VIKING − Das Gesetz des Danelags - Bjørn Andreas Bull-Hansen - E-Book

VIKING − Das Gesetz des Danelags E-Book

Bjørn Andreas Bull-Hansen

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Beschreibung

Er wird um sein Leben kämpfen müssen. An der Seite seines Sohnes.

Norwegen im Jahre 1007. Verbannt ins Exil auf die abgelegenen Orkney-Inseln wird Torstein Knarresmed von Rachegedanken heimgesucht. Als gejagter Mann und vertriebener Herrscher von Vingulmork weiß er, dass er seine Verbündeten nun sorgfältig auswählen muss. Denn noch immer wütet die Schlacht um Großbritannien, und König Æthelred herrscht über den Thron. Von Torstein wird erwartet, im Namen des dänischen Königs zu kämpfen und die Vorherrschaft über die englischen Gebiete zurückzuerlangen. Doch Krieg fordert seinen Tribut und die Loyalität eines Kriegsherrn gilt nicht immer den Richtigen. Torstein zieht erneut ins Gefecht und trägt diesmal nicht nur die Last seines ganzen Landes auf den Schultern, sondern die Verantwortung für das Leben seines Sohnes zwischen den Fronten …

»Der skandinavische Bestseller VIKING erzählt fesselnd von der nebelverhangenen Welt der Fjorde.« Frankfurter Neue Presse über »Viking«

Episch, atmosphärisch, aufregend – entdecken Sie auch die weiteren Romane der Jomswikinger-Reihe: Band 1: VIKING Band 2: VIKING – Kampf in Vinland Band 3: VIKING – Die Armee der Dänen

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Seitenzahl: 881

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Bjørn Andreas Bull-Hansen ist großer Fan der altnordischen Kultur und beschreibt sich selbst als »Wikingerbarde«. Er ist zudem mehrfacher nationaler Meister im Kraftdreikampf. Mit seinem Blog und seinen Videos rund um die (Über-)Lebenskünste der Wikinger sowie moderne Survival-Themen begeistert er Tausende Fans. Seine Jomswikinger-Romane standen monatelang auf der norwegischen Bestsellerliste und werden auch in Deutschland begeistert gefeiert. ­VIKING – Das Gesetz des Danelags ist der vierte Band der Jomswikinger-Saga.

Begeisterte Pressestimmen zu VIKING:

»Der skandinavische Bestseller VIKING erzählt fesselnd von der nebelverhangenen Welt der Fjorde.«

Frankfurter Neue Presse über Viking

»Ein rasanter Roman voller unvorhersehbarer Wendungen mit detaillierten Beschreibungen einer Zeit, die lange vor unserer zu Ende ging.« Bremervörder Zeitung über Viking

»Ein großartiger Roman! Richtig gut geschrieben, der Autor beherrscht wirklich alle Stillagen. Ein wahrer Pageturner und vor allem eine wahnsinnig tolle Story!«

Dagbladet (N) über Viking

Außerdem von Bjørn Andreas Bull-Hansen lieferbar:

VIKING

VIKING – Kampf in Vinland

VIKING – Die Armee der Dänen

www.penguin-verlag.de

Bjørn Andreas Bull-Hansen

VIKING

Das Gesetz des Danelags

Eine Jomswikinger-Saga

Roman

Aus dem Norwegischen von Justus Carl

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel DANELOVSLAND (The Land of Danelagh) bei Gyldendal Norsk Forlag, Oslo.

This translation has been published with the financial support of NORLA

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © der Originalausgabe by Gyldendal Norsk Forlag AS 2021 (All rights reserved)

Copyright © 2025 der deutschsprachigen Ausgabe by Penguin Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)

Redaktion: Eva Stadler

Covergestaltung: Bürosüd nach einem Entwurf von Henrik Koitzsch und unter Verwendungen von Motiven von Bjørn Andreas Bull-Hansen und Shutterstock

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-32501-5V001

www.penguin-verlag.de

Für P., M., B. und A.

Skalden haben in meiner Halle gestanden, gedichtet und gesungen. Von Kämpfen und Heerzügen, an Worten darüber mangelt es ihnen nicht. Von den Feinden, die ich besiegt und deren Leben ich genommen habe, prahlen sie gerne. Sie werden dir Verse über einen jungen Mann dichten, der als Berserker auf dem Schiffsdeck von Christenmännern gewütet hat, und von zwei Brüdern, die hart und unbeugsam in der Schildburg standen. Von kühnen Söhnen werden sie erzählen.

Und ich werde zuhören. Ich werde hier sitzen, auf meinem Häuptlingsstuhl, und den Worten über die Taten meiner Jugend lauschen. Größtenteils klingen sie für mich wie Worte über einen anderen. Denn viele Winter sind dem Frühling gewichen, seit ich eine Dänen­axt in meinen Händen hielt. Aus mir ist ein alter Mann geworden. Meine Freunde warten in Odins hoher Halle.

Doch die Worte der Skalden sind oft allzu schön. Sie singen, um mir zu schmeicheln. Und sie haben nicht selbst gesehen, was ich gesehen habe. Ihre Verse sind schon so oft erzählt und wiedererzählt worden, dass ich die Geschichte dahinter häufig kaum wiedererkenne.

Also schreibe ich. Womöglich wird meine Sippe es dann besser verstehen, und auch andere Sippen und deren Söhne in Zeiten, die nur der Allvater gesehen hat. Denn bald bin ich der letzte meiner Art, und mein ganzes Leben würde mit der Zeit vergessen werden, wenn ich keine Worte darüber hinterließe, was wir waren und wofür wir kämpften. Alle Länder sind jetzt unter die Herrschaft des weißen Gottes, dieses Hvite-Christ, gefallen. Alle Könige beugen das Knie vor dem Kreuz. Heiden nennen sie mich und die meinen, und sie lachen über meine Sitten. Aber was wissen sie schon? Haben sie Schwerthiebe und Axtschläge gespürt? Bereits bei der Geburt wurden sie in Seidentücher gehüllt, und alles, was sie über die Welt wissen, wurde ihnen von milden Stimmen erzählt, während Leierspiel in der Halle erklang. Selbst Knut vergaß rasch, was er einmal war.

Meine Söhne und die Söhne meiner Verwandten. Für euch schreibe ich diese Worte nieder. Für die Erinnerung an euch schlägt mein Herz noch immer, obwohl es schon vor Langem hätte anhalten sollen. Meine Freunde. Schildmänner und Kampfgenossen. Jomswikinger, meine Brüder. Fegt den Staub von meinem Platz auf der Bank in Walhalla. Schenkt mir von Heidruns Met ein. Bald bin ich bei euch.

1Der Mönch

Ich erinnere mich an den Tag, an dem in Sigurd Lodvesons Haus Welpen geboren wurden. Wir waren zu seiner Opferstätte gezogen, aber als wir von dort he­runterkamen, bat uns Sigurd hinein, um von seinem Julbier zu kosten. Ich war dort mit Ulfar Bonde und Ey­stein. Wir blieben über Nacht beim Insel-Jarl, und am frühen Morgen des nächsten Tages wurden die Welpen geboren. Der alte Ulfar hatte sich ziemlich betrunken, er vertrug das Bier nicht mehr wie früher. An jenem Morgen lag er wie ein Toter neben der Feuerstelle. Aber Ey­stein und ich, wie auch der Insel-Jarl und einige seiner Männer, wachten auf, als die Hündin schrie. Wir hatten den Abend und so gut wie die ganze Nacht getrunken, und vieles, was an jenem Morgen gesagt wurde, geschah im Bierrausch. Ey­stein und ich wankten zur Nische, in der die Hündin sich aus alten Fellen ein Lager bereitet hatte, und so sahen wir beiden Kerle mit einigen Leuten des Insel-Jarls zu, wie die Hündin winselte und jaulte und die Geburt begann.

Nun war es selbstverständlich keine große Sache, dass einer der Hunde des Jarls Junge bekam, aber Sigurd hatte mir den Erstgeborenen versprochen, sofern ich ihn haben wollte. Und ich hatte ihm dafür gedankt. Es waren gute Hunde, die Sigurd sich hielt. Sie konnten einen Hasen in vollem Lauf packen, sie waren kräftig und hatten lange Beine. Für Ravntor wäre ein solcher Welpe sicher ein Trost, dachte ich. Wir sahen den ersten Welpen herauskommen, dann den zweiten und den dritten, und die Hündin kam zur Ruhe, während ihr die drei Jungen an die Zitzen gelegt wurden. Wir setzten uns auf die Langbänke in der Nähe und bekamen wieder Krüge mit Bier gereicht. Bei Sigurd Lodveson waren die Krüge nie leer. Wir tranken aus, und als sie wieder gefüllt wurden, schrie die Hündin erneut, und zwei weitere Welpen kamen auf die Welt, der eine gleich nach dem anderen. Da ging Sigurd zu den Tieren und hob den erstgeborenen Welpen hoch. »Der ist deiner«, sagte er zu mir. »Goldenes Fell wie die Mutter, weiß am Nacken und am Schwanz, und wie es aussieht, an den Beinen auch.« Er drehte das Jungtier auf den Rücken und blickte auf den Bauch des winzigen, winselnden Hundes. »Eine Hündin. Dann kannst du mit ihr züchten, wenn du es wünschst. Gib ihr nun einen Namen, Torstein Häuptling.«

»Ich werde sie Ylir nennen«, sagte ich, denn das hatte ich mir überlegt, während wir dasaßen und tranken.

Der Insel-Jarl nickte und sagte, es sei ein guter Name, schließlich befanden wir uns gerade in Ylirs Mond. Danach legte er den Welpen wieder an die Zitzen der Mutter und nahm auf seinem Jarlssitz Platz, die Hände auf dem Bauch gefaltet und mit einem matten Blick.

Später an jenem Tag ritten wir heimwärts zum Grimshof. Es stürmte, der Wind blies über die Hügel und ließ unsere Mäntel flattern. Ulfar Bonde hatte einen dicken Schädel, und ihm war übel. Auf halber Strecke mussten wir absteigen und warten, während er ins Heidekraut kotzte, was ihn sämtliche Kraft kostete. Er kippte zur Seite und blieb heulend wie ein Kind liegen.

Gern würde ich behaupten, Ey­stein und ich hätten den Jomswikinger wieder in den Sattel gehievt, aber Ulfar Bonde war ein großer Mann, und er ritt ein stattliches Frankenpferd. Immerhin schafften wir es irgendwie, ihn auf den Pferderücken zu legen, und da Bonde nicht in der Lage war, sich dort oben festzuhalten, versuchten wir, ihn mit einem Seil festzuzurren. Doch er glitt seitlich hinab und blieb wie Schlachtvieh unter dem Pferd hängen. Also lösten wir das Seil wieder und legten ihn ins Heidekraut, und Ey­stein ritt davon, um einen Karren zu holen, während ich bei dem Betrunkenen sitzen blieb. Ich ließ Vingur vom Heidekraut fressen, meinen getreuen Vingur, der auf den Weiden von Rossøy wieder zu Kräften gekommen war. Ich legte einige Decken um den alten Bonde und kratzte ihm das Erbrochene mit einem Büschel Heidekraut aus dem Bart. So saß ich dort auf einem kleinen Hügel, während der Wind über die Landschaft ringsum blies. Ich grübelte über das, was Sigrid einige Tage zuvor gesagt hatte. Wir sollten Vingulmørk vergessen und auf Rossøy bleiben. Als ich vom Heerzug zurückgekehrt war, hatte mir der Jarl Land und einen Häuptlingstitel angeboten. Er hatte mir die Hälfte seiner Weiden versprochen, wollte mir Männer schicken, sodass ich mein eigenes Wohnhaus bauen konnte, eine Scheune und Ställe für das Vieh. Wenn ich unter seiner Jarlschaft Häuptling bliebe, wenn ich das Inselreich gegen seine Feinde verteidigte, bekäme ich sowohl Land als auch Zuchttiere und zudem einen Anteil der Steuereinnahmen.

Aber ich konnte Vingulmørk nicht vergessen, das mir in so niederträchtiger Weise geraubt worden war. Und niemals konnte ich meinen Bruder und Freydis vergessen, die ich in Northumbria verloren hatte. Was mich jedoch am meisten quälte, war das Unglück, das Ravntor, meinem ältesten Sohn, widerfahren war.

Es heißt, wer allein auf den Heiden der Orkney-Inseln unterwegs ist, soll besonders in den Tagen um das Julfest vorsichtig sein. Dann erheben sich die Geister unter dem Torfboden, und wenn man sich nicht in Acht nimmt, reißen sie Moos und Heidekraut beiseite und zerren einen in ihre Höhlen hinab. Daher hielt ich den Blick fest auf den armen Bonde gerichtet, denn ich wollte meinen alten Lehrmeister auf keinen Fall an die Unterirdischen verlieren. Wobei ich mir nur schwerlich vorstellen konnte, wie das Geistervolk ihn dort unten festhalten wollte, sobald er wieder erwachte. Ulfar Bonde war wie ich ein Berserker, und wir alle hatten gesehen, welche Verwüstung er hinterließ, wenn er im Kampfrausch war. Doch der Jomswikinger war inzwischen alt, was nach unserer Rückkehr auf die Orkney-Inseln besonders deutlich geworden war. Zuerst glaubte ich, die Niederlage zu Hause nagte an ihm, und vielleicht war das auch so, aber Ulfar Bonde war morgens steif in den Knochen, er vertrug das Bier nicht mehr so wie früher, und immer öfter hörte er nicht, was wir sagten. Ich sprach mit Sigrid darüber, und da strich sie mir über die Wange, und in ihren Augen lag eine wundersame Traurigkeit. »Alle werden alt, Torstein. Dagegen kannst du nichts ausrichten.«

Das Alter kann sich heranschleichen, sodass man es nicht bemerkt, ehe man graubärtig und von der Gicht befallen dasteht. Es kann aber ebenso gut auf einen zugerannt kommen; im Laufe eines Mondes ist man erst noch voller Manneskraft und spürt die Jahre dann plötzlich wie eine schwere Last auf den Schultern.

Als Ey­stein wiederkam, hatte er einen Karren von Roke Tangsanker dabei. Es war ein leichter Pferdekarren mit zwei Rädern. Davor hatte er sein eigenes Pferd gespannt.

Wir hoben Ulfar Bonde auf die Ladefläche, dann trieb Ey­stein das Pferd an, und wir machten uns auf den Heimweg.

Zuerst ritt ich schweigend, und auch Ey­stein sagte nichts, aber das war nichts Ungewöhnliches, wenn wir am Vorabend getrunken hatten und erschöpft waren. Dann räusperte sich Ey­stein und kratzte sich am Hals, und ich begriff, dass er mir etwas sagen wollte. Der Wind blies jetzt noch stärker über die Hügel rund um uns. Das Wollgras bog sich in den Böen, es braute sich etwas zusammen. Ich vermutete, dass er mit mir über das Schiff reden wollte, denn einige Tage zuvor hatte sich Eis in der Hafenbucht gebildet. Durch die Gezeiten riss es wieder auf, und die Schollen waren gegen den Rumpf geprallt, weshalb ich Schäden an den Planken befürchtete.

Aber Ey­stein wollte nicht darüber mit mir reden. Er war ein Jomswikinger wie ich, begleitete mich schon lange und kannte mich besser als die meisten. Er wusste, dass ich es nicht leicht aufnehmen würde, was er mir nun erzählen musste. »Es ist ein Schiff gekommen«, setzte er an. »Aus Kent.«

»Das sind Torkjells Männer, richtig?«

Ey­stein schüttelte den Kopf.

»Wenn es nicht Torkjells Männer sind, sollen sie uns trotzdem berichten, was dort unten vor sich geht. Ich werde sie fragen, ob sie Bjørn gesehen haben.«

Ey­stein war im Begriff, etwas zu erwidern, presste aber die Lippen aufeinander, hob die Zügel und trieb das Pferd weiter an.

Danach redeten wir kaum miteinander. Plötzlich dachte ich an den Welpen, der mir geschenkt worden war, und ob es stimmte, was der Insel-Jarl gesagt hatte: dass die Mutter von einer Rasse war, die es mit einem Pferd in vollem Galopp leicht aufnehmen konnte. Ich fragte mich, ob der Vater von derselben Rasse war. Der Insel-Jarl wusste es nicht. Auf seinem Hof liefen zwei andere Hunde derselben langbeinigen Rasse he­rum, beides waren Rüden, also standen die Chancen gut. Aber dort gab es auch kleinere Hunde, die sich in Hasenbaue gruben und die Tiere aufschreckten, die die langbeinigen Laufhunde dann jagten. Diese Köter hatten einen leicht gekrümmten Rücken, der Körper war recht schmal. Sie hatten kleine Köpfe, geknickte Ohren, die beim Laufen nach hinten gelegt waren, der Schwanz war ziemlich lang und hing tief. Sigurd hatte mit diesen Kötern geprahlt und behauptet, er hätte sie vom Schottenkönig Malcolm selbst erhalten. Daraufhin hatte sich Winabave, der nur selten die Stimme erhob, wenn wir bei Sigurd und seinen Leuten waren, nach dem bevorstehenden Raubzug erkundigt. Nie hatten wir den Insel-Jarl schlecht über den Schottenkönig reden hören, meistens verlor er nur gute Worte über ihn. Außerdem wussten wir mittlerweile, dass Sigurd Lodveson mit einer von Malcolms Töchtern verheiratet war. Warum fand er es also nötig, mit Männern an die schottische Küste zu fahren? Darauf hatte der Insel-Jarl uns keine Antwort gegeben. Er hatte sich an seinem Halsgeschwür gekratzt, den Gürtel unter seinen Wanst geschoben und die Krüge wieder füllen lassen.

Es konnte schwierig sein, sich auf die Pläne mächtiger Männer zu verstehen. Über Sven Gabelbart hatte der alte Halvor gesagt, dass dieser Land begehrte wie andere Männer Frauen, und das galt nicht nur für ihn. Womöglich war auch der Insel-Jarl auf Land aus. Womöglich strebte er danach, Steuern von schottischen Bauern einzutreiben und sich zu bereichern. Der Insel-Jarl war für seine Gier bekannt und deshalb übel gelitten. Doch es hätte mich nicht überrascht, wenn mehr hinter seinem geplanten Heerzug lag als das.

Welpe traf uns auf dem Höhenzug, der Grims Land von dem Gebiet rund um die Hafenbucht trennte. Grims Hof und seine Weiden lagen südlich davon, der Hafen nördlich. Dies hier war Rossøy, die größte der Orkney-Inseln, und hier beim Grimshof war sie beinahe in zwei Hälften geteilt. Im Norden lag die Hafenbucht, im Süden eine Bucht, die bis unterhalb des Grimshofs reichte. Auf dem Höhenzug stand in der Mitte ein altes, aus einem Steinhaufen bestehendes Seezeichen, dort hielt Welpe Ausschau. Als er uns entdeckte, lief er uns entgegen. Welpe war ein starker und mutiger Mann, aber wir hielten ihn vom Insel-Jarl und dessen Leuten fern. Zwar hatte ich Silber für den Mord bezahlt, den er begangen hatte, die Schuld war beglichen, und wenn sich die Sippe des Getöteten nun rächte, wäre das gegen das Gesetz und die Sitten gewesen. Aber sicher waren wir nicht. Weder bei der Sippe des Getöteten noch bei Welpe. Also musste der Jarlssohn auf dem Grimshof und am Hafen bleiben.

Welpe kletterte zu Ulfar Bonde. Der alte Jomswikinger brummte mürrisch und ließ einen Furz fahren. Oft hatte uns das zum Lachen gebracht, aber nicht dieses Mal. Denn jetzt sahen wir das Schiff, das draußen in der Hafenbucht vor Anker lag. Sein Rumpf war breiter als der eines Dänenschiffs, der Mast war niedriger, der Freibord höher. Das Schiff schien über ein Deck zu verfügen, denn die Männer wirkten groß hinter der Reling, und das hätten sie nicht getan, wenn sie direkt auf den Ruderbänken gestanden hätten. »Sachsen«, sagte ich, Ey­stein nickte.

Wir liefen hi­nunter zum Hafenplatz, wo Ey­stein seinen Sohn herbeirief, der bei einigen anderen Jungen stand. Der junge Sigvar zählte erst sieben Jahre, aber er war geschickt mit Tieren und Werkzeug und sowohl liebenswürdig als auch klug, alle sprachen gut über ihn. Weder Sigrid noch meine eigenen Söhne waren zu sehen. Wenn die Jungen nicht bei den anderen am Hafen waren, musste Sigrid es ihnen verboten haben. Wahrscheinlich war sie mit ihnen auf dem Grimshof, und das rief bange Vorahnungen in mir hervor.

»Sie haben ein Boot geschickt«, sagte Ey­stein und deutete mit dem Kinn Richtung Badestube. »Wir haben sie dort hineingesetzt. Wir wollten warten, bis du zurück bist.«

Das leichte Boot lag am Strand. Es war drei Mann lang, schmal und hatte ein niedriges Dollbord, und ich hätte es kaum beachtet, wenn die Sachsen nicht so auffällige Schriftzeichen in den Bug geritzt hätten. Ich ritt hi­nunter und besah mir die Zeichen, und auch wenn ich sie nicht lesen konnte, erkannte ich sie wieder. Es waren Schriftzeichen aus den Südländern, die Schrift der Christenleute.

Nun waren die Sachsen zwar ebenfalls ein Christenvolk, aber mit einer eigenen Sprache und eigenen Schriftzeichen. Wenn sie derartige südländische Zeichen nutzten, wollten sie wohl besonders fromm erscheinen. Jetzt sah ich auch, dass das Schiff dort draußen ähnliche Zeichen auf der obersten Bordplanke hatte, und Wut stieg in mir auf. »Die haben Mönche an Bord, nicht wahr?« Ich schaute zu Ey­stein hinüber, der mich mit seinem Sohn zum Strand begleitet hatte. »Ja … Das haben sie wohl.«

Wenn du die Geschichten über meine Zeit als Häuptling von Vingulmørk gehört hast, weißt du, dass ich dafür bekannt war, Mönche von meinem Hof zu jagen. Wohin sie auch kamen, genossen sie Gastfreundschaft, sie konnten von einem Hof zum nächsten ziehen und sich fett fressen, von Rom bis hinauf nach Viken. Oft brachten sie Neuigkeiten aus dem Süden mit, weshalb Häuptlinge und Herrscher ihnen lauschten und sie gern als Schreiber bei sich behielten. Wir Männer aber wussten, lässt man einen Mönch in der Halle reden, ist es, als würde man eine Schlange in den Hühnerstall stecken. Vielleicht richtet sie nicht sogleich Schaden an. Die Schlange baut sich ein Nest im Heu und frisst nicht mehr, als sie schlucken kann. Ein Ei dann und wann, aber ihr Bauch wird immer größer, sie klappt das Maul immer weiter auf, und bald verschlingt sie eine ganze Kükenbrut. Daher hatten wir Mönche vom Häuptlingshof vertrieben, und von Rossøy würden wir sie genauso fortjagen, wie es auch der Insel-Jarl wünschte. Schließlich war er beinahe ertränkt worden, als Olav Tryggvason auf seiner Fahrt zur norwegischen Küste hier ankam, und das hatte seinen Hass gegen das Christenvolk ordentlich geschürt.

Ich ließ mich aus dem Sattel gleiten. Mein Schwert lag im Wohnhaus auf dem Grimshof, aber ich hatte mein Langsax dabei. Es steckte in einer hübschen Scheide mit silbernen Beschlägen, und in der Regel trug ich es beim Reiten auf dem Rücken. Jetzt nahm ich es ab und hängte es über die Schulter, damit die Sachsen das Langsax sahen. »Bringt sie zu mir«, sagte ich. »Ich will mit ihnen reden.«

Selbstverständlich wollte ich die Mönche unter ihnen am liebsten packen und aufs Meer hinausjagen, aber zuerst musste ich wissen, ob diese Sachsen Neuigkeiten vom Krieg hatten. Ich wollte wissen, woher sie kamen und wohin sie unterwegs waren. Ob sie von einem Jomswikingerheer mit einem Anführer namens Bjørn gehört hatten, der eine Kriegerin mit dem Namen Freydis an seiner Seite hatte. Letzteres wäre so ungewöhnlich, dass man es sich erzählen würde.

Die Badestube war zur Hälfte in einen Wall hineingegraben, der einen Steinwurf östlich der Felsmole lag, wo mein eigenes Langschiff »Naglfar« vertäut war. Wie alle anderen Gebäude am Hafenplatz war auch die Badestube aus Stein und Torf gebaut, mit einem Dach aus alten, geteerten Schiffsplanken. Der Fassbinder, der Gerber, der Schmied und der Bootsbauer hatten ihre Werkstätten hier. Es wurde erzählt, dass auch ich am Hafen von Rossøy Planken fertigte, denn viele kannten mich noch immer als Torstein »Knarresmed«, also Bootsbauer, obwohl es mir nicht gefiel, so genannt zu werden, wie alle wussten, die mich gut kannten. Zwar arbeitete ich mit Holz und Eisen, wenn es nötig war, und wir hatten in Vingulmørk gute Schiffe gebaut, aber ich war Häuptling, und so sollte ich auch genannt werden. Denn ich hatte geschworen, das Land zurückzuholen, das mir Sigurd Syr und die hinterhältigen Grensker geraubt hatten. Torstein Tormodson wollte ich ebenso wenig gerufen werden; ich wollte den Namen nicht tragen, den mein Vater angenommen hatte, um zu verbergen, wer er wirklich war. Darin lag etwas Unehrenhaftes.

Meine Männer hatten vier Sachsen in die Badestube gebracht. Dort hatten sie den Steinofen angefeuert, denn es war kalt an diesem Tag, aber die Fremden hatten weder zu essen noch zu trinken bekommen, und Ey­stein erzählte, dass das Schiff am Vorabend eingetroffen war. Jetzt waren die vier Gäste erschöpft und müde. Ey­stein und Welpe zogen sie auf die Beine und schoben sie aus der Tür; einer von ihnen zog erleichtert sein Glied über die Hose und pisste, kaum dass er draußen war. Welpe verpasste ihm einen Hieb mit seinem Stock, und da rutschte dem Sachsen die Hose bis zu den Knien, woraufhin alle unsere Männer am Hafen in lautes Gelächter ausbrachen.

Nimmt man einem Mann Land und Sippe, dann verliert er auch Mitleid und Gnade. So heißt es, und viel Wahres steckt in diesen Worten. Jetzt bin ich alt und vielleicht weiser, als ich es damals war. Heute erkenne ich, was ich in den Jahren, in denen das Dänenheer wütete, nicht sah. Ich erkenne jetzt, welcher Mann ich damals wurde. Mächtig und gnadenlos stand ich am Strand, während die vier Sachsen wie Vieh über den Hafenplatz getrieben wurden, und vom Gelächter angefeuert hielt sich Welpe mit den Hieben nicht zurück. Die Männer lachten über den Fremden mit der he­runtergerutschten Hose, und einer der Orkney-Bewohner riss ihm das Hemd hoch und versetzte ihm einen saftigen Tritt gegen den nackten Hintern. Und als wäre all das nicht schon übel genug für die Sachsen gewesen, wachte nun auch Ulfar Bonde auf. Wie ein zorniger Bär kam er herbeigewankt, noch immer halb betrunken. Vielleicht hatte er die Christenzeichen auf dem Boot und dem Schiff gesehen, oder er dachte, weil die anderen so mit den Sachsen umsprangen, müsste er das auch tun. Ulfar Bonde war ein großer und furchteinflößender Mann, und die Sachsen heulten vor Schreck, als er auf sie zulief. Sie rannten, so schnell sie konnten, den Strand entlang und drängten sich nur eine Speerlänge vor mir zusammen. Womöglich dachten sie, ich wollte sie um Gnade winseln hören. Die Sachsen auf dem Schiff verfolgten alles genauestens mit. Sie hatten die Riemen ausgelegt, und im Bug standen schon Männer bereit, um den Anker zu lichten. Die vier Männer wollten sie sicher wieder mitnehmen, denn es ziemte sich nicht, Kirchenleute bei Heiden zurückzulassen. Am liebsten hätten sie wohl versucht, die vier zu retten, aber sie wagten es nicht, mit dem Schiff näher an Land zu kommen.

»Sigurd, Sohn von Lodve!«, tönte es jetzt von einem Sachsen, der offenbar glaubte, der Insel-Jarl stünde vor ihnen. »Wir kommen in friedlicher Absicht!«

Ich ließ den Blick über die vier Männer gleiten. Es war schwer zu sagen, ob sie Mönche waren oder nicht. Sie waren gekleidet wie die meisten Sachsen, mit einem hüftlangen Hemd und einer Wollhose, Wadenbändern und durchgelaufenen Lederschuhen. Ihre Finger waren schmutzig und ihr Haar kurz, was mir verriet, dass sie in jedem Fall keine Männer von hohem Rang waren. Ich warf einen weiteren Blick auf das Schiff, und plötzlich kam mir der Gedanke, dass ich es ihnen wegnehmen wollte. Aber das Inselreich befand sich nicht im Krieg, und ich wollte nicht als Räuber bekannt werden. Da erblickte ich Sigrid. Sie stand oben auf der Anhöhe, und augenblicklich schämte ich mich für meinen Umgang mit den Fremden. Sicher hatte ich auch Mönche von unserem Hof zu Hause verjagt, und sie hatte es gesehen, aber dies hier war anders. Leute kamen hierher, um Schutz vor Unwettern zu suchen. Sie kamen, um ihre Wasservorräte aufzufüllen und Handel zu treiben. Hier waren alle Leute willkommen.

»Du«, sagte ich und deutete auf den, der sich an mich gewandt hatte. »Erzähl mir, woher ihr kommt. Und wa­rum du unserer Sprache mächtig bist. Du siehst nicht aus wie ein Däne.«

»Wir sind Abgesandte des Bischofs von Canterbury«, antwortete er, und ein gewisser Trotz legte sich auf sein Gesicht. Er war ein junger Mann, wie ich jetzt erkannte, mit einem breiten, kornblonden Bart und fingerlangem, lockigem Haar. Seine Wangen waren, soweit ich das über dem Bart sehen konnte, gerötet, wie es bei manchen Männern geschah, wenn sie ängstlich oder wütend waren. Wohlgenährt war er auch, sein Bauch wölbte sich stärker als bei anderen jungen Männern. Anders als die seiner Gefährten waren seine Hände sauber und seine Schuhe als einzige neu geflickt.

»Canterbury«, wiederholte ich, denn diesen Ort kannten wir alle. Dänen und Norweger nannten ihn Kirkeborg oder Kirkevoll, er lag nahe der Küste, wo Torkjell der Lange sein Lager hatte. Von dort wollte er am Fluss Themse entlang bis nach Lundenborg ziehen und von dort weiter landeinwärts, um sämtliches fruchtbares Land an sich zu reißen. Das hatte er uns zumindest erzählt.

»Worte habe ich für Euch, Sigurd Lodveson.« Der Mönch faltete die Hände und streckte sie mir entgegen. »Ich habe Runen, in Eurer Muttersprache geschrieben, und es sind gute Runen. Aber Ihr müsst versprechen, uns zu verschonen. Bei Gott müsst Ihr versprechen …«

Ich trat ihm gegen die Hände. Es war kein sonderlich fester Tritt, aber ich wollte keinen Christenmann mit gefalteten Händen vor mir haben. Und schon gar nicht sollte er mich auffordern, irgendetwas vor seinem Gott zu versprechen. Welpe war sofort mit seinem Stock zur Stelle und verpasste ihnen einige harte Hiebe, aber ich bat ihn, aufzuhören. »Sag mir, von wem diese Worte kommen, Mönch. Und nenn mir deinen Namen, denn ich empfange keine Botschaften von jemandem, der sich nicht zu erkennen gibt.«

»Ich heiße Alwin«, sagte der Mönch. »Ich war Schreiber des Bischofs Wulfstan in Jorvik. Deshalb beherrsche ich Eure Sprache.« Danach sagte er etwas auf Sächsisch zu den anderen Mönchen, die uns augenblicklich ihre Namen nannten. Heute kann ich mich nicht mehr an ihre Namen erinnern, geschweige denn daran, was aus ihnen oder den anderen auf dem Sachsenschiff geworden ist. Alwin räusperte sich und berichtete uns, dass man ihn nach Norden geschickt hatte, um die Kunde zu verbreiten, dass Torkjell der Lange sich hatte taufen lassen. Außerdem sei es Torkjells Wille, dass ich eine Kirche auf Rossøy errichten ließ. Das löste abermals Gelächter unter den Männern auf dem Hafenplatz aus, und Ulfar Bonde, der auf dem Häuptlingshof mit Knüppeln auf die Mönche losgegangen war, schob sich jetzt zu den Sachsen durch und zwang den Mönch mit seinem Fuß zu Boden. Dann hob er den Fuß, um Alwin auf den Kopf zu treten, was dessen Schädel unweigerlich zertrümmert hätte, aber wieder hielt ich meine Leute zurück. Als sich Alwin wieder auf die Knie gerappelt und sich den Sand aus dem Gesicht gestrichen hatte, fragte ich ihn, wo Torkjell der Lange sich aufhielt. »Ich werde dir eine Karte vorlegen«, setzte ich hinzu. »Dann kannst du da­rauf zeigen und mir alles sagen, was du weißt. Ich habe selbst vor, gen Süden zu ziehen, deshalb will ich wissen, wo Torkjells Männer stehen, und wo Æthelred und seine Aldermänner ihre Truppen haben.«

»Ich werde tun, was Ihr wünscht«, sagte Alwin. »Ich habe Æthelred keine Gefolgschaft geschworen, und ich trage in meinem Herzen Hass gegen ihn. Aber erlaubt der Mannschaft zuerst, an Land zu gehen, Jarl. Lasst sie ihre Wassertonnen auffüllen.«

»Ich bin nicht der Jarl«, sagte ich.

Der Mönch starrte mich überrascht und dämlich an, dann wandte er sich um und sah Welpe, Ulfar Bonde und die anderen Männer ringsum an. »Wenn Ihr nicht der Insel-Jarl seid …« Alwin strich sich das Haar aus der Stirn und schielte wieder zu mir. »Ein wichtiger Mann seid Ihr allemal. So etwas sehe ich. Ihr müsst zumindest ein Häuptling sein. Kann es sein, dass ich mit Sigurd Bueson spreche? Aber das kann nicht stimmen, denn zuletzt hörte ich, dass er in Mercia mit einem Aldermann namens ­Eadric trank. Seid Ihr ein Mann des Irenkönigs? Habt ihr einen Bund geschlossen? Oder könnte es sein …« Jetzt kam Alwin auf die Beine, blieb aber ein wenig gebückt stehen, als erwarte er jeden Moment einen Stockhieb. »Wir haben erfahren, dass Vingulmørk dem dortigen Herrscher geraubt worden ist. Torkjell der Lange raste vor Zorn, als er davon hörte. Könnte es sein … Seid Ihr Torstein, Häuptling von Vingulmørk?«

In jenen Jahren war ich stolz und ehrgeizig, für Schmeicheleien war ich sehr anfällig. Ich verschränkte die Arme vor der Brust, und alle, die bei mir standen, wussten, dass sich der Mönch mit diesen Worten aus der Patsche geredet hatte, in der er gelandet war. »Ich bin Torstein Häuptling«, sagte ich. »Ich bin Häuptling unter dem Ladejarl Erik Håkonson, Verbündeter von Sven Gabelbart und Anführer der nördlichen Jomswikinger.«

Der Mönch wandte sich um, wechselte einige Worte mit den Sachsen und rief den Leuten auf dem Schiff etwas zu. Ich hörte, dass er meinen Namen nannte. Dass ich so bekannt war, hatte ich nicht gewusst. Aber es hörte sich gut an, als er meinen Namen rief, und es tat gut zu sehen, dass sie dort draußen hinter der Reling zusammenfuhren, als sie ihn hörten.

Dann fragte ich den Mönch, ob er etwas Neues über die Truppenstellungen im Süden wusste und ob er etwas über meinen Bruder gehört hatte oder wenigstens von einer dänischen Truppe im Inland, in der eine großgewachsene und kühne Frau kämpfte. Darauf antwortete er, dass mehrere kleine Truppen im Inland kämpften, jedenfalls den Gerüchten der Reisenden zufolge. Selbst Torkjell der Lange hatte keinen Überblick über das gesamte Heer der Dänen. Aber Alwin konnte berichten, dass ganz Kent erobert war, und niemand durfte es ohne Torkjells Erlaubnis verlassen.

Auf die Frage, wieso Torkjell nicht einfach eines seiner eigenen Schiffe schickte, antwortete Alwin, dass der Aldermann Uhtred schnelle Skeiden an der Ost- und an der Westküste Northumbrias hatte. Ein einzelnes Dänenschiff lief Gefahr, geplündert zu werden, und die Dänen an Bord würden zweifelsohne an der Rah gehängt werden. Eine ganze Flotte konnte Torkjell nicht entbehren, nur um dem Insel-Jarl eine Botschaft zu überbringen. Also hatte er stattdessen Alwin in einem Sachsenschiff losgeschickt, und aus diesem Grund waren auch nur Sachsen an Bord.

Mehr fragte ich ihn nicht dort auf dem Hafenplatz. All das kam mir sonderbar vor, und es fiel mir schwer, seiner Geschichte zu glauben. Das sagte ich Sigrid, als wir nach Hause auf den Grimshof kamen und auf dem Platz standen, wo der Wind ihr langes rotes Haar zerzauste. Sie war eine schöne Frau, meine Sigrid. Wie ich ging auch sie nun auf ihren dreißigsten Winter zu, aber sie hatte noch immer etwas von dem zierlichen, schlanken Mädchen, das sie einst gewesen war. Hier auf dem Grimshof war ich ihr zum ersten Mal begegnet. Damals war ich ein Sklavenbursche auf der Flucht gewesen, hinkend und dürr. Ich hinkte noch immer, aber das meiste an mir hatte sich verändert, seit der alte Grim über den Hof geherrscht hatte. Nun hatte ich das Sagen auf dem Grimshof. Für Sigrids Brüder war das schwer zu verdauen, allerdings waren sie nur ihre Halbbrüder und nicht mit der Mutter Gerd verwandt, weshalb sie nach Süden gezogen waren und sich seitdem nicht mehr hatten blicken lassen. Als Witwe erbte ohnehin Gerd den Hof, er gehörte ihrer Sippe, und Sigrid würde ihn nach ihr erben. Das würde mich, als Sigrids Ehemann, zukünftig zum Besitzer von Grims ganzem Land machen, und da ich nun ein Herrscher war, bestimmte ich größtenteils schon jetzt über den Hof und das Land. Aber nicht über Sigrid. Eher war das Gegenteil der Fall. Sie wollte wissen, was es mit dem Aufruhr am Hafen auf sich hatte und was mit den Sachsen geschehen war, aber ich blickte über ihre Schulter durch die halb offene Tür des Wohnhauses und wollte am liebsten sofort zu meinem Jungen. Bjørnar kam heraus und rannte auf mich zu. Fünf Jahre war er nun alt, kräftig und gesund. Er machte einen Satz wie ein Hund und vertraute da­rauf, dass ich ihn in meinen Armen auffing, wie ich es immer getan hatte. Ich packte ihn mit festem Griff unter den Armen und setzte ihn mir auf die Hüfte, wie Sigrid es getan hatte, als er noch kleiner gewesen war. Aber dort saß er schlecht, ich hatte nicht viel Hüfte, auf der man hätte sitzen können, und er war auch nicht geduldig genug, um bei mir zu bleiben. »Warst du bei deinem Bruder?«, fragte ich. Bjørnar nickte so stark, dass seine rötlichen Locken flogen. Der gute, liebenswürdige Bjørnar. Ich ließ ihn hi­nunter, und er sauste sofort zum Stall, wo Ey­steins Sohn Sigvar auf ihn wartete. Sie durften auf den Heiden he­rumrennen, wo und wie sie wollten. Ich war dagegen, und wenn ich ehrlich bin, hatte ich Angst davor, dass ihn das Geistervolk holte. Aber Sigrid ließ sich nicht umstimmen, ihre Kinder sollten draußen spielen dürfen, wie sie und ihre Schwester es auch getan hatten. Irgendwelche Geister hatte sie nie gesehen. Immerhin hatten wir uns da­rauf geeinigt, dass die Jungen auf dem Hof blieben, sobald die Jultage begannen. Dann kamen allerlei Gespenster und Waldgeister hervor, und der Geist des Vaters würde auf den Hof kommen, um nachzusehen, ob die Gebäude instand gehalten und die Tiere gut versorgt wurden.

Ich ging zum Holzschuppen und legte mir einige Scheite auf den Arm.

»Das ist keine Arbeit für einen Hausherrn«, ermahnte mich Sigrid. »Geh zu ihm.«

Ich murmelte, dass ich nach Bier roch, und womöglich sagte ich noch andere Ausreden daher, aber Sigrid wollte nichts dergleichen hören. »Geh hinein. Er hat auf dich gewartet.«

Ich blieb an der Tür stehen, die Holzscheite auf den Armen, während die Reue wie ein spitzer Speer zustach. Wäre ich nur nicht nach Vingulmørk zurückgekehrt, wäre ich nur nie dort an Land gegangen, um Ros und seine Männer zu töten … Wenn ich nur wenigstens Sigrid und die Jungen beim Insel-Jarl gelassen hätte. Was war es wert, ein mächtiger Mann zu sein, wenn man es nicht einmal schaffte, seinen eigenen Sohn zu beschützen?

Ich trat ein. Winabave saß am Langtisch, aber der Skræling stand auf, als ich hineinkam. »Ich habe die Wunde gesäubert«, sagte er. »Jetzt muss sie trocknen.«

Grims altes Wohnhaus war nicht groß. Er war ein freier Mann mit eigenem Hof und Land, aber nie reich gewesen. Daher war das Haus gerade groß genug, dass fünf Männer Kopf an Fuß an den langen Wänden liegen konnten. Der Boden war mit gewobenen Grasmatten bedeckt, außerdem gab es eine Feuergrube, um die Felle lagen. Hier stand der alte Webstuhl von Sigrids Schwester Astrid, und an den kurzen Wänden hatte ich Bänke aufgestellt, auf denen meine Waffen lagen, daneben Ölkrüge, eine kleine Biertonne, ein Butterfass, ein paar Erzklumpen und einige Sonnensteine sowie zwei zerbrochene Haieier, die die Jungen bei Ebbe gefunden hatten. Ravntor lag in der mittleren Koje gleich gegenüber der Tür. Ich lächelte ihm zu, achtete aber da­rauf, es nicht zu übertreiben. Der Junge war acht Jahre alt und groß für sein Alter. Er setzte sich auf, die verletzte Hand zur Seite gestreckt, denn er wusste, dass sie nichts berühren durfte, solange der Verband ab war. Das Feuer erleuchtete sein Gesicht mit dem faustgroßen Muttermal auf seinem Kinn und dem oberen Teil des Halses. Es glich einem Raben mit ausgebreiteten Flügeln oder, wie manche sagten, Åsa-Thors Hammer. Ich nickte Onejun und Hilda zu, die am Webstuhl saßen und Garn kämmten. Onejun war ein Skræling wie Winabave, mit goldfarbener Haut und rabenschwarzem Haar. Hilda war von meinem eigenen Volk, und sie hatte mehr erlitten als die meisten. Sie betrachtete uns als ihre Retter, auch wenn es viele Jahre gedauert hatte, ehe ich nach Vingulmørk zurückgekommen war und dem Bauern, der ihr die Zunge herausgeschnitten hatte, seine verdiente Strafe hatte zukommen lassen.

»Jetzt habe ich dir etwas Spannendes zu erzählen«, sagte ich und nahm einen der Sonnensteine. Ich hielt ihn vor mein linkes Auge, dann schaute ich ins Feuer. So waren die Striche im Inneren ebenso deutlich zu sehen wie die Linien auf einer Karte. »Der Jarl hat eine Hündin, und …«

»Hat sie Welpen bekommen?« Ravntor kam aus der Koje und stürzte auf mich zu. Ich bückte mich nicht mehr, um ihn in die Arme zu schließen, dafür war er viel zu groß geworden. In der Regel hielt sich der Junge im Zaum, aber sein Bruder und er hatten jetzt lange auf die Welpen gewartet, und jetzt stand er aufgeregt zitternd vor mir. Als ich ihm nicht sofort antwortete, griff er nach meinem Ärmel. Er schien seine Wunde vergessen zu haben, denn er packte mit beiden Händen zu und bereute es sofort. Er schnitt eine Grimasse, schluckte den Schmerz aber he­runter und hielt mich mit der anderen Hand fest. »Bekommen wir einen Welpen? Du hast es gesagt, Vater. Du hast es versprochen!«

Ich brachte meinen Sohn wieder zur Koje und hob ihn hinein. Dann setzte ich mich auf die Kante. »Der Jarl hat mir den Erstgeborenen versprochen. Den bekommen Bjørnar und du. Aber wir müssen warten. Die Welpen müssen jetzt noch bei ihrer Mutter bleiben. Wenn wir ihn zu früh von ihr wegnehmen, wird er unsicher und beißt Leute.«

Ravntor nickte. Ich starrte in die Flammen und grübelte über die Worte nach, die ich gerade gesagt hatte. Mir kam der Gedanke, dass ich selbst ein Hundewelpe war, der zu früh weggegeben wurde. Ich war erst zwölf Winter alt gewesen, als mein Vater ermordet und mir der Sklavenring um den Hals gelegt wurde.

Eine Weile lang saßen Ravntor und ich schweigend da. Sigrid kam herein und fischte Leinenkleider aus einem Topf, die sie zum Trocknen über die Dachbalken hängte. Winabave hatte saubere Stoffstreifen bereitgelegt und sagte, es sei Zeit, die Wunde neu zu verbinden. Er setzte sich zu uns und krempelte die Ärmel hoch. Seine Arme waren mit dünnen Linien und Kreisen bedeckt. Sein ganzer Körper war mit solchen Zeichnungen verziert, außerdem gab es Runen und Geistwesen, die er sich in die Haut gezeichnet hatte, nachdem er mit uns über das Meer gekommen war. Sein bartloses Gesicht war mit Narben von Erfrierungen übersät, und die Kälte hatte auch die meisten seiner Zehen gefordert, weshalb er einen leicht stapfenden Gang hatte. Winabave bat Ravntor, den Arm ins Licht zu halten. Die Wunde nahm jetzt die halbe Handfläche ein und hatte einige Fingerbreit lang eine Art Riss auf seinem Unterarm gebildet. Beinahe hätte das Wundfieber ihn uns genommen, aber wir hatten geopfert und die Asinnen um Hilfe gebeten. Sigrid meinte, wir hätten es ihnen zu verdanken, dass Ravntor noch am Leben war.

Nachdem der Skræling den Verband angelegt hatte, unterhielt ich mich mit meinem Sohn. Wir redeten über den Hundewelpen, und Ravntor freute sich da­rauf, das weiche Fell zu spüren und mit dem Tier zu spielen. Er wollte ihm beibringen, Möweneier aufzuspüren. Der Sohn des Fassbinders hatte einen Hund, der das konnte. Ravntor wollte den Welpen nach meinem Hund benennen, dem alten, dreibeinigen Fenris, doch ich meinte dazu, dass mein Hund auf andere Weise in Erinnerung bleiben sollte. Wahrscheinlich dachte ich, dass kein anderer Hund jemals so sein würde wie mein alter Fenris, und der Gedanke an ihn versetzte mir einen Stich ins Herz, weil ich Vingulmørk und den Häuptlingshof verloren hatte. Dort lag der alte Fenris begraben, gleich neben dem Acker.

Wir sprachen über das Julfest, das bald bevorstand. Der Junge wollte von den Geistern hören, und stimmte es wirklich, dass Großvater Grim auf den Hof kommen würde? Hatte Ulfar Bonde recht, und es kamen Nivlheimer über den Himmel geritten, die mordeten und plünderten? Ich antwortete, dass wir nichts zu befürchten hatten, weder von Geistern noch von irgendwelchen Wesen. Und sollte tatsächlich ein Heer ankommen, ob nun mit Schiffen oder über den Himmelsbogen, würden meine Männer und ich bereit sein, sie zu empfangen.

Wenig später bekamen wir Mehlsuppe mit Trockenfisch und Gerste zu essen, Ravntor sogar mit einer Flocke Butter. Dann schickte Sigrid mich fort, denn sie fand, der Junge müsste sich ausruhen. Ich ging auf den Hofplatz und stand eine Weile dort im Nieselregen, als Bjørnar zu mir kam. Es ist nicht wahr, wie manche behauptet haben, dass ich meinen zweiten Sohn in jenen Jahren vernachlässigt hätte. Ich liebte ihn ebenso sehr wie Ravntor. Wir saßen lange auf der Bank unter dem Dachvorsprung, und Bjørnar redete von dem Welpen, denn er hatte sich ebenfalls überlegt, wie er ihn nennen und was er ihm beibringen wollte. Bjørnar war ein nachdenklicher Junge, und er machte sich viele Sorgen um seinen Bruder. Als wir dort saßen, fragte er mich, ob wir Ravntors Hand abhacken mussten. Das verärgerte mich, und ich entgegnete, dass er so etwas nie wieder sagen sollte. Danach ging der Junge ins Haus, und ich blieb im Regen. Eine Weile lang spürte ich die Last meiner Sorgen auf den Schultern, ehe ich ebenfalls hineinging und meine Werkzeuge holte. Sigrid murmelte ich zu, ich hätte Arbeit zu erledigen. Doch sie antwortete nicht, sie saß bei Ravntor und nahm mich gar nicht wahr.

Es ist wahr, dass ich damals zu viel trank. Bier ist gesund für Männer, heißt es oft. Aber wenn du ein Mann bist, der seine Fässchen versteckt und am liebsten in Einsamkeit trinkt, solltest du das Bier augenblicklich aus dem Krug kippen. Vom Insel-Jarl hatte ich Starkbier bekommen, das ich auf dem Deck meines Schiffs versteckte. Wir hatten ein Plane über den mittleren Baum des Schiffs gehängt, und in diesem Zelt hatte ich meine Ruhe.

Die gefährlichsten Geister sind jene, die sich in den Gedanken eines Mannes einnisten. Dies wurde mir einige Jahre später gesagt, und seitdem bin ich sicher, dass mich damals solche Geister in ihren Fängen hatten. Ich trank erst einige große Schlucke direkt aus dem Fass, ehe ich das Horn füllte, das im Schiffszelt lag. Es hatte keine Füße, und die brauchte es auch nicht. Ich wollte es gar nicht abstellen. Rasch trank ich das halbe Horn leer und wartete da­rauf, dass mich die Benommenheit überkam. Sie musste schnell kommen, denn die Geister ließen nicht von mir ab, und nun, da ich allein war, füllten sie sogleich meinen Kopf mit ihrem düsteren Zauber. Wobei es eigentlich kein Zauber war. Ich wünschte, ich hätte es Zauber nennen können, oder Träume. Selbst Vorzeichen hätte ich besser verkraftet, denn der Allvater sagt, dass jemandes Schicksal nie feststeht, jedenfalls nicht, bevor man am Ende seines Lebensfadens angelangt ist. Man kann sein Schicksal hämmern und formen wie der Schmied ein Stück Eisen.

Doch alles, was geschehen, was gewesen ist … Daran lässt sich nichts ändern.

Ich trank das Bier aus und schenkte mir nach. Der Insel-Jarl würde mir mehr schicken, wenn ich es brauchte. Er wusste, dass ich trank, und er verstand, weshalb. Ich hatte versagt. Meine Hand hätte den Pfeil abfangen sollen, nicht Ravntors.

An diesem Abend kam Wind auf. Ich erinnere mich, dass er drehte und dass die »Naglfar« an den Tauen zerrte, mit denen sie festgemacht war. Das Schiff hatte einen leichten Rumpf, sie war langgestreckt und weder zu tief noch sonderlich breit. Ihr Mast lag jetzt auf drei Stützen; darüber konnte man das Segel breiten und darunter Schutz suchen. Vierzig Mann, wenn nötig sogar mehr, fanden auf ihr Platz. Die Kerben für die Ruderriemen hatte ich so angebracht, dass eine gut geübte Mannschaft von zweiunddreißig Ruderern Platz hatte. Ein schnelleres Schiff, ob unter Segeln oder mit Rudern, gab es nicht. Meine »Naglfar« hatte starke Steven und schmale Schiffsplanken, wie man sie oft auf isländischen Schiffen sah. Jetzt schien sie sich losreißen zu wollen, um mit mir allein an Bord aufs Meer hinauszufahren. Auf die offene See, vielleicht gen Westen. Hinüber nach Grönland, Markland, Vinland. Und wie sehr drängte es mich danach, von allem hier zu fliehen. Aber Ravntor hielt mich zurück. Es gab keine Freiheit, solange er nicht genesen war.

In einem Buch, das ich aus der Jomsburg mitgenommen hatte, hatte ich bereits Worte über den Verrat in Vingulmørk festgehalten, und über die Grensker, Sigurd Syr und Svein Håkonson. Noch wusste ich nicht genau, wie es vonstattengegangen war, aber die Verräter hatten sich zusammengetan, um mir Vingulmørk zu rauben, während ich in England gekämpft hatte. Ich hegte den Verdacht, dass Svein ein Abkommen mit Olof Schatzkönig geschlossen hatte, dem nach der Schlacht bei Svold sowohl Ranrike als auch Vingulmørk versprochen worden waren. Vielleicht hatte Svein ihm einen Teil der Steuereinnahmen versprochen. Doch dass Svein, Erik Jarls eigener Bruder, ein Bündnis mit solchen Männern eingegangen war, erschien mir undenkbar. Erik selbst hatte mir doch den Häuptlingstitel gegeben, im Gegenzug für die Hälfte aller Steuern, die ich eintrieb.

Aber vielleicht sollten Männer wie ich nicht versuchen zu verstehen, was in den Köpfen von Jarlen und Königen vor sich ging. Vermutlich hätte ich mich damit abfinden sollen, dass Vingulmørk noch lange Zeit das Häuptlingsgebiet eines anderen sein würde. Und auch wenn es mich schmerzte, dass der Mörder meines Vaters nun als Herrscher in meiner Halle saß und über mein Land bestimmte, quälte mich Ravntors Wunde mehr. Obwohl allein der Gedanke daran, dass Ros noch lebte, mir körperliche Pein bereitete, wusste ich, dass ich das ertragen musste. Ich fragte mich, wie er überleben konnte, nachdem ich sein Bein mit der Axt getroffen hatte. Wie Olav trug er eine Ringbrünne, meinte ich mich zu erinnern. Es hieß, ein Mann konnte sie abstreifen, ehe er ertrank, wenn er schnell war und den Atem anhalten konnte und es vertrug, tief zu sinken. Aber vielleicht war meine Erinnerung falsch? Hatte er stattdessen eine Lederbrünne getragen? Bei einer solchen konnte man die seitlichen Riemen lösen und sich schnell von ihr befreien. Oder hatte er vielleicht ein Ruder oder ein Wrackteil im Wasser zu fassen bekommen?

Wieder leerte ich das Horn. Bier lässt die Gedanken eines Mannes stehen bleiben, und jetzt fragte ich mich, wie Ros dem Tod im Wasser entronnen und an Land gelangt war. Er musste noch am gleichen Tag Hilfe bekommen haben, denn mein Axthieb hatte sein Bein gebrochen und aufgeschlitzt. Ich sah ihn vor mir, wie er irgendwo in einem Langhaus lag, wo er mit heißem Wasser gewaschen wurde. Jemand schiente sein Bein und band saubere Stoffstreifen um die Wunde. Diese Vorstellung erweckte einen fürchterlichen Zorn in mir. Warum überlebte der Mörder meines Vaters einen so heftigen Hieb? Warum entzündete sich seine Wunde nicht, wenn das doch bei Ravntor geschehen war? Warum hatte er sein Bein nicht verloren, während mein Sohn wahrscheinlich seine Hand verlieren würde?

Meine Söhne … Wie gut, dass ihr nicht saht, wie ich dort auf meinem Schiff saß. Ich war ein gebrochener Mann. Jeden Tag drückten die Sorgen auf meine Schultern, und jede Nacht flogen die Pfeile wieder in meinen Träumen. Nachdem man unseren Angriff zurückgeschlagen hatte, waren wir über den Fjord geflohen. Aber Ros und seine Männer hatten uns mit ihren Schiffen verfolgt. Einer ihrer Brandpfeile traf Ravntor am Handgelenk. Die großen Adern wurden nicht verletzt, und lange glaubten wir, wir hätten Glück gehabt. Aber die Wunde wollte sich nicht schließen. Und nun hatte sie sich entzündet, immer mehr Haut und Fleisch fielen dem Wundbrand zum Opfer.

Es gibt kein größeres Unglück als jenes, das deine Kinder trifft. Mit Freuden hätte ich meine Hand im Tausch gegen die meines Sohnes gegeben. Wenn nötig, hätte ich sie sogar mit meiner eigenen Axt abgeschlagen. Aber wir Menschen dürfen solche Entscheidungen nicht fällen. Wir müssen ertragen, was das Schicksal uns hinwirft. Die Christen haben behauptet, wir Nordmänner trügen keine solchen Gefühle in uns. Wir Nordmänner seien, zusammen mit den Finnen im Norden, die heidnischsten aller Völker, wir seien nicht viel mehr als Tiere. Wir hätten viel zu kleine Herzen, sagen die Mönche im Süden. Darin gäbe es keinen Platz für Liebe, außer derjenigen zu Gold und Silber. Aber das ist eine Lüge, wie so vieles, was die Christen über uns verbreiten.

Darüber sann ich weiter nach, und je länger ich dort saß, desto wütender wurde ich. Die Wellen ließen das Schiff schaukeln, und der Wind heulte um die Steven. Das Bier hatte mich betäubt, Arme und Beine waren schwer. Dennoch schaffte ich es aus dem Zelt. Ich stapfte eine Weile umher, bis ich hinter dem Steuerruder stehen blieb. Ich blickte auf die Langschiffe des Jarls und die Byrdinge der Fischer, dann zum Sachsenschiff hinüber. Dort standen Männer dicht zusammengedrängt um eine Feuerschale, sie schienen sehr zu frieren. Ob der Mönch bei ihnen war, erkannte ich nicht. Ich reckte ihnen die Faust entgegen und rief, sie sollten verschwinden, aber ich glaube nicht, dass sie mich verstanden. Also zog ich mich wieder ins Zelt zurück und schlug eine Decke um mich, die in einer Ruderkiste lag. Dann setzte ich mich auf die Kiste und wollte weitertrinken, aber die Wehmut packte mich so schwer, dass ich es nicht einmal schaffte, das Fass anzuheben.

Den ganzen Abend blieb ich auf dem Schiff. Ich war feige und schwach, mir fehlte die Kraft, auf den Grimshof zu meinen Söhnen zurückzukehren. Und ich wusste, wenn ich betrunken nach Hause kam, würde Sigrid mir einen Blick zuwerfen, so kalt, dass mir das Mark gefror. Auf einem Gelage konnte ich betrunken sein, hatte sie gesagt, solange ich mein Messer in der Scheide und die unverzeihlichen Worte im Mund behalten konnte. Allein aber durfte ich mich nicht betrinken. Wenn ich es tat, musste ich fortbleiben, bis ich wieder nüchtern war.

Vielleicht schlief ich dort auf der Ruderkiste ein. Vielleicht sah ich im Traum, wie die Völva Runen auf das Deck warf. Sie war eine alte Frau mit grauen Haaren, zerzaust wie verfilzte Wolle, ihr Gesicht war runzlig und vom Wetter gezeichnet. Sie trug einen Zauberstab, eine dünne eiserne Stange von der Länge eines Kinderarms, das Ende geformt wie eine Blütenknospe. Runen sprechen, Mannes Gebrechen … Tyrs Rune, der Wagen, Isa …

Womöglich spielen mir meine Erinnerungen einen Streich. Womöglich war sie nie auf meinem Schiff, weder im Traum noch in der Wirklichkeit. Später würde sie für uns weissagen, und ich würde Entscheidungen fällen. Doch als ich auf dem Schiff aus meinem Bierrausch erwachte, saß nicht sie bei mir, sondern Winabave. Der Skræling hatte seinen Umhang um mich geschlagen, denn ich hatte mich aufs Deck gelegt. Es war kalt.

»Die Bucht gefriert«, sagte er. Winabave trug ein dickes, knielanges Wollhemd und Wollhosen, eine Mütze aus Schaffell und Handschuhe. Um die Beine hatte er braun-grüne Bänder geschnürt. Seine Schuhe waren neu genäht und glänzten vor Wachs und Öl.

Wahrscheinlich murmelte ich irgendetwas davon, dass ich nicht betrunken war. Falls Sigrid ihn geschickt hatte, um herauszufinden, was ich trieb, konnte er ihr ausrichten, dass ich am Schiff arbeitete. Da nahm Winabave das Messer von seinem Gürtel und begann, an seinem Stab zu schnitzen. »Mit Worten ist es wie mit Runen«, sagte er. »Am besten sind sie wahr.«

Wahre Runen. Runen über das, was in Erinnerung bleiben soll. Solche Runen hast du in deinen Stab geschnitzt, Winabave, und in deine Haut gezeichnet. Ich glaube, du hattest weitaus größere Furcht, zu vergessen, als davor, vergessen zu werden. Und womöglich war dies der größte Unterschied zwischen unseren Völkern. Wir Nordländer lebten, um in Erinnerung zu bleiben. Du lebtest, um zu erinnern.

Der Skræling half mir an Land. So standen wir auf der Steinmole, während der Wind an uns zerrte und der Mond über die Bucht schien. Mit zusammengekniffenen Augen und verfroren blickte ich zum Schiff der Sachsen. Inzwischen hatten sich einige große Eisschollen gebildet. Bald würden sie aneinander festfrieren, und wenn der Wind nicht drehte und die Kälte sich hielt, würde das Eis bald jedes einzelne Schiff in der Bucht festsetzen.

»Du weißt, Torstein, ich habe Frau und Kinder verloren. Jeden Tag denke ich an sie. Jeden Tag vermisse ich sie.«

Ich nickte. Winabave sprach nur selten über das Leben, das er einst am anderen Ufer des Meeres geführt hatte. Aber wir wussten von der Familie, die er verloren hatte, und um das Unrecht, das ihm widerfahren war.

»Du weißt auch, dass ich mich betrinke, wenn Bier vor mir steht. Das tue ich, um für einen Moment zu vergessen, Torstein. Aber es ist eine jämmerliche Tat.«

Winabave ging fort. Ich hörte seine Schritte und den Stab auf den Steinen. Ich wusste, dass er recht hatte. Und ich wusste, dass ich es nicht ertragen würde, im Haus zu sitzen und mitanzusehen, wie mein eigener Sohn ins Totenreich hinüberging. Aber ebenso wenig würde ich es ertragen, wenn ihm die Hand abgehackt wurde.

2 Ylir

An jenen Jultagen lag Schnee auf den Inseln. Die Orkney-Bewohner freuten sich sehr darüber, denn sie glaubten, so konnten die Geister nicht so einfach aus der Unterwelt kriechen. Uferfelsen und flaches Wasser gefroren zu einer Fläche, und die mutigsten Inselbewohner wagten sich hinaus, hackten Löcher ins Eis und ließen Angelschnüre hinab. Wir anderen blieben auf den Höfen, ich selbst arbeitete in diesen Tagen an Planken für die Reling der »Naglfar«. Ich plante, das Achterfreibord hinter dem Steuermann zu erhöhen, sodass er nicht mehr so leicht von Pfeilen getroffen werden konnte. Wahrscheinlich war ich dieser Steuermann, weshalb Sigrid diese Arbeit für vernünftig hielt. Ich sprach mit ihr über die Hobelarbeiten, die Welpe, Ey­stein und ich verrichteten, und erklärte ihr, dass wir vorhatten, Teer aus Birkenwurzeln zu brennen. Sigrid tat so, als hörte sie zu. Es war gut, mit ihr zu sprechen, und wenn ich mutig genug gewesen wäre, hätte ich auch über Ravntors Wunde gesprochen und über das, was uns erwartete. Ich hatte eingesehen, dass die Hand ab musste, denn die Wunde wollte sich nicht schließen. Auch Sigrid wusste, dass wir etwas unternehmen mussten, das sah ich; abends saß sie mit hartem Blick bei unserem Jungen, und dieser Blick legte sich auf mich und hielt mich fest, bis ich mich abwandte.

So sah sie mich auch an, als der Bote angeritten kam. Es schneite stark an diesem Tag, und der Mantel des Reiters flatterte im Wind. Er musste seine Pelzmütze festhalten, denn die Böen kamen direkt aus der Bucht unterhalb des Grimshofs. »Der Jarl bittet euch, Leute abzustellen, um auf eure Tiere aufzupassen«, sagte er. Wir Männer auf dem Hofplatz nickten, und ich versicherte dem Boten, dass wir das tun würden. Der Jarl war sehr besorgt, dass Nivlheimer über den Himmelsbogen heranreiten könnten. Darüber hatte ich bereits mit Welpe gesprochen, der mir erzählt hatte, dass sein Vater dies von seinem Vater gelernt hatte. Einmal, als dieser Jarl noch ein Junge gewesen war, hatten sie vier Kühe in der Julnacht verloren. Die Tiere waren tot aufgefunden worden, ohne jegliche Spuren an den Körpern. Deshalb hatte Jarl Sigurd die Bauern stets aufgefordert, in dieser Nacht gut über ihre Tiere zu wachen. Und wenn sie eingeladen waren, so wie wir jetzt, mussten sie versprechen, Bedienstete oder andere Vertraute Ställe und Unterstände bewachen zu lassen.

»Sigurd, Sohn von Lodve, Jarl über die Orkney-Inseln, fordert Torstein Häuptling und sein Gefolge auf, den Hof für das Julfest bereit zu machen«, erklang es von dem Reiter, bevor er hinzusetzte, dass ein weiterer Bote zu uns geschickt werden würde, wenn alles für das Winteropfer vorbereitet war. Dann machte er mit dem Pferd kehrt und ließ es wieder Richtung Höhenzug traben, von wo aus er dem Pfad westwärts zum Jarlshof folgte.

Wir nutzten den restlichen Tag, um den Hof für die Ankunft der Nivlheimer zu rüsten. Ey­stein und ich hielten das für dummes Zeug, aber meine Mannschaft und die Hofleute fanden, dass es den Aufwand wert war. Früher in diesem Winter war ein Schwein geschlachtet worden, und wir hatten das Blut mit Gerste und Speck aufgekocht. Jetzt gossen wir Wasser dazu und schmierten die Blutsuppe auf die Türrahmen. Die Frauen kochten Grütze für Grims Geist, und Pferde wie Ziegen bekamen die Hufe gewaschen; Letzteres war ein Brauch, den ich nur dort auf den Orkney-Inseln erlebt habe. Damit war der Hof für die Nivlheimer und anderen übel gesinnten Besuch gewappnet, und Winabave und ich standen oben am Seezeichen, um das Wetter an diesem Abend zu beobachten. Nach einer Weile deutete der Skræling nach Süden, wo sich der Himmel zu öffnen schien. Es war ein sonderbarer Anblick, denn die Sonne versank im Westen im Meer, und eigentlich hätte sich der Himmel verdunkeln müssen. Aber es war, als hätte Åsa-Thor persönlich einen Riss in die Wolkendecke geschlagen, und hindurch fiel ein wundersames goldenes Licht. »Bonde sagt, dass das keine Nivlheimer sind. Es sind Freyas Einherjer. Er meint, du sollst ihnen Bier hinstellen. Dann trinken sie davon und lassen die Tiere in Frieden.«

Ich antwortete nicht da­rauf. Ich fürchtete weder Einherjer noch Nivlheimer. Wenn ich so lebte und starb, wie es sich für einen Mann gehörte, würde ich selbst ein Einherjer werden. Aber ich wollte nicht unter Freya in Sessrumnir dienen, mich zog es zu Odins Hügeln.

Eine Weile lang schauten wir in den südlichen Himmel, aber dann schloss sich die Wolkendecke wieder, und es wurde dunkel. Wir sahen zum Hafen und der vereisten Bucht hi­nunter, und ich meinte zu dem Skræling, dass wir nicht viel von dem Mönch und seinen Leuten zu sehen bekommen hatten. Wir hatten gehört, dass der Insel-Jarl sie aufgenommen hatte, und wäre ich nicht mit der Sorge um meinen Sohn beschäftigt gewesen, hätte mich das verärgert. Mönchsworte vergifteten den Geist eines Mannes. Deshalb hatten wir sie immer vom Häuptlingshof verjagt.

Später saß ich wieder bei Ravntor, während Winabave den Verband von seiner Hand abnahm. Sigrid hatte mir Bjørnar auf den Schoß gesetzt. Davor hatten wir ihn immer ferngehalten, wenn wir die Wunde versorgten, aber vielleicht fand sie, dass er die Hand seines Bruders sehen musste, um zu verstehen, wozu wir bald gezwungen sein würden. Und die Wunde sah übel aus an diesem Abend. An den Kanten war sie gräulich, und sie roch übel. Sigrid setzte eine harte Miene auf, als sie es sah. »Wasch sie«, sagte sie. »Lass sie trocknen, und leg einen sauberen Verband an.« Winabave fragte, ob er den Wundbrand wegschneiden sollte, wie er es zuvor immer getan hatte.

Sigrids Antwort da­rauf beschäftigte mich den ganzen restlichen Abend und die Nacht hindurch. »Das brauchen wir nicht mehr.« Sie beugte sich vor und strich dem Jungen über die Wange. »Damit sind wir fertig. Nicht wahr, Ravntor?«

Diese Worte ließen mich nicht los. Ich war auf der »Naglfar« und trank, aber das Bier spendete mir keinen Trost. Ich hatte nicht einmal die Ruhe, mich hinzusetzen; bald überkam mich die Angst, sie könnte es veranlassen, solange ich fort war. Also rannte ich zurück, so schnell es mein lahmes Bein zuließ.

Ich wachte in dieser Nacht über Ravntor, saß an der Kojenkante. Ich behielt das Feuer im Auge, und als Hilda aufwachte, wie sie es immer tat, wenn die Nacht am dunkelsten war, legte ich Feuerholz nach. Sie sah mich an und warf dann einen Blick zur Tür. Ich nickte. Ich wusste, woran sie gerade dachte. Die Geistwesen waren unterwegs. Wenn man jetzt auf dem Krankenlager starb, wusste nicht einmal Odin, wohin sie einen schleiften. Zwar saß ich bei Ravntor, hatte aber immer ein Auge auf die Koje, in der Sigrid mit dem kleinen Bjørnar lag. Niemand, weder Geistwesen noch Mann, würde sie mir nehmen.

Ravntor schlief unruhig in jener Nacht. Er wälzte sich hin und her, fasste sich ständig an die verletzte Hand und wimmerte. Ich strich ihm über das Haar, flüsterte ihm zu, dass alles gut würde, aber ich war besonders leise, denn er sollte nicht aufwachen. Winabave kam mit seinem Fell und legte sich zu uns, wie ein Hund rollte er sich zu meinen Füßen zusammen. Der Häuptling und sein Sklave. Denn es stimmte, was die Leute sagten, er war mein Sklave. Sie kannten ihn als den Torsteinsklaven, und er war ebenso mein Eigentum wie mein Schwert oder mein Schiff. Nun mag man sich vielleicht wundern, weshalb ich einen Sklaven hatte, wo doch weithin bekannt war, dass der Häuptling von Vingulmørk Sklaven die Freiheit schenkte. Und wer zum Häuptlingshof kam und Sklaven zum Kauf anbot, musste damit rechnen, dass der Häuptling selbst voller Zorn von seinem Sitz aufstand und dem Sklavenhändler die Zähne ausschlug. War der Häuptling bei guter Laune, erhielt der Sklavenhändler die Zähne zurück, ehe er fortgejagt wurde, und das war seine Bezahlung. Aber mit Winabave war es anders. Da er ein Skræling war, hätten die Leute versucht, ihn einzufangen und auf den Märkten zu verkaufen. Einen Mann wie ihn bekam man nur äußerst selten zu sehen. Daher brauchte er den Schutz, der ihm als mein Eigentum zukam. Ebenso verhielt es sich mit Onejun, auch sie war ein Skræling. Als Ey­steins Ehefrau stand sie unter seinem Schutz.