einem Dutzend Schildern in den Schaufenstern der Stadt zu sehen.

„Während des größten Teils der Geschichte musste der Mensch gegen die Natur kämpfen, um zu überleben; in diesem Jahrhundert beginnt er zu begreifen, dass er sie schützen muss, um zu überleben.“