VIKING − Kampf in Vinland - Bjørn Andreas Bull-Hansen - E-Book
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VIKING − Kampf in Vinland E-Book

Bjørn Andreas Bull-Hansen

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Beschreibung

Die Entdeckung eines neuen Landes. Ein erbitterter Kampf um Macht. Und die Hoffnung auf ein neues Leben.

Norwegen im Jahre 1001: Als Oberhaupt der Jomswikinger, einer Kompanie von Wikingersöldnern, wird Torstein Tormodson in ganz Skandinavien gefürchtet. Doch nach seiner letzten Schlacht muss er der Vergeltung seines Erzfeindes entkommen und flieht nach Westen. Damit er seiner Familie eine Zukunft sichern kann, macht er sich auf die Suche nach den mythischen Lärchenwäldern, die einer Sage nach auf der anderen Seite des Ozeans zu finden sind – in dem Land, das die Wikinger »Vinland« nennen. Aber Vinland ist voller Gefahren und schon bald muss Torstein in einer großen Schlacht um sein Leben kämpfen. Wird er jemals wieder mit seiner Familie vereint sein?

»Der skandinavische Bestseller VIKING erzählt fesselnd von der nebelverhangenen Welt der Fjorde.« Frankfurter Neue Presse über »Viking«

Episch, atmosphärisch, aufregend – entdecken Sie auch die weiteren Romane der Jomswikinger-Reihe:
Band 1: VIKING
Band 2: VIKING – Kampf in Vinland
Band 3: VIKING – Die Armee der Dänen

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 895

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BJØRN ANDREAS BULL-HANSEN ist großer Fan der altnordischen Kultur und beschreibt sich selbst als »Wikingerbarde«. Er ist zudem mehrfacher nationaler Meister im Kraftdreikampf. Mit seinem Blog und seinen Videos rund um die (Über-) Lebenskünste der Wikinger sowie moderne Survival-Themen begeistert er tausende Fans. Seine Jomswikinger-Romane standen monatelang auf der norwegischen Bestsellerliste und werden auch in Deutschland begeistert gefeiert.

VIKING in der Presse:

»Der skandinavische Bestseller VIKING erzählt fesselnd von der nebelverhangenen Welt der Fjorde.« Frankfurter Neue Presse

»Ein rasanter Roman voller unvorhersehbarer Wendungen mit detaillierten Beschreibungen einer Zeit, die lange vor unserer zu Ende ging.« Bremervörder Zeitung

»Bjørn Andreas Bull-Hansen legt mit VIKING einen fulminanten Start seiner Wikinger-Saga vor.« HISTOcouch.de

Außerdem von Bjørn Andreas Bull-Hansen lieferbar:

VIKING. Eine Jomswikinger-Saga

Besuchen Sie uns auf www.penguin-verlag.de und Facebook.

Bjørn Andreas Bull-Hansen

VIKING

Kampf in Vinland

EINE JOMSWIKINGER-SAGA

Roman

Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel Jomsviking – Vinland bei Gyldendal Norsk Forlag, Oslo.

This translation has been published with the financial support of NORLA

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2018 der Originalausgabe by Gyldendal Norsk Forlag (All rights reserved.)

Copyright © 2021 der deutschsprachigen Ausgabe by Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Eva Stadler

Umschlaggestaltung: bürosüd nach einem Entwurf von Henrik Koitzsch/koitz.dk

Umschlagabbildungen: Shutterstock /Algol, Bjørn Andreas Bull-Hansen (2)

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-27261-6V001

www.penguin-verlag.de

Ich habe für meine Söhne und ihre Nachkommen geopfert. Habe die Götter angefleht, dass die Welt, die ich bald verlassen werde, ihnen gegenüber milder ist als sie es zu mir war.

Aber die Götter hören mich nicht. Die Felder um mich herum sind vom Blut junger Männer getränkt, und Kriegerkönige herrschen wie wilde Tiere.

Einst war ich selbst wie sie. Die Gedanken daran halten mich abends wach. Wenn die Männer betrunken unter ihren Fellen liegen und das Feuer niedergebrannt ist, gebe ich mich meinen Erinnerungen hin. In diesen Momenten kann ich beinahe die Hand ausstrecken und die Freunde berühren, die mich schon vor langer Zeit verlassen haben … und die Frau, die ich geliebt habe.

Alter Mann … ich starre in den Bierkrug. Meine innere Stimme klingt fremd, als stünde ein anderer hier im Dunkeln und redete mit mir. Sie fordert mich auf, an glücklichere Zeiten zu denken, an Tage, als wir noch jung und stark waren und sich uns niemand, nicht einmal Könige, in den Weg stellen durfte. Erinnerst du dich nicht? Patuxet … Matanuga … Wendigo … Dort im Westen, wo alles anders wurde …

1 Keines Mannes Diener

Die ganze Nacht über hatte ich dagesessen und gelauscht. Erst war es nur ein leises Jammern gewesen, immer wieder unterbrochen von Momenten der Stille, in denen wir keinen Laut hörten. Dann, gegen Sonnenaufgang, hatten die Schreie begonnen. Sie waren durch die halb offene Tür des Langhauses gedrungen, sodass die Männer auf der Wiese unruhig geworden waren und Bjørn seine Arme um mich legen und mich festhalten musste. Es könnte ein langer Morgen werden, meinte er. Und dass wir nichts tun könnten, nur warten.

Und ich wartete. Die Männer, die gekommen waren, um mit mir zu wachen, tranken still aus ihren Krügen. Ich selbst brachte nichts hinunter. Jeder Schrei, jedes Stöhnen, jedes tröstende Wort der Frauen, die bei ihr waren, ließ mich zusammenzucken. Ich wollte zu ihr gehen und sie umarmen, und sie sollte mich ansehen und mir sagen, dass alles war, wie es sein sollte, und ich keine Angst haben musste. Alles würde gut werden. Jedes Mal aber hinderten die starken Arme meines Bruders mich daran, zu ihr zu gehen. Vidar flüsterte mir zu, ich solle ruhen, solange ich noch ruhen könnte. Aber Ruhe hatte ich den ganzen Winter nicht gefunden. Nicht seit Olavs Männer gekommen waren. Nicht seit der Nacht des Winteropfers.

Wie stolz war ich gewesen, als ich am Hafen stand, einen Krug Bier in der Hand, während mein Blick über das Schiff »Danen« schweifte, das der dänische König mir geschenkt hatte. Wir tranken immer wieder darauf, hoben die Krüge auf gute Fischzüge, reiche Ernte und darauf, dass mit Sigrid alles gut gehen würde. An jenem Abend tranken wir auf alles, was uns in den Sinn kam. Irgendwann waren wir in die Häuser getaumelt und ich hatte mich an Sigrid geschmiegt, meinen Arm um sie und meine raue Hand auf ihren Bauch gelegt, in dem unser Kind heranwuchs.

Es wäre das letzte gewesen, an das ich mich in diesem Leben erinnert hätte, wäre da nicht mein kleiner Hund Fenris gewesen. Er weckte die Frauen und die Frauen weckten uns. Im Haupthaus bei uns schliefen zwölf Männer, weitere lagen draußen im Heu. Die meisten anderen Frauen mieden das Haupthaus. Meine Männer stanken ihnen zu sehr, außerdem tranken sie jeden Abend, doch nach jener Nacht hörte ich nie wieder schlechte Worte darüber. Sigrids Ellenbogen weckte mich, sie raunte mir zu, ich müsse aufstehen, draußen auf dem Hof sei jemand. Ich rappelte mich zusammen mit den anderen Männern auf, und Bjørn sah durch die Tür und sagte, dass dort wirklich fremde Männer wären und wir zu unseren Waffen greifen sollten, bevor die dort draußen ihre Fackeln entzündeten.

Dumm und angetrunken stürzten wir nach draußen und griffen sie mit Äxten und Speeren an. Nackt und wild und noch halb benommen vom Bier gelang es uns, sechs von ihnen zu töten. Die letzten beiden flohen über die Wiese hinunter zum Strand zu einem Boot, neben dem eine Handvoll weiterer Männer wartete.

Wir schossen ihnen Pfeile hinterher, waren aber zu betrunken, um sie zu töten. Einen trafen wir immerhin, denn er stolperte und ging nach einigen Schritten zu Boden.

Die Gruppe schob das Boot ins Wasser und ruderte schnell auf die Bucht hinaus. Den keuchenden Verletzten ließen sie auf der Wiese liegen. Er hielt sich den Bauch, wo der Pfeil ihn getroffen hatte. Als wir uns neben ihn hockten, wollte er wissen, ob jemand von uns Torstein Tormodson sei, der Mann, den sie den Bootsbauer nannten. Ich nickte und sagte ihm, ich sei der Mann. Da packte er meinen Arm. »Du, und die deinen … deine Kinder und Kindeskinder … ihr werdet niemals Frieden finden.«

Was in jener Nacht geschah, war wie ein Traum. Dafür war sicher der Rausch des Bieres verantwortlich. Im Schutz der Dunkelheit trugen wir die Toten hinunter zum Strand, ruderten sie aufs Wasser hinaus und versenkten sie, beschwert mit Steinen. Als wir wieder nüchtern waren, erzählten nur noch die Blutflecken auf dem Hof von dem Geschehenen. Doch nach jener Nacht verstand ich, dass aus unseren Plänen nichts werden würde; auf dem Grimshof zu bleiben, zu fischen, Schafe zu halten, uns dem Jarl anzuschließen und die Orkney-Inseln zu unserer Heimat zu machen. Wir mussten weiter. Wir mussten zu den Inseln im Westen, wo uns die rachsüchtigen Männer nicht finden konnten. Aber wir mussten warten. Sigrid konnte das Kind nicht an Bord gebären.

Ich erinnere mich noch, wie die Sonne aus dem Meer aufstieg. Ich saß auf dem Gras, während die Männer um mich herum tranken. Es war Sommer, die Nacht war kurz, die Feuerkugel nur knapp hinter dem Horizont versunken. Mit einem Mal wurde mir bewusst, wie still es war. Nur das Murmeln der Männer war zu hören, und als ich mich umdrehte, standen sie auf, die Blicke auf die Tür des Langhauses gerichtet. Die Stille dauerte jetzt schon viel zu lang. Dann: ein Schrei. Der Schrei eines Kindes.

Wir warteten schweigend. Schließlich wurde die Tür geöffnet und Gerdrun aus dem Jarlshof kam auf den Hofplatz. Sie wischte sich die blutigen Hände an der Schürze ab und sah mich an. »Du kannst jetzt kommen, Torstein.«

Ich zögerte. Angst lastete auf meinen Schultern. Vidar sagte: »Da spürst du sie, Häuptling. Die Sorgen, gewöhn dich an sie, denn für den Rest deines Lebens werden sie dich begleiten.«

Bjørn war sofort zur Stelle, nahm ihn in den Schwitzkasten und brachte ihn zum Schweigen. So blieben sie stehen, Vidars Kopf in Bjørns Armbeuge, während Bjørn mich ansah und in Richtung Tür nickte.

Ich spürte den harten Boden des Hofplatzes unter meinen Füßen, den Sommerwind im Gesicht. Gerdrun verschwand wieder nach drinnen. Geklapper von Schüsseln und Schalen war zu hören.

Ich trat über die Schwelle in die Wärme des Langhauses. Wenige Schritte von der Feuerstelle entfernt war eine Bettstatt errichtet worden. Rechts und links davon standen die Frauen. Bei ihnen war Astrid, Sigrids Schwester. Und Gerd, ihre Mutter. Auch Daghild, Welpes Schwester, und Anbjørg Ivarsdatter, die kleine, grauhaarige Frau, die für die Geburt extra von Borgarøy geholt worden war, waren da. Zwischen ihnen allen lag Sigrid, auf den bloßen Brüsten ein nackter Säugling. Sie hatte ihre Hände vorsichtig um das Kind gelegt und sah mich lächelnd an. »Wir haben einen Sohn bekommen, Torstein.«

Ich blieb am Fußende der Bettstatt stehen.

»Komm«, sagte sie und streckte die Hand nach mir aus.

Gerdrun führte mich zur Seite des Bettes. Ich setzte mich und Gerdrun nahm meine Hand und legte sie auf den Rücken des Kindes. Durch die warme Haut spürte ich den Atem des winzigen Menschen. Sigrid legte ihre Hand auf meine. »Freust du dich nicht?«

Ich wollte ihr sagen, wie sehr ich mich freute, ein Gefühl, das alles in den Schatten stellte, was ich je erlebt hatte. Ich wollte Sigrid für das Kind danken, das sie mir geschenkt hatte, dafür, dass das Blut meiner Sippe nun weiterleben würde. Aber ich fand keine Worte. In meinen Augen standen Tränen, die ich rasch wegwischte; ich wollte nicht, dass die Frauen mich so sahen. Gerdrun klopfte mir auf die Schulter und sagte, es sei keine Schande, zu weinen, man werde schließlich nicht jeden Tag Vater. »Aber jetzt musst du deinen Sohn halten, Torstein. Jetzt musst du ihn deinem Volk zeigen.«

Gerdrun nahm das Kind von Sigrids Brust und legte es mir in die Hände. In diesem Moment sah ich zum ersten Mal das Gesicht meines Sohnes. Es wäre eine Lüge zu behaupten, der Anblick rührte mich nicht. Das Kind war wohlgestaltet mit dunkelbraunen Haaren und klaren blauen Augen. Die rechte Seite des Halses aber war bedeckt von einem Mal, das vom Schlüsselbein bis hinauf zur Seite seines Kinns führte.

»Thors Hammer«, sagte die Hebamme, und trat zu uns.

Erst verstand ich nicht, was sie meinte, doch dann sah ich, dass das Mal die Form eines kurzschaftigen Hammers hatte. Thors Hammer. Der Schaft lag auf dem Hals, der Hammerkopf an Kinn und Wange.

»Dein Sohn steht unter dem Schutz von Åsa-Thor, Torstein.« Die Hebamme legte meine Finger enger um den Kopf des Kleinen. »Geh jetzt nach draußen und zeig ihn deinen Männern. Aber beeil dich, sein Platz ist bei seiner Mutter.«

Ich drückte den warmen Körper an mich und stützte den Hinterkopf des Kleinen, wie sie es mir gezeigt hatte. Ich blieb noch einen Moment stehen und sah dem Kind in die Augen, und das kleine Geschöpf erwiderte meinen Blick und fasste mir plötzlich mit seiner winzigen Hand in den Bart. Die Frauen, die um das Bett herumstanden, lachten. Dann ging ich mit vorsichtigen Schritten hinaus in den Morgen. Die Männer, die mit mir gewacht hatten, kamen herbeigelaufen. Ich streckte ihnen das Kind entgegen. »Ein Sohn«, sagte ich.

Die Männer umringten mich. Sie streckten dem Kleinen ihre groben Finger entgegen, lächelten und redeten mit hohen verstellten Stimmen auf das Kind ein. Halvor begann lallend einen Trinkspruch, den niemand hörte und Eystein hob den dreibeinigen Hund Fenris in die Höhe und ließ ihn schnuppern. Dem Jungen wurde das alles zu viel, das kleine Gesicht verzog sich zu einer Grimasse und ein überraschend lautes Schreien kam aus dem zahnlosen Mund. Ich ging wieder ins Haus, wo ihn die Hebamme zurück auf Sigrids Brust legte.

An diesem Tag wurde unten am Hafen ein großes Fest gefeiert. Auf dem Grimshof ging das nicht, dort kümmerten sich die Frauen um Sigrid und das Kind. Sigrids Mutter hatte uns fortgescheucht, sodass wir erst auf den Höhenzug hinter dem Hof gingen, wo wir eine Weile am alten, aus einem Steinhaufen bestehenden Seezeichen standen und etwas tranken. Dann liefen Welpe und ein paar andere zurück auf den Hof, um die Knechte einzuladen, mit uns zu feiern. Der Rest ging hinunter zum Hafenplatz auf der anderen Seite des Höhenzugs. Ich kletterte auf die »Danen«, die am Anleger vertäut lag. Stellte mich achtern ans Steuerruder, von wo aus ich freien Blick auf die Fahrrinne hatte, die zwischen den nördlichen Inseln hindurchführte. Die Männer hatten sich mittlerweile an der Feuerstelle versammelt. Es waren harte, raue Kerle, die meisten von ihnen Norweger und Dänen, die mit mir in der Jomsburg gedient hatten. Jetzt bildeten sie die Mannschaft des Langschiffes, das mir Sven Gabelbart nach der Schlacht bei Svold geschenkt hatte. Ich war erst zwanzig Jahre alt, gehörte zu den Jüngsten an Bord, und war doch derjenige, den sie Häuptling nannten. Ein Winter und ein Frühjahr waren vergangen, seit wir das Segel gesetzt und das Meer überquert hatten. Ein Winter und ein Frühjahr auf den Orkney-Inseln, in denen wir auf die Geburt warteten. Zuvor hatten wir gemeinsam entschieden, nicht zu versuchen, noch vor den Winterstürmen nach Island zu kommen. Viele Männer wollten den norwegischen König rächen, weshalb die Überwinterung hier auf Rossøy, wo immer wieder Handelsschiffe anlegten, um ihre Wassertonnen zu füllen, bevor sie weiter nach Norwegen segelten, nicht ohne Risiko war. Doch auch nach dem Angriff waren wir geblieben. Schließlich waren wir Jomswikinger und noch dazu eine verschworene Gemeinschaft von rund dreißig Männern mit reichlich Waffen und Pfeilen. Selbst betrunken hatten wir in jener Nacht die Olavstreuen besiegt und keiner der Männer zweifelte daran, dass uns das auch ein zweites Mal gelingen würde. Ihnen hatte ich erwidert, dass wir auf der Insel angreifbar wären, auch wenn wir Jomswikinger seien. Und dass im Westen Reichtum wartete. Dass dort kräftige Lärchen wuchsen, und besseres Holz für den Bau von Schiffen gab es nicht. Dass es dort Land gäbe, auf das noch kein Häuptling Anspruch erhoben hatte. Im Westen läge unsere Zukunft.

Bjørn rief mich zu den anderen. Ich sollte vom Schiff kommen und mich zu ihnen setzen. Er hatte sich an der Feuerstelle niedergelassen, an der Hutten gerade ein Bündel trockenes Gras zu entzünden versuchte. Der Schotte war ein breit gebauter, nicht sonderlich großer Mann. Wenn er seinen Lodenumhang trug und etwas vornübergebeugt stand, sah es so aus, als wüchse er direkt aus der Erde empor und hätte sich eine Torfmatte um die Schultern gelegt. Unten in der Bucht spritzten sich die beiden Söhne von Vidar gegenseitig nass. Sie waren ausgeschickt worden, um Miesmuscheln zu sammeln, die sie mit den Füßen zwischen den Steinen ertasteten. Sie schienen ihre Aufgabe aber nicht sonderlich ernst zu nehmen. Fenris sprang humpelnd mit der Hündin von Skjalm am Wassersaum herum und zerrte immer wieder an losen Tangfetzen. Jetzt rief auch Eystein mich zu ihnen. Alle wollten mit mir anstoßen.

Trotzdem blieb ich noch eine Weile an Deck stehen. Das Mal auf dem Gesicht meines Sohnes beunruhigte mich. Was, wenn es mehr als nur ein Mal war? Konnte es eine Krankheit sein? Die Angst legte sich wie eine Klaue um meine Brust, und am liebsten wäre ich zurück ins Haus gelaufen. Vielleicht könnten die Frauen mir ja sagen, dass so etwas gar nicht ungewöhnlich sei und mit der Zeit verblasste. In diesem Moment erschien Halvor auf dem Landgang, in jeder Hand einen Bierkrug. »Deine Augen, Torstein«, sagte er, als er neben mir stand und mir einen Krug reichte. »Mir scheint es, als braue sich darin ein Unwetter zusammen. Denkst du an das Mal?«

Ich antwortete nicht.

»Ich verstehe, dass du dir Sorgen machst.« Halvor drückte mir seinen Krug in die Hand und öffnete seinen Gürtel. Ich dachte erst, er wolle über die Reling Wasser lassen, doch Halvor ließ die Hose herunter und drehte mir den nackten Po zu. »Sieh her«, sagte er und klatschte sich aufs Gesäß. »Sieh genau hin und sag mir, was du siehst.«

Ich sah nichts, nur Halvors Hinterteil.

»Bei meiner Geburt hatte ich dort ein Mal so groß wie die Hand eines ausgewachsenen Mannes. Aber mit den Jahren ist es verschwunden.« Er richtete sich auf, nahm mir einen Krug aus der Hand und trank einen großen Schluck, bevor er sich schließlich die Hose wieder hochzog. »Vielleicht verblasst auch das Mal deines Sohnes mit der Zeit. Außerdem wird ihm ein Bart wachsen. Also, bring das Unwetter in deinen Augen zur Ruhe und trink mit uns.«

Aber meine Sorge galt nicht nur dem Mal. Was, wenn die Christen die Form des Thorshammers erkannten und darin ein Zeichen der Heiden und falschen Götter sahen? Würden sie ihm dann nach dem Leben trachten? Schließlich hassten sie alles, was mit dem alten Glauben zu tun hatte.

Als ich Halvor in meine Ängste einweihte, strich er sich nachdenklich über den braunen Bart und trank einen weiteren Schluck. Halvor war kein gutaussehender Mann. Sein ganzer Körper, vom Kopf bis zum Fuß, dem zwei Zehen fehlten, war von seinem Leben als Jomswikinger gezeichnet. Eine Narbe zog sich quer über seine Stirn, eine andere über die Wange nach unten. Eine dritte schien seine Unterlippe zu spalten und gab ihm ein schiefes, seltsames Lächeln. Aber es war gut, Halvor um sich zu haben, wenn die Schwermut nahte. Seine Fröhlichkeit und der Schalk, der aus seinen Augen sprach, waren für alle in seiner Nähe ansteckend.

»Wer schert sich schon um diese Christen? Wo wir hinfahren, gibt es keine Christen. Dort gibt es ja kaum Menschen, habe ich gehört.«

Halvor stieß mit mir an. »Jetzt trink aber mit uns! Dir ist ein Sohn geschenkt worden! Trink!«

»Nur ein paar Schluck«, sagte ich und setzte den Krug an die Lippen. Huttens Gebräu war gut, um Sorgen zu vertreiben, das wusste ich. Er behauptete, es von seiner Sippe mitgebracht zu haben und dass das in einer Erdhütte gebraute Bier das stärkste nördlich von Jorvik sei.

Halvor und ich blieben am Steuerruder stehen. Ich fingerte an der Pinne herum, die sich immer wieder vom Ruder zu lösen drohte. Sie führte in einem rechten Winkel vom Ruder nach vorn zum Steuermann, bekam aber schnell Spiel. Außerdem musste ich daran denken, die Schot vor unserer Abfahrt mit Schafsfett einzuschmieren.

»Dank den Göttern, dass sie dir einen gesunden Jungen geschenkt haben«, sagte Halvor. »Und auch Sigrid solltest du danken, wenn du zurück auf dem Hof bist. Aber das kann warten, jetzt werden die Götter geehrt.«

Bei seinen Worten hoben wir die Krüge und tranken. Wir ließen den Blick über den Hafen und das Meer schweifen, das in der Sonne glitzerte. Ich sah, wie sich die Mannschaft um das Feuer versammelte. Auch Vidar und Gislaug und ihre beiden Töchter waren da. Die Mädchen waren mittlerweile so groß, dass sie kaum mehr als Kinder bezeichnet werden konnten. Ihre Söhne kamen vom Strand herauf, einer war fünf, der andere zehn Winter alt. Neben ihnen saßen Skjalm und die Sklavin, die er auf Fünen geraubt hatte. Ihre Tochter stand unten am Wasser und ließ Steine über die Oberfläche hüpfen. Am Feuer stieß mein Bruder mit Eystein, Hutten und Welpe an, und während ich das Geschehen noch immer vom Schiff aus verfolgte, näherten sich immer mehr Inselbewohner. Sie wussten, dass Sigrid ein Kind erwartet hatte und ahnten wohl, dass die Zeit zu feiern gekommen war. Welpes Vater, der Insel-Jarl Sigurd Lodveson fehlte noch. Uns allen – vor allem Welpe – wäre es recht gewesen, der Alte würde gar nicht kommen.

Halvor trank seinen Krug leer. Ich selbst war etwas vorsichtiger. Ich wagte es nicht, mich zu betrinken, und richtete den Blick immer wieder aufs Meer. Trotzdem überkam auch mich ein Gefühl der Ruhe, während ich mit Halvor an Bord stand.

»Ich bin ein Idiot, mir um dieses Mal Sorgen zu machen«, murmelte ich.

Halvor legte mir die Hand auf die Schulter und meinte, dass ich, wenn ich schon darüber nachdenken wollte, dies mit Freude tun sollte, schließlich sei das Mal ein Zeichen der Götter. Ich ging zu der Stütze, auf der wir die Rah ablegten, hielt mich daran fest und ließ den Blick über die »Danen« schweifen. Es war eines der größten Langschiffe, die ich je gesehen hatte, und dieses prachtvolle Schiff zu besitzen, erfüllte mich mit Stolz. Die Seile zum Hochziehen des Segels waren aus gedrehter Seehundhaut und die Eichenspanten darunter fügten sich so gut in die Plankengänge ein, dass man meinen konnte, sie wären aus Lehm. Damit das Schiff sich gut in die Wellen legte, waren die Spanten mit Streifen von Walbarten an den Kielbalken gebunden. Ich spürte das alte Holz der Rah und sog den Duft von Salzwasser und Teer ein. Bald würde uns die »Danen« von der Insel fortbringen und auf ein Meer hinaussegeln, das uns allen unbekannt war.

Kurz darauf trat ich ans Feuer. Eystein holte die Maultrommel heraus, die er bei einem walisischen Händler ertauscht hatte. Spielen konnte er nicht, aber es waren mittlerweile so viele Menschen gekommen, dass man ihn ohnehin nicht hörte. Ich saß zwischen Bjørn und Halvor, trank und spürte die Sommersonne auf meinem Gesicht. Irgendwann spürte ich den Schlaf kommen, und dieses Mal kämpfte ich nicht dagegen an. Erschöpft lehnte ich mich zurück und schlief beinahe unmittelbar ein.

Es hieß, ich hätte geschlafen, bis der Abend den Tag ablöste. Später erfuhr ich, dass Sigurd Lodveson auf seinem Pferd angeritten gekommen war und mit Welpe unten am Strand gestanden hatte. Der Alte soll zornig gewesen sein und versucht haben, seinen Sohn mit auf den Hof zu nehmen. Welpe hätte sich aber losgerissen und gerufen, er hätte Torstein Tormodson und seinem Schiff die Treue geschworen. Dann war Welpe zu uns Jomswikingern gekommen, während sein Vater allein unten am Wasser stehen geblieben war. Die Geschwulst am Kragen des Jarls hätte eine rötliche Farbe angenommen, wie immer, wenn er sich aufregte.

Es wurde den ganzen Tag gefeiert. Die Männer schliefen abwechselnd am Feuer ein, bis sie von anderen geweckt wurden und einen neuen Krug bekamen. Wie ich hatten die wenigsten von ihnen in der Nacht geschlafen, aber wen störte das, wenn sich endlich einmal die Gelegenheit zu trinken bot. Alle wussten nur zu gut, dass ich nach Sigrids Niederkunft nicht mehr lange warten würde, um in See zu stechen. Denn die Zeit zu segeln war gut. Eine Jahreszeit, in der die Winde mild und die Meeresströmungen nach Westen gerichtet waren.

Es heißt, Torstein Tormodsons Jomswikinger hätten an diesem Tag auf der Hauptinsel auch noch das letzte Bierfass geleert. Ich kann dazu nur sagen, dass es eine Lüge ist, denn auch wenn die meisten von uns Jomswikinger waren und sie mich ihren Häuptling nannten, gehörten sie doch nicht mir. Jomswikinger waren freie Männer, und wenn sie einem Mann folgten und ihn Häuptling nannten, dann taten sie das aus freien Stücken. Es stimmt aber, dass an diesem Tag viel getrunken wurde. Als ich gegen Abend aufwachte, saßen sowohl mein Bruder als auch Halvor, Welpe und Hutten grölend am Feuer und lachten. Ich rappelte mich auf und schwankte, gefolgt vom dreibeinigen Fenris, zurück zum Hof.

Im Haupthaus lag Sigrid schlafend auf der Bettstatt. Ihre schmalen Hände hatte sie um den Rücken des Kleinen gelegt, der auf ihrer Brust ruhte. Ich setzte mich auf den Rand des Bettes und streichelte dem Jungen durch die weichen, dunklen Haare. Dann fuhr ich mit dem Finger über seine Wange und das Mal. Seine kleine Hand und seine winzigen Fingerchen legten sich um einen meiner Finger und hielten ihn lange fest.

Sigrid war nicht allein im Langhaus. Ihre Mutter Gerd schlief in einer der Kojen. Gerdrun aus dem Jarlshof saß auf der Bank am langen Tisch. Auch sie schien die Stille zu genießen, denn sie sah zu mir herüber, lächelte wortlos und arbeitete weiter. Sie flocht ein Band, wie man es Sigrid und mir bei unserer Vermählung über die Hände gelegt hatte. Sigrid hatte das Wollband von ihrer Mutter bekommen, die mit demselben Band getraut worden war. Bestimmt war Gerd davon ausgegangen, als erste Sigrids Schwester verheiraten zu können, doch der Mann, der für sie auserkoren war, hatte sich in ein Mädchen auf dem Festland verliebt und war seither nur noch selten auf den Inseln zu sehen. Als wir mit dem Schiff eingelaufen waren und Sigrid ihrer Mutter erzählt hatte, dass sie meine Frau sei, wurde sogleich die Hochzeit gefeiert. Wir standen damals umgeben vom Inselvolk auf dem Hofplatz, denn Sigrids Vater Grim war zu Lebzeiten beliebt gewesen. Dass seine Tochter ein Kind in sich trug, hatten sie sich vermutlich bereits gedacht, schließlich war sie in Begleitung eines Mannes gekommen. Das wollene Band wurde über unsere Hände gelegt, der Insel-Jarl legte seine Hand auf unsere und rief über die Jubelrufe und das Rauschen des Meeres hinweg, dass Sigrid und Torstein nun ein Paar und ihre Lebensfäden für immer miteinander verwoben seien.

Ich saß noch bei Sigrid, die kleine Hand meines Sohnes um meinen Finger gelegt, als Sigurd Lodveson hereinkam. Ein paar der Männer, die vor dem Haus Wache gehalten hatten, folgten ihm, bereit seine Arme zu packen. Ich schüttelte kurz den Kopf und sie zogen sich zurück. Meine Abneigung gegen den Insel-Jarl stammte aus der Zeit, in der ich das erste Mal als entflohener Sklave auf die Orkney-Inseln gekommen und Sigrids Vater Grim noch am Leben gewesen war. Der Jarl und seine Vasallen hatten uns ständig bedrängt und Steuern eingefordert, weshalb er auf der Insel weithin unbeliebt war. Als dann Olav mit seinen Schiffen gekommen war, hatte der Jarl auch ihn auszunehmen versucht, doch Olav hatte ihn gedemütigt. Mit einem gewaltigen Faustschlag hatte er den Jarl von der Brücke ins Wasser gestoßen und um ein Haar ertränkt. Bjørn und ich waren daraufhin mit Olav davongesegelt und hatten für ihn gekämpft, bis wir in Ungnade gefallen waren. Danach folgten die Jahre bei den Jomswikingern, wo wir eine Ausbildung erhielten und ein Mann aus mir wurde. Dass es meine Axt war, die Olav in der Schlacht bei Svold erschlagen hatte, schien den Insel-Jarl zu freuen, denn nach unserer Ankunft dauerte es nur wenige Tage, bis er angeritten kam und mir eine Silberspange, groß wie die Hand einer Frau, schenkte. Diese Spange lag nun in einer Kiste unter dem Bett, in dem Sigrid und ich schliefen. Ich trug sie nur selten. Ich wollte nicht, dass die Insulaner mich ablehnten, wie sie den Jarl ablehnten.

Sigurd Lodveson stellte sich ans Fußende des Bettes, betrachtete Mutter und Kind und kaute auf seinen Barthaaren herum. »Es ist ein Sohn, habe ich gehört. Es ist gut, wenn das erste Kind ein Sohn ist. Vielleicht bekommt er noch Schwestern, dann kann er auf sie aufpassen.«

Ich antwortete ihm nicht. Ich wollte nur, dass er ging. Der Jarl trat zu seiner Frau, begutachtete ihre Handarbeit und ließ sich neben ihr nieder. Sigurd Lodveson setzte das Alter sichtbar zu. Seine breiten Schultern hingen herab, der Bauch war dick. Der graue Bart war dünn geworden und die spärlichen Haare umrahmten eine Glatze. Nur seine Kleider strahlten noch Würde aus. Sie waren sauber und Hose und Beinbänder aus ockerfarbenem Leinen fein gewebt.

»Mein Sohn sagt, dass er dich begleiten will. Ich vertraue darauf, dass du ihm das ausredest, Torstein.«

Seit der Schlacht bei Svold stand Welpe treu an meiner Seite. Wie alle anderen Männer hatte er seine Ruderkiste an Bord unseres Schiffes, wo er sie auch belassen wollte.

»Ich brauche ihn auf dem Hof«, sagte der Jarl. »Gerdrun stirbt vor Sorge, wenn der Junge uns wieder verlässt.«

Gerdrun sagte nichts, sondern wickelte schweigend den Faden um ihren Finger.

»Du bist Sigurd Lodvesons Freund«, sagte der Jarl dann und richtete seinen Blick auf mich. »Wenn du mir dienst, wird es dir und deiner Sippe an nichts mangeln.«

Sigrid wachte auf, sie blinzelte und wollte sich auf die Seite drehen, bemerkte dann aber, dass das Kind auf ihrer Brust lag und blieb stattdessen auf dem Rücken liegen und streichelte den Kleinen.

»Den ganzen Winter hindurch haben wir dich und deine Mannschaft durchgefüttert. Du weißt, dass ich ein gütiger Mann bin.«

»Das ist richtig«, sagte ich. »Und dafür sind wir dir dankbar.«

Sigurd zog das Wams höher, sodass die Geschwulst am Hals nicht mehr zu sehen war. Er räusperte sich. »Die Inseln da draußen sind nichts für Frauen und Kinder, Torstein. Lass Sigrid und euren Sohn hier. Ich werde für sie sorgen, bis du zurück bist. Im Gegenzug wirst du alles fruchtbare Land, solltest du dort im Westen denn welches finden, in meinem Namen einfordern.«

Ich stand vom Bett auf. »Ich lasse Sigrid nicht allein. Und ich habe Sven Gabelbart versprochen, das Land, das ich finde, in seinem Namen einzufordern.«

»Wir haben bereits darüber gesprochen.« Sigurd stand auf und schob die Hände unter seinen Gürtel, als wollte er damit zum Ausdruck bringen, dass ich seiner Forderung nicht widersprechen konnte.

Ich wandte mich von ihm ab.

»Dreh mir nicht den Rücken zu, Torstein Bootsbauer. Das ist unklug.«

Ich blieb stehen. »Ich bin keines Mannes Diener.«

»Was sagst du?«

Ich ging zur Tür und öffnete sie. »Ich werde neue Länder entdecken«, sagte ich. »Und ich werde nicht vergessen, dass du uns durch den Winter gebracht hast.«

Sigurd Lodveson kam zu mir, packte meinen Arm und sah mir in die Augen. Der Insel-Jarl hatte für einen alten Mann ungewöhnlich weiße, gesunde Zähne, die ihn aus der Nähe viel jünger und kräftiger wirken ließen. »Das solltest du, Bootsbauer.«

Ich antwortete ihm nicht, sondern zog meinen Arm weg. Sigurd Lodveson kratzte sich an der Schwellung am Hals, ging nach draußen und verschwand in Richtung Hafenplatz. Vielleicht wollte er mit den Männern trinken oder seinen Sohn dazu bringen, nicht mit uns zu segeln.

Auch Fenris und ich gingen nach draußen und setzten uns auf die Wiese, auf der wir gewartet hatten, als Sigrid in den Wehen lag. Dort blieben wir, bis die Sonne im Meer versank und die Inseln und Schären für einen Moment in goldenes Licht gehüllt waren. Die Felsen sahen aus wie aus Gold und Bronze gegossen und die Grasflächen schienen aus der feinsten grünen Seide gewebt zu sein. Fenris legte seinen Kopf auf meinen Schenkel, während ich wieder über das Mal meines Sohnes nachgrübelte. Aber kein Mann war ohne Makel, ohne Narben oder Verletzungen. Bei mir war es das rechte Bein, das mir nicht immer gehorchte.

Ich saß noch auf der Wiese, als Bjørn sich schwankend näherte. Er war so voll, dass er mich nicht sah. Es grenzte schon an ein Wunder, dass er den Hof fand, denn er taumelte erst gegen die Ecke der Scheune, ehe er auf den Hofplatz stolperte, wo er schwankend wie ein Mast bei heftigem Seegang stehen blieb. Sein Wams musste er auf dem Hafenplatz vergessen haben, denn er stand halbnackt da, während er seine Arme ausstreckte und durch die strähnigen, dunklen Haare starrte. Mein Bruder war ein kräftiger Mann mit breiten, muskulösen Schultern. In einem Oberarm war eine Delle, in die man den ganzen Daumen legen konnte. Er war dort von einem Pfeil verwundet worden, als Sigvalde und seine Goten die Jomsburg angegriffen hatten. In derselben Schlacht war er auch am Kiefer getroffen worden, sodass der Pfeil aus seinem Mund geragt war. Der Bruch war verheilt und die Narbe verdeckt von seinem dichten Bart, allerdings fehlten ihm auf der verletzten Seite mehrere Backenzähne.

Bjørn sackte auf die Knie, seine Hände begannen zu zittern, er schlug sich die Hände vor das Gesicht und begann zu weinen. Fenris und ich gingen zu ihm, und ich half ihm auf und führte ihn ins Langhaus und zu seinem Schlafplatz am Feuer, wo er in seinem Elend liegen blieb. Ich selbst setzte mich wieder zu Sigrid, doch als ich meinen Arm ausstreckte, um meinem Sohn über den Kopf zu streicheln, sagte sie, ich solle sie schlafen lassen. Ich verkroch mich in einer leeren Koje an der Wand und Fenris rollte sich an meinem Bauch zusammen. Als ich die Augen schloss, überkam mich das seltsame Gefühl, dass sich die Koje unter mir bewegte, als wäre ich bereits auf dem offenen Meer.

2 Der Fluch

Zwei Tage nach dem Sommeropfer stachen wir von Rossøy aus in See. Die Menschen der Nachbarhöfe kamen, um uns Lebewohl zu sagen, nur Sigurd Lodveson zeigte sich nicht. Wir segelten mit einer milden südwestlichen Brise nach Norden, sodass die Inseln bald darauf hinter uns verschwanden. Am ersten Tag stand ich selbst am Ruder. Hin und wieder warfen mir die Männer Blicke zu, vielleicht wollten sie wissen, ob in meinen Augen Zweifel oder Furcht zu erkennen waren, aber ich sah nur nach vorn zum Horizont. Es war darüber gesprochen worden, vielleicht doch zurück nach Osten zu segeln. Entweder zu Sven Gabelbart, wo die Jomswikinger als Leibgarde willkommen waren, oder nach Trøndelag zu Erik und Svein Håkonson. Händler, die von der norwegischen Küste zu den Orkneys herübergesegelt waren, hatten erzählt, dass die beiden Ladejarle alle Häuptlinge und großen Männer, die sie nicht hatten stützen wollen, verbannt oder getötet hätten. Stellten wir uns gut mit den Håkonsons, würden wir unter ihrem Schutz stehen und vielleicht sogar Land erhalten.

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der ein Stück Land und ein Hof in meinem Namen alles gewesen waren, worauf ich gehofft hatte. Damals hätte ich die Götter niemals um mehr gebeten. Aber ich war auch noch ein kleiner Junge gewesen, der unter den Wunden des Sklavenringes litt. Jetzt war ich kein kleiner Junge mehr. Ich war ein Krieger, ein Jomswikinger. Ich hatte eine Mannschaft unter meinem Befehl. Ich war Vater. Schon beim ersten Schnee hatte ich mit einem Gedanken zu spielen begonnen, der mir anfangs erschreckend erschienen war: Fanden wir dort im Westen wirklich Land, das so fruchtbar und waldreich war, wie die Gerüchte es besagten, konnten wir uns dort niederlassen und es für uns beanspruchen. Nicht als Vasallen des Dänenkönigs, sondern als freie Männer, die vor keinem Jarl oder König ihre Knie zu beugen hatten. Gab es dort gute Stämme, konnten wir Schiffe bauen. Und mit diesen Schiffen konnten wir zurück zum baumlosen Grønland oder nach Island segeln und Saatgut und andere Dinge zum Leben holen. Auch würden wir Frauen brauchen, sonst würde aus unseren Langhäusern nie das Lachen von Kindern erschallen. Wir konnten Sklaven in Island freikaufen und mit uns nehmen. Letzteres hatte Halvor vorgeschlagen. Er hatte gehört, dass es auf Island mehr Sklaven als freie Männer gab und dass diese von klein auf wie Hunde gehalten würden.

Die Männer an Bord waren bis auf Welpe und Hutten allesamt Jomswikinger, die Bjørn und mich nach der Schlacht von Svold begleitet hatten. Sie vertrauten darauf, dass ich mich als gerechter Häuptling erweisen würde. Ich hatte ihnen versprochen, alles, was wir einnahmen, gleichmäßig unter uns aufzuteilen. Neben Bjørn und mir war Halvor an Bord, der vernarbte Krieger, den ich vor Irland aus dem Wasser gerettet hatte und der Vagn, dem Häuptling der Jomswikinger gut zugeredet hatte, damit dieser mich trotz meiner jungen Jahre in die Bruderschaft aufnahm. Und der Rotbart Eystein Fjerd, der in der Jomsburg die Verantwortung für die Pferde gehabt hatte. Harald Tora aus Seeland und die Brüder Helge und Asmund, die in Kindertagen getrennt wurden und sich nicht daran erinnerten, wo sie geboren waren, allerdings eine Art Norwegisch redeten. Dann noch der Graubart Gudve Holgeson und Holge, der nicht Gudves Vater war. Der Jütländer Eilef Taske und die drei wortkargen Dänen Horn-Bor, Kar-Munn und Borleik, die ich ebenfalls in der Jomsburg kennengelernt hatte. An Bord waren auch Erik Tokeson, Frode Floke und Torvar Haraldson. Auch Hauk Hu war dabei, ein Mann, der nur selten auf sich aufmerksam machte, außer es gab irgendwo Bier. Und dann noch Skjalm und Vidar, die Frauen und Kinder mitgenommen hatten. Des Weiteren Kåra Skåne, ein entfernter Vetter von Eilef Taske, Agn-Orm, Bork, Torvar Gottlos, Torkel Arvson, Gudmund Holme, Holk-Ulf, Tore Tann Torleifson, Borleik aus Birka und Luve-Tor. Und als letzte Hutten und Welpe. Hutten hatte mich die Kunst des Schmiedens gelehrt, als ich noch ein junger Bursche gewesen war und bei Sigrids Vater gedient hatte. Eigentlich hieß er Hutt, aber alle nannten ihn nur Hutten. Er war nicht mehr der Jüngste, doch beim ersten Frühjahrsvollmond hatte er plötzlich mit seiner Kiste am Schiff gestanden und darum gebeten, anheuern zu dürfen.

Wir waren einunddreißig Männer auf der »Danen«, dazu Sigrid und unser Sohn, die Frauen von Vidar und Skjalm, Vidars zwei Söhne und zwei Töchter und Skjalms Tochter. Insgesamt waren wir 40 Menschen. Unser Langschiff war groß, sicher eines der größten, die es zu jener Zeit gab. Es war als Versorgungsschiff für die Barrikaden vor Svold genutzt worden, und vermutlich gab es kaum ein Schiff, das besser für die Reise geeignet war, die vor uns lag. Stellte man einen Fuß direkt vor den anderen und ging von achtern bis nach vorn in den Bug, maß die »Danen« zweiundachtzig Fuß. Da sie überdies recht breit war und ein hohes Freibord hatte, gab es auch unter Deck viel Platz, sodass man dort sogar aufrecht stehen konnte.

Wegen der Höhe wurden die Ruder durch Löcher in den Plankengängen geschoben, was man in jener Zeit nur bei den größten Schiffen sah. Die Ruderer saßen an Deck auf ihren Ruderkisten. Die Riemen selbst waren lang, damit man damit auch das Wasser erreichte. Entsprechend schwer war es, das dänische Schiff mit Muskelkraft anzutreiben, sodass wir schon beim kleinsten Lüftchen das Segel hochzogen. Andere Schiffe hatten eine Vertiefung für die Reihen der Ruderer, damit diese besser gegen Pfeile geschützt waren und näher am Wasser saßen, doch diese Vertiefung war zugunsten des Lagerraums entfernt worden. Und den Lagerraum brauchten wir. Allein die Wassertonnen nahmen unter Deck viel Platz ein. Da so viele Menschen an Bord waren, mussten einige Tonnen sogar an Deck gelagert werden, wo natürlich die Gefahr bestand, dass Salzwasser eindrang.

Das Hab und Gut der Männer war in ihren Ruderkisten verstaut. Dort war Platz für Winterkleider und einen Übermantel aus Leder, für gute Stiefel und für Feuerstein und Zunderschwamm. Wer Gold- oder Silbermünzen sein Eigen nannte, verwahrte diese ebenfalls in seiner Kiste gemeinsam mit persönlichen Dingen. Die Kisten dienten als Sitzplätze beim Rudern und beim Segeln verzurrten wir sie mittschiffs.

Das Deck der »Danen« war etwas ganz Besonderes. Nur selten habe ich derart sorgsam gehobelte, fast astlochfreie Bohlen gesehen. Sie waren mit geschmiedeten Nägeln befestigt, die auf der Unterseite mit Eisenscheiben vernietet worden waren. Das Deck war für den Mast und die beiden Rahstützen offen, die wie zwei missgestaltete, zweifingrige Hände in die Höhe ragten. Der Mast selbst war nicht sonderlich hoch, wurde aber von mehreren Stegen aus Seehundleder gehalten. Da das Schiff ausladend und schwer war, gehörte die Rah zu den breitesten, die ich jemals gesehen hatte. Sie war deutlich breiter als der Mast hoch. Segelten wir nicht, ruhte die Rah auf den Stützen in Längsrichtung des Schiffes, das Segel gut daran befestigt.

Bjørn und ich waren unter den Rumpf getaucht und hatten gesehen, dass er seitlich etwa zwischen Kielbalken und Wasserlinie einen Knick hatte: Die Schiffsseite führte etwa zwei Handlängen weit senkrecht nach unten, bevor sie in einem weiten Bogen zum Kiel führte. Wir nahmen an, dass durch diese Bauweise die seitliche Abdrift vermindert werden sollte. Außerdem hatte die »Danen« uns gezeigt, dass sie trotz ihrer Breite hart vor dem Wind segeln konnte. Es gab kaum ein Gefährt, das besser für schwere See gerüstet war, als das unsrige. Eine Schwäche hatte es aber doch: Eine Mannslänge hinter dem Mast gab es eine weitere, große Öffnung im Deck. Dort stand mein Pferd Vingur. Sein Kopf reichte gerade über die Bohlen. Der offene Laderaum war etwa so lang und breit wie ein ausgewachsenes Pferd. Schneite es heftig und sammelte sich der Schnee in diesem offenen Raum, konnte das Schiff sinken, wenn die Mannschaft den Schnee nicht schnell genug ausräumte. Aber ohne diese Öffnung hätte man keine Pferde mitnehmen können, und zurücklassen wollte ich Vingur nicht. Er war ein gutes Pferd, zumindest in meinen Augen. Wie ich lahmte auch er etwas, aber er trug mich gut und war auch als Zug- und Lastenpferd geeignet. Manchmal folgte er mir wie ein Hund, worüber sich die Männer lustig machten.

Die Fahrt von den Orkney-Inseln begann gut. Ich erinnere mich, wie unser Schiff durch die Wellen glitt und der Wind das Segel spannte. Gegen Abend übernahm Bjørn das Ruder, und ich weiß noch, wie ich am nächsten Morgen davon wach wurde, dass der Hahn unten in seinem Käfig krähte. Ich ging wieder ans Ruder und hatte kaum die Hände auf das Holz gelegt, als zwei Wale unweit der Steuerbordseite auftauchten und bliesen. Ein großes Tier mit Seepocken auf dem Kopf, gefolgt von einem kleinen. Vielleicht waren es Mutter und Kind. Skjalm hatte sofort seinen Speer in der Hand und wollte das Beiboot zu Wasser lassen. Er liebte die Jagd wie kaum ein anderer. Aber ich segelte weiter.

Gegen Abend des zweiten Tages übernahm Welpe das Ruder. Fenris, der die meiste Zeit zwischen meinen Füßen gelegen hatte, humpelte zu Skjalms großer, langbeiniger Hündin. Sie drehte sich zu meinem kleinen, dreibeinigen Fenris um, senkte den Kopf und beschnupperte ihn. Wir nannten ihn Dreibein, aber eigentlich stimmte das nicht ganz, denn es gab ein viertes Bein, das wie ein trockener Fortsatz an seiner Hüfte hing. Fenris behinderte das jedoch wenig. Auch wenn er langsam in die Jahre kam, war er noch immer schnell. Er war vielleicht nicht der Mutigste, legte sich aber trotzdem gerne mit anderen Hunden an. Er schien darauf zu vertrauen, schnell genug Reißaus nehmen zu können. Seit ich Sklave im Marktflecken Skiringssal gewesen war, kümmerte ich mich um diesen Hund. Vielleicht war mir Fenris als eine Art Vorzeichen geschickt worden, denn damals hatte ich mir die Verletzung zugezogen, die mich ab und zu hinken ließ. Ich war ein lahmer Mann mit einem lahmen Hund und einem lahmen Pferd, worüber sich die Männer im Suff immer wieder lustig machten. Jetzt humpelte Fenris fröhlich um die Hündin herum und schnupperte an ihrem Hinterteil, was diese wie gewohnt mit einem Knurren, gefolgt von Zähnefletschen beantwortete. Fenris trollte sich, und doch wiederholte sich diese Vorstellung beinahe jeden Tag. Fenris ließ sich auch nicht dadurch abschrecken, dass die große, magere Hündin ihn manchmal am Fell packte. Für Halvor war Fenris deshalb nur der verrückte Köter, den er für seinen Mut hin und wieder sogar mit einem Stückchen Trockenfisch belohnte.

Ich ging zu Sigrid, die gemeinsam mit Gislaug auf ein paar Schafsfellen an der Reling saß. Eine der Töchter von Gislaug war bei ihnen und kümmerte sich um den Säugling. Sigrid hatte den Kopf an die Reling gelehnt und schien zu schlafen. Ich trat etwas fester auf, als ich vorbeiging, wovon sie wach wurde. »Ihr solltet ihn vielleicht nicht so nah an der Reling halten«, sagte ich. Sigrid rieb sich die Augen und nahm dem Mädchen das Kind ab. Ich wusste nicht, warum ich das sagte, denn die Reling der »Danen« war extra noch erhöht worden, sodass sie einem erwachsenen Mann bis zum Nabel reichte. Befestigten wir dann noch unsere Schilde auf der Außenseite, waren wir bis zum Hals geschützt.

Auch an anderen Stellen hatten wir Arbeiten am Schiff vorgenommen. Seit unserer Ankunft auf den Orkney-Inseln hatten wir es ausgebessert, etwa schlechte Bohlen ausgetauscht. Das Holz dafür hatten wir unten in Sudrland gefunden, wo es sowohl Eschen als auch Eichen und Ulmen gab. Alle rostigen Nägel waren herausgezogen und durch neu geschmiedete ersetzt worden, die wir vor dem Einschlagen mit ungewaschener Schafswolle eingewickelt hatten. Wir hatten das Schiff auf eine Sandbank gerudert und bei Ebbe die Plankengänge neu geteert. Und wir hatten alle Nähte des Segels mit Bienenwachs und Schafsfett eingeschmiert. Die »Danen« war damit so sicher, wie ein Schiff nur sein konnte und sollte Sturm und schwerer See trotzen können. Trotzdem konnte immer etwas schiefgehen, wenn ein junges Mädchen mit einem Säugling auf dem Arm aufstand, während der Bug in eine Welle krachte oder der Wind plötzlich drehte und die Rah herumschlug.

»Setzt euch doch näher an den Mast«, sagte ich barsch. »Oder geht unter Deck.«

Sigrids Augen blitzten auf. Sie hatte seit unserer Abfahrt kaum mit mir gesprochen. Ihre Mutter und sie hatten sich am Anleger lange in den Armen gelegen und geweint. Sigrids rote, lockige Haare wehten dabei im Wind, und als sie schließlich an Bord gegangen war, hatte ihre Mutter mich mit ihren Blicken durchbohrt. Gard war vom Hof gekommen und hatte sich neben sie gestellt, und zum ersten Mal seit ich zum Grimshof gekommen war, wandte er sich gegen mich: »Es ist falsch, fortzusegeln, Torstein Bootsbauer! Du machst einen Fehler.« Er zeigte auf sein weißes, blindes Auge. »Ich sehe dort im Westen ein Unglück auf dich zukommen! Unglück und Trauer!«

Ich setzte mich an den Rand des offenen Laderaums und Vingur kam zu mir. Bei der ruhigen See hatten wir ihn nicht anbinden müssen. Ich legte die Hand auf sein warmes Maul und streichelte ihm über die Mähne. Die Händler, die von Island herübergesegelt waren, sagten, dass es dort im Westen vier große Inseln gäbe. Grönland sei die nördlichste, und die dortigen Bewohner wüssten zu erzählen, dass man, wenn man noch weiter nach Westen segelte, zu den Inseln Helluland, Vinland und Markland käme. Auf Vinland gäbe es bereits eine Siedlung, aber Markland hätte noch niemand für sich beansprucht. Dort sollten Lärchen wachsen, die gerade und höher als irgendwo sonst seien. Sie könnten gefällt und an Ort und Stelle verarbeitet werden. Bessere Schiffsplanken gäbe es weit und breit nicht.

Noch hing ein Rest Tageslicht über dem Meer. Das Wasser war zwar ruhig, der Wind aber zu stark, um das Feuerfass anzuzünden, und Fackeln konnten Funken auf das Segel werfen. Im Laufe des Abends waren Wolken aufgezogen und der Wind frischte mehr und mehr auf. Wir würden in dieser Nacht weder Mond noch Sterne sehen.

Die Besatzung blieb noch eine Weile an Deck. Welpe und ich sollten das Schiff durch die Nacht steuern. Bereits am Tag nach der Geburt meines Sohnes war besprochen worden, dass er einer der Steuermänner an Bord sein sollte. Eine wichtige Arbeit, auf die er stolz war. Als sein Vater zum Hafen kam, um uns ein letztes Mal zu überreden, doch auf den Inseln zu bleiben, ging Welpe zu ihm und sagte, dass Torstein Bootsbauer ihm einen Platz am Ruder zugeteilt hätte und dass er einem Jomswikinger nicht widersprechen wollte. Sigurd warf mir daraufhin einen wütenden Blick zu und schlug seinen Sohn mit der flachen Hand, sodass dieser auf die Knie sackte. Dann rief Sigurd, ich sei nur ein Emporkömmling, ein entflohener Sklavenjunge, der gemordet und gestohlen hätte, um Reichtümer anzuhäufen. Wenn sein Sohn einem solchen Mann folgen wollte, sollte er nicht mehr Sigurdson heißen und als Erbe würde er ihm dann nicht einmal eine Handvoll Orkney-Erde zugestehen.

Sein Auftritt war an diesem Tag das allgemeine Gesprächsthema, und Welpes Ansehen bei den Jomswikingern dadurch beträchtlich gestiegen. Er war nicht unbeliebt, im Gegenteil, aber es war bekannt, dass er in Svold für Olav Tryggvason gekämpft hatte und nur bei uns war, weil ich ihn begnadigt hatte. In Wahrheit war das alles ganz anders abgelaufen. Denn Welpe war von Olav als Geisel genommen worden, als er auf dem Rückweg nach Norwegen auf Rossøy Proviant und Wasser geladen hatte. Olav hatte auf diese Weise sicherstellen wollen, dass der Jarl ihm nicht in die Quere kam. Während der Schlacht von Svold war es Welpe gelungen, an Land zu kommen, wo er mich sah, als ich an der Seite meines Bruders saß, den ich für tot hielt. Wäre Welpe nicht gekommen, hätten die Leichenfledderer mich getötet. Er hat mir dort am Strand das Leben gerettet. Ohne ihn hätte ich nicht die Kraft gehabt, aufzustehen und zurück zu den Schiffen zu schwimmen. Ohne ihn hätte ich Vater niemals rächen und Olav Tryggvason die tödliche Wunde versetzen können.

Es gab Momente, in denen ich den tödlichen Schlag bitter bereute. Andererseits hatte ich so die Gunst des dänischen Königs erlangt und das Schiff bekommen, auf dem wir uns jetzt befanden. Der Dänenkönig hatte mich reich belohnt, aber die Reue war dadurch nicht getilgt worden. Hätte ich bei der Schlacht nicht so weit vorn gestanden, hätten wir in Jütland bleiben können. Dann hätten wir jetzt ein Haus und würden zusehen, wie unsere erste Saat keimte. All das hatten wir auf der Flucht vor den auf Rache sinnenden Männern Olavs zurücklassen müssen. Sie waren auf unseren Hof gekommen, wobei einige murmelten, die Männer könnten auch vom Dänenkönig geschickt worden sein. Vielleicht hatte er mir Angst einjagen wollen, damit ich nach Westen segelte und dort Land entdeckte, das er dann später einfordern konnte, denn in gewisser Weise war ich ja einer seiner Männer. Ob an diesen Gerüchten auch nur ein Funke Wahrheit war, wusste ich nicht. Die Reue quälte mich trotzdem. Mitten im Winter war es besonders schlimm, denn in den langen Nächten war die Schwermut nie weit entfernt. Erst jetzt, da ich auf dem schwankenden Schiff stand, wurde mir bewusst, dass die Reue verschwunden war. Die Angst vor weiteren Olavsmännern oder Söldnern, die dem toten König gegenüber noch immer loyal waren, war weg. Mit jeder Welle kam ich der Freiheit im Westen näher. Dort wartete neues Land auf uns. Land, das nach allem, was wir gehört hatten, sowohl fruchtbar war als auch Bäume hatte, aus denen man Schiffe bauen konnte.

Ich ging nach achtern zu Welpe. »Heute Nacht wird es dunkel«, sagte er und zeigte zum Abendhimmel. »Kein Mond. Ich muss nach den Wellen steuern.«

Ich murmelte, dass er tun sollte, was er für das Beste hielt. Er hatte sich bereits als guter Steuermann erwiesen und würde uns sicher durch die Nacht bringen. Sigrid, Gislaug und Vidars Töchter verschwanden unter Deck. Sigrid hatte unser Kind fest an ihre Brust gedrückt.

»Habt ihr schon einen Namen?«, fragte Welpe.

»Nein«, antwortete ich, was nicht ganz stimmte, denn wir hatten schon vor der Geburt darüber gesprochen, ihn Grimer zu nennen, sollte es ein Sohn werden. Das war der eigentliche Name ihres Vaters gewesen, obwohl er sein Leben lang nur Grim genannt wurde. Mir war dann aber zu Ohren gekommen, dass Grim der Name war, den Odin nutzte, wenn er als schmutziger Bettler unter den Menschen weilte. Halvor hatte mir das einmal erzählt. Und nannten wir unseren Sohn Grimer, würde er durch sein Mal doch nur wie Sigrids Vater enden und von allen nur Grim genannt werden – ein Name, den die Menschen für Verbrecher und solche nutzten, die ihr wahres Gesicht nicht zeigen wollten. Ich musste mit Sigrid darüber reden und ihr vorschlagen, ihn nach meinem Vater zu nennen, Tormod. Dann würde er als Tormod Torsteinson bekannt werden, ein guter Name für einen Mann.

Welpe und ich blieben am Ruder stehen, während sich die Nacht über das Meer senkte. Die meisten der Männer verschwanden unter Deck. Bjørn nahm Fenris unter den Arm und murmelte mir zu, dass ich ihn wecken sollte, wenn ich ihn bräuchte. Dann ging auch er nach unten. Bald verrieten uns nur noch der Wind und das rhythmische Klatschen der Wellen, dass wir uns auf einem Langschiff befanden und nicht durch die endlose Nacht Ginnungagaps schwebten. Ich ging irgendwann zum Mitteldeck, um die Knoten am Mastfuß zu überprüfen. Wenn die Rah in der Dunkelheit herabstürzte, wäre es schlecht um uns bestellt. Auf dem Weg stolperte ich über einen an Deck schlafenden Mann und stürzte auf Knie und Hände. Dann kroch ich weiter, bis ich Vingur roch. Vorsichtig schob ich mich am Rand des offenen Laderaums vorbei. Es war ein seltsamer Gedanke, dass mein Pferd mich über das Meer begleiten und mehr erleben sollte als die meisten Menschen. Ja, nach allem, was ich wusste, würde Vingur das erste Pferd sein, das auf den Inseln im fernen Westen an Land ging.

Neben Vingur, Fenris und Skjalms Hündin waren noch ein paar Ziegen und Hühner an Bord. Die Ziegen standen unter Deck in engen Käfigen, ebenso die Hühner und der Hahn, der einen eigenen Käfig hatte, weil er aggressiv war. Dort unten befand sich auch der Rabe, den wir aus Jütland mitgebracht hatten und den wir fliegen lassen wollten, um Land zu finden. Halvor sagte, er würde zum Schiff zurückkehren, wenn ringsherum nur Wasser war. Blieb er weg, bedeutete dies, dass sich in der Nähe Land befand. So sollte es jedenfalls sein, außer, er war zahm geworden. Ich ließ ihn fliegen, als wir auf den Orkney-Inseln waren, denn es war nicht richtig, einen Wildvogel in einem Käfig zu halten. Der Rabe verschwand eines Abends und lange glaubte ich, er wäre nach Schottland geflogen, doch eines Morgens sahen die Männer ihn auf der Mastspitze sitzen, als hätte Odin persönlich ihn zurückgeschickt, um auf uns aufzupassen.

Welpe und ich steuerten die »Danen« durch die Nacht. Der Wind kam schräg von Süden und die Wellen schienen immer länger zu werden. Das war häufig so, wenn das Wasser tief war, sodass das Schiff einen anderen, langsameren Rhythmus bekam. Wir hatten Proviant für viele Tage, wollten aber trotzdem auf den Färöern Station machen. Wir hatten dort einiges zu erledigen. Wir brauchten starke Seile aus Seehundleder und wollten die Wassertonnen auffüllen. Einige der Männer hatten auch die Absicht, sich bei den Einheimischen zu erkundigen, ob es Frauen gab, die vielleicht mit uns reisen wollten. Dieses Vorhaben war nicht ganz ungefährlich, aber die Gerüchte besagten, dass die Färöerinnen hübsch und überdies fruchtbar waren, und solche Frauen würden wir im Westen brauchen. Die Jomswikinger hatten auf den Orkneys keinen Erfolg gehabt. Die Familien lebten dort in festen Gemeinschaften und waren eng mit ihren Sippen in Schottland und Irland verbunden. Außerdem wurden die jungen Frauen dort sehr früh verheiratet, wie es auch Sigrid widerfahren war.

Irgendwann in der Nacht löste ich Welpe ab, und als ich allein am Ruder stand, kamen die Gedanken. Das Gerede der Männer über die schönen, wilden und freien Frauen der Färöer weckte wieder die alte Wut in mir, dass Sigrid damals einfach verheiratet und fortgeschickt worden war. Diese Ungerechtigkeit machte mir noch heute zu schaffen, hatte mich Sigrid doch am Strand unterhalb des Grimshofes geküsst … Sigrid, das Mädchen mit den flatternden roten Haaren, das auf der Suche nach den Schafen über die kargen Hochflächen gesprungen war … Sie war das schönste Geschöpf, das ich jemals gesehen hatte. Damals war ich aber nur ein entflohener Sklavenjunge gewesen, und niemand hatte geglaubt, dass jemals etwas aus mir werden würde. Wie hatten sie damals gesagt? Mit dem lahmen Bein würde ich es niemals schaffen, mir einen eigenen Hof aufzubauen. Mit mir gäbe es keine Zukunft.

Vielleicht hatte in diesen Worten mehr Kraft gelegen, als ich bisher verstanden hatte. Vielleicht hatten sie mich dazu angestiftet, der Macht des Königs zu trotzen und dem mir zugedachten Schicksal den Rücken zu kehren. Der Sklavenjunge, der ein Krieger wurde und den Sklavenring gegen die Dänenaxt eintauschte. Irgendwann hatte Sigrid, die mir entrissen worden war, plötzlich wieder vor mir gestanden, nur dass sie da die Sklavin gewesen war.

Bei Tagesanbruch begann es zu regnen. Der Wind kam noch immer aus Süden, hatte im Laufe der Nacht jedoch nachgelassen. Flaute er noch weiter ab, musste ich die Männer an die Ruder rufen. Bei der Schwere des Schiffes warteten wir aber damit, bis wir anders nicht mehr vorwärtskamen.

Kurz darauf kam Bjørn zu mir nach oben. Mein Bruder war ein kräftiger Mann geworden, und der Winter auf Rossøy hatte ihm gutgetan. Die Insulaner waren mit vollen Tonnen vom herbstlichen Fischzug zurückgekehrt, damit nach Süden gerudert und hatten ihren Fang gegen Korn, Zwiebeln und Rüben eintauschen können. Deshalb waren wir Jomswikinger durch den Winter gefüttert worden, sodass Bjørns Schultern und sein Rücken nun wieder breit waren. Er war bekannt für die Kraft seiner Arme und die nutzte er jetzt, um die Schot zu straffen. Der Wind war zwar schwach, aber bei der Größe des Segels war dies für einen Mann allein kaum zu schaffen. Danach stellte er sich in den Bug und spähte in den grauen Morgen. Er nahm den Sonnenstein, den er mir einmal geschenkt hatte, hielt ihn nach Osten, kniff ein Auge zusammen und starrte hinein. Der Stein war kaum größer als ein Würfel. Bjørn glaubte daran, dass dieser Stein uns jederzeit verraten könnte, wo wir uns befänden, so es uns denn gelänge, sein Geheimnis zu lüften. Halvor und die anderen Jomswikinger benutzten für die Positionierung lieber einen Stock, den sie in eine Vertiefung auf dem Achterdeck steckten. Berechneten wir die Länge und den Winkel des Schattens und bezogen diese Werte auf den Tag des Jahres, verrieten sie uns, wie weit nördlich wir uns befanden.

Ich segelte, bis der Wind so stark abflaute, dass das Segel, inzwischen schwer vom Regen, schlaff herabhing.

Als wir keine Fahrt mehr hatten, begann das Schiff auf den Wellen zu rollen, was die Männer unter Deck weckte. Sie kamen mit zerzausten Haaren nach oben, die Körper noch steif vom Schlaf. Die Frauen blieben wohlweislich noch eine Weile unten, denn jetzt kam das Morgenritual. Die Männer schoben ein paar Kisten an die Reling, stiegen darauf und schlugen ihr Wasser ab. Schließlich kam Hutten zu mir und übernahm das Steuer. »Geh nach unten«, sagte er. »Du hast dir ein bisschen Schlaf verdient.«

Im Traum sah ich eine gewaltige Reihe von Langschiffen, die sich mit geblähten Segeln von Süden her näherten. Auf einer Landspitze standen die Häuptlinge: Sven Gabelbart, Olof Schatzkönig und die beiden Ladejarle Erik und Svein. Erik trug einen Wolfspelz. Die vier wechselten kein Wort miteinander. Sie standen nur da, bis Erik den Arm hob und nach Süden zeigte, wo ein Schiff auftauchte, das größer als alle anderen war. Es war die »Ormen«, das Drachenschiff von Olav Tryggvason.

Danach führte mich mein Traum auf das Schiff von Erik Håkonson. Ich stand an Bjørns Seite, während um uns herum die Pfeile herabregneten. Wir sahen Männer zu Boden gehen, Hände und Füße, die ans Deck genagelt wurden und Körper, die sich vor Schmerzen wanden. Bjørn und ich blieben unverletzt, Odin hielt seinen unsichtbaren Schild über uns.

Es heißt, die Geister sprechen im Traum zu uns. Vielleicht ist das wirklich wahr. Ich hatte Sigrid nie viel von der Schlacht von Svold erzählt. Natürlich war ihr zu Ohren gekommen, dass ich es gewesen war, der Olav niedergeschlagen hatte, aber die Angst, die ich an jenem Tag verspürt hatte, hatte ich für mich behalten. Trotzdem ahnte ich, dass sie mehr wusste. »Du hast wieder im Schlaf gesprochen«, sagte sie manchmal morgens, wenn sie an der Feuerstelle stand. Ich nickte dann nur, murmelte, dass es mir leidtäte, redete aber nicht weiter darüber.

Manchmal waren die Träume nur kurze Momente der Angst. Andere Male schienen sie so echt, dass ich mein ganzes Leben noch einmal überstehen musste. Ich sah den Runenmeister draußen vor dem Hof von Harald dem Roten und die Verwüstungen in Skiringssal. Das magere Gesicht, in das die Beschwörungen eingeritzt waren, starrte mich an, und seine Stimme war wie ein Flüstern aus einer anderen Welt. »Zweier Könige Blut … an deinen Händen.« Dann stehe ich vor Olavs gewaltigem Drachenschiff. Ich schwinge die Dänenaxt über die Reling und ziehe mich an dem langen Schaft nach oben. Hinter mir folgen Erik Håkonsons Männer. Wir schlagen und stechen um uns und zwingen die Olavsmänner in die Knie, bis wir schließlich Olav vor uns auf dem Achterdeck sehen. Vor ihm steht Ros, der Mann, der mich zum Sklaven gemacht hat. Als ich auf sie zugehe, hebt er das Schwert, aber ich bin schneller, stoße ihm die Axt ins Gesicht und treibe ihn nach hinten, sodass wir einen Keil in Olavs letzte Verteidigungsreihe treiben. Ich treffe Ros’ Bein, das unter der Wucht der Axt bricht. Er lässt das Schwert fallen und wälzt sich über die Reling. Jetzt sind nur noch zwei Männer zwischen Olav und mir. Sigurd Bueson tritt vor und schlägt einem von ihnen die Beine weg. Ein Speer trifft den anderen im Bauch. In diesem Moment tut Olav etwas Sonderbares. Er nimmt den Helm ab und richtet das Schwert in Richtung Himmel. Ich schwinge die Dänenaxt mit ungeheurer Kraft und die Klinge dringt seitlich an seinem Kopf ein und schiebt sich bis tief in seine Schulter. Aber noch lebt der König. Er klettert auf die Reling, stützt sich an den Achtersteven und sieht uns an. Mit einem Mal sind alle still. Dann lässt Olav Tryggvason sich fallen, und das Wasser verschluckt ihn.