VIKING - Eine Jomswikinger-Saga - Bjørn Andreas Bull-Hansen - E-Book
SONDERANGEBOT

VIKING - Eine Jomswikinger-Saga E-Book

Bjørn Andreas Bull-Hansen

0,0
7,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Starke Männer und ein unerbittlicher Kampf um Macht und Liebe

Norwegen im Jahre 993: Hilflos muss der junge Torstein zusehen, wie fremde Krieger seinen Vater brutal ermorden. Ihm selbst gelingt die Flucht, und er findet ein neues Zuhause auf den Orkney-Inseln. Doch ein ruhiges Leben ist ihm nicht bestimmt: Weil er sich in die falsche Frau verliebt, muss er erneut fliehen. Nach monatelanger Irrfahrt verschlägt es ihn zurück in seine Heimat. Und dann ist endlich klar, was das Schicksal für ihn vorgesehen hat: In der großen Seeschlacht bei Svold, wo die skandinavischen Reiche um die Vorherrschaft im Norden kämpfen, steht Torstein unerwartet dem Mörder seines Vaters gegenüber – der jetzt Norwegens Königskrone trägt …

Die beliebte Jomswikingersaga geht weiter – entdecken Sie auch die weiteren Romane der Jomswikinger-Reihe:
Band 2: VIKING – Kampf in Vinland
Band 3: VIKING – Die Armee der Dänen

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 1018

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Bjørn Andreas Bull-Hansen ist begeisterter Fan der nordischen Kultur und beschreibt sich selbst als »Wikingerbarde«. Er ist zudem mehrfacher nationaler Meister im Kraftdreikampf. In Norwegen begeistert er Zehntausende Leser mit seinen packenden Romanen sowie seinem Blog rund um die (Über-)Lebenskünste der Wikinger. Viking war der meistverkaufte Roman des Jahres in Norwegen und stand monatelang auf der Bestsellerliste.

Besuchen Sie uns auf www.penguin-verlag.de und Facebook.

Bjørn Andreas Bull-Hansen

VIKING

EINEJOMSWIKINGER-SAGA

Roman

Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob und Karoline Hippe

Die norwegische Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel Jomsvikingbei Gyldendal Norsk Forlag, AS, Oslo.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so ­übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der ­Erstveröffentlichung verweisen.

PENGUIN und das Penguin Logo sind Markenzeichen

von Penguin Books Limited und werden

hier unter Lizenz benutzt.

Copyright © 2017 by Nidhogg forlag. Published in agreement with

NORTHERN STORIES. (All rights reserved)

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2019 by

Penguin Verlag,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

This translation has been published with the financial support of NORLA

Umschlag: Bürosüd nach einem Entwurf von Henrik Koitzsch

Umschlagmotiv: Gesine Garz, Shutterstock

Redaktion: Sabine Thiele

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-23308-2V002

www.penguin-verlag.de

Mein Vater sagte mir einmal, ein freier Mann solle jedem Tag ohne Furcht begegnen. Wie auch dem Tod. Denn der Lebensfaden wird am Tag der Geburt zerschnitten, und kein Mann und keine Frau macht auch noch einen Atemzug mehr, wenn die Zeit abgelaufen ist.

Die Welt, in der ich aufgewachsen bin und in die meine Söhne hineingeboren wurden, existiert nicht mehr. Das Königreich brennt, und die Namen der alten Götter dürfen nicht mehr genannt werden. Ich bin am Ende meines Lebenswegs angekommen. Aber bevor ich diesen hinfälligen, alten Körper verlasse, will ich erzählen, was geschehen ist. Denn noch habe ich die Hoffnung, dass diejenigen, die nach uns kommen, verstehen werden, dass wir nicht nur Ungeziefer waren, nicht nur Feinde gerechter Könige. Noch habe ich die Hoffnung, dass man uns für das in Erinnerung behält, für das wir gelebt und gekämpft haben.

1Versklavt

Aus der Zeit vor meiner Gefangenschaft weiß ich nicht mehr viel. Mir gefällt der Gedanke, dass es glückliche Jahre waren. Oft sitze ich stundenlang da und folge den wenigen Bildern, die ich noch im Kopf habe. Bleibe an einer Eibe stehen und rieche plötzlich den Duft von Gras und warmem Moor. Ich sehe das Glitzern der Sonne grün durch die Baumkronen fallen. Es ist warm, die Hitze brennt auf der nackten Haut, während ich mir einen Weg durchs Unterholz bahne. Farnkräuter streichen an meinen Beinen entlang, und ich spüre den Bogen in der Hand und den Köcher auf der Hüfte. Ich komme in einen dichten Wald, das weiche Moos unter meinen Füßen sagt mir, dass das Meerwasser bei Springflut bis hierher gelangen kann, mitsamt Tang, Muscheln und Krebsen. Dann stehe ich am Strand in der Bucht, sehe die Wellen über das Ufer spülen, die Möwen hoch oben am Himmel.

Rechter Hand liegen die Sandbänke, und nur einen Steinwurf entfernt stehen Vater und Ulfham. Vaters graue Haare flattern im Wind. Sein sehniger Oberkörper ist wie immer etwas zur Seite gebeugt, trotzdem ist er noch so stark, dass ihn in meinen Augen nichts auf der Welt brechen kann. Ulfham bellt, bleibt aber bei Vater – wie immer. Vater nickt kaum sichtbar, bückt sich und hebt eine Muschel auf. Ich nehme den Weg zur Nordseite der Bucht. Ich bin noch jung, ein Kind, aber meine Bewegungen sind bereits geschmeidig und stark. Mit dem Bogen über der Schulter klettere ich schnell und furchtlos über die Uferfelsen bis ganz nach oben, denn ich weiß, dass Vater mich von der Sandbank aus beobachtet. Er macht sich Sorgen, dass ich mich verletzen könnte, denn er hat nur noch mich. Ich muss ihm zeigen, dass ich es kann, dass ich stark wie er bin, denn bald werden die Söhne des Bauern kommen und mich bitten, sie aufs Schiff zu begleiten.

Oben auf den Uferfelsen lasse ich den Blick weit über den Fjord schweifen. An der höchsten Stelle ist eine Warte, und in den ersten Jahren nach dem Krieg musste Vater dort immer ein Feuer entzünden, wenn er ein Langschiff sah. Jede Nacht hat er hier oben Wache gehalten.

Ich setze mich unter das alte Schutzdach, lehne den Rücken gegen die Wand und richte den Blick aufs Wasser. Folge der geraden Linie zwischen Meer und Himmel. Genau dort will ich hin. Auf der anderen Seite des Meeres, weit im Westen, liegt das Inselreich. Bjørn, mein einziger Bruder, ist im letzten Sommer dorthin aufgebrochen. In diesem Jahr bin ich an der Reihe.

Dann stehe ich auf, renne durch Wacholdergestrüpp und kratze mir Beine und Bauch auf. Ich weiß nicht mehr, was für Kleider ich trage. Vielleicht nur den Lappen, den ich mir um die Hüften geschlungen habe. Auf der Nordseite der Landzunge löse ich die Schnur, die ich um den Bogen gewickelt habe. Am Ende ist ein aus einem Dorn geschnitzter Haken. Ich zerdrücke eine Schnecke und schiebe sie darauf.

Dann lege ich mich auf den Bauch und bleibe lange so liegen, unter mir mein Spiegelbild. Die langen, ungekämmten Haare umrahmen mein Gesicht. Meine Züge haben noch etwas kindlich Rundes, aber das wird verschwinden. Man sieht bereits, dass ich zum Mann werde, Stirn und Wangenknochen wirken schärfer als zuvor, und meine Augen liegen tiefer. Sie heben sich blau von dem sonnengebräunten Gesicht ab.

Manchmal streicht ein Fisch an der Angel vorbei. Manche sind dicht an der Oberfläche und zerfurchen mein Spiegelbild mit ihrer Schwanzflosse. Dann sind sie wieder unten am Haken, aber sie sind klein und taugen nicht als Nahrung. Ich zupfe an der Schnur und jage sie weg.

Über viele Jahre hinweg waren das die einzigen Erinnerungen aus der Zeit vor dem Schrecklichen. Ich als Kind beim Fischen und Vater, wie er auf der Sandbank Muscheln sammelt. Erst Jahre später sollte ich zur Halbinsel meiner Kindheit zurückkehren und die Wege finden, die Hirsche und Rehe gebahnt hatten. Ich würde das Schutzdach, das mein Vater errichtet hatte, erneuern und mich erinnern.

Ich muss dort auf dem Felsen eingeschlafen sein. Als ich aufschrecke, ist alles still. Die Sonne steht noch hoch am Himmel, ich kann also nicht lange geschlafen haben. Ich drehe mich um und sehe einen Mann an Vaters Aussichtsplatz. Er trägt nur eine zerrissene lederne Hose, und sein Oberkörper ist von blauen Streifen übersät. Als er mich erblickt, dreht er sich zur Seite. Er ruft etwas in einer unbekannten Sprache und kommt schnell auf mich zu.

Ich weiß noch, wie ich gerannt bin. Von Fels zu Fels, runter ans Wasser. Ich schlage mir das Knie auf, bin aber sofort wieder auf den Füßen. Drei Männer folgen mir, einer von ihnen hält eine Axt in den Händen. Die beiden anderen sind fast nackt, tragen Sklavenringe um den Hals und springen von Stein zu Stein. Einer der beiden heult wie ein Hund. Als sie näher kommen, stürze ich mich ins Wasser und schwimme los, aber sie bekommen mich zu fassen, packen meine Haare und pressen meinen Kopf unter die Oberfläche, bis ich die Besinnung verliere. Dann tragen sie mich über die Landzunge zurück zur Sandbank, wo Ulfham mit einem Pfeil in der Brust im Spülsaum der Wellen liegt.

Vater hatte unser Haus zwischen den Klippen am Ufer errichtet. Damals empfand ich es als ebenso schön wie das Langhaus des Bauern. Andere hätten es bestimmt auf der Leeseite der Felsen gebaut, Vater schien seine Aufgabe aber nie aus den Augen verlieren zu wollen. Sein Blick ging immer über den Fjord, denn sein langes Leben hatte ihn gelehrt, dass Feinde von dort kamen. Nur dieses eine Mal nicht. Im Schutz der Bäume hatten sie sich angeschlichen. Ein alter, abgekämpfter Krieger allein auf einer Landzunge war kaum eines Schwerthiebs würdig.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf der Seite, die Arme auf dem Rücken gefesselt. Erst sah ich nur die Männer, die hin und her liefen. Einige bündelten den Kabeljau, den wir zum Trocknen aufgehängt hatten. Andere prüften die Spannung von Vaters Eibenbogen. Erst als ich mich umdrehte, erblickte ich Vater selbst. Er saß gegen die Wand gelehnt, einen Pfeil in der Brust, und atmete schwer. An der Außenseite seines Schenkels war ein tiefer Schnitt, ein weiterer im Oberarm. Seine Hand lag zitternd und rot von Blut auf seinem Schoß.

Als ich mich aufrappeln wollte, straffte sich das Seil, das man mir um den Hals gelegt hatte.

»Auf dem Hof haben sie mir gesagt, dass du für den Ladejarl kämpfst«, ertönte es hinter mir. Sie sprachen mit meinem Vater. »Was machst du hier in Vingulmørk?«

Vater antwortete nicht.

»Der da, ist das dein Sohn?«

Vater hob den Kopf. »Er ist noch jung, lasst ihn am Leben.«

Der Mann hinter mir fauchte den beiden Sklaven etwas zu, die mich gleich darauf an den Armen packten. Dann gab er seinen Männern einen Befehl, den ich nicht verstand. Zwei von ihnen hockten sich neben Vater und drückten ihn an die Wand.

»Torstein«, rief Vater. »Sieh weg!«

Ich wusste in diesem Moment noch nicht, wer mit ihm gesprochen hatte, doch mit einem Mal spürte ich eine Klinge am Hals, und einer der Fremden trat vor. Ein großer Mann mit blutbeflecktem Kettenhemd. Ohne ein Wort zog er ein langes, gebogenes Messer aus der Scheide und stieß es Vater in den Bauch.

Vater gab keinen Laut von sich, als er aufgeschnitten wurde, nur seine Beine zuckten. Dann ließen sie ihn los. Er saß still da, während sein Blick langsam zu mir wanderte. Er weinte. Ich hatte ihn noch nie Tränen vergießen sehen.

»Brennt es ab«, sagte der Mann mit dem Kettenhemd.

Einer der Sklaven ging in die Hütte. Ich hörte ihn an der Feuer­stelle hantieren, wo wir die Glut im Sand eingruben, damit sie bis zum Abend hielt.

Zwei andere Männer zogen Vater hoch. Er wollte etwas zu mir sagen, aber da steckte der Mann mit dem Kettenhemd seine Hand in Vaters Bauch. Vater stöhnte vor Schmerzen auf und rang nach Atem. Plötzlich hielt der Mann etwas in der Hand, das wie ein blutiges Tau aussah. Er starrte einen Augenblick darauf, ehe er es mit dem Messer an die Wand spießte. »Geh!«, befahl er. »Geh los!«

Vater setzte sich in Bewegung. Nach einem Schritt blieb er stehen und rang nach Luft. Dann machte er noch einen. Er krümmte sich zusammen und erbrach sich. Aber der Mann mit dem Kettenhemd schrie ihm zu, dass er weitergehen müsse und nicht stehen bleiben dürfe. Schließlich richtete Vater sich wieder auf und ging weiter, als bemerkte er nicht, dass ihm der Darm aus dem Bauch gezogen wurde, bis schließlich eine große Blase herausplatzte und vor seinen Füßen landete. Er sank erneut zu Boden, richtete den Blick noch einmal auf mich, kippte auf die Seite und blieb liegen.

Die Sklaven schleppten ihn in die Hütte und ließen ihn dort zurück. Man nahm das Messer von meiner Kehle, und ich wollte zu Vater, aber die Sklaven packten meine Arme und zogen mich weg.

Ich erinnere mich, wie ich mich umdrehte und die Flammen sah, die aus unserem Torfdach leckten, als sie mich über die Felsen schleppten. Dann ging es in den Wald. Am Bach durfte ich trinken, ich weigerte mich aber.

Sie trieben mich über die Felder bis zum Hof. Das Langhaus stand in Flammen. Überall auf dem Boden lagen Tote, den alten Bauern hatten sie an dem großen Baum aufgehängt. Seine beiden Töchter sah ich nicht, aber Hilda saß mitten auf dem Platz, gefesselt wie ich. Ihr Kleid war am Rücken aufgerissen.

Sie führten mich in die Schmiede, wo mir ein Sklavenring um den Hals gelegt und mit einem rot glühenden Nagel verschlossen wurde. Ich weiß noch, dass ich mich nicht zu rühren gewagt habe, der Nagel sollte mich nicht verbrennen. Also blieb ich stehen, festgehalten mit einem Seil am Sklavenring, während Hilda ebenfalls ihrer Freiheit beraubt wurde.

Noch am gleichen Abend wurde ich an die Ruderbank gekettet. Ich kannte Langschiffe, Vater hatte mich oft zum Hof geschickt, um Bescheid zu sagen, wenn wir Segel gesehen hatten. Danach hatte ich dann mit den anderen Jungen am Strand gestanden, zitternd vor Erwartung, und zugesehen, wie Fässer und Felle an Land getragen wurden. Oft stand ein Händler mit silbernen Armringen am Bugsteven und pries seine Ware an, Seide, Wein, Glasperlen und nicht zuletzt die Waffen aus gefaltetem Stahl. Manchmal wurden auch Sklaven aus dem Westen präsentiert: Männer, Frauen und Kinder mit Ringen um den Hals. Ihre Rücken zeugten von Peitschenhieben und Brenneisen.

Nun war ich selbst ein Sklave. Als sie mich an die Ruderbank ketteten, sah ich zum Mast empor. Ganz oben steckten drei abgebrochene Pfeile. Offensichtlich war das hier kein Händler. Kriegsschiffe hatte ich zwar noch nie gesehen, aber mein Bruder und die Söhne des Bauern hatten häufig darüber gesprochen. Im Stillen hatte ich mir eingebildet, dass diese Schiffe so mächtig sein müssten, dass sie andere einfach rammen und versenken konnten, dabei waren sie schmal und hatten kaum Tiefgang. Männer mit Streitäxten am Gürtel verstauten das Plündergut aus dem Hof. Am Mast saß ein kahlköpfiger Mann in einer Art Kutte mit Kordel um den Bauch und starrte mich an. Aus dem Holzkreuz um seinen Hals schloss ich, dass er ein Mönch war. Der Bauer hatte sich von so einem mal im Bach untertauchen lassen, was Vater nur belächelt hatte.

Auf dem Langschiff waren sechs weitere Sklaven, alles halbwüchsige Jungen wie ich. Wir waren an einer Kette fixiert, die von Halsring zu Halsring führte, sodass der Einzelne sich kaum bewegen konnte, ohne den anderen mitzuziehen. Jetzt wurde auch Hilda an Bord getrieben und zwischen zwei Säcke und Kisten gestoßen, während die Männer das Schiff seeklar machten.

Ich erinnere mich, dass ich damals davon ausging, das Schiff sei im Schutz der Dunkelheit gekommen. Vater hätte es sonst bestimmt gesehen. Die Männer mussten sich in der Dämmerung zum Hof geschlichen haben, vorbei an den Pferden und an Loths Falkenkäfig. Dann hatten sie wie Raubtiere zu töten begonnen, rasch und fast ohne Gegenwehr. Das Klirren der Schwerter und die Schreie der Menschen wären in der flachen Landschaft sonst weit zu hören gewesen.

Jetzt ging auch der Mann mit dem Kettenhemd an Bord. Er war damals noch jung, groß und breitschultrig, aber seine seltsam kleinen Schweinsaugen ließen ihn alles andere als stattlich wirken. Vom Bug aus ließ er den Blick über Sklaven und Kornsäcke und das andere Plündergut schweifen und nickte zufrieden vor sich hin. Dann trat der Mönch zu ihm und drückte ihm das Kreuz auf die Stirn. »Christus segne dich«, sagte er. »Und dein Schwert.«

Noch am selben Abend ruderten wir los. Ich war zwölf Jahre alt.

2Der Handelsplatz

Ich sollte den ganzen Sommer an den Rudern sitzen. Später erfuhr ich, dass jungen Sklaven oft diese Arbeit zugewiesen wurde, da man auf diese Weise sah, ob sie kräftig waren. Ros und seine Männer hatten vermutlich gezögert, mich am Leben zu lassen, denn ich war jünger als die anderen Jungen an Bord. Außerdem war mein Körper damals noch dünn und knochig. Die Söhne des Bauern hatten gern mit mir Wettrennen veranstaltet, weil ich immer als Letzter ankam. Oder sie sprangen mit mir über einen Bach, nur um sich darüber lustig machen zu können, dass ich ins Wasser fiel. Bjørn hatte das immer so wütend gemacht, dass er zu uns rannte und die Bauernsöhne verprügeln wollte, doch die rannten auch ihm weg. In unserer Familie sind wir nicht sonderlich schnell, pflegte Vater immer zu sagen. Unsere Kraft liegt in den Armen.

Und diese Kraft sollte mich retten. Wenn ich mich in die Riemen legte, unterschied ich mich kaum von den erwachsenen Männern. Außerdem wusste ich, dass ein Sklave seine Freiheit zurückgewinnen konnte. Zwei Männer des Bauern waren einmal Sklaven gewesen, einer davon war sogar mit Handelsleuten zurück nach Irland in seine Heimat gesegelt. Der andere, Thau, war häufig bei Vater gewesen. Oft hatten sie unten am Wasser gesessen und miteinander geredet. Die Narben an seinem Hals waren immer noch zu sehen gewesen.

Auch ich sollte bald solche Narben haben. Der Eisenring schürfte im Lauf des ersten Tages, als ich den Rhythmus noch nicht gefunden hatte, die Haut von meinem Hals. Vor mir saß ein rothaariger Junge, dem ein Ohr abgeschnitten worden war. Er war Däne und redete nur mit sich selbst. Der Junge hinter mir war etwas älter als ich. Er spuckte mir immer an den Rücken, wenn ich aus dem Rhythmus kam.

In jenem Sommer dachte ich nur selten an Rache. Ich weiß noch, dass ich regelmäßig den Blick niederschlug, wenn der Mann, der meinen Vater getötet hatte, an mir vorbeiging. Die anderen nannten ihn nur Ros, und man sagte, er sei schon als Junge aus der Region der großen Flüsse im Osten gekommen. Wenn ich es ein seltenes Mal wagte, ihn anzusehen, erkannte ich tatsächlich etwas Östliches in seinen Gesichtszügen. Die Wangenknochen waren kräftiger als bei uns Nordmännern, und die kleinen Augen lagen dicht unter einer etwas vorgewölbten Stirn. Ich hasste ihn für das, was er getan hatte. Aber größer war meine Angst vor ihm.

Ros vergewaltigte Hilda in der dritten Nacht an Bord. Er schlug ihr erst in den Bauch, sodass sie zusammensackte und sich nicht mehr erheben konnte. Dann legte er sich über sie. Nur ihre nackten Füße waren unter seinem Umhang zu erkennen. Es geschah nicht weit von meiner Ruderbank entfernt, und als er fertig war, stand Ros mit seinem nackten Glied in der Hand da und sah lachend zu den anderen Männern. Ich weiß noch, dass ich am ganzen Körper zitterte und mein Atem wie ein Blasebalg ging. Hilda lag wie tot zwischen den Getreidesäcken, dabei hatten ihre Qualen gerade erst begonnen. In den folgenden Tagen und Nächten bedienten die freien Männer an Bord sich ihrer, wie es ihnen beliebte.

Erst ruderten wir in Richtung Süden nach Ranrike. Wir gingen an Land, und Ros und seine Männer verschwanden im Wald, um zu jagen. Ein paar Tage später hielten wir dann etwas weiter südlich, wo ein Bauer einige Dutzend Bogenschützen auf den Klippen postiert hatte, als wir uns näherten. Ros begrüßte den Bauern mit offenen Händen, und die Männer entluden eine große Kiste, die zwischen den Spanten gestanden hatte. Der Handel ging am Strand vonstatten, und wir Sklaven starrten voller Verwunderung auf die Schätze, die Ros dem Bauern und seinen Männern zeigte. Goldene Ketten und Armreifen, Perlen und farbiges Glas. Der Bauer bezahlte mit einem Langschwert, zwei Eibenbögen und einem Kettenhemd. Dann zeigte er auf uns Sklaven im Schiff, und kurz darauf wurde Hilda an Land gebracht. Ros erhielt für sie ein paar Silbermünzen.

Erst später erfuhr ich, welch schreckliches Schicksal Hilda erwartete. Weil sie nur wenige Tagesreisen von ihrer Heimat entfernt verkauft worden war, schnitt man ihr die Zunge heraus, damit sie niemandem sagen konnte, woher sie kam. Das Gleiche wäre auch mir passiert, wäre ich an diesem Ort verkauft worden.

Am fünften Vollmond an Bord wurde der rothaarige Däne vor mir krank. Erst begann er zu husten, dann wurde sein Körper von einem Zittern erfasst, das die ganze Nacht und den folgenden Morgen anhielt. Irgendwann trat ihm einer der Männer in die Seite. Ros selbst war gerade an Land. Er hatte eine Frau auf einem Hof in der Bucht, in der wir angelegt hatten. Ich hörte die Leute murmeln, dass es mit dem Dänen aus sei, wenn dieser sich bei Ros’ Rückkehr nicht zusammenriss. Ein Rudersklave ohne Kraft sei für niemanden von Nutzen.

Merkwürdigerweise bemerkte Ros den Zustand des Jungen nicht, als er zurück an Bord kam. Er setzte sich an den Mast und redete mit dem Mönch, und da meine Ruderbank nur eine Manneslänge entfernt war, hörte ich, was sie besprachen. Ros hatte auf dem Hof Neuigkeiten über seinen Bruder erfahren, den er schon lange suchte und dessen Tod er fürchtete. Der Bauer hatte ihm nun gesagt, dass dieser Bruder sich »am königlichen Hof« befände. Das mit dem königlichen Hof verstand ich nicht, denn in Norwegen gab es schon lange keinen König mehr. Das hatte Vater mir gesagt. Er hatte bei einer großen Schlacht im Norden an der Seite des Ladejarls gekämpft und selbst erzählt, wie König Håkon auf die Knie gesunken sei und die Hände zum Himmel gestreckt habe, als man ihm einen Speer durch die Brust rammte. Kein König wagte es seither, den Trønderjarlen zu trotzen. Wer also war der Mann, von dem Ros sprach?

Ros tastete mit der Hand nach seinem Schwert, während er den Blick über das offene Meer schweifen ließ. Als der Mönch ihm noch einmal das Kreuz auf die Stirn legen wollte, stieß Ros ihn mit harter Hand weg und trat an den Bug.

Die schnellen Schiffe, wie Ros und seine Männer sie nutzten, waren leichter als die Handelsschiffe, sie hatten einen flachen Rumpf und deshalb auch keinen Platz unter Deck. An der Reling befanden sich Eisenhaken, an denen die Krieger ihre Schilde befestigen konnten, wenn es zu einem Kampf kam oder sie ein anderes Schiff entern wollten. Das niedrige Freibord bot sonst kaum Deckung. Der Mast war nicht sonderlich hoch, dafür trug der Querbalken, der bis ganz nach oben gezogen wurde, ein breites Segel aus fest verwebter Wolle. Dieses Segel bewachten Ros und seine Männer wie ihren Augapfel. Sie holten es ein, wenn der Wind zu stark wurde, und machten sie irgendwo in einer Bucht Station, blieb immer ein Mann als Wache an Bord. Ich sollte bald lernen, dass ein solches Segel so kostbar sein konnte wie das ganze Schiff mitsamt seiner Sklaven. Passte man nicht darauf auf, konnte es reißen, und dann waren Krieger wie Ros und seine Männer eine leichte Beute für ihre Feinde. Ros ging schon lang auf Plünderungsfahrt, er war an den Küsten von Ranrike, Götaland, Schonen, Seeland und im Norden in meiner Heimat Vingulmørk gewesen. Auf der Westseite des Fjordes plünderte er hingegen nicht. Dort landete er nur an, um Handel zu treiben. Die Leute wussten natürlich, wie er zu seinen Waren gekommen war, fragten aber nicht nach. Die Schiffe des Jarls schützten den Handelsweg um die norwegische Südküste herum bis hinauf nach Trøndelag, waren in Viken aber nur sehr selten zu sehen. Dort hatte kein König sich lange an der Macht halten können, sodass die Fahrwasser gesetzlos geblieben waren, ein Reich für selbst ernannte Herrscher und Häuptlinge mit so vielen Kriegern, wie sie sich leisten konnten.

Der junge Däne ruderte nach Kräften, wir alle wussten aber, dass es so nicht weitergehen konnte. Weit draußen auf dem Skagerrak, die Küsten waren schon nicht mehr zu sehen, rutschte ihm das Ruder aus der Hand. Ich zuckte mit dem Oberkörper nach hinten, um ihn wieder aufzuwecken, aber er hing einfach nur in der Kette. Das Gewicht seines Körpers zerrte an meinem Halsring, was es mir unmöglich machte, im Takt zu bleiben.

Ros hatte sich den Großteil des Tages am Bug aufgehalten, im Schoß den Weinschlauch, die Stirn nachdenklich in Falten gezogen. Als er sich dann aber doch aufrappelte und zu dem Jungen vor mir ging, richteten sich alle Blicke auf den Dänen. Ros ohrfeigte ihn, und der Junge antwortete mit einem Stöhnen, bevor er zu weinen begann. Dann versuchte Ros, den Bolzen am Halsring herauszuziehen, aber der war wie bei mir glühend heiß eingehämmert und krumm gebogen worden, sodass er ohne Werkzeug nicht zu lösen war. Ros fluchte, packte die Haare des Jungen und zog ihn mit dem Kopf über die Reling. Dann zückte er sein Messer und stach es ihm tief in die Kehle. Der Junge zuckte zusammen und schlug mit den Beinen aus, während Ros den Kopf abzuschneiden begann. Ein Großteil des Blutes spritzte direkt ins Meer, aber einiges tropfte auch auf Ros’ Unterarme und die Ruderbank und von dort auf meine Füße. Mein Schritt wurde nass, und der Gestank meines eigenen Urins mischte sich mit dem warmen, fast salzigen Geruch des frischen Blutes. Ros wartete, bis der Junge nicht mehr zappelte, bevor er weiterschnitt. Irgendwann wurde der Kopf nur noch vom Rückgrat gehalten, sodass der Mönch Ros ein Schwert reichte, doch dieser hackte weiter mit dem Messer auf den Hals ein, bis der Kopf sich löste, ins Wasser fiel und mit dem Gesicht nach unten abtrieb. Anschließend zerrte er den Körper von der Bank und über die Reling, ehe er sich das Blut von den Händen spülte und sich wieder in den Bug setzte.

Kurz darauf frischte der Wind auf, sodass die Männer das Segel einholten und in Leder einschlugen, bevor sie sich wieder an die Ruder setzten. Auch die meisten von Ros’ Männern mussten sich in die Riemen legen, damit die zehn Ruderpaare bemannt waren. Aus Angst, das gleiche Schicksal wie der junge Däne erleiden zu müssen, gaben wir Sklaven jetzt alles. Wir wollten zeigen, dass wir unser Essen und Trinken wert waren. Ich weiß noch, dass ich ruderte, bis die Blasen an meinen Händen platzten. Das Salzwasser, das immer wieder über uns spritzte, löste die Haut in meinen Handflächen auf, trotzdem ruderte ich in dieser Nacht, als hätte ich all die Toten aus Hels Reich auf den Fersen. Bei Tagesanbruch waren meine Hände steif und taub und klebten wie mit Harz befestigt am Ruder. Als die Sonne im Osten über den Horizont stieg, riefen die Männer lauthals. Es war Land in Sicht.

Ros blieb an der Reling stehen und musterte die Küste, bevor er in Richtung einiger Inseln deutete. Noch einmal mussten wir alles geben, dann glitt das Schiff zwischen Felsen und Schären hindurch in ruhiges Wasser.

Ich hatte Vater über die Siedlung Skiringssal reden hören, wusste aber nicht, dass sie hier lag. Ich sah Mauern aus dem Wasser ragen und weiter oben Warten mit langen Stöcken, an denen Wimpel im Wind flatterten. Sie markierten die Route zu dem Handelsplatz, der einmal die nördlichste Stadt des Dänenkönigs Gudfred gewesen war, jetzt aber den Norwegern unterstand.

Die steinige Küste mit ihren windschiefen Büschen und Wachholdern glich der Landschaft zu Hause. An der Backbordseite lag ein dicht bewaldeter Höhenzug, während weiter hinten in der Bucht Laubwald zu wachsen schien. Wir hatten noch immer reichlich Fahrt, denn Ros fuhr gern mit hohem Tempo in die Häfen ein. Er wartete immer bis zum letzten Moment, bevor er uns den Befehl zum Bremsen gab. Vor uns tauchten bereits die ersten Häuser auf. Sie standen im Windschutz des bewaldeten Höhenzugs und folgten dem nordwestlichen Ufer der Bucht. Sie waren kleiner als zu Hause, Wände und Dächer bestanden aus aufrechten Brettern, was ich nie zuvor gesehen hatte.

Es mussten damals an die hundert Gebäude gewesen sein, von denen viele aber verlassen wirkten. Einige der Dächer schienen unter der Last des winterlichen Schnees eingebrochen zu sein. Einige Menschen lösten die Bretter aus den Ruinen, um sie anderweitig zu verwenden. Der Handelsplatz hatte schon bessere Zeiten gesehen, aber davon wusste ich noch nichts. Wenn es dem Willen mächtiger Männer gefiel, war selbst ein Ort wie dieser dem Untergang geweiht. Unter Gudfreds Führung war hier einst ein wichtiger Umschlagplatz errichtet worden, der für die Händler des nördlichen Jütlands bei gutem Wind in einer Tagesreise erreichbar war. Erzöfen und Schmieden mit großen Blasebälgen waren errichtet worden, es gab Kunstschmiede und Hütten, in denen von morgens bis abends gesponnen wurde.

Mit der Zeit hatten die Häuptlinge im Vestland und in Trøndelag aber mehr Macht bekommen, und damit war das Interesse der Dänen an diesem Außenposten in Viken gesunken. Zudem nahmen die Schiffe des Jarls nur selten Kurs auf den Handelsplatz, sodass Skiringssal langsam, aber sicher ausstarb. Von den neun Schmieden des Ortes wurde nur noch eine genutzt, und von den ehemals zwölf Bootsbauern war nur noch einer geblieben. Doch nicht nur der abnehmende Handel war ein großes Problem. Der Hafen war mit den Jahren versandet, sodass die Schiffe bei Niedrigwasser häufig aufliefen. Es hieß, die Unterirdischen brächten das Land dazu, sich zu erheben, sodass das Wasser aus der Bucht lief.

Vor Bjørns Geburt war Vater mit dem Bauern oft hierher­gesegelt. Er hatte mir von all den seltsamen Dingen erzählt, die es hier gab. Glasperlen in allen nur erdenklichen Farben, Bernstein aus Jütland, Silber- und Goldschmuck und Seide aus Miklagard. Und einmal hatte Vater hier auch einen Sklaven mit beinahe schwarzer Haut gesehen. Seine Haare hätten sich wie Schafspelz angefühlt, und der Oberkörper des Mannes sei von einem Muster kleiner Narben übersät gewesen.

Ros und seine Männer vertäuten das Schiff an einem der langen, hölzernen Anleger, die weit ins Wasser hineinreichten, und führten uns ans Land. Ein Mann mit weißem Bart und einem knielangen, blauen Gewand stand am Ende des Anlegers und hieß Ros und seine Leute willkommen. Er sagte nichts, breitete nur die Arme aus und räusperte sich, ehe er die Hände wieder hinter seinen breiten Ledergürtel schob. Ein paar Kinder standen in der Nähe der Kaianlagen und beobachteten uns aus sicherer Entfernung. Unter ihnen war ein kleiner, zottiger Hund, der auf drei Beinen lief. Das vierte hing schlaff und verkrüppelt herunter.

Der Mann mit dem weißen Bart führte uns über einen Plankenweg, der bis hinauf zum Waldrand reichte. Es war vollkommen windstill, und es roch nach Urin und Kot. Die Kinder wurden von ihren Müttern zurück in die Häuser gescheucht, dafür näherten sich jetzt einige Männer. Unter ihnen einer mit dichtem Bart und einer fleckigen, ledernen Böttcherschürze. Auch der groß gewachsene, magere Bernsteinschmied war gekommen und ein kräftiger Mann mit unglaublich breiten Händen sowie einige Isländer, die in einer Sturmnacht auf Grund gelaufen waren und jetzt gerade ein neues Langschiff bauten. Sie alle beobachteten uns schweigend, bis wir etwa die Mitte der Siedlung erreicht hatten. Wir Sklaven wurden dort an einen Balken gekettet, und Ros und seine Leute verschwanden mit dem Weißbart und den anderen Männern in einem der Häuser.

Der Plankenweg lag etwas erhöht, sodass wir einen guten Überblick hatten. Die Häuser standen ziemlich dicht, und um sie herum lagen Tierknochen, Hundekot und anderer Abfall. Ein Schwein quiekte, ehe es plötzlich still wurde, und etwas entfernt sah ich Pferde auf einer Koppel. Der alte Bernsteinschmied war nicht mit ins Haus gegangen, sondern saß einen Steinwurf von uns entfernt auf einer Bank und arbeitete. Es glänzte golden zwischen seinen Fingern. Immer wieder sah er zu uns herüber. Dann hielt er plötzlich den goldenen Bernsteinklumpen in die Höhe, um ihn uns zu zeigen, und die Sonne ließ sich für einen Moment wirklich darin einfangen. Er lächelte uns zu, ehe er die Finger wieder um den Bernstein legte, ihn einspannte und daran zu feilen begann.

Niemand von uns sagte etwas. Wir waren verängstigt, hatten keine Ahnung, was mit uns geschehen würde. Die Angst war unser ständiger Begleiter. In gewisser Weise hatten wir uns an sie gewöhnt wie Kriegsversehrte an ihre Schmerzen und sprachen wie sie irgendwann nicht mehr darüber.

Es zeigte sich bald, dass die Isländer mit ihrem Schiff fertig waren. Sie mussten nur noch ein paar Taue drehen und Ruder schlagen, dann konnten sie ihre Rückreise antreten. Nur dass ihnen Ruderer fehlten, um über das Meer zu kommen. Die Hälfte von ihnen war bei dem Schiffbruch zu Tode gekommen und jetzt in Walhalla, sodass sie dringend Sklaven brauchten. Die neun Isländer kamen schließlich mit Ros und seinen Männern zurück zum Plankenweg, und einer mit einer Axt unter dem Gürtel legte sechs Silbermünzen, einen Armreif aus schlecht geschmiedetem Gold und ein paar Glasperlen vor sich aufs Holz. Ros fauchte sie an, dass das nicht genug sei, aber die Isländer blieben bei ihrem Angebot für uns alle. Ihr Wortführer schien zu ahnen, dass Ros und seine Männer in Eile waren.

Ros lehnte das Angebot ab und befahl zwei Männern, uns die Nacht über zu bewachen.

In der Morgendämmerung kamen die Isländer mit einem sichtlich betrunkenen Ros zurück. Er lallte den Wachen zu, dass er uns verkauft habe. Dann spuckte er auf den Boden, um zu zeigen, wie schwer der Handel mit den störrischen Isländern gewesen sei, und fügte hinzu, dass sie alle bis auf einen mitnehmen dürften. Sie sollten selbst entscheiden, wen sie nicht wollten. Nach diesen Worten sackte Ros zu Boden und blieb liegen. Die Isländer befahlen uns aufzustehen. Sie musterten uns und berieten sich. Dann kam einer von ihnen mit Hammer und Meißel auf mich zu. Ich musste mich hinknien, während sie die anderen losmachten. Danach geleiteten sie alle außer mir über den Plankenweg zu ihrem Schiff.

Ich blieb bis zum Morgen sitzen, von niemandem bewacht. Die Kette war noch immer an dem Ring im Plankenweg befestigt, ich wäre aber wohl auch nicht geflohen, wäre ich nicht angekettet gewesen. Mein ganzer Körper war wie taub, ich fühlte mich weder lebendig noch tot. Erst als der dreibeinige Hund zu mir kam, wurde ich wach. Er reichte mir kaum bis ans Knie. Das verkümmerte Hinterbein weckte mein Interesse. Die Sehne schien durchtrennt worden zu sein, dort hatte der Hund jedenfalls eine Narbe. Das Tier leckte am Halsring des Dänen, der noch auf dem Boden lag. Einen derart jämmerlichen Hund hatte ich nie zuvor gesehen. Durch den Pelz war jede Rippe zu erkennen. Außerdem war das Tier mit Wunden übersät. Ein Mann ist verpflichtet, sich um seine Tiere zu kümmern, sagte Vater immer. Und ein Hund ist von allen das ergebenste und treueste. Die Hunde der Händler oder die Jagdhunde der Bauern waren immer gut genährt und hatten glänzendes Fell.

Plötzlich sah ich, wie Ros sich in den Bug seines Schiffes stellte und die Männer sich auf die Ruderbänke setzten. Dann verließen sie mit dem letzten Rest des ablaufenden Wassers den Hafen. Ros musste zu der Erkenntnis gelangt sein, dass er mich nicht mehr brauchte. Er hatte mich zurückgelassen, weggeworfen wie eine Ware, für die er keine Verwendung hatte.

Kurz darauf holten mich zwei Männer. Einer von ihnen hatte bei unserer Ankunft am Plankenweg gestanden, der andere schien sein Bruder zu sein. Ich folgte ihnen zwischen zwei Häusern hindurch zu einer Hütte, vor der ein alter Mann saß und unzufrieden auf einen entrindeten Kiefernstamm starrte. Der Platz um ihn herum war mit Holzspänen bedeckt. Über einem Feuer hing ein Topf mit dampfendem Wasser.

»Halvdan«, sagte einer der Männer.

Der Alte wandte sich uns zu, sah mich an, seufzte tief und kam auf krummen Beinen auf mich zu. »Dreh ihn um, Ragnar.«

Sie hielten mich mit dem Rücken zu dem Alten, und ich spürte seine harten Daumen an meinen Handflächen. »Hm«, sagte er. »Er ist noch ein Junge. Aber das wird schon gehen. Wie viel hast du bezahlt?«

»Sechs Silberstücke«, sagte der Bärtige.

Der Alte räusperte sich und spuckte aus, ehe er zurück zur Hütte schwankte. »Bringt ihn rein!«

»Was ist mit der Kette?«, fragte der Bärtige.

»Was glaubst du denn, mach sie ab!«

Sie befahlen mir, mich an einem Hauklotz hinzuknien, und schlugen die Kette ab. Mit einem Mal war ich frei. Zuerst wichen die Männer einen Schritt vor mir zurück, als hätten sie Angst, dass ich wild werden und um mich schlagen könnte, doch als ich einfach stehen blieb, nahmen sie mich zwischen sich und brachten mich in die Hütte. Darin war es ziemlich eng, fast wie zu Hause. Aber Vater hatte alles in Ordnung gehalten, jeder Gegenstand hatte bei ihm seinen festen Platz gehabt, während hier drinnen alles durcheinander lag. Gebrochenes Bogenholz, Tassen, kaputte Eichenfässer und Bündel von Sehnen. Der Boden war weitestgehend mit Fellen bedeckt, die aber schon ihren Pelz verloren hatten. Der Tisch war voller Brandflecken, und in einer Ecke lagen abgekaute Knochen. Der Alte stand an einem Fass ganz hinten in der Hütte und füllte ein Horn. Die beiden Brüder ließen mich los, und einer der beiden gab mir einen kräftigen Stoß in den Rücken, sodass ich neben der Feuerstelle zu Boden ging. Der Alte trank einen Schluck und kratzte sich den Bart, ehe er den Blick auf mich richtete. Die Sonne schien durch die Hüttentür und teilte den Innenraum in eine dunkle und eine helle Hälfte. Der Mann sah erschöpft aus. Die ganze Kraft seiner Jugend schien aus seinen Schultern und Oberarmen gewichen zu sein. Nur seine Unterarme sahen noch stark aus.

»Ich bin Halvdan, der Bootsbauer«, sagte er. »Wie alt bist du?«

»Zwölf Winter«, antwortete ich.

Halvdan kratzte sich noch einmal den Bart und schien nachzudenken. »Wie heißt du?«

»Torstein.«

»Und wie heißt dein Vater?«

»Tormod.«

»Aber er ist nicht hier.« Der Alte legte den Kopf zur Seite und wirkte bei diesem Satz fast traurig.

»Vater ist tot«, erklärte ich. »Der Mann auf dem Schiff, Ros, hat ihn getötet.« Ich musste all meine Kraft zusammennehmen, um dem Alten das sagen zu können, ohne den Blick niederzuschlagen.

Er nickte vor sich hin und nahm einen Stock, der auf einem Brett an der Wand lag. Ich sah gleich, dass es Eibenholz war, denn es war zweifarbig. Außen hell und innen dunkel.

Er reichte mir das Holz. »Hast du schon mal Bögen gemacht?«

»Ja. Viele.«

»Dann komm mit mir nach draußen, Torstein Tormodson. Ich werde dir zeigen, wie du einen Bogen zurechtschnitzen musst, damit seine Pfeile sogar noch Kettenhemden durchschlagen.«

Ich hatte wirklich schon viele Bögen gebaut, die meisten davon aus Eibe, diesem göttlichen Holz, das es bei uns auf der Halbinsel so häufig gab. Vater hatte mir und Bjørn das Bogenschnitzen beigebracht, und deshalb gefiel es mir gar nicht, dass mir nun ein anderer das Handwerk zeigen wollte. Halvdan Bootsbauer setzte sich auf einen Hocker und stellte das eine Ende des Eibenstocks fest zwischen seine Füße. Er schnitzte nicht, wie ich es tat, sondern fuhr mit der Klinge nur leicht über das Holz, sodass sich winzige, haarfeine Späne lösten. Bei der Arbeit erklärte er mir, dass seine Boote kaum noch gefragt seien, weshalb er begonnen habe, Bögen zu machen. Die könne er noch verkaufen.

Nachdem er eine ganze Weile Späne vom Holz gekratzt hatte, sollte ich es probieren. Ich erinnerte mich inzwischen daran, dass auch Vater es mir so gezeigt, ich seinen Rat aber nie befolgt hatte, weil es mir einfach zu lange gedauert hatte, bis ein Bogen fertig war.

Die Methode des alten Mannes war zeitaufwendig. Den Stock, an dem ich an jenem Tag arbeitete, hatte er seit dem letzten Sommer getrocknet, und ich sollte ganze drei Tage daran sitzen, bis Halvdan zufrieden war. Zu guter Letzt musste dann noch eine Sehne aus Pferdehaaren gesponnen und mit Bienenwachs eingerieben werden. Als der Bogen fertig war, schickte Halvdan mich in ein ganz bestimmtes Waldstück, in dem Bäume mit geraden Zweigen wuchsen, denn nur diese eigneten sich für die Pfeile. Schließlich mussten Federn und Pfeilspitzen angesetzt werden, ehe der Bogen endlich ausprobiert werden konnte. Erst dann war der Alte zufrieden.

Gegen Abend kamen die beiden Männer, die mich vom Plankenweg geholt hatten. Sie hatten frisch gefangenen Dorsch in einem Korb und brieten ihn über der Feuerstelle vor der Hütte. Ich hatte mittlerweile seit gut zwei Tagen nichts mehr gegessen, sodass allein schon der Geruch meinen Magen zittern ließ. Die Männer schnitten Stücke vom Fisch und schoben sie auf Spieße. Der alte Halvdan holte sich einen Stuhl, setzte sich zu ihnen und starrte in die Glut.

»Lass den Jungen nicht zu lange mit dem Bogen arbeiten«, sagte der Mann, den ich mittlerweile als Ragnar kannte.

Der Alte erwiderte, er habe auch noch Eschenholz, er wisse gar nicht, wie viel gutes Holz er noch auf Lager habe. Dann spuckte er auf die Späne, räusperte sich und hustete.

Ich durfte mich zum Essen zu den dreien setzen. Während die Sonne über den Bäumen unterging und die zwei jüngeren Männer den Fisch verschlangen, wurde der Alte melancholisch. Er sah über das Meer, bewegte die Schultern leicht hin und her und fuhr sich mit dem Finger unter der Nase entlang. Dann fiel sein Blick wieder auf die Bäume. Der ablandige Wind riss ein paar Blätter mit sich, die über die Hausdächer wirbelten.

»Junge«, sagte er. »Sei nicht verbittert. Alle Männer haben ihr Schicksal.«

»Die Nornen«, warf Ragnar ein.

»Ja«, bestätigte der Alte nickend. »Hat dir dein Vater von den Nornen erzählt?«

»Ja«, sagte ich.

»Dann weißt du auch, dass die Nornen die Lebensfäden aller Männer spinnen.« Halvdan drückte Daumen und Zeigefinger zusammen, als hielte er einen Faden in der Hand. »Manche haben Knoten, andere sind ganz glatt und wie aus feinster Seide gesponnen. Und doch …« Er machte eine Schere aus Zeige- und Mittelfinger der anderen Hand. »… schneiden sie sie durch.«

Auch wenn ich damals erst zwölf Jahre alt war, verstand ich, dass er mir drohte. Ich starrte auf mein Fischstück und wollte nichts mehr hören. Versuchte ich zu fliehen, würden sie mich töten.

»Es gibt drei Arten von Menschen, Torstein. Jarle, freie Männer und Sklaven. Wir sind alle Nachkommen von Heimdall, dem Stammvater aller Geschlechter und Sippen auf dieser Welt. Was glaubst du, was bist du für ein Mann, Torstein?«

»Er ist kein Mann«, sagte der jüngere der Brüder amüsiert. Sein Name war Steinar, aber das wusste ich damals noch nicht. »Er ist doch noch ein Junge.«

»Er ist alt genug«, meinte Halvdan.

In diesem Moment erblickte ich den dreibeinigen Hund. Er hinkte über den Plankenweg auf unsere Hütte zu, blieb jedoch stehen und wagte sich nicht näher heran.

»Der schon wieder«, sagte Ragnar. »Gib ihm nichts, dann geht er von allein.«

Irgendetwas kam in diesem Augenblick über mich. Zum ersten Mal seit meiner Gefangennahme wich die immer­währende Angst. Ich hielt ein dampfendes Fischstück in der Hand und wusste die Blicke der Männer auf mir. Ragnars Augen verfinsterten sich, und er ballte die Hände zu Fäusten. Trotzdem begegnete ich seinem Blick, und irgendwie verließ das Fischstück meine Hand und landete direkt vor dem kleinen Hund, der es sich blitzschnell schnappte und davonhinkte.

Ragnar beugte sich über den Tisch und packte meinen Arm, aber der Alte legte die Hand auf seine Faust und schüttelte den Kopf. Ragnar ließ mich daraufhin los und ging.

Als auch Steinar ging, zog Halvdan sich in die Hütte zurück. Durch die offene Tür sah ich ihn mit einem Krug am Tisch sitzen. Zum ersten Mal, seit mir der Sklavenring um den Hals gelegt worden war, hatte ich tatsächlich die Möglichkeit zu fliehen. Niemand bewachte mich, und noch bevor der Alte überhaupt die Hütte verlassen hätte, wäre ich mehr als einen Pfeilschuss entfernt gewesen. Ich machte ein paar vorsichtige Schritte in Richtung Waldrand. Dort in den Schatten unter den Bäumen wartete die Freiheit. Trotzdem wagte ich es nicht.

»Eine gute Entscheidung«, sagte Halvdan, als ich in die Hütte kam. »Sie hätten dich noch vor der Dämmerung gefunden.«

Dann nahm er einen tiefen Schluck von seinem Bier. Er trank noch den ganzen Abend, bis ihm der Krug aus der Hand fiel und sein Kinn auf die Brust sackte.

Ich verbrachte die Nacht auf einem Fell dicht am Feuer. Der Alte selbst hatte seine Schlafstatt an der Wand, auf der einige harsch riechende Decken lagen.

In dieser Nacht träumte ich von meinem Bruder. Er stand am Bug eines Schiffes, den Blick in die Ferne gerichtet. Die langen braunen Haare hingen ihm über den Rücken. Dann war es mit einem Mal so, als wäre ich er und sähe mit seinen Augen. Dunkel­heit kroch hinter dem Horizont hervor, breitete sich aus und wurde zu hundert Langschiffen.

Als ich aufwachte, dämmerte es bereits. Ich stand auf und ging nach draußen. Ein Schiff segelte aus der Bucht. Es waren die Isländer, an Bord die anderen Sklaven, die mit mir auf der Ruderbank gesessen hatten. Ich sollte sie nie wiedersehen noch jemals erfahren, was aus ihnen geworden war.

3Die Weissagung

Vater erzählte nie, was wirklich geschehen war. Mein Bruder und ich verstanden aber, dass ihm etwas Schlimmes widerfahren sein musste. Die Bauernsöhne sagten, er sei Krieger gewesen und habe für den Ladejarl in Trøndelag viele Menschen getötet. Sie wussten das von ihrem Vater, der aber auch wortkarg blieb, wenn dieses Thema zur Sprache kam. Ich dachte immer, dass die beiden alten Männer gemeinsam auf Plünderungsfahrt gewesen waren, denn Vater ging manchmal zum Hof und saß dann lang mit dem Bauern am Tisch, während Frauen, Kinder und Gesinde sich fernhalten mussten. Wenn sie nebeneinander saßen und leise über vergangene Zeiten redend in ihre Bierkrüge starrten, ahnte ich, dass sie eine Art Pakt geschlossen hatten. Bjørn und ich wurden nämlich häufig zum Hof geschickt, um Korn zu holen, Kohl oder auch mal einen Topf Honig. Der Bauer sorgte dafür, dass wir keinen Hunger litten. Aber ob Vater als Gegenleistung den Fjord im Auge behielt oder der Bauer ihn bezahlte, um ihn so auf Abstand zu halten, erfuhr ich nie. Gerüchte gab es reichlich. Vater war ein Mann, um den sich viele Geschichten rankten, er selbst verlor aber selten ein Wort über sich. Wir wussten lediglich, dass Mutter bei meiner Geburt gestorben war. Sie war eine hübsche Frau gewesen, und die Trauer über ihren Verlust hatte Vater fast gebrochen. In ihren letzten Tagen hatte sie im Fieber gelegen, das auch beinahe mich befallen hätte. Vater hielt mich immer in den Armen, wenn er darüber sprach, er sah mir in die Augen und betonte, dass ich niemals glauben solle, es wäre meine Schuld gewesen. Die Nornen sponnen die Lebensfäden von jedem Mann und jeder Frau, und nichts und niemand konnte daran etwas ändern.

Über sein Leben vor unserer Geburt erzählte er nicht viel. Aber wir kannten die Narbe auf seinem Rücken, ein gut handbreiter Streifen gleich unter seinem Schulterblatt. Wie von einer Dänenaxt, meinte mein Bruder. Etwas anderes konnte es kaum gewesen sein, denn er hatte schon einmal einen Mann mit einer solchen Narbe gesehen. Der hatte einen Axthieb auf seine Rüstung bekommen, ohne dass die Schneide das Kettenhemd durchschlagen hatte.

Vater mochte das Gerede nicht, ebenso wenig unser Drängen, uns den Kampf mit Axt und Schwert zu lehren. »Es herrscht Frieden«, pflegte er zu sagen. Trotzdem warf er immer wieder wachsame Blicke über den Fjord. Manchmal dachte ich, dass er gar nicht nach Feinden Ausschau hielt, sondern nach Freunden. Insgeheim nährte ich die Hoffnung, dass Mutter bei meiner Geburt nicht gestorben, sondern aus einem uns nicht bekannten Grund nach Westen gesegelt war und Vater deshalb immer Ausschau hielt.

Jetzt war ich es, der den Fjord im Blick behielt. Schon am ersten Tag, nachdem Halvdan mich gekauft hatte, erzählte er mir, dass es ungewöhnlich sei, hier oben in Viken versklavt zu werden, und noch ungewöhnlicher, so nah an der Heimat wieder verkauft zu werden. Aber Vater hatte keine lebenden Verwandten mehr, mein Bruder und ich waren die letzten unserer Sippe. Deshalb kümmerte es auch niemanden, dass ich jetzt als Sklave auf der anderen Seite des Fjordes lebte. Niemanden außer Bjørn. Mein Bruder war fünf Jahre älter als ich. Ich selbst musste jetzt dreizehn sein, da ich im neunten Mond des Jahres auf die Welt gekommen war. Bjørn war jetzt sicher groß und stark. Sollte er jemals zurückkommen, würde er bestimmt gleich erfahren, dass der Hof geplündert und niedergebrannt worden war. Er würde die Asche aufgraben und Vaters Knochen finden, meine aber nicht. Und dann würde er zu suchen beginnen. Er würde herumreisen und sich erkundigen, wohin die Angreifer verschwunden waren. Und vielleicht würde er zu guter Letzt hierher zum Handelsplatz segeln und mich finden. Seine blauen Augen würden dann vor Glück und Wut aufblitzen. Glück, weil er mich gefunden hatte, und Wut darüber, dass ich den Sklavenring um den Hals trug. Mit raschen Schritten käme er dann hinauf zur Hütte, zückte sein glänzendes Schwert und fauchte den Alten an wie einer von Odins Wölfen. Und dann würde er mich in seine Arme nehmen, wie es nur ein großer Bruder kann, und ich würde wissen, dass ich endlich, endlich in Sicherheit war, und gemeinsam mit ihm auf seinem Langschiff fortsegeln.

Diesen Traum hatte ich oft. Wenn ich am Bogenholz stand und Späne herunterschabte, trugen meine Gedanken mich fort. Ich schmückte sie aus, sah uns über den Plankenweg nach unten zum Hafen gehen. Ich gab dem Schiff farbenfrohe Schilde an der Reling und zwanzig Ruder auf jeder Seite. An Bord gab es keine Sklaven, nur freie Männer wie meinen Bruder, die in ihre Bärte lächelten und aussahen, wie mein Vater als junger Mann ausgesehen haben musste.

Halvdan Bootsbauer schüttelte den Kopf über mich, wenn ich mich derart in meinen Tagträumen verlor. »Die Welt dort draußen ist ein grausamer Ort«, sagte er. »Nicht wie in deinen Geschichten, Junge. Ganz und gar nicht.«

Ich hatte damals bereits verstanden, dass die Bewohner des Handelsplatzes den Ladejarl nicht gerade als klugen und gerechten Herrscher ansahen. Ich fand das seltsam, denn Vater hatte immer nur warme Worte über ihn verloren. Er nannte ihn nur Håkon, sprach über ihn wie über einen Freund und war überzeugt davon, dass wir den Frieden im Land nur ihm zu verdanken hatten. Zwar scherte es Jarl Håkon kaum, was in Viken vor sich ging, aber er respektierte die Beschlüsse des Things und forderte keine zu hohen Steuern ein. Ich verstand damals noch nicht viel davon, wusste aber, dass sowohl mein Vater als auch der Bauer Jarl Håkon für einen guten Mann hielten.

Deshalb überraschte es mich, als Ragnar eines Tages mit finsterem Blick und geballten Fäusten zu uns kam. Halvdan saß auf einem Kiefernstamm, den wir tags zuvor gefällt hatten, und trank. Ragnar ließ sich schwer neben ihn fallen und murmelte, dass am Morgen ein Handelsschiff aus dem Westen gekommen sei. Die Männer hätten Nachrichten aus Hålogaland gebracht. Ein dort ansässiger Großbauer namens Hårek habe sich geweigert, die Steuern zu bezahlen. Jarl Håkon habe den Hof daraufhin aus Rache plündern lassen. Keiner der Männer auf dem Hof habe überlebt, und die Frauen seien im Blut ihrer Männer vergewaltigt und dann nach Westen über das Meer gebracht und versklavt worden.

Halvdan schüttelte den Kopf. Er hatte mir ein paar Tage zuvor gesagt, dass es schon immer Gerüchte über den Jarl gegeben habe, speziell über seine Gier nach Frauen und Gold. Etwas Wahres musste schon daran sein, dafür waren diese Geschichten einfach zu häufig. Wenn es wirklich stimmte, dass der Jarl sich an anderen Frauen vergriff, würde es nicht lange dauern, bis er mächtige Männer gegen sich aufbrachte.

Ich hieb an diesem Tag eine Planke grob zurecht, hatte die Axt aber ruhen lassen, um zu hören, was gesprochen wurde. Dann kam der dreibeinige Hund auf den Hof, und ich hockte mich hin und rief ihn zu mir. Ich gab ihm inzwischen regelmäßig etwas von meinem Essen und hatte ihn damit und mit den Kräutern des Bernsteinschmieds, die ich ihm gegen die Würmer unter das Fleisch gemischt hatte, am Leben gehalten. Auch ich nahm diese Kräuter und fand in meinem Kot glücklicherweise weder Würmer noch Eier. Halvdan hingegen hatte welche, wie man in der Abortgrube sah.

Es sollten in diesem Herbst noch weitere Geschichten über Jarl Håkon hinzukommen. Niemand im Dorf wusste, ob sie wahr waren, trotzdem hatten der Jarl und seine Söhne mit der Zeit auf beiden Seiten des Fjordes einen schlechten Ruf. Harald der Rote, Häuptling und Herrscher in Skiringssal, bereitete das zunehmend Sorgen. Er hatte gegen den mächtigen Ladejarl und dessen Söhne nichts auszurichten, und wenn er Skiringssal nicht mehr schützen konnte, verlor er seinen Führungsanspruch und durfte dann auch keine Steuern mehr einfordern. Die Beträge waren nicht hoch, aber die Menschen bezahlten ihn ja auch nur, damit seine Männer mit Schwertern und Äxten bereitstanden, sollten sich Plünderer nähern.

Ich arbeitete jetzt schon drei Monde bei Halvdan. Langsam ging es auf den Winter zu. Morgens, wenn der Alte in seinen Fellen lag und hustete, ging ich in den Wald, um Wasser zu lassen. Mein Blick schweifte durch die Bäume, und ich fragte mich, ob ich mir nicht einfach einen der Bögen nehmen und fortlaufen sollte. Andererseits wusste ich, dass die Männer mir mit Pferden nachsetzen würden, und dann musste ich entweder kämpfen oder mich gefangen nehmen und brandmarken lassen. Ich war ein ziemlich guter Bogenschütze, aber wäre ich dazu in der Lage, einen Mann zu töten? Vater hatte gesagt, das sei gar nicht so leicht, wie die Menschen es sich einbildeten. Also blieb ich zwischen den mächtigen Eichen und Eschen stehen und starrte auf den Bodennebel, der noch zwischen den Farnkräutern hing.

Halvdan hatte den Bau eines Byrdings begonnen, eines leichten, schmalen Bootes mit zwei Ruderpaaren, das Platz für drei bis vier Männer und ein paar Fässer Proviant bieten sollte. Er baute das Boot auf dem Platz vor seiner Hütte. Fertig war bis jetzt nur der Rumpf, aber der Bug zeigte bereits gen Meer, und unter dem Kiel lagen runde Eichenstämme. Halvdan baute das Boot für seine Söhne, es sollte fertig sein, wenn sie von der Fahrt nach Westen zurückkamen. Sie brauchten dann nicht mal ihre Seesäcke auszupacken, sondern konnten gleich umladen und wieder losfahren, und der Alte wollte sie begleiten.

Ich durfte ihm beim Bau des Bootes nicht helfen, wohl aber Ragnar und sein Bruder Steinar. Meine Aufgabe war es, Bäume zu fällen, die Planken grob zuzuhauen und Rohlinge für Bögen zu finden. Eiben gab es in einem Waldstück einen halben Tagesmarsch entfernt, in das Halvdan mich oft schickte. Er schien nicht zu befürchten, dass ich mich absetzen könnte. Ich durfte kein Pferd mitnehmen, sondern musste die Stöcke auf der Schulter nach Hause tragen. Am nächsten Tag spaltete ich die Hölzer dann mit einem Keil, ehe ich sie zum Trocknen in die Hütte hängte.

Halvdan hielt sich an die Regel, dass nur jeder vierte Bogen aus Eibenholz sein sollte. Die Späne des Holzes könnten die Lunge eines Mannes zerstören, und er behauptete, seinen üblen Husten vom Eibenholz bekommen zu haben. Aus diesem Grund arbeitete ich meistens mit Eschen-, Kiefern- oder Ulmenholz. Damals ahnte ich nicht, dass dieses Handwerk mir in meinem Leben noch helfen sollte, aber schon in jenem Herbst spürte ich, wie gerne ich mit Holz hantierte. Obwohl ich Sklave war und der Eisenring schwer um meinen Hals lag, vergaß ich beim Arbeiten manchmal die Zeit. Um einen guten Bogen zu bauen, musste man den Adern des Holzes folgen, sehen, wie sie sich um die Astlöcher bogen, aus welcher Seite der Wind gekommen war und wo die Spannkraft lag. In den härtesten Jahren entstand das Holz mit der größten Kraft, dann lagen die Linien eng beieinander. Hatte der Baum noch dazu auf magerem Grund oder in einer Felsspalte gestanden, hatte man Material für große Krieger in der Hand. Daraus wurde aber nur dann ein guter Bogen, wenn der Bogenbauer sein Handwerk und das Stück Holz in seinen Händen liebte. Halvdan redete an einem unserer ersten Abende darüber. Damals verstand ich ihn noch nicht. Es sollten noch Wochen vergehen, bis ich meinen ersten selbst gemachten Bogen in der Hand hielt und selbst spürte, wovon er gesprochen hatte. Dieser Bogen war nicht wie die, die mein Bruder und ich zu Hause auf der Halbinsel angefertigt hatten, um damit zu spielen. Dieser Bogen war eine Waffe, und wenn ich vorsichtig die Sehne spannte, fühlte er sich beinahe wie ein lebendes Wesen an. Er sollte bald darauf unten am Kai verkauft werden und mit über das Meer segeln. Vielleicht begleitete er seinen neuen Besitzer bis nach Jütland. In Gedanken sah ich einen Krieger auf dem Danewerk stehen, der mächtigen Wallanlage, die sich dort unten quer durch das ganze Land zog, und Pfeile auf die wilden Franken abschießen. Oder der Bogen reiste mit nach Westen in die englischen Wälder. Ich, der Sklave des Bootsbauers in Skiringssal, wäre dann in gewisser Weise dabei.

Obwohl ich in jenem Herbst viele Bögen anfertigte, war der Bootsbau Halvdans eigentliches Handwerk. Der Alte schien aber nur Interesse an seinem kleinen Boot zu haben, weshalb es an mir war, Sachen herzustellen, die auch verkauft werden konnten. Neben Bögen und Pfeilen zimmerte ich auch Schilde, deren Ränder Halvdan mit Rehleder verstärkte, sowie Spanten und Schiffsplanken. Dann begann auch ich, kleine Boote zu bauen. Sie brauchten nicht einmal dicht zu sein, da sie nicht für das Meer bestimmt waren, sondern nur für Beerdigungen. Die meisten ansässigen Handwerker waren alt, weshalb Halvdan meinte, dass sie den Handelsplatz mit Sand unter dem Kiel verließen und nicht über das Meer. Dann beklagte er das Unglück, dass seine Söhne ihn verlassen hätten und er im Alter ganz allein sei. Eines Abends fragte er mich angetrunken und gedankenlos, ob ich mir vorstellen könne, wie schlimm es sei, seine Familie nicht mehr um sich zu haben. Ich antwortete nicht.

Wenn der alte Mann nicht an seinem Boot baute, war er meistens im Wald in seiner kleinen Hütte. Nur ein paar simple Bretterwände und ein Dach aus Zweigen, unter denen sein Bier reifte. Er redete davon, es den Häuptlingen zu verkaufen oder anderen reichen Leuten, aber ich sah ihn nie auch nur ein einziges Fass veräußern. Ich glaube, er hat jeden Tropfen selbst getrunken.

Ich arbeitete an meinem vierten Totenboot, als es Halvdan schlechter ging. Der erste Schnee war gefallen, und ich erinnere mich, dass ich lederne Kleider bekommen hatte, die mit Bienenwachs abgedichtet worden waren, Wollsocken und ein Paar von Halvdans alten Schuhen. Ich war an jenem Morgen früh auf, denn die Tage waren nur noch kurz, und ich wollte das Boot fertigstellen, bevor es Abend wurde. Halvdan kam aber nicht aus der Hütte. Er blieb auf seinem Lager liegen, und ich hörte seinen schlimmen Husten.

Kurz darauf kamen Ragnar und Steinar. Sie hörten das Röcheln und sahen sich besorgt an, ehe sie die Hütte betraten. Sie blieben nicht lange. Traurig gingen die beiden zum Byrding, und Ragnar fuhr mit der Hand über den Bugsteven. Es fehlten noch immer die meisten Bordplanken. Für mich glich das kleine Schiff einem riesigen Tier, das auf dem Rücken gestorben und von dem nur noch das Rückgrat zu sehen war.

An jenem Tag sagten sie kein Wort zu mir. Sie hieben ein paar Planken zurecht und fingerten mit dem Bogenbohrer herum, ehe Ragnar noch einmal zu dem Alten hineinging. Als er herauskam, sah er blinzelnd über die Bucht, rief seinen Bruder zu sich, und dann verschwanden sie in die untergehende Sonne.

Ich blieb im Freien stehen. Die Bucht fror langsam zu. An Handel war bis zum Frühjahr nicht zu denken, denn war der Fjord erst vereist, konnte niemand mehr zu uns vordringen. Nur die ältesten Handwerker überwinterten im Dorf. Ihnen allen ging es wie Halvdan: Ihre Söhne waren in Richtung Westen aufgebrochen, und die Alten selbst hatten keinen anderen Ort, an den sie gehen konnten.

An jenem Abend spürte ich eine gewaltige Unruhe in mir. Ich blieb draußen stehen, bis die Sonne ganz im Meer versunken war und sich die Dunkelheit über dem Handelsplatz ausgebreitet hatte. Als ich in die Hütte kam, saß Halvdan am Tisch und hustete. Zwischen den Anfällen zitterte er am ganzen Körper. Ich musste den Feuerhaken in die Glut legen und dann in seinen gefüllten Krug tauchen, denn warmes Bier half seiner Meinung nach gegen alles.

Der dreibeinige Hund lag bereits auf meinem Fell am Feuer. Ich hatte ihn Fenris getauft, nach dem riesenhaften Wolf, der Tyr versehentlich die Hand abgebissen hatte. Diese Geschichte hatte Vater Bjørn und mir oft erzählt, als wir klein waren. Halvdan lachte über den Namen, er fand es dumm, dass ich mein Essen mit einem Hund teilte, den man aus Barmherzigkeit eigentlich töten sollte. Ich hatte aber gesehen, wie er Fenris gestreichelt hatte, wenn er sich unbeobachtet glaubte, und jetzt, da es draußen kälter geworden war, ließ er ihn bei uns in der Hütte schlafen.

Fenris schlief an diesem Abend direkt an meinem Bauch ein, er war warm und zuckte nachts im Schlaf mit den Beinen. Vater hatte einmal von etwas gesprochen, das er als »Herz eines Kriegers« bezeichnet hatte. Es reiche nicht, mutig zu sein. Ein Krieger müsse auch Güte in sich haben. Ohne sie sei er nur ein Untier, wie Odins Söhne sie bekämpft hatten. Vater hatte damals zum Himmel gezeigt. Dunkle Schatten sammelten sich über dem Fjord, und mit einem Mal sahen wir einen Blitz wie ein gezacktes Schwert ins Meer zucken. Das war Thor, sagte Vater. Er hat sich wieder auf die Reise gemacht. Auf die Suche nach Ungeheuern, Menschen ohne Güte. Häuptling, freier Mann oder Sklave spielte für ihn keine Rolle. Männer ohne Güte, wer sie auch waren, dürften von Thor keine Gnade erwarten. Er zerschmettere sie alle mit seinem mächtigen Hammer Mjölnir.