3,99 €
Mehr Action und mehr Abenteuer! Entdecken Sie jetzt die Sonderbände der historischen Western-Reihe „Das Gesetz des Westens“!
Klappentext: Tief verborgen in den nebligen Tälern der Smoky Mountains liegt ein Ort, der längst vergessen schien – bis Zack Tully zurückkehrt. Der ruhelose Revolvermann will sich nur kurz erholen, doch das Tal ist nicht so verlassen, wie es scheint. Als dunkle Gestalten auftauchen und ein skrupelloser Colonel seine gierigen Finger nach dem Land ausstreckt, wird aus der Rast eine tödliche Konfrontation. Während alte Wunden aufbrechen und neue Allianzen geschmiedet werden, muss Tully sich entscheiden: Will er endlich Frieden finden – oder ein letztes Mal das Gesetz des Westens walten lassen?
Über die Reihe Das Gesetz des Westens: Freuen Sie sich regelmäßig auf die spannendsten Western-Abenteuer diesseits des Mississippi! EK-2 Publishing hat für „Das Gesetz des Westens“ die ganz großen Koryphäen des Western-Genres versammelt. Alfred Wallon, Peter Dubina, John Gray und viele weitere Autoren katapultieren sie direkt ins Geschehen und bescheren Ihnen ein unvergessliches Leseerlebnis.
Laden Sie Ihren Revolver und satteln Sie Ihren Hengst, denn es geht auf eine spannende Reise in den rauen Wilden Westen!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Patrick J. Grieser
Verschollen in den Smokies
Ein Mann wie Zack Tully: Band 2Historische Western-Reihe „Das Gesetz des Westens“
EK-2 Publishing
Liebe Leser, liebe Leserinnen,
zunächst möchten wir uns herzlich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie dieses Buch erworben haben. Wir sind ein Familienunternehmen aus Duisburg und jeder einzelne unserer Leser liegt uns am Herzen!
Mit unserem Verlag EK-2 Publishing möchten wir militärgeschichtliche und historische Themen sichtbarer machen und Leserinnen und Leser begeistern.
Vor allem aber möchten wir, dass jedes unserer Bücher Ihnen ein einzigartiges und erfreuliches Leseerlebnis bietet. Haben Sie Anmerkungen oder Kritik? Lassen Sie uns gerne wissen, was Ihnen besonders gefallen hat oder wo Sie sich Verbesserungen wünschen. Welche Bücher würden Sie gerne in unserem Katalog entdecken? Ihre Rückmeldung ist wertvoll für uns und unsere Autoren.
Schreiben Sie uns: [email protected]
Nun wünschen wir Ihnen ein angenehmes Leseerlebnis!
Ihr Team von EK-2 Publishing,
Ihr Verlag zum Anfassen
Verschollen in den Smokies
Ein Mann wie Zack Tully: Band 2
von Patrick J. Grieser
Sie haben sich verlaufen. Das wird Irvine Drummond sofort klar, als sich die Bäume zu beiden Seiten des Weges lichten und den Blick auf die Berge und Wälder freigeben. Ein bläulicher Dunst liegt über den mächtigen Appalachen, die eine natürliche Grenze zwischen den Bundesstaaten North Carolina und Tennessee bilden.
Irvine ist von gedrungener Gestalt, ein fast schon schmächtiges Kerlchen, doch dieser Eindruck täuscht, denn er hat seinen Militärdienst bei den Texas Rangers verrichtet, deren Aufgabe darin besteht, die Grenzgebiete vor den gefürchteten Comanchen und Kiowas zu schützen. Irvine ist ein Mensch, der schnell die Fassung verliert. Er selbst würde sich als leidenschaftlichen und besonders temperamentvollen Menschen beschreiben, doch bei den Texas Rangers galt er seinerzeit als heißblütig, cholerisch und regelrecht unbeherrscht. Irvine besitzt das Temperament eines angriffslustigen Terriers, und das ist es auch, das ihn so gefährlich macht, denn sobald man ihn reizt, geht er ohne Vorwarnung direkt zum Angriff über. Außerdem ist er zäh, gehört er doch zu jener Sorte Mensch, die so gut wie kein Schmerzempfinden haben. Als Boxer wäre er sicherlich einer der ganz Großen gewesen. Seine Gegner hätten sich die Zähne an ihm ausgebissen. Der Captain in Austin nannte ihn damals oft einen gottverdammten Hitzkopf.
Irvine ist wütend, und das ist kein gutes Zeichen. Er tritt vor einen entwurzelten Baum, den die unerbittlichen Elemente des Landes zu Fall gebracht haben. Ein Großteil des Stammes ist mit gemeinem Efeu bedeckt, der hier draußen in der Wildnis der Smoky Mountains fast überall anzutreffen ist. Drummond tritt mit der Stiefelspitze hart gegen den verrotteten Stamm.
»Dadgum! Wir haben uns verlaufen!«, spricht er das Offensichtliche aus. Er wendet sich den beiden Männern im Hintergrund zu. Seine Nasenflügel zittern, die Augen sind weit aufgerissen. Ja, Irvine Drummond ist gerade richtig wütend. Und das ist etwas, was die zwei Kerle, die hinter Drummond stehen, augenblicklich überhaupt nicht gebrauchen können. Sie halten Abstand zu ihm, denn sie wissen um seine Wutausbrüche, die mitunter recht gefährlich sein können.
Drummond macht ein paar Schritte auf seine beiden Partner zu. Er hat ein Allerweltsgesicht, das in einer großen Menschenmenge nahezu verschwindet. Es ist schmal und kantig, mit tief in den Höhlen liegenden Augen. Drummond zählt fünfzig Sommer, sein dunkelbraunes Haar weist am Hinterkopf eine faustgroße lichte Stelle auf, die er nur allzu gerne unter seinem Texashut zu verbergen versucht. Irvine gilt nicht nur als besonders jähzornig, sondern auch als ausgesprochen eitel.
Die beiden Männer hinter ihm tragen beide einen schlichten, tiefkronigen Plainsman. Ebenso wie Irvine Drummond sind sie in schwere Jacken aus einem segeltuchähnlichen Stoff gekleidet. Man muss nicht zweimal hinschauen, um zu sehen, dass die beiden Burschen Brüder sind. Die Gesichtszüge sind auffallend ähnlich. Ins Auge sticht sofort die schmale Nase, die den Männern etwas Raubvogelhaftes verleiht. Das schwarze Haar ist mit silbernen Strähnen durchzogen. Chad und Morgan MacPhee sind Zwillinge, wobei Chad sehr großen Wert darauf legt, dass er fast zehn Minuten früher auf die Welt gekommen ist als sein kleinerer Bruder.
Morgan will gerade etwas erwidern, doch sein Bruder legt ihm die Hand auf den Arm und schüttelt den Kopf. Es ist unklug, etwas zu sagen, wenn die Gefühle bei Drummond gerade hochkochen. Sie hätten in der Kutsche bleiben sollen, doch Drummond wollte Zeit sparen und eine Abkürzung über die Berge suchen. Den beiden Brüdern hat er weismachen wollen, dass er bei den Texas Rangers ein namhafter Scout gewesen sei, der früher bis in die große Hochebene der Staked Plains vorgestoßen ist.
Was für ein Großmaul dieser Kerl doch ist!
Es war Chad und Morgan MacPhee von Anfang an klar, dass Irvine Drummond kein solcher Bigfoot gewesen ist. Vermutlich hat ihn sein ungezügeltes Temperament den Job bei den Texas Rangers gekostet.
Die beiden Brüder werfen sich vielsagende Blicke zu. Wir hätten in der Kutsche bleiben sollen!
Noch einmal tritt Drummond wütend gegen den morschen Stamm, sodass es im Gehölz knirscht. Chad verzieht das Gesicht, denn der Tritt muss höllisch weh tun, so hart wie Irvine mit der Stiefelspitze gegen den Stamm getreten hat.
Drummond dreht sich wieder zu den Zwillingen um, wirft ihnen einen herausfordernden Blick zu. Die beiden Männer schweigen, schauen ihn mit ausdruckslosen Mienen an.
»Dadgum!« Mit einem Ächzen lässt sich Drummond auf dem umgestürzten Baum nieder. Er nimmt den Texashut vom Kopf und beginnt, sich für einen kurzen Moment damit Luft ins Gesicht zu wirbeln. Dann wird ihm bewusst, dass seine kahle Stelle auf dem Hinterkopf zu sehen ist, und er zieht den Hut schnell wieder auf.
»Irgendeine Idee, wo wir sind, Gentlemen?«, will Irvine Drummond von den beiden Männern wissen.
Morgan räuspert sich. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, wir befinden uns am Arsch der Welt, Drummond.«
Ein unheilvolles Knurren entweicht Irvines Kehle. Chad macht einen Schritt nach vorne und stellt sich schützend vor seinen Bruder. So wie es von einem älteren Bruder erwartet wird.
»Vielleicht ist es an der Zeit, umzukehren und die nächste Pferdewechselstation aufzusuchen«, meint Chad MacPhee. Er hebt die Hand und macht eine ausschweifende Geste, die die nähere Umgebung einschließt. »Das hier ist Niemandsland, Irvine. Wir haben unser Glück versucht und waren nicht erfolgreich.«
Drummond schweigt einen Moment. Er schließt die Augen und beginnt seine Schläfen mit den Fingern zu massieren. Das macht er immer, wenn er frustriert ist. Er sitzt eine Zeit lang stillschweigend da, die Hände wild knetend auf den Schläfen.
Morgan will etwas sagen, doch sein Bruder schüttelt erneut den Kopf. Er kann Drummonds Verhalten besser lesen als jeder andere Mensch. Vor zwei Jahren haben sie sich in Boston getroffen. Die Erinnerung daran kommt Chad wie eine halbe Ewigkeit vor. Die Zeit, die seitdem vergangen war, hat ihn wie einen rohen Diamanten geschliffen. Mittlerweile verfügt er über eine hervorragende Menschenkenntnis. Das kommt davon, wenn man zu viel Zeit mit Leuten wie Irvine Drummond verbringt.
»Wir gehen weiter«, zischt Irvine schließlich und erhebt sich mit einem Ächzen von dem Baumstamm. Er klopft mit beiden Händen den Dreck vom Hosenboden ab. Sein Blick wandert zu dem wolkenverhangenen Himmel empor. Es sieht nach Regen aus, doch bislang haben sie Glück gehabt, denn es ist noch kein einziger Tropfen gefallen. Doch das Ganze ist vielleicht nicht mehr als die Ruhe vor dem Sturm. Die Wetterlage kann sich binnen weniger Augenblicke ändern und einen wahren Orkan samt sintflutartigen Regenfällen entfachen.
»In einer Stunde geht die Sonne unter«, meint Irvine. Er deutet auf einen bewaldeten Hügel in der Ferne, von dem rauchiger Nebel aufsteigt. »Bis zur Dunkelheit können wir noch eine gute Strecke zurücklegen. Wir sollten unser Camp dort auf dem Hügel aufschlagen. Es ist ein gutes Stück Weg, aber wenn wir die Zähne zusammenbeißen, schaffen wir das sicherlich.«
Chad weiß, dass sie es nie und nimmer bis zu diesem Bergkamm schaffen werden. Dazu ist das Terrain zu uneben und viel zu beschwerlich. Doch er sagt nichts, denn er will keinen Streit mit Irvine entfachen. Chad ist froh, dass sein Bruder nichts sagt. Morgan kann in solchen Situationen nämlich sehr ungehalten sein. Er hat zudem Probleme damit, dass sich Irvine ungefragt zum Anführer ihrer kleinen Gruppe gekrönt hat. Nur zu gerne würde er ihm seine Fehler unter die Nase reiben und ihm seine Grenzen aufzeigen. Chad muss den kleinen Bruder zügeln, will er nicht riskieren, dass Irvine ihm sein Bowiemesser zwischen die Rippen rammt.
»Gut, dann lasst uns keine Zeit vergeuden und weitergehen«, sagt Chad. Irvine nickt zufrieden.
Ich sollte Unterhändler werden, denkt Chad, während sie dem vorausgehenden Mann ins Dickicht folgen. Meine diplomatischen Fähigkeiten sind wahres Gold wert!
Als es schließlich dunkel wird, haben sie gerade mal die Ausläufer des Hügels erreicht. Irvine hat mit seiner Einschätzung der Situation wieder einmal danebengelegen.
***
Das Tal wird von gewaltigen Bergflanken eingeschlossen. Es ist ein Kessel, der wie eine runde, vom harten Gestein umschlossene Vertiefung wirkt. Hier wächst das Blaugras besonders gut, denn es ist immer kühl und feucht. Das Tal befindet sich in den höheren Lagen des Berges, eingeschlossen in einen ewigen Nebel, der von den Bäumen aufsteigt, die sich Richtung Berg ausbreiten. Es gibt nur einen Zugang zu diesem Talkessel, und der liegt im Osten. Eine Schlucht führt hinaus, an der Seite des Berges entlang. Der Weg ist nicht besonders breit, und die Felsen ziehen sich an manchen Stellen so eng zusammen, dass man das Tageslicht kaum noch sehen kann. Das Ganze erinnert dadurch mehr an den Stollen eines Fuchsbaus.
In den Abendstunden, wenn die Schatten länger werden, zeigen sich die ersten Hirsche, Rehe und Kaninchen auf den Blaugraswiesen.
Am anderen Ende des Talkessels befindet sich eine Holzhütte. Eine Rauchsäule bahnt sich ihren Weg aus dem Schornstein, der als einziges Element aus Stein erbaut ist. Die Veranda ist überdacht und durch mehrere sogenannte Columns gesichert. Dabei handelt es sich um grob behauene Holzstücke, die das Dach stabilisieren.
Es gibt neben der Hütte einen Corral, auf dem ein Appaloosa-Hengst mit geflecktem Fell steht und aus dem Wassertrog säuft.
Ein Creek führt in unmittelbarer Nähe an einer kleinen Weidewiese vorbei, die von einem halben Dutzend friedfertiger Saanenziegen und ebenso vielen Hühnern bevölkert wird. Ein Wagenbett ohne Räder, in dessen Mitte man ein Loch eingelassen hat, dient den Tieren als Unterkunft für die Nacht und Schutz vor den Gezeiten. Daneben stehen mehrere Holzfässer und -kisten.
Tom Graham sitzt auf der Veranda in seinem Schaukelstuhl und blickt hinaus auf das Blaugrastal. Die Sonne geht gerade unter, sodass die Landschaft in ein unwirkliches Licht getaucht wird. Man bekommt den Eindruck, als sei ein Teil der äußeren Welt entrückt, sodass Formen und Konturen in einem Meer aus flüssigem Rubin verschwimmen. Bald schon wird sich die Dunkelheit über das Land legen, und dann muss Tom Graham die Tür verriegeln und die Fenster absichern.
Der alte Mann hat schon viele Sommer kommen und gehen sehen. Er ist dem Tod näher als dem Leben. Sein Gesicht ist faltig, die Haut wirkt im Licht der untergehenden Sonne wie gegerbtes Leder. Das Haar ist schlohweiß und wird von einem einfachen Lederband zusammengehalten, wie es die Cherokee tragen. Der Vollbart – ebenfalls so weiß wie der Schnee an einem klirrend kalten Wintertag – ist lang und üppig. Er unterstreicht das Alter des Mannes und verleiht ihm ein gewisses Maß an Weisheit, die ein langes und entbehrungsreiches Leben mit sich bringt.
Fünfzehn Jahre hat er hier oben in den Smoky Mountains ausgeharrt. Die Zeit ist wie im Flug vergangen. Doch während sein Körper zunehmend verfällt, ist der Geist weiterhin klar und fokussiert geblieben. Manchmal fragt er sich, wo all die Jahre hingegangen sind. Was die Endlichkeit des Lebens betrifft, hat er sich immer als stiller Beobachter gesehen. Er fragt sich, ob da noch etwas kommt, wenn er irgendwann in diesem Tal seinen Geist aushauchen wird …
Tom Graham wird aus seinen Gedanken gerissen, als er den Reiter sieht, der sich vom Osten her nähert. Seine Augen sind nicht mehr die besten, in seinem Sichtfeld gibt es Trübungen, die immer mehr zu einem verschwommenen Sehen führen, doch den Reiter erkennt er klar und deutlich.
»Was zum Teufel …?«, entfährt es ihm und seine Stimme klingt dabei seltsam und fremd. Er nutzt sie kaum noch, denn er spricht nur noch selten mit sich selbst. Er kneift die Augen zusammen und versucht, Einzelheiten auszumachen, doch noch ist der Reiter zu weit entfernt.
Die Rehe, die sich bereits am Waldrand zusammengefunden haben, ziehen sich schlagartig zurück in das Dunkel der Bäume. Einige Vögel erheben sich von den Baumkronen und krächzen ihr Ungemach in den blutroten Himmel. In einem Halbkreis fliegen sie über das Blaugrastal hinweg und lassen sich auf der gegenüberliegenden Seite wieder in den Bäumen nieder.
Tom erhebt sich von seinem Schaukelstuhl. Seine Gelenke knacken hörbar bei der Bewegung. Einmal mehr wird er sich bewusst, dass sein Geist in einer sterblichen, langsam verrottenden Hülle gefangen ist.
Er hat vor ein paar Tagen schon einmal Reiter gesehen. Sie haben am Kesselrand gestanden und ins Tal geblickt. Doch sie haben sich der Hütte nicht genähert. Es waren Fremde gewesen. Die Rover lassen ihn im Valley in Ruhe, sie haben sich schon lange nicht mehr blicken lassen. Ob der Fremde zu der Gruppe gehört, die ich vor ein paar Tagen am Hang gesehen habe?, fragt sich Tom und kratzt sich am bärtigen Kinn. Sein Gefühl sagt ihm, dass es nicht so ist. Irgendetwas ist anders.
Tom Graham schlurft über das Holz, das unter seinen Füßen knarzt. Er macht einen Schritt nach rechts, denn es gibt eine Stelle, an der die Bretter schon so morsch sind, dass sie durchbrechen würden, würde er auf sie treten. Der Alte mag zwar nur noch hundert Pfund auf die Waage bringen, doch er will kein Risiko eingehen. Die Dielen sind an vielen Stellen morsch und haben ihre besten Zeiten längst hinter sich – so wie Tom Graham. Wenn er einmal nicht mehr ist, wird alles verfallen. Der Efeu wird sich wie ein Teppich über die Hütte legen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Holz so morsch ist, dass die Gezeiten mit dem Bauwerk kurzen Prozess machen werden.
Tom lehnt sich mit seinem spindeldürren Körper gegen einen der Stützbalken der Veranda. Er fragt sich, wer das sein kann, der ihn da in Misty Valley besucht. Als er vor vielen Jahren das erste Mal dieses Tal betreten hatte und sich die Wasserrechte nach altem Squatterrecht eintragen hat lassen, hat er diesem Land den Namen Misty Valley gegeben, denn hier in der Senke sammelt sich der Nebel oftmals über viele Stunden. Dies liegt an der Lage des Kessels und den Wäldern, die an seinem Rand liegen und eine natürliche Grenze zu den steil aufragenden Felsen bilden. In all den Jahren haben sich nur sehr wenige Menschen in dieses Tal verirrt. Die Cherokee lassen Tom Graham in Ruhe. Früher haben sie mit ihm gehandelt, doch sie kommen seit einiger Zeit nicht mehr. Für sie war er nur ein eigenbrötlerischer Einsiedler, der mit den Weißen und dem Leben selbst abgeschlossen hat, um im Einklang mit der Natur zu leben.
»By Gosh!«, entfährt es dem Alten, als er erkennt, wer ihn da besucht. Der Mann reitet einen teuren Bronco-Hengst. Solche Pferde kosten mindestens dreihundert Dollar, was enorm viel Geld ist, denn ein normales Reittier ist in den größeren Siedlungen schon für knapp zwanzig Dollar zu haben. »Zack Tully! Ich glaube, mich trifft der Schlag!«
»Tom«, grüßt ihn der Mann auf dem Pferd. »Ich sehe, die Jahre haben es gut mit dir gemeint. Du bist keinen Tag gealtert.«
»Verfluchter Lickspittle! Ich höre, du hast dein loses Mundwerk noch immer nicht eingebüßt.«
Er kneift die Augen zusammen, um Zack Tully besser sehen zu können.
Wie lange ist es schon her, dass sie das letzte Mal zusammen am Feuer gesessen und Speckpfannkuchen gegessen haben? Es muss eine halbe Ewigkeit her sein!
Tully wollte damals nach Mexiko, denn er war davon überzeugt gewesen, dass die Revolution gegen Kaiser Maximilian ihm gänzlich neue Möglichkeiten offenbarte.
Zack Tully ist ein sehniger, fast drahtiger Bursche, an dessen Körper kein Gramm Fett zu viel ist.
Er schwingt sich mit einer Eleganz vom Sattel seines Bronco-Hengstes, dass man meinen könne, er stammt aus einer alten Artisten-Familie. Als er auf Tom Graham zukommt, ist die Selbstsicherheit in seinen Schritten nicht zu übersehen. Obwohl er freundlich lächelt, liegt eine gewisse Härte in seinen Gesichtszügen. Unter dem Stetson funkeln zwei dunkle Augen, die abwechselnd den Alten und die Hütte taxieren, als wolle er genauestens prüfen, dass ihm keinerlei Gefahr droht. Sein dürres Gesicht wird von einem ergrauten Mutton-Chops-Bart mit verlängerten Koteletten dominiert. Von einem Messerkampf stammt eine Narbe auf der rechten Wange. Als er den Stetson abnimmt, sieht man dunkles Haar, das von Grau durchzogen ist.
»Wie lange ist es her, Tull, seit wir das letzte Mal zusammengesessen und Speckpfannkuchen gegessen haben?«, will Tom Graham von seinem Gegenüber wissen, als sie die Hände schütteln und sich umarmen. Der Händedruck von Tully ist fest und schmerzt, doch der Alte lässt sich nichts anmerken. Schmerzen kennt er zur Genüge, denn die Arthrose in seinen Gelenken ist schon weit fortgeschritten. Er will kein Mitleid. Es soll auch keine Träne vergossen werden, wenn Tom Graham in absehbarer Zeit den letzten Zug nach Westen nehmen wird.
»Viel zu lange, Tom! Viel zu lange!«, erwidert Tully. »Und soweit ich weiß, waren es keine Speckpfannkuchen, sondern eine volle Flasche Tiswin, die wir brüderlich geteilt haben.«
Jetzt schleicht sich ein Grinsen in das Gesicht des Oldtimers. Er betrachtet Tully einen Moment und nickt dann anerkennend. Tullys Ausrüstung ist wirklich kostspielig. Mag es sich um das Remington Rollblock-Gewehr mit dem Vollmer-Zielfernrohr, die edle Kleidung, die einem spanischen Hidalgo in nichts nachsteht, den tadellos eingerittenen McClellan-Sattel mit den Ziernähten und Punzierungen oder das Camping-Gerät handeln. Allein die Cowboystiefel aus weichem Leder mitsamt den dekorativen Stickereien unter der weichen Schlaufe, die gemeinhin als Maultierohr bekannt ist, müssen ein Vermögen gekostet haben.
»Wie ich sehe, bist du zu Geld gekommen. Es hat sich wohl gelohnt, in das Land der Bohnenfresser zu gehen?«
»Es haben sich ein paar Möglichkeiten ergeben«, meint Tully lakonisch, ohne näher darauf einzugehen.
»Ich wollte mir gerade ein paar Eier in die Pfanne schlagen. Ich nehme stark an, du hast Hunger mitgebracht?«, fragt der Alte.
»Wenn du mir noch ein Dach über dem Kopf anbieten kannst, werde ich wenigstens für heute der glücklichste Mensch auf dieser Erde sein«, erwidert Tully.
»Wo hast du dich herumgetrieben?«, will Tom von seinem Besucher wissen, während sie das Dunkel der Hütte betreten. Drinnen ist es angenehm kühl, auch wenn es ein wenig müffelt.
»Ich war hier und dort. Zuletzt in Bitter Ridge, falls dir das etwas sagt.«
»Bitter Ridge?«
»Ein kleines Nest in Arizona«, meint Tully und lässt sich mit einem Ächzen auf einem Stuhl nieder. An der Stirnseite der Hütte befindet sich ein Kamin aus Stein, in dem ein heimeliges Feuer brennt. Im Hintergrund macht sich Tom bereits an den Töpfen und Pfannen zu schaffen.
»Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst!«, ruft Zack Tully über seine Schulter hinweg.
»Ich mag zwar alt und dämlich sein, aber ich brauche keine Hilfe«, kommt es aus einer Ecke zurück.
»Dein kleines Valley erinnert mich ein wenig an den Ort, an dem ich war. Bitter Ridge liegt ebenfalls verborgen in einem Canyon.«
»Was hattest du dort zu suchen?«
»Nicht viel. Habe die Stadt von ein paar Dollarwölfen befreit und bin dann weitergezogen.« Tully schüttelt den Kopf und seufzt dabei schwerfällig. »Weißt du, egal, wohin man kommt, es gibt überall böse Menschen.«
»Ich hoffe, du hast der verdammten Bande ordentlich eingeheizt«, meint der Oldtimer und muss dabei kichern.
»Ich frage mich manchmal, ob ich wirklich einer von den Guten bin …«
»Warum denn nicht?«
»Nun ja, ich tue Gutes auf böse Art und Weise. Das ist irgendwie nicht rechtens.«
»Teufel, Tully! Was ist in Mexiko geschehen? Haben die Greaser aus dir einen verdammten Philosophen gemacht?«
Bei diesen Worten muss Zack Tully laut loslachen. »Ich weiß nicht, Tom! Ich frage mich, was ich wohl hinterlassen werde, wenn mich irgendwann einmal eine Kugel von den Beinen reißt.«
Tom Graham tritt neben seinen ehemaligen Weggefährten. In den knorrigen Händen hält er eine Pfanne.
»Dazu wird es irgendwann kommen, was?« Graham blickt ihn traurig an. Und einmal mehr wird Tully bewusst, wie alt sein Freund geworden ist. Die Augen haben jeglichen Glanz verloren. Das Lebenslicht dieses einst so stolzen Mannes ist fast erloschen. Er fragt sich, was die Seele in diesem ausgemergelten Körper noch hält.
»Es ist das Schicksal eines jeden Mannes aus meiner Gilde.« Er klopft mit der Hand gegen den Colt Lightning, den er tief unter der Hüfte trägt, wie es sich für einen ordentlichen Revolverschwinger gehört. »Irgendwann wird der Tag kommen, an dem ein anderer Wolf schneller ziehen wird.«
Es ist das traurige Los so vieler Revolverschwinger: Mit dem Alter lassen die Reflexe nach. Und wenn dieser Zeitpunkt gekommen ist, wird ein anderer Pistolero das Duell für sich entscheiden.
Tom Graham bemerkt die Lassonarben auf Tullys Händen. Er weiß, dass Zack viele Jahre auf einer Ranch gearbeitet hat. Sogar an Rodeo-Turnieren hat er teilgenommen und sich auf diese Weise seine eigene Gürtelschnalle verdient.
Vielleicht ist es besser so, denkt der Oldtimer für sich. Tully wäre als Cowboy nie glücklich geworden. Das Gefühl von Freiheit hält nicht lange an. Im Alter stürzen die meisten Cowboys in tiefe Not und Abhängigkeit. Wenn sie nicht mehr reiten können, verdienen sie sich ein paar Dollars in Mietställen, und mit viel Glück dürfen sie nachts im Stroh schlafen. Nein, das wäre wirklich kein Leben für jemanden wie Zack Tully. Als Revolverschwinger kann er die Freiheit auskosten wie ein stolzer Hidalgo. Er muss nicht alt und krummbeinig werden, wie die meisten Ex-Cowboys. Deshalb hat es ihn auch nicht auf der Ranch gehalten.
»Was hält dich ab, diesem Leben abzuschwören und dich irgendwo niederzulassen?«
Tully nickt seinem Freund zu. »Ich will einfach nicht alt und gebrechlich werden.«
»Alt werden ist ein Privileg für die Harten und Zähen unter uns«, krächzt Tom und stellt die Pfanne auf dem Tisch vor dem Kamin ab. Er lässt sich neben Tully auf einem der Stühle nieder, wobei seine Gelenke einmal mehr hörbar knacken.
»Manchmal habe ich genug von diesem Land … voller Niedertracht. Doch dann zieht es mich wieder hinaus. Ich kann nicht aufhören. Es gibt noch zu viel Böses hier draußen.«
»Du verrückter Hund! Das Böse ist dir doch nichts mehr schuldig. Du hast deine Familie gerächt … schon vor langer Zeit.«
»Mag sein …« Zack Tully verstummt mitten im Satz. Sie schweigen eine Zeit lang. Das einzige Geräusch ist das Knistern der Holzscheite, die von dem Kaminfeuer verzehrt werden.
»Also? Warum bist du hier, Tully?«, will Tom schließlich von dem Mann wissen.
»Darf ich denn nicht einen alten Freund besuchen?«, antwortet Tully mit einer Gegenfrage.
»Ha! Ein Mann wie du kommt nicht einfach so daher geritten, um einen alten Freund zu besuchen!«
»Jetzt kränkst du mich aber«, sagt Zack und verzieht das Gesicht.
»Na los, spuck’s aus. Warum bist du hier?«
»Vielleicht wollte ich mich einfach nur davon überzeugen, dass du noch lebst.«
»Dann hast du großes Glück gehabt, denn der letzte Zug nach Westen wird sicher nicht lange auf sich warten lassen.«
»Wie alt bist du, Tom?«
»Zu alt.«
Erneutes Schweigen.
Schließlich erhebt sich Tom Graham, denn er verspürt ein Ziehen in seiner Magengegend. Er hat heute noch nichts gegessen. Seit ein paar Jahren schon hat er kein Hungergefühl mehr, muss sich regelrecht zwingen, etwas zu essen. Doch der unerwartete Besuch hat ihn irgendwie hungrig gemacht. Es wird Zeit, die Eier in die Pfanne zu schlagen.
»Ich will dir dieses Tal samt der Hütte abkaufen, Tom«, erklärt Tully, als sein alter Weggefährte die Eier über dem Kaminfeuer erhitzt.
»Abkaufen?«, wiederholt der Oldtimer verdutzt und hält mit den kreisenden Bewegungen der Pfanne über dem offenen Feuer inne. »Ich brauche kein Geld mehr.«
»Hast du Familie oder Verwandtschaft? Ich könnte ihnen eine großzügige Summe …«
Tom schüttelt den Kopf. »Die sind alle schon vor mir gegangen. Meine Schwester starb vor zehn Jahren an den Pocken.«
»Sie hatte keine Kinder?«
Tom schüttelt den Kopf. Er blickt Tully einen Moment lang mit seinen Augen an, aus denen jeder Lebenswille schon lange entwichen ist.
»Wofür brauchst du diese Hütte?«, will Tom Graham von seinem Freund wissen. »Ein Mann wie du hält es doch nirgendwo lange aus.«
Tully fährt sich mit der Zunge über die Lippen, ehe er antwortet: »Ich brauche einen Rückzugsort.«
»Wirst du etwa gesucht?«
»Großer Gott, nein! Was denkst du bloß von mir …?«
Der Oldtimer kichert. »Dieses Land ist groß, Zack! Orte wie diesen findest du überall! Warum ausgerechnet Misty Valley?«
»Misty Valley? So nennst du also dieses Tal?«
»Ganz recht.«
»Meine Eltern lebten eine ganze Zeit lang in Chattanooga. Sie folgten dem Tennessee River bis zur Siedlung und ließen sich dort nieder. Mein alter Herr verstand viel vom Handwerk, deshalb eröffnete er ein Schuhmachergeschäft auf der Mainstreet.« Für einen Moment wird der Blick von Tully ganz starr, denn er sieht in diesem Augenblick den kleinen Laden vor seinem inneren Auge. Die Schuhe wurden in Kartons bis zur Decke gestapelt, und es roch immer nach Lederfett. »Meine Mutter war früher Köchin für einen wohlhabenden Waffenschmied in Pecos. In Chattanooga hat sie im Rusty Spur für das leibliche Wohl der Händler, Kauf- und Fuhrleute gesorgt.«
Ja, er hat eine besondere Beziehung zu Küchen. Als Junge hat er viel Zeit hinter Töpfen und Pfannen verbracht. Der Trubel, der in der Küche herrschte, hat ihm gefallen. Gerne erinnert er sich an die vier schwarzen Ladys, die seine Mutter unterstützten und mit ihren kehligen Stimmen immer Gospels angestimmt haben.
Tom Graham schweigt, wartet darauf, dass Zack Tully fortfährt, doch es dauert eine ganze Zeit lang, bis der Revolverschwinger wieder das Wort ergreift.
»Nenn es einen Anflug von Sentimentalität, aber wenn es für mich so etwas wie einen Rückzugsort gibt, dann liegt er hier, im Herzen von Tennessee.«
»Wegen eines kleinen Tals in den Smoky Mountains bist du den weiten Weg aus Arizona gekommen?«
»Ich will in ein paar Tagen weiter Richtung Chattanooga ziehen. Noch einmal die Orte meiner Kindheit und Jugend bereisen.«
»Jetzt klingst du schon fast wie ich«, meint Graham.
Der Oldtimer weiß, dass Tully einen Großteil seiner Jugend in diesem Land verbracht hat. Ist es wirklich ein Anflug von Sentimentalität, der den Mann nach Tennessee getrieben hat?
Das passt nicht zu Zack Tully, der ein kaltblütiger Revolverschwinger ist.
Tom Graham erinnert sich noch gut an ihre gemeinsame Zeit in Nebraska.
Man könnte fast meinen, zwei Seelen wohnen in der Brust dieses Mannes. Da ist dieser sympathische nette Kerl … und dann ist da auch noch diese dunkle Seite in ihm. Wenn man ihn in einen Käfig voller Wölfe und Kojoten steckt, wird er zu einem gnadenlosen Tiger, der alles in Stücke reißt. Zack ist ein furchtloser Mensch, der bei einem Duell jederzeit ein vorzeitiges Ableben in Kauf nimmt.
»Hm …« Tom Graham kratzt sich am Hinterkopf, dann beginnt er wieder die Pfanne über den Flammen zu schwenken.
Nach kurzer Zeit sind die Eier gut. Er lässt sie auf zwei Teller gleiten, die er im Vorfeld auf den Tisch gestellt hat. Als Tom sieht, dass Besteck fehlt, schlurft er zu dem Wandschrank am großen Fenster und öffnet eine der Schubladen. Mit Gabel und Messer kehrt er zum Tisch zurück.
Sie essen stillschweigend, jeder hängt seinen Gedanken nach. Als Tom fertig ist, schiebt er den Teller von sich weg und starrt hinüber zu Tully.
»Ich mache dir einen Vorschlag, Zack«, sagt er schließlich und räuspert sich.
Tully ist ebenfalls mit dem Essen fertig und beginnt sich eine Zigarette zu drehen.
»Ich höre.«
»Du wirst mich wie einen Christmenschen in diesem Tal beerdigen. Und du wirst dich um diese alte Lady hier kümmern, sie ist ebenso wie ich in die Jahre gekommen.« Mit Lady meint Tom Graham die Hütte. Ihm blutet das Herz, wenn er daran denkt, dass sie irgendwann nicht mehr als eine verfallene Ruine sein wird, von der nichts weiter übrigbleibt als ein paar morsche Hölzer und Steine.
»Du bist zäh wie Leder«, meint Tully. »Ich kann nicht warten, bis du stirbst, Tom. Es werden noch Jahre ins Land ziehen. Und jemand wie ich ist ein Falke, wenn er im Sattel sitzt. Mich hält es nicht lange an einem Ort.«
»Meine Zeit ist in Wochen, wenn nicht sogar Tagen bemessen. Ich spüre das Ende.«
»Sei dir da mal nicht so sicher«, erwidert Tully.
»Also haben wir einen Deal?«
Tully blinzelt sein Gegenüber aus müden Augen an. Er ist lange unterwegs gewesen. Die Reise nach Tennessee war hart und entbehrungsreich. Durch fünf Bundesstaaten ist er geritten, um hierherzukommen, an den Ort seiner Kindheit und Jugend. Im Grunde will er hier nur ein paar Tage bleiben und seine müden Knochen ausruhen. Danach sollte es weiter nach Chattanooga gehen. Doch was spricht dagegen, dem alten Tom Graham ein wenig Gesellschaft zu leisten? Er muss schließlich zur Ruhe kommen. Die Reise hat ihren Tribut gefordert.
»Du willst also wie ein Christmensch begraben werden?«
»Yeah.«
»Seit wann bist du ein gottverdammter Christmensch?«
Jetzt muss Tom Graham laut loslachen, und für einen kurzen Moment ist sie wieder da: diese lebensbejahende Freude, die jedem Menschen innewohnt. Doch sie währt nur einen kurzen Augenblick, dann werden die Augen wieder stumpf – so wie altes Glas, das blind geworden ist.
»Ich werde dich beerdigen und mich um deine Hütte kümmern.«
»Bekomme ich dein Wort darauf?«
Zack Tully beugt sich nach vorne und reicht ihm die Hand.
»Ich werde gleich morgen ein behördliches Schreiben aufsetzen, dass die Wasserrechte an dich übergehen, wenn ich nicht mehr bin.«
Damit ist alles gesagt und der Deal besiegelt.
Colonel Trout hebt die Hand. Seine Männer versammeln sich mit ihren Pferden hinter ihm in einer Doppelreihe, so wie man es von einer Kavalleriepatrouille kennt und erwartet.
Der Mann richtet sich im Sattel auf. Hinter ihm ist das Schnauben und Scharren der Pferde zu vernehmen. Er ist ein schwergewichtiger Mann mit einer beachtlichen Leibesfülle. Trout ist nicht sein wahrer Name, er war auch nie beim Militär gewesen. Seine Männer nennen ihn Colonel Trout wegen seiner eisernen, militärischen Disziplin, mit der er seine Bande führt. Der Kerl ist wirklich keine Schönheit. Daran sind nicht nur die dreihundert Pfund Körpergewicht schuld, sondern auch sein ausdrucksloses Fischgesicht, indem sich nie auch nur eine Emotion widerspiegelt. Die dicken Wangen, der breite Mund, aber auch die im Verhältnis zum Kopf viel zu klein wirkenden Augen erinnern an einen Karpfen in Menschengestalt.
Für einen kurzen Augenblick werden seine Äuglein noch eine Spur schmaler als sie es bereits sind. Sein Mund verzieht sich ein klein wenig und wäre sein Gesicht zu einer emotionalen Regung fähig, hätte man mit viel Wohlwollen von einem Lächeln sprechen können. Doch das ist es nicht.
Die Reiter befinden sich auf einem Bergmassiv, haben vor Kurzem die Ausläufe eines Plateaus von gewaltigem Ausmaß erreicht. Hier gibt es zahlreiche Quellen und Wasserläufe, sogar ein See in Form eines Halbmondes ist vorhanden. Der Wind fährt durch die Wälder und das Buschwerk. Am Rand des Felsenplateaus thront eine riesige Ranch. Sie steht wie ein stummer Wächter am Abgrund. Es ist ein steinernes Bollwerk inmitten dieser Wildnis. Von dort aus kann man das gesamte Land überblicken, denn das Plateau befindet sich in solch luftiger Höhe, dass es alle anderen Hügel und Berge in der näheren Umgebung überragt. Es gibt nichts Schönes an dem Bauwerk. Durch eine Veranda, von der aus Späher das ganze Land überblicken können, kann sich niemand dem Felsenplateau nähern, ohne gesehen zu werden. Im Umkreis von einer Meile ist das Land gerodet. Jeder, der sich dem Berg nähert, befindet sich dadurch auf einem offenen Präsentierteller.
»Trueman!«, donnert der Colonel mit seiner befehlsmäßigen Stimme. Einer der Reiter löst sich aus der Gruppe und gesellt sich zu dem schwergewichtigen Mann. Jack Truemann ist ein löwenhafter Mann mit goldenen Locken, die denen eines Engels gleichen. Doch das ist auch schon die einzige Gemeinsamkeit, die er mit einem solchen Engelswesen innehat. Sein Körper strotzt nur so vor Kraft und Energie. Er besitzt einen bulligen Stiernacken, der im Moment einem feuerroten Band gleicht, weil er ihn nicht genügend vor der Sonne geschützt hat. Dicke Muskelpakete zeichnen sich unter dem karierten Hemd ab.
»Reite voran und kündige uns an!«
»Jawohl, Colonel«, entgegnet Trueman und salutiert geflissentlich wie ein Armeesoldat. Dann gibt er seinem Pferd die Sporen und donnert in einem wilden Galopp über die weite Ebene in Richtung der Ranch.
Trout blickt dem davon reitenden Mann einen Moment lang nach.
Er ist zurückgekehrt in sein Reich. Jemand wie der Colonel kann es sich nicht erlauben, länger wegzubleiben. Zum einen ist ein fettes Kopfgeld auf ihn ausgesetzt und zum anderen bedarf es einer harten Hand, dieses kleine Königreich zu führen. Wenn Colonel Trout länger wegbleibt, dann besteht die Gefahr, dass sich ein anderer Bandit die Ranch unter den Nagel reißt. Es sind Wölfe, die auf dem Plateau leben. Und es liegt in der Natur des Wolfes, gierig zu sein, wenn sich die Gelegenheit ergibt.
Trout war eine Woche lang weg gewesen. Sie haben in diesem Zeitraum gute Beute gemacht. Die Postkutsche, die sie überfallen haben, wird nie ihr Ziel erreichen. Seine Männer haben sämtliche Spuren verwischt. Lediglich die weiblichen Passagiere hat Trout verschont, denn es waren drei wirklich bezaubernde Ladys, die sich auf die Reise durch dieses wilde Land gemacht haben. Er blickt über seine Schulter. Man hat die gefangenen Frauen bäuchlings über die Lasttiere gebunden. Sie sind nackt und ein Großteil der Männer hat sich bereits an ihnen vergangen. Die schöne Carmen wird auf der Ranch viel zu tun haben, um die Ladys wieder einigermaßen herzurichten. Frauen sind in diesen Zeiten viel wert. Trout wird sie gegen Waren und blanke Dollar eintauschen. Vermutlich werden sie in irgendeinem mexikanischen Bordell enden. Colonel Trout unterhält gute Kontakte zu mächtigen Bandenbossen jenseits der Grenze. Sein Einfluss reicht bis nach Chihuahua – einem der größten Pestlöcher, die er je mit eigenen Augen gesehen hat. Das Schicksal der Frauen ist Trout vollkommen egal. Er hat genug Stuten in seinem Leben besteigen können. Das menschliche Fleisch mit all seinen Begierden interessiert ihn nicht mehr. Was Trout sucht, ist Macht. ´
Der Colonel zieht seinen weißen Handschuh aus und fährt sich mit der Hand über seinen kahl rasierten Schädel. Obwohl der Himmel wolkenverhangen ist und es hier oben deutlich kühler ist, schwitzt er aus allen Poren. Ein hauchdünner Schweißfilm überzieht das ganze Gesicht, lässt ihn einmal mehr aussehen wie einen glänzenden Karpfen, den eine Laune des Schicksals an Land gespült hat.
Wenn er zurück auf der Ranch ist, wird er ein Bad in dem halbmondförmigen See nehmen. Dass es hier oben Wasser gibt, ist ein Wunder der Natur. Vermutlich gibt es tief im Fels Quellen, die unter Druck stehen, weil sie von anderen Seen gespeist werden, die noch höher liegen als das Plateau. Das Wasser hat sich seinen Weg durch das poröse Gestein gebahnt, um so den unterirdischen Quellen den Druck zu nehmen. Dadurch ist der See mit seiner charakteristischen Form entstanden.
Trout zieht den Handschuh wieder an und reckt die Faust in die Höhe. Das Zeichen zum Aufbruch. Er setzt sein Pferd in Bewegung, die Männer hinter ihm folgen ihm in Zweierformation. Niemand schert aus der Reihe aus. Eine Kavalleriepatrouille hätte sich nicht besser fortbewegt.
Bis zur Farm sind sie etwa eine halbe Stunde lang unterwegs. Sie kommen an grünen Weideflächen vorbei, auf denen die Rinder der Ranch friedfertig grasen.
Trouts kleines Reich besteht aus einem massiven Haupthaus, an das sich ein Bunkhaus für die Weidereiter anschließt. Drei Holzhütten stehen etwas abseits und sind für die farbigen Bediensteten reserviert. Es gibt einen Corral, auf dem sich unzählige Tiere tummeln. Hinter dem Stall erhebt sich eine Scheune mit Giebeldach und einem bunten Glasfenster im Obergeschoss. Etwas abseits der kleinen Siedlung ist ein Camp errichtet worden, auf dem Frachtwagen stehen. Ein Lagerfeuer brennt. Eine Handvoll Männer sitzt davor und trinkt Kaffee.
Die Bediensteten des Hauses stehen schon stramm in Reih und Glied, als sich die Kolonne in Doppelformation dem Haupthaus nähert. Die Frauen tragen schwarze Kleider mit weißen Schürzen und Hauben. Ihre Ärmel sind mit Rüschen besetzt.
Die Männer tragen eine Kombination aus Jacke, Hose und Weste. Sie nehmen Haltung vor den Reitern an, die Arme sorgfältig hinter dem Rücken verschränkt.
Einer der Bediensteten eilt Colonel Trout entgegen und hilft ihm beim Absitzen. Es liegt wahrhaftig nichts Anmutiges in der Bewegung, der arme Kerl muss seinem Boss kräftig unter die Arme greifen. Fettrollen bewegen sich unästhetisch, während Trout mithilfe des Dieners absitzt. Jetzt, wo er wieder festen Boden unter den Füßen hat, sieht man erst, wie korpulent der Colonel ist. Sein Bauchumfang ist kolossal und die Hose viel zu eng, sodass der Bauch bedeutsam gegen den Stoff spannt.
Trout zieht die weißen Handschuhe aus, reicht sie wortlos dem Diener und fährt anschließend mit der Hand über seine Glatze. Er schwitzt noch immer außergewöhnlich stark. Als ihm bewusst wird, dass er keine Handschuhe mehr trägt, zieht er angeekelt die Hand zurück und streift sie an der Hose ab.
Trueman tritt an seine Seite. Er deutet mit der Hand in Richtung der Frachtwagen und der Männer am Lagerfeuer. »Wir haben Besuch aus Knoxville, Sir. Es ist Mulligan und seine Bande.«
»Was hat der irische Bastard mitgebracht?«
»Waffen und Munition, Sir!«
»Wir brauchen keine Waffen. Unser Lager ist voll.«
»Es sind Remingtons mit dem neuen Verschlusssystem. Rollblock-Gewehre. Man sagt, dass diese Büchsen den Sharps überlegen sind.«
»Wie ich Patrick Mulligan kenne, will er für die Gewehre ein Vermögen haben.“
»Wir könnten Pferde von den Mexikanern eintauschen. Jetzt, wo der Winter einbricht, brauchen wir dringend Platz in den Ställen!«
»Ich will mich aber nicht von unseren Mexikanern trennen. Die Tiere sind mutig, lernwillig und haben ein gutes Gedächtnis. Ihre Blutlinie reicht bis in 16. Jahrhundert zurück«, gibt Colonel Trout zu bedenken.
»Ich habe ja auch nicht gesagt, dass wir sie dem Iren schenken sollen.«
»Wir werden sehen.«
»Mister Mulligan wird bestimmt heute Abend an Ihrem Tisch essen wollen, Sir«, meint Trueman und fährt sich mit der Hand durchs lockige Haar. In diesem Augenblick sieht er wie ein Löwe aus.
Colonel Trout bleibt stehen, um nachzudenken. Dass der Ire mit ihm heute Abend speisen will, passt ihm gar nicht. Er war einige Tage weg und braucht jetzt dringend Ruhe. Er will im See schwimmen gehen und danach ein Buch lesen. Ein Mann seiner Klasse muss schließlich gebildet sein. Wissen liegt in Büchern und ist Zugang zu Macht. Trout ist darauf bedacht, in allem, was er tut, auf seinem Lebensweg weiterzukommen. Ein Abendessen mit Mulligan bringt ihn nicht weiter. Im Grunde kann er den irischen Bastard nicht leiden. Vor seinem inneren Auge sieht er ihn vor sich lamentierend am Tisch sitzen. Jammern und Nölen, das ist alles, was dieser Kerl kann, wenn er nicht gerade vom Land seiner Väter schwärmt. Der Whiskey ist beschissen, die Weiber sind langweilig, die hiesige Küche kann es nicht mit einem ordentlichen Irish Stew oder Colcannon aufnehmen, Hash Browns sind eine Beleidigung für jemanden, der Boxties zum Frühstück isst …
Der Colonel kann das Nörgeln nicht mehr hören. Für einen Moment ist er gewillt, den rothaarigen Kerl einfach über den Haufen zu schießen. Das wäre eine einfache Sache. Aber es würde ihm ordentlich Ärger mit den Iren einhandeln, und das ist etwas, das er vermeiden will. Sein Königreich muss als Stützpunkt für alle Hehler und Banditen neutral bleiben. Denn die Ranch hoch oben in den Smoky Mountains ist Handelsplatz, Treffpunkt und Umschlagplatz für jene Menschen, die eine kriminelle Gesinnung in ihrer Seele tragen. Der Colonel ist einer der größten Hehler, die dieses Land je hervorgebracht hat. Er ist einer der mächtigsten Männer im Land. Macht bedeutet ihm einfach alles. Und hier hat er sein eigenes Königreich geschaffen. Eine Mischung aus eiserner Disziplin und Ehrgeiz hat ihn zu dem gemacht, was er heute ist: ein King unter den Gesetzlosen.
»Ich werde eine Runde schwimmen gehen«, meint der Colonel.
»Soll ich eine der Frauen rufen, Sir?« Er weiß, dass sich sein Boss manchmal mit einer der Frauen im See vergnügt.
Trout schüttelt den Kopf. »Nein, ich will alleine sein. Der Neger soll den Tisch decken. Ich werde nach Sonnenuntergang Mulligan empfangen.«
»In Ordnung.«
»Und … Trueman …«
»Ja, Sir?«
»Der Neger soll gefälligst Handschuhe anziehen, wenn er den Tisch deckt. Ich möchte seine ekelhaften schwarzen Tatzen nicht auf meinem Porzellan sehen.«
»Ich werde es ihm sagen.« Trueman salutiert und wendet sich von seinem Boss ab. Einen Moment lang schaut ihm der Colonel aus seinen kleinen Fischaugen nach. Sein Gesicht glänzt im Schein der untergehenden Sonne. Er muss sich beeilen, wenn er noch ein paar Runden im kühlen Nass des Sees drehen will.
Er ist zufrieden mit Trueman. Es war definitiv kein Fehler, ihn zum Vormann der Ranch zu ernennen. Der Colonel schätzt seine bedingungslose Loyalität. Seine Männer respektieren ihn, denn wenn Trueman zuschlägt, dann klingeln die Glocken. Er wird ihm eine seiner Frauen für die Nacht geben, die ihn von dem unsagbaren Druck zwischen seinen Lenden befreit. Das wird ihn sicherlich freuen und stärkt zusätzlich die Bande zwischen ihnen. Ja, der Colonel kann sehr gönnerhaft sein, wenn er möchte. Es muss nur einem Ziel dienen. Hier in seinem Königreich gibt es nämlich nichts zu verschenken.
Sein Blick wandert zu den Frachtwagen und den Männern, die dort sitzen. Er sieht Patrick Mulligan in der Nähe des Feuers. Der Kopf des Mannes ist feuerrot.
Wahrscheinlich hat er schon den ganzen Tag über gesoffen. Das kann ja heiter werden!, denkt sich Trout. Er wendet sich schnell ab, ehe der Kerl am Feuer ihn bemerkt.
Einer seiner Männer tritt vor ihn und salutiert, wie es sich für ein Mitglied seiner Mannschaft gehört. Trout ist genervt, will er doch nur noch ins kühle Nass, um sich von dem Staub und Schweiß der vergangenen Tage zu befreien.
»Was machen wir mit den Frauen, Boss?«, fragt der Mann und deutet auf die Gefangenen aus der Kutsche. Es sind zwei Blondinen und eine schwarzhaarige Dame mit dem Charme einer verwegenen Raubkatze. Ihre nackten Körper sind eine wahre Augenweide, doch das interessiert Trout im Moment nicht. Die Angst spricht aus ihren Gesichtern. Sie können nur erahnen, was der Colonel mit ihnen vorhat.
»Wir werden sie an die Mexikaner verkaufen«, meint Trout und tritt vor die Ladys. »Ich werde für euch Putas sicherlich fünfzehnhundert Dollar bekommen. Das macht also viertausendfünfhundert Dollar auf einen Streich. Wenn ihr meinen Männern irgendwelche Probleme bereitet, werde ich euch bei lebendigem Leib die makellose Haut von euren Körpern ziehen, verstanden? Ich habe fünfzehn Jahre lang bei den Apachen gelebt und weiß, welche Schmerzen man dem menschlichen Körper bereiten kann. Habt ihr das kapiert?« Die Sache mit den Apachen ist gelogen, doch sie macht ganz schön Eindruck auf die Ladys. So läuft es immer ab, wenn er von seiner angeblichen Zeit bei den Apachen erzählt.
Zu seinem Mann sagt der Colonel: »Bring sie zur schönen Carmen. Sie soll ihnen alle Wünsche erfüllen. Meinen Investitionen soll es an nichts fehlen.«
»Geht klar, Boss!«
Trout wendet sich von den drei Frauen ab. Schwerfällig, von einer fast schon plumpen Gangart getrieben, marschiert der Colonel in Richtung des Sees. Seine massigen Schultern schwanken dabei von einer Seite zur anderen. Er sieht in diesem Moment wie ein Walross an Land aus, den Körper leicht nach vorne gebeugt.
***
Sie sitzen stillschweigend um das Lagerfeuer. Jeder von ihnen hängt seinen eigenen düsteren Gedanken nach. Irvine Drummond hat die Stiefel ausgezogen und betrachtet seine wunden Füße. Es haben sich ein paar hässliche Blasen gebildet. Sein Schuhwerk ist nicht dicht, was die Blasenbildung hier draußen noch begünstigt hat. Schweiß und Regen, gepaart mit dem langen Marsch durch die Wildnis, haben seine Füße stark malträtiert.
Chad und Morgan MacPhee starren gedankenversunken in die Flammen. Hin und wieder verglüht eine Mondmotte oder ein Eulenfalter mit einem leisen Knistern, weil sie sich zu nahe an das Feuer gewagt haben.
Es raschelt im Gebüsch. Die Männer fahren wie vom Blitz getroffen in die Höhe.
»Was zum Teufel …?«, flucht der jüngere der beiden MacPhee-Brüder.
»Shhhh!«, zischt Irvine Drummond. Seine Hand fährt zu dem Colt Peacemaker, den er in einem Schulterholster um die Brust trägt.
Dann passiert alles ganz schnell. Mehrere Gestalten brechen durch das Dickicht und stürzen sich auf die drei Männer. Ein wildes Chaos bricht aus. Irvine Drummond schafft es nicht mehr, den Colt hochzubringen, denn er wird von einer der Gestalten niedergerissen. Zunächst glaubt er, dass es Indianer sind, die sie überfallen, doch keine Rothaut würde so vorgehen. Wenn es welche gewesen wären, dann wären Drummond und seine Begleiter bereits tot. Außerdem hat sein Widersacher nichts Indianerhaftes an sich. Als der Schein des Feuers auf die Gestalt fällt, glaubt Irvine Drummond, in die Visage eines Wahnsinnigen zu blicken. Die Augen sind weit aufgerissen. Speichelfäden kleben in den Mundwinkeln. Das Gesicht ist vollkommen mit Dreck verklebt, sodass man die Hautfarbe nur mehr erahnen als wirklich sehen kann.
Der Geruch ist so widerwärtig, dass Drummond kurzzeitig meint, sich übergeben zu müssen.
So abartig riechen nicht mal die Minenarbeiter, wenn sie wochenlange nicht waschen.
Ein Messer blitzt im Feuerschein auf. Irvine reagiert blitzschnell. Es sind blinde Reflexe. Sein Arm schnellt nach oben, ehe der Angreifer zustoßen kann. Seine Hand umfasst das Handgelenk des Mannes. Ein unheilvolles Knurren entfährt seiner Kehle, während ein Speichelfaden auf Drummonds Gesicht tropft.
Der Kerl ist ganz schön stark.
Irvine muss alle Kräfte mobilisieren, damit das Messer nicht nach unten gleitet und ihm ins Fleisch am Hals fährt. Und da ist er wieder: dieser wilde Blick in seinen Augen. Der Typ ist absolut irre. Was auch immer er konsumiert hat, es muss eine unbekannte Droge sein. Irvine hat Süchtige in den Opiumhöhlen der chinesischen Einwanderer gesehen. Er weiß, was Alkohol, Opium oder Peyote einem Mann alles antun können. Doch das hier schlägt alles. Vielleicht ist es gar keine Droge. Möglicherweise hat sich der Kerl mit Tollwut angesteckt. Vermutlich wurde er von einem infizierten Tier wie einem Fuchs, Waschbären oder Stinktier gebissen. Es gibt hier draußen sogar Gerüchte, dass Fledermäuse die Krankheit übertragen können.
Ein Schuss löst sich. Den Kopf des Wilden zerlegt es im wahrsten Sinne des Wortes in seine Einzelteile. Hirnmasse, Knochen und haufenweise Blut ergießen sich über Irvine Drummond. Der Körper des Angreifers erschlafft schlagartig.
Drummond stößt den Toten zur Seite, während er lautstark prustet und spuckt. Sein ganzes Gesicht ist mit Blut verschmiert.
Dann krachen zwei, drei weitere Schüsse. Ein vierter Schuss. Es ist ein Colt Lightning, der da aufheult. Und dann kehrt Stille ein.
Ganz langsam stützt sich Drummond auf die Ellenbogen. Chad MacPhee steht mit seinem rauchenden Schießeisen dicht am Feuer. Vor seinen Füßen liegen drei reglose Körper. In den typischen Geruch des Lagerfeuers mischt sich der des stechenden Pulverdampfes.
»Was war das denn?«, fragt Irvine Drummond irritiert und fährt sich mit der Hand übers Gesicht. Er hat den kupferartigen Geschmack von Blut auf den Lippen. Dem Himmel sei Dank, ist es nicht sein eigenes Blut.
In diesem Moment tritt Morgan aus dem Dickicht. In seinen Händen hält er sein Winchester-Gewehr.
»Sie sind geflüchtet«, sagt er heiser.
»Warum hast du sie nicht abgeknallt?«, will Irvine wissen.
»Ich verschwende keine Kugel.«
»Bist du verrückt? Sie werden Hilfe holen.«
»Wir werden mit diesen Wilden schon fertig«, entgegnet Morgan im Brustton der Überzeugung und blickt Drummond herausfordernd an. Dieser spürt, wie sein eigenes Blut in Wallung gerät. Es fehlt nicht viel, und er wird dem vorlauten Jüngling mal gehörig die Leviten lesen.
»Wer waren die?«
Chad tritt vor einen der Toten und rollt den leblosen Körper mit der Stiefelspitze zur Seite.
»Keine Rothäute«, meint er und geht in die Hocke.
Der Tote hat blondes Haar, der starre Blick seiner blauen Augen ist leer und gebrochen. Eine Mischung aus Erstaunen und Entsetzen hat sich in seine Gesichtszüge geschlichen, ehe er für immer seinen Geist ausgehaucht hat. Ein sichelförmiger Schnauzbart bedeckt die Haut über seiner Oberlippe, dessen Enden bis tief unter die Mundwinkel hängen.
Chad durchsucht die Kleidung des Toten. Aus der Jacke zieht er ein in Leder gebundenes Buch. Den Buchrücken ziert eine goldene Schrift. Die Stirn des Mannes legt sich in die Falten, als er durch die Seiten blättert.
»Was ist das?«, will Irvine wissen.
»Das Buch Mormon.«
»Mormonen? Hier in Tennessee?«
»Ich dachte, dieses Pack ist nach Westen, Richtung Utah gezogen.«
Chad MacPhee schüttelt den Kopf. »Keine Ahnung, aber so verhalten sich keine aufrichtigen Christmenschen. Die haben sich benommen, als seien sie besessen.«
»Diese Prairie Saints haben nicht mehr alle Tassen im Schrank!« Irvine deutet auf den Toten vor sich. »Ich sage euch, zu dieser Stunde haben wir das wahre Gesicht dieser verfluchten Brighamites gesehen!« Drummond zieht lautstark Schleim seinen Hals hoch und spuckt ihn verächtlich auf den Toten vor sich, der ihm fast das Leben genommen hätte.
»Und was machen wir jetzt?«
Irvine Drummond fischt sein Staubtuch aus seinem Bündel und macht sich daran, das viele Blut vom Gesicht zu wischen. Er hält kurz inne, starrt angewidert auf die rote Schmiere, die den Stoff seines geliebten Bandanas verunstaltet, und beginnt dann mit einer Vehemenz über sein Gesicht zu streichen, als gelte es, die oberste Hautschicht blitzeblank abzutragen.
»Löscht das Feuer! Wir müssen hier weg«, sagt er düster. »Wenn da draußen noch mehr von diesen tollwütigen Gestalten sind, sollten wir unsere Beine in die Hand nehmen und so schnell wie möglich verschwinden.«
»Es ist dunkel, Irvine! Wie sollen wir uns da zurechtfinden?«
»Ich war bei den Texas Rangers, schon vergessen? Ich finde einen Weg«, knurrt Irvine Drummond, während er versucht, sein Gesicht zu säubern.
Chad und Morgan MacPhee werfen sich vielsagende Blicke zu. Doch sie erwidern nichts, wofür Irvine wiederum dankbar ist. Es gilt, jegliche Art von Diskussion zu vermeiden. Gemeinsam löschen sie das Feuer.
Der Himmel ist plötzlich wolkenverhangen. Es dauert ungewöhnlich lange, bis sich ihre Augen an die Finsternis gewöhnt haben. Erst dann marschieren sie los.
Irvine Drummond muss sich eingestehen, dass er einen Fehler gemacht hat. Es war falsch, die knallgelbe Abbot & Downing Stagecoach zu verlassen, um eine Abkürzung einzuschlagen. Ein Fehler, den er jetzt aber nicht mehr ändern kann. Es ist, wie es ist. Und es war schließlich Irvines Idee gewesen, Richtung Kansas City aufzubrechen. Dort gibt es die großen Verladestationen, wo sich das Schlachtvieh auf einer Fläche von mehr als vierzig Hektar drängt. Jedes Jahr werden dort mehr als eine halbe Million Rinder abgefertigt. Dort liegt die goldene Zukunft des Landes, denn Fleisch findet immer seinen Absatz unter der Bevölkerung.
Genau dort wollen die Männer in den Viehhandel einsteigen. Mit gutem Geschäftssinn und überdurchschnittlichen Kenntnissen über den Fleischmarkt kann man dort schnell reich werden. Zu dritt wollen sie ein eigenes Unternehmen gründen. Und irgendwann werden sie so viele Dollar verdient haben, dass sie eine Grund-und-Boden-Verwertungsgesellschaft gründen können. Dann können sie alles kaufen: Farmen, Bordelle, Saloons, ja sogar gottverdammte Minen und Claims. Doch dieser Tag liegt noch in ferner Zukunft.
Dass die Reise hart und entbehrlich sein würde, war Irvine von Anfang an klar gewesen. Auf ihrem Weg zum Reichtum muss ein jeder von ihnen Schwierigkeiten in Kauf nehmen. Er hat nur nicht gedacht, dass es schon auf dem Weg nach Kansas City so knüppelhart kommen würde …
Colonel Trout sitzt an dem langen Tisch, umgeben von einer Handvoll Männern, die stramm hinter ihm stehen. Am anderen Ende befindet sich Patrick Mulligan und hält ein Glas Bourbon in der Hand. Der Blick des Mannes ist auf die bernsteinfarbene Flüssigkeit gerichtet.
»Bourbon ist der Whiskey des armen Mannes, wenn Ihr mich fragt«, meint Mulligan und schüttelt den Kopf. »Dort, wo ich herkomme, da gibt es richtigen Whiskey. Irischen Whiskey. Und damit meine ich echten irischen Whiskey, nicht diese Brühe, wie man sie aus den englischen Brennereien bekommt.«
Patrick Mulligan spricht langsam und bedächtig, so wie es die Iren tun, wenn sie im sogenannten Donegal-Akzent sprechen. Seine Aussprache geht Trout gehörig auf den Wecker. Ihm rollen sich schon die Fußnägel hoch, wenn er Texaner sprechen hört, doch dieser Donegal-Akzent ist die absolute Krönung.
Der Colonel blickt von seinem Teller empor. Sein breiter Mund verzieht sich. Im Schein der Kerzen wirkt sein Gesicht bleich. Lauernd und bewegungslos sitzt er da, wie ein Karpfen im Teich, der auf Beute wartet. Eine unheimliche, geradezu düstere Faszination liegt in den Gesichtszügen des Mannes. Wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, er habe Kiemen hinter den Ohren, so frappierend ist die Ähnlichkeit mit einem Fischgesicht. Vielen Leuten fällt es schwer, den Blick von Trout zu nehmen, obwohl sie wissen, dass er ein gefährlicher und bösartiger Mensch ist. Doch Patrick Mulligan scheint das alles nicht wahrzunehmen, denn er ist immer noch mit seinem halbvollen Glas Bourbon beschäftigt.
»Und die Farbe … ich weiß nicht, das könnte auch Maultierpisse sein.« Er leert das Glas in einem Zug, dann knallt er es auf den Tisch.
»Nichts für ungut, aber gemessen an dem Reichtum, den du hier angehäuft hast, könntest du dir wirklich mal richtigen irischen Whiskey leisten. Scheiß auf das Geld.«
Bislang hat Colonel Trout geschwiegen. Geradezu stoisch hat er den abwertenden Äußerungen von Mulligan gelauscht. Doch irgendwann hat er die Schnauze voll von diesem irischen Dreckschwein mit den kurzen, roten Borstenhaaren und den Sommersprossen im grobschlächtigen Gesicht.
»Ich habe gehört, du hast ein paar Schönheiten mitgenommen«, sagt Mulligan und funkelt sein Gegenüber an. »Vielleicht magst du ja tauschen oder sie mir verkaufen.«
»Ich weiß nicht, wovon du redest«, brummt Colonel Trout.
Mulligan lacht laut auf. »Die drei nackten Weiber waren schwer zu übersehen, findest du nicht? Ich hätte Interesse an den beiden Blondinen.«
»Die sind aber für die Mexikaner bestimmt.«
Mulligan zieht eine Braue in die Höhe. »Du verkaufst lieber an ein paar schmierige Greaser, als mit mir Geschäfte zu machen?«
»Sagen wir es mal so: Die Mexikaner zahlen mehr als du, Patrick.«
»Mmmh …« Er verschränkt die Arme vor der Brust. Jetzt wirkt er wie ein beleidigtes Kind. Er mag es nicht, wenn er abgewiesen wird.
»Was willst du für die beiden Zuckerstücke?«
»Ich verkaufe sie nur im Dreierpack«, entgegnet der Colonel ohne jegliche Regung im Gesicht.
»Okay. Was zahlen die Mexikaner pro Frau?«
»Tausendfünfhundert Dollar …« Trout zuckt mit den Schultern. »Oder eben der entsprechende Wert in Waren. Mir ist das gleich.« Der Colonel beugt sich mit seinem massigen Oberkörper nach vorne. »Dies hier ist nicht nur eine Rinderranch, sondern einer der größten Tausch- und Hehlerplätze auf diesem gottverdammten Kontinent. Mir ist es egal, ob ich Dollar oder etwas anderes bekomme. Hauptsache, ich bleibe am Ende der Gewinner.«
Der Ire starrt ihn einen Moment lang stillschweigend an. Dann schlägt er sich mit Handinnenfläche auf den Arm, weil sich dort eine besonders große Buschmücke niedergelassen und ihn gestochen hat. Diese Buschmücken sind hier oben eine wahre Plage, denn sie brüten in stehenden Gewässern, und der See ist ein geradezu idealer Brutplatz für diese blutsaugenden Biester.
»Vielleicht werden wir uns ja am Ende doch noch einig, Trout«, meint Mulligan, und da ist plötzlich dieses Glitzern in seinen Augen. »Du weißt ja, was ich mitgebracht habe.«
»Wir haben genug Waffen, Mulligan. Ich weiß schon gar nicht mehr, wohin damit.«
»Das sind aber nicht irgendwelche Waffen«, sagt der Mann mit den roten Haaren, und ein spitzbübisches Grinsen schleicht sich in seine Gesichtszüge. »Das, was ich habe, ist die Zukunft, mein Freund.«
»Nehmen wir an, ich wäre interessiert. Was willst du dafür haben?«
»Für die Remingtons? Mmmh …« Mulligan lehnt sich genüsslich in seinem Stuhl zurück und genießt die volle Aufmerksamkeit seines Gegenübers. »Das sind Rollblock-Gewehre, mein Freund.«
»Ich überlasse dir die drei Frauen. Du ziehst dafür gleich morgen, wenn die Sonne aufgeht, von dannen.«
»Ah, ich fürchte, so kommen wir nicht ins Geschäft. So viele gut aussehende Pussys hast du hier oben nicht.«
»Lass uns in mein Lager gehen«, schlägt Colonel Trout vor und erhebt sich. Dort befindet sich die ganze Hehlerware, die er im Laufe der Jahre zusammengetragen hat. Es gibt sogar einen Katalog, in dem fein säuberlich alle Gegenstände mit ihrem derzeitigen Handelswert angegeben sind. Das Lager ist voller Waffen und Kunstgegenstände, aber auch Schmuck und limitierte Sonderanfertigungen von Kutschen, wie sie normalerweise nie in Produktion gehen, sind vorhanden. Und dann gibt es noch einige erlesene Pferde im Corral, die ein wahres Vermögen wert sind.
»Ich habe dein Lager oft genug gesehen«, brummt Mulligan. Trotzdem erhebt auch er sich von seinem Stuhl.
»Wir finden etwas Passendes für dich«, meint Colonel Trout. Er gibt seinen Männern ein kurzes Zeichen. Dann verlassen sie allesamt den Speisesaal.
***
Die Nacht ist wolkenverhangen. Zack Tully steht auf der Veranda der alten Holzhütte und blickt hinaus in die Finsternis. Tom Graham hat sich bereits schlafen gelegt, doch Zack ist noch irgendwie … ruhelos. Obwohl sein Körper dringend Schlaf benötigt, weiß er ganz genau, dass er keinen finden wird. In den letzten Wochen ist er nur selten zur Ruhe gekommen. Die jüngsten Erlebnisse in Bitter Ridge sind immer noch präsent vor seinem inneren Auge. Es fühlt sich für ihn an, als wäre er noch gestern in Arizona gewesen. Die Tage und Wochen sind so schnell vergangen, dass er kaum die Gelegenheit gefunden hat, innezuhalten und achtsam für die wesentlichen Dinge des Lebens zu werden. Vielleicht kann er ein wenig Ruhe finden, wenn er hier draußen in der Dunkelheit steht, dem einsamen Wehklagen des Windes lauscht und eine Zigarette raucht.