Vollrausch - Katherine V. Forrest - E-Book

Vollrausch E-Book

Katherine V. Forrest

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Beschreibung

Am Anfang scheint alles ganz klar zu sein: Die wohlsituierte geschiedene Victoria Talbot muss von ihrem Exmann – einem wahren Scheusal – ermordet worden sein. Doch der Verdacht ist schwer zu erhärten, egal wie sehr Detective Delafield und ihr Partner sich bemühen. Dennoch riskiert die Anklagevertretung einen Prozess mit nichts als Indizienbeweisen …

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Katherine V. Forrest

Vollrausch

Kate Delafields 8. Fall

Deutsch von Sonja Finck

Ariadne Krimi 1155

Argument Verlag

Ariadne Krimis

Herausgegeben von Else Laudan

www.ariadnekrimis.de

Romane mit Detective Kate Delafield:

1. Fall: Amateure (Ariadne Krimi 1015)

2. Fall: Die Tote hinter der Nightwood Bar (Ariadne Krimi 1007)

3. Fall: Beverly Malibu (Ariadne Krimi 1029)

4. Fall: Tradition (Ariadne Krimi 1037)

5. Fall: Treffpunkt Washington (Ariadne Krimi 1107)

6. Fall: Kreuzfeuer (Ariadne Krimi 1113)

7. Fall: Knochenjob (Ariadne Krimi 1125)

8. Fall: Vollrausch (Ariadne Krimi 1155)

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

Hancock Park

© 2004 by Katherine V. Forrest

Alle Rechte vorbehalten

© Argument Verlag 2005

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2016

ISBN 978-3-8675-4896-0

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

Danksagung

Für Jo

1. Kapitel

In einem Saal im dritten Stock des Justizgebäudes von Downtown Los Angeles befahl Richter Jackson Terrell: »Rufen Sie Ihren nächsten Zeugen auf.«

»Die Anklage ruft Detective Kate Delafield in den Zeugenstand«, antwortete Alicia Marquez, die Vertreterin der Anklage.

Der Gerichtsdiener hielt ihr das Tor auf, und Kate betrat den Innenbereich, wo eine rundliche blonde Schriftführerin sie zügig vereidigte. Dann trat Kate in den Zeugenstand und ließ sich auf dem schmucklosen Lederstuhl nieder. Nachdem sie vorschriftgemäß ihren Namen angegeben und buchstabiert hatte, stellte sie ihre Umhängetasche ab, strich sich das Jackett glatt, legte ihre Mappe mit den Notizen auf die Balustrade und justierte das Mikrofon.

Sie setzte eine betont höfliche Miene auf und blickte Richter Jackson Terrell in die Augen, während dieser ausdruckslos über seine randlose Brille linste. Der Richter war Afroamerikaner, hatte ein schmales Gesicht und herrschte mit eiserner Faust über seinen Gerichtssaal, was ihm den Ruf von gewissenhafter, humorloser Kompetenz eingebracht hatte. Kate warf den Geschworenen einen flüchtigen, nichtssagenden Blick zu. Sie war darauf bedacht, den Eindruck zu vermeiden, sie wolle sich bei ihnen einschmeicheln. Wie üblich unterschieden sich die Geschworenen hinsichtlich Geschlecht, Alter und ethnischer Herkunft, jedoch zeugte ihre Kleidung von einem relativ hohen Durchschnittseinkommen. Das war eher ungewöhnlich, da die Krise der amerikanischen Wirtschaft inzwischen auch die Chefetagen erreicht hatte. Die Geschworenen musterten Kate ungeniert, was ihr gutes Recht war. Sie spürte ihre stechenden Blicke, ohne hinzusehen.

Kate war angespannt, nicht so sehr wegen Aimee, die weder zurück nach Hause gekommen war, noch angerufen hatte. Es blieb ihr sowieso nichts anderes übrig, als sich dieser Sorge später zu widmen. Obwohl sie häufig als Zeugin aussagte, hatte sie die Ehrfurcht vor dem Gericht nie verloren. Genauso wenig wie die Hochachtung vor dem Richter in seiner schwarzen Robe und den uniformierten Gerichtsdienern, der düsteren Feierlichkeit des Verfahrens, der kargen Eleganz der hölzernen Wände, Tische und Bänke und dem kalifornischen Wappen an der Wand über dem Richterpult, zwischen der Bundes- und der Staatsflagge. Mut machte ihr nur die Gewissheit, dass sie nach zahllosen Auftritten vor Gericht gelernt hatte, wie sie sich am besten präsentierte. Wie sie den Eindruck selbstsicherer Gelassenheit, Kompetenz und Glaubwürdigkeit erweckte, nicht nur gegenüber den Geschworenen, sondern, ebenso wichtig, auch gegenüber den Richtern, Anwälten, Schriftführern und Gerichtsdienern.

Wenn sie vor Gericht auftrat, legte sie sehr viel Wert auf ihr Äußeres und entschied sich meist für schlichte schwarze oder dunkelblaue Jacketts und Anzughosen, kombiniert mit einem schlichten Shirt oder einem Rollkragenpulli; kein Hemd, dessen Kragen sie zurechtzupfen musste, keine Armbanduhr, auf die sie einen unwillkürlichen Blick werfen konnte, als Zeichen von Ungeduld oder Angst, kein Schmuck, an dem sie herumfummeln konnte, was als Nervosität interpretiert werden würde. Lange schon hatte sie es aufgegeben, ihr Haar bändigen zu wollen. Es war inzwischen nicht mehr dunkel, sondern hellgrau, ließ sich aber keinen Deut besser kämmen. Also bürstete sie es morgens nur kurz und ließ es ansonsten so, wie es gerade fiel. Ab und zu strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht, aber nur ganz selten fuhr sie sich mit den Fingern durchs Haar, wie Aimee es ständig tat. Im Zeugenstand vermied sie jede überflüssige Bewegung und unterwarf ihre Mimik und Gestik einer strengen Kontrolle, um den anderen Zeugen, dem Angeklagten, den Verteidigern und Geschworenen so wenig wie möglich über ihren Gefühlszustand zu verraten.

Sie wandte ihre Aufmerksamkeit Staatsanwältin Alicia Marquez zu, die neben dem Rednerpult stand und gemächlich ihre Notizen ordnete. Drei gelbe Spiralblöcke waren mit unzähligen Post-it-Zetteln in allen möglichen Farben übersät, die oben und unten und seitlich überstanden, zudem waren mehrere weiße Blätter zwischen die Seiten des Blocks geschoben. Kate fand ihre organisatorischen Gewohnheiten alles andere als beeindruckend. Und hatte ernste Bedenken, was ihre Fähigkeiten anging.

Dennoch machte Marquez einen guten Eindruck; sie hatte eine sportliche Figur, lebhafte dunkle Augen, volle Lippen und war eher konservativ gekleidet. Heute trug sie ein dunkelbraunes Kostüm, eine beigefarbene Seidenbluse und Schuhe mit Keilabsatz. Kate vermutete, dass ein beträchtlicher Teil von Marquez’ Einkommen dafür draufging, ihre schicke Frisur zu finanzieren. Ihre Haare schimmerten tiefbraun wie Eschenholz und umrahmten, schlicht gescheitelt, ihre goldbraune Haut in einer sanften Welle.

In einer Stadt, in der der Einfluss der hispanischen Gemeinschaft immer größer wurde, konnte sie sich als Latina der fünften Generation ihrer Karriere gewiss sein. Man tuschelte, sie habe länger als üblich dafür gebraucht, zur Verantwortlichen für Drogenmorde und Kapitalverbrechen befördert zu werden, und ihre Erfolgsrate als Klägerin war lediglich durchschnittlich. Dies war ihr erster großer Fall, und er kam einem Durchbruch gleich, da der Prozess immerhin eine gewisse Resonanz haben würde – was bedeutete, dass er es wahrscheinlich auf Seite drei des kalifornischen Teils der L.A. Times schaffte. Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft war der Verteidiger kein ernst zu nehmender Gegner, und die Ermittlungsergebnisse und Vorarbeiten für den Prozess waren gut dokumentiert. Zudem mussten die Anklagevertreter mit Kate als Ermittlungsleiterin keine bösen Überraschungen befürchten, wie unvorhergesehene Enthüllungen mitten in der Verhandlung.

Obwohl sie sich bei den Arbeitstreffen mit Marquez bemüht hatte, eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit zu schaffen, wurde Kate irgendwie nicht richtig warm mit ihr. Sie wusste, dass Marquez geschieden war, zwei Söhne im Teenager-Alter hatte und ihre relativ erfolgreiche Karriere harter Arbeit und unermüdlicher Entschlossenheit verdankte. Kate bewunderte ihr seriöses Auftreten, ihren Ehrgeiz und Einsatz. Aber hinter vorgehaltener Hand wurde gemunkelt, ihr fehle es an Phantasie und taktischem Gespür – eindeutige Defizite in einem Mordfall.

Noch vor Verhandlungsbeginn hatten sich Kates Befürchtungen hinsichtlich Marquez’ Fähigkeiten bestätigt. Vor drei Wochen hatte Gregory Quantrill, ein renommierter Anwalt, der sich inzwischen landesweit einen Namen machte, den ursprünglichen Verteidiger abgelöst. Quantrill hatte keine Vertagung beantragt und ergötzte sich augenscheinlich daran, dass die Staatsanwaltschaft ihr eigenes Team nun nicht mehr umbesetzen konnte. Kate war schon lange klar, dass ein Gerichtssaal nichts anderes war als ein Theater. Sie musste ihre Rolle als Nebenfigur in einer Live-Aufführung spielen, deren Hauptdarstellerin nicht besonders talentiert war und die mit ihrer mangelhaften Bühnenpräsenz das ganze Stück zum Scheitern bringen konnte, egal wie gut Kate selbst war. Dieser Fall stand auf der Kippe, sein Ausgang war ungewiss.

»Detective Delafield«, begann Marquez mit klarer Stimme, die auch noch im hintersten Winkel des Gerichtssaals deutlich zu hören war, »wie lange arbeiten Sie schon für das Los Angeles Police Department?«

»Seit neunzehnhundertzweiundsiebzig«, antwortete sie fest.

Marquez blätterte in ihren Unterlagen eine Seite vor, als suchte sie nach einer bestimmten Notiz, dann wieder zurück, eine altbekannte Taktik im Gerichtssaal: Sie ließ den Geschworenen Zeit, im Kopf nachzurechnen, damit die beeindruckenden drei Jahrzehnte Polizeidienst sich ihnen einprägten. Kate nutzte die Gelegenheit, zum Tisch der Verteidigung hinüberzusehen. Ihr Blick begegnete kaffeeschwarzen Augen – Gregory Quantrill fixierte sie eindringlich, nagelte sie regelrecht an die Rückenlehne ihres Stuhls. Er lächelte ihr siegesgewiss und irgendwie gönnerhaft zu, als wüsste er von ihrem Pessimismus in Bezug auf Marquez und teilte ihre Einschätzung. Sie hielt Quantrills Blick stand. Er sollte ja nicht glauben, er könne ihr imponieren oder sie gar einschüchtern.

Marquez fragte: »Und in welcher Abteilung arbeiten Sie?«

»In der Mordkommission des Polizeireviers von Wilshire.«

»Wie lange arbeiten Sie schon für die Mordkommission?«

»Seit zwanzig Jahren.«

Wieder legte Marquez eine kurze Pause ein, und Kate wandte ihre Aufmerksamkeit dem Angeklagten zu, der neben Quantrill saß. Er trug einen angemessen eleganten dunkelgrünen Anzug, Hemd und Krawatte in hellerem Grün und lauschte aufmerksam, wobei er nicht sie ansah, sondern auf einen Punkt irgendwo zwischen ihr und der Geschworenenbank starrte. Seine beherrschte Körpersprache stand im krassen Widerspruch zu Kates letzter Erfahrung mit ihm, seiner Verhaftung, was nur heißen konnte, dass sein Verteidiger das Auftreten im Gerichtssaal gründlich mit ihm einstudiert hatte.

Marquez fragte: »Welchen Rang bekleiden Sie unter den Detectives der Mordkommission?«

»Rang drei, das ist der höchste auf meiner Stufe.«

Sie ließ ihren Blick durch den Gerichtssaal schweifen. Jetzt, da Quantrill den Fall übernommen hatte, fand er mehr Beachtung, aber an diesem dritten Verhandlungstag waren die Besucherbänke nur spärlich besetzt, hauptsächlich mit den Freunden und Angehörigen des Opfers und des Angeklagten. Der Sohn und die Tochter, Allan und Lisa Talbot, waren anwesend; Rikki, die andere Tochter, würde später kommen. Corey Lanier, die Polizeireporterin der L.A. Times, saß allein auf der hintersten Bank, den Kopf über ein Notebook gebeugt. Lanier war bereits bei den Eröffnungsplädoyers hier gewesen, als Marquez eine Kurzfassung ihrer Beweisführung geliefert hatte, warum also sollte die Reporterin Kates Aussage hören wollen, in der jedes Detail noch einmal lang und breit durchgekaut wurde?

Marquez hatte ihre Eröffnung relativ kurz gehalten; ihre Strategie baute darauf, dass den Geschworenen vor Prozessbeginn relativ wenige Informationen zur Verfügung gestanden hatten, so dass die Beweise, die sie dem Gericht vorlegen wollte, ihre geballte Wirkung entfalten konnten, vor allem, wenn sie von einem überzeugenden Abschlussplädoyer gekrönt wurden. Quantrill hatte sich noch kürzer gefasst als die Staatsanwältin und die schillernde Metapher bedient, die Anklage sei nichts als ein fadenscheiniges Taschentuch aus unbeweisbaren Spekulationen, das bei einem einzigen kräftigen Niesen in der Mitte durchreißen würde.

Der Grund für Laniers Anwesenheit musste Gregory Quantrill sein. Obwohl Kate vorbereitet war, und sie war gründlich vorbereitet – auch wenn Aimees irritierendes Verhalten keine große Hilfe gewesen war –, würde es verflixt schwer werden, seinem Kreuzverhör standzuhalten. Eine Mordklage ohne Geständnis war eine harte Nuss – und die Glaubwürdigkeit der Ermittler anzugreifen war die Lieblingsbeschäftigung von Strafverteidigern. Die Gegenseite würde sich darauf konzentrieren, mit abgedroschenen juristischen Manövern die Fähigkeiten des Verteidigers in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen, eine Strategie, die Strafverteidigern Zehntausende von Dollars einbrachte; die Verteidigung in einem Mordfall kostete eine schöne Stange Geld. Corey Lanier war nur aus einem Grund hier: Sie witterte ein Gerichtsdrama, also eine Story. Das Kreuzverhör der leitenden Kriminalpolizistin würde zeigen, ob die Story etwas taugte …

Marquez fragte: »In wie vielen Fällen haben Sie, grob geschätzt, ermittelt im Laufe Ihrer –«

»Euer Ehren«, fiel Quantrill ihr ins Wort. Er erhob sich und präsentierte seine stattliche Größe von eins neunzig. »Die Verteidigung erklärt sich dazu bereit, der Qualifikation und Berufserfahrung des Detectives uneingeschränkt Glauben zu schenken, so dass wir diesen Teil der Aussage überspringen können.«

Richter Terrell hob seine bleistiftdünnen Augenbrauen und wartete auf Marquez’ Reaktion, doch diese warf Kate lediglich einen verwirrten Blick zu. Ungläubig erwiderte Kate den Blick. War ihr plötzlich das kleine Einmaleins ihres Jurastudiums entfallen? Sie erwog doch nicht ernsthaft –

»Euer Ehren«, sagte Marquez mit einem Kopfschütteln, als wäre ihr die passende Erwiderung in letzter Sekunde in den Sinn gekommen, »wir lassen uns auf keine solche Abmachung ein. Die Geschworenen sollen hören, welche Qualifikationen Detective Delafield hat und –«

»Fahren Sie fort«, sagte Terrell kurz angebunden. Quantrill nahm wieder Platz und schenkte den Geschworenen ein entschuldigendes Lächeln, das zu sagen schien: Ich habe mein Bestes gegeben, um Ihnen dieses langweilige Gewäsch zu ersparen.

»Ich war während dieser Zeit an zweihundertfünfzig Untersuchungen beteiligt«, antwortete Kate und versuchte angestrengt, ihre Wut zu verbergen. Aus der Heerschar von Staatsanwälten, die für die Stadt arbeiteten, musste sie ausgerechnet dieses Exemplar abbekommen. Eine Staatsanwältin wie Linda Foster wäre in die Luft gegangen, hätte Quantrill beschuldigt, die Darstellung von Kates Referenzen zu sabotieren – unerlässlich für die Glaubwürdigkeit ihrer Aussage –, und zwar so lange, bis der Richter sie zur Ordnung gerufen hätte.

Zur Beruhigung atmete Kate ein paarmal tief durch und beantwortete eine schier endlose Serie von Fragen zu ihrer Stellung als Rang-drei-Detective und Leiterin der Mordkommission und schließlich zu ihrer Funktion als Ausbilderin für andere Mordermittler. Die ganze Zeit wurmte sie, wie sehr sich Marquez von Quantrill ins Bockshorn hatte jagen lassen.

Es war kein Geheimnis, dass Quantrills Mandanten ausnahmslos steinreich waren. Sein erster bedeutender Fall, bei dem Unsummen von Geld flossen, war die Verteidigung eines Ölmagnaten aus Oklahoma namens Damian Winfield gewesen, angeklagt wegen Mordes und Verabredung zum Mord an seiner Frau und ihrem Liebhaber. Als Nächstes prozessierte er gegen zwei Boulevardblätter wegen Verleumdung von Winfield und ging damit durch alle Instanzen. Anschließend ließ er von einem Ghostwriter einen Bestseller über den Fall schreiben. Der sich ewig hinziehende Prozess war im Gerichtskanal übertragen worden, und die Fernsehreporter hatten Quantrill mit ihrem Speichellecker-Lobgesang auf sein eloquent geführtes, gnadenloses Kreuzverhör, seine Ausstrahlung und sein Charisma zu einem Star gemacht. Über den aktuellen Prozess berichteten sie nur deshalb nicht, weil ihr eilig eingereichter Antrag auf die Übertragungsrechte abgelehnt worden war. In einer Stadt, in der die Nachwirkungen des O.J.-Simpson-Falls noch immer die Atmosphäre in den Strafverfolgungsbehörden vergifteten, standen die meisten Richter Fernsehübertragungen von Prozessen unverhohlen feindselig gegenüber.

Seit Gregory Quantrill diesen Fall übernommen hatte, gab er sich vollkommen siegessicher. Was schlimmstenfalls hieß, dass er etwas wusste, von dem Kate keinen blassen Schimmer hatte. Oder aber, was noch viel wahrscheinlicher war, dass er in den ihm vorgelegten Unterlagen oder bei seinen eigenen Ermittlungen etwas herausgefunden hatte, was berechtigte Zweifel an ihrer Version des Tathergangs zuließ. Und er würde der Jury dieses Bonbon mit Sicherheit nicht vorenthalten. Er musste ja nicht wie Marquez alle zwölf Geschworenen von der Schuld des Angeklagten überzeugen, unter Ausschluss jeden berechtigten Zweifels. Falls Quantrill nicht alle zwölf Jurymitglieder zu einem Freispruch bewegen konnte, genügte es, nur einen einzigen Geschworenen auf seine Seite zu ziehen. Das wäre eine Pattsituation, die wie ein Sieg der Verteidigung interpretiert werden würde. Jedenfalls von allen außer dem Angeklagten und der Familie des Mordopfers, die in einem Berufungsverfahren die ganze quälende Prozedur ein weiteres Mal durchstehen mussten.

Bisher hatten die ersten Zeugen der Anklage ausgesagt, unter anderem die Bereitschaftspolizisten, die als Erste am Tatort eingetroffen waren, und Quantrill beschränkte sich auf ein paar höfliche Nachfragen zu Fundort, Zustand und Position der Leiche. Er hatte noch keine einzige angriffslustige Frage gestellt.

Marquez kam zum Kern der Sache. »Wurden Sie am neunundzwanzigsten Mai des vergangenen Jahres während Ihrer Dienstzeit zu einer Adresse in der Oakview Road gerufen?«

»Das wurde ich.«

»Liegt diese Adresse in Hancock Park?«

»Richtig.«

»Handelt es sich Ihrer Einschätzung nach um eine eher wohlhabende Gegend?«

Kate war klar, dass Marquez den Geschworenen mit dieser Frage vor Augen führen wollte, wie vermögend der Angeklagte war und dass er sich einen Star-Anwalt leisten konnte.

»Es ist eine wohlhabende Gegend.«

»Um wie viel Uhr kamen Sie am Tatort an?«

»Gegen Viertel nach acht Uhr morgens.« Ihr Tatort-Bericht lag ganz oben auf dem Stapel Unterlagen in ihrer Mappe, falls sie um Erlaubnis bitten musste, ihn zu konsultieren.

»Kamen Sie vom Revier?«

»Ich war gerade auf dem Weg dorthin. Ich erhielt eine Nachricht auf meinem Mobiltelefon und fuhr direkt zum Tatort. Dort traf ich Detective Joseph Cameron, der gerade vom Revier kam.«

»Detective Cameron war Ihr Partner?«

»Er war und ist mein Partner.«

»Wie lange arbeiten Sie schon zusammen?«

»Seit drei Jahren.«

»War er vor Ihnen am Tatort?«

»Wir trafen gleichzeitig dort ein.«

»Schildern Sie bitte, was Sie bei Ihrer Ankunft sahen.«

»Die Kollegen von der Streifenpolizei hatten den Tatort bereits abgesperrt –«

»Sie meinen, mit Absperrband?«

»Ja. Und sie hatten alles andere zur Sicherung des Tatorts in die Wege geleitet.«

Die goldene Regel im Zeugenstand lautete, sich kurz zu fassen. Das erforderte konkrete Fragen, die eine knappe Antwort ermöglichten. Aber Marquez schien offene Fragen zu bevorzugen, deren Antworten sie abwürgen konnte. Also beschränkte Kate sich darauf, die Antworten für die Geschworenen so einfach und klar wie möglich zu halten, und ansonsten ihre Reaktionen zu beobachten. Vor allem die von Nummer drei, einem grauhaarigen Mann in einem blauen Polohemd, das über dem Bauch spannte; er schenkte ihr ein leichtes, anerkennendes Lächeln. Sie redete weiter: »Sergeant Fred Hansen leitete die –«

»Haben Sie schon öfter mit ihm zusammengearbeitet?«

»Viele Male. Seit Jahren.« Als Marquez nicht nachhakte, fuhr sie fort: »Officer Dane Garrett schrieb den Tatort-Bericht und vermerkte jeden, der den Tatort betrat, auf einer Liste.«

Während die minutiöse Befragung ihren Lauf nahm, stiegen die Erinnerungen an jenen Morgen in ihr hoch.

2. Kapitel

Sie hatte ihren Saturn hinter dem Streifenwagen geparkt, mit dem Joe Cameron gekommen war – ein schwarz-weißes Polizeifahrzeug ohne Blaulichtbalken. Er wühlte gerade im Kofferraum, wahrscheinlich suchte er nach Latexhandschuhen und Beuteln für die Beweismittel. Bereits voll darauf konzentriert, den Tatort in Augenschein zu nehmen, erwiderte Kate abwesend seinen Gruß und notierte sich das Datum, 29. Mai, die Uhrzeit, 8:15 Uhr, sowie die Temperatur, schätzungsweise zwanzig Grad. Das Wetter war ungewöhnlich schön: Sanftes Sonnenlicht durchbrach die graue Dunstwolke, die im Mai und Juni normalerweise bis zum späten Nachmittag über der Stadt hing, und fiel durch das Laub der Eichen und Platanen, die rechts und links der Straße Schatten spendeten.

Sie betrat den von Streifenpolizisten abgesperrten Bereich. Es schien ein Kinderspiel, diesen Tatort zu sichern. Das gelbe Absperrband, das auf ein Verbrechen hinwies, wirkte völlig fehl am Platz. Das Grundstück lag an einer ruhigen Kreuzung und war zur Straße hin gut abgeschirmt: durch eine hohe, akkurat getrimmte Hecke und ein schmiedeeisernes Tor. Die Hecke, registrierte Kate, war dicht genug, um als Versteck für einen Angreifer zu dienen. Die Officer Felix Albedo und Rob Finch hielten auf dem Bürgersteig Wache, während die Schaulustigen, ein Grüppchen von zwanzig bis dreißig Leuten, respektvoll schweigend auf der anderen Straßenseite ausharrten. Cameron schloss zu ihr auf, gerade als ein Channel-Seven-Übertragungswagen um die Ecke bog, gefolgt von dem von Channel Nine. Wie immer hatten die Medien den Polizeifunk abgehört.

Albedo öffnete ihnen das Tor zu einem gepflasterten Weg. Die großen, ebenen Steinplatten waren verwittert und von der Sonne zu einem hellen Orange gebleicht worden. Der Weg schlängelte sich über einen tadellos grünen Rasen zu dem bogenförmigen Eingang eines hübschen, beige verputzten zweistöckigen Hauses im traditionellen spanischen Stil. Ein paar Königinpalmen sorgten für wohltuenden Schatten. Beete mit üppigen weißen, gelben und orangefarbenen Margeriten säumten die Grundstücksgrenze zur Straße hin. Das Haus war nicht annähernd so groß und eindrucksvoll wie manch andere in dieser Gegend, erhabene Bauten in mediterraner, kolonialer, klassizistischer oder Tudor-Architektur, aber es war auf eine schlichte Art ansprechend, die Kate gefiel: Qualität statt Quantität.

Es kam selten vor, dass sie dienstlich in Hancock Park zu tun hatte. In Los Angeles wurden die Wohngegenden mit jeder Meile, die man von Osten nach Westen fuhr, reicher. Dieses Stadtviertel, das von der La Brea Avenue, dem Wilton Place, der Melrose Avenue und dem Olympic Boulevard begrenzt wurde, war die Ausnahme von der Regel – eine Enklave des Wohlstandes umgeben vom lärmenden Treiben und den ethnischen Konflikten Koreatowns ganz im Westen Hollywoods und dem ironischerweise Miracle Mile, Wundermeile, genannten Teil des Wilshire Boulevards. In den vierziger und fünfziger Jahren hatte die Miracle Mile ihre Blütezeit erlebt, aber jetzt gab es dort abgesehen von der Museumszeile nichts Interessantes mehr zu sehen. Wenn jemand aus Hancock Park bei der Polizei anrief, wurde meist ein Einbruch oder Autodiebstahl gemeldet, und wenn es mal um einen Todesfall ging, hatte er eine natürliche Ursache oder war ein Unfall oder Selbstmord. Die soziale Landschaft im Einzugsbereich des Reviers von Wilshire war äußerst vielseitig. Der nordöstliche Quadrant, in dem Hancock Park lag, war das exakte Gegenteil des südwestlichen Abschnitts, der von Armut und Gewalt geprägt war und in dem die Latino-Gang der 18th Street und ihr afroamerikanisches Pendant, die Geer Street Crips, ihr Unwesen trieben. In Hancock Park hingegen gab es den vornehmen Wilshire Country Club und die Villa des kanadischen Generalkonsulats. Das Viertel war in den zwanziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts entstanden, und hier residierten altes Geld, ehrwürdige Eleganz und vor allem jede Menge Klassenbewusstsein.

Und dennoch hatte es auch in der Geschichte dieses Stadtteils kontroverse Auseinandersetzungen gegeben, wie Kate wusste. In den späten Vierzigern wurde Hancock Park zu einer Fußnote in der Geschichte der Integration, als der berühmte und vermögende Sänger Nat »King« Cole dorthin zog und von einem brennenden Kreuz in seinem Vorgarten willkommen geheißen wurde. Ungefähr eine Generation später tauchte ein sehr viel protzigerer neuer Nachbar auf der Bildfläche auf: der Box-Weltmeister und Vietnam-Kriegsdienstverweigerer Muhammad Ali. Der nächste bekannte zugezogene Afroamerikaner war ruhig, ehrwürdig und besaß tadellose Referenzen. Es handelte sich um Tom Bradley, den ersten schwarzen Polizeichef von Los Angeles, der später zum Bürgermeister gewählt wurde und ins Getty House zog, den offiziellen Wohnsitz des Stadtoberhaupts.

Sergeant Fred Hansen stand unter der bogenförmigen Eingangstür, eine Hand auf dem Halfter. Kate nickte ihm und Officer Dane Garrett zu, der neben Hansen stand. »Fred, schön, dich zu sehen.« Sie nahm Garretts Clipbord, trug sich in die Liste ein und reichte es an Cameron weiter. Ihre freundliche Begrüßung kam von Herzen. Nach all den Jahren wusste sie Hansens Zuverlässigkeit und Kompetenz am Tatort zu schätzen, die auch an den vier Schulterabzeichen für zwanzig mustergültige Dienstjahre bei der Polizei abzulesen waren.

»Kate, Joe«, grüßte Hansen sie und kam wie immer gleich zur Sache. Er las von seinem Clipbord ab: »Das Opfer liegt im hinteren Schlafzimmer. Weiblich. Victoria Talbot.« Er hob den Blick und wies mit dem Kopf nach drinnen. »Kein schöner Anblick.«

Kate atmete scharf ein. Wenn Hansen den Tatort eines Mordes mit den Worten »kein schöner Anblick« beschrieb, musste sie sich auf einiges gefasst machen.

»Dreiundfünfzig Jahre alt«, fügte Hansen hinzu. Sein Tonfall ließ sie von ihrem Notizbuch aufsehen, und sie tauschten einen kurzen einvernehmlichen Blick. Einem Menschen im fortgeschrittenen Alter – und dazu zählten sie beide – war wertvolle verbleibende Lebenszeit geraubt worden. »Schüsse in Kopf und Rücken. Bisher keine Tatwaffe.«

Also hatte dieser Tod weder eine natürliche Ursache, noch war es ein Unfall. Ihr erster Mord in Hancock Park.

»Wer hat die Meldung gemacht?«, fragte Cameron unbefangen, während er fleißig in sein Notizbuch kritzelte. Ihr Stimmungswechsel war ihm völlig entgangen. Er trug einen hellbraunen Anzug mit Krawatte über einem blassblauen Hemd, schmuck wie immer. In den drei Jahren ihrer Zusammenarbeit war er am Tatort um einiges besonnener geworden, und er konzentrierte seine unbändige Energie inzwischen darauf, die unschätzbar wichtigen, komplexen ersten Ermittlungsschritte in die Wege zu leiten.

»Der Sohn.« Hansen warf einen Blick auf seine Notizen. »Allan Talbot. Er ist hinten im Garten. Auf einer Bank. Moreno ist bei ihm.«

»Wie geht es ihm?«, fragte Cameron.

»Nachdem er seine Mutter in diesem Zustand gefunden hat?« Hansen schüttelte vielsagend den Kopf.

Kate nahm die Latexhandschuhe von Cameron entgegen und streifte sie über. »Was noch, Fred?«

»Der Sohn hat gesagt, dass die Hintertür offen war. Er meint, es könnte Schmuck fehlen.«

»Hat er den Täter in die Flucht geschlagen?«

Hansen zögerte. »Möglich.« Er ärgerte sich offenbar, dass er nicht danach gefragt hatte.

»Ein Sexualdelikt?«, fragte Cameron und hielt im Schreiben inne.

»Sieht nicht danach aus, Joe. Wird aber noch geprüft. Die Spurensicherung ist unterwegs. Der Gerichtsmediziner ist auch informiert. Everson steht auf Abruf bereit«, fügte er befriedigt hinzu.

Kate nickte. Auch sie war zufrieden; ihr stand ein optimales Team zur Verfügung. Kate und Cameron tauschten einen wortlosen Blick und betraten das Haus.

Der Eingangsbereich war eine Verlängerung des Gartenwegs, aber hier drinnen waren die Steinplatten verfugt, abgeschliffen und auf Hochglanz poliert. Auf einem zierlichen Tisch im französischen Landhausstil stand eine leere Kristallvase, darüber hing in einem verschnörkelten Rahmen ein Landschaftsgemälde mit goldgelben Getreidefeldern. Kate ging weiter in ein geräumiges Wohnzimmer auf zwei Ebenen mit hoher Decke und einem offensichtlich viel genutzten, mattrot gekachelten Kamin. Die Einrichtung war schlicht und gemütlich; ein cremefarbenes Ledersofa und passende Sessel standen auf einem farbenfrohen rotblauen Orientteppich im Halbkreis um den Kamin. Drei hohe Bücherregale an der einen Wand waren mit Büchern und Krimskrams vollgestopft. Der Boden bestand aus glänzenden Hartholzdielen, auch auf der zweiten Ebene, dem Essbereich, der von einem riesigen Ölgemälde dominiert wurde. Das Stillleben zeigte eine Schüssel Früchte, dessen warme Farben sich über den Tisch und die Stühle im Missions-Stil ergossen. Durch einen Torbogen sah man eine großzügige Wohnküche mit hohen weißen Schränken und einer türkisfarbenen Arbeitsfläche. Als sie die Küche betrat, hatte Kate durch eine große Sprossenfensterfront einen herrlichen Ausblick auf den Garten und die Rosenbeete. Der schwache Geruch von Putzmitteln oder Möbelpolitur stieg ihr in die Nase.

Seit Annes Tod hatte sie keine Lust mehr verspürt, in einem großen Haus zu leben. Aber hier fühlte sie sich wohl. Dieses Haus war sehr viel weitläufiger als ihre gemeinsame Bleibe in Glendale, aber es erinnerte sie entfernt daran, vor allem der Ausblick aus der Küche auf den Garten. Anne hatte sich so wunderbar um den Garten gekümmert. Genauso wunderbar, wie sie sich um Kate gekümmert hatte …

Aber Anne war vor zwanzig Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und jetzt gab es Aimee. Und es gab diese Frau, die ermordet worden war, nachdem sie in diesem hübschen Haus ein offensichtlich geordnetes Leben geführt hatte.

»Dann wollen wir mal«, sagte sie abrupt. Cameron, der sich gerade vorgebeugt hatte, um die gerahmten Fotos auf dem Kaminsims zu inspizieren, richtete sich auf und rückte seine Krawatte zurecht, als müsste er zu einem Bewerbungsgespräch.

Kate ging den Flur entlang voraus und hielt dabei nach Fußabdrücken, Blutspuren oder anderen möglichen Beweismitteln auf dem Boden oder den Wänden Ausschau. Ein neuer Streifenpolizist, Pedro Delgado, sah ihnen entgegen. Er stand breitbeinig in einer offenen Tür, die Hände auf dem Rücken, die Zähne zusammengebissen. Es waren immer die Neulinge, denen die Bewachung des Opfers aufgebrummt wurde, quasi als Initiationsritus, und Kate warf ihm einen mitfühlenden Blick zu.

Sie schob sich an ihm vorbei ins Schlafzimmer, Cameron im Schlepptau. Beide verharrten direkt hinter der Tür.

Auf den ersten Blick wirkte das Zimmer genauso ordentlich wie der Rest der Wohnung. Auf einem Himmelbett aus Kirschholz lag sorgfältig geglättet eine schneeweiße Tagesdecke, auf der Kopfkissen in unterschiedlichen Goldtönen kunstvoll arrangiert waren. Auf der Frisierkommode flankierten eine Reihe Parfümflakons vier Fotos und eine mit blauem Samt ausgeschlagene Schmuckschatulle, deren Deckel offen stand. In einem Erker vor dem großen Fenster zum Garten stand ein Kirschholzschreibtisch im Queen-Anne-Stil, auf dem eine ganze Armada von Familienfotos einen zugeklappten Laptop umringte.

Zwei der drei Fensterscheiben waren hellrot gesprenkelt, wobei das Eckfenster links vom Schreibtisch am meisten abbekommen hatte, einen roten Sprühregen vermischt mit grauen Klümpchen, von denen Kate aus Erfahrung wusste, dass es Gehirnmasse war.

Fast vollständig vom Bett verdeckt lag eine dunkelhaarige Frau auf dem Rücken neben einem umgekippten Schreibtischstuhl. Von der Tür aus sah Kate geronnenes Blut um einen Einschuss in der rechten Schläfe, und ein dünnes Rinnsal Blut quoll unter dem Körper hervor. Die geringfügigere Blutung aus dem Rücken und die Anordnung der Blutspritzer wiesen darauf hin, dass sie noch vor dem zweiten Schuss zu Boden gegangen war. Der linke Arm lag unter dem Körper, der rechte war ausgestreckt, die Finger der Hand zu einer Kralle gekrümmt.

Cameron rührte sich nicht, er hatte gelernt abzuwarten und, was noch wichtiger war, zu beobachten. Kate inspizierte den restlichen Raum, ließ auch die Decke nicht aus. Durchs Fenster sah sie einen jungen Mann an einem Gartentisch sitzen, den Kopf in die Hände gestützt, daneben Officer Donna Moreno. Kate registrierte keine Einzelheiten; das würde später kommen. Sie kritzelte eine grobe Skizze von dem Zimmer in ihr Notizbuch und zeichnete Fundort und Lage der Leiche ein.

Vorsichtig bewegte sie sich auf den hingestreckten Körper zu. Victoria Talbot trug ein langärmliges, bordeauxrotes Seidenhemd, schwarze Hosen und Mokassins. Sie hatte starkes Übergewicht; ihre Oberarme waren massig und ihre großen Brüste wölbten sich auf einem fülligen Oberkörper.

»Für dreiundfünfzig sieht sie jung aus«, sagte Cameron leise.

»Ganz deiner Meinung«, erwiderte Kate.

Sie ging in einigem Abstand in die Hocke und taxierte die Leiche von Victoria Talbot. Die Augen waren geschlossen – das kam bei Mordopfern nur selten vor, die meist gegen den Tod ankämpften und voller Entsetzen ihrem unmittelbar bevorstehenden Ableben entgegenstarrten. Sogar Opfer von Autounfällen hielten die Augen krampfhaft aufgerissen, als würde der Blick auf das Leben sie vor dem Tod bewahren. Kate konnte nicht erkennen, ob die Frau sich gewehrt hatte; die Fingernägel der sichtbaren Hand waren blassrosa lackiert. Die von Kate abgewandte linke Seite des Kopfes war bestimmt von der austretenden Kugel zerschmettert worden … Das Blut war allerdings nicht bis zu der blütenweißen Tagesdecke gespritzt.

»Sternförmiges Eintrittsloch«, sagte sie zu Cameron und zeigte auf die Kopfwunde.

»Und Pulverspuren«, ergänzte er.

Sie konnte das schwache Sprenkelmuster um die Wunde herum kaum erkennen; ihre Augen wurden leider auch immer schlechter.

»Also ein aufgesetzter Schuss«, sagte sie. Jemand hatte ihr eine Waffe direkt an die rechte Schläfe gehalten.

Er sah sich die Lage der Leiche an. »Einer in den Kopf, dann einer in den Rücken, um noch eins draufzusetzen.«

Kate betrachtete die Blutspuren. Von ihr aus gesehen waren die Spritzer der Kopfverletzung auf dem linken Fenster gelandet, durch das jetzt der junge Mann im Garten zu sehen war. Erneut studierte sie das Opfer und die Blutsprenkel. Die Frau war nach links gekippt; die Austrittswunde befand sich an der linken Kopfseite. Die Blutspritzer an der linken Wand ließen den Schluss zu, dass sie das Gesicht dem Garten zugewandt hatte – oder dazu gezwungen worden war –, als ihr der Schuss in die rechte Schläfe gejagt wurde. Cameron ging zur Frisierkommode hinüber, darauf bedacht, keine Spuren zu verwischen, und spähte in die Schmuckschatulle. »Sie ist leer, Kate.«

Kate konnte nicht sagen, ob die Frau einen Ehering oder vielleicht eine Armbanduhr trug, da die linke Hand unter dem Körper lag. Aber am Mittelfinger der rechten Hand glitzerte ein Diamantring. Obwohl eine gründliche Durchsuchung des Hauses noch anstand, gab es zunächst keine sichtbaren Anzeichen für ein gewaltsames Eindringen, denn davon hätte Hansen ihnen berichtet. Sie konnten nur noch auf die Spurensicherung warten. Kate blickte auf. »Lass uns mit dem Sohn sprechen.«

* * *

Kate nickte Officer Donna Moreno zu, die ihr Nicken erwiderte und sich ein paar Schritte entfernte, nachdem sie Allan Talbot einen letzten mitfühlenden Blick zugeworfen hatte. Von nahem fiel Kate als Erstes sein krauses, dunkelbraunes Haar auf, das so ganz anders war als das lange glatte Haar seiner ermordeten Mutter. Ihre eigene Mutter hätte solche Haare als Gestrüpp bezeichnet. Sie schätzte sein Alter auf Ende zwanzig, höchstens Anfang dreißig. Er war schlaksig und unrasiert; ob das an den Umständen oder etwa am modischen Styling lag, würde Cameron wissen, falls es sich nicht während der Befragung klärte.

In sich zusammengesunken und wie erstarrt saß Talbot an dem Redwood-Gartentisch. Er reagierte selbst dann nicht, als ihre Schatten auf ihn fielen. Er schien betäubt, gebrochen, ein Anblick, der Kate nur allzu vertraut war. Obwohl sie seit Jahren mit Todesfällen konfrontiert war, empfand sie immer noch aufrichtige Anteilnahme für die Hinterbliebenen. Denn ihr hatte zweifellos das gleiche Entsetzen im Gesicht gestanden, als sie auf dem Revier ins Büro ihres Vorgesetzten gerufen worden war und dieser ihr die Nachricht von Annes Tod überbracht hatte. Trotz dieses Gefühls der Verbundenheit nutzte die Polizistin in ihr den Schock der Zeugen für ihre Zwecke, denn die plötzliche Konfrontation mit dem Tod ließ die meisten Menschen unvorsichtig werden.

Auf Talbots Wangen waren keine Tränenspuren zu sehen, auch die Augen waren nicht gerötet, aber sein Schmerz war an dem kreidebleichen Gesicht und der gekrümmten Körperhaltung abzulesen. Die Khakihosen und das Polohemd hätten genauso gut an den Gliedern einer Schaufensterpuppe herabhängen können, so sehr war ihm jedes Körpergefühl abhandengekommen. Abgesehen von Eltern, die den Verlust eines Kindes beklagten, hatte sie es selten erlebt, dass jemand direkt am Tatort dermaßen niedergeschmettert war; normalerweise dauerte es eine Weile, bis die Trauer den schützenden Panzer des Schocks durchdrang.

Kate trat neben ihn und wartete, bis er zu ihr aufsah. Sein Blick überraschte sie. Natürlich stand ihm der Schock in den grünbraunen, glasigen Augen. Aber da war noch etwas anderes, das den Schock in den Hintergrund drängte, den Schmerz überlagerte. Als er nicht wegsah, starrte sie ihn in dem Versuch, es zu ergründen, unverwandt an, bis sie sich genötigt fühlte zu sprechen.

»Mister Talbot«, eröffnete sie das Gespräch. »Ich bin Detective Delafield. Und das ist mein Partner, Detective Cameron.« Sie fügte aufrichtig hinzu: »Es tut mir sehr leid.«

»Mein Beileid«, sagte Cameron mitfühlend und sein rechter Arm zuckte, als müsste er sich beherrschen, Allan Talbot nicht zu berühren.

Talbot nickte. Er versuchte zu sprechen, räusperte sich, versuchte es erneut. »Nennen Sie mich Allan«, krächzte er.

»Ich weiß, wie schwer das für Sie ist, Allan«, sagte sie. »Fühlen Sie sich in der Lage, uns ein paar Fragen zu beantworten?«

Er nickte.

Kate holte das Aufnahmegerät aus ihrer Umhängetasche, schaltete es an und murmelte hastig Datum, Uhrzeit und die Namen der Anwesenden auf das Band. »Weil unser Gespräch überaus wichtig ist, möchte ich es auf Band aufnehmen, damit wir alle Informationen korrekt mitbekommen. Sind Sie damit einverstanden, Allan?«

Er zuckte mit den Schultern. »Warum nicht.«

Sie stellte den Rekorder außerhalb seines Blickfeldes auf den Tisch, damit er nicht ständig daran erinnert wurde. Dann schlug sie ihr Notizbuch auf, um sich die wichtigsten Punkte aufzuschreiben. »Noch mal, ich weiß, wie schwer das ist. Bitte sagen Sie Bescheid, wenn es Ihnen zu viel wird. Können Sie uns erzählen, was passiert ist?«

Er sah sie einfach nur an. Sie würde ihn an die Hand nehmen müssen.

»Wann haben Sie sie gefunden?«

»Heute Morgen.«

Sie würde ihn wirklich an die Hand nehmen müssen. »Wissen Sie, wie spät es war?«

»Es ist schon etwas her. Ich schätze … vor acht?« Er atmete zweimal tief durch, versuchte offensichtlich, sich zusammenzureißen.

»Haben Sie einen Schlüssel?« Als er nickte, fuhr sie fort: »Haben Sie die Tür aufgeschlossen, Allan? Erwartete Ihre Mutter Sie?«

»Ich habe das Gartentor aufgeschlossen. Ich klingele immer, auch wenn sie weiß, dass ich komme …« Sein Körper sackte zusammen, als habe es ihn völlig ausgelaugt, so viele Worte am Stück zu sprechen, als würde er erneut vom Gewicht seiner Trauer zu Boden gedrückt.

Kate wartete einen Moment, dann hakte sie nach. »Sie haben also geklingelt.«

»Sie hat mir nicht aufgemacht. Also bin ich nach hinten gegangen …« Er wies auf die Rosenbeete ringsum. »Sie verbringt – verbrachte viel Zeit im Garten, trank hier morgens ihren Kaffee …« Er hustete, als müsste er ein Schluchzen unterdrücken. Es war immer schwer für die Hinterbliebenen, vom Opfer in der Vergangenheit zu sprechen und damit anzuerkennen, dass ein geliebter Mensch so plötzlich aus ihrem Leben gelöscht worden war, wie eine Glühbirne, die durchbrennt.

»Man sieht es dem Garten an«, sagte Kate taktvoll und ließ ihren Blick über die Beete schweifen, um ihm Zeit zu geben. Hinten am Zaun war unter einigen Palmen ein kunstvoll geformter Steingarten mit Farnen und Moosen angelegt. Ansonsten wuchs ringsherum ein Meer aus Rosenbüschen in allen möglichen Farben, Weiß, Gelb, Rosa und Dunkelrot. Die Beete waren frisch geharkt, und ein süßlich-schweres Aroma aus Rosenduft und aufgeworfener Erde erfüllte die Luft und die aufkommende Hitze des Tages. »Ihre Mutter hatte offensichtlich ein Händchen für Blumen. Und was passierte dann? Nachdem Sie ums Haus gegangen waren?«

»Ähm, ja … Im Garten war sie auch nicht. Also wollte ich die Hintertür aufschließen, nachsehen, ob sie meine Nachricht auf dem Anrufbeantworter abgehört oder mir einen Zettel geschrieben hatte. Aber die Tür war offen. Ich ging rein.«

Die Spuren außen an der Tür hatte Talbot also wahrscheinlich verwischt. Aber falls der Täter durch den Hinterausgang entkommen war, gab es vielleicht innen an der Tür einen Handabdruck. Sie fragte: »Stand die Tür offen? Oder war sie nur nicht abgeschlossen?«

»Sie stand offen. Einen Spaltbreit.«

»Wie fanden Sie das? War das ungewöhnlich?«

Er blickte zur Seite und rieb sich die Bartstoppeln am Kinn, während er nachdachte. »Es war schon komisch. Sie ließ die Tür meist offen stehen, wenn sie im Garten war, aber nie, wenn sie zurück ins Haus ging. Sie hat immer darauf geachtet –« Er brach ab und zuckte angesichts der Absurdität dieser Behauptung zusammen; alle Vorsicht hatte sie nicht vor diesem Ende bewahrt.

»Nachdem Sie das Haus betreten hatten, was taten Sie?«

»Ich … ich kann mich nicht genau erinnern …«

Da Talbot auf diese heikle Frage vielleicht eher einem Mann antworten würde, warf sie Cameron einen schnellen Blick zu und er verstand den Wink. »Das verstehen wir, Allan. Lassen Sie sich Zeit. Egal was Ihnen einfällt, jede Kleinigkeit könnte wichtig sein und uns weiterhelfen. Kamen Sie eigentlich aus einem bestimmten Grund hierher?«

Anerkennend registrierte Kate, wie elegant er vom eigentlichen Thema ablenkte. So konnte Talbot sich etwas entspannen, und sie würden später darauf zurückkommen, wie der junge Mann die Leiche seiner Mutter gefunden hatte. Allan Talbots schmächtiger Körper erbebte unter einem Seufzer, dem ein Schaudern folgte. Kate betrachtete ihn eingehend. Sein schmales, feinknochiges Gesicht mit der leicht gekrümmten Nase glich dem eines Vogels. Er hatte ausdrucksvolle Lippen, die ständig in Bewegung zu sein schienen, und seine Sprechweise zeugte von Intelligenz und Bildung. Den sehnigen Körper voller Spannkraft verdankte er wohl weniger einem straffen Trainingsprogramm als seinem Stoffwechsel. Kate mochte ihn instinktiv.

»Ich rufe jeden Tag an«, sagte er. »Gestern Abend ging sie nicht ans Telefon. Ich hinterließ eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter, dachte, sie sei vielleicht mit Marjorie in einen dieser ausländischen Filme gegangen, die sie so mögen. Aber sie rief nicht zurück, ging auch heute Morgen nicht ans Telefon … Also bin ich vorbeigekommen. Nur um zu sehen, ob alles in Ordnung ist.«

»Sie müssen …«, sie suchte nach einem Verb, das nicht in der Vergangenheit stehen würde, »… sich Ihrer Mutter sehr verbunden fühlen.«

»Das stimmt. Sie ist … sie war ein wunderbarer Mensch. Absolut wunderbar. Sie ist die Letzte, der so etwas zustoßen sollte. So etwas sollte niemandem …« Er brachte den Satz nicht zu Ende.

»Sind Sie verheiratet, Allan?«, fragte Cameron. Er stellte einen Fuß auf die Gartenbank, damit die Frage beiläufig wirkte; Kate wusste, dass er herausfinden wollte, wie nah Talbot seiner Mutter gestanden hatte.

»Geschieden – zweifach gescheitert. Zwei Kinder.«

Also hatte Talbot sich mindestens zweimal vom Rockzipfel seiner Mutter gelöst. Mit dem Verdacht, er sei ein Muttersöhnchen, waren sie auf dem falschen Dampfer.

»Waren Sie gerade auf dem Weg zur Arbeit?«, fragte Cameron weiter.

»Nein, ich habe mir ein paar Tage freigenommen.«

»Wo arbeiten Sie?«

»Auf dem Los Angeles International Airport. Als Fluglotse.«

»Als hätten Sie nicht schon genug Stress auf der Arbeit«, sagte Cameron mitfühlend. »Und jetzt das hier.«

Kate fragte: »Als Sie das Haus betraten, ist Ihnen da irgendwas aufgefallen? Gab es irgendeinen Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmte?«

»Ja«, antwortete er in einem Tonfall, den Kate nicht einordnen konnte. Staunen? Angst? »Eigentlich war alles wie immer. Aber trotzdem anders. Die Wohnung war so sauber.« Er brachte ein schwaches, gespenstisches Lächeln zustande. »Ich meine, es war ja noch so früh am Morgen.«

»Normalerweise putzte sie also nicht frühmorgens?«

Er stierte auf einen Strauch blutroter Rosen und schwieg eine Weile.

»Normalerweise putzte sie überhaupt nicht. Jedenfalls fast nie. Heute ist Montag, Rosario kommt dienstags. Rosario ist ihre Haushälterin. Na ja, jedenfalls dachte ich, das könnte eine Erklärung sein. Dass der Staubsauger lief oder so und sie die Klingel nicht gehört hatte. Also rief ich nach ihr. Aber es kam keine Antwort. Daraufhin ging ich ins …« Er keuchte auf.

»War im Haus irgendwas verändert?«, fragte Cameron. Talbot schüttelte den Kopf. »Fehlte etwas?«

Wieder ein gelungenes Ablenkungsmanöver von der Leiche seiner Mutter, dachte Kate.

»Schmuck. Ihr Schmuckkästchen stand offen«, fügte Talbot hastig hinzu. »Vielleicht noch mehr, keine Ahnung.«

»Das lassen wir später von Ihnen überprüfen, das eilt erst mal nicht«, sagte Cameron.

Natürlich drängte die Zeit; in den ersten Stunden einer Morduntersuchung kam es auf jede Minute an. Aber Cameron musste den jungen Mann am Reden halten.

»Haben Sie irgendetwas gehört, als Sie ins Haus kamen?«

Talbot umklammerte die Kante der Redwood-Bank. Angespannt starrte er Cameron an, und das Lodern in seinen Augen schien intensiver zu werden. »Meinen Sie etwa, es war noch jemand im Haus, als ich vorne an der Tür klingelte?«

»Wäre das möglich?«

»Und der Täter ist durch die Hintertür raus, während ich ums Haus ging?« Er schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nicht daran erinnern, etwas gehört zu haben. Aber mir wäre ja auch nicht im Traum eingefallen, dass etwas passiert sein könnte.«

Jetzt kam eine der schwersten Fragen, und Kate übernahm wieder. »Allan, als Sie Ihre Mutter gefunden haben … Was haben Sie da getan?«

Erneut sackte er in sich zusammen. »Fast wäre ich umgekippt. Meine Knie wurden ganz weich«, flüsterte er. »Als ich sie sah, wusste ich es, ich wusste es sofort. Ich konnte mich kaum auf den Füßen halten, aber ich musste zu ihr, ihren Puls fühlen, ich musste es irgendwie schaffen –«

»An welcher Stelle haben Sie den Puls gefühlt?«, unterbrach sie ihn, so sanft es ging; sie musste wissen, an welchen Stellen er die Leiche berührt hatte.

»Am Hals.« Er demonstrierte es an sich selbst, hob und senkte die Hand in einer schnellen Bewegung.

»Haben Sie den Körper bewegt?«

»Nein. Nur den Puls gefühlt – mehr nicht.«

»Wer könnte das getan haben, Allan?«

Er schaute weg. »Ein Einbruch – vielleicht war es ein Einbruch?«

»Das ist eine Möglichkeit, sicher.« Eventuell wurde der Täter gestört, oder es handelte sich um eine versuchte Vergewaltigung. Aber soweit sie das beurteilen konnte, war Victoria Talbots Körper unversehrt gewesen, abgesehen natürlich von den grauenvollen Schusswunden. Außerdem gab es keine Einbruchsspuren; Cameron und sie hatten einen kurzen Blick auf die Fenster und Türen geworfen, bevor sie in den Garten gegangen waren. Sie beschloss, später noch mal auf Victoria Talbots potenzielle Feinde zurückzukommen.

»Was ist mit Ihrem Vater?«

»Was soll mit ihm sein?«

Die abweisenden Worte und der barsche Tonfall entgingen ihr nicht. »Ist er … sind er und Ihre Mutter …« Sie wartete ab.

»Sie sind nicht mehr zusammen, wenn Sie das meinen. Nicht mehr seit … Die Scheidung ist jetzt ungefähr drei Jahre her.«

»Wie standen Sie dazu?«