Virusrausch - Daniela Christine Geissler - E-Book

Virusrausch E-Book

Daniela Christine Geissler

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Beschreibung

Es wird die fiktive Geschichte des Virus Sanguis, welcher die Infizierten in einen pathogenen Rauschzustand versetzt, indem er in das limbische System des Gehirns eindringt, geschildert. Dadurch werden die neurotischen Spannungszustände der infizierten Personen ausführlich beschrieben und in deren individuelle persönliche Biografie eingebaut. Es soll gezeigt werden, wie weit die menschliche Psyche von seinen Neurosen durch die pathogene Veränderung abhängig ist, wozu sie fähig ist und wie die persönlichen Schicksale der Hauptpersonen davon beeinflusst werden. Mit visionären Rückblenden, die sich in die jeweilige Situation einfügen, werden die psychischen Veränderungen der Infizierten geschildert. Hauptperson ist der exzentrische Pathologe Marc Andrew, der sich durch einen verhängnisvollen Zufall mit dem Sanguis - Virus ansteckt. Er ist eine von inneren Konflikten geprägte Persönlichkeit, welche unter seinem dominanten Vater leidet. Seine ödipalen Konflikte verknüpfen sich mit der krankhaften Auswirkung des Virus in seine Erlebniswelt. Es wird freilich nicht nur seine Situation geschildert, sondern mit den Lebensumständen der anderen Personen spannend in Verbindung gebracht.

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Seitenzahl: 191

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Daniela Christine Geissler - Virusrausch

 

VIRUSRAUSCH

 

Psychologischer Roman

 

 

 

 

 

Daniela Christine Geissler

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Virusrausch

Daniela ChristineGeissler

Copyright: © 2012 Daniela Christine Geissler

published by: Neopubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-3893-8

Inhaltsverzeichnis

 

PROLOG..7

 

1.  T E I L..10

Kapitel 1 10

Kapitel 2 19

Kapitel 3 29

Kapitel 4 43

Kapitel 5 46

Kapitel 6 53

Kapitel 7 60

Kapitel 8 70

 

2. T E I L..75

Kapitel 9 75

Kapitel 10 83

Kapitel 11 90

Kapitel 12 100

Kapitel 13 108

Kapitel 14 114

Kapitel 15 117

Kapitel 16 124

Kapitel 17 128

Kapitel 18 134

Kapitel 19 140

Kapitel 20 147

Kapitel 21 154

Kapitel 22 160

 

 

 

 

 

 

 

 

 >Viren sind die einzigen Rivalen um die Herrschaft über unseren Planeten. Wir müssen auf Draht sein, um mit ihnen Schritt zu halten.<

 

Dr. Joshua Lederberg

 

PROLOG

 

Houston

Donnerstag, 17. Juli, 11 Uhr

 

>>Dr. Andrew! Soll ich die Autopsie vornehmen?<<

>>Ja! Gehen Sie schon! Die Studenten warten.<<

Hastig schloss er die Tür hinter sich. Er fühlte sich ausgelaugt, rieb sich die Augen und starrte gedankenverloren in den lichtdurchfluteten Raum. Eine Arbeitswoche wie jede andere, und trotzdem fühlte Marc sich angespannt und aggressiv. Erinnerungen drängten sich immer wieder in den gewohnten Arbeitsrhythmus. Längst vergessene Szenen aus Kindertagen stürmten in sein Bewusstsein und nur mit Mühe konnte er sich auf seine Arbeit konzentrieren.

Sein Vater, John Andrew, war an seiner Laufbahn in diesem Krankenhaus nicht unbeteiligt. Um den ständigen Unstimmigkeiten zwischen ihnen zu entgehen, gab er schließlich nach und widmete sich der Medizin. Die konfliktgeladene Vater-Sohn-Beziehung bestand aufgrund mangelhaften Einfühlungsvermögens auf beiden Seiten.

Marc Andrew, Pathologe des Eden Hospitals, ein Mann von mittlerer Statur, dessen Hände dazu geeignet waren, einen Geigenbogen zu führen, wie ein Skalpell, wollte eine Künstlerlaufbahn als Musiker einschlagen, aber das war natürlich indiskutabel, wenn man einen Mann wie John zum Vater hatte. Einen soliden Hausarzt, der solche hysterischen Überspanntheiten nicht duldete. Zu seinen Mitmenschen hielt Marc wenig Kontakt.

Er war ein Eigenbrötler, ein Exzentriker, und so gab es für ihn nur eine Berufung in der Medizin - die Pathologie. Nur vor den Toten hatte er keine Hemmungen; jene Zurückgezogenheit, die ihn seit seiner Kindheit durch das gestörte Verhältnis zu seinem Vater prägte.

An diesem Tag überließ er Dr. Gerald Gilbert die Autopsie des an Leberkrebs verstorbenen Mannes. Marc hatte zu seinen Kollegen ein distanziertes Verhältnis. Er lehnte es ab, sie beim Vornamen zu nennen. Nur einer konnte die Barriere überschreiten, welche er zwischen sich und seiner Umwelt aufgebaut hatte. Was Gerald betraf, hatte er zu seinen medizinischen Leistungen größtes Vertrauen und dieser bewahrte stets einen respektvollen Abstand zu Marc. 

Aus dem Nebenraum drang das helle Lachen des Praktikanten Elias heraus. Marc hatte nicht viel für seine Mitmenschen übrig. Auf Scherze im Sezierraum reagierte er sehr empfindlich - er fand es einfach taktlos. Schnell durchlief er die pathologische Abteilung, wobei sein strenger Blick Elias streifte. In seiner steifen Art sich zu bewegen, hielt er  kurz inne, verzichtete jedoch darauf, ihn zurechtzuweisen. Gerald war damit beschäftigt, einigen Studenten den inneren Teil des Körpers näherzubringen. Elias überprüfte die Instrumente auf der Ablage und reichte ihm das passende Skalpell.

Der Körper des Verstorbenen war bis auf einen langen rechteckigen Ausschnitt vom Brustbein bis zu den Lenden wie bei einer Operation verdeckt. Die Studenten starrten ihn gebannt an. Routiniert führte er einen sauberen Schnitt aus.

Einigen unter den Studenten wurde bei diesem Anblick übel. Gerald konzentrierte sich auch auf die Wucherungen der Metastasen zu den anderen Organen.

Er lehnte es ab, während einer Autopsie den Studenten Zwischenfragen zu stellen und ging betont ruhig an seine Arbeit. Seiner Meinung nach hatten die jungen Leute genug damit zu tun, den süßlich-bitteren Leichengestank, vermischt mit chemischen Gerüchen, verdauen zu können.

Der Anblick eines enthäuteten Körpers, der einmal ein Mensch gewesen war und der wie ein rohes Stück Fleisch auf dem Tisch lag, war keine angenehme Sache für junge Leute. Nach der Prozedur bemerkte eine Studentin zu Elias:

>>Der Pathologe ist der Frankenstein der Medizin! Finden Sie nicht auch?<<

>>Na ja, es ist eher so, dass der Beruf des Pathologen das so mit sich bringt. Ewig an Leichen stochern, da muss man sich schon eine harte Schale aneignen<<, entgegnete er mit seinem  knabenhaften Lächeln. Verzückt betrachtete sie seine engelhafte Erscheinung, die so gar nicht in diese Umgebung passte.

1.  T E I L

 

 Kapitel 1

 

Houston - vor zwei Wochen

Freitag, 17.30

 

>>Mach schon!, fluchte Clark hinter dem Steuer des Rettungswagens. Energisch schlängelte er den Wagen zwischen den langsam ausweichenden Autos vorbei zum Hotel Continental.  Dort endlich angekommen, stürmten die zwei Rettungsleute aus dem Wagen und schoben die Trage heraus.

In der Hotelhalle lag, von vier Angestellten umringt, ein Mann am Boden. Der gewissenhafte Hotelboy hatte ihn bereits in Seitenlage gebracht. So daliegend, machte der junge Mann den Eindruck eines friedlich Schlafenden, inmitten der Hektik, die er verursachte.

Mit einem lethargischen Blick sah er kurz zu den hereinstürmenden Männern auf. Der Notarzt fühlte seinen Puls und nickte den Rettungsleuten zu, die ihn daraufhin sachte auf die Trage legten. Als sie Brian in den Krankenwagen schoben, raste seine Kindheit in Zeitraffer an ihm vorüber. Manche Szenen durchlebte er mit besonders quälender Intensität.

Das Leben jedes Menschen beinhaltet positive und negative Erlebnisse, aber dieser Mann erlebte Szenen, die eigentümlich verzerrt waren. Er befand sich auf einem seelischen Horrortrip, der einem Drogenrausch glich.

In der Notaufnahme stellte man eine Herzinsuffizienz und eine herabgesetzte Atemtätigkeit fest. Man brachte ihn nach der ersten medizinischen Versorgung auf die Intensivstation. Dort kam er wieder einige Minuten zu sich, um dann wieder in diesen Dämmerzustand zu verfallen. Niemand konnte ihm helfen, keiner wusste, was er durchmachte. Von seinem körperlichen Zustand her war es nicht zu erkennen, dass sein Zentralnervensystem seine Psyche mit unzusammenhängenden Fantasien quälte.

Er fühlte den Ruck, als die Krankenpfleger ihn ins Bett hoben. Brian versuchte sich zu bewegen, doch seine Arme gehorchten ihm nicht. Nur schemenhaft registrierte er seine Umgebung. Aus weiter Ferne drangen die Worte zu ihm>>.....Brian Cain......Systolen festgestellt...... säubern....... Katheder legen......<<Er begann zu frösteln. Im nächsten Moment entfernten sich die Stimmen um ihn herum. Ein Strudel aus sich überschneidenden Bildern riss ihn in seine Vergangenheit zurück. Er war neun Jahre alt und befand sich in seinem Kinderzimmer.

Dort herrschten Dunkelheit und Kälte. Seine Mutter drückte den Lichtschalter, doch statt des Lichts ratterten vor seinem Fenster eiserne Gitterstäbe herunter. Einem weiblichen Höllentier gleich, beugte sie sich über ihn, welches sich plötzlich in seine Schwester Margit verwandelte. Sie streichelte seine Wange, ihr Haar duftete süß.  Sein Vater befand sich hinter ihnen und betrachtete beide traurig. Er löste sich von Margit und wollte in die starken Arme seines Vaters flüchten, doch je näher er kam, desto größer wurde der Abstand zwischen ihnen. Anschließend sah er das ebenmäßige Gesicht seiner Frau Helen vor sich - in ihrem Lächeln schien er zu versinken. Er versuchte, mit ihr zu sprechen, aber seine Stimme erreichte sie nicht. Seine Stimme versagte - daraufhin lachte sie und lief weg.

Alle Komplexe, die seine Psyche verdrängte, traten in seinen halbwachen Zustand und wurden für ihn zur Wirklichkeit. Zwei Welten liefen parallel - die Realität, die ihm kurzzeitig Erlösung brachte und der Dämmerzustand, aus dem er sich zu befreien suchte. BrianCainewar ein Realist, einen Computertechniker konnte man nicht so leicht in die Irre führen. Er war kein Fantast und umso härter traf ihn dieser irreale Film, der vor seinem inneren Auge ablief - vor dem es kein Entrinnen gab.

Zur selben Zeit inNewcastlelegte Helen ihren Autogurt an. Ihr Handy läutete und sie vernahm die monotone Stimme einer älteren Frau, die sich als eine Angestellte des Hotels Continental erwies. Mit gelangweiltem Ton fuhr diese fort

>>.....Ihr Mann ist  ohnmächtig geworden und wurde in das nächstliegende  Hospital Eden gebracht......<<

Helen war Hysterie fremd, hörte aufmerksam zu und machte sich während des Gesprächs Notizen. Ihre weibliche Intuition riet ihr allerdings nach Houston zu fahren.

Sie bestellte einen Flug für den nächsten Morgen. Helen war es gewohnt, schnelle Entscheidungen zu treffen und wählte  die Nummer ihres Kollegen.

>>Tag Mike, das Geschäftsessen morgen muss ich leider platzen lassen. Brian wurde in ein Hospital gebracht. Ich werde nach Houston fahren.<<

Den Charakterzug der englischen Gelassenheit besaß Mike nicht. Er war ein Hektiker, der immer auf Achse war und bekam bei einem Gespräch vor lauter Zerstreutheit nur die Hälfte mit und ratterte schon los >>Du  hast in letzter Zeit so viel gearbeitet, dass du dir über das Projekt keine Gedanken machen sollst. Deine letzte Werbecollage ist bei der Firma gut angekommen. Wenn du so weiter arbeitest, machst du uns noch alle reich. Was ist übrigens mit Brian? ..... Nichts Schlimmes..... oder?<<

>>Man hat mir nichts Genaues mitgeteilt, wahrscheinlich der Kreislauf. Du weißt ja, er verträgt die Hitze nicht besonders gut. In Houston herrschen andere Temperaturen als bei uns und ich nehme an, dass ihm das zu schaffen gemacht hat, hinzu kommt noch der Stress beim Seminar.....bin in Eile. Wenn es Neuigkeiten gibt, ruf ich dich an, bis später.<<

Noch ehe Mike antworten konnte, legte sie auf. Die Zeit rannte ihr davon. Sie hatte bis zum Abflug noch tausend Dinge zu erledigen. Genervt dachte sie daran, seine Familie informieren zu müssen. Ach, du meine Güte, Margit wird hoffentlich nicht ausflippen.

Margit war anders als Brian. Sie war ein Pessimist, verletzlich, überfürsorglich, aber auch von einer herzlichen Gutmütigkeit, die Helen an Brians Schwester schätzte. Seine Mutter wird sich wohl weniger Sorgen machen, dachte sie verärgert.

Brian und Helen  lernten sich durch Mike im Büro ihrer Werbefirma kennen.

Eigentlich wollte Helen sich der Malerei widmen, doch ihre Vorstellungen von Kunst waren anscheinend veraltet. Ihr Kunststudium war mehr als frustrierend. Kunstprofessoren legten zu ihrer Enttäuschung auf handwerkliche Kniffe der alten Meister keinen Wert. Diese waren voll und ganz damit beschäftigt, ihr Ego in den Vordergrund zu stellen und sich ihren narzisstischen Selbstdarstellungen hinzugeben. Im Vorlesungssaal schwatzte ein alter Professor ihnen vor 

>>Wir malen, um uns zu finden, um unser Innerstes preiszugeben.....<<, dabei rannte er vor Erregung über die Wichtigkeit seiner Ausführungen die Stufen des Vorlesungssaales treppauf, treppab. Damit wohl auch die letzten Reihen, die dem Schlaf knapp entgingen, seinen>philosophischen Sichtweisen<  lauschen konnten. Auf der Staffelei lehnte ein Bild, übersät mit undefinierbaren Farbklecksen, über das sich der alte Mann bereits seit zwei Stunden in völlig absurden Vorstellungen erging. Helen erinnerte es an den Rorschacher Test.>>Die gehören alle in eine Anstalt, diese Kunstbanausen<<, hallte noch jetzt die gedehnte Stimme eines Studienkollegen in ihren Ohren wider. Nach den unzureichenden Informationen, die ihr das Kunststudium vermittelt hatte, entschied sie sich Grafikerin zu werden und setzte ihr ganzes Können in diese Sparte. Sie belegte zwei Semester Psychologie, absolvierte Grafikkurse und verdiente ihr Geld als selbstständige Werbegrafikerin, bis ihr eine Fixstellung bei einer großen Werbefirma angeboten wurde.

Mike war für die Computerausführung und Texte verantwortlich, Helen für die künstlerisch-grafischen Entwürfe. Nach schon zwei Monaten waren sie ein gut funktionierendes Team der Werbefirma und bekamen Projekte von Großfirmen vorgelegt.

Mike war ein ausgelassener Typ. Deshalb wunderte sich Helen, als er ihr Brian vorstellte, der das ganze Gegenteil von ihm war. Vielleicht waren es auch die Gegensätze, welche diese Freundschaft seit der Schulzeit andauern ließen. Brian war für Mike der Ruhepol. Mike gab den Ton an, aber das störte ihn nicht. Brian fügte sich, aber immer mit einem gewissen Rückhalt. Es gab auch Momente, in denen er ihm wochenlang aus dem Weg ging und Mike fragte sich, was er wohl verbrochen hatte. Aber mit der Zeit gewöhnte Mike sich an seine Launen und Brian fand sich mit seiner oftmals kränkenden, zynischen Haltung ihm gegenüber ab. Auf Helen machte Brian einen positiven, jedoch langweiligen Eindruck. Er rauchte nicht, trank nicht, hatte keine Weibergeschichten, machte keine Probleme. Der ideale Mann für Helen, denn Beziehungsstress und andere Dummheiten würden ihr Leben und vor allem ihre Arbeit, für die sie lebte, stören. Außerdem respektierte Helen seinen Wunsch nach Zurückgezogenheit, wofür er sie noch mehr liebte.

>>Die hat Beine, ich sage dir, einmalig! Mein Typ ist sie trotzdem nicht. Du weißt ja, mir gefällt die Hingebungsvolle, keine Powerfrau.<<Mike konnte kein weibliches Wesen ansehen, ohne sie sofort zu beurteilen, aber Brian ignorierte seine Bemerkung in seiner phlegmatischen Art.

Am darauffolgenden Nachmittag lernte er Helen kennen. Obwohl er sich von Frauen keine genaue Vorstellung gemacht hatte, war sie diejenige, die sein Innerstes suchte, und nun war sie da, stand vor ihm, streckte ihm liebenswürdig ihre Hand entgegen. Sein fester, warmer Händedruck gefiel ihr. Sein Haar war schwarz und sein Gesicht hatte den typischen blassen Teint vieler Engländer. Brian war nicht die Vorstellung von Mann, die Helen sich erträumt hatte, doch seine Stimme erregte sofort ihre Aufmerksamkeit - diese war melodisch weich, fast weiblich.

Nach nur einem halben Jahr fand die Hochzeit statt. Die Ehe verlief harmonisch, nur den Grund seiner plötzlich auftretenden Launenhaftigkeit begriff Helen erst nach einer Weile.

Bei den jeweiligen Familienfeiern lernte Helen seine Mutter näher kennen und dann wurde ihr einiges klar. Sie begegnete einer herzlosen Frau, die nur an sich Interesse zeigte. Andere Menschen ihrer Umgebung dienten vornehmlich dazu, sich um sie zu versammeln, damit sie deren Mittelpunkt bilden konnte.

Ihr Mann verließ die Familie, da war Brian acht und Margit zehn Jahre alt. Er ging nicht wegen einer anderen Frau, sondern weil er Magie nicht mehr ertragen konnte.

Er hinterließ ihr einen netten Brief und korrespondierte nur mehr über den Anwalt mit ihr. Er zahlte seine Alimente pünktlich, nahm aber das Recht nicht in Anspruch, seine Kinder zu besuchen. So gut sich Helen in Mr.Caines Lage hineinversetzen konnte, so wenig verstand sie seine Gleichgültigkeit den Kindern gegenüber.

So prägte die fehlende Vaterfigur den Charakter der beiden Kinder. Margit war von nervösem Temperament und Brian zog sich in seine Computerwelt zurück.

Eine Begebenheit war Helen noch lange im Gedächtnis geblieben. Es war ein Streit zwischen Magie und Brian. Seine Mutter brüllte ihn an, machte ihm eine Szene nach der anderen. Helen stand abseits und lauschte. Was sie so wütend machte, war die Tatsache, dass Brian sich ihren Anschuldigungen nicht entgegenstellte. Mit hängenden Schultern, wie ein Prügelknabe, stand er vor ihr, sah sie nicht einmal an. Helen konnte diese Ungerechtigkeit nicht mehr ertragen und betrat den Raum. Magie war plötzlich wie ausgewechselt. Niemals wollte sie vor anderen Leuten ihr Gesicht verlieren, nur ihre Kinder kannten die zweite Magie. Nach der Szene machten die beiden einen langen Spaziergang, bei dem sie einen anderen Brian kennenlernte.

>>Erwürgen hätte ich sie können, erwürgen mit nur einer Hand!<<, brüllte er. Über den Vorfall verlor er später kein Wort mehr.

Angespannt überlegte sie, ob sie die beiden nicht erst nach dem Gespräch mit einem Arzt informieren sollte, wählte dann jedoch hastig die Nummer

>>Hallo, Margit, reg dich bitte nicht auf! Du weißt ja, Brian ist wegen eines Seminars in Houston. Man hat mich eben informiert, dass man ihn in das Hospital Eden eingeliefert hat. Er ist ohnmächtig geworden, wahrscheinlich der Kreislauf. Um diese Zeit ist es im Juli sehr heiß ....ich fliege also morgen zu ihm und ruf dich dann wieder an.<<, mit diesen Worten wollte Helen es schnell hinter sich bringen, doch Margit plapperte bereits aufgeregt in den Hörer >>Wie geht es ihm denn jetzt? Hast du dich nicht laufend erkundigt........<<

Von Margits Pessimismus angesteckt, stieg sie nach dem Gespräch erschöpft die Treppen in ihre Wohnung hinauf. Trotzdem war sie erleichtert, nicht mehr mit Brians Mutter sprechen zu müssen.

Helen hatte vor, die Situation erst dann zu beurteilen, wenn sie sich selbst ein Bild davon gemacht hatte. Unsinn, was wird schon sein? Morgen wird er sich über mich lustig machen, weil ich vonNewcastlenach  Houston geflogen bin, nur weil ihm schlecht geworden ist und mein Handeln mit der Hysterie von Margit vergleichen, versuchte sich Helen zu beruhigen und erinnerte sich an ihren letzten gemeinsamen Urlaub in Kenia.

Dabei wunderte sie sich, dass er das heiße Klima dort so gut vertragen hatte.

Helens Cousine Ambra lebte in Ostafrika. Sie wollte einen Abenteuerurlaub mit Brian machen, um ihn ein wenig aus seiner Melancholie zu reißen. Zu ihrer Überraschung war er wie ausgewechselt und nicht davon abzubringen, dauernd mit dem Jeep durch die Gegend zu düsen. Zum Vorschein kam ein Gesicht von ihm, das sie nicht für möglich gehalten hätte. Er entwickelte sich zu einer echten Stimmungskanone.

Kapitel 2

 

Ab zwölf Uhr mittags herrschte in der Kantine des Hospitals hektisches Treiben. Nachdem das Essen besser geworden war, nahm das Personal bedeutend mehr Mahlzeiten dort ein. Der Speiseplan wurde erweitert, es gab mehrere Menüs zur Auswahl, sogar eine vegetarische Kost und Diätmahlzeiten wurden eingeführt.

Zur Freude vonBeckyFox, Oberschwester der Intensivstation, welche im Laufe ihrer fünfundvierzig Jahre doch einige Kilos zugelegt hatte. Marc bevorzugte ebenfalls ein spezielles Menü - er war Vegetarier. Seit einem halben Jahr aßen sie gemeinsam, wenn es ihr Dienstplan erlaubte. Obwohl sich in ihrer Nähe sein Puls beschleunigte, hatte sie doch etwas an sich, was ihn gleichzeitig ruhiger werden ließ. In ihrer Gegenwart umgab ihn ein Gefühl von Wärme und Behaglichkeit, auf das er nicht mehr verzichten mochte. Seine zarten Hände gefielenBecky, sie berührten ihr Inneres besonders. Er sprach kaum über sich, doch als sie sich über Musik unterhielten, veränderte er seinen sonst so starren Gesichtsausdruck und erzählte ihr leidenschaftlich von seiner Liebe zum Geigenspiel. Becky versuchte dieses Thema noch öfter anzuschneiden, doch er lenkte immer wieder ab. Es schien, als ob er ihr nur kurz einen Einblick in sein Innerstes gewährte, um sich ihr dann wieder zu entziehen.

An diesem Tag aß sie mit Melanie zu Mittag. Diese schnatterte aufBeckyein

>>Wenn man ihn auf der Straße sieht, kann man sich nicht vorstellen, dass er Pathologe ist. Aber ehrlich bemerkt, welchen Menschen kann man diesen Beruf schon ansehen?<<, dabei spielte sie mit ihrem Joop-Ring, den sie von einem ihrer Kurzzeit-Liebhaber bekommen hatte, hielt den Kopf etwas geneigt und fuhr überzeugt fort>>Du kannst ja sagen, was du willst, aber ich denke, Dr. Andrews ist in dich verknallt.<<Abwehrend schüttelte Becky heftig den Kopf. Drei Tische weiter saßen die Krankenpfleger. Leòn Comachiovon der Kinderstation diskutierte eifrig mit Harry Bell von der Notaufnahme über die Klimaveränderung.

>>Sicher, wirst schon sehen, durch die Klimaveränderung gehen wir trostlosen Zeiten mit Überschwemmungen und anderen Naturkatastrophen entgegen und kein noch so kluger Kopf kann uns davor bewahren. Die Natur macht was sie will, sehe ich selbst  bei den Patienten. Die Ärzte glauben, alles im Griff zu haben und hops...  wieder ein Fall für den Pathologen<<, übertrieb Harry. Er liebte es, mitLeònzu diskutieren, weil dieser das Leben so ernst nahm.

>>Also ich wäre gern Arzt geworden und ich kann nichts Lustiges daran finden, wenn Patienten leiden!<<, zischte er.

>>Ja, ja, die alte Leier mit dem verpassten Studium. Das Leben ist ungerecht, schon mitgekriegt? Du kannst froh sein, dass du einen Job hast. Sei nicht so unzufrieden mit dir! Du hast eine Familie und bist fähig, sie zu ernähren. Betrachte es einmal von dieser Seite her. Möchtest du vielleicht das Leben eines Arztes führen? .......Jetzt im Ernst, du glaubst also, dass mir die Patienten gleichgültig sind! Für eine falsche Behandlung oder den Tod von ihnen möchte ich nicht verantwortlich sein. Als Chirurg kann man an seinem Tod schuld sein, aber als Krankenpfleger musst du sie nur zu Tode pflegen<<, gab ihm Harry zurück und setzte dabei sein typisches Grinsen auf.

>>Jetzt vergeht mir gleich der Appetit. Könnt ihr nicht ein anderes Thema durchdiskutieren?<<, raunte Scott, der kurz von der Tageszeitung aufblickte.

 Becky und Melanie hatten ihr Essen beendet und drängten sich mit ihren Tabletts an ihnen vorbei.

Harry rief Melanie zu

>>Wie geht es dem  Neuen?<<

>>Nicht besonders, er ist noch nicht  wach. Manches Mal glaube ich, er sieht mich an und dann ist er wieder weggetreten.<<

>>Kein Wunder, der sieht dich und kippt sofort ins Kissen zurück<<, gab Harry lautstark von sich. Schallendes Gelächter. Dessen ungeachtet sprach Melanie weiter

>>Es ist irgendwie ungewöhnlich. Er hat zwar Fieber, aber so hoch ist es nicht, dass er sich ständig in einem Dämmerzustand befindet und vor sich hin fantasiert. Sogar Dr. Lewis weiß in diesem Fall keinen Rat.<<

>>Also ich für meinen Teil bin froh, dass ich nicht in der Intensivstation bin und mit Dr. Lewis habe ich gottlob auch noch nichts zu tun gehabt<<, bemerkteLeónund trank sein Glas aus. Harry  balancierte ein Pommes zwischen seinen Fingern und erwiderte

>>Habe ihn vor vier Jahren in der Kardiologie  erleben dürfen. Eine Charmeschule hat er nicht gerade besucht. Eine Schwester hat einmal eine Akte vertauscht, darauf hin hat er so gebrüllt, dass er sie zum Heulen gebracht hat. Er ist wirklich ein guter Arzt und bringt oft Fälle durch, wo andere schon beim Hinsehen aufgeben, aber der freundlichste Kerl ist er jedenfalls nicht.<<

Mit vollem Mund verabschiedete sichLeónvon der Runde und trat seinen Nachmittagsdienst an.

Seit acht Jahren arbeiteteLeónin diesem Hospital. Er war schon in mehreren Abteilungen, aber die Kinderstation, in der er in den letzten zwei Jahren gearbeitet hatte, war ihm die liebste. Kinder waren wesentlich einfachere Patienten. Der einzige Nachteil für ihn bestand darin, dass er das Leid mancher Kinder schwer ertragen konnte.

So sah er es, neben den gewohnten Arbeiten eines Krankenpflegers, auch als seine Aufgabe an, sie aufzuheitern. Ein Kind ist der Spiegel der Erwachsenenwelt. Schenkt man ihm seine Zuneigung, so bekommt man es mehrmals zurück, wasLeónbei Erwachsenen nicht behaupten konnte. Die ödesten Erfahrungen machte er mit alten Patienten und sagte eines Abends völlig entnervt zu seiner Frau >>Es scheint so, als würden sich sämtliche negativen Charaktereigenschaften mit den Jahren verstärken. Sie jammern schon vor dem Frühstück und vor allem in der Nacht geben sie keine Ruhe. Oft wundere ich mich  über die Energie, welche sie noch aufbringen können, uns mit ihren Sonderwünschen  auf die Nerven zu gehen.<<

 Als in der Kinderstation ein Pfleger gebraucht wurde, nahm er die Gelegenheit sofort wahr, bekam prompt die Stelle und stellte bald fest, dass Kinder angenehmere Patienten waren.

 

Helen befand sich bereits seit vielen Stunden im Flugzeug und vertrieb sich die Zeit damit, ein Prospekt von Houston durchzublättern, welches sie sich vor ihrem Flug besorgt hatte:

„Im Südosten von Texas, in der Golfküstenebene liegt Houston. Mit seinen rund drei Millionen Einwohnern ist es ein bedeutendes Zentrum für Wirtschaft und Wissenschaft. NASASpace