Verzaubert auf Jacinto - Anne Mather - E-Book

Verzaubert auf Jacinto E-Book

Anne Mather

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Beschreibung

Auf der traumhaften Karibikinsel Jacinto trifft Julia Harvey, die einst so berühmte Filmschauspielerin, ihre große Liebe Quinn Mariott wieder. Genau wie damals brennt die Leidenschaft...

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IMPRESSUM

Verzaubert auf Jacinto erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 1995 by Anne Mather Originaltitel: „Treacherous Longings“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANABand 1102 - 1996 by CORA Verlag GmbH, Hamburg Übersetzung: Dr. Hans-Arthur Marsiske

Umschlagsmotive: shutterstock / Dari Ya, Simon Lukas

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733779047

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

„Du warst mit ihr befreundet, stimmt’s?“

Quinn zögerte nur kurz. „Meine Mutter“, korrigierte er. Natürlich war er auch mit ihr befreundet gewesen, viel besser, als ihm jetzt in der Erinnerung lieb sein konnte. Aber das ging Hector Pickard nichts an.

„Wie lange ist das her?“

Quinn stand auf und schlenderte betont gleichmütig zum Fenster. Von dem exklusiv gelegenen Büro bot sich ein fantastischer Blick auf die Firmengebäude von Canary Wharf. Doch Quinn nahm sie überhaupt nicht wahr.

„Oh, lange“, antwortete er schließlich. „Mindestens zehn Jahre. Eine ganze Zeit, bevor sie die … Probleme mit Intercontinental hatte. Ich hab keine Ahnung, was sie jetzt macht.“ Er hielt inne. „Sie ist einfach verschwunden.“

„Aber ich.“

„Was?“

„Ich weiß, wo sie ist. Oder …“, Hector hob die Arme, als wolle er einen Einwand abwehren, „… glaube es zumindest.“

Quinn drehte sich um und sah ihn ungläubig an. „Wo? Woher weißt …?“

„Nun, ich habe so meine Quellen.“ Hector lächelte zufrieden. „Du bist nicht der einzige Journalist, der für mich arbeitet, Marriott. Und einige würden alles tun, um dich aus deinem bequemen Sessel zu vertreiben. Selbst wenn es ein wenig jenseits der Legalität läge.“

Quinn sah ihm direkt in die Augen. „Sprich weiter.“

Hector genoss seine Überlegenheit. Meistens fühlte er sich dem jüngeren Mann gegenüber in der schwächeren Position. Doch diesmal hatte er die besseren Karten.

„Unsere Serie ist bislang ein Riesenreinfall, das weißt du so gut wie ich!“, rief er aus. „Sieh dir doch an, was wir bis jetzt hatten. Eine Hand voll ausgemergelter Schauspieler, deren Karrieren von Anfang an zum Scheitern verurteilt waren. Ein Exboxer, der uns seinen Sport als intelligenzfördernd verkaufen wollte, obwohl er das wandelnde Gegenbeispiel dafür ist. Nicht zu vergessen die drei alternden Schmierenpolitiker, für deren Affären sich kein Mensch interessierte.“

Jetzt musste Quinn lächeln. „Da spricht der Produzent. Interessierst du dich noch für irgendetwas anderes außer für Zuschauerzahlen?“

Hector blieb ernst. „Sei nicht so scheinheilig, Marriott. Ich weiß, dass du von Anfang an gegen dieses Projekt warst …“

„Es war ja auch wirklich nicht besonders originell, oder?“

„… aber das befreit dich nicht von jeglicher Verantwortung fürs Scheitern.“

„Tatsächlich?“ Quinn verschränkte die Arme vor der Brust. „Hector, das Mädchen, das uns den Tee bringt, hätte dir sagen können, dass dieses Format abgenutzt ist und keinen Zuschauer mehr vor den Bildschirm lockt.“

„So, hätte sie?“ Hectors Gesichtsausdruck wurde eine Spur böswilliger. Die Serie war seine Idee gewesen. Er war nicht bereit, Quinn einen Freibrief auszustellen, bloß weil der sie nicht unterstützt hatte. Hector war nicht besonders groß, aber er konnte sehr aggressiv aussehen, wenn er wollte. Jetzt war so ein Moment. „Nun, dann sollte sie vielleicht besser meinen Platz einnehmen. Oder du? Es wäre nicht das erste Mal, dass ein ehrgeiziger Produktionsassistent glaubt, er wisse besser Bescheid als alle anderen.“

„Das habe ich nicht gesagt.“ Quinn seufzte. Hector hatte ihn immer gut behandelt. Er hatte nicht vor, ihre Beziehung zu zerstören. „Ich glaube nur, wir brauchen einen neuen Blickwinkel. Das Privatleben von ehemals Prominenten, deren große Tage lang zurückliegen, zieht einfach keine Zuschauer an.“

„Falsch.“ So schnell war Hector nicht bereit aufzugeben. „Ich gebe zu, die Gesichter, die wir bis jetzt hatten, waren nicht geeignet, das Publikum zu faszinieren. Aber die zweite Serie wird anders. Du wirst nicht behaupten wollen, dass die Leute sich nicht für Marilyn Monroe interessieren würden, wenn sie noch am Leben wäre, oder?“

„Nein“, gab Quinn zu. „Aber Marilyn ist tot.“

„Tatsächlich?“

Quinn ließ sich von Hectors Ironie nicht verunsichern. „Nur deswegen macht sie immer noch Schlagzeilen. Ich bezweifle, dass das Interesse so groß wäre, wenn sie alt geworden wäre. Es sind die Kürze ihres Lebens und die Umstände ihres Todes, die sie immer wieder in die Nachrichten bringen.“

Hector gab nach. „Na schön, ich gebe zu, Marilyn Monroe war kein gutes Beispiel. Aber das widerlegt nicht die Idee. Ich wette, du könntest einige geeignetere Namen nennen, wenn du nur wolltest.“ Er kniff die Augen zusammen. „Ich habe dich schließlich nicht wegen deines Stammbaums eingestellt.“

„Ich dachte, du hättest mich engagiert, weil ich gut in meinem Job bin.“ Eine Spur von Verachtung schwang in Quinns Stimme mit. „Erzähl mir nicht, meine Herkunft hätte dich so beeindruckt. Oder hast du etwa erwartet, dass du von mir vertrauliche Informationen über meine Freunde bekommst?“

„Nein.“ Hector machte eine Pause. „Ich möchte nur, dass du dich mit Julia Harvey triffst.“

Julia Harvey. Quinn straffte die Schultern. „Nein.“

„Warum nicht?“

„Sie ist … sie war die Freundin meiner Mutter.“

„Aber keine enge Freundin. Sie gehört nicht zur Familie. Quinn, ich würde dich nie bitten, über deine besten Freunde Geschichten zu erzählen.“ Hector hielt einen Moment inne. „Außerdem ist Julia Harvey schon so lange verschwunden, dass sie weder für dich noch für deine Mutter eine Bedrohung darstellen kann.“

„Nein“, wiederholte Quinn. „Ich meine es ernst. Such dir jemand anders. Ich möchte damit nichts zu tun haben.“

„Du hast bereits damit zu tun“, entgegnete Hector ungeduldig. „Ich habe keine Zeit, mir jemand anders zu suchen. Gut möglich, dass sie schon Verdacht geschöpft hat. Wenn du mir diese Chance vermasselst, Quinn, werde ich dir das nie verzeihen.“

„Moment mal.“ Quinn sah ihn misstrauisch an. „Du sagst, du hast sie bereits gefunden. Wozu brauchst du mich dann noch?“

Damit hatte er einen wunden Punkt getroffen. „Ich hab gesagt, ich weiß, wo sie ist“, berichtigte Hector zerknirscht. Er machte eine ungeduldige Handbewegung. „Zumindest haben wir eine heiße Spur. Neville hat sie nicht getroffen. Aber das heißt nicht, dass sie nicht da ist. Es heißt nur, dass er sie nicht erkannt hat.“

„Du hast also schon versucht, ein Interview mit ihr zu bekommen?“

„Sagte ich das nicht?“ Hector machte eine abwehrende Geste. „Was ist daran so schlimm? Niemand, der so berühmt ist, kann erwarten, sich für alle Zeiten verstecken zu können.“

„Hör zu, Hector …“

„Nein, du hörst zu, Quinn.“ Jetzt sah er den jüngeren Mann aggressiv an. „Ich kann deine Einwände verstehen. Weil sie und deine Mutter einmal befreundet waren, glaubst du, ihr noch etwas schuldig zu sein.“ Er schüttelte den Kopf. „Julia Harvey hat die Unterstützung der Öffentlichkeit sehr bereitwillig akzeptiert, als es ihr passte. Sie kann nicht einfach ohne jede Erklärung verschwinden.“

Quinn hatte Mühe, sich zu beherrschen. „Du meinst, das gibt dir das Recht, ihr nachzuschnüffeln? Weil ihre Arbeit öffentlich war, hältst du ihr Leben ebenfalls für öffentliches Eigentum?“

„Schone dein Herz, Quinn, das tut dir nicht gut. Wenn du meine ehrliche Meinung hören willst, ja, sie hat ihr Recht auf Anonymität aufgegeben, als sie die erste Stufe ihrer Karriereleiter erklommen hat. Es geht um Geld, Quinn, viel Geld. Warum sollte eine Frau, die haufenweise Dollars verdient, das alles ohne Grund aufgeben?“

„Vielleicht hatte sie einen guten Grund.“ Quinn konnte allerdings keinen nennen. Jahrelang hatte er darüber nachgedacht, ohne je zu einem Ergebnis zu kommen.

„Zum Beispiel?“, fragte Hector. „Eine unheilbare Krankheit vielleicht?“ Er schnaufte verächtlich. „Nun, immerhin lebt sie noch.“

„Selbst wenn …“

„Oder ein Unfall, der sie entstellt hat? Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das hätte geheim halten können.“

Quinn atmete tief durch. „Also, wie lautet deine Erklärung?“

Hector zuckte die Schultern. „Ich habe keine. Eben das lässt mir keine Ruhe. Eine Frau, die mit allen großen Stars des Filmgeschäfts zusammengearbeitet hat, verschwindet einfach. Zehn Jahre lang ist sie eine der bestbezahlten Schauspielerinnen aller Zeiten. Sie kann sich ihre Rollen aussuchen, ebenso wie ihre männlichen Partner. Dann hat sie diesen großen Krach mit Intercontinental. Kein Mensch weiß, wieso. Und plötzlich flüchtet sie aus dem Rampenlicht.“ Er schnippte mit den Fingern. „Einfach so. Findest du nicht, dass ihre Fans eine Erklärung verdient haben? Dich interessiert es vielleicht nicht, Quinn, aber uns gewöhnliche Sterbliche dafür umso mehr.“

Quinn biss die Zähne zusammen. Das war ein Punkt für Hector. Eine geheimnisvolle Geschichte wie diese zog immer das Interesse der Zuschauer an. Die neuen Folgen von „Timeslip“ mit jemandem wie Julia Harvey zu beginnen war eine Garantie für hervorragende Einschaltquoten. Gerüchte über ihren Tod waren in den letzten Jahren nie ganz verstummt. Es wäre eine Sensation, das Gegenteil zu beweisen. Und …

„Interessiert?“ Hector spürte, dass Quinns Widerstand nachließ. Sein überlegenes Lächeln trug wenig dazu bei, den Zorn des jüngeren Kollegen zu besänftigen. Aber Quinns Neugier war geweckt. Kannte Hector wirklich ihren derzeitigen Aufenthaltsort? Oder war die Geschichte von Neville Hagers Kontaktversuch nur ein Köder gewesen?

Quinn atmete tief durch. Seit zehn Jahren hatte er die Frau nicht mehr gesehen. Zehn Jahre, in denen sie ihn an der Nase herumgeführt hatte. Warum zögerte er? Er war kein unerfahrener Jüngling mehr, und er war ihr nichts schuldig.

„Nun?“ Hector sah ihn erwartungsvoll an.

Quinn wusste, dass er den Auftrag nicht ablehnen konnte. Schließlich war der Erfolg der neuen Serie auch seine Angelegenheit. „Wo ist sie?“, fragte er vorsichtig.

Hector wandte den Blick nicht ab. „Du machst es also?“

„Habe ich eine Wahl?“

„Jeder ist frei zu wählen, mein Junge.“

Quinn presste die Lippen zusammen. Oh ja, natürlich. Aber nicht, wenn man seinen Job behalten wollte. „Ich tu, was ich kann“, sagte er und strich sich nervös übers Haar. „Aber ich verspreche nichts. Vielleicht weigert sie sich, sich mit mir zu treffen.“

„Das bezweifle ich.“ Hector schmunzelte. „Nach allem, was ich gehört habe, bist du genau ihr Typ, dunkelhaarig, gut aussehend. Jammerschade, dass du noch so klein warst, als sie mit deiner Mutter befreundet war. Du könntest heute wahrscheinlich fantastische Geschichten erzählen.“

Quinn zeigte keine Reaktion, obwohl seine Gedanken rasten. Als Julia damals verschwunden war, hatte sich seine Mutter große Sorgen gemacht und sich mit Selbstvorwürfen gequält. Von der Beziehung ihres Sohnes mit Julia hatte sie keine Ahnung.

Oh, wie er das gehasst hatte! Er hatte genug mit seinen eigenen Gefühlen zu tun. Mit seiner Mutter über Julia zu diskutieren war wirklich das Letzte, was er wollte.

Wenn Lady Marriott nur nicht so ein großer Fan gewesen wäre. Wenn sie ihren Mann nicht überredet hätte, das große Fest zu organisieren, auf dem die beiden Frauen sich kennen gelernt hatten.

Hector erhob sich von seinem Schreibtischstuhl und schlug Quinn aufmunternd auf die Schulter. Unter anderen Umständen hätte sein Enthusiasmus vielleicht ansteckend gewirkt. Jetzt verstärkte er nur Quinns Selbstzweifel.

„Also, wo ist sie?“, fragte Quinn kurz angebunden. Die Reise würde vergeblich sein, da war er sich sicher. Julia Harvey würde sich nie auf Hectors Vorhaben einlassen.

„San Jacinto“, antwortete Hector triumphierend. „Eine kleine Insel in der Nähe der Kaiman-Inseln.“ Er schenkte sich ein Glas Scotch ein und testete das Aroma. „Keine Schande, wenn du noch nie davon gehört hast. Sie scheint in all den Jahren wie eine Einsiedlerin dort gelebt zu haben.“

Zur Mittagszeit saß Quinn in einem Restaurant an der Bar. Vor ihm lag die Mappe mit Informationen über Julia Harvey, die Hector ihm gegeben hatte. Die frühesten Zeitungsberichte stammten noch aus den siebziger Jahren. Damals war sie in einer Produktion der Schauspielschule aufgefallen. „Begnadete Schauspielerin“, „geborene Künstlerin“ waren keine seltenen Formulierungen in den frühen Kritiken.

Mit ihrem wachsenden Erfolg waren die Berichte dann nüchterner geworden. Es erschienen die unvermeidlichen Geschichten über ihr Liebesleben. Gerüchte, sie habe Affären mit allen ihren männlichen Partnern gehabt, machten die Runde. Bösartige Schmierfinken bezichtigten sie sogar des Ehebruchs.

All das hatte die Zuneigung des Kinopublikums nicht beeinträchtigen können – und derjenigen, die glaubten, sie besser zu kennen, ebenso wenig, dachte Quinn bitter und bestellte ein weiteres Bier. Wie auch immer die Wahrheit hinter den Schlagzeilen aussehen mochte, Julia Harvey war stets der unberührbare, makellose Star geblieben.

Es waren Dutzende Bilder in der Mappe. Quinn wollte sie sich eigentlich nicht ansehen, war dann aber doch wieder von Julias Schönheit gebannt. Haar, dessen Farbe irgendwo zwischen Gold und Silber lag, zarte, helle Haut, klare, grüne Augen und volle Lippen – die Natur hatte Julia Harvey großzügig ausgestattet. Warum hatte sie aufgegeben? Was hatte sie veranlasst, ihre Karriere zu beenden? Was auch immer ihr Geheimnis sein mochte, sie hatte es zehn Jahre lang erfolgreich gehütet. Wie konnte Hector annehmen, dass sie es jetzt preisgeben würde?

„Ich hab dich warten lassen. Entschuldige bitte, Schatz.“

Susan Aitken setzte sich auf den Barhocker neben ihm und gab ihm einen zarten Kuss auf die Wange. Draußen lag die Temperatur um den Gefrierpunkt. Froh, wieder im Warmen zu sein, rieb sie sich die Schultern.

„Macht nichts.“ Quinn lächelte ihr zu, was ihm überraschend schwer fiel. Er deutete zum Barkeeper. „Was möchtest du?“

„Oh, das Übliche, denke ich“, antwortete sie. Während er bestellte, schaute sie über seine Schulter. „Was liest du da?“

Quinn unterdrückte den Impuls, die Mappe vor ihr zu verbergen, und schob sie zu ihr hinüber. Dann leerte er sein Glas und bestellte ein weiteres Bier. Er trank mehr als sonst zur Mittagszeit. „Pickard will ein Porträt über sie machen, falls wir sie finden können“, erläuterte er.

Als Susan sich über die Mappe beugte, fiel ihr kastanienbraunes Haar nach vorn. Anders als bei Julia Harvey mit ihrer üppigen Sinnlichkeit lag Susans Reiz in ihrer Zierlichkeit, ihrem schmächtigen Körperbau und den feinen Gesichtszügen. „Kleine Venus“ nannte ihr Vater sie. Damit war sie recht gut beschrieben.

„Julia Harvey“, wunderte sie sich. „Ich dachte, sie wäre tot.“

Quinn zuckte die Schultern. „Viele Leute glauben das.“

Sie sah ihn an. „Aber sie lebt?“

„Anscheinend ja.“ Quinn spürte, wie er ungeduldig wurde. „Nach Hectors Informationen lebt sie auf einer entlegenen Insel in der Karibik. Ich weiß nicht, wie er das herausgefunden hat, und will es auch gar nicht wissen. Ich soll mich mit ihr treffen und sie für eine Zusammenarbeit gewinnen.“

„Du?“, fragte Susan sehr überrascht. „Aber warum? Das gehört nicht zu deinen Aufgaben.“

„Nein“, gab er zu. Er war unsicher, wie viel er ihr verraten sollte. „Aber meine Mutter war ein großer Fan von ihr.“

„Nur deine Mutter?“

„Was willst du …“, begann er, als ihm klar wurde, dass sie einen Scherz gemacht hatte. Erst die Heftigkeit seiner Reaktion rief bei ihr den Anflug wirklicher Besorgnis hervor. „Sie gehört eher zur Generation meiner Mutter als zu meiner“, erklärte er mehr trotzig als überzeugt. „Was du wieder denkst.“

Susan verzieh ihm sofort. „Nun, Männer haben schon Geringere als sie angebetet“, beschwichtigte sie. „Aber welche Bedeutung es haben soll, dass deine Mutter ein Fan war, kann ich trotzdem nicht erkennen.“

„Sie waren … Freundinnen“, gab Quinn widerstrebend zu. „Oder gute Bekannte, wie auch immer. Julia Harvey hat einige Wochenenden auf Courtlands zugebracht.“

„Tatsächlich?“ Susan war ehrlich erstaunt. „Davon hast du mir nie etwas erzählt.“

„Warum hätte ich?“ Schon wieder befand er sich ungewollt in der Defensive. „Es war lange, bevor wir uns kennen lernten. Und seitdem hat niemand mehr etwas von ihr gehört.“

„Deine Mutter auch nicht?“

Während sie an ihrem Wein nippte, sah sie ihn weiter aufmerksam an. Jetzt bereute Quinn, dass er die Mappe mit ins Restaurant genommen hatte. Aber er war einfach zu neugierig gewesen. „Nein“, sagte er, nahm die Mappe und klemmte sie unter den Arm. „So eng waren sie nicht befreundet. Ich glaube, Julia ging nach Hollywood, um einen Film mit Intercontinental zu machen …“

„Die Intercontinental Studios?“, unterbrach ihn Susan.

Er nickte. „Dann gab es Streit, und sie verschwand einfach.“

„Wie aufregend!“ Susan sah ihn mit strahlenden Augen an. „Und … weißt du, was passiert ist?“

„Nein.“ Es gelang Quinn, einigermaßen uninteressiert zu klingen. „Ich glaube, meine Mutter schrieb ihr mehrere Briefe, hat aber nie eine Antwort bekommen. Wir wissen nicht einmal, ob sie die Briefe überhaupt erhalten hat.“

Susan stellte das Glas ab. „Wie geheimnisvoll.“

„Ja, das stimmt“, gab er zu. Dann fragte er, entschlossen, das Thema zu wechseln: „Was möchtest du essen?“

„Ein Sandwich reicht mir.“ Susan hatte sich genug aufgewärmt und zog die Handschuhe aus. „Und wo, sagtest du, lebt sie jetzt?“

„Irgendwo bei den Kaiman-Inseln“, antwortete Quinn ungeduldig. Warum konnten sie das Thema Julia Harvey nicht endlich beenden? „Ich nehme auch ein Sandwich. Was für eins möchtest du? Ei oder Rindfleisch?“

„Rindfleisch, bitte“, sagte sie. Quinn hoffte, dass sie ihm seine Ungeduld nicht übel nahm. Sie hatte sich sonst nie besonders für seine Arbeit interessiert. Im Gegenteil, sie wunderte sich immer wieder, warum er so hart arbeitete, obwohl er es nicht nötig hatte. Susan dagegen suchte das Vergnügen, wann und wo immer sie konnte. Das war der einzige wunde Punkt in ihrer Beziehung.

„So“, sagte er, nachdem er die Bestellung aufgegeben hatte. „Lass uns einen Tisch suchen.“ Er nahm die Mappe und die Gläser. „Da drüben ist einer.“ Sie setzten sich einander gegenüber. „Und was hast du heute Morgen gemacht?“, fragte er und ignorierte ihren beleidigten Gesichtsausdruck. Er konnte es sich eigentlich denken. Wahrscheinlich hatte sie sich nach einem gemütlichen Bummel durch die Kaufhäuser mit einer Freundin zum Kaffeetrinken getroffen.

Susan zuckte die Schultern. „Nichts Besonderes.“

„Shopping?“

„Ich mache auch noch andere Sachen“, gab sie gekränkt zurück.

Quinn musste lächeln. „Natürlich“, erwiderte er sanft. „Ich habe vergessen, heute ist Dienstag. Da gehst du ja immer in den Fitness-Club. Kein Wunder, dass du so rosige Wangen hast.“

„Wenn ich gerötete Wangen habe, dann nur, weil ich sauer bin“, sagte sie knapp. „Ständig beschwerst du dich, dass ich mich nicht für deine Arbeit interessiere. Und jetzt, wo ich mal nachfrage, tust du so, als ginge es um Staatsgeheimnisse.“

„Susi …“

„Wer interessiert sich schon für Julia Harvey?“

„Hector glaubt, alle.“

„Nun, ich jedenfalls nicht.“ Sie rümpfte die Nase. „Für mich ist sie eine alte Filmschauspielerin, weiter nichts.“

„Sie war schon recht einzigartig“, widersprach Quinn.

Susan quittierte seine Worte mit einem giftigen Blick. „So? Ich dachte, du wärst damals zu jung gewesen.“

Er seufzte. „Sei nicht so garstig, Susi. Das steht dir nicht.“

„Nun …“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann nichts Besonderes darin sehen, in Filmen mitzuspielen. Angeblich drehen sie höchstens eine Minute am Stück. Du musst nicht einmal deinen Text auswendig können. Dad sagt, sie werden für nichts weiter als klebrige Marmelade mit so viel Geld bezahlt.“

Er muss es ja wissen, dachte Quinn. Es kam nicht oft vor, dass er mit den Ansichten von Maxwell Aitken, einem der einflussreichsten Geschäftsleute im Land, übereinstimmte. Aitken stand an der Spitze von „Corporate Foods“, einer erfolgreichen Supermarktkette. Wenn sich jemand mit Marmelade auskannte, dann er. Ein Filmexperte war er deswegen noch lange nicht.

Aber Quinn hatte keine Lust, die Diskussion fortzusetzen. „Wirklich?“, fragte er gespielt erstaunt. „Wahrscheinlich hat er Recht. Und es tut mir Leid, wenn ich grob zu dir war.“

Susan war sofort wieder besänftigt. „Nein, du warst nicht grob.“ Sie strich ihm über die Hand. „Du wirkst nur etwas gereizt. Ist es, weil du keine Lust hast, diese Frau zu treffen? Setzt Pickard dich unter Druck, weil er von der Verbindung zwischen ihr und deiner Mutter weiß?“

„So ungefähr“, bestätigte er und lächelte versöhnlich. „Können wir jetzt über etwas anderes reden? Ich habe nur eine halbe Stunde Zeit. Wir nehmen heute den letzten Teil von der Gefängnisdokumentation auf.“

„Ihr dreht im Gefängnis?“, fragte sie und schauderte leicht.

„Nein, im Studio. Patrick George kommt, um mit Vertretern der Organisation zu diskutieren, die sich um die Rechte der Gefangenen kümmert. Es wird bestimmt interessant. Er vertritt ziemlich radikale Positionen, soweit ich weiß.“

Susan sah ihn ungläubig an. „Ich verstehe nicht, wie du bei so etwas mitmachen kannst. Als du letzte Woche das Gefängnis besucht hast, habe ich Angst um dich gehabt. Deine Eltern sähen es bestimmt lieber, wenn du dich mit den Ländereien beschäftigen würdest. Irgendjemand muss sich doch um Courtlands kümmern, wenn dein Vater eines Tages in den Ruhestand geht.“

Quinn lehnte sich zurück. „Ob du’s glaubst oder nicht, aber diese Frage bereitet mir keine schlaflosen Nächte.“ In dem gedämpften Licht wirkten seine Augen eher schwarz als grau, mit einem leicht spöttischen Funkeln darin. „Wenn du die zukünftige Gutsherrin werden möchtest, solltest du dich besser an Matthew halten. Du könntest bitter enttäuscht werden, wenn du glaubst, dass ich mich jemals ändere.“

Sie presste die Lippen zusammen. „Aber du bist der älteste Sohn! Von dir wird es erwartet.“

„Gesegnet sind die, die da sind ohne Erwartungen, denn sie werden nicht enttäuscht werden“, bemerkte er trocken.

Susan seufzte. „Wer hat das gesagt?“

„Ich glaube, ich war das gerade.“

Sie warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. „Du weißt genau, was ich meine.“

„Oh, Pope, glaube ich. Ja, Alexander Pope, 1688 bis 1744. Dichter und Gelehrter.“

Susan schien sich eine bissige Entgegnung zurechtzulegen. In diesem Moment wurden die Sandwiches serviert und verhinderten eine undamenhafte Entgleisung. „Du bist so klug“, sagte sie stattdessen. „Ich verstehe wirklich nicht, was du an einem Wirrkopf wie mir überhaupt findest.“

„Ist das dein Ernst?“ Er warf ihr einen frivolen Blick zu.

Sie biss in ihr Sandwich und kicherte. „Oh, Quinn, hör auf, mich so anzusehen. Du sollst dein Sandwich verspeisen, nicht mich.“

2. KAPITEL

Harold sprang vor Schreck hoch, als Elizabeth plötzlich aufschrie. Wahre Heldinnen tun so etwas nicht, dachte er. Dabei hatte das Auftauchen des Drachen ihn mindestens ebenso überrascht. Jetzt beruhigte er sich allmählich wieder. Der Drache war anscheinend freundlich. Mögen musste er ihn deswegen noch lange nicht. Er war so groß, weiß und voller Schuppen. Aber wie sollte Harold Elizabeth überzeugen, dass sie keine Angst zu haben brauchte, wenn er selbst bis in die Pfoten zitterte? Trotz allem war sie nur ein Mädchen …

So weit also zur weiblichen Emanzipation, dachte Julia, legte die Hände in den Nacken und bog den schmerzenden Rücken. Aber Harold, rechtfertigte sie sich, war schließlich der Held der Geschichte. Die Leser, die sie vor Augen hatte, würden sich an dem bisschen Chauvinismus kaum stören.

Mit dem neuen Buch stieß sie in Neuland vor und war noch nicht sicher, ob sie sich in der richtigen Richtung bewegte. Und seit der mürrische kleine Mann vor ihrer Tür gestanden hatte, konnte sie sich auf gar nichts mehr richtig konzentrieren. Dabei war es auch so schon schwer genug, sich in eine Geschichte mit einem männlichen Helden hineinzudenken.

Immerhin, Jake gefiel sie bisher. Der Gedanke beruhigte Julia und half ihr, die Erinnerung an den mysteriösen Zwischenfall beiseite zu schieben. Wegen Jake probierte sie überhaupt nur etwas Neues. Ihrem Agenten wäre es bestimmt lieber, wenn sie ein Penny-Parrish-Buch nach dem anderen schrieb, bis ihre jugendlichen Leserinnen davon genug hatten. Julia dagegen fand, zwanzig waren mehr als genug, um sich an etwas anderem zu probieren.

Die Hitze trug auch nicht dazu bei, die Arbeit zu erleichtern. Das Thermometer zeigte fast dreißig Grad. Obwohl Julia seit kaum mehr als einer Stunde am Computer saß, klebten die Shorts schon an ihren Beinen.

Sie las die letzten Zeilen noch einmal. Vielleicht hätte sie lieber über einen Feuer speienden Drachen schreiben sollen? Nein, ein Schneedrachen war einfach origineller. Außerdem entwickelte sich Xanadu zu einem ausgesprochen sympathischen Charakter – selbst wenn er Elizabeth zum Schreien brachte. Sie lächelte.

Ein Blick auf die Uhr verriet Julia, dass es schon elf war. Zeit für eine Tasse Kaffee. Sollte Harold ruhig noch eine halbe Stunde über seine nächsten Schritte nachdenken. Altenglische Schäferhunde waren ohnehin nicht für ihre Entschlussfreudigkeit bekannt.