Verständnisvoll miteinander: weil ICH mICH verstehe, verstehe ICH dICH! - Udo Brunner - E-Book

Verständnisvoll miteinander: weil ICH mICH verstehe, verstehe ICH dICH! E-Book

Udo Brünner

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Beschreibung

"Verständnisvoll miteinander: weil ICH mICH verstehe, verstehe ICH dICH!" ist ein Lese- und Übungsbuch, herausgegeben vom Zentrum Gewaltfreie Kommunikation Thüringen e.V. zu den Tagen der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) in Erfurt im Oktober 2023. Es ist ein Buch für Menschen, die die Gewaltfreie Kommunikation nach Dr. Marshall B. Rosenberg (neu) kennenlernen und sich SELBST verständnisvoll begegnen wollen, die Lust darauf haben, SELBSTempathie und SELBSTliebe (neu) zu entdecken - auch, um (neue) wohlwollende Wege zum Gegenüber zu finden. Dieses Buch ist geeignet für Einsteiger und Fortgeschrittene gleichermaßen: Neben grundlegenden Informationen zur Haltung der Gewaltfreien Kommunikation sind an die GFK angrenzende Themen enthalten sowie Inspirationen, Übungsanregungen, Impulse, persönliche Erfahrungen und eigene Gedanken zu einem bedürfnisorientierten Miteinander auf Augenhöhe, zusammengestellt von 12 GFK-Trainerinnen und GFK-Trainern.

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Seitenzahl: 168

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

„Gewaltfreie Kommunikation“ und „Gesellschaftliche Veränderung“ – um was geht es da eigentlich? (Anja Palitza und Olaf Hartke)

Den „inneren Schweinehund“ sichtbar machen … und liebevoll mit ihm umgehen (Judith Reisert)

GFK in Liebesbeziehungen (Sebastian Podleska)

Lass Dein Licht leuchten – in der Schönheit der Bedürfnisse baden (Jürgen Licht)

Glaubenssätze identifizieren und gegebenenfalls transformieren (Udo Brunner)

„Tribal Technologies“ – Gemeinschaft erleben/in Verbindung kommen (Jürgen Licht)

Einführung in die Gewaltfreie Kommunikation (Kerstin Völker)

Ärger, welcher Ärger? (Gunter Schmidt)

Mit Dankbarkeit zur Fülle des Lebens (Udo Brunner)

Traumasensible GFK (Michaela Christ)

Mein Freund, der innere Wolf (Jürgen Licht)

Gefühle, Gefühle, Gefühle (Kerstin Völker)

Schönheit finden … (Janette Lemke)

Etwas (wieder) in(s) ROLLEN bringen (Antje Reichert)

Einen Blick in die Zukunft wagen: Meine Vision von mir (Judith Reisert)

Mein Empathie-Labor (Gunter Schmidt)

Von der Achtsamkeit in der Sprache zu (mehr) Achtsamkeit im Leben (Antje Reichert)

Dyaden-Meditation – eine Selbsterkundung mit Begleitung (Diana Mohr)

Ausklang der Gesamtveranstaltung: Mit dem Leben tanzen

Infos zu den Autorinnen und Autoren

Infos zum Zentrum Gewaltfreie Kommunikation Thüringen e. V.

Vorwort

Vielleicht denken Sie beim Lesen des Mottos der Thüringer GFK-Tage 2023 „Verständnisvoll miteinander: weil ICH mICH verstehe, verstehe ICH dICH!“ … „Na holla, gleich viermal ICH und das auch noch in Großbuchstaben. Das sind in diesem Jahr vielleicht eher die GFK-Egoismustage.“

In meinen GFK-Trainings geht es nicht um Egoismus. Es geht um Empathie, um SELBSTempathie, um SELBSTliebe.

Die Gewaltfreie Kommunikation kam vor ca. 20 Jahren in mein Leben und mein erster Impuls damals war: Wer braucht denn so etwas??? Wer macht sich die Mühe, in seiner Kommunikation diese vier Schritte zu berücksichtigen?

Damals war ich großer Fan des Vier-Ohren-Modells von Friedemann Schulz von Thun. Es hat einige Zeit gebraucht, bis ich für mich die Oberflächlichkeit dieses Modells erkannt und die Tiefgründigkeit der Gewaltfreien Kommunikation für mich entdeckt habe.

Es gibt eine Vielzahl von Metaphern für die Wichtigkeit unserer SELBSTempathie. Eine kennen bestimmt auch Sie … Wer mit dem Finger auf einen anderen Menschen zeigt, zeigt dabei mit drei Fingern auf sich selbst.

Warum nehmen wir diesen einen Finger so wichtig und lassen die anderen drei völlig außer Acht? Warum hat unsere SELBSTempathie so einen geringen Stellenwert in unserer Gesellschaft, in unserem Leben? Warum sind wir so oft – mit unseren Gedanken – bei anderen Menschen? Warum schauen wir nicht zuerst auf uns selbst, wenn wir uns ärgern, enttäuscht, hilflos, ratlos oder verletzt sind? Warum sind wir dann sofort beim anderen und schauen, was der oder die gemacht hat, was zu unserem Gefühl geführt hat?

Ehrlich gesagt … ich weiß es nicht.

Eventuell hat es damit zu tun, daß wir – ich spreche jetzt nur von meinen Erfahrungen und denke, daß das auch für andere gilt – nicht gelernt haben, gut auf uns selbst zu achten und an uns zu denken. Weder im Kindergarten noch in der Schule oder im Studium. Mir hat keiner beigebracht, gut auf mich selbst zu achten. Das war und ist ein tiefgreifendes Umdenken in meinem Leben, mit dem ich mich seit vielen Jahren auseinandersetze. Endlich auf mich zu achten, anstatt mich mit dem zu beschäftigen, was andere Menschen sagen oder tun.

Und weil wir das nicht gelernt haben, gehe ich davon aus, daß viele Menschen in einem Menschen, der gut auf sich achtet, der seine Bedürfnisse wahrnimmt, der Grenzen setzt, der Nein sagt … eher einen Egoisten sehen als einen selbstempathischen Menschen. Vielleicht schwingt da auch ein wenig Neid mit, wenn jemand etwas tut, was wir nicht können. Wenn wir plötzlich merken … Hey, der sagt NEIN! … das habe ich noch nie gemacht. Wenn mich jemand um etwas gebeten hat, habe ich immer JA gesagt.

Und jetzt kommen wir zum Wesentlichen: Wenn ich nicht dazu in der Lage bin, das, was in mir lebendig ist – meine Gefühle und meine Bedürfnisse –, wahrzunehmen, wie will ich dann die Gefühle und Bedürfnisse in einem anderen Menschen wahrnehmen? Wie will ich dann eine Verbindung mit ihm gestalten?

Ich habe für mich erkannt, daß meine SELBSTempathie zu einer Versöhnung mit mir selbst führt und meinen inneren Empathie-Akku wieder auflädt. Meine Selbstannahme, meine Selbstachtung und meine SELBSTempathie … SELBSTliebe … fördern meine innere Stabilität und damit mein Selbstbewußtsein, meine Selbstsicherheit und mein Selbstvertrauen.

Wir alle wissen rein intuitiv, daß die Gemeinschaft mit anderen Menschen einen bedeutenden Teil unseres Glücks ausmacht. Und eine wesentliche Voraussetzung für unsere soziale Vernetzung ist ein empathischer Umgang mit uns selbst.

Denn wenn ich empathisch mit mir selbst umgehe, bekomme ich Klarheit. Ich bekomme Klarheit darüber, was in mir lebendig ist …, ich bekomme Klarheit über meine Gefühle und Bedürfnisse, die in jedem einzelnen Moment meines Lebens in mir lebendig sind.

Diese Klarheit zentriert mich und führt zu einer bewußten Achtsamkeit und innerer Ruhe. Und wenn ich achtsam und zentriert in mir ruhe, habe ich die Chance und überhaupt erst die Möglichkeit, hinter den Worten und Handlungen anderer Menschen deren Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen … und kann dazu eine Brücke bauen … eine Brücke von meinen Gefühlen und Bedürfnissen zu den Gefühlen und Bedürfnissen des anderen … und über diese Brücke kann ich eine Verbindung mit anderen Menschen aufnehmen.

Und eine solche wirkliche Verbindung von Mensch zu Mensch ist in meinem Leben mittlerweile das Wichtigste überhaupt und für mich ein bedeutsamer Ausdruck unserer Menschlichkeit … und … davon bin ich überzeugt, weil ich diese Erfahrung selbst gemacht habe … wirkliche Verbundenheit zwischen zwei oder mehr Menschen trägt zu unserer inneren Heilung bei.

Seit drei Jahren schaue ich mit großer Sorge auf das Land, in dem ich aufgewachsen bin. Ich kann Empathie bei den Menschen, die die Verantwortung für die Menschen dieses Landes übernommen haben, nur sehr spärlich wahrnehmen. Ein Mensch, der soziale Distanz als alternativlos bezeichnet, hat vielleicht noch nie die Herzenswärme einer liebevollen Beziehung erlebt.

Ein Gespräch mit dem Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens hat mich aufgeweckt. Er sagte zu mir „Herr Schmidt, ich denke, auf dem Ringelberg (ein Stadtteil von Erfurt) gibt es viele alleinerziehende Mütter und Rentner, die an der Armutsgrenze leben. Und wir holen uns alle möglichen Menschen in unser Land, die von unseren Sozialleistungen leben? Ich finde das nicht richtig.“ Mein erster Gedanke war damals: Genau hier fehlt es an SELBSTempathie. Wie im Kleinen, so im Großen, wir kümmern uns darum, daß es anderen gut geht und um uns selbst, um unsere Menschen, kümmern wir uns nicht oder nur wenig.

Wird dieser Minister jemals Empathie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Pflegeeinrichtungen dieses Landes empfinden können?

Mir drängt sich der Gedanke auf, daß es eventuell hier und da mittlerweile zum guten Ton gehört, sich selbst auszubeuten, einen möglichst unempathischen Umgang mit sich selbst zu haben. Ich denke hier vor allem an die sozialen Bereiche unserer Arbeitswelt.

Nun gut: Es liegt in Ihrer Hand, wie Sie mit sich selbst und Ihrem Leben umgehen. Ich wünsche Ihnen, daß Sie sich noch nicht an Ihre Selbstausbeutung gewöhnt haben und sich immer mehr und immer öfter mit Empathie, ja … mit Liebe begegnen.

Ich wünsche Ihnen, daß die Thüringer GFK-Tage 2023 Sie dazu anregen, mehr und mehr auf sich selbst zu achten und an sich selbst zu denken.

Wenn Sie es noch nicht tun – was ich nicht hoffe –, nutzen Sie die vielfältigen Impulse der diesjährigen GFK-Tage dazu, um damit zu beginnen, einen liebevollen Umgang mit sich selbst zu pflegen.

Ein Teilnehmer eines meiner letzten Seminare sagte zu mir: „Wenn jeder an sich selber denkt, ist an jeden gedacht.“ Das klingt auf den ersten Blick vielleicht erst einmal egoistisch. Und auf den zweiten Blick bringt es wunderbar zum Ausdruck, worum es geht: Denken Sie an sich selbst, nehmen Sie sich selbst wahr. Nehmen Sie wahr, was in Ihnen lebendig ist. Nehmen Sie alle Gefühle und Bedürfnisse in Ihrem Inneren wahr und öffnen Sie dadurch die Tür für die Gefühle und Bedürfnisse ihres Gegenübers und damit für die Möglichkeit einer Verbindung von HERZ zu HERZ.

Unvorstellbar, welch friedvolles, lebensbereicherndes, herzerwärmendes Leben wir dann führen … WIR ALLE … verbunden im HERZen und in der LIEBE.

Ich wünsche Ihnen über die Thüringer GFK-Tage 2023 hinaus viele Tage voller SELBSTempathie, voller LIEBE und voller HERZlichkeit …

DER GUnTEr SCHMIDT

Im Namen vom

Zentrum Gewaltfreie Kommunikation Thüringen e. [email protected]

„Habe Geduld in allen Dingen, vor allem aber mit dir selbst.“ Franz von Sales

P.S.: Aus gegebenem Anlass noch ein Nachtrag zum Vorwort. Ein Mensch, der einen empathischen Umgang mit sich selbst pflegt, hört, wie der Nachbar am Gartenzaun schreit. Er bemerkt auch die Vorwürfe, Angriffe und Bewertungen, die der Nachbar gegen ihn schleudert, … UND … er nimmt auch die unerfüllten Bedürfnisse seines Gartennachbars wahr. Und genau auf diese konzentriert er sich oder versucht zumindest die unerfüllten Bedürfnisse seines Nachbars zu ergründen. Der Nachbar denkt dann eventuell: „Oh, da ist jemand, der mir zuhört, der mich sieht und der versucht mich zu verstehen.“ Er ist dann wahrscheinlich bereit zu einem konstruktiven Gespräch und am Ende sitzen beide bei einem Bier, lachen über die Aufregung des Nachbarn und sind beide glücklich, daß sie beide Nachbarn sind, die sich so gut verstehen.

Ich nehme in mir den dringenden Wunsch wahr, daß Menschen, die in Führungspositionen – vor allem in politischen – sind, lernen, empathisch mit sich selbst umzugehen und das wieder und wieder üben. Das gibt mir die Hoffnung, daß diese Menschen dann nicht mehr im Krieg mit einem anderen Land sind, nur weil sie den Krieg in ihren Gedanken nicht empathisch wahrnehmen und beilegen konnten. Für Krieg braucht es immer zwei, für Frieden genügt einer.

„Nur, wenn wir in uns Frieden finden, werden wir in der Lage sein, mit unserer Umwelt in Frieden zu leben.“ Dalai Lama

1. „Gewaltfreie Kommunikation“ und „Gesellschaftliche Veränderung“ – um was geht es da eigentlich? (Anja Palitza und Olaf Hartke)

Dass wir für dieses Buch und genau genommen für Sie als LeserIn dieses Buches die Einführung schreiben dürfen, erfüllt uns mit großer Freude, da wir leider, leider an diesen „Thüringer GFK-Tagen“ nicht präsent sein können. Nun sind wir indirekt doch ein wenig dabei und das tröstet uns und wir hoffen, Sie finden auch einen Nutzen durch unseren schriftlichen Beitrag.

Um diese Chance zu vergrößern, haben wir lange überlegt, wie wir Menschen, die gerade „Gewaltfreie Kommunikation“ entdecken, die Grundidee in aller Kürze verdeutlichen können, ohne dass sich die erfahreneren LeserInnen unter Ihnen langweilen und gleichzeitig auch, wie wir die Grundgedanken mit dem verbinden, was der Entwickler des Modells – der US-amerikanische Psychologe und Mediator Marshall B. Rosenberg (1934–2015) – unter „Gesellschaftlicher Veränderung“ verstand.

Hier folgt das Ergebnis, und wir haben uns dabei an diesen drei Fragen orientiert:

1. Gewaltfreie Kommunikation – was ist das eigentlich?

2. Und „Gesellschaftliche Veränderung“ – was bedeutet das denn?

3. In Bezug auf das Motto der Thüringer GFK-Tage: Um andere zu verstehen – weshalb ist es da so wichtig, sich selbst besser zu verstehen?

Wir hatten Freude dabei, nochmals tief in unsere Grundlagen einzutauchen und sie möglichst kurz und dennoch nachvollziehbar zu Papier zu bringen.

Wir wünschen Ihnen ebenso Freude bei der Lektüre und auch für Sie wertvolle Erkenntnisse.

Herzliche Grüße – zum Zeitpunkt der Thüringer GFK-Tage von der Nordsee-Insel Baltrum

Anja Palitza & Olaf Hartke

1. Frage: Gewaltfreie Kommunikation – was ist das eigentlich?

Zum einen – ein starker Trend

Immer mehr Menschen beschäftigen sich weltweit intensiv mit dem Modell „Gewaltfreie Kommunikation“ nach Marshall B. Rosenberg. Gemessen an veröffentlichten Büchern, angebotenen Veranstaltungen und speziell darin ausgebildeten TrainerInnen entwickelt sich dieser Trend in Deutschland verglichen mit anderen Kommunikationsmodellen gerade extrem schnell.

Kein Wunder – in Trainings und Seminaren bekommen auch wir immer wieder die Rückmeldung, dass Menschen überrascht und erfreut sind, wie es ihnen mit dem Modell gelingt, Veränderungen in ihren privaten und auch beruflichen Beziehungen herbeizuführen. Vorausgesetzt, man ist bereit, die eigenen Sprachgewohnheiten immer wieder geduldig zu überprüfen und zu verändern.

Unser Fazit: Die Zeit ist reif für ein Kommunikationsmodell, das nicht nur – angewendet wie ein Werkzeug oder ein „Relationship-Management-Tool“ – die Sprache verändert, um effizienter den eigenen Willen durchzusetzen, sondern sie ist inzwischen tatsächlich reif für ein Modell, dass auch unsere Haltung gegenüber anderen Menschen verändern kann und damit zu gestärkten und auch stabilen Beziehungen sowie einem friedvollen Miteinander führen kann. Nicht nur auf den privaten Beziehungsebenen – auch auf beruflichen und gesellschaftlichen.

Zum anderen – ein Kommunikationsmodell

Modelle erheben nach unserem Verständnis nicht den Anspruch darauf, die „richtige Darstellung“ der Realität zu sein. Sie sind eine Idee oder eine Möglichkeit, auf einer kognitiven Ebene vereinfacht aufzuzeigen, was in der häufig recht komplexen Realität gerade geschieht und darüber hinaus, wie man „modellhaft“ anders damit umgehen könnte, als man es gelernt hat oder gewohnt ist.

Wir möchten zum Einstieg verdeutlichen, was die „innere Haltung“ ausmacht, die eine wesentliche Grundlage der Gewaltfreien Kommunikation ist und wir möchten die „vier Schritte“ kurz erläutern.

Die „innere Haltung“ in der Gewaltfreien Kommunikation

Mit der „inneren Haltung“ ist gemeint, welche grundlegende Einstellung wir gegenüber unserer Umwelt und insbesondere den anderen Menschen darin haben.

Wer sich mit Gewaltfreier Kommunikation auseinandersetzt, entdeckt schnell, dass das Modell nicht bedeutet, immer nett und höflich zu sein oder bestimmte Begriffe nicht zu benutzen. Gewaltfreie Kommunikation bedeutet vielmehr, einen Paradigmenwechsel vorzunehmen und die Menschen und sich selbst noch einmal von einer anderen Seite zu sehen. Dabei geht es viel um Selbstverantwortlichkeit, Klarheit und Authentizität und bedeutet auch, für eine Veränderung der eigenen Haltung gegenüber anderen Menschen offen zu sein.

Eine im Alltag häufig anzutreffende Haltung

Eine weitverbreitete Haltung in unserer Gesellschaft gegenüber der Umwelt und den Menschen darin ist:

„In manchen Situationen läuft es gut oder richtig, dafür verdienen die beteiligten Menschen Lob und Anerkennung. Wenn es hingegen schlecht oder falsch läuft, dann muss man die beteiligten Menschen belehren oder korrigieren. Das funktioniert, indem man sie tadelt, beschämt, bestraft oder auch – indem man Belohnungen für Veränderung in Aussicht stellt.“

Die Haltung im Modell „Gewaltfreie Kommunikation“

In der anderen Haltung finden wir den Paradigmenwechsel des Modells:

„In manchen Situationen erfüllen sich Menschen ihre Bedürfnisse so, dass ich mich damit wohlfühle, ich entspannt oder sogar fröhlich bin und Rücksicht und Gemeinschaft erlebe. Wenn ich mich hingegen nicht wohlfühle und möglicherweise irritiert, frustriert oder sogar ärgerlich bin, dann erfüllen sich andere Menschen ihre Bedürfnisse gerade auf eine Art und Weise, die meine Bedürfnisse nicht berücksichtigt und ich vermisse Rücksicht, Gemeinschaft oder etwas anderes. Dann mache ich darauf aufmerksam und stelle Bitten, von denen ich annehme, dass sie die Bedürfnisse der anderen und meine eigenen ebenso erfüllen.“

In Seminaren hören wir dann häufig:

„Bitten stellen – schön und gut! Aber was mache ich, wenn mein Gegenüber meine Bitte nicht erfüllt? Dann muss ich doch auch wieder fordern und Druck ausüben, um mein Recht zu bekommen.“

Wir haben hier den Raum für eine Einleitung und bräuchten das Platzangebot eines eigenen kleinen Büchleins für eine umfassende Behandlung dieses Themas. An dieser Stelle nur so viel: Ein „Nein“ als Antwort auf eine Bitte ist für uns der Beginn eines Dialoges über die zugrunde liegenden Bedürfnisse auf beiden Seiten. Dieser Dialog hat das Ziel, sich gegenseitig in der gegenwärtigen Situation besser kennenzulernen und zu verstehen, damit Bitten gefunden werden, die beide Seiten zufriedenstellen.

Und mit dem Modell kann man sich deutlicher und beharrlicher für sich selbst einsetzen, als die meisten Menschen meinen. Und man steigert die Wahrscheinlichkeit, dass die Beziehungsebene intakt bleibt, während sie bei der Haltung einer Forderung und der Idee, das Gegenüber müsse die Bitte erfüllen, meistens einen Schaden erleidet.

Wir ahnen – das lässt einige Fragen offen oder neu entstehen, doch wir schauen mal einen Schritt weiter.

Eine Definition zu „gewaltfreie Haltung“

Dr. Marshall B. Rosenberg, Psychologe, Konfliktmediator und Begründer des Modells, definierte in drei wesentlichen Kriterien die Unterschiede der Gewaltfreien Kommunikation zu unserer gewohnten Haltung und Sprache.

1. Gewalt in der Sprache bedeutet nach Rosenberg, seine Aufmerksamkeit auf moralistische Urteile in den Kategorien „gut oder böse“ oder „richtig und falsch“ zu legen. Gewaltfrei hingegen wird Sprache, wenn wir uns auf die Gefühle und Bedürfnisse der beteiligten Personen fokussieren.

2. Gewalt in der Sprache bedeutet nach ihm auch, eigene Bedürfnisse oder Werte wichtiger zu nehmen als die anderer. Gewaltfreiheit bedeutet hier, dass die eigenen Bedürfnisse und Werte genauso wichtig sind wie die anderer – nicht wichtiger und auch nicht weniger wichtig.

3. Und Gewalt bedeutet auch, andere zu bestrafen oder zu belohnen – im Sinne einer Manipulation – auf der Basis moralistischer Urteile. Gewaltfrei ist es, den inneren Impulsen, andere zu bestrafen oder manipulativ zu belohnen, nicht zu folgen.

Diese Haltung gegenüber sich selbst und anderen Menschen im Leben zu etablieren ist ein Prozess, den inzwischen viele Menschen als eine erstrebenswerte, persönliche Entwicklung ansehen.

In unserer traditionell bedingten Sozialisierung lernen wir häufig, andere Menschen zum Kooperieren zu bringen, indem wir sie bestrafen, belohnen oder beschämen, wenn sie nicht freiwillig kooperieren. Mit Gewaltfreier Kommunikation besteht die Veränderung im Wesentlichen darin, auf der Basis eines gemeinsamen Wertesystems etwas auszuhandeln, zu dem alle Beteiligten Zustimmung finden können und sich darauf zu verlassen, dass Menschen gern beitragen werden, wenn sie es frei entscheiden können.

Sich auf Freiwilligkeit zu verlassen, klingt für viele Menschen erst einmal erschreckend. Doch diese natürliche menschliche Eigenschaft ist in uns allen angelegt und sie zeigt sich zuverlässig, wenn wir anderen in der Haltung von Gewaltfreier Kommunikation auf Augenhöhe begegnen.

Von unseren Seminarteilnehmenden, die über ein Grundlagentraining hinaus Zeit und Aufmerksamkeit für das Thema aufbringen, hören wir immer wieder, wie sehr es sich lohnt, „dabei zu bleiben“. Und im Rahmen der TrainerInnen-Ausbildung, die wir gemeinsam mit KollegInnen anbieten, erzählt man uns immer öfter begeistert, wie es gelingt, mit dieser veränderten Haltung auch andere Menschen einzuladen, sich dafür zu interessieren. Und ja … es braucht Zeit und Übung.

Die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation

Dieser neu gewonnenen Haltung über eine veränderte Sprache auf vier Ebenen Ausdruck zu geben, bedeutet dann, „gewaltfrei“ zu kommunizieren. Die vier Ebenen oder auch bekannt als die „4 Schritte der Gewaltfreien Kommunikation“ sind:

1. Beobachtung

Für alle Beteiligten nachvollziehbare Beobachtung zu benennen – statt sich auf subjektiv eingefärbte Bewertungen und Interpretationen zu beziehen und diese für die Realität zu halten.

2. Gefühl

Die Gefühle der beteiligten Menschen anzuerkennen – insbesondere die eigenen – und diese als Hinweisgeber der dahinterliegenden Bedürfnisse zu betrachten.

3. Bedürfnis

Die Bedürfnisse der interagierenden Menschen zu berücksichtigen – die der anderen und genauso die eigenen – und sie in die nun folgenden Bitten oder die eigenen Verhaltensentscheidungen mit einzubeziehen.

4. Bitte

Klare Bitten zu äußern – statt sich vage und unkonkret auszudrücken – und wenn sie nicht erfüllt werden, die Bereitschaft haben, sich von der eigenen „Forderungs-Energie“ zu lösen und stattdessen nach weiteren, für alle Beteiligten tragfähigen Lösungen zu suchen.

Ein Beispiel aus der Praxis

Eine Situation in einer Kindertagesstätte als Beispiel für die Haltung und die vier Aspekte.

Aus der weitverbreiteten Haltung unserer Gesellschaft beschrieben: