Versuchung. Verlangen. Verderben. - Ulrich Heuser - E-Book

Versuchung. Verlangen. Verderben. E-Book

Ulrich Heuser

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Beschreibung

Auf Bali wird Celia Opfer eines mysteriösen Mordes. Für den Reise-Influencer Lawrence war Celia Muse wie Star in seinen Videos und half, seine Follower-Zahl und die Werbegelder von Lifestyle-Marken zu steigern. Im Erfolgsrausch stockt Lawrence sein Team aus Freunden auf, beschließt auf Bali, mit der schönen Jimena die Lücke von Celia zu füllen. Er verstärkt sein Team um Jamison, Tontechniker aus der Club-/Musikfestival-Szene. Der ältere Jamison ist Ruhepol der Truppe — seine Beobachtungen, Gefühle, Gedanken bieten Einblicke in das Geschehen um Lawrence, Jimena und die anderen, beleuchten die extravaganten Reiseziele, die Art ihrer Tätigkeiten, ihr Beziehungsgeflecht untereinander, und zeigen, wie es am Ende zum Desaster kommt. Die Werbung mit Jimena ist auf Social-Media noch erfolgreicher – potente Auftraggeber bedrängen Lawrence. Man filmt in Ostafrika, in Dubai, den Emiraten, erntet Lob und viel Geld. Unterschwellig schwelt ein Konflikt zwischen Lawrence und Jimena – sie fordert Zeit für eigene Projekte. Von Jamison beruhigt, folgt sie nach Los Angeles, geht mit auf Tour durchs kalifornische Death Valley. Dort trifft sie eine YouTuberIn, die ihr rät, von Lawrence erst zu lernen, um danach einen eigenen Kanal aufzubauen. Dieser Einfluss bleibt nicht verborgen. Jamison ahnt, dass Lawrence drastisch reagieren wird, falls er seinen Star Jimena verliert. Lawrence bereitet mit der YouTuberIn für alle den Besuch des Burning Man Festivals vor, um Motivation und neue Ideen zu schöpfen. Jamison erkennt dort, wie Lawrence in einen Taumel aus Irrationalität und Untreue, seinen dunklen Seiten, abdriftet. Oft sondert er sich ab, pflegt engen Kontakt zu einer Frau, der er auf Social-Media folgt. Schließlich begeht Lawrence vor den Augen des Internets eine schreckliche Tat: er legt an einer Kunst-Installation Feuer und provoziert, dass Jimena dabei umkommt. Für Jamison ist klar, dass es ein perfider Plan war, derart, wie Lawrence auf Bali schon Celia durch Jimena ersetzte.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ulrich Heuser

VERSUCHUNG.

VERLANGEN.

VERDERBEN.

Der Albtraum, der aus

der Scheinwelt der

neuen Medien

schlüpfte.

Thriller

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Texte: © 2024 by Ulrich Heuser

Umschlaggestaltung: © 2024 by Ulrich Heuser

2. Auflage

E-Book-Ausgabe Januar 2025

Verlag: J.O. Logger Self-Publishing Ulrich Heuser,

Hinter der Feuerwache 3, 21720 Steinkirchen,

[email protected]

Bildnachweise:

Old Razorback Mountain at the Black Rock Desert, photo by Ian Kluft, Aug. 6, 2005.

(Hintergrund)

Tree House on Giant Bird Legs, photo by Mandelon, at Burning Man, Sep. 4, 2018.

(im Vordergrund)

Photos re-used and modified under lic.

https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

Herstellung und Vertrieb:

epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin,

www.epubli.com

Created in Germany

ISBN: 978-3-818774-14-1

Widmung

Dedicated to J.C.,

who is steady source of inspiration and teacher of fiercest observation to me, an authority of social awareness, and my favorite tutor in the exploration of human nature.

Gewidmet J.C.,

der beständige Quelle von Inspiration und Lehrer schärfsterBeobachtung für mich ist, eine Autorität sozialen Bewusstseins und mein bevorzugter Lehrmeister bei der Erforschung der menschlichen Natur.

Hinweis:

Die Handlung und alle Ereignisse in diesem Roman sind freierfunden. Jegliche Ähnlichkeiten der Charaktere mit realen, lebenden oder verstorbenen Personen und/oder deren Namen sind unbeabsichtigt und reiner Zufall.

1 - Dana Point

Von meinem Strandhaus, wie ich es gerne nannte, obwohl es nicht am Strand, allerdings nahe der Küste gelegen war, bedeutete es nur eine kurze Autofahrt bis zu diesem besonderen Punkt. Für mich hatte dieser Punkt etwas Besonderes, für die meisten anderen wohl nicht. Sonst hätte es hier sicher oft ein Gedränge gegeben. Die Hafeneinfahrt zur großen Marina wurde durch einen aus groben Felsblöcken aufgebauten, langgestreckten Schutzwall gegen das offene Meer gesichert. Und dort, wo der Wall unterhalb der felsigen Steilküste an das Festland anschloss, hatte man oberhalb des schmalen, steinigen Strands ein kleines Plateau aus Schotter und Sand aufgeschüttet. Auf dieser Fläche gab es eine Handvoll ungeordnet aufgestellter Parkbänke, auf denen sich Besucher der Marina, die hier eigentlich unerwünscht und nicht gerne gesehen waren, ausruhen konnten. Solche gehörten nicht zu der willkommenen Klientel mit eigenem Schiff. Doch der Streifen am Saum des Meeres galt als öffentlich, man konnte diese Leute nicht fernhalten. Also hatte man sich entschieden, ihnen einen Platz an der Peripherie zu überlassen – derart weit bis zu diesem Umkehrpunkt laufen zu müssen, hielt viele davon ab, hier herauszukommen. Wenn sich dazu noch der Tag gegen den Abend neigte und es auf den Schiffen, den Millionen Dollars teuren Yachten in der Marina still wurde, verlief sich kaum noch jemand bis zu diesem äußersten Punkt.

Doch diese Stelle besaß einen Reiz durch die Sonnenuntergänge über dem Pazifik, die sich von hier in wunderbarer Weise beobachten ließen. Man saß bequem auf der Holzbank, den Blick von leicht erhöhter Position auf die Unendlichkeit des Ozeans gerichtet, war durch die Steilküste im Rücken geschützt vor der schnellen Abkühlung zum Abend hin, befand sich nahezu außerhalb der Sichtweite der Hafengebäude und konnte eine Ruhe genießen, die von den moderaten Brandungsklängen und sanften Windgeräuschen in den aufragenden Felswänden untermalt und nur selten durch das Tuckern des Motors eines noch spät heimkommenden Boots gestört wurde. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass ich nicht der einzige Mensch war, der sich häufiger an diesem Ort und zur Sonnenuntergangsstunde einfand. Eine kleine Gruppe von Leuten aus der Umgebung folgte der Gewohnheit, sich bei sonnigem Wetter in wechselnder Besetzung hier zu treffen.

Man kannte sich, respektierte sich trotz Verschiedenheit untereinander und ging doch immer wieder auseinander, ohne Näheres über das Leben der anderen erfahren zu haben, oder das Wenige aus den Gesprächen im Gedächtnis behalten zu wollen. Und trotzdem kamen mir diese Menschen vertraut vor.

An jenem Abend im Sommer erreichte ich meinen Platz reichlich früh vor Sonnenuntergang. Zuerst war die Bank mit der besten Aussicht noch besetzt, allerlei Touristenvolk lief recht ziellos umher, manche schreckten nicht einmal davor zurück, über den unwegsamen Wall entlang der Hafeneinfahrt weit hinaus zu kraxeln. Ich störte mich nicht daran, es würde bald still werden. Von anderer Stelle blickte ich auf die Marina und schaute den Seglern und Motoryachtbesatzungen zu, wie sie nach Ausfahrt ihre Schiffe wieder klarmachten für die Zeit ihrer Abwesenheit.

Die Gewohnheit herzukommen gehörte zu meinen Ritualen, mit denen ich in dieser Umgebung heimisch werden wollte. In jungen Jahren hatte mich das Silicon Valley gefangen genommen. Verschärfend kam meine Ehe dazu, die von Anfang an nicht zu meiner Berufsausübung passte und schließlich zum Scheitern verurteilt war. Die Gewöhnung an das gute Einkommen hielt mich dort noch eine Weile fest. Fortschreitend empfand ich damals die Arbeit in der Chip-Entwicklung als unbefriedigend, versuchte mich noch als Programmierer, bis ich letztendlich alles hinwarf. Mir stand der Sinn nach einem radikalen Wechsel hin zu einer Beschäftigung mit den schönen Dingen des Lebens, nicht mehr allein mit den Nüchternen, Logischen. Der Zufall wollte es, dass mich ein Tontechniker und Musikproduzent damals um Mithilfe bat. So fand ich mit Ende Vierzig den Sprung in die Tätigkeit als selbständiger Toningenieur für große Konzertveranstalter. Nachdem ich Fuß gefasst hatte und mit Freude in diesem Metier unterwegs war, beschloss ich, mir ein neues Zuhause zu suchen. Von den Großstädten hatte ich genug – was ich von diesen noch benötigte, waren die Airports. Ich besaß die Freiheit, an die Peripherie umzuziehen, dorthin, wo das Leben weniger anstrengend und billiger sein würde. So kam ich letztlich zu meinem Strandhaus, einer quaderförmigen Holzkiste, die genau das enthielt, was ich für mich alleine brauchte. Meine Aufträge, für den bestmöglichen Sound auf Konzerten zu sorgen, führten mich anfangs kreuz und quer durch Amerika, später sogar sporadisch nach Europa und Asien. Zwischen diesen Einsätzen lagen immer wieder Pausen von unterschiedlicher Länge, die ich zuhause im Strandhaus verbrachte. Und dann gönnte ich mir wiederholt einen Sonnenuntergang an diesem besonderen Platz.

Inzwischen war die Sonne an diesem wolkenlosen Tag der Horizontlinie schon ein gutes Stück näher gekommen, die Fremden, die Tagesbesucher waren längst auf ihrem Fußmarsch in den Ort. Für kurze Zeit saß ich hier draußen ganz alleine, sah, wie die letzten Nachzügler mit ihren Booten den langen, vom offenen Meer abgeteilten Kanal entlang in Richtung der Marina und ihren Liegeplätzen auf mich zusteuerten, bevor sie dann nach links in den Sportboothafen einbogen. Mir ging der Song von Otis Redding durch den Kopf, und ich begann, ihn vor mir herzusummen: „I'm sitting' on the dock of the bay, watchin' the tide roll away“.

Eine Hand legte sich sanft auf meine Schulter. Es war Meg, nur sie würde so etwas tun. Ich war so sehr in Gedanken gewesen, dass ich sie auf ihrem Fahrrad nicht kommen gehört hatte.

„Sollen wir nicht hinübergehen?“, fragte sie leise.

Ich stand auf, ging um die Bank herum und umarmte sie zur Begrüßung. Darauf gingen wir zu der Holzbank, von der der Blick nach Westen aufs Meers gerichtet war, und nahmen schweigend nebeneinander Platz. Wenige Minuten später hörten wir von hinten Schritte auf uns zukommen und blickten uns mit wissendem Ausdruck an. Das war Greg, genauer Gregorios, ein Grieche, der in allem so sehr unserer Vorstellung von einem Griechen im fortgeschrittenen Alter entsprach, dass man ihn nicht an der Küste Kaliforniens vermutet hätte. Greg betrieb ein kleines Restaurant, ein Estiatório, unweit der Marina und ließ sein Personal manchmal für eine Stunde alleine schaffen, um beim Sonnenuntergang eine Pause einzulegen. Er sprach Englisch nur recht gebrochen, doch was er sagte, klang für mich immer irgendwie philosophisch. Greg begrüßte uns mit einem Kopfnicken, setzte sich neben mich und kraulte mit der Hand seinen kurzen, grauen Vollbart. Dann bemerkte er nachdenklich:

„Ob die Japaner bei Sonnenaufgang wissen, dass wir bei ihrem Versinken im Meer sozusagen zu ihnen in Richtung Japan hinüberschauen?“

Meg und ich tauschten einen kurzen fragenden Blick untereinander aus. Keiner sagte etwas.

Wieder waren Schritte zu vernehmen. Diesmal handelte es sich um Brad. Er war ein breitschultriger, kleinwüchsiger Mitdreißiger von der Ostküste, der beständig einen mürrischen Gesichtsausdruck herumtrug, war dabei aber kein übler Kerl. Manchmal kam er unbeabsichtigt witzig daher und musste dann über sich selbst lachen. Brad arbeitete als Fernfahrer und absolvierte überwiegend Touren nach Mexiko oder nach Texas, Landstriche, in denen er sich auskannte „wie in seiner Westentasche“, wie er zu sagen pflegte. Ansonsten war er eher wortkarg. Man merkte ihm an, dass er die Entspannung beim Blick auf den weiten Ozean brauchte, um mit seinem rastlosen Leben im Verkehr auf den Straßen zurecht zu kommen.

So saßen wir vier nun aufgereiht auf dieser Bank und sahen den Abstand zwischen dem glutroten Feuerball und der Horizontlinie am Ende der unendlich anmutenden Wasserwüste des Pazifiks schrumpfen. Die Felsen der Steilküste zur Rechten wurden so intensiv beleuchtet, dass sie geradezu künstlich wirkten, als seien sie in Pappmaschee nachgebildet. Die trockene warme Luft und der klare, wolkenlose Himmel schafften Bedingungen, unter denen sich dieser Streifen rot schimmernden Wassers im Licht der abtauchenden Sonne ausbildete. Und diese Straße aus Licht zeigte geradewegs auf uns, als wolle sie sagen: Kommt! Folgt mir!

Der Glutball versank, und eine dämmrige Stimmung erfasste die Luftglocke über uns. So gestalteten sich die Sonnenuntergänge nicht immer. Heute war es beeindruckend gewesen, irgendwie geheimnisvoll. Es dauerte eine Weile, bis der Erste von uns etwas sagte. Es war Brad, der uns lapidar mitteilte, er müsse jetzt schlafen gehen, weil seine Liefertour am Morgen um vier Uhr begänne.

Greg saß reglos da. Er hatte aufgehört, seinen Bart zu kraulen, er wirkte wie hypnotisiert. Aber ganz überraschend kamen dann Wörter aus seinem Mund.

„Kommt ihr … nachher … noch … zu mir? … Ich … bleibe noch.“

Seine Stimme klang so monoton, als sei er abwesend, und doch hatte ein Teil von ihm Verbindung zum hier und jetzt.

Meg antwortete: „Heute nicht. Good bye, Gregorios.“

Und zu mir gewandt fuhr sie fort: „Begleitest du mich noch ein Stück?“

Ich nickte. Meg war die Einzige aus diesem Sunset-Club, wie wir ihn scherzhaft nannten, zu der ich eine Art Bekanntschaftsverhältnis aufgebaut hatte. Vielleicht, weil sie die einzige Frau im Klub war?

Sie hatte von sich aus erzählt, wie ihr Leben bisher verlaufen war, und zum Ausgleich hatte ich es ihr nachgemacht. Wir wussten also übereinander oberflächlich Bescheid. Eine tiefere Bedeutung leitete sich daraus nicht ab, denn wir trafen uns immer nur und dazu unregelmäßig an diesem Platz. Was ich über Meg, die eigentlich Margret hieß, erfahren hatte, grub sich trotzdem unauslöschlich in mein Gedächtnis ein. Sie war schon mit Siebzehn von ihrer Mutter in eine Model-Karriere hineingedrängt worden. In ihren besten fünfzehn Jahren wurde sie von dieser Branche regelrecht verheizt. Sie hatte überstürzt geheiratet, weil sie schwanger geworden war, nicht, weil sie den Vater ihres Kindes liebte. Meg hatte gar nicht lernen können, was Liebe ist. Sie hatte mit vielen Fotografen Sex gehabt, einige Male auch mit weiblichen Models, weil es ihr nützte und Spaß machte. Die Schwangerschaft verursachte eine Zwangspause, in der sie kein Geld verdiente. Als die wenigen Ersparnisse aufgebraucht waren, ließ ihr Ehemann sie sitzen. Bald darauf hatte Meg eine Fehlgeburt. Eine schwere Zeit begann, und es hatte wohl lange gedauert, bis sie sich wieder aufgerappelt und neu Fuß gefasst hatte. Ihre große Karriere und der Traum, Super-Model zu werden, hatten sich erledigt. Das alles lag über zehn Jahre zurück. Sie arbeitete immer noch als Model, jetzt häufig für Katalog-Produktionen oder Werbe-Spots. Jenseits von Mitte vierzig sah man ihrem Gesicht das Alter und das ausschweifende vorherige Leben deutlich an. Für den Laufsteg und die großen Mode-Shows kam sie allein deshalb nicht mehr infrage. Dafür hatte sie jedoch ihren Körper, ihre äußere Hülle makellos in Form gehalten und witzelte gerne darüber, indem sie sagte, ihre Hände, die Füße oder die Beine, ihr Po oder ihr Busen hätten einen Photo-Shooting Termin, und sie müsse mitreisen. Meg war durchaus gefragt, konnte davon leben und wirkte stolz auf ihre Unabhängigkeit. Sie stand alleine alles durch und erschien mir dabei nicht unglücklich. Trotzdem hätte ich ihr gewünscht, bald einem Menschen zu begegnen, mit dem zusammen sie lernen konnte, wie Liebe entsteht. Wie sich herausstellen sollte, war ich nicht allein heimlich um sie besorgt.

Auf unserem Weg entlang des Sportboothafens fragte mich Meg, ob ich den DJ und Musiker Cid K. schon persönlich kennengelernt hätte. Ich verneinte. Cid K. war mir natürlich ein Begriff, einer der meist angesagten Künstler der Klub-Szene momentan und in aller Munde. Während Meg lässig ihr Fahrrad schob, begann sie zu erzählen.

„Auf meinem Shooting vor drei Tagen habe ich ihn getroffen – er ist wirklich grandios, genial, fantastisch“, begeisterte sie sich, „Er hat mich zu seinem Auftritt am Abend in den VIP-Bereich eingeladen. Es war eines meiner größten Musikerlebnisse. Ich habe den Sound jetzt noch im Ohr und könnte gerade lostanzen.“

Ich versicherte ihr, das wäre auch für mich und meinen Musikgeschmack passend gewesen. So betrachtet sei ich neidisch. Dabei zwinkerte ich ihr zu.

Meg konterte: „Dafür gibt es Abhilfe, mein Lieber. Auf der Aftershow-Party hat mir Cid K. seinen Kummer offenbart, dass er für seine nächsten Auftrittstermine keinen Toningenieur hat. Sein Mann fällt wegen eines medizinischen Eingriffs aus. Da habe ich ihm von dir vorgeschwärmt, und er reagierte wohlwollend. Wenn du Interesse und Zeit hast, sollst du dich bei ihm melden. Ich gebe dir seine persönliche Telefonnummer. Ruf ihn unbedingt an!“

„Meg, was soll ich sagen? Ich bin beeindruckt, dass du so an mich denkst. Hoffentlich bin ich der Richtige. Werde mich sofort morgen darum kümmern“, antwortete ich und umarmte sie.

„Ruf ihn heute Abend noch an, bitte“, flüsterte sie und legte ihre Stirn in Falten. Ich nickte zustimmend.

Kurz darauf erreichten wir den Parkplatz der Marina und verabschiedeten uns.

Natürlich bekam ich den Job, ich war eben gut und hatte mir auch schon einen Ruf erarbeitet. In wenigen Tagen würde ich nach Indonesien aufbrechen, wo der nächste Gig von Cid K. stattfinden sollte.

2 - Bali

Jamison Brokholm, Alter 55, selbständiger Konzert-Tontechniker aus dem Ort Dana Point in Kalifornien, hat mir über seine nicht alltäglichen Erlebnisse berichtet, die ihm vor einiger Zeit widerfahren sind. Er bestärkte mich darin, die Ereignisse an seiner Stelle zu beschreiben, möglichst detailliert, jedoch auf meine Art, sodass sie dokumentiert sind, falls er daran gehindert sein sollte, die Geschehnisse selbst publik zu machen.

Ich denke, dass Jamison mich mit Absicht ausgewählt hat, Chronist zu sein, und hoffe, seine Erwartungen durch meine Weise der Berichterstattung zu erfüllen.

Zu Fragen, die ich nicht im Stande bin zu beantworten, wird sich Jamison hoffentlich eines Tages selbst äußern können, sollten die Umstände ihn nicht dauerhaft daran hindern.

Lassen sie mich beginnen mit Jamisons Einsatz bei dem Auftritt des DJs Cid K. auf der Insel Bali, Indonesien. Im Folgenden verwende ich für Jamisons Vornamen auch die Kurzform Jay, mit der ihn alle seine Freunde anreden.

Im Süden der Insel Bali befindet sich eine bei Eingeweihten bekannte Party-Location, der Club Orbis. Umgeben von Hotels und touristischen Anlagen im balinesisch traditionellen Baustil und inmitten gepflegter, üppig grüner Gärten liegt das Orbis auf einer Geländestufe hoch über dem Meeressaum, der kilometerweit nach beiden Seiten an einen schmalen Sandstrand grenzt. Der steile Hang zum Strand hinab ist dicht bewachsen, an einigen Stellen hat man Fußpfade angelegt, teils mit Treppen versehen, um den Menschen Zugang zum Meer zu ermöglichen.

In aufwändiger Architektur breitet sich das Club-Gebäude über zwei, drei Ebenen bis an die Kante des Steilhangs aus. Es gibt überdachte Bereiche, Terrassen und untereinander verbundene Pools im Freien. In raffinierter Weise ist die Plattform für Veranstaltungen hinausragend über die Kante der Geländestufe angelegt, hängt quasi in der Luft. Ein abends beleuchteter Kubus – dem Anschein nach im Zentrum schwebend über der Cocktail-Bar – ähnelt der Kaaba in Mekka. Wenn die Plattform mit Publikum gut gefüllt ist, verstärkt sich dieser Eindruck: die Menge ist zum Mekka der modernen Tanzkultur gepilgert.

Jamison hatte sich in eines dieser einfach erscheinenden und doch so angenehmen Gästehäuser eingemietet, die oft von jungen Rucksacktouristen bevorzugt werden, weil sie billig sind und trotzdem genügend Komfort bieten. Dort ist die Atmosphäre anders, nicht so steril wie in den Häusern der großen Hotelketten. Wer Berührung mit den Einheimischen und ihrer Lebensweise sucht, ist in diesen Herbergen gut aufgehoben. Obwohl er sich Besseres hätte leisten können, fiel Jays Wahl zum Übernachten auf das Haus von Mistress Luh, auf die Verpflegung durch seine Gastgeberin verzichtete er. Es entsprach zum einen seiner Bodenständigkeit und Bescheidenheit, zum anderen bedeutete es, dass er für die Mahlzeiten unter Menschen kam. Die Auswahl an Restaurants, Imbiss-Stuben, Cafés und Bars war groß.

Jay hatte sich für eine Anreise zwei Tage vor dem Auftritt von Cid K. entschieden. Dadurch gehörte gleich der erste Tag in Bali ihm alleine, denn entgegen der Ankündigung kam das Sound-Equipment erst am Vortag der Show auf Bali an. Seine Wirtin legte ihm an diesem Tag ans Herz, das im Augenblick meist angesagte Café am Ort zu besuchen. Und natürlich folgte Jay ihrer Empfehlung. Sie bestellte ihm ein Motorroller-Taxi, und nach einer Viertelstunde Fahrt stand er vor dem Café. In der milden Morgensonne war die Außenterrasse voll besetzt. Jay ging nach innen und hatte Glück, am Rande des balinesisch geschmückten Gastraums noch einen kleinen Tisch für sich zu ergattern.

Benachbart saß ein jüngeres einheimisches Paar vor Teebechertassen und einer hübschen Porzellankanne auf einem Kerzenstövchen und unterhielt sich in gedämpftem Ton. Ganz im Gegensatz zu einer Gruppe von fünf, die den nächsten Tisch in dieser Reihe nahe der vollständig aufgestellten Fensterfront zur Terrasse innehatten und auf Englisch so laut miteinander sprachen, dass der halbe Raum mithören konnte. Nun, ihr Thema kreiste um die Attraktionen dieser Insel, um die Schönheit ihrer Natur und Kultur – sie übertrafen sich gegenseitig darin, die für sie besonders beeindruckenden Seiten von Bali zu beschreiben, ja überschlugen sich geradezu dabei, ihre Erlebnisse als außergewöhnlich, faszinierend, einzigartig darzustellen. Es war wohl ehrlich gemeint und entsprang persönlicher Überzeugung.

Doch dann bemerkte Jay, der wiederholt verstohlen in ihre Richtung blickte, dass auf der Tischecke eine Kamera mit blinkender roter LED stand. Offensichtlich nahmen diese jungen Leute, zwei attraktive Mädchen und drei Jungen etwa im gleichen Alter, ihre Unterhaltung als Video auf. Jay konzentrierte sich auf die fantasievoll und ansprechend gestaltete Speise- und Getränkekarte, bestellte dann sein Frühstück. Unterdessen wurde er überrascht von einer freundlichen Person, die eine Frage an ihn richtete. Der junge Mann wollte von ihm wissen, ob er einverstanden sei, auf einem Video zu erscheinen, welches später in den sozialen Medien im Internet zu sehen sein würde. Jay hatte nichts einzuwenden und stimmte zu, fand es sogar rücksichtsvoll, dafür um Erlaubnis gefragt zu werden. Dieser junge Mann war einer der fünf vom übernächsten Tisch, und er schritt daraufhin mit der Kamera durch den Gastraum und zeichnete mit einem Schwenk einen Teil des Publikums, die Bar-Theke und die Dekorationen an den Wänden auf.

Während Jay frühstückte, holten die jungen Leute den Wirt des Cafés an ihren Tisch, und es fand so etwas wie ein improvisiertes und recht lustiges Interview mit ihm vor laufender Kamera statt. Jetzt wurde Jay klar – er war sich seiner Deutung sicher –, dass diese Inszenierung beabsichtigt gewesen, also nicht spontan erfolgt war. Das Wohlbefinden der fünf im Café, ihre Zufriedenheit mit allem, was ihnen geboten worden war, wirkte durchaus echt. Sie strahlten beste Laune aus und beendeten bald ihren Besuch. Der junge Mann, der bei Jay nachgefragt hatte, erwies sich als der Kopf der Gruppe – er sprach noch einmal mit dem Inhaber und beglich die Rechnung. Im Hinausgehen sah er in Jays Richtung und nickte ihm in verbindlicher Weise zu, so als wolle er damit das Etablieren einer Bekanntschaft besiegeln.

Jamison genoss die Freiheiten an diesem Tag, sich durch die nähere Umgebung treiben zu lassen und dabei die Schönheit dieser Insel, die Herzlichkeit ihrer Bewohner, die Entspannung an dieser tropischen Küste mit ihrem warmen Meer und den langen, leeren Stränden in sich aufzunehmen. Erst am späten Nachmittag stattete er dem Orbis einen Besuch ab, trank einen Kaffee in Gesellschaft des Haustechnikers, der mit den fest installierten Anlagen für Ton und Licht betraut war. Es war sofort klar, dass er mit diesem jungen Einheimischen bestens würde zusammenarbeiten können.

Am Morgen des folgenden Tages begann ein ungeduldiges Warten auf den Teil der Sound-Anlage, die von Cid K. bereitgestellt wurde. Es vergingen viele Stunden und etliche Telefonate, bei denen Jays Unterstützer sich als sehr nützlich erwies, bis schließlich am Nachmittag die drei Holzkisten mit Elektronik auf der Ladefläche eines Lastwagens eintrafen. Jay konnte froh sein, dass es auf dem Weg vom Flughafen nicht auf die Ladung geregnet hatte. Kaum hatten sie zu zweit eilig alles in einem Lagerraum des Orbis untergebracht, ging draußen ein tropischer Gewitterschauer nieder. Eine Stunde später kam die Sonne wieder hervor und sorgte angesichts der Wolkenszenerie für einen farbenfrohen, sehnsuchtsvollen Sonnenuntergang. Jamison musste an Meg und sein Zuhause denken, während er auf der Veranstaltungsplattform draußen mit dem Techniker vom Orbis Kabel verlegte und einige der Komponenten platzierte und anschloss.

Der Tag des Auftritts verging wie im Fluge. Es waren viele Einzelheiten zu beachten, und Jay fand erst etwas Ruhe, nachdem ihn der Sound-Check zufrieden gestellt hatte. Cid K., der am Mittag eingetroffen war, ging es entspannter an, betonte, er habe das gleiche Programm schon so oft aufgeführt, dass er es im Schlaf beherrsche. Und überhaupt könne man es auch von einem Automaten, einem Roboter abspulen lassen, das mache doch keinen Unterschied. Aber natürlich wolle man ihn sehen, die Gäste wünschten sich, ihm einmal nahe zu sein, damit etwas von ihm auf sie abfärbte. Dafür würden sie ihr Geld ausgeben und er gut daran verdienen.

So sehr Cid K. es auch abtat und vorher den Eindruck der Lustlosigkeit verbreitete, genauso leidenschaftlich war er während des Auftritts bei der Sache und in seinem Element. Es schien, als brauche er die in der lauen Atmosphäre des Abends luftig und spärlich bekleideten, tanzenden Frauen vor seinem DJ-Pult als Stimulanz, wie eine Droge. Als Mitvierziger mit schon gelichtetem Haar entpuppte er sich als Vollblutmusiker, der genial und sehr emotional in seiner Show aufging. Auch Jay erfasste die Begeisterung, die beim Publikum sofort Einzug gehalten hatte und über drei Stunden nicht abflaute.

Wegen der gewissenhaften Vorbereitungen hatte Jay am zentralen Mischpult hinter dem Publikum nicht viel nachzusteuern und konnte die Aufführung selbst genießen. Der Haustechniker neben ihm bediente die Lichtanlage und hatte mit den vielen Beleuchtungsprogrammen, die Ambientlicht und Scheinwerfer regelten, mehr zu tun. Jedenfalls machte er seine Sache gut und empfand offensichtlich Freude dabei, denn er strahlte beständig über das ganze Gesicht.

Inmitten der tanzenden Besucher des Konzerts hatte Jay schon zu Beginn den jungen Mann aus dem Café entdeckt. Er befand sich offensichtlich in Begleitung einer Frau auf dieser Party, beschäftigte sich unablässig und wie ein Verliebter mit ihr. Jay war nicht sicher, ob sie zu der Gruppe im Café gehört hatte. Die anderen dieses Kreises um den jungen Mann konnte er in der Menge nicht ausmachen. Hat man einmal jemand unter vielen erkannt, so behält man die Person ganz unbewusst im Auge – Jay tat dies, ohne das Paar beobachten zu wollen. Über die Stunden hinweg erschien es ihm, als kümmere sich der junge Mann zu eindringlich und auffällig um seine Begleiterin. An ihrer Stelle hätte Jay es als abschreckend empfunden.

Am Ende seines Auftritts wurde Cid K. zu einem Interview geholt, während Jay sich darum kümmerte, dass die Tanzwütigen weiterhin mit Musik aus der Konserve versorgt wurden, nun in gedrosselter Lautstärke und mit ruhigeren Stücken.

Jays Blick fiel auf die Bar unter der Kaaba, und er sah dort die Frau alleine sitzen, seinen jungen Bekannten aus dem Café entdeckte er nicht. Die Sonne war inzwischen unter die Horizontlinie gesunken, ein blass blaues, gedämpftes Licht erfüllte die Runde. Die Beleuchtung der Bar und des Kubus darüber wirkte mystisch durch den Schein vieler kleiner farbiger Lichtquellen. Die Frau schaute verträumt auf ihr Cocktail-Glas auf der Theke, saß etwas verloren in ihrem knappen und kurzen weißen Kleid auf dem Barhocker. Ihr bläulich schwarzes langes Haar hatte sie zu einem Ponytail zusammengefasst.

Aus einem spontanen Gefühl heraus setzte sich Jay zu ihr, bestellte sich einen Lemon & Mint Mocktail.

„Darf ich mich für einen Moment zu ihnen gesellen?“

Sie nickte höflich.

„Wie gefiel ihnen die Musik von Cid K.? Ich habe zum ersten Mal als Tontechniker für ihn gearbeitet und bin begeistert“, äußerte sich Jay.

Etwas scheu und mit einem ausgeprägten Latino-Akzent in ihrem Englisch antwortete sie: „Es war auch mein Geschmack, fand es richtig gut. Mit etwas mehr Bossa Nova wäre es noch besser gewesen.“

Auf eine reizende Art brachte sie es fertig, eine sehr passende, ehrliche Bewertung ihres Eindrucks abzugeben. Sie besaß eine ernste Ausstrahlung, und das machte sie älter, als sie tatsächlich war – Jay schätzte sie nun, da er sie von Nahem sah, auf höchstens Fünfundzwanzig. Er hätte sie sich sofort als Tochter vorstellen können, obwohl er doch nichts über sie wusste.

„Ich bin Jamison, aus Kalifornien. Wäre froh, wenn sie mich Jay nennen würden. Jedenfalls freue ich mich, sie hier zu treffen. Ihren Begleiter konnte ich gestern schon in diesem bekannten Café im Ort kennenlernen. Waren sie eigentlich auch dabei?“

Sie bejahte: „Doch, ja. Stimmt, ich habe sie auch gesehen, Lawrence hat mit ihnen gesprochen. Ich kann mir denken, warum sie mich heute nicht wiedererkannt haben. Gestern sah ich sehr anders aus, jetzt bin ich gerade ganz privat. Also haben sie Glück, dass sie mich so antreffen: ich bin Celia aus Kolumbien.“

„Und gestern? Das war nicht privat? Es schien mir ein ganz fröhliches Zusammensein mit Freunden zu sein“, erwiderte Jay überrascht.

„Ja, es ist schon so, wie sie es wahrgenommen haben. Aber wir waren dort, um Werbung für das Café zu machen. Es bedeutet ja nicht, dass wir nicht mit Freude und Genuss dabei sind. Trotzdem hat man sich unter Kontrolle, damit die Botschaft »hier muss man gewesen sein« gut herüberkommt. Das sind andere Voraussetzungen als heute Abend. Hier sieht mich niemand … außer ihnen natürlich“, sie lachte in bezaubernder Weise.

In diesem Moment spürte Jay, dass ihm jemand eine Hand von hinten auf die Schulter legte. Wohlwollend wandte er sich zur Seite. Schräg hinter ihm stand nun der junge Mann, den er im Café kennengelernt hatte.

„Guten Abend, ich hoffe, sie haben nichts dagegen, dass ich ihrer Freundin kurz Gesellschaft geleistet habe“, sagte Jay höflich.

„Ganz im Gegenteil“, antwortete der junge Mann, „Sie haben sicher gut auf sie aufgepasst.“

Er lachte, und Jay blickte in sein offenes Gesicht mit den freundlichen Augen und dem gewinnenden Lächeln. Offensichtlich bestand zwischen ihnen eine spontane Zugewandtheit.

„Lassen sie mich es so sagen: ich wäre wohl eher der Vater, der ihnen seine Tochter Celia anvertrauen könnte. Kann ich mich auf sie verlassen?“, entgegnete Jay scherzhaft.

„Voll und ganz können sie mir vertrauen und mir Celia überlassen“, ging der junge Mann darauf ein, rückte seitlich an Celia heran, umarmte und küsste sie. Celia ließ es offenbar gerne geschehen.

„Ihr seid ein hübsches Paar. Schön, dass ich euch kennenlernen durfte“, sagte Jay gefühlvoll.

Die beiden blickten sich verliebt an. Dann stellte Celia Jay vor.

„Aha, sie haben also für diesen perfekten Sound und die Lightshow gesorgt. Großartig, hat mir sehr, sehr gut gefallen. Ich heiße übrigens Lawrence.“

Die beiden Männer schüttelten sich ganz traditionell die Hand. Jay holte schnell einen weiteren Barhocker für Lawrence heran und platzierte ihn so, dass sie im Dreieck zueinander saßen.

Lawrence fragte Jay nach Einzelheiten seines Jobs in der Tontechnik hier, zeigte ein starkes Bedürfnis, Merkmale der Anlage und der Bühnentechnik erklärt zu bekommen. Celias Ausdruck war dabei eher gelangweilt – für Jamison wurde klar, dass sie diese Begeisterung für Technik an Lawrence nicht sehr mochte.

Bald entwickelte sich das Gespräch zu einem Monolog von Lawrence. Er referierte ausschweifend über seine Erfahrungen mit Video-Produktionen, über die von ihm bevorzugten Marken von Kamera-Ausrüstung, Schnitttechniken, frei verfügbare Bild- und Ton-Archive und über seine Idee, all dies zu einem Kurs-Angebot für Interessierte zusammenzufassen. Manches wirkte auf Jay laienhaft und unprofessionell, doch er spürte, wie sehr Lawrence davon eingenommen war, und wie viel Kreativität es bei dem jungen Mann hervorrief. Lawrence sprudelte in kurzer Zeit so einen Schwall an Ideen heraus, dass Jay ihm im Stillen wünschte, dies alles einmal umgesetzt zu bekommen. Andererseits bemerkte er, dass Celia bald von diesem einseitigen Thema entlastet werden musste.

Mit dem Hinweis, er habe noch zu tun, doch es habe ihn sehr gefreut, sich mit ihnen ausgetauscht zu haben, brach Jay schließlich die Unterhaltung ab und wünschte ihnen eine gute Nacht.

Während Jay sich danach um das Auflösen der Mischpultverkabelung kümmerte, konnte er das Paar noch beobachten. Zunächst blieben Celia und Lawrence an der Bar, jedoch verabschiedete sich Celia bald mit einer Umarmung und verschwand im überdachten Gebäudeteil, während Lawrence sich zu einer Gruppe auf der offenen Plattform gesellte, wo man ihn wohl kannte. Später sah Jay Lawrence mit einer jungen Frau mit langem, welligem, brünettem Haar, in bauchfreiem Top und mit Röhrenjeans an der Brüstung der Plattform stehen. Aus ihrer beider Gestikulieren war zu erschließen, dass sie sich angeregt unterhielten.

Ohne offensichtlichen Grund war Jays Schlaf in dieser Nacht unruhig und von Unterbrechungen gestört. Zwar wurde er nie ganz wach, doch nahm er trotzdem eine so tiefe Stille wahr, dass ihm unheimlich wurde und er sich noch halb im Schlaf fragte,wo er sich befände. Der Ausdruck Grabesstille machte sich in seinem Kopf breit und war fortan nicht zu löschen.

Als die Helligkeit des Tagesanbruchs durch die Ritzen des Bambusrollos in sein Zimmer drang, gab Jay auf und beendete die Versuche, in Tiefschlaf zu fallen. Er stand auf und nahm sich vor, früh mit dem restlichen Abbau im Orbis zu beginnen. Es hatte keine Eile, niemand erwartete eine frühe Erledigung – Jay erschien es als eine sinnvolle Sache, desto früher war er frei und konnte sich entspannt Privatem zuwenden.

Im Orbis wurde schon eifrig geschafft. Angehalten, laute Geräusche zu vermeiden, räumten viele fleißige Hände des adrett gekleideten indonesischen Hauspersonals die Innenräume und Terrassen auf, reinigten die Pools und Sonnenliegen, pflegten die Grünpflanzen, gaben allen Oberflächen wieder Sauberkeit und Glanz. Jamison mischte sich ganz selbstverständlich unter sie und ging seiner Arbeit nach.

Als habe jemand einen Stein ins ruhige Wasser geworfen, verbreitete sich wellengleich plötzlich eine Regung unter den Hausangestellten. Sie warfen sich kurze Sätze in gedämpfter Lautstärke zu, einige steckten die Köpfe zusammen, jeder blickte wiederholt in Richtung des Zugangs zum Terrassenbereich.

Schließlich stürmten von dort mehrere Polizisten in Begleitung eines Offiziellen des Orbis heran und drängten sich in die gläserne Liftkabine, die sich sodann abwärts zum Strandniveau in Bewegung setzte.

Verstohlen schlichen einige Angestellte zur Brüstung der über den Steilhang hinausragenden Plattform, konnten aber dem Anschein nach keine Ursache für den Polizeieinsatz entdecken.

Jamison benutzte die Unterbrechung seiner Konzentration, um seine Frühstückspause einzuschieben und suchte sich einen Tisch im überdachten Außenbereich mit Blick auf die Freiterrassen. Noch waren wenige Gäste eingetroffen, und Jay blieb in seiner Umgebung alleine und ungestört.

Wenig später – Jay wurde gerade mit Kaffee versorgt – erschien Lawrence auf der Terrasse. Er wirkte verschlafen, unschlüssig, wohin er sich wenden solle. Als er Jay entdeckte, setzte er sich zu dessen Tisch in Bewegung, fragte höflich, ob Jay einverstanden sei, dass er sich zum Frühstücken zu ihm setze. Jay nickte wohlwollend.

Vom Strand unten waren jetzt laute Rufe zu hören, während aus Richtung der Straße vor dem Orbis Geheul von Einsatzfahrzeugen herandrang. Lawrence sah Jay fragend an, erkundigte sich dann, ob Jay wisse, was los sei. Jay schüttelte den Kopf, fügte aber hinzu, die Polizei sei eben mit dem Lift zum Strand hinuntergefahren.

Lawrence bestellte sich sein Frühstück, verließ den Tisch auch kurz, um sich am Früchte-Buffet zu versorgen. Kaum zurückgekehrt begann er zu berichten, dass Celia zu ihrer morgendlichen Jogging-Runde aufgebrochen sein musste, als er noch nicht wach war. Lawrence betonte, dass sie in dieser Hinsicht äußerst diszipliniert sei, Jay solle sich nicht wundern, dass er alleine gekommen sei, Celia würde sicher bald dazustoßen. Demonstrativ stand Lawrence noch einmal auf und holte fürsorglich einen dritten Stuhl an ihren Tisch.

Die Aufzugkabine war gerade zurückgekehrt und entließ drei uniformierte Polizisten in den Terrassenbereich. Sie verteilten sich und begannen, mit Personal und Gästen zu sprechen.

Jay und Lawrence nahmen unterdessen ihr Frühstück ein, Lawrence berichtete dabei über seine Eindrücke von Bali, … solange, bis einer der Beamten auch an ihren Tisch trat und sie fragte, ob ihnen in der Nacht oder am frühen Morgen etwas Ungewöhnliches aufgefallen sei. Beide verneinten.

Lawrence beließ es aber nicht dabei, sondern wollte von dem Polizisten wissen, was der Anlass für die Befragung sei, schließlich befinde sich seine Verlobte zu ihrem Morgentraining unten am Strand. Der Beamte wurde hellhörig und rückte mit dem Grund heraus: es sei eine junge Frau tot aufgefunden worden, vermutlich vom Meer angespült. Lawrence wurde bleich im Gesicht. Es konnte sich nicht um Celia handeln, sie wollte nicht im Meer baden – niemals in Verbindung mit ihrem Jogging.

Der Beamte bat Lawrence trotzdem, mitzukommen und zu bestätigen, dass die Tote nicht Celia sei. Lawrence fragte Jay daraufhin, ob er auf ihn warten könne.

Schon wenige Minuten später kehrte Lawrence zurück, alleine, sichtlich bewegt und mit unsicherem Gang. Er sank auf seinen Stuhl, vergrub das Gesicht mehrere Minuten lang in den Händen.

Jamison war tief erschüttert. Offensichtlich hatte Lawrence die Tote als Celia identifiziert.

Schließlich berichtete Lawrence, dass seine Freundin vollkommen entkleidet und mit Würgemalen am Hals angeschwemmt worden sei. Ihre Kleidung habe man noch nicht gefunden. Es sei ein so schrecklicher Anblick, ein solches Unglück in diesem Inselparadies, er könne es nicht glauben, zweifele daran, dass es die Wirklichkeit sei.

Letztendlich gelang es Lawrence, seine Gedanken soweit zu ordnen, dass er Jay sein Anliegen vermitteln konnte, jene Absicht, die sich seit dem Abend herauskristallisiert hatte. Lawrence fragte Jamison, ob er nicht in sein Team kommen wolle, er besäße genau die Fähigkeiten, sich um die technische Seite seiner Werbeproduktionen zu kümmern. Er selbst könne dies nicht mehr alleine bewältigen.

Jay war überrascht, fühlte sich auch geschmeichelt, solch ein Angebot zum Wechsel in ein junges und modern ausgerichtetes Team zu bekommen. Lawrence verlangte keine sofortige Entscheidung, stattdessen schlug er ausführliches Beraten darüber am Nachmittag vor, vorausgesetzt, die nun eingetretenen Umstände erlaubten dies.

Noch im Laufe des Morgens zog Jay die Konsequenz aus seinem inneren Zwiespalt, der weder Verstand noch Herz seit der Begegnung mit Lawrence hatte ruhen lassen: er stornierte seinen Rückflug, der am nächsten Tag hätte erfolgen sollen. Jamison wollte die Zusammenarbeit mit Lawrence unbedingt eingehen.

Doch schon am Nachmittag nagten Zweifel an seiner Entscheidung, denn es erreichte ihn weder eine Nachricht, noch tauchte Lawrence im Orbis auf.

Als Jamison bis zum Abend nichts gehört hatte, fragte er im Hotel nach und erfuhr, dass Lawrence dort bereits ausgezogen war.

Sollte alles nicht ernst gemeint gewesen sein, oder hielten die Umstände des Tötungsdelikts an Celia Lawrence von der Einhaltung der Verabredung ab?, fragte sich Jay.

Ein junger Mann, der wohl hellhörig geworden war, als Jay sich an der Rezeption erkundigte, sprach ihn in der Lobby an. Er stellte sich als Mitglied des Teams von Lawrence vor und offenbarte ihm, dass die Polizei Lawrence in ihr Hauptquartier nach Denpasar City mitgenommen und sein Gepäck beschlagnahmt hatte. Jay tauschte mit ihm Telefonnummern aus, und der junge Mann versprach Jamison, ihn zu benachrichtigen, sobald es Neuigkeiten über Lawrence gab.

Währenddessen bemerkte Jay, dass eine junge Frau ebenfalls beim Hotelempfang nach Lawrence fragte und vom Concierge – mit der Hand deutend auf die im Gespräch vertieften Männer – den Rat erhielt, das Team-Mitglied anzusprechen. Die Frau ging aber nicht darauf ein und strebte schnellen Schrittes dem Ausgang zu.

Jay machte sich auf den Weg in die Ortschaft, zu seiner Bleibe. Die Abenddämmerung war längst der Dunkelheit gewichen, die Luft war noch warm, eine leichte Brise strich durch die wenig belebten Gassen. Der Wind vom Meer hatte die tropisch feuchte Hitze des Tages vertrieben. Jay empfand es als einen einladenden Abend, der Lust machte, noch draußen über einem asiatischen Essen und bei einem Bier den Tag in einem Lokal ausklingen zu lassen. Er folgte nicht der direkten Route zu seiner Unterkunft, sein Ziel war die Straße, in der er mehrere Restaurants gesehen hatte. Der Weg führte durch einige dunkle, schmale Pfade zwischen eingezäunten Privathäusern.

Schon bald bemerkte Jay, dass ihm eine Person heimlich folgte. Er beschleunigte seinen Schritt und verbarg sich hinter einer Mauerecke. Die Person passierte sein Versteck, er erkannte die Silhouette einer hochgewachsenen Frau, in keinem Fall die einer Einheimischen oder eines Straßenräubers. Jamison wollte Klarheit, schritt ihr nach und sprach sie von hinterrücks an:

„Entschuldigen sie, täusche ich mich, oder sind sie mir gefolgt?“ Die Frau erschrak, wandte sich abrupt zu ihm um. Trotz des schwachen Lichts von Glühbirnen an ein paar Hausfassaden erkannte Jay die Frau aus dem Hotel.

„Sorry, sorry, es ist richtig, ich bin ihnen gefolgt. Ich wollte wissen, wo ich sie erreichen kann in der Hoffnung, dass über sie der Kontakt zu Lawrence möglich ist“, sprach sie in zittriger Stimmlage.

Jamison antwortete darauf verständnisvoll.

„Es tut mir leid, sie verwechseln mich. Der junge Mann, mit dem ich vorhin sprach, gehört zum Team von Lawrence. Ich selbst habe das gleiche Problem wie sie, auch ich brauche Lawrence. Man will mich aber benachrichtigen, sobald Lawrence wieder erreichbar ist. Deshalb schlage ich vor, dass wir uns zusammentun. Ist es in Ordnung, wenn wir uns morgen zur Frühstückszeit im Orbis treffen?“

„Ja, unbedingt. Danke, dass sie mir helfen wollen“, sagte die Frau mit verbindlichem Ausdruck.

„Noch habe ich gar nichts für sie getan. Aber ich denke, ich muss ihnen nun aus dieser dunklen Gegend heraushelfen“, erwiderte Jamison.

Sie nickte.

„Kommen sie, begleiten sie mich bis zur belebten Straße. Dort finden wir sicher ein Taxi, das sie in ihr Hotel zurückfährt“, beruhigte Jay die junge Frau.

Er hielt seine Idee für unverfänglich. Sie ging darauf ein, und es geschah wie vorgeschlagen.

Später, als er dann alleine an einem Tisch im Außenbereich seines ausgewählten Restaurants saß, ärgerte sich Jamison, dass er sie nicht eingeladen hatte, mit ihm zu Abend zu essen.

Am Morgen verließ Jay das Haus von Mistress Luh gegen Neun und machte sich auf den Weg zum Orbis. Die Sonne hatte die Luft bereits spürbar aufgeheizt, sodass der Fußmarsch ihm bald die Schweißperlen auf die Stirn trieb. Es war Jay unangenehm, so feucht und verschwitzt zu einem Treffen mit Frühstück zu erscheinen. Und sowieso hatte Jay noch nicht wieder Appetit. Einen Zeitpunkt für ihre Unterredung hatten sie gar nicht ausgemacht – Jay ging davon aus, dass es keiner Eile bedurfte, und sie sich entspannt zu einer angenehmen Stunde zusammenfinden konnten, es also keinen Grund gegeben hatte, nicht auszuschlafen.

In der Lobby des Orbis herrschte die übliche, gediegene und ruhige Atmosphäre, als Jamison hereinkam und ihm das Personal der Rezeption wohlwollend zunickte. Er war hier inzwischen bekannt und akzeptiert, als sei er einer von ihnen. Die Angestellten am Empfang besaßen die erstaunliche Fähigkeit, neu Ankommende immer in der passenden Weise zu begrüßen. In ihrer sehr korrekten Aufmachung – die Männer in weißen Jacketts, schwarzem Hemd und roter Krawatte, die Frauen in traditionellen indonesischen Kleidern und mit kunstvoll aufgestecktem, geschmücktem Haar – waren sie Empfangskomitee und Sicherheitsdienst in einem. Sie hatten ein untäuschbares Gespür für die Unterscheidung zwischen willkommenen und abzulehnenden Gästen. Da eine Vielzahl von Besuchern offensichtlich neuseeländischer, australischer, nordamerikanischer oder europäischer Herkunft waren, fand Jay ihre Treffsicherheit bemerkenswert. Bei weitem nicht jeder Rucksacktourist aus den reichen Ländern wurde hier gern gesehen und musste sich die Abweisung gefallen lassen. Das Orbis stellte einen Ort von Luxus und Stil dar, und dieser Eindruck sollte erhalten und geschützt werden. Man hätte Jay sicher hinauskomplimentiert, wäre er nicht dem Personal zuzurechnen gewesen. Er schämte sich für seine schweißnassen Haare über der Stirn und im Nacken, für die dunklen Flecken seiner Transpiration im Hemd unter den Achseln und auf der Brust, ließ es sich aber nicht anmerken. So durchschritt er das leere Restaurant und trat in den Außenbereich hinaus.

Zu seinem Erstaunen waren dort die meisten Tische noch besetzt durch Frühstücksgäste. Gerade im beschatteten Bereich konnte er für sich keinen freien Platz entdecken. Im Weitergehen sah er jenseits des einen Pools einen winkenden Arm. Das Zeichen schien ihm zu gelten, denn es wiederholte sich, sobald er sich in diese Richtung wandte.

Um dorthin zu gelangen, musste Jamison die weitläufige Terrasse zwischen den vielen Tischen im Zickzackkurs durchqueren und einen der Pools umrunden. Dabei passierte er diese Gäste, die einer Art hohen Kaste anzugehören schienen. Die Männer hätten allesamt Brüder, die jungen Frauen Schwestern sein können. Sie besaßen für sich schon ein individuelles Äußeres, doch glichen sie sich alle im Stil ihrer meist weißen Kleidung, in ihren Frisuren, ihrem gebräunten Teint, der hohen Qualität ihrer ganzen Aufmachung, ihrer Mimik und Gestik bei den Unterhaltungen und der Art, wie sie frühstückten.