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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. »Jetzt kommt die Mami!« Schon im Treppenhaus hörte Jana Diekmann die jubelnde Stimme ihres Töchterchens und winkte lächelnd hinauf zum oberen Stockwerk, wo die dreijährige Sabine aufgeregt an der Hand ihrer Betreuerin zerrte, um der Mutter entgegenzulaufen. Jana beschleunigte ihre Schritte und schloss gleich darauf atemlos den kleinen weichen Kinderkörper in die Arme. Frau Melchert, Sabinchens Tagesmutter, eine ältere, pensionierte Lehrerin, sah der stürmischen Begrüßung lächelnd zu und reichte dann der jungen Frau die Hand. »Sie sehen müde aus, Fräulein Diekmann. Sicher hatten Sie einen schweren Tag im Büro. Wollen Sie bei mir noch eine Tasse Kaffee trinken?« Jana winkte ab. »Vielen Dank, aber ich muss noch einkaufen gehen. Ich bekomme heute noch Besuch. Einiges konnte ich schon auf dem Weg hierher erledigen, aber ich wollte Sie und Sabinchen nicht zu lange warten lassen. Ich weiß ja, wie ungeduldig meine Kleine zum Schluss immer ist, obwohl sie es nirgends besser haben könnte als bei Ihnen.« »Ich habe sie auch sehr lieb. Es tut mir wirklich schrecklich leid, dass die schöne Zeit bald vorbei ist«, sagte die alte Dame seufzend. »Aber ich habe meiner Tochter nun einmal versprochen, zu ihr zu ziehen und mich um meine Enkelkinder zu kümmern. Hoffentlich gelingt es Ihnen bis dahin noch, einen Kindergartenplatz zu finden. Haben Sie schon etwas gehört?« Jana schüttelte den Kopf und strich sich eine Strähne des langen dunklen Haares aus der Stirn. »Leider noch nicht, aber, ich werde wohl bald selbst genügend Zeit haben, mich um Sabinchen zu kümmern.
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Seitenzahl: 162
Veröffentlichungsjahr: 2022
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»Jetzt kommt die Mami!«
Schon im Treppenhaus hörte Jana Diekmann die jubelnde Stimme ihres Töchterchens und winkte lächelnd hinauf zum oberen Stockwerk, wo die dreijährige Sabine aufgeregt an der Hand ihrer Betreuerin zerrte, um der Mutter entgegenzulaufen. Jana beschleunigte ihre Schritte und schloss gleich darauf atemlos den kleinen weichen Kinderkörper in die Arme.
Frau Melchert, Sabinchens Tagesmutter, eine ältere, pensionierte Lehrerin, sah der stürmischen Begrüßung lächelnd zu und reichte dann der jungen Frau die Hand.
»Sie sehen müde aus, Fräulein Diekmann. Sicher hatten Sie einen schweren Tag im Büro. Wollen Sie bei mir noch eine Tasse Kaffee trinken?«
Jana winkte ab. »Vielen Dank, aber ich muss noch einkaufen gehen. Ich bekomme heute noch Besuch. Einiges konnte ich schon auf dem Weg hierher erledigen, aber ich wollte Sie und Sabinchen nicht zu lange warten lassen. Ich weiß ja, wie ungeduldig meine Kleine zum Schluss immer ist, obwohl sie es nirgends besser haben könnte als bei Ihnen.«
»Ich habe sie auch sehr lieb. Es tut mir wirklich schrecklich leid, dass die schöne Zeit bald vorbei ist«, sagte die alte Dame seufzend. »Aber ich habe meiner Tochter nun einmal versprochen, zu ihr zu ziehen und mich um meine Enkelkinder zu kümmern. Hoffentlich gelingt es Ihnen bis dahin noch, einen Kindergartenplatz zu finden. Haben Sie schon etwas gehört?«
Jana schüttelte den Kopf und strich sich eine Strähne des langen dunklen Haares aus der Stirn.
»Leider noch nicht, aber, ich werde wohl bald selbst genügend Zeit haben, mich um Sabinchen zu kümmern. Ich habe heute erfahren, dass die Firma, in der ich arbeite, Konkurs angemeldet hat.«
»O weh, auch das noch!«, rief die alte Dame bestürzt aus. »Dann wird es ja auch finanziell böse für Sie aussehen«, fuhr sie besorgt fort.
Jana nickte deprimiert. »Das fürchte ich auch. Es wird wohl nicht so leicht für mich sein, eine neue Stelle zu finden.«
»Es wird schon irgendwie weitergehen, und Sabinchens Vater ist schließlich auch noch da«, tröstete Frau Melchert. »Er lässt bestimmt nicht zu, dass Sie Not leiden.«
Über Janas zartes, fein geschnittenes Gesicht flog ein Lächeln. »Da haben Sie recht«, sagte sie warm. Sie wusste, dass Robert alles tun würde, um ihr zu helfen, wenn sie ihn darum bitten würde, aber gerade das hatte sie bisher immer vermieden. Sie liebte Sabinchens Vater um seiner selbst willen und nicht, weil er der bekannte Verleger Robert Maykamp war, dem hier in Frankfurt einer der renommiertesten Verlage gehörte.
Während sie Sabinchen die Treppe hinabtrug, die für die kurzen Beinchen der Dreijährigen noch zu steil war, flogen ihre Gedanken zurück in die Vergangenheit, zu dem Tag, an dem sie Robert Maykamp zum ersten Mal begegnet war.
Damals hatte sie noch studiert, und ihren schmalen Geldbeutel dadurch aufgebessert, dass sie während der Buchmesse an einem der Stände gearbeitet hatte. Um die vielen Fragen der Messebesucher besser beantworten zu können, hatte sie sich schon vorher mit dem Verlagsprogramm vertraut machen müssen, und bei dieser Gelegenheit hatte sie Robert Maykamp kennengelernt. Auf beiden Seiten war sofort große Sympathie vorhanden gewesen, aus der eine tiefe, gegenseitige Liebe erwachsen war. Sie hatten es sich jedoch nicht leicht gemacht. Jana hatte gewusst, dass Robert Maykamp verheiratet war und einen kleinen, damals gerade zwei Jahre alten Sohn besaß, dem sie niemals hätte den Vater nehmen wollen. Aber sie hatte auch gespürt, ohne dass er es ausgesprochen hatte, dass er im tiefsten Innern unglücklich und sehr allein war. Ihre Liebe zu ihm war größer gewesen als alle Bedenken.
Niemand wusste von dieser Beziehung. Es genügte Jana, dass Robert sie ab und zu besuchte, und dass sie ihm in den wenigen Stunden des Beisammenseins das Glück schenken konnte, nach dem er sich sehnte. Niemals hatte sie von ihm Geld oder Geschenke angenommen. Selbst dann nicht, als ihre Mutter gestorben war und sie gezwungen gewesen war, ihr Studium zu unterbrechen. Sie hatte eine Stellung als Fremdsprachenkorrespondentin in einer kleinen Exportfirma gefunden, und als sie kurz darauf festgestellt hatte, dass sie schwanger war, hatte sie das Kind auch haben wollen, ganz gleich, wie schwer es für sie dadurch sein würde.
Damals hatte Robert Maykamp davon gesprochen, dass er sich ihretwegen scheiden lassen wolle, doch Jana hatte ihn beschworen, es nicht zu tun. Sie wollte ihr Glück nicht auf dem Unglück eines anderen Menschen aufbauen und einem Kind den Vater nehmen. Außerdem fürchtete sie auch um Roberts Gesundheit. Er hatte bereits einen Herzinfarkt hinter sich, und sie konnte sich denken, dass eine Scheidung nicht so glatt über die Bühne gehen würde. Robert Maykamp sprach zwar so gut wie nie über seine Ehe, aber schon die wenigen Andeutungen, die er manchmal machte, ließen sie vermuten, dass seine Frau bestimmt wie eine Löwin um Geld, Besitz und nicht zuletzt auch um das Kind kämpfen würde. Bestimmt würde sie Mittel und Wege finden, ihm das Leben dann noch mehr als bisher zur Hölle zu machen. Jana hatte einfach Angst, dass er diesem Stress nicht gewachsen sein würde. Deshalb nahm sie lieber tapfer all die Nachteile auf sich, die ihr als Mutter eines unehelichen Kindes erwuchsen.
Vielleicht war es doch falsch gewesen? überlegte Jana, während sie mit Sabinchen an der Hand dem nächsten Supermarkt zustrebte, um die notwendigen Einkäufe für ihren kleinen Haushalt zu erledigen. Inzwischen wäre sicher alles längst überstanden, und aus Robert, Sabinchen und ihr wäre eine glückliche kleine Familie geworden. Sie könnte für den geliebten Mann sorgen und ihn verwöhnen, anstatt sich zunehmend Sorgen, um ihn zu machen. Denn er wirkte in letzter Zeit oft deprimiert und abgespannt. Doch er sprach niemals über seine Sorgen. Die wenigen Stunden, die ihnen blieben, sollten nicht durch unerfreuliche Dinge getrübt werden. Trotzdem spürte Jana mit dem untrüglichen Instinkt der liebenden Frau, dass er Sorgen hatte und wohl auch sehr unter seiner Ehe litt.
Robert Maykamp liebte Sabinchen abgöttisch. Er war ein zärtlicher und liebevoller Vater, las dem Kind jeden Wunsch von den Augen ab. Darum verstand Sabinchen auch nicht, warum er ihr den allergrößten Wunsch, nämlich einen Hund, nicht erfüllte. Jana erklärte ihrem Töchterchen zwar immer wieder geduldig, dass sie in der Wohnung keinen Hund halten dürften und dass das Tier auch tagsüber nicht so lange allein gelassen werden könne, wie es ihre Lebensumstände leider mit sich brachten, aber Sabinchen war wohl noch zu klein, um das einzusehen.
Auch jetzt drückte sie sich wieder an der Scheibe der Tierhandlung, die neben dem Supermarkt lag, das Näschen platt und betrachtete sehnsüchtig seufzend die jungen Hunde, die dort eng aneinandergeschmiegt schliefen.
»Ach, sind die niedlich! Können wir nicht doch einen kaufen, Mami?«, bettelte sie.
»Du weißt doch, dass das nicht geht, Schätzchen«, sagte Jana traurig und zog die Kleine weiter. »So ein junger Hund kann nicht den ganzen Tag allein bleiben. Er würde sich dann schrecklich einsam fühlen.«
»Dann möchte ich Kaninchen haben, solche, wie die da!« Sabinchens Zeigefinger deutete verlangend auf zwei Angorakaninchen, die genüsslich an einer Mohrrübe knabberten. »Die muss man nicht ausführen. Die bleiben immer in ihrem Käfig, hat Frau Melchert gesagt. Aber man kann sie streicheln und lieb haben. Ob der Bobo sie mir schenkt, wenn ich ihn ganz lieb darum bitte?«, überlegte sie mit schiefgeneigtem Köpfchen.
»Wir werden ihn fragen«, versprach Jana, aber sie wusste schon im Voraus, dass Robert seinem Töchterchen diese Bitte nur zu gern erfüllen würde.
Sabine nannte den Vater stets »Bobo«, entstanden aus Papa und Robert, obwohl sie sich selbst für ihr Alter schon bemerkenswert gut ausdrücken konnte. Das war ein Verdienst ihrer Betreuerin, die als ehemalige Lehrerin besonderen Wert auf gute Ausdrucksweise legte.
Während Jana im Supermarkt rasch die notwendigen Einkäufe erledigte, stand Sabinchens Plappermäulchen keinen Augenblick still. Sie überlegte, wie sie die Tiere nennen und was sie ihnen zu fressen geben sollte, denn für sie stand bereits fest, dass sie sie bekommen würde.
Wie immer kurz vor Feierabend, herrschte an den Kassen starker Andrang. Jana blickte ungeduldig auf die Uhr und fragte sich, ob sie es schaffen würde, rechtzeitig zu Hause zu sein. Sie wusste, dass Robert kommen würde. Er hatte sie im Büro kurz angerufen und das zwischen ihnen vereinbarte Stichwort genannt. Seine Stimme hatte kühl, knapp und geschäftsmäßig geklungen, wie immer, wenn jemand zuhören konnte. Trotzdem waren die wenigen Worte für Jana stets schöner als eine Liebeserklärung. Für diese wenigen Augenblicke lebte sie. Auf die seltenen, kostbaren Stunden mit ihm konzentrierte sich ihr Denken und Fühlen.
Sabinchen wollte, als sie den Supermarkt verließen, noch einmal zum Schaufenster der Tierhandlung gehen, doch Jana zog sie mit sanfter Gewalt zu ihrem kleinen, schon ein wenig altersschwachen Auto.
»Komm, wir müssen uns beeilen. Der Bobo kommt doch heute.«
»Fein! Dann frage ich ihn gleich, ob ich die Kaninchen kriege«, jubelte Sabinchen.
Während Jana das Auto durch den dichten Feierabendverkehr der Frankfurter Innenstadt lenkte, fragte sie sich, wie lange Sabinchen wohl noch, ohne Fragen zu stellen, hinnehmen würde, dass der Vater nicht bei ihnen lebte, dass sie keine richtige Familie waren. Noch nahm sie das alles kritiklos hin. Sie hatte ja auch kaum Vergleichsmöglichkeiten, aber das würde sich ändern, wenn sie in einen Kindergarten und später in die Schule kommen würde. Ob sie irgendwann einmal verstehen und verzeihen würde, dass die Mutter der Stimme ihres Herzens gefolgt war?
Doch darüber wollte Jana sich jetzt noch nicht den Kopf zerbrechen, denn sie wollte sich die Vorfreude auf den Abend mit Robert nicht trüben lassen. Ihr Herz klopfte stürmisch bei dem Gedanken, dass er sie bald wieder in den Armen halten würde. Nur bei ihm fand sie die Liebe und die Geborgenheit, die sie in ihrem bisherigen Leben oft so schmerzlich vermisst hatte. Ihr Vater hatte ihre Mutter verlassen, als sie noch klein gewesen war, und außerdem niemals einen Pfennig Unterhalt bezahlt. Die Mutter hatte Tag und Nacht geschuftet, um der Tochter trotzdem eine gute Ausbildung zu ermöglichen, aber sie hatte wohl nie daran gedacht, dass ein Kind mehr brauchte als Kleidung, Essen und allenfalls Spielzeug – dass Liebe, Verständnis und Zuwendung mehr zählte als all das.
Gerade das aber hatte Jana sehr vermisst und sich, als sie ihr Töchterchen zum ersten Mal im Arm gehalten hatte, geschworen, dem Kind stets all ihre Liebe zu geben. Mochte sie am Abend noch so müde von dem anstrengenden Tag in der Firma sein und mochten noch so viele Dinge im Haushalt darauf warten, erledigt zu werden, zuerst kam die Kuschelstunde mit Sabinchen. Da wurde geschmust und gealbert, da musste sich Jana ganz nach Wunsch in einen brüllenden Löwen oder einen fauchenden Tiger verwandeln und die vor Entzücken kreischende Sabine durch die ganze Wohnung jagen. Danach kam das abendliche Bad, aus dem ebenfalls eine Zeremonie gemacht wurde, dann noch die Gutenachtgeschichte, und erst dann, wenn Sabine in ihrem hübsch eingerichteten Kinderzimmer im Bett lag, hatte die junge Mutter ein wenig Zeit für sich selbst.
An diesem Abend blieb die Tür des Kinderzimmers allerdings einen Spaltbreit offen, denn Sabinchen wollte es hören, wenn der Bobo kam. Jana bereitete inzwischen in der winzigen Küche rasch einen Imbiss vor, denn sie wusste, dass Robert das gemeinsame Essen mit ihr liebte. Danach hatte sie gerade noch Zeit, sich ein wenig frisch zu machen, als es auch schon klingelte.
Auf dem Weg zur Tür warf Jana noch rasch einen Blick in den Spiegel. Wie immer fand sie sich zu blass und zu dünn, aber ihr langes, schwarzes Haar glänzte und umrahmte weich ihr ovales, fein geschnittenes Gesicht mit den samtbraunen Augen. Das bunte Folklorekleid aus indischer Baumwolle ließ sie noch zarter und jünger erscheinen, als sie mit ihren siebenundzwanzig Jahren war. Glücklich lächelte sie dem Mann entgegen, als sie die Tür öffnete. Er schien die Treppen emporgerannt zu sein, denn er atmete schwer, als er eintrat und sie in die Arme zog.
»Guten Abend, mein Schatz. Endlich! Ich hatte solche Sehnsucht nach dir«, murmelte er und küsste sie zärtlich.
»Ich auch«, flüsterte Jana und lehnte ihre Stirn an seine Schulter. Sie wollte nicht darüber nachdenken, wie unendlich viel Zeit seit seinem letzten Besuch vergangen war und wie kurz er nur bleiben würde. Er war da – und das genügte.
Als Jana sich von ihm löste, fiel ihr auf, wie müde er aussah. Die Falten in seinem Gesicht waren tiefer, als sie bei einem Vierzigjährigen eigentlich sein durften, und in die dunklen Haare mischte sich an den Schläfen schon das erste Grau.
Jana kam nicht dazu, noch etwas zu sagen, denn jetzt kam Sabinchen auf bloßen Füßen aus dem Kinderzimmer gerannt und warf sich jubelnd in die weit geöffneten Arme des Mannes. Übermütig wirbelte er sie herum, aber Jana bemerkte, dass er zwischendurch einmal die Lippen wie in jähem Schmerz aufeinanderpresste.
»Komm, sei nicht so wild. Der Bobo ist müde«, mahnte Jana.
Robert winkte jedoch lächelnd ab. »Lass sie nur. Ich habe sie ja so vermisst.«
»Und hast du mir auch etwas mitgebracht?«, fragte Sabine mit schiefgeneigtem Köpfchen.
Robert deutete auf die Pakete, die er auf das Garderobenschränkchen gelegt hatte.
»Zuerst bekommt die Mami ihren Blumenstrauß, und dann bist du dran, du Racker. Du hattest dir doch Legosteine und Tiere für deinen Zoo gewünscht, nicht wahr?«
Robert bekam statt einer Antwort viele feuchte Küsse, dann zog die kleine Person selig mit ihren Paketen ab ins Kinderzimmer.
»Du musst mir aber noch Gute Nacht sagen kommen. Ich muss nämlich noch etwas ganz Wichtiges mit dir besprechen«, forderte sie energisch.
»Sie ist schon wieder gewachsen, und sie wird dir immer ähnlicher. Jetzt wirkt sie schon wie dein verkleinertes Ebenbild«, sagte Robert leise. Er nahm Jana wieder in seine Arme, als sich die Tür hinter der Kleinen geschlossen hatte. »Ich habe viel zu wenig von euch beiden. Ich hätte damals, als du schwanger warst, die Scheidung durchsetzen sollen, ganz gleich, um welchen Preis. Dann wären wir jetzt längst eine Familie und hätten es nicht nötig, uns zu verstecken. Ich müsste dich und das Kind nicht verleugnen und mir nicht ewig Vorwürfe machen, dass ich dein Leben zerstört habe.«
»Du hast es nicht zerstört, Liebster. Du hast es mir erst lebenswert gemacht«, erklärte Jana fest, während sie mit ihm in den kleinen Wohnraum ging, wo der Tisch liebevoll gedeckt war und eine Stehlampe warmes, gedämpftes Licht spendete. »Du weißt, ich habe nie etwas anderes gewollt als deine Liebe, und ich hätte nicht mit dem Gedanken leben können, deiner Frau den Mann und deinem Sohn den Vater genommen zu haben.«
Robert ließ sich in den Sessel fallen und presste die Lippen zusammen.
»Christiane und ich führen längst keine Ehe mehr. Wir leben im gleichen Haus – das ist alles. Zwischen uns gibt es keine Gemeinsamkeiten. Und was Markus betrifft … Vielleicht hätte ich doch das Sorgerecht für ihn bekommen. Dann wäre er möglicherweise heute ein so gesundes, fröhliches Kind wie Sabinchen. So aber …«
Er brach ab, und Jana glaubte, dass er das Thema wechseln wolle, wie stets, wenn er unbeabsichtigt auf seine Ehe zu sprechen kam, aber diesmal fuhr er nach einigen Sekunden fort. »Ich glaube, ich muss den Tatsachen ins Auge sehen, dass Markus ein psychisch schwer gestörtes Kind ist und dass Christiane dies mit ihrer Hysterie und ihrer Unberechenbarkeit verschuldet hat. Ich mache mir die größten Vorwürfe, dass ich das alles nicht eher bemerkt und nichts dagegen unternommen habe. Im Grunde hätte ich es wissen müssen. Sie hat ihn ja schon im Mutterleib gehasst, weil er ihre Figur ruiniert hatte, und sie überließ ihn vom ersten Tag an völlig dem Personal, das wegen ihrer Ungerechtigkeit und Unberechenbarkeit dauernd wechselte, sodass der Junge niemals eine echte Bezugsperson hatte, die ihn liebte und die er lieben konnte.«
»Aber du liebst ihn doch, und du hast dich doch auch immer um ihn gekümmert«, versuchte Jana ihn zu trösten.
Robert Maykamp stützte den Kopf in die Hände. »Ich habe ihm viel zu wenig Zeit gewidmet, vor allem in den letzten beiden Jahren. Es stand nicht sehr gut um den Verlag. Ich habe alle meine Kräfte einsetzen müssen, um ihn halten zu können. Aber von jetzt an wird es hoffentlich leichter für mich werden. Thomas, mein jüngerer Bruder, ist endlich nach Hause gekommen und will seinen Platz im Verlag einnehmen. Zeit wurde es ja, aber ich konnte auch verstehen, dass er nach Beendigung seines Studiums erst einmal etwas von der Welt sehen wollte. Er segelte zusammen mit Freunden in einem winzigen Segelboot rund um die Welt und drehte darüber einen Film, der im Fernsehen gezeigt wurde. Aber jetzt, mit fast dreißig Jahren, möchte er doch sesshaft werden und einen Teil der Verantwortung übernehmen, die ich bisher für ihn mitgetragen habe. Dadurch wird wahrscheinlich für mich nun vieles leichter. Ich kann meine Kraft jetzt für etwas anderes einsetzen – für uns und unser Glück«, fügte er leise hinzu, als Jana ihn fragend ansah. Ernst fuhr er danach fort: »Ich habe Christiane heute gesagt, dass ich die Scheidung einreichen werde. Ich wollte es ja längst. Es war zum Schluss nur noch der Gedanke an Markus, der mich davon abhielt. Ich wollte dem Jungen das Elternhaus erhalten. Aber heute hat mir Christiane eröffnet, dass sie ihn unverzüglich in ein Heim abschieben will, in ein Heim für psychisch gestörte Kinder, und dass sie es ablehnt, mit diesem ›kleinen Idioten‹, wie sie ihn betitelte, noch länger unter einem Dach zu leben. Damit entfällt für mich der letzte Grund, weiterhin an dieser Ehe, die längst keine mehr ist, festzuhalten. Sobald ich frei bin, werden wir heiraten und Markus zu uns nehmen. Deine Liebe wird ihm helfen, seine kleine, verstörte Seele wieder gesund werden zu lassen.«
»Du willst dich wirklich scheiden lassen?«, flüsterte Jana erstickt. Noch konnte sie die Wende, die damit auf ihr Leben zukam, nicht fassen.
Robert nickte nachdrücklich und griff nach ihrer Hand. »Ja, ich will endlich klare Verhältnisse schaffen. Ich hoffe nur, es bleibt mir noch genügend Zeit dazu«, fügte er leise hinzu.
Janas Augen weiteten sich erschreckt. »Warum Liebster? Wie meinst du das?«
Robert Maykamp zögerte mit der Antwort. Er war an diesem Tag beim Arzt gewesen, weil er sich schlecht gefühlt hatte, und dachte jetzt an dessen schonungslose Worte. Der Arzt hatte ihn darauf hingewiesen, dass dem ersten Herzinfarkt sehr rasch ein zweiter folgen könne, der vielleicht nicht so glimpflich verlaufen würde, wenn er sich nicht mehr schonte und unnötige Aufregungen vermied. Aber konnte er das Jana sagen, die sich ohnehin viel zu sehr um seine Gesundheit sorgte?
»Ich meinte nur im Hinblick auf Markus«, wich Robert aus und war froh, dass in diesem Augenblick Sabinchen energisch nach ihm rief, um die »ganz wichtigen Dinge«, die natürlich die erhofften Kaninchen betrafen, mit ihm zu besprechen.
Jana hätte gern mehr über den kleinen Markus erfahren, aber sie spürte, dass Robert nicht mehr auf das Thema zurückkommen wollte. Viel zu früh musste er wieder gehen. Bevor er die Wohnung verließ, ging er noch einmal ins Kinderzimmer und strich Sabinchen über das lange dunkle Haar.
Das kleine Mädchen schlief ganz fest. Daher beschloss Jana, den geliebten Mann ein Stück zu begleiten, um die Trennung noch ein wenig hinauszuschieben. Sie wusste, dass er sein Auto stets ein paar Straßen weiter, in der Nähe eines bekannten Restaurants, parkte, um im Notfall, falls ihn einmal jemand sehen sollte, behaupten zu können, er sei dort gewesen.
Fast vier Jahre dauert dieses Versteckspiel nun schon, dachte Jana und konnte nicht fassen, dass es bald vorbei sein sollte. Dann würde sie auch am hellen Tage und nicht, wie jetzt, nur heimlich und im Dunkeln an der Seite Roberts über die Straße gehen dürfen.