Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen - Jesper Juul - E-Book
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Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen E-Book

Jesper Juul

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Beschreibung

Auf den Punkt gebracht: Der Kern der Botschaft des Bestsellerautors Jesper Juul Durch zahllose Diskussionen in Medien und Gesellschaft sind viele Eltern verunsichert über den richtigen Weg in der Erziehung. Laute Rufe nach Grenzen und Disziplin als einem Allheilmittel wirken dabei rückwärtsgewandt und wenig hilfreich. Einfühlsam und dicht dran am echten Leben unterstützt Sie in diesem Buch Jesper Juul in Ihrer Suche nach neuen Wegen in der Erziehung. In vier Kapiteln vermittelt er vier Werte, die tragfähige Säulen für eine gute Entwicklung Ihrer Kinder wie Ihrer Familie sind: Gleichwürdigkeit, Integrität, Authentizität und Verantwortung. Für jeden Wert dienen reale Familiensituationen als Beispiel, die oft in bewegenden Briefen seiner Leser geschildert werden. Jesper Juul geht auf jede Situation sehr einfühlsam ein - dies gibt Ihnen Gelegenheit, Ihr eigenes Verhalten und die Werte, die Sie mit Ihren Kindern leben möchten, zu reflektieren. Unterhaltsam, inspirativ und schön gestaltet, bringt dieses Buch den Kern der Botschaft des Bestsellerautors auf den Punkt.

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Seitenzahl: 218

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Vorwort

Auf vielen Gebieten der Erziehung fühlen sich Eltern heute sehr verunsichert. Sie sind engagiert und wollen es richtig und vor allem anders und besser machen als ihre eigenen Eltern, wissen aber oft nicht, wie. Das wird auch in all den Briefen Hilfe und Rat suchender Eltern an mich deutlich, von denen Sie eine Auswahl in diesem Buch finden. Jede Familie für sich ist einzigartig mit ganz eigenen Spielregeln und Gesetzmäßigkeiten. Aus diesem Grund werden Sie in meinen Antworten oder Kolumnen auch kein Rezept fürs große Familienglück finden, nach dem man stur vorgehen könnte. Stattdessen erhalten Sie Anregungen, über Ihre persönlichen Wertvorstellungen nachzudenken. Welche Werte sind es, die aus unseren Kindern eigenständige, kritische Persönlichkeiten werden lassen, die Verantwortung für sich und andere übernehmen können, die ihre Grenzen kennen und die anderer respektieren? Meiner langjährigen Erfahrung als Familientherapeut nach lauten diese Werte Gleichwürdigkeit, Integrität, Authentizität und Verantwortung.

Kinder brauchen Führung, sie sind gleichwürdig, aber nicht gleichberechtigt. Sie brauchen Eltern, die sie in ihrer individuellen Persönlichkeit wahrnehmen. Eltern, die einigermaßen genau wissen, was sie selbst wollen, die keine starren Grenzen setzen, einfach aus Konventionen heraus, sondern persönliche Grenzen, die auch so persönlich wie möglich artikuliert werden. Eltern, die ehrlich dem Kind und sich selbst gegenüber sind und die für das, was sich in der Familie zeigt, die Verantwortung übernehmen.

Das sind hohe Ansprüche, doch keine Sorge: Kinder brauchen zum Glück keine perfekten Eltern, sondern Sparringspartner, die bereit sind, ihre Werte immer wieder zu überprüfen und sich mit ihren Kindern weiterzuentwickeln. Und die ihnen die elementare Botschaft vermitteln: »Du bist in Ordnung, so wie du bist!«

Ihr Jesper Juul

Gleichwürdigkeit

… oder das gelungene Zusammenspiel von Eltern und Kindern auf gleicher Ebene

Mit Kindern auf Augenhöhe sein

Gleichwürdigkeit ist ein Begriff, den ich vor rund 20 Jahren geprägt habe und der mir als der passendste erscheint, um eine der entscheidendsten Qualitäten in zwischenmenschlichen Beziehungen zu beschreiben. Gleichwürdigkeit bedeutet nicht Gleichheit, das auch im rechtlichen Sinne gebraucht wird, und auch nicht Ebenbürtigkeit, das im heutigen Sprachgebrauch »gleich stark« bedeutet.

Gleichwürdigkeit in Beziehungen bedeutet nach meinem Verständnis, anzuerkennen, dass alle Menschen, egal welchen Alters, von gleichem Wert sind, und die persönliche Würde und Integrität des anderen zu respektieren.

Die Bedeutung der Gleichwürdigkeit stützt sich auf zwei Quellen: Die eine ist die klinische Erfahrung aus meiner Arbeit mit gestörten Beziehungen zwischen Eltern und Kindern. Die andere Quelle ist die wissenschaftliche Forschung zur frühen Bindung zwischen Eltern und Säuglingen. Für diese Arbeit stehen bedeutende Namen wie Daniel N. Stern, Peter Fonagy und andere. Eine ihrer Schlussfolgerungen ist, dass die gesündesten Beziehungen sich dann einstellen, wenn die Beziehung eine »Subjekt-Subjekt-Beziehung« und keine »Subjekt-Objekt-Beziehung« ist. Das Kind also wie ein Mensch und nicht wie ein Ding behandelt wird.

Eine gleichwürdige »Subjekt-Subjekt-Beziehung« bedeutet also eine Beziehung, in der die Gedanken, die Reaktionen, die Gefühle, das Selbstbild, die Träume und die innere Wirklichkeit des Kindes genauso ernst genommen werden wie die der Erwachsenen. Die Führungsrolle in der Familie bleibt nach wie vor bei den Eltern, aber wenn sie ihre Kinder als gleichwürdig wahrnehmen, ihre individuellen Eigenschaften respektieren und ihre Wünsche und Bedürfnisse bei ihren Entscheidungen berücksichtigen, wird die Qualität dieser Führung entscheidend verbessert.

Eine solche Einstellung zu verinnerlichen ist nicht leicht, denn viele Eltern wurden in ihrer Erziehung und Ausbildung selbst als Objekt behandelt. Meistens hatten sie es in ihrer Jugend mit Erwachsenen zu tun, die Macht ausübten, anstatt fürsorglich zu sein. Gehorsam, Respekt und die Fähigkeit sich einund unterzuordnen galten als Erziehungsideal – somit ist es wichtig, sich in dieser Zeit des übergangs immer wieder die Fragen zu stellen: »Was sind meine eigenen, ganz persönlichen Werte? Wie bewahre ich meine eigene Integrität, damit ich die meines Kindes wahren kann? Wie gelingt es mir, meine Eigenheiten und Fehler anzunehmen, damit ich mein Kind um seiner selbst willen liebe und nicht, weil es etwas Bestimmtes tut oder sein lässt?« Gleichwürdigkeit ist ein dynamischer Prozess, etwas, um das wir uns jeden Tag aufs Neue bemühen sollten. Es lohnt sich, denn Gleichwürdigkeit ist die Grundlage dafür, dass Beziehungen ein Leben lang von Vertrauen und Liebe geprägt sind.

In den folgenden Briefen und Kolumnen wird deutlich, dass alle Eltern ihren Weg zu einer gleichwürdigen Beziehung noch suchen müssen, da sie wie jeder von uns ihr persönliches Päckchen aus Glaubenssätzen und Verhaltensmustern in die Familie mit einbringen. Die einen halten Konsequenz für die richtige Wahl der Erziehung, wie im Brief der Großmutter deutlich wird, die frustrierte Mutter denkt, ihr Schonprogramm sei das Beste für die Kinder, um nur zwei Beispiele zu nennen. Allen gemeinsam ist, dass die Idee der Gleichwürdigkeit ihre schwierigen Beziehungen in konstruktive wandeln könnte.

Ich habe die positive Erfahrung gemacht, dass der Lernprozess bei den meisten Eltern relativ schnell vorangeht, weil der Erfolg in Form einer guten Beziehung sich fast unmittelbar einstellt.

Das Dilemma einer Großmutter

Nach dem Mittagessen am gestrigen Sonntag braucht meine Familie einen guten Rat von Ihnen. Ich bin Großmutter eines wunderbaren 3-jährigen Jungen, mit dem ich glücklicherweise viel Zeit verbringen darf. Gestern ist er mit seinen Eltern zu Besuch gekommen. Sein Vater, also mein Sohn, wurde von einer »sanften« Mutter und einem etwas strengeren Vater aufgezogen. Wir waren beide nicht besonders konsequent und oft verschiedener Meinung, was die Erziehung unseres Sohnes anging.

Mein Sohn und seine Partnerin hingegen sind beide gleich streng und stützen sich stets in dem, was der andere tut. In alltäglichen Fragen wie dem Essen und den Schlafenszeiten sind sie äußerst konsequent. Obwohl sie sehr jung sind, habe ich sie immer für großartige Eltern gehalten. Doch manchmal gehen sie mir mit ihrer ewigen Konsequenz ein bisschen zu weit, so wie gestern.

Während des Mittagessens wollte mein Enkel den Tisch verlassen, nachdem er mit seiner Portion fertig war. Daraufhin sagten seine Eltern, dass er keinen Nachtisch bekäme, wenn er jetzt aufstünde. Der Junge stand trotzdem auf und erntete noch ein paar Warnungen wie: »Wenn du dich nicht wieder hinsetzt, gibt es keinen Nachtisch!«, die jedoch nichts bewirkten. Als das Dessert auf den Tisch gestellt wurde, kam der Junge wie selbstverständlich an den Tisch zurück und wollte auch eine Portion haben. Aber seine Eltern weigerten sich, ihm etwas zu geben. Ich bekam Mitleid mit ihm, weil er zu weinen begann und ungeheuer traurig war.

Mein Sohn nahm dies zwar zur Kenntnis, meinte aber, der Junge müsse lernen, die Konsequenzen für sein Verhalten zu tragen. Ich entgegnete vorsichtig, dass er vielleicht noch ein wenig zu jung sei, um wirklich zu verstehen, was es mit Konsequenzen auf sich habe, aber die Eltern waren da anderer Meinung.

Mein Enkel hat den ganzen Vorfall dann ziemlich schnell vergessen, und als die kleine Familie später den Heimweg antrat, waren alle glücklich und zufrieden.

Wenn wir bei meinem Sohn zu Besuch sind, mische ich mich nicht ein, doch wenn wir bei uns sind, finde ich, dass die Regeln meines Sohnes nicht zu hundert Prozent gelten müssen. Der Junge wird schon verstehen, dass bei seinen Großeltern nicht alles so genau geregelt ist wie bei ihm zu Hause.

Jetzt weiß ich nicht recht, wie ich mich das nächste Mal verhalten soll. Wenn ich etwas sage, werden die Eltern das vielleicht als ungebetene Einmischung in ihre Erziehung betrachten und in Zukunft nicht mehr so oft zu Besuch kommen. Das wäre jedoch ganz schrecklich für mich, weil ich meinen wunderbaren Enkel so unglaublich lieb habe. Wenn ich mich jedoch nicht einmische, komme ich mir feige vor, weil ich den kleinen Jungen nicht »verteidige«.

Ich sollte hinzufügen, dass er sehr ausgeglichen, sanft und sozial ist, sich ohne zu protestieren ins Bett bringen lässt und keinerlei Schlafprobleme hat. Haben Sie einen Rat für mich?

Es grüßt Sie eine Großmutter, die Glück hatte

Antwort von Jesper Juul:

Das Problem, das Sie in Ihrem Brief beschreiben, ist nicht ungewöhnlich. Ich kann Ihnen natürlich keine Patentlösung anbieten, doch ich kann versuchen, ein paar Prinzipien zu beschreiben, die sich bezahlt machen. Lassen Sie mich mit dem Inhalt des letzten Konflikts beginnen. Die Eltern meinen, Ihr Enkelkind solle lernen, dass persönliche Entscheidungen Konsequenzen haben. Damit unterliegen sie einem gängigen Missverständnis – sie verwechseln Konsequenzen mit Strafe. Wenn man zum Beispiel bei Regen ohne Regenschirm auf die Straße geht, wird man nass. Das ist eine Folge oder Konsequenz. Wenn man sich trotz der Ermahnungen seiner Eltern in den Regen begibt und danach Zimmerarrest bekommt, ist das eine Strafe. Der Unterschied zwischen Strafe und Konsequenz ist ziemlich groß. Mögen die Konsequenzen unseres Verhaltens auch noch so unangenehm sein, so lassen sie uns doch nicht an unserem Wert als Mensch zweifeln. Strafen hingegen schon.

Wenn ein Kind zum Beispiel auf einen Stuhl klettern will, dies nicht schafft, auf den Boden fällt und sich wehtut, ist das eine Konsequenz seines Verhaltens. Dadurch lernt es, dass seine physischen Fähigkeiten begrenzt sind. Die Konsequenz – blaue Flecken oder eine Beule am Kopf – erhöht die Kompetenz des Kindes, indem es zum Beispiel beim nächsten Mal anders an die Sache herangehen wird. Muss sich das Kind jedoch, nachdem es sich wehgetan hat, von seinen Eltern anhören: »Du weißt genau, dass du nicht herumturnen sollst, warum kannst du denn nie hören, wenn man dir etwas sagt!«, dann wird es herabgesetzt und fühlt sich auch noch schuldig. Von Vater oder Mutter ausgeschimpft, belehrt oder kritisiert zu werden ist eine (überflüssige) Strafe, die die kindliche Fähigkeit mindert, aus den eigenen Erfahrungen zu lernen.

Das ist sogar wissenschaftlich belegt, denn die Hirnforschung hat vor wenigen Jahren nachgewiesen, dass negative Lernumstände die Verständnisund Erinnerungsfähigkeit des Gehirns reduzieren.

Die Eltern Ihres Enkelkinds senden extrem unklare Signale an ihren Sohn aus, indem sie es ihm scheinbar ermöglichen, sich gegen den Nachtisch zu entscheiden, obwohl er in Wirklichkeit einfach tun soll, was sie ihm sagen – sonst folgt die Strafe. So bleibt ihm nichts als die Verwirrung darüber, ob er sich tatsächlich entscheiden kann oder ob er nur gehorchen soll.

Hinzu kommt – worin Sie völlig recht haben –, dass er noch zu jung ist, um dieses Erlebnis auf eine Art und Weise zu begreifen und einzuordnen, die seine persönliche und soziale Kompetenz erhöht.

Ihr Unbehagen dieser Situation gegenüber hat also nicht nur sentimentale Ursachen, sondern ist eine natürliche Reaktion auf den unnötigen Kummer, der Ihrem Enkel zugefügt wird.

Ihr Sohn und Ihre Schwiegertochter sind davon überzeugt, dass es wichtig ist, konsequent zu sein. Also: »Wenn Papa Ja sagt, sagt Mama auch Ja«, und beide halten auch eine Stunde oder eine Woche später an diesem Ja fest. Doch ist es wirklich wichtig für Kinder, dass ihre Eltern auf diese Weise einig oder konsequent sind?

Die Antwort lautet Nein. Es ist wichtig, dass Eltern sich ihre Meinung nicht von Kindern, Schwiegermüttern oder Leitartikelschreibern diktieren lassen und willens sind, sich die nötige Zeit für Reflexion und Dialog oder andere Aktivitäten zu nehmen, die Eltern innere Sicherheit geben. Ihre Beschreibung der vielen Qualitäten Ihres Enkels deutet darauf hin, das Ihr Sohn und seine Frau ihrem Kind sehr viel mehr und Besseres anzubieten haben als dieses eingeübte Verhaltensmuster. Also hoffe ich, dass sie selbst eines Tages entdecken werden, was für einen prachtvollen Sohn sie haben.

Ohne etwas über Ihr Verhältnis zu Ihrem Sohn und Ihrer Schwiegertochter zu wissen, glaube ich, dass Sie in dieser Hinsicht auf die Vorzüge Ihres Alters, Ihrer Erfahrung und Flexibilität setzen können. Lehnen Sie sich also in Ruhe zurück und lassen Sie den Dingen ihren Lauf. Solange die Eltern das Kreuz ihrer eigenen Konsequenzgläubigkeit tragen wollen, sollten Sie sich meiner Meinung nach besser nicht einmischen.

Lassen Sie Ihr Enkelkind hingegen so oft wie möglich in den Genuss Ihrer Gelassenheit kommen, wenn die Eltern nicht anwesend sind.

Als Großvater kann ich gut verstehen, dass Sie emotional auf der Seite Ihres Enkels stehen. Da aber von einer Vernachlässigung der Fürsorgepflicht nicht im Entferntesten die Rede sein kann, möchte ich vorschlagen, dass Sie emotional Ihrem Sohn die Stange halten. Denken Sie nur an all die überschäumende Freude und spontanen Liebesbekundungen, die ihm entgehen, weil er so sehr damit beschäftigt ist, den Erzieher zu spielen. Er muss alles, was er wahrnimmt, erst durch seinen aufgesetzten pädagogischen Filter laufen lassen, und auf diese Weise schafft er zwischen sich und seinem Kind eine unnötige Distanz. Das ist traurig für ihn, und vielleicht gelingt es Ihnen ja, ein wenig von diesem Gedankengut in seinen viel beschäftigten Papa-Kopf hineinzuschmuggeln.

Anders ausgedrückt: Die Beziehung zu Ihrem Enkel ist vermutlich weitaus weniger erschütterbar als die Beziehung zu Ihrem eigenen Sohn und seiner Partnerin, und auch auf diese sollten Sie achtgeben. Ihr Enkel ist in keiner Weise in Gefahr, und sollte er Sie eines Tages vorwurfsvoll ansehen und fragen, warum Sie nicht eingegriffen haben, wenn seine Eltern kompromisslos und ungerecht waren, dann können Sie reinen Gewissens antworten:

»Weil mir die Beziehung zu deinem Vater so wichtig war, und weil ich wusste, dass du schon zurechtkommst.«

Eine weitere Frau, die »zu sehr liebt«

Das bin ich: eine Frau, 36, geschieden, Single, drei tolle Kinder im Alter von 10, 8 und 4 Jahren, Lehrerin mit Vollzeitstelle.

Als mein Exmann und ich uns kennenlernten, war er 22 und ich 21 Jahre alt. Wir waren 14 Jahre zusammen.

Unsere Beziehung war fast in all den Jahren von einem mangelnden Respekt mir gegenüber geprägt. In den Zeiten, in denen ich es am meisten gebraucht hätte (während der Schwangerschaften und im Wochenbett), hat er nur wenig Liebe und Fürsorge gezeigt. Entwürdigender war es jedoch, dass die Kinder und ich bei ihm nie die erste Priorität hatten. Wenn ich krank im Bett lag, hatte er keine Lust, mir Medizin aus der Apotheke zu holen. Ganz zu schweigen von seinen geringschätzigen Blicken und seiner Art, mit mir zu reden.

Natürlich hatten wir auch viele schöne Erlebnisse zusammen, doch er dachte stets hauptsächlich an sich und seine Karriere. Er nahm es als Selbstverständlichkeit, dass seine Freunde, Interessen oder Feste jederzeit Vorrang hatten. Ich war ja sowieso zu Hause. Hingegen musste ich mit Engelszungen auf ihn einreden, wenn ich einmal etwas anderes vorhatte. Mein Nein wurde oft nicht gehört oder respektiert.

Er kontrollierte mich und hielt mich »am Boden«, indem er mich zum Beispiel ständig kritisierte. An allem, was ich tat, gab es etwas auszusetzen, an meiner Haushaltsführung, meiner Art, mit dem Geld umzugehen, an den hohen Stromkosten, dem großen Verbrauch von Toilettenpapier, dem Betragen der Kinder und so fort. Nach und nach habe ich alle eigenen Bedürfnisse unterdrückt, um die Kinder zu versorgen und Konflikte mit meinem Ehemann zu vermeiden.

Mein Mann war jahrelang in der freien Wirtschaft tätig, hat sehr viel gearbeitet und dabei viel Geld verdient. Nebenbei hat er auch noch unser Haus renoviert und ausgebaut. Im Nachhinein hat er gesagt, dies sei seine Art gewesen, uns seine Liebe zu zeigen.

Nach außen hin ist er eine finanzstarke, umgängliche, beliebte und allgemein anerkannte Person. Mein Fehler besteht sicherlich darin, dass ich mich all die Jahre unterdrücken ließ, obwohl ich stets versucht habe, meine Meinung zu sagen.

Vor ein paar Jahren kam es so weit, dass ich mich nicht mehr allen Anforderungen gewachsen fühlte, die an mich gestellt wurden, angefangen von den politischen Forderungen an uns Lehrer bis zu den Forderungen meines Mannes bei uns zu Hause. Ich verfiel in tiefe Depression und Angst. Von diesem Moment an wusste ich, dass ich nicht mehr mit meinem Mann zusammenleben konnte, doch hatte ich weder die Energie noch die Stärke, ihn zu verlassen.

Außerdem fühlte ich große Trauer, Verzweiflung und Scham und hatte ein schlechtes Gewissen den Kindern gegenüber, weil es mir nicht gelungen war, ihnen eine behütete Kindheit und ein Familienleben zu geben, wie ich es mit meinen verheirateten Eltern erlebt hatte. Ein ganzes Jahr lang war ich krankgeschrieben.

Vor einem Jahr brachte ich dann endlich die nötige Kraft auf, meinen Mann zu verlassen und in eine eigene Wohnung zu ziehen. Ich tat das nicht, weil ich einen anderen kennengelernt hätte, sondern weil ich einfach nicht mehr daran glauben konnte, dass unsere Beziehung sich jemals verbessert.

Ein Jahr zuvor hatten wir den Rat eines Familientherapeuten eingeholt. Das hatte zwar zu gewissen praktischen Änderungen geführt, was die Aufgabenverteilung zu Hause anging, doch wie sehr kann man sich schon tatsächlich gegenseitig verändern?

Als ich den entscheidenden Schritt machte, nahm mein Mann es sehr schwer und ließ sich krankschreiben. Das ganze letzte Jahr hindurch sind wir weiterhin regelmäßig zum Familientherapeuten gegangen. Jetzt brauche ich Ihren Rat, wie ich ein gutes Verhältnis zu meinen Kindern aufrechterhalten kann.

Mein Exmann hat mich aus unserem Haus herausgekauft und eine neue hübsche Freundin, die er den Kindern frühzeitig vorgestellt hat und die jetzt mit ihm und den Kindern zusammenwohnt. Sie scheint eine nette, kluge und reflektierte Frau zu sein, die ihre Rolle als Bonusmutter auf eine sichere Weise gut ausfüllt. Da sie selbst ein Scheidungskind war, hat sie großes Verständnis für eine Lebenssituation, in der die Kinder zu gleichen Teilen bei ihrer Mutter und bei ihrem Vater leben, wie das bei unseren Kindern der Fall ist. Die Kinder haben sie sehr gern. Sie sehen ja, dass es dem Vater wieder gut geht. Ich habe mehr Schwierigkeiten damit, dass mein Exmann auf einmal den »Superdad« herauskehrt und sich sehr um eine enge und gute Beziehung zu seinen Kindern bemüht.

Nach all den Jahren unserer Ehe ist es ein merkwürdiges Gefühl, beiseitegeschoben zu werden, obwohl es natürlich schön ist, dass er endlich Zeit für seine Kinder hat und ein guter Vater ist. Ein seltsames Gefühl, sie »verloren« zu haben, während er von seinen Kindern vergöttert wird. Die Kinder haben ja nur selten erlebt, dass wir uns lautstark gestritten haben. Sie haben gar nicht verstanden, warum ich ausgezogen bin. Meine Trauer, Tränen und Verzweiflung haben sie nicht mitbekommen, weil ich sie in all den Jahren vor ihnen versteckt habe. Er hingegen hat offen vor den Kindern geweint und ihnen seine Trauer gezeigt, nachdem ich ausgezogen war.

Nach unserer Trennung hat er sich geweigert, den Kindern ein differenziertes Bild unserer Ehe zu vermitteln. Anderen gegenüber gab er zu, dass er mich schlecht behandelt hat und dass er viele seiner Entscheidungen im Nachhinein bereut. Doch zu den Kindern sagt er davon kein Wort. Es scheint ihm sehr recht zu sein, vor ihnen als Opfer unserer Ehe und als ihr Held dazustehen. Ich habe den Kindern meine Sicht unserer Ehe ganz bewusst verschwiegen, um sie zu schützen, doch finde ich es äußerst schwierig, damit zu leben, dass sie weiterhin glauben werden, ich sei die Böse gewesen, die einfach abgehauen ist …

Ich finde, er sollte dieses Bild geraderücken, nicht ich.

Die Kinder und ich hatten bisher ein gutes Verhältnis. Doch ich spüre in letzter Zeit, dass vor allem meine 10-jährige Tochter nicht mehr so viel Vertrauen zu mir hat wie früher und sich nicht mehr mit den vagen Begründungen zufriedengibt, mit denen ich unsere Trennung erkläre. Daher frage ich mich, was man sagen kann und zu welchem Zeitpunkt man sich eventuell zu dem ganzen Vorgang äußern sollte.

Ich glaube nicht daran, dass es richtig ist, allen meine Geschichte zu erzählen, und ich will auch nicht über den Vater der Kinder herziehen, aber ein etwas differenzierteres Bild von dem, was geschehen ist, habe ich doch verdient. Was meinen Sie?

Dazu kommt noch, dass sich mein Exmann nicht an Verabredungen hält, die wir während der Familienberatung getroffen haben. Er behandelt mich so respektlos wie früher, indem er meine Wünsche und Anfragen ignoriert, und das wirkt sich dann auch auf die Kinder aus, wenn sie bei mir sind. Es fehlt beispielsweise immer etwas, wenn er sie zu mir bringt. Wenn ich mich dann nach den fehlenden Kleidungsstücken, Gegenständen, Geburtstagseinladungen etc. erkundigen will, ist er beim Training oder eben nicht erreichbar. Außerdem ändert er in den Ferien Verabredungen, wie es ihm gerade passt.

Darum fällt es mir äußerst schwer, über seinen Mangel an Respekt mir gegenüber einfach hinwegzusehen, zumal den Kindern, wenn sie bei mir sind, immer irgendetwas fehlt. Dass die drei ihn dann ganz automatisch in Schutz nehmen und alles »gar nicht so schlimm« finden, ärgert mich sehr – wobei ich mir Mühe gebe, mir meinen Ärger nicht anmerken zu lassen.

Ich möchte die Gespräche bei der Familienberatung beenden, weil er sich ja doch nicht an unsere Verabredungen hält. Außerdem habe ich es satt, dass er sich dort als Opfer aufführt. Ich habe allerdings Angst, dass er das später gegen mich verwenden wird und behauptet, dass ich nicht »alles für die Kinder tun« würde. Was meinen Sie? Hat es noch Sinn, die Gespräche fortzusetzen? Und muss ich damit leben, dass die Kinder glauben, ich hätte die Familie im Stich gelassen?

Eine sehr frustrierte Mutter

Antwort von Jesper Juul:

Danke für Ihre anschauliche Beschreibung, die ich mir ein wenig zu kürzen erlaubt habe. Wie ich sehe, haben Sie verstanden, dass zwei dazugehören, um die Art der Dynamik zu schaffen, die Ihre Beziehung geprägt hat. Darum werde ich mich in meiner Antwort nicht auf Ihren Exmann beziehen. Er lebt sein eigenes Leben – wie Sie und ich – so gut er kann und entrichtet unterwegs seinen Preis.

Ich möchte mich darauf beschränken, die Gedanken zu kommentieren, die Sie sich über sich selbst und Ihr Verhältnis zu Ihren Kindern machen. Gemeinsam mit Ihrem Exmann haben sie gelernt, sich wie ein Opfer zu benehmen. Sie haben Ihren Kindern über Jahre hinweg vorgelebt, dass es in Ordnung ist, dass man Ihre Grenzen und Bedürfnisse missachtet. Kinder brauchen jedoch Eltern, die ein gutes Rollenmodell abgeben, an dem sie sich orientieren können. Jungen brauchen dazu erfahrungsgemäß besonders ihre Väter und Mädchen ihre Mütter. Ab einem gewissen Alter, in das auch Ihre 10-Jährige passt, versuchen Töchter herauszufinden, ob und inwieweit sie ihren Müttern ähnlich sind. Darum ist Ihre Tochter natürlich auch diejenige, die am kritischsten ist und das wenigste Vertrauen hat. Sie steht zwischen einer Mutter, der es an Selbstrespekt fehlt, und einem Vater mit großem Ego, und verständlicherweise gerät sie in Zweifel, woher sie eigentlich die Stärke und Selbstsicherheit nehmen soll, die sie im Leben dringend nötig haben wird. Es ist also an der Zeit, dass Ihre Tochter ein neues weibliches Rollenmodell bekommt, statt des selbstverleugnenden Wesens, das sie bisher gekannt hat. Sonst laufen Sie Gefahr, dass sie den mangelnden Respekt ihres Vaters Ihnen gegenüber kopiert, schon allein deshalb, weil sie Ihnen auf gar keinen Fall ähnlich werden will.

Eine Ihrer Fehleinschätzungen besteht im übrigen darin, dass Sie sich dazu entschieden haben und offenbar an dieser Entscheidung festhalten, Ihre Kinder vor Ihren Gefühlen und Erlebnissen »schützen« zu wollen. Das ist sicherlich ein typisch mütterlicher Instinkt, der aber für niemand sonderlich konstruktiv ist. Ihre Kinder haben feine Antennen und spüren genau, dass Sie sich über Ihren Exmann ärgern. Doch statt das auszusprechen, sagen Sie etwas Harmloses oder gar nichts. Damit sind Sie nicht authentisch und verwirren besonders Ihre Älteste, die nie genau weiß, woran sie ist. Von sich selbst zu erzählen ist ja etwas anderes, als über den Exmann herzuziehen. Auf diese Art erfahren Ihre Kinder, »wer« Sie sind, und ich kann Ihnen versichern, dass sie sich genau danach sehnen.

Das ist zugleich der Schlüssel für Ihr zukünftiges Verhältnis zueinander.

Dasselbe gilt für Ihre Gespräche bei der Familienberatung. Sagen Sie die Wahrheit über sich selbst, ehe Sie die Gespräche eventuell einstellen. Verabschieden Sie sich von der Strategie, sich selbst treu bleiben zu wollen, und finden Sie sich nicht mit den Manipulationen Ihres Exmanns ab, was den Umgang mir Ihren Kindern angeht. Eine Zeit lang werden Sie sich vielleicht egoistisch vorkommen, doch angesichts Ihrer Geschichte sollten Sie dies als Zeichen betrachten, dass Sie auf dem richtigen Weg sind. Und wenn andere Sie so nennen – durchaus als Kompliment.

Ansonsten empfehle ich Ihnen das Buch Wenn Frauen zu sehr lieben von Robin Norwood (siehe Bücher >). Es hat Tausenden von Frauen dabei geholfen, mehr Selbstrespekt zu entwickeln.

Die Eltern in der Defensive

Vor einiger Zeit saß ich mit einer Journalistin der italienischen Zeitung La Repubblica in einem Restaurant in Mailand. Wir hatten soeben eine Pressekonferenz in der großen, schönen Buchhandlung Feltrinelli hinter uns gebracht, und nun war es an der Zeit, etwas zu essen und ein eingehendes Interview zu den Werten der Familie zu führen.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis eine kleine Familie hereinkam, bestehend aus Mutter, Vater, Großmutter und einem 3-jährigen Jungen, und sich am Nachbartisch niederließ. Im Folgenden entwickelte sich dort ein Drama in mehreren Akten, als hätte ich es in Auftrag gegeben, um die erste Frage der Journalistin zu beantworten. Sie lautete folgendermaßen: »Was ist der häufigste Fehler, den junge Eltern heutzutage in Europa machen?« Eine klassische Journalistenfrage, die natürlich unmöglich zu beantworten ist. Deshalb war mir die Familie am Nebentisch eine große Hilfe.

Das Ganze beginnt damit, dass die Eltern den jungen Mann im chor fragen, wo er sitzen wolle. Er entscheidet sich für den Platz neben seiner Mutter, beginnt aber schon bald in einem disharmonischen Tonfall zu jammern und zu klagen. Der Vater versucht, seinen Sohn mit großen Gebärden und lustigen Grimassen aufzuheitern, und zaubert schließlich ein kleines Päckchen aus seiner Jackentasche hervor. »Na, was ist das wohl?«, fragt er seinen Sohn, der statt zu antworten vom Stuhl hüpft und ihm das Päckchen aus der Hand reißt. Da er Probleme hat, den Gegenstand vom Geschenkpapier zu befreien, werden seine Klagelaute immer schriller. Der Vater bietet seine Hilfe an, wird jedoch abgewiesen, und auf einmal hört sich der Junge so an, als sei er mit etwas Hartem geschlagen worden.

Der Inhalt des Päckchens erweist sich als kleines elektronisches Spiel, das die Eltern in der Hoffnung auf ein ruhiges Mittagessen gekauft haben. Der Vater erklärt seinem Sohn, er müsse zunächst die Batterien einsetzen, damit das Spielzeug funktioniert, aber der Junge will davon nichts wissen, sondern beklagt sich lautstark darüber, dass das Gerät nicht funktioniert. So vergehen die ersten zwanzig Minuten, in denen der Kellner ein ums andere Mal gebeten wird zu warten, weil bisher keiner die Zeit gefunden hat, sich mit der Speisekarte zu beschäftigen. Alle Erwachsenen sehen den Jungen eindringlich an und reden auf ihn ein, um ihn zur Ruhe zu bringen.

Endlich setzt sich der Junge auf den Schoß seines Vaters und will sich das Spiel beibringen lassen, lässt seiner Frustration aber immer wieder freien Lauf. Ehe die Erwachsenen sich entscheiden können, was sie essen wollen, versuchen sie aus dem Jungen herauszubekommen, was er essen möchte – ohne Erfolg. Sie unterbreiten ihm verschiedene Vorschläge, die allesamt abgelehnt werden. Schließlich scheint es der Mutter zu gelingen, ihren Sohn davon zu überzeugen, dass er ein großer Liebhaber von »Gnocchi mit Tomatensauce« ist.