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Julian und Felix, zwei fünfzehnjährige Jungen, zelten wie schon viele Male zuvor auf einer kleinen Insel im Grünhainer See. Es ist Juli, die Sonne scheint. Aber am zweiten Tag zieht ohne jede Ankündigung ein unheimliches Gewitter auf. Der Blitz schlägt in die Insel ein und sie werden ohnmächtig. Als sie wieder zu sich kommen, ist alles anders. Alle sind weg, ihre Eltern, ihre Freunde. Ihre ganze Stadt ist verlassen, Häuser zerstört. Sie ahnen noch nicht, dass sie in das größte Abenteuer ihres Lebens geraten sind. Begleitet Julian und Felix bei ihrer Reise auf der Suche nach Antworten und einem Weg, wieder zu ihren Eltern zu kommen.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
Prolog
1 Ein Gewitter, das alles verändert
2 Wo sind denn alle hin?
3 Endlich ein paar Antworten
4 Zu Fuß über die Autobahn
5 So viele Menschen!
6 Sind wir verrückt?
7 Neue Freunde
8 Wir sind in der Zeitung!
9 Retter
10 Was leuchtet denn da?
11 Held
12 Schule kann Spaß machen?
13 Recherchen
14 Hoffnung
15 Sprung ins Ungewisse
Epilog
“Tom, schau mal.”
“Was gibt’s, Marie?”
“Die Werte hier. Das sieht auffällig aus”
Tom studierte die Anzeigen auf dem großen Display an der Wand. Im Kontrollraum des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung in Göttingen herrschte die übliche Betriebsamkeit.
Marie holt ein Live-Bild der Sonne hervor. So weit man von “Live” sprechen konnte. Das Licht benötigte immerhin etwa acht Minuten, um die Erde zu erreichen.
“Die Aktivität nimmt zu”, stellte sie fest. “Da ist eine schnelle Verschiebung in den Sonnenfleckengruppen. Das könnte ein Flare der Klasse X werden.”
Tom schaute ernst. “Du hast recht.”
“Kollegen”, rief Tom dann laut in den Raum. “Wir haben hier ein Ereignis. Klasse-X-Flares. In ein paar Tagen müssen wir uns auf Störungen einstellen.”
“Die Simulation zeigt deutliche Auswirkungen auf das Erdmagnetfeld”, fuhr Marie fort. “Das könnte Auswirkungen auf GPS und die Satelliten-Kommunikation haben. Vielleicht sogar auf das Stromnetz.”
Der Team-Leiter trat an die Gruppe heran. “Alarmiert die zuständigen Stellen”, sagte er mit ruhiger Stimme. “Die Fluggesellschaften müssen sich auf Flugausfälle einstellen. Wenn das Ereignis eintritt, könnte die Navigation der Flugzeuge gestört werden.”
Er drehte sich zu Tom und Marie um. “Wann?”
Tom tippte auf der Tastatur. “Genau können wir es noch nicht sagen. Aber …” Er schaute Marie an. “Wir schätzen Freitag oder Samstag. Morgen wissen wir mehr.”
Der Leiter nickte. “Gut. Behaltet es im Auge. Morgen bitte unaufgefordert einen Bericht. Wir müssen mit möglichst genauer Zeitangabe warnen. Wir wollen keine Panik bei der Bevölkerung auslösen.”
***
“Wir können es jetzt genauer eingrenzen”, verkündete Marie am Dienstag abend.
Der Team-Leiter schälte sich aus seinem Büro und gesellte sich zu seinem Team.
“Also die Simulationen sagen, es wird am Samstag passieren. Irgendwann zwischen dreizehn und vierzehn Uhr.”
“Gute Arbeit”, lobte ihr Chef. “Bitte die Schätzung an die bekannten Stellen weiter geben”, bat er die anderen. “Und ihr rechnet weiter”, sagte er zu Tom und Marie gewandt. “Je genauer wir den Zeitpunkt wissen, desto besser.”
Sie nickten und machten sich wieder an die Arbeit. Es würden wohl ein paar Überstunden anfallen.
Mit einer mächtigen Staubwolke brachte Julian sein Fahrrad zum Stehen. Seit Wochen hatte es nicht mehr geregnet, alles war knochentrocken. Und ein Ende war nicht abzusehen. Felix, der gerade den Fahrradanhänger an sein Fahrrad montierte, hustete.
“Bist du bekloppt?”, fragte Felix. “Wirbel doch nicht so viel Dreck auf.” Er schüttelte den Staub aus seinen blonden Haaren.
“Sorry”, entschuldigte sich Julian. “War keine Absicht. Ich habe das Gewicht vom Anhänger nicht berücksichtigt.”
“Alles dabei?”
“Klar. Schlauchboot, Schlafsack, ein paar Konserven, den Gaskocher, zehn-Liter-Kanister mit Wasser, Chips, Cola und das solarbetriebene Ladegerät für die Handys”, zählte Julian auf.
“Perfekt. Zelt habe ich im Anhänger, das Chemie-Klo, zwei Töpfe, ein bisschen was Süßes, was zum Frühstücken, Spielkarten, Luftmatratzen und Schlafsack und natürlich auch einen zehn-Liter-Kanister. Sieht aus, als wär alles bereit für den Ausflug. Hast du auch Sonnencreme, du rothaariges Bleichgesicht?”
“Klar. Aber tu nicht so, als wenn du keine brauchen würdest. So braun bist du auch nicht.”
Felix streckte Julian wie ein Zehnjähriger die Zunge heraus.
Felix’ Mutter kam aus dem Haus.
“Guten Tag, Frau Sternbach”, begrüßte Julian sie artig.
“Guten Tag, Herr Becker”, antwortete sie formvollendet. “Seid ihr bereit für die Insel?”
“Aber sowas von!”
“Dann wünsche ich euch viel Spaß. Bis Sonntag!” Sie gab ihrem Sohn noch einen Kuss auf die Stirn. Julian grinste breit.
Sie schwangen sich auf ihre Räder und strampelten los. Mit dem Gewicht der Anhänger war das gar nicht so einfach. Zum Glück war der Weg zu ihrem Ziel nicht allzu hügelig. Wie bereits zweimal in diesem Jahr - im Mai und Ende Juni - fuhren sie zum Grünhainer See. Das war eine Strecke von ungefähr zehn Kilometern. Das sollte in einer dreiviertel Stunde zu schaffen sein. In der Mitte des Sees befand sich eine kleine Insel, vielleicht tausend Quadratmeter groß, mit ein paar Bäumen. Hier zelteten sie, seit sie vor zwei Jahren dreizehn Jahre alt geworden sind, drei- bis viermal pro Jahr, immer von Freitagnachmittag bis Sonntagmittag. Sie genossen die Ruhe dort, Schwimmen im See und einfach an nichts denken müssen. Bisher wurden sie dort nie von anderen gestört. Offenbar hatte sonst niemand Interesse daran, dort zu zelten.
Julian hatte seine Bluetooth-Box an das Fahrrad gebunden. Er verband es mit seinem Handy und so konnten sie während der Fahrt Musik hören. Auf dem schmalen Radweg mussten sie wegen der breiten Anhänger hintereinander fahren, eine Unterhaltung war somit nicht möglich. Sie brauchten ohnehin die gesamte Puste, um die einzelnen kleinen Steigungen zu bewältigen.
Nach vierzig Minuten hatten sie ihr Ziel erreicht. Sie stellten ihre Fahrräder hinter dem Parkplatz ab, der zum Restaurant am See gehörte. Julian öffnete seinen Anhänger und holte ein Paket heraus, es war das selbstaufblasende Schlauchboot. Er legte es am Rand des Sees auf den Boden und betätigte das Ventil, damit es sich aufblasen konnte. Während es zur vollen Größe anwuchs, schraubte er die jeweils drei Teile der beiden Paddel zusammen.
“Das Boot ist fertig, lass uns umpacken”, forderte er Felix auf.
“Jawohl, Herr Kapitän”, flachste Felix.
Sie holten alles aus den Anhängern heraus und legten es in das Schlauchboot. Dann schlossen sie ihre Fahrräder und die Anhänger mit Ketten am Geländer fest. Hier konnte alles warten, bis der Ausflug beendet war.
Sie schoben das Boot etwas in den See. Felix kletterte in das Boot und nahm ein Paddel. Julian schob es komplett hinein und sprang dann ins Boot. Mit einem Fuß trat er dabei ins Wasser, das passierte ihm fast immer. Der Sneaker lief sofort voll und die Hose wurde bis zum Schienbein wurde nass. Mit Musikbegleitung paddelten sie zur Insel. Nach einer knappen Viertelstunde waren sie angekommen. Felix, der vorne saß, ging zum Rand des Bootes. Er wollte an Land springen und das Boot dann heranziehen. Er nahm Schwung so wie immer, sprang ab und erreichte das Land. Leider trat er dabei auf einen herumliegenden Ast. Der rollte unter seinem Fuß weg, Felix verlor das Gleichgewicht und fiel nach hinten. Mit dem Rücken prallte er gegen das Schlauchboot, das dabei zur Seite gedrückt wurde, und landete dann mit einem großen Platsch im See.
Julian lachte laut auf. “Eins A Leistung.”
“Hör auf so blöd zu lachen und hilf mir lieber.”
Julian sprang elegant an Land, zog das Schlauchboot etwas aus dem See und band es mit einem Seil an einen Baum fest. Dann ging er zur Wasserlinie, um Felix aus dem See zu helfen, nicht ohne vorher noch schnell ein Foto mit dem Handy zu machen. Julian streckte ihm die Hand hin, Felix packte sie, zog kräftig und auch Julian landete mit einem Platsch im See. Jetzt lachte Felix.
“Ey, du Honk!”, beschwerte sich Julian und versuchte Felix unterzutauchen.
Gemeinsam schafften sie es, den See zu verlassen. Sie mussten einen Baum zu Hilfe nehmen, der am Rand der Insel stand. Der Boden am Ufer fiel steil ab, das Wasser war fast einen Meter tief, und so konnte man nicht so bequem aus dem See herauslaufen, wie an dem Ufer, wo ihre Fahrräder standen.
“Na das fängt ja gut an”, meinte Felix und rieb sich das Wasser aus der Jeans. Dann zog er das T-Shirt aus und wrang es gründlich.
“Ach, hab dich nicht so. Es ist so heiß, das Zeug ist bestimmt in einer halben Stunde trocken.”
“Wahrscheinlich hast du recht. Lass uns auspacken.”
Sie zogen das Boot noch weiter an Land. Julian prüfte, dass es richtig festgebunden war. Der See hatte zwar keine nennenswerte Strömung, aber er hatte keine Lust, zurück an Land zu schwimmen. Das Zelt war schnell aufgebaut, sie waren sehr routiniert darin. Sie zupften immer wieder an den nassen Jeans, die an der Haut klebten. Die Schuhe gaben bei jedem Schritt schmatzende Geräusche von sich.
“Ich habe jetzt genug von dem nassen Zeug.” Felix stellte sich auf die Plastikplane, die vor dem Zelt lag und zog sich bis auf die Unterhose aus.
“Hey, Striptease!”, rief Julian.
“Wir sind hier ja unter uns. Also runter mit den Klamotten”, forderte Felix.
Julian gehorchte und zog sich ebenfalls aus.
“Wir hätten Ersatzklamotten mitbringen sollen”, sinnierte Julian.
“Wozu?”, fragte Felix. “Bisher haben wir die noch nie gebraucht.” Sie hängten die Sachen zum Trocknen an Ästen auf.
Sie setzten sich in Unterhosen auf die mitgebrachten Klappstühle und machten die erste Flasche Cola auf. Jeder nahm einen kräftigen Schluck und sie rülpsten dann so laut, dass es bis Grünhain zu hören gewesen sein musste. Zum Abendessen gab es etwas Brot und Mettwürste. Die solar-betriebene Kühlbox mit Akku leistete ganze Arbeit. Alles war noch wunderbar kalt und frisch. Ihre Kleidung war tatsächlich schon wieder knochentrocken und sie zogen sie an.
Nach dem Essen daddelten sie einige Zeit auf ihren Handys ihr Lieblingsspiel gegeneinander. Hier konnten sie soviel johlen und schreien, wie sie wollten, sie würden niemanden stören.
Die Sonne ging langsam unter und Julian schaltete die große Lampe, die er auf den Klapptisch gestellt hatte, ein. Ein Lagerfeuer durfte wegen der Trockenheit im ganzen Landkreis nicht angezündet werden, nicht mal direkt am See. Die Gefahr war zu groß, dass ein Baum Feuer fing.
Die Sonne war ganz untergegangen und sie entschieden sich, ins Bett beziehungsweise in die Schlafsäcke zu gehen. Morgen hatten sie noch einen ganzen Tag, um zu spielen, zu albern und zu schwimmen. Sie putzten sich noch die Zähne und schlüpften dann in Unterhosen in ihre Schlafsäcke. Die getrockneten Jeans, T-Shirts und Sneaker hatte sie ins Zelt gelegt.
Julian schloss sein Handy und die Bluetooth-Box an das Ladegerät an. An die noch freien Anschlüsse hängte Felix sein Handy und die Lampe.
“Gute Nacht”, wünschte Felix, nachdem er das Zelt verschlossen hatte.
“Gute Nacht.”
***
Sanftes Vogelzwitschern ließ Julian wach werden. Er kletterte aus dem Zelt und atmete die frische Morgenluft ein. Er putzte sich am Ufer die Zähne und zog sich dann an. Zwischenzeitlich war auch Felix aus dem Zelt gekrochen.
“Guten Morgen”, murmelte er verschlafen.
“Guten Morgen”, antwortete Julian fröhlich.
Felix putzte sich wie Julian am Ufer die Zähne. “Wie kann man so früh morgens schon so gut gelaunt sein?", brummelte er.
“Wie kann man morgens nur so brummelig sein”, antwortete Julian und bespritzte ihn mit Wasser aus dem See.
“Hey”, rief Felix und stieß Julian gegen die Schulter. Der war nicht gefasst auf den Schlag und verlor das Gleichgewicht. Wieder lag er im See.
Felix grinste mit der Zahnbürste im Mund. “Immer noch so gutgelaunt?”
“Klar! Wir wollten doch sowieso schwimmen heute.”
“Wie gestern mit Jeans, T-Shirt und Sneakern?”
“Man muss halt flexibel sein. Zieh dich an und komm rein”, forderte Julian.
“Mit dir macht man echt was mit.” Felix schüttelte den Kopf, ging dann aber zum Zelt und zog Jeans, T-Shirt, Socken und Sneaker an. Er lief zum Ufer der Insel und ließ sich dann ins Wasser fallen.
Eine halbe Stunde alberten sie herum. Sie umkreisten mehrmals die Insel. Dann bekamen sie langsam Hunger und kletterten aus dem See. Triefend nass setzten sie sich auf die Klappstühle und packten das Frühstück aus der Kühlbox. Sie hatten Brot, Marmelade, Käse und Margarine. Und natürlich Nuss-Nougat-Creme. Dazu tranken sie Kakao, den sie mit Wasser aus den Kanistern angerührt hatten.
Als sie zu ende gefrühstückt hatten, war ihre Kleidung am Körper schon wieder fast abgetrocknet. Julian schaute auf sein Handy. “Wow, gerade mal halb zehn und schon fünfundzwanzig Grad. Wird wieder warm heute.” Er blickte zum Himmel - strahlend blau, ohne eine einzige Wolke.
“Zum Glück ist Wasser zur Abkühlung ganz in der Nähe”, flachste Felix, stand auf und sprang gleich wieder in den See. Julian räumte die Sachen auf und sprang dann hinterher.
Gegen Mittag stiegen sie wieder aus dem See. Bei den ersten Schritten spritzte Wasser aus dem Schaft ihrer Sneaker. Sie ließen sich etwas trocknen und holten sich dann die Fertigmahlzeiten, die sie auf dem Gaskocher heiß machen wollten. Sie platzierten den Gaskocher auf ein paar Steinen ganz vorne am Ufer und sicherten ihn so, dass er nicht umfallen konnte. Dann machten sie sich ihr Essen warm.
Nach dem Essen legten sie sich in die Sonne. Arme und Gesicht schmierten sie sich mit Sonnencreme ein.
“Also wenn wir weiter in unseren Klamotten schwimmen, sparen wir einen Haufen Sonnencreme”, meinte Julian grinsend.
“Du bist doch echt bekloppt. Sonst schwimmen wir doch auch in den Boxershorts ”
“Du hast doch mitgemacht. Also bist du genauso bekloppt. Und schau mal”, Julian fuhr über Felix’ Jeans. “Gerade mal eine Stunde und es ist schon wieder trocken.”
“Die Socken sind aber noch nass!”
“Na so ein bisschen Abkühlung von unten schadet ja wohl nicht.”
“Weißt du, was auch nicht schadet? Ein kleines Nickerchen.” Felix schloss die Augen und grinste selig.
“Gute Idee.” Auch Julian schloss die Augen. Nach ein paar Minuten waren sie eingenickt.
Durch einen Donnerschlag waren sie mit einem Mal wieder wach. Fast zeitgleich setzten sie sich auf.
“Wo kommen die denn her?", fragte Felix und deutete auf die dunklen Wolken am Himmel.
“Keine Ahnung. Der Wetterbericht hat nichts von Wolken gesagt. Es sollte die ganze Woche Sonnenschein geben.”
“Das sieht aus, als würde es gleich regnen”, meinte Felix. “Lass uns die Sachen ein bisschen zusammen packen.”
Sie räumten alles zusammen. Alles was nicht wasserfest war, legten sie ins Zelt. Sie klappten gerade den Tisch und die Stühle zusammen, als der Himmel seine Schleusen öffnete. Es goss wie aus Kübeln, wie schon seit Monaten nicht mehr. Noch bevor sie die Möbel an einen Baum gelehnt hatten, waren sie wieder nass bis auf die Haut.
“Schon wieder klatschnass”, maulte Felix. Ein mächtiger Blitz zuckte aus dem Himmel und fast ohne Verzögerung folgte der Donnerschlag.
“Verdammt”, rief Julian. “Los, Gewitterhaltung.”
Sie suchten eine Stelle, die möglichst weit von Bäumen entfernt war. Ihr Zelt kam nicht in Frage, es stand direkt an einem Baum. In einer Kuhle hockten sie sich mit etwas Abstand hin und machten sich so klein wie nur möglich. Der Regen prasselte weiter auf sie ein. Es blitzte und donnerte gleichzeitig, das Gewitter musste direkt über ihnen sein.
Ein besonders großer Blitz schlug in den See ein. Es schien, als hätte sich der Blitz aufgeteilt und die Insel wie ein Zelt umschlossen. Als ohne nennenswerte Verzögerung der mächtige Donner dröhnte, wurden sie ohnmächtig und fielen auf den Rücken. Mit ausgestreckten Armen und Beinen lagen Julian und Felix in der Kuhle, die sich mit Regenwasser füllte. Der Regen prasselte auf Gesicht und Brust.
Felix erwachte zuerst aus der Bewusstlosigkeit. Er erhob sich aus dem Schlamm. Verwundert blickte er zum Himmel. Keine einzige Wolke. Kein Hinweis, dass es gerade ein schweres Gewitter gegeben hatte.
Er rüttelte Julian an der Schulter. Mit einem Stöhnen öffnete der die Augen.
“Was war das?”, fragte Julian.
“Keine Ahnung. So ein Gewitter habe ich noch nie erlebt.” Felix zeigte zum Himmel. “Als wäre nichts gewesen!”
“Echt merkwürdig.” Julian rieb sich die schlammigen Hände an der Jeans ab. “Jetzt hätten wir doch was zum Wechseln gebraucht.”
“Ach, den Dreck kriegen wir im See schon wieder ab. Lass uns nach dem Zelt schauen.”
Mit schweren Schritten gingen sie zum Zelt. Sah alles gut aus. Die Möbel lagen neben dem Baum, wo sie sie abgestellt hatten. Das Zelt stand noch und ihre Sachen lagen unbeschädigt und trocken darin.
“Komm, wir machen die Klamotten sauber”, schlug Felix vor. Er sprang mit einer Arschbombe in den See. Julian hinterher. Sie schrubbten sich gegenseitig den Rücken ab, dort war der meiste Schmutz. Als sie mit dem Ergebnis zufrieden waren, stiegen sie wieder aus dem See.
“Also ich glaube, meine Unterhose war bei diesem Ausflug mehr nass als trocken”, vermutete Felix.
“Inkontinent?”
“Lurch.”
Julian griff nach seinem Handy. Er wollte nachsehen, ob es schon Berichte über das merkwürdige Gewitter gab.
“Kein Empfang”, sagte er verwundert.
“Ich auch nicht”, stellte Felix nach einem Blick auf das Display fest. “Der Funkmast ist vielleicht bei dem Gewitter beschädigt worden.”
“Ja, vielleicht.” Julian ließ den Blick schweifen. “Wo ist das Boot?”
Felix’ Kopf fuhr herum. “Hast du es nicht richtig festgemacht?”
“Doch, klar.” Sie liefen an die Stelle, wo das Boot hätte sein sollen. Das Seil hing noch am Baum. Am Ende hatte es Brandspuren. “Da schau.” Julian hielt Felix das verbrannte Ende des Seils hin.
“Da!”, rief Felix und deutete in den See. Dahinten trieb ihr Boot. Julian sprang in den See und schwamm dorthin. Es war gar nicht so einfach, mit der eng sitzenden Jeans aus dem See in das Boot hinein zu kommen.
Die Paddel lagen zum Glück noch darin. Langsam paddelte er zurück zur Insel. Sie zogen das Boot ganz aus dem See heraus und banden es zusätzlich fest.
“Jetzt haut es hoffentlich nicht mehr ab”, sagte Julian triefend zu Felix.
“Dass wir keinen Empfang haben, ist echt blöd”, meinte Felix. “Ich würde meinen Eltern gern Bescheid geben, dass es uns gut geht.”
Julian nickte. “Die machen sich bestimmt Sorgen. Heute ist Samstag, ich glaube kaum, dass der Mast heute repariert wird. Das dauert bestimmt bis Montag.”
“Ja, kann sein. Wir könnten aber auch schon heute zurück fahren und nicht bis morgen warten.”
“Das machen wir! Ich glaube, wir hatten genug Abenteuer für dieses Wochenende.”
Routiniert packten sie alles zusammen. In einer knappen halben Stunde war alles im Boot und sie paddelten über den See zum Ufer, wo ihre Fahrräder standen.
Am Ufer angekommen, sprang Julian aus dem Boot. Dass er bis zu den Knien im Wasser stand, störte ihn nicht. Er war ohnehin von der Bergungsaktion noch nass. Er zog das Boot an Land und Felix kletterte heraus. Gemeinsam zogen sie das Boot ganz aus dem See.
Sie gingen zum Parkplatz, um die Fahrräder zu holen. Sie stutzten, als sie dort ankamen.
“Wo sind die Fahrräder?”, fragte Felix und deutete auf ein rostiges Geländer. Hier hatten sie Fahrräder und Anhänger angekettet.
“Sind wir an der falschen Stelle?” Julian schaute sich um. “Es sind auch gar keine Autos da.” Er deutete auf den Parkplatz. “Sah der schon immer so ranzig aus?”
Felix zuckte mit den Schultern. “Komm, wir schauen uns mal um. Wir sind bestimmt am falschen Geländer.”
Fast eine halbe Stunde liefen die das gesamte Gelände ab. Keine Fahrräder. Aber auch keine Menschenseele, keine Autos.
“Die haben doch nicht samstags Ruhetag, oder?”, fragte Julian.
“Hmm, ich meine, die haben gar keinen Ruhetag”, erinnerte sich Felix.
“Aber warum ist dann niemand hier? Es ist halb sechs. Da sind doch immer schon die ersten Gäste da. Und kein einziger Spaziergänger!”
“Wir gehen mal zum Restaurant”, schlug Felix vor.
Verwundert standen sie vor dem Eingang.
“Das sieht aus, als wäre es seit hundert Jahren geschlossen”, stellte Julian fest.
“Wir waren vor zwei Wochen hier, da war es garantiert noch offen.” Felix schaute sich fragend um.
“Es sieht so aus, als müssten wir nach Hause laufen. Hier finden wir niemanden, der uns fährt.” Julian blickte auf sein Handy. “Und Empfang habe ich immer noch keinen.”
“Wir können doch nicht das ganze Zeug nach Hause schleppen!”
“Wir packen so viel wie möglich in die Rucksäcke. Ich lasse die Luft aus dem Boot und dann verstecken wir hier alles.” Julian deutete auf ein Gebüsch.
“Uns wird wohl nichts anderes übrig bleiben”, gab Felix nach.
Sie packten die Lebensmittel aus der Kühlbox, die Lampe, den Gaskocher und das solarbetriebene Ladegerät in die Rucksäcke. Die Luft war komplett aus dem Boot abgelassen. Sie stopfen es zusammen mit den Klapp-Möbeln und den restlichen Sachen in das Gebüsch und deckten alles mit ein paar Zweigen ab.
“Auf geht’s”, forderte Julian und schwang sich seinen Rucksack auf den Rücken.
“Dann los!”, Felix hängte sich den Rucksack um und sie marschierten los.
“Ich denke mal, wir brauchen so anderthalb Stunden”, vermute Julian.
“Ja, kommt hin. Die Sonne geht um die Zeit so um halb zehn unter, also sehen wir auch im Wald noch genug.”
“Für den Notfall haben wir ja die Lampe. Du hast sie gestern ja zum Glück aufgeladen.”
“Du wärst verloren ohne mich”, lachte Felix.
Sie waren etwa eine dreiviertel Stunde unterwegs. Noch immer rätselten sie, was in den letzten zwei Wochen mit dem Restaurant “See-Terrassen” passiert sein mochte. Und wo die Fahrräder hin verschwunden waren.
“Hattest du nicht gesagt, die Sonne geht um halb zehn unter?”, fragte Julian.
“Ja. Das ist so üblich Mitte Juli.”
“Dafür ist es aber schon ganz schön duster. Es ist gerade mal viertel nach sieben. Und Wolken sind keine da.”
“Na, wir sind ja im Wald. Da ist es immer dunkler.”
“Schon klar, aber so viel? Und frisch ist es geworden.”
“Dir ist vielleicht kalt, weil du in nassen Klamotten rumläufst. Du hättest wenigstens das Wasser aus den Schuhen rauslaufen lassen sollen”
“Ja, vielleicht.”
Eine halbe Stunde später traten sie aus dem Wald und standen am Rand der Horbach, das kleine Flüsschen, das durch Grünhain floss und den See speiste. Von hier aus war es noch eine Viertelstunde bis nach Hause.
“Hier ist es auch so dunkel”, meinte Julian.
“Stimmt. Man könnte meinen, es wäre September.” Felix schaute sich um. “Alles so ruhig. Ich höre gar keinen Straßenverkehr.”
Sie gingen am Flüsschen entlang. Ein Stück weiter gab es eine kleine Brücke für Fußgänger und Radfahrer.
“Was ist denn jetzt mit der verdammten Brücke?”, fluchte Felix. An beiden Seiten standen nur die Brückenköpfe. Dazwischen war nichts.
“Kann das Gewitter schuld daran sein?”, überlegte Julian.
“Hm, vielleicht. Aber ich sehe keine Brandspuren. Und die sieht aus, als wenn sie schon lange kaputt wäre.”
“Ok. Wir haben zwei Möglichkeiten: Wir gehen weiter, in zwei Kilometern muss eine Straßenbrücke kommen. Oder wir waten einfach durch.”
“Also auf vier Kilometer Umweg habe ich eigentlich keine Lust. Egal, gibt’s halt wieder eine nasse Unterhose”, entschied Felix.
Sie nahmen die Rucksäcke ab und hielten sie sich über den Kopf. Dann stiegen sie in das Flüsschen und wateten auf die andere Seite. Das Wasser reichte ihnen bis zur Brust.
Am Ufer angekommen, warfen sie die Rucksäcke nach oben und halfen sich dann gegenseitig heraus. Mit schmatzenden Schuhen und eine Tropfspur hinter sich her ziehend liefen sie weiter in Richtung ihrer Stadt.
“Immer noch alles dunkel”, fiel Felix auf. “Man könnte meinen, hier wäre niemand.”
Julian schaute sich um. “Schau dir mal die Dächer an. Ein paar Häuser sind abgedeckt. War hier ein Sturm, oder was?”
“Sieht ganz so aus. Aber der Wetterbericht hat doch bestes Sommerwetter vorhergesagt.”
“Na, von dem Gewitter haben sie auch nichts gesagt.”
“Aber trotzdem müssten hier doch Leute sein? Die können doch nicht alle evakuiert worden sein, so schnell, oder doch?”
Julian dachte nach. “Wir gehen jetzt erst mal weiter zu dir. Euer Haus ist am nächsten. Vielleicht sehen wir dann, was passiert ist.”
Das Haus der Sternbachs befand sich am Ortsrand von Grünhain. Sie näherten sich von hinten. Im Garten lag ein umgestürzter Baum. Moos wucherte auf der oben liegenden Seite.
“Der ist doch nicht erst heute umgefallen!”, rief Felix. “Guck mal, das Moos! Bei uns gab es keinen Baum mit Moos!”
“Sind wir auf dem richtigen Grundstück?” Julian schaute sich suchend um.
“Ich weiß doch, wo ich wohne! Klar sind wir hier richtig”, war sich Felix sicher. “Mom, Dad”, rief er laut in das Halbdunkel. Keine Antwort.
Sie gingen um das Haus herum zur Haustür. Sie war nicht abgeschlossen, Felix konnte sie einfach aufdrücken. Im Haus herrschte Chaos. Möbel lagen umgestürzt herum. Trockene Blätter lagen auf dem Boden. Überall dicker Staub.
“Du kannst mir doch nicht erzählen, dass das alles heute beim Gewitter passiert ist.” Felix stellte einen Sessel auf und setzte sich. “Wo sind Mom und Dad?” Er fing an zu weinen.
Julian setzte sich auf die Lehne und legte den Arm um Felix’ Schultern. “Ich bin genauso ratlos wie du. Lass uns zu mir gehen. Vielleicht erfahren wir da was.”
Schweigend gingen sie die zwei Straßen bis zum Haus der Beckers. Niemand war auf den Straßen unterwegs. Es parkten keine Autos an den Straßen. Auch sonst waren keine zu sehen. Die Straßenlaternen waren aus. Es wurde langsam sehr dunkel. Zum Glück schien der fast volle Mond.
Am Haus der Beckers angekommen, holte Julian die Lampe aus dem Rucksack. Es war trotz Vollmond zu dunkel, um genug zu erkennen.
“Es ist doch erst kurz nach acht. Warum ist es so dunkel?”, fragte sich Julian. Er rüttelte an der Haustür, verriegelt. Sie gingen nach hinten zur Terrassentür. Auch verriegelt. Julian schaute sich um, griff einen Stein und schlug die Scheibe der Terrassentür ein.
“Bist du verrückt?”, fragte Felix.
“Ne, aber ich werde es gleich. Das ist hier doch wie im falschen Film!” Julian öffnete vorsichtig die Terrassentür. “Mama? Bist du da?”, rief er in den dunklen Raum. Nach seinem Vater musste er nicht rufen, er war kurz nach Julians Geburt bei einem Autounfall gestorben. Wie schon im Haus der Sternbachs kam keine Antwort. Julian ging die Treppe hoch zu seinem Zimmer. Als er die Tür aufdrückte, stutzte er.
“Was ist los?”, fragte Felix.
“Das ist nicht mein Zimmer!” Julian deutete mit dem Finger in den Raum.
“Wie kann das nicht dein Zimmer sein? Wir sind in deinem Haus! Ich weiß genau, wie das aussieht und wo es ist. Was für ein Zeug ist das?”
Im Zimmer standen ein paar Schränke und ein Schreibtisch. Sein Bett, seine Couch, sein Fernseher, sein Laptop - alles weg. Wütend trat Julian gegen einen Schrank. Staub aufwirbelnd brach er in sich zusammen.
Hustend rannten sie aus dem Zimmer und die Treppe herunter.
“Was machen wir jetzt?”, fragte Felix. Julian bemerkte, dass er wieder weinte.
“Wir gucken mal in der Küche, ob wir was zu essen finden”, schlug Julian vor.
In der Küche machte sich Enttäuschung breit. Absolut nichts zu essen vorhanden. Nicht einmal die Kruste eines Brotes.
“Ok, wir haben ja noch unsere Vorräte vom Ausflug”, sagte Julian. “Ich schlage vor, wir essen etwas davon, zumindest das, was ohne Kühlung nicht lange haltbar ist. Dann schauen wir, ob wir uns hier ein Lager herrichten können. Zelt, Luftmatratzen und Schlafsäcke haben wir ja am See gelassen.”
“Wenn ich das gewusst hätte”, Felix schluchzte ein wenig, “hätte ich das Zeug liebend gerne geschleppt.”
“Ich auch.” Julian nahm Felix in den Arm. “Komm, wir essen erst einmal.”
Sie aßen Brot mit Margarine und Käse. Mehr Käse als Brot, denn der Käse würde ohne Kühlung nicht lange halten. Die Kühlbox hatten sie ja auch am See gelassen. Sie tranken von der Cola, die sie mitgenommen hatten. Bald würden sie aber Wasser brauchen.
“Ich geh pinkeln.” Julian stand auf, nachdem sie gegessen hatten.
“Ich komme mit”. Felix folgte Julian durch die Terrassentür. Sie stellten sich an die Hecke und ließen den Druck ab.
In dem Raum, der das Schlafzimmer von Julians Mutter war, stand ein Doppelbett. Sogar Decken und Kissen lagen darauf. Sie trugen die Sachen nach draußen, um den Staub herunter zu schütteln. Dann legten sie sich ohne auszuziehen ins Bett und deckten sich zu.
“Ob ich überhaupt ein Auge zu kriege?”, fragte Julian leise. Er hörte Felix leise schniefen. Julian fragte sich, warum er selbst so ruhig blieb. Warum flippte er nicht aus? Seine Mutter war weg, die Eltern von Felix auch. Hier sah alles aus, als wäre es seit Jahrzehnten verlassen. Sie waren doch erst gestern weggefahren! Nach einigen Minuten Grübelei hörte er Felix leise schnarchen. Ein paar Minuten später war er selbst eingeschlafen.
Julian öffnete die Augen. Das Bett neben ihm war leer. Er stand auf und ging hinunter ins Wohnzimmer. Felix stand an der Terrassentür und schaute hinaus. Julian bemerkte, dass sich Felix mit dem Ärmel über die Augen wischte, dann drehte er sich um.
“Es war leider kein Alptraum.” Julian ging zu Felix und umarmte ihn. Felix erwiderte die Umarmung.
“Was machen wir jetzt?” fragte Felix.
Julian zuckte mit den Schultern. “Vielleicht sollten wir uns in der Stadt etwas umschauen. Wir brauchen vor allen Dingen was zu trinken.”
Felix nickte. “In der Küche habe ich die da gefunden”. Er deutete auf eine Handvoll Flaschen in verschiedenen Größen, die auf dem Couchtisch lagen.
“Das ist super!”, freute sich Julian. “Sauberes Wasser finden wir auch noch. Notfalls können wir welches aus dem Horbach nehmen.”
Sie packten die Flaschen in ihre Rucksäcke.
“Bist du das da auf dem Bild?”, fragte Felix und zeigte auf ein staubiges Foto, das gerahmt auf dem Kaminsims stand. Es zeigte einen vielleicht achtzig- oder neunzigjährigen Mann, der in einem Sessel saß. Auf dem Schoß hatte er einen zehnjährigen Jungen mit roten Haaren.
Julian schaute es sich genauer an. “Der sieht mir zwar ein bisschen ähnlich, aber das bin ich nicht. Und meine Opas sind nicht so alt geworden wie der hier. Der Papa-Opa hat den Unfall von Papa nicht verkraftet und zuviel getrunken. Und Mama-Opa hatte Lungenkrebs. Mit fünfzig.”
Sie gingen hinaus zur Straße.
“Rechts oder links?”, fragte Felix.
“Links, da geht's zur Stadtmitte. Wenn wir was finden, dann da.”
Felix nickte. Sie marschierten los. Schweigend liefen sie auf der Mitte der Straße. Sie schauten sich immer wieder um. Keine Menschen, keine Autos. Bei manchen Häusern waren die Fensterscheiben kaputt, manchen fehlte das Dach. In einer Seitenstraße musste es gebrannt haben, verkohlte Ruinen standen dort.
"Wann ist das alles passiert?” Felix schüttelte den Kopf. “Ich bin hier vorgestern noch mit dem Fahrrad durchgefahren, da war alles in Ordnung.”
“Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung. Es ist, als wären wir Jahrzehnte weg gewesen und hier hätte es eine Naturkatastrophe gegeben.”
Sie waren am Marktplatz angekommen. Wie erwartet, bot sich ihnen hier das gleiche Bild wie in den anderen Straßen.
“Da”, Julian zeigte auf ein Fachwerkhaus am Rand des Marktplatzes, “das Rathaus.” Sie gingen zum Eingang. An der Tür hingen die Reste eines Plakates. “...akuieru…umpe…” entziffern sie mühsam.
“Ich tippe auf ‘Evakuierung’”, riet Felix.
Julian nickte. “umpe, umpe” murmelte er vor sich hin. Dann hellte sich sein Gesicht auf. “Ich hab’s! Sumpen! Die Kreisstadt!”
“Ja klar.” Felix schlug sich an den Kopf. In der Jugendfeuerwehr hatte er gelernt, dass im Katastrophenfall zuerst nach Sumpen evakuiert wird.
“Das sind so zwanzig Kilometer. Bis heute Nachmittag müssten wir da sein”, schätzte Julian.
“Wenn wir über den Horbach kommen, füllen wir die Flaschen auf”, schlug Felix vor.
Julian nickte. “Aus der Leitung werden wir keins bekommen.”
Mit festen Schritten gingen sie zur Bundesstraße nach Sumpen. Am Ortsrand floss der Horbach und unterquerte die Straße.
“Die Scheißbrücke ist ja auch kaputt”, fluchte Julian.
“Ich hatte schon lange keine nasse Unterhose mehr.” Felix grinste schief.
Wieder hoben sie die Rucksäcke über den Kopf und wateten durch den Horbach. Das Wasser stand ihnen buchstäblich bis zum Hals. Sie hoben die Köpfe, damit es nicht in den Mund lief. Auf der anderen Seite legten sie die Rucksäcke ab, holten die Flaschen heraus und füllten alle mit Flusswasser. Julian nahm einen Schluck aus einer Flasche.
“Hab schon schlechteres getrunken”, urteilte er. “Sumpen hat auch einen Fluss. Da können wir dann wieder auffüllen.“
Felix nickte. Er zupfte an der Jeans.
“Das war weniger unangenehm, als wir freiwillig nass geworden sind”, meinte Julian. Felix nickte. Mit der Hand griff er sich in den Hosenbund und schob alles zurecht.
“Die nasse Unterhose kneift”, erklärte er.
“Ich hab eine Boxershorts an, die ist weiter. Da kneift nichts.”
“Dann kannst du mich bei der nächsten Flussdurchquerung ja tragen”, schlug Felix vor.
“Ne”, lehnte Julian lachend ab. “Du bist zu fett.” Felix stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen und grinste.
Er kann wieder lachen, dachte Julian etwas erleichtert. Gemeinsam schaffen wir das!
Mehr als eine Stunde waren sie jetzt auf der Straße unterwegs. Auf der rechten Seite hatten sie einen Ort passiert, Gäbelsdorf. Sie schauten zu dem Ort herunter, konnten aus der Ferne aber nichts sehen. Den Umweg zum Nachschauen sparten sie sich.
Nach einer Viertelstunde rief Felix “Da!” und zeigte mit dem Finger nach rechts. Julian folgte dem Finger. Rauch! Und er schien aus einem Schornstein zu kommen. Sie bogen auf einen Feldweg ein und gingen langsam die leichte Steigung herunter. An einer Baumreihe angekommen, rollte Felix mit den Augen. “Der Horbach.”
“Du kennst dich jetzt ja aus.”
“Es fing gerade an, etwas abzutrocknen.”
“Zieh halt die Unterhose aus, vielleicht kneift es dann weniger”, schlug Julian vor.
Felix schaute Julian skeptisch an. Dann zog er die Schuhe und die Jeans aus. Jetzt die Unterhose. Er drückte sie Julian in die Hand.
“Respekt”, sagte Julian mit Blick auf Felix’ bestes Stück.
“Ach sei still”. Felix zog die Jeans auf den nackten Hintern. “Ich hoffe, es hört jetzt auf zu kneifen."
Julian presste noch etwas Wasser aus Felix’ Unterhose und packte sie dann in eine kleine Seitentasche von dessen Rucksack. Er wollte sie später bestimmt wieder anziehen.
“Na dann.” Felix atmete tief ein und aus, hob sich den Rucksack über den Kopf und watete durch das Flüsschen. Das Wasser ging nur bis zur Hüfte. Julian ließ daher den Rucksack auf dem Rücken und folgte Felix auf die andere Seite. Das Ufer war zum Glück recht flach, so dass sie leicht herauskamen. Felix zog erst denn einen Schuh aus, ließ auf einem Bein Wasser aus ihm heraus laufen, und wiederholte das mit dem anderen Schuh. Julian tat es ihm gleich.
“Besser?”, fragte Julian.
“Nasse Jeans auf nacktem Hintern fühlt sich komisch an. Aber es kneift nicht.”
“Dann können wir ja weiter gehen.”
Nach fünf Minuten konnten sie Einzelheiten erkennen. Da wo der Rauch herkam, das war ein Bauernhof. Ein Traktor stand vor der Einfahrt.
Komisches Modell, dachte Julian.
Als sie näher kamen, öffnete sich die Tür des Hauses und ein vielleicht fünfzigjähriger Mann trat heraus. Die Jungen schauten sich glücklich an. Ein Mensch! Dann sahen sie, was der Mann in der Hand hielt. Eine Schrotflinte! Und er hob sie jetzt an und zielte auf sie.
Sofort blieben sie stehen und hoben die Arme.
“Wer seid ihr?”, fragte der Mann unwirsch.
“Wir sind Julian Becker und Felix Sternbach aus Grünhain”, rief Julian ihm zu.
Der Mann schaute sie mit zusammengekniffenen Augen an.
“Wir waren zelten auf der Insel im See, als auf einmal ein Gewitter kam und das Handy geht nicht und zuhause ist niemand und alles ist kaputt und es sind keine Leute da”, sprudelte es jetzt aus Felix.
“Nimm das Ding runter.” Eine Frau kam aus dem Haus und drückte die Schrotflinte herunter. “Das sind Kinder. Die rauben uns schon nicht aus.” Es schien sich um seine Frau zu handeln. “Kommt”, rief sie und winkte einladend. Sie rannten los und standen Sekunden später vor der Frau. Sie hatte ein freundliches Gesicht. Der Mann nicht. Er schaute sie noch immer argwöhnisch an.
“Ihr seid aus Grünhain?”, fragte die Frau. Die Jungs nickten.
“Das ist doch seit …”, sie schaute den Mann fragend an, “ … über sechzig Jahren evakuiert. Wo zum Teufel seid ihr da gewesen?”
“Seit sechzig … was?” Julian schaute die beiden mit großen Augen an.
“Ja, so wie auch die anderen Ortschaften. Die waren nicht mehr zu halten. Sagt mal, wart ihr im Kryo-Schlaf oder was? Wie kann man das nicht mitbekommen haben?”
“Wir haben vorgestern noch in der Rosenstraße gewohnt”, sagte Felix mit weinerlicher Stimme. “Das kann doch alles nicht sein.” Er vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte ungehemmt. Julian nahm ihn in den Arm.
“Vorgestern, also am Freitag, sind wir zum See gefahren”, berichtete Julian. “Wir zelten manchmal über das Wochenende auf der Insel. Und dann gestern Mittag gab es auf einmal ein heftiges Gewitter. Der Wetterbericht hatte das gar nicht angekündigt. Wir wurden ein paar Stunden bewusstlos. Wir sind dann wieder an Land gefahren und nach Grünhain gelaufen. Unsere Fahrräder waren weg. Die See-Terrassen waren geschlossen und heruntergekommen. Und die ganze Stadt war verlassen. Häuser kaputt und so.”
Die beiden Erwachsenen hatte ihm interessiert zugehört.
“Vorgestern am Freitag? Bist du sicher?”, fragte die Frau
Julian nickte. “Heute ist doch Sonntag.”
“Heute ist Freitag”, sagte der Mann.
“Vorgestern war Freitag. Wie kann heute schon wieder Freitag sein?” Julian schaute verwirrt hin und her.
Die Erwachsenen zuckten mit den Achseln. “Wir wissen, das Grünhain schon lange evakuiert ist. Ihr könnt da nicht gewohnt haben.” Die Frau schaute ihn fragend an.
“Wo denn sonst?” Julian warf die Hände in die Luft.
“Kommt erstmal rein. Ihr habt bestimmt Hunger.”
Felix nahm die Hände vom Gesicht. “Und Durst.”
Die Frau führte sie in die Küche und bot ihnen Stühle an. Sie setzen sich. Etwas Wasser wurde dabei aus den Hosen gedrückt und tropfte auf den Boden.
“Himmel, ihr seid ja klatschnass”, bemerkte sie erst jetzt. “Zieht die Sachen aus, ihr erkältet euch sonst noch. Los. Ich hole euch was trockenes.” Sie lief aus der Küche. Julian und Felix taten wie geheißen. Julian stand jetzt in Unterhose in der Küche, Felix völlig nackt. Er hielt die Hände vor sich.
Die Frau kam mit trockener Kleidung. “Unterhose aus”, befahl sie Julian. Der gehorchte. Sie zogen die Sachen an, die die Frau gebracht hatte. Passte ganz gut, für Julian etwas zu groß.
Komischer Style, dachte Julian. Sieht aus wie Plastik.
Es war aber ganz weich auf der Haut.
“So und jetzt wird gegessen. Nick!” Sie deutete auf eine Tür, vielleicht die Speisekammer, und dann auf den Tisch. “Ich hänge eure Sachen zum Trocknen auf.”
Nick tat wie befohlen und holte Brot, Würste und Käse aus der Speisekammer. Sie hörten einen Kühlschrank oder eine Kühltruhe darin laufen. Es musste also Strom geben. Dann stellte er noch zwei Flaschen mit Wasser auf den Tisch.
Gierig aßen und tranken sie. Die Frau war wieder zurück gekommen.
“Ich bin übrigens Elara. Das ist Nick, mein Mann.”
Julian und Felix lächelten die beiden mit vollen Backen an.
“Eure Geschichte ist immer noch komisch”, sagte Elara nach einem Moment.
“Wir finden komisch, was hier gerade abgeht”, sagte Julian. “Ihre beiden seid die ersten Menschen, die wir seit gestern gesehen gesehen haben.”
Elara und Nick schauten sich an.
“Am Rathaus in Grünhain haben wir ein zerrissenes Plakat gesehen. ‘Evakuierung’ und ‘Sumpen’ muss darauf gestanden haben.”
“Ja die Evakuierung war, lass mich kurz nachdenken, einundzwanzig vierundzwanzig", erinnerte sich Elara.
“Einundzwanzig vierundzwanzig was?”, fragte Julian. Er erwartete noch ein Wort, irgendwas wovon man zweitausend einhundert vierundzwanzig brauchte.
“Na, Mai einundzwanzig vierundzwanzig. Den Tag weiß ich nicht mehr.” Julian verschluckte sich und hustete. Felix schaute Elara und Nick mit großen Augen an.
“Welches Datum ist heute?", fragte er mit zitternder Stimme. Ob er die Antwort wissen wollte, war ihm selbst nicht klar.
“Der einundzwanzigste September einundzwanzig siebenundachtzig.”
Das war zuviel. Felix verdrehte die Augen und kippte zur Seite. Nick konnte ihn gerade noch auffangen, bevor er mit dem Kopf aufschlug.
“Sie wollen sagen, wir haben das Jahr zweitausend einhundert siebenundachtzig? Und es ist September? Nicht Juli?” Julian sah Elara mit großen Augen an.
Elara nickte mit gerunzelter Stirn.
“Vorgestern, als wir zum See geradelt sind … das ist über hundertsechzig Jahre her!”
“Was erzählst du da, Junge!" Nick schaute ihn verärgert an.
“Warten Sie”, bat Julian. Er holte sein Handy aus dem Rucksack. Elara und Nick schauten es mit kritischem Blick an. Er öffnete die Foto-Galerie und zeigte ein Foto von seinem Personalausweis. Das hatte er immer dabei, weil er den echten Ausweis normalerweise nicht einstecken hatte. “Da, mein Geburtsdatum, fünfter Mai zweitausendzehn. Und ausgestellt ist er zweitausend vierundzwanzig, in Grünhain.”
“Sowas mit dem Computer herzustellen ist kein Problem.” Nick starrte Julian in die Augen.
“Ich hab nix hergestellt. Das ist ein echtes Foto von meinem echten Ausweis!”
“Willst du dann sagen, dass ihr Zeitreisende seid, oder was?” Nick schaute ihn mit ungläubigen Augen an.
“Zumindest nicht mit Absicht. Das muss irgendwas mit dem Gewitter zu tun gehabt haben. So eins haben wir noch nie erlebt.”
“Das war echt komisch”, gab Nick zu. “Angekündigt war es auch nicht.”
“Das kam wie aus dem Nichts, blitzte, donnerte, und verschwand wieder.” Elara schaute Nick an. “Kann da was dran sein?”
Nick zuckte mit den Schultern. “Keine Ahnung. Für mich klingt das nach Science Fiction.”
“Das muss einfach so sein. Das würde alles erklären.”
“Außer natürlich, warum ihr durch die Zeit reist”, warf Elara ein.
“Klar, das natürlich nicht.”
“Was habt ihr denn jetzt vor? Hierbleiben könnt ihr nicht. Mehr als zwei Mäuler bekommen wir nicht satt.”
“Wir wollten nach Sumpen. Aber wenn die Evakuierung schon sechzig Jahre her ist…”
Elara schüttelte den Kopf. “Das ist doch auch schon ewig evakuiert. Die nächste Stadt, die richtig bewohnt ist, ist Neomain.”
“Neomain? Nie gehört.”
Elara dachte nach. “Warte mal … ich glaube da waren früher Frankfurt und Ofenbach oder so.”
“Frankfurt und Offenbach, ja das kenne ich, da war ich schon. Also vor hundertsechzig Jahren.”
“Das sind aber bestimmt siebzig oder achtzig Kilometer.”
“Wir sind ganz gut zu Fuß.” Julian dachte kurz nach. “In zwei Tagen können wir da sein.”
Stöhnend erwachte Felix aus der Ohnmacht. “Wo bin ich?”
“In Veilsberg”, antwortete Elara.
“Es ist ja immer noch alles so. Es ist immer noch kein Alptraum.”
“Leider nicht”, sagte Julian. “Wir müssen nach Frankfurt. Beziehungsweise Neomain, wie es jetzt heißt.”
“Was wollen wir da?”, fragte Felix.
“Da gibt es Behörden, die euch helfen können”, erklärte Elara. “Ich habe Julian … richtig?” Julian nickte. “... schon gesagt, dass ihr nicht hier bleiben könnt. Also eine Nacht schon, aber wir können euch nicht durchfüttern. Das Land gibt einfach nicht genug her. In Neomain gibt es aber Fabriken, die haben genug zu essen.”
“Vielen Dank, dass wir eine Nacht hierbleiben dürfen. Das ist mehr als wir erwarten können”, bedankte sich Julian.
“Oh, ihr bekommt noch mehr. Wir packen auch Essen für drei Tage ein und Wasser. Und ihr könnt auch noch was zum Anziehen bekommen. Unser Sohn, Paul, ist vor zehn Jahren gestorben. Er war ungefähr in eurem Alter.” Elara bekam feuchte Augen, auch Nick schaute traurig.
“Das tut uns sehr leid.” Julian konnte nicht anders und umarmte Elara. Die erwiderte die Umarmung. Tränen tropften Julian auf den Kopf.
“Ich mache jetzt euer Lager fertig”. Elara erhob sich und ging in die Wohnstube. Sie klappte die Couch auseinander, so dass sie so groß wie ein Doppelbett wurde. Aus einem Schrank im Flur holte sie Decken. Dann ging sie in Pauls Zimmer und holte zwei Schlafanzüge. Sie bekam wieder feuchte Augen, als die beiden Jungs sie anzogen.
Aus ihren Rucksäcken holten sie Zahnbürste und Zahnpasta und putzten sich im Bad die Zähne.
“Endlich eine Toilette”, sagte Felix. Julian verstand. Er ging in die Wohnstube und ließ Felix sein Geschäft erledigen.
Ich geh morgen früh, plante Julian.
“Hier gibt’s kein Klopapier”, berichtete Felix, als er in die Wohnstube kam.
“Und? Hast du mit der Hand abgewischt?”
“Ne, das geht mit Wasser, was aus der Schüssel nach oben spritzt. So was habe ich schon mal in einer Werbung gesehen. Aber wie machen wir das, wenn wir zwei oder drei Tage bis nach Frankfurt brauchen? Ins Gebüsch kacken ist ja okay, aber den Hintern putz ich mir nicht mit Blättern ab.”
Julian kramte kurz in seinem Rucksack und hielt triumphierend eine ganze Rolle Klopapier hoch. “Zum Glück habe ich das nicht am See gelassen.”
Felix umarmte Julian. “Du bist echt der Beste. Katastrophen will ich nur mit dir erleben.”
“Also, wenn Katastrophen schon sein müssen, dann auch nur mit dir.”
Sie schliefen erstaunlich gut. Zwar war die Lage keineswegs besser, aber sie wussten jetzt, was los war. Also zumindest zum Teil.
Als sie wach wurden, hörten sie, dass Elara und Nick bereits im Haus zugange waren. Sie gingen ins Bad, wuschen sich etwas und putzten die Zähne. Als Felix gegangen war, probierte Julian die Kloschüssel aus. Ein befreiendes Gefühl.
In Schlafanzügen gingen sie in die Küche. Es duftete nach Kaffee.
Auf dem Tisch war bereits für die beiden Gäste gedeckt. Es gab Brot, etwas Schinken, Käse und Marmelade. Zu trinken gab es Kakao. Mit richtiger Milch!
“Guten Morgen”, begrüßte Elara sie. “Wie habt ihr geschlafen?”
“Viel besser als letzte Nacht”, berichtete Julian wahrheitsgemäß.
“Hier sind eure Sachen, alles trocken.” Elara überreichte ihnen die Kleidung, die sie schon seit Freitag getragen hatten. “Wenn ihr wollt, könnt ihr die Schlafanzüge und die Sachen, die ich euch gestern gegeben habe, behalten."
“Danke!”, rief Julian
“Vielen Dank”, stimmte Felix mit ein.
“Hier sind auch noch zwei Jacken.” Elara hielt ihnen eine grüne und eine rote Kapuzenjacke hin. “Abends kann es im September schon kühl werden. Und zwei Decken. Wer weiß, ob ihr unterwegs etwas findet.”
“Vielen Dank. Sie sind so freundlich zu uns.” Julian konnte kaum fassen, wie ihnen geschah.
“Mein Mann packt eurer Fresspaket zusammen. Ihr solltet bald starten, damit ihr heute noch weit kommt. Haltet euch aber lieber von bewohnten Häusern fern. Es gibt noch ein paar wie uns, die sich nicht in die Riesenstadt haben evakuieren lassen. Es sind aber nicht alle so freundlich wie wir.”
“Vielen Dank für die Warnung”, Felix trank noch einen Schluck Kakao. “Das werden wir beachten. Und vielen Dank für die Sachen. Wir können uns gar nicht genug bei Ihnen bedanken.”
“Schon gut.”
Sie frühstückten fertig, zogen ihre eigenen Sachen an - Felix jetzt wieder mit Unterhose - und packten ein, was Elara und Nick ihnen geschenkt hatten. Mit Umarmungen verabschiedeten sie sich von Elara und Nick. Die winkten den Jungs zum Abschied zu.
“Kennst du den Weg?”, fragte Felix.
“Na so ungefähr. Wenn wir an der Straße bleiben ist es nicht so schwierig. Und wir haben ja den Kompass im Handy, der funktioniert auch ohne Internet.” Er zog sein Handy aus der Tasche und öffnete die Kompass-App. “Da schau”, er zeigte nach links. “Da ist Norden. Wir müssen jetzt erstmal da lang.” Er zeigte einen Viertelkreis rechts von der vorherigen Richtung. “Nach Westen. Wir müssten dann zur Autobahn kommen. Die geht auf jeden Fall bis Frankfurt.”
“Na dann hoffen wir mal, dass wir sie finden. Und dass es noch ein paar Brücken gibt! Es sind viele Bäche und Flüsse auf dem Weg.”
“Ja, das hoffe ich auch. Aber jetzt haben wir ja was zum Wechseln, wenn es uns in nassen Sachen zu kalt wird.”
Felix nickte. Zügig marschierten sie Richtung Osten.
Nach einer knappen Stunde näherten sie sich einem Ort. “Hier müssen wir noch durch und dann kommt die Autobahn”, sagte Julian.
“Sieht alles leer aus”, vermutete Felix. “Kein Rauch irgendwo. Nichts zu hören.”
“Mhm. Wir sollten aber trotzdem vorsichtig sein.”
Langsam gingen sie weiter. An jeder Kreuzung lugten sie vorsichtig hinein, ob etwas zu sehen war. Sie schauten sich die Häuser der Straße genau an, ob sich etwas bewegte.
Fast eine Stunde brauchten sie so, um den Ort zu durchqueren. Jetzt standen sie an der Autobahnauffahrt. Gras und Moos wuchs aus dem aufgerissenen Asphalt.
“Hier ist schon lange niemand mehr gefahren”, meinte Felix.
“Sieht so aus. Ich frage mich nur, wo Elara und Nick den Kaffee und den Kakao herhaben? Das wächst hier doch gar nicht.”
Felix stutzte. “Stimmt.” Er dachte kurz nach. “Vielleicht ein Gewächshaus?”, riet er.
Julian zuckte mit den Achseln. “Bestimmt.”
“Die Autobahn geht durch keine Orte durch.” Julian zeigte mit dem Finger die schnurgerade Autobahn entlang. “Ich denke, wir sind hier sicher.”
“Wir können gut sehen, wenn jemand kommt.”
“Leider könnte uns aber auch jemand sehen.” Julian sah Felix’ verunsichertes Gesicht. “Aber wird schon alles gutgehen.