Vier Werte, die Eltern & Jugendliche durch die Pubertät tragen - Jesper Juul - E-Book

Vier Werte, die Eltern & Jugendliche durch die Pubertät tragen E-Book

Jesper Juul

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Beschreibung

Vier Werte sind für den Familientherapeuten und Bestsellerautor Jesper Juul entscheidend für eine gute Entwicklung von Kindern: Gleichwürdigkeit, Integrität, Authentizität und Verantwortung. In seinem neuen GU-Ratgeber Vier Werte, die Eltern und Jugendliche durch die Pubertät tragen zeigt er, dass diese auch entscheidend sind für das Gelingen der spannenden Übergangsphase von der Kindheit ins Erwachsenenalter. Jetzt steht nicht mehr die Erziehung im Vordergrund, sondern eine gute Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Wie dies in der Praxis gelingt, zeigt Jesper Juul anhand realer Familiensituationen mit Jugendlichen von ca. 12-20. Diese werden oft in authentischen, bewegenden Briefen geschildert und von Jesper Juul sehr einfühlsam beantwortet. Er ermutigt Mütter und Väter, die Jahre der Pubertät nicht vornehmlich als Krisenschauplatz zu betrachten, sondern als Chance, ihr Verhältnis zu ihren bald erwachsenen Kindern auf eine lebendige, respektvolle und authentische Basis zu stellen.

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Seitenzahl: 208

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Perfekte Eltern? Die gibt es nicht. Und es muss sie auch nicht geben. So wie die Kinder heranwachsen und sich zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen entwickeln, so wachsen die Eltern mit den Aufgaben und immer neuen Herausforderungen, die in jeder Familie anders sind. Denn in jeder Familie herrscht eine spezielle Dynamik. Und diese macht das Familienleben so spannend – jeden Tag. Denn jeden Tag aufs Neue erleben die Eltern, wie ihre Kinder sich weiterentwickeln, meistens sehr positiv, manchmal auch in eine negative Richtung. Dann sind die Eltern gefragt, rechtzeitig gegenzusteuern, mit Rat zu helfen und den Kindern ein gutes Vorbild zu sein. Dabei entwickeln sich nicht nur die Kinder, auch die Erwachsenen durchlaufen einen Entwicklungsprozess.

Wenn die Eltern oder auch die Jugendlichen selbst jedoch nicht weiterwissen, dann werde ich als Familientherapeut häufig um Rat gefragt. Und ich versuche zu helfen, indem ich Anregungen gebe. Ein Rezept mit Gelinggarantie für eine heile Familie ist dieses Buch dennoch nicht. Vielmehr finden Sie hier eine Auswahl an Briefen, die Eltern und Jugendliche mir geschrieben haben. Sie sind zunächst als Kolumnen in den norwegischen Zeitungen »Aftenposten« und »Dagbladet« erschienen. Und ich habe jeweils eine Antwort formuliert, in der ich auf die persönliche Situation der Betroffenen eingehe. Auch wenn diese nicht unbedingt zu hundert Prozent mit Ihrer Situation übereinstimmen mag, so sind Sie dennoch aufgefordert, Anregungen aufzugreifen und über Wertvorstellungen nachzudenken, die Sie persönlich betreffen.

Oft bekomme ich zu hören, dass die Werte, die von der Elterngeneration vermittelt wurden, sich als wenig konstruktiv erwiesen haben, dass aber die Betroffenen nicht wissen, welche Werte für die heute Heranwachsenden stattdessen Gültigkeit haben sollen. Daher stelle ich Ihnen im Folgenden vier Werte vor, die in meinen Augen für die Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen von besonderer Bedeutung sind. Es sind dies: Gleichwürdigkeit, Integrität, Authentizität und Verantwortung.

Gleichwürdigkeit – ein Beispiel:

Eine Mutter mit ihrer 12-jährigen Tochter schreibt:

»Ich erlebe oft, dass mir meine Tochter gewissermaßen den Spiegel vorhält. Neulich sagte meine Tochter zu mir, ich solle sie nicht ständig belehren, weil sie sich dann so dumm vorkomme. Erst mal war ich geschockt, weil mir klar wurde, dass ich sie tatsächlich oft belehre. Dann fragte ich sie, ob sie mir ein Beispiel nennen könne. Wenn jetzt wieder solch eine Situation eintritt, sagt meine Tochter zu mir: ›Mama, es ist wieder so weit.‹ Wir kommen also voran, obwohl ich nur langsam dazulerne.«

Diese Mutter ist auf gutem Wege, eine gleichwürdige Beziehung zu ihrer Tochter aufzubauen.

Integrität – ein Beispiel:

Ein Vater klopft an die Zimmertür seiner 14-jährigen Tochter. Da sie mit Kopfhörern vor ihrem Laptop sitzt, kann sie ihn nicht hören, bis er hereinkommt und plötzlich neben ihr steht. Sie nimmt ihren Kopfhörer ab und entnimmt dem Gesichtsausdruck ihres Vaters im Bruchteil einer Sekunde, dass sie nun kritisiert, belehrt oder zur Rede gestellt wird, und sie reagiert verärgert. Er ermahnt sie, ruhig und vernünftig zu sein, woraufhin sie entweder ihren Kopfhörer wieder aufsetzt, ihn anschreit, er solle sie in Ruhe lassen, oder mit den Worten »Du hörst mir nie zu!« aus dem Zimmer stürzt.

Die Situation eskaliert zu einem Streit, den niemand gewinnen kann, obwohl die meisten Eltern um die zerstörerische Kraft wissen, die im Schweigen einer 14-Jährigen liegt. Dieses Schweigen ist für sie ebenso vereinsamend und schmerzhaft wie für ihre Eltern. Der Unterschied zwischen ihnen besteht darin, dass die Eltern in der Lage sein sollten, nach der Ursache ihrer Reaktion zu suchen.

Wie hätte sich dieser Vater anders verhalten können? Ehe er an die Tür seiner Tochter klopft, hätte er an seiner eigenen Einstellung arbeiten sollen. Er hätte sich das Bedürfnis seiner Tochter nach Privatheit und Integrität vergegenwärtigen können. Dann hätte er vielleicht gesagt: »Ich möchte mit dir reden. Passt es dir jetzt?« In diesem Fall hätte er in ein entspanntes Gesicht geblickt und eine gesprächsbereite Tochter vorgefunden.

Falls Ihre Familie von Anfang an in der Lage ist, solch eine Atmosphäre zu schaffen, in der jeder sein Bestes tut, die Integrität und Grenzen der anderen zu wahren und Respekt für die eigenen einzufordern, wird es kaum nötig sein, in Bezug auf Schule, Hobbys, Freunde, Sex oder Alkohol strenge Regeln aufzustellen. Falls dies nicht der Fall ist, können Sie sich hinsichtlich der Pubertät Ihrer Kinder auf einige Turbulenzen gefasst machen und sollten sich dringend um einen anderen Ton bemühen.

Authentizität – ein Beispiel:

Um die Liebe und Gemeinschaft zwischen Eltern und Jugendlichen zu erhalten und zu fördern, müssen die Eltern lernen, auf Kontrolle zu verzichten. Dieser Prozess dauert mindestens fünf bis zehn Jahre und kann ohne die Mithilfe und Inspiration der jungen Menschen nicht gelingen. Lädt man sie zu dieser Mithilfe nicht ein, wird man sich damit abfinden müssen, dass es irgendwann zu heftigen und schmerzlichen Konflikten kommt.

Wenn man also seinem 15-jährigen Sohn verbietet, ein Konzert zu besuchen, das 150 Kilometer von zu Hause entfernt stattfindet, und dieser trotzdem hinfährt, ist es an der Zeit, sich ein paar ernsthafte Gedanken zu machen und das Gespräch zu suchen – im Stillen für sich allein, die Eltern untereinander und alle zusammen. Im Stillen, weil es nun dringlich ist, die eigenen Ziele, Wertvorstellungen und Motive zu ergründen: Zu welchem Menschen soll sich mein Sohn entwickeln? In welchen wichtigen Punkten bin ich anderer Ansicht als mein Partner? Bin ich streng, weil ich das Strengsein für nötig halte? Bin ich nachgiebig, weil ich Konflikte scheue? Versuche ich wirklich, das Leben meines Kindes zu verbessern, oder geht es mir vor allem um mein eigenes Bewusstsein und meine Wirkung nach außen? Möchte ich der Ratgeber meines Sohnes sein oder Polizist?

Nachdem Sie sich allein mit diesen wichtigen Fragen beschäftigt haben, ist es an der Zeit, mit Ihrem Partner / Ihrer Partnerin oder einem guten Freund / einer guten Freundin darüber zu reden.

Es ist ein häufiger Irrtum, zu glauben, dass ich Ihnen rate, Ihren Sohn einfach gewähren zu lassen: »Okay, wenn er sich so benimmt, dann können wir das nicht ändern …« Wenn Sie das tun, geben Sie Ihre elterliche Führungsrolle aus der Hand und lassen Ihr Kind über die Art Ihres Miteinanders bestimmen. Wenn Sie dies zulassen, werden Sie alle den Verlust zu tragen haben – den Verlust von Nähe, Vertrauen, Freude und bedeutungsvollem Kontakt. Wenn Sie nicht wissen, was Sie sonst tun sollen, dann setzen Sie sich mit Ihrem Sohn an einen Tisch, begegnen Sie ihm mit der notwendigen Authentizität und lassen Sie ihn Anteil haben an Ihrer Besorgnis und Ihrer Hilflosigkeit und bitten Sie im Interesse der Familie um seine Hilfe. Solange Sie offen und ehrlich sind, wird Ihr Sohn dies nicht als Schwäche betrachten. Er wird froh sein, etwas beitragen zu können.

Verantwortung – ein Beispiel:

Ich erinnere mich an die Mutter eines 13-jährigen Mädchens, die an einem mehrwöchigen Seminar teilnahm. Diese Mutter war anfangs sehr unglücklich darüber, einen schwerwiegenden Konflikt mit ihrer Tochter nicht gelöst zu haben, bevor sie zu dem Seminar aufbrach. Also verbrachte sie die ersten beiden Abende am Telefon, bis ihre Bemühungen schließlich von Erfolg gekrönt waren und der Friede zwischen Mutter und Tochter wiederhergestellt war. Am letzten Abend rief sie ihre Tochter erneut an, um ihr zu sagen, dass sie sie liebe und es kaum erwarten könne, sie wiederzusehen. Daraufhin entgegnete ihre Tochter: »Ach, hab ich dir das gar nicht gesagt? Ich werde dieses Wochenende bei meiner besten Freundin verbringen.«

Die Mutter war überrascht und sagte: »Aber ich dachte, jetzt, wo wir die Probleme gelöst haben …«, worauf ihre Tochter liebevoll erwiderte: »Ja, liebe Mama, genau deshalb! Wir sehen uns am Sonntag.«

Die Mutter war enttäuscht und verwirrt, und es dauerte den halben Vormittag, bis sie begriff, dass sich ihre Tochter, gerade weil die Harmonie zwischen ihnen wiederhergestellt war, frei fühlte, Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen.

Dieses Mädchen hat seine Mutter auf sehr sanfte Weise daran erinnert, dass sie sich in einem Prozess befinden, in dem sie von ihren alten Mutter-Kind-Rollen Abschied nehmen und eine neue Art der Beziehung begründen. Diese Entwicklung, die sich über mehrere Jahre hinweg vollzieht, löst bei vielen Eltern Melancholie oder gar Trauer aus, wohingegen die Teenager eine sprudelnde Freude und Aufregung empfinden. Wenn Eltern aber willens sind, dazuzulernen und sich innerhalb dieses Prozesses zu verändern, dann ist eine neue und bessere Beziehung möglich, wenn auch nicht garantiert.

Beim Gedanken an die Pubertät mögen bei vielen Eltern die Alarmglocken läuten. Aber es besteht kein Grund zur Panik. Denn in dieser besonderen Zeit, die zahlreiche Herausforderungen mit sich bringt und in der die Familienstruktur neu geordnet wird, sind die Eltern nach wie vor gefragt. Zwar nicht mehr in ihrer Rolle als aktive Mitspieler, dafür aber als Sparringspartner, die den Kindern auf dem Weg zum Erwachsenwerden zur Seite stehen, sie anleiten, ohne ihnen starre Grenzen zu setzen. Denn die Jugendlichen wollen in ihrer Individualität wahrgenommen werden, so wie sie sind.

Was sich alle Generationen meiner Erfahrung nach wünschen, ist das warme Gefühl, gebraucht zu werden und für die anderen wertvoll zu sein. Erreicht wird dies am besten in einer Atmosphäre, die von Gleichwürdigkeit, gegenseitigem Respekt und Vertrauen getragen wird.

Ihr Jesper Juul

Gleichwürdigkeit

… oder wie Eltern und Jugendliche aufeinander hören und den Wert des anderen anerkennen

Auf Augenhöhe miteinander sein

Gleichwürdigkeit in Beziehungen bedeutet nach meinem Verständnis, anzuerkennen, dass alle Menschen, egal welchen Alters, von gleicher Würde beziehungsweise von gleichem Wert sind. Folglich hat bereits ein Baby dieselbe Würde wie ein Jugendlicher oder ein Erwachsener. Und auch wenn es in der Zeit der Pubertät zwischen Eltern und heranwachsenden Kindern des Öfteren Differenzen gibt, sollten wir immer bedenken, dass wir die individuellen Eigenschaften, Gedanken und Gefühle unseres Kindes genauso ernst nehmen müssen wie unsere eigenen. Dabei ist Gleichwürdigkeit nicht zu verwechseln mit Gleichheit.

Man könnte sich fragen, ob wir dann überhaupt noch Erziehung brauchen. Was ich mit einem absoluten »Ja!« beantworten will. Denn der Mensch muss eine Art von Erziehung erfahren. Naturkinder, die ohne äußere erzieherische Einflüsse und ohne Druck aufwachsen, sind eine romantische Illusion.

Das Ziel oder das Endergebnis der Erziehung soll die optimale seelische und soziale Gesundheit eines Kindes, Jugendlichen und Erwachsenen sein. Um dieses Ziel zu erreichen oder ihm sich wenigstens anzunähern, sollte Erziehung als Führung verstanden werden. Die Eltern übernehmen die Führungsrolle. Allerdings muss sich diese Führung, entsprechend der Entwicklung des Kindes vom Kleinkind zum Teenager, verändern: Kleine Kinder brauchen Eltern, die als Leuchttürme fungieren. Sie brauchen Eltern, die regelmäßig klare Signale senden. So können sich kleine Kinder orientieren.

Teenager brauchen ihre Eltern als Sparringspartner – die maximalen Widerstand anbieten und dabei minimalen Schaden anrichten. Das bedeutet, dass Eltern ihren Teenagern gegenüber verantwortlich und zuverlässig sein sollten. Sie sollen sich selbst nicht verleugnen, müssen zu ihren Ansichten und Erfahrungen stehen – dabei jedoch nicht ihre Teenager zwingen, wie sie selbst zu sein. Die Erziehung »Wenn du nicht machst, was ich dir sage, dann …« hat weder in der Vergangenheit funktioniert, noch tut sie es heute.

Von Beginn der Pubertät an müssen sich die Jugendlichen selber finden, also ihre eigenen Grenzen, Wertvorstellungen und Potenziale ausloten. Und das dauert eben sieben bis acht Jahre. Und in dieser Zeit brauchen Jugendliche den Widerstand der Eltern. Und diesen (positiven) Widerstand der Eltern müssen die Teenager auszuhalten lernen.

Ein Beispiel: Der 15-jährige Sohn kommt sturzbetrunken nach Hause. Seine Freunde finden, Alkohol macht Spaß. Die Eltern hingegen halten den übermäßigen Alkoholkonsum für gefährlich. In diesem Spannungsfeld muss der Heranwachsende sich und seine Position selber finden.

Manche Eltern meinen, Regeln würden helfen, dabei sind Regeln nur eine sehr primitive Art der Führung. Jede Familie braucht zwar eine Handvoll Regeln, um angenehm zusammenzuleben. Aber Regeln funktionieren nicht als Problemlösung oder Problemvorbeugung. Wir können Verbote aufstellen und gleichzeitig mit Sanktionen drohen. Oder aber wir gehen stattdessen mit dem Jugendlichen in den Dialog. Wir erklären, warum wir dagegen sind. Wir zeigen unsere Ängste auf. Wenn wir nur Regeln aufstellen und uns stur auf diese Regeln berufen, dann erlangen wir nie eine persönliche Art der Autorität. Dann sind die Eltern nichts weiter als Polizisten, die die Einhaltung der Regeln kontrollieren. Aber dann fängt das ganze Theater erst an. Dann werden die Kinder entweder unterwürfig oder brechen die Regeln. Und damit wären wir weit entfernt vom gewünschten Erziehungsstil.

Offene Kommunikation mit pubertierenden Kindern

Wir haben drei Kinder im Alter von drei, acht und zwölf Jahren, das älteste ist ein Junge, die beiden anderen sind Mädchen. Der Junge ist bereits in der Pubertät. Wie können wir eine offene Kommunikation mit unserem Sohn bewahren, ohne uns zu sehr in sein Leben und seine Gefühle einzumischen?

Unser Sohn fragt und denkt schon wie ein Jugendlicher, der allmählich erwachsen wird, und ich habe Angst, er könne seine Offenheit uns gegenüber verlieren. Ebenso fürchte ich, dass er eines Tages womöglich in ein Milieu kommt, in dem zu viel Alkohol getrunken und geraucht wird oder gar Drogen konsumiert werden. Ich möchte nicht, dass er auf die schiefe Bahn gerät.

Es besteht derzeit eigentlich überhaupt kein konkreter Anlass für derlei Sorgen. Doch wie soll ich diese Ängste in den Griff bekommen, damit sie nicht schon jetzt unsere Kommunikation und mein »heiles« Bild von ihm beeinträchtigen?

Die Mädchen sind noch so klein. Sie spielen unbeschwert und stehen dem Leben mit kindlicher Offenheit gegenüber. Bis sie in die Pubertät kommen, wird es noch ein paar Jahre dauern. Wenn Sie einen Artikel schreiben könnten, der die Problematik zu Beginn der Pubertät und die Offenheit zwischen Eltern und Kindern behandelt, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Wir wollen schließlich nur das Beste für unsere Kinder.

Vielen Dank sagt eine besorgte Mutter

Antwort von Jesper Juul:

Lassen Sie mich zunächst etwas über die Einstellung der meisten Eltern zur Pubertät sagen. Es gibt wohl nur wenige Entwicklungsschritte im Leben eines Kindes, die derart mit Mythen und Problematisierungen behaftet sind. Fast scheint es so zu sein, als könnten wir uns in unserem Kulturkreis gar nicht genug Sorgen um diese Periode machen, die in anderen Kulturen als freudiges Ereignis im Leben des Kindes und der Familie gefeiert wird. Es lohnt sich für uns alle, die Sorgen beiseitezulassen und den kommenden Jahren mit folgender Einstellung zu begegnen: Da bin ich aber wirklich gespannt, in welche Richtung sich der Junge oder das Mädchen entwickeln wird!

»Aber es gibt doch so viele Gründe, sich Sorgen zu machen!«, werden viele Menschen jetzt einwenden. Und das stimmt natürlich. Wir befinden uns in einer Welt voller Gefahren, in der viel Schreckliches geschehen kann. Besorgnis hängt jedoch mit Vertrauen zusammen. Haben Sie Vertrauen zu Ihrem Sohn?

Vertrauen ist die beste Medizin gegen Ihre Angst und die beste Unterstützung, die Sie Ihrem Sohn in den nächsten fünf bis sechs Jahren zukommen lassen können.

Zwar kenne ich Ihren Sohn nicht persönlich, doch auf folgende Dinge können Sie sich verlassen, wie alle Eltern von Teenagern, sofern ihre Beziehung zueinander an sich in Ordnung ist:

Alle Eltern können sich darauf verlassen, dass ihre Teenager einigen der Versuchungen erliegen werden, denen sie ausgesetzt sind. Schmerzhafte Erfahrungen werden ihnen also gewiss sein.

Alle Eltern können mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass ihre Teenager ihr Verhältnis zu Alkohol, Drogen, Sex und Pornografie dadurch klären, dass sie diese Dinge ausprobieren.

Alle Eltern können sicher sein, dass ihre Teenager sorgsam sortieren, was sie ihren Eltern erzählen und worüber sie nur mit Gleichaltrigen sprechen.

Alle Eltern können sicher sein, dass ihre Teenager das, was sie in den kommenden Jahren unternehmen, für sich selbst und nicht gegen ihre Eltern tun.

Beim Vertrauen geht es ja gerade nicht darum, dass unsere Kinder all das tun, was wir Eltern für richtig halten, und das unterlassen, was wir falsch finden. Das Vertrauen, das Kinder und Jugendliche unbedingt von ihren Eltern brauchen, ist das Vertrauen darauf, dass sie stets ihr Bestes geben, um der Mensch zu werden, der sie sein wollen. Das Fundament dafür haben sie gemeinsam mit ihren Eltern, im Kindergarten, in der Schule und in ihrem übrigen sozialen Netzwerk geschaffen.

Warum schreibe ich so viel über Besorgnis und Vertrauen? Weil es meine Antwort auf Ihre Frage ist, wie Sie am besten die Offenheit zwischen sich und Ihrem Sohn bewahren können. Im Laufe der letzten 30 Jahre bin ich unzähligen jungen Menschen aus verschiedensten Kulturen begegnet, und eines ändert sich nie: Sie dürsten nach dem Vertrauen ihrer Eltern und hassen deren Besorgnis. Das bedeutet nicht, dass Ihre Besorgnis der Beziehung zu Ihrem Sohn schadet. Es bedeutet nur, dass Sie diese Besorgnis mit anderen Erwachsenen teilen sollten, anstatt sie Ihrem Sohn aufzubürden.

Und Sie können noch etwas anderes Wichtiges tun. Sie können damit beginnen (oder dies fortsetzen), offen über sich selbst und Ihr Leben zu sprechen, wenn Sie mit Ihrem Sohn zusammen sind. Wenn Sie so sind wie die meisten Eltern, dann haben Sie Ihrem Sohn bisher vor allem viele Fragen gestellt: »Wie war’s heute in der Schule?«, »Wie geht’s dir?«, »Was machst du heute?«, »Bist du sicher, dass du gut genug nachgedacht hast?« … Fragen, die zugleich neugierig, interessiert, engagiert, aber auch kontrollierend waren. Von nun an ist es wichtig, dass Sie weniger Fragen stellen und dafür offener sind, was Ihre eigenen Gedanken und Gefühle, kleine und große Erlebnisse, Ihre Meinungen, Einstellungen und Überzeugungen betrifft.

Natürlich meine ich damit nicht, dass Sie sich Ihrem Sohn gegenüber wie eine erwachsene Partnerin in einer Paarbeziehung verhalten sollen, aber doch wie eine gute Freundin. Sie haben Ihr Privatleben, und er baut seines auf – und beide müssen dies respektieren, wenn sich ihre Freundschaft in den nächsten 50 Jahren erhalten und weiterhin positiv entwickeln soll.

Im Laufe der Pubertät gehen im Gehirn eines Kindes so enorme biologische Veränderungen vor sich, dass viele Eltern ihre Kinder nicht wiederzuerkennen glauben. Diese Veränderungen machen es für viele Jugendliche erforderlich, ihre Aufmerksamkeit für lange Zeit nach innen zu richten.

Die Eltern dürfen diese »Unnahbarkeit« nicht persönlich nehmen, denn sie ist weder ein Ausdruck für eine sich verschlechternde Beziehung zwischen Kind und Eltern noch ein Zeichen fehlender Vertrautheit.

Das Frustrierende daran ist ihr nonverbaler Charakter, die Verschlossenheit und abweisende Haltung der Jugendlichen. Aber Gespräche sind schließlich nur eine Möglichkeit der offenen Zuwendung. Allein die Tatsache, dass sich der Jugendliche in der Familie so gibt, wie er ist, zeugt von Offenheit und Vertrauen.

Das Zusammenleben mit pubertierenden Kindern konfrontiert Eltern mit der Tatsache, dass man dem Leben und seinen notwendigen, harten Erfahrungen nicht vorbeugen kann (eine häufige Illusion bei Eltern von Kleinkindern).

Ihr Sohn muss sein eigenes Leben führen, wie es sich nun mal entwickelt, und zugleich wissen, dass seine Eltern für ihn da sind, was auch immer passieren mag.

Kinder brauchen ihre Eltern nicht als Therapeuten oder Sozialarbeiter, sondern als Sparringspartner. Das kann sich für beide Seiten als harte Arbeit erweisen, doch glücklicherweise gibt es immer mehr Jugendliche, die ihr eigenes Leben mit größter Selbstverständlichkeit in die Hand nehmen und ihre Eltern nicht zu persönlichen Feindbildern erklären.

Die beste Gewähr für eine dauerhafte enge Beziehung zu Ihrem Sohn ist Ihr eigener fester Wille, sich gemeinsam mit ihm weiterzuentwickeln. Sie sind nicht mehr für seine Erziehung verantwortlich, doch tragen Sie weiterhin die Hauptverantwortung für Ihre Beziehung zueinander. Viel Vergnügen dabei!

Genießen Sie Ihre Kinder!

Für die etwa 14-jährigen Jugendlichen kommt der Zeitpunkt, an dem sie entweder durch die Konfirmation oder Firmung ihre Taufe bestätigen. Dieses Ereignis markiert zugleich den Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein. In den meisten Familien versammeln sich aus diesem Anlass zahlreiche Freunde und Verwandte, um den jungen Erwachsenen zu feiern. Man isst und trinkt, der Jugendliche bekommt Geschenke, die Eltern halten Reden. Letzteres bedeutet oft, dass entweder die Mutter oder der Vater eine Rede auf ihre Tochter oder ihren Sohn hält und auf die vergangenen 14 Jahre zurückblickt. Mal überwiegen die ernsten, mal die heiteren Töne, heutzutage oft gefolgt von einem Lied oder untermalt mit einer Fotoshow oder auch ein paar Videoclips.

Bei den Feierlichkeiten zur Konfirmation wird so dem Kind quasi sein ganzes bisheriges Leben mit auf den Weg gegeben, was in vieler Hinsicht eine schöne und bedeutungsvolle Tradition ist.

Inzwischen ist es bei manchen Familien auch üblich, dass sich der Konfirmand mit einer eigenen Rede bedankt.

Als ich konfirmiert wurde, waren es in der Regel die Väter, die am Tisch aufstanden und eine Rede hielten, heute sind dies ebenso oft die Mütter oder beide Eltern. Seit vielen Jahren plädiere ich dafür, dass die Eltern zwei verschiedene Reden halten sollten, auf die ich gleich zu sprechen kommen werde. Doch zunächst etwas über die Situation der Familie zu diesem Zeitpunkt.

Das Kind kommt in die Pubertät, ist also dabei, sich eine individuelle Identität zu erwerben, wozu verschiedenste geglückte und missglückte Experimente gehören. Die Eltern sind demzufolge mehr oder minder beunruhigt, wie das Ganze wohl enden wird. Der junge Mensch muss sich mit allen möglichen Dingen, wie etwa Schule, Ausbildung, Freundschaften, Sexualität, Alkohol, Drogen, persönlichem Stil und Religion, auseinandersetzen. Es warten also jede Menge innere und äußere Turbulenzen auf ihn.

Den Eltern bleibt in dieser Zeit nicht viel mehr als die Zuschauerrolle und die Frage an sich selbst, ob sie ihre Elternrolle bisher gut genug ausgefüllt haben: Haben wir alles richtig gemacht? War unser Einsatz ausreichend?

Haben sie ihrem Kind alles Nötige mitgegeben, damit es ein selbstbestimmtes gutes Leben führen kann? Ist es stark genug, um Alkohol und Zigaretten zu meiden? Bringt es genug Verantwortungsgefühl und Selbstdisziplin auf, um in der Schule klarzukommen? Verfügt es über individuelle Stärke und Charakter, um zwischen guten und schlechten Freunden unterscheiden zu können?

Wir reden also von einer Zeit, in der nicht nur die Jugendlichen ihr Interesse nach innen wenden, sondern auch die Eltern – in der neutralsten Bedeutung des Wortes – selbstbezogen werden. Diese Selbstbezogenheit von Eltern und Kindern wirkt auf den anderen oft provozierend, weil sie in wechselseitigen Zuschreibungen und Kategorisierungen zum Ausdruck kommt und auf diese Weise die weiterhin starke Sehnsucht nach der Zusammengehörigkeit und Nähe, die noch vor Kurzem bestanden hat, verbirgt.

Zu meiner Jugendzeit ging es in erster Linie darum, ob der junge Mensch wohlerzogen war und sich ordentlich benehmen konnte. Das betrachtete man damals nahezu als Garantie dafür, dass schon alles gut gehen würde. Aber das war eine Illusion. Heute wissen wir es besser, und obwohl wir immer noch Wert auf eine wohlerzogene Oberfläche legen, sind sich die meisten Eltern darin einig, dass sehr viel mehr nötig ist, um ein sicheres Fundament zu bilden, auf dem das Leben des jungen Menschen ruhen kann. Das Schlüsselwort lautet Selbstgefühl. Es ist der Kitt, der alle anderen Elemente zusammenhält, der Stärke und Flexibilität verleiht. Ein gesundes Selbstgefühl bedeutet, ein nüchternes, differenziertes und bejahendes Bild von sich selbst zu haben.

Warum ist ein gesundes Selbstgefühl so wichtig? Ist es nicht in Wahrheit eine neue Form von Ich-Bezogenheit und Individualismus, die Kinder und Jugendliche glauben lässt, sie könnten auf Gemeinschaft verzichten und folglich auch Empathie und Solidarität ignorieren?

Diese Frage ist legitim, weil ein Teil der Eltern in den letzten 20 Jahren seine Aufgabe missverstanden und Kinder mit einem großen Ego herangezogen hat, das dann entsteht, wenn man Kinder zu oft und unverhältnismäßig lobt, sie stets »in Watte packt« und ihnen durch ständige Serviceleistungen eine »Rundum-sorglos-Betreuung« zukommen lässt.

Ein gesundes Selbstgefühl ist eine existenzielle Qualität, die Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen hilft, persönliche und soziale Krisen und Traumata zu bewältigen.

Es ist diejenige Qualität, die sowohl die intellektuelle Entwicklung eines Kindes und Jugendlichen als auch den Erwerb von sozialer Kompetenz optimal unterstützt.

In den ersten 14 Lebensjahren ihres Kindes können Eltern zu seinem gesunden Selbstgefühl beitragen, indem sie Neugier, Interesse und Engagement zeigen, die individuelle Persönlichkeit ihres Kindes anerkennen und moralische Abwertungen sowie physische und psychische Gewalt verhindern.

Hinzu kommt die allerwichtigste Komponente: dass sich das Kind selbst als wertvoll für das Leben seiner Eltern empfindet.

In diesem Punkt greifen die pädagogischen Vorstellungen in Vergangenheit und Gegenwart oft zu kurz.

Die Tradition, dem Konfirmanden Bilder aus seinem Leben zu zeigen, ist schön und bedeutsam, weil eine solide Verankerung in der Vergangenheit eine gute Voraussetzung für die Zukunft ist. Daher schlage ich vor, dass sich zumindest ein Elternteil in den Wochen vor der Konfirmation mit folgender Frage beschäftigt: Ich habe nun 14 Jahre lang mit meinem Kind zusammengelebt. Inwiefern haben unsere Gemeinschaft und die Persönlichkeit meines Kindes meinem Leben wertvolle Nuancen und Erkenntnisse beschert? Inwiefern hat mein Kind mein Leben bereichert?

In diesem Zusammenhang möchte ich darauf aufmerksam machen, dass Bereicherung, Selbsterkenntnis und persönliche Entwicklung oft das Ergebnis von Krisen und Konflikten sind und nicht von Glück und Harmonie.

Ich habe im Laufe der Zeit an mehreren Konfirmationen teilgenommen, auf denen solche Reden gehalten wurden, was jedes Mal ein sehr rührendes und besonders intensives Erlebnis war. In der Regel wird der Jugendliche, der im Mittelpunkt des Festes steht, von einer tiefen Freude erfüllt, und die Augen der Erwachsenen füllen sich mit Tränen. Letzteres geschieht zum einen aufgrund des schönen Erlebnisses, doch vor allem, weil sie plötzlich die riesige Sehnsucht spüren, die sie in sich tragen. Unsere eigenen Eltern waren ja so sehr mit der Erziehung ihrer Kinder beschäftigt, dass sie kaum einen Gedanken daran verschwendeten, sich von der Existenz ihrer Kinder bereichert zu fühlen.