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Die Nerven liegen blank bei Unternehmenschef Chris. Seine Ehe ist eine einzige Katastrophe, die Einkünfte seiner Werbeagentur sind mau und bei dem in Aussicht stehenden Großauftrag spielt sein weichgespültes Team nicht so mit, wie es sollte. Seine letzte Hoffnung ist eine alte Studienfreundin, die ihm schon einmal beim Umkrempeln seiner Firma zu helfen versucht hat. Doch das bedeutet böses Blut …
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Seitenzahl: 267
Veröffentlichungsjahr: 2024
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
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© 2024 novum publishing
ISBN Printausgabe: 978-3-99130-465-4
ISBN e-book: 978-3-99130-466-1
Lektorat: Falk-M. Elbers
Umschlagfotos: Yuri Arcurs, Passigatti | Dreamstime.com
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
www.novumverlag.com
„Jeder Idiot kann eine Krise meistern.
Es ist der Alltag, der uns zermürbt.“
Anton Tschechow
Für Steve und Mathias,
in Liebe
1. CHRIS
Schlagartig, aber trotzdem wie unter Wasser wachte er auf.
Er hatte schlecht geträumt, aber er erinnerte sich nicht.
Langsam kamen die Gedanken, alles, was ihm so zugesetzt hatte. Der monatliche Grillabend beim Schwiegervater. Die Tradition seines Versagens.
„Ach, da ist ja der Schwiegersohn. Unser Unternehmer! Na, was macht denn mein Geld, das ich in deinen Laden investiert habe? Gibt’s das noch?? Gibt’s den Laden noch?? Haha. Wollen wir bald mal gucken, was du so gemacht hast. Haha.“
Joviales Schulterklopfen, Lachen, das Fleisch kommt, lang mal richtig zu.
Er hatte sich später zugedröhnt, er konnte das nicht mehr aushalten. Seine Gedanken nebulierten – gab es das Wort, im Nebel sein, nebulieren? – nein, wahrscheinlich nicht.
Er lag in seinem Bett, in seinem Haus. Er hatte eine Firma mit 25 Mitarbeitern und war im Begriff, eine zweite zu kaufen. Ich bin erfolgreich, es geht mir gut. Aber er spürte, dass er zerbrach. An seinem Leben zerbrach.
Oha, Chris. Melodramatisch wie immer, was?
Er versuchte, sich selbst zur Ordnung zu rufen. Aber er war durchlässig geworden, fragil. Er hinterfragte, analysierte, die Freude war weg, der Elan, die Begeisterung. Ich bin ein Thomas Buddenbrook, schoss es ihm durch den Kopf.
Er hatte schon immer zum Grübeln geneigt, zu Melancholie, doch erst jetzt gelang es ihm immer seltener, Traurigkeit abzuwehren, er hatte oft Tränen in den Augen, er wurde immer … verdammt noch mal, melodramatischer!
Aufstehen. In die Küche gehen. Mimi guten Morgen sagen. Brötchen holen für das Sonntagfrühstück. Das Haus putzen. Der Schwager und die Schwägerin kommen zum Kaffee. Abends kommen Mimis Kolleginnen und er macht Pizza. Ins Bett gehen. Die neue Woche beginnt.
Er wusste nicht, warum Mimi und er seit Jahren getrennt schliefen. War das so in Ehen?
Er wusste nicht, warum es seine Aufgabe war, jeden Sonntag das Haus zu putzen, denn Mimi hatte nur eine halbe Stelle bei der Versicherung. Er wusste auch nicht, warum alles so geregelt war, warum es nie Zeit gab, warum er nie Zeit hatte für sich selbst. Aber er verbot sich, darüber nachzudenken.
Einfach weitermachen, den Tag hinter sich bringen.
Doch ließ sich die Sehnsucht nach Liebe weder vertreiben noch verschwand sie. Mitten in der Nacht wachte er auf und diesmal erinnerte er sich sofort an seinen Traum. Es war eine Begebenheit vor vielen Jahren gewesen, und er war sich nicht mehr sicher, welchen Anteil er erlebt und welchen geträumt hatte.
„Haha, Junge. Ich hatte meiner Tochter ja gleich den Rat gegeben: Lass dich schwängern, der Hans aus dem Dorf heiratet dich dann sowieso – die Eltern wollen keine Schande – und dann gehst du in die Versicherung und hast deine Ruhe. Du brauchst deine Beine nicht mehr breit zu machen, der Hans sorgt für dich und du hast dein eigenes Geld. Jaaa, da staunst du, was? Das war der Plan und so ist es gekommen!“
Es war 2:00 Uhr nachts, er konnte es sich nicht leisten, eine Sekunde über den Dreck nachzudenken. Er musste schlafen. Drei Pillen und er schlief ein. Mehr schlecht als recht.
Montagmorgen, 6:30 Uhr. Er stand auf. Mimi machte sich schon auf den Weg zur Arbeit (morgens ist da keiner und dann nervt mich auch niemand).
Er machte sich einen Espresso und checkte seinen Terminkalender. Oh nein. Es war ja Montag. Das wöchentliche Fly-through-the-Week-Meeting war schon für 11:00 Uhr angesetzt. Seine dümmste Idee überhaupt. 25 Leute, die jeden Montag ihre langweiligen, dämlichen Wochenpläne mit allen TEILEN mussten, ewiges Geschwafel, Diskussionen um nichts, alles verlorene Zeit.
Tja, auch zu spät. Es war seine Idee gewesen und er musste das nun durchziehen.
Aber zumindest gab es momentan einen echten Kill, eine super Sache. Marketing-Pitch war nächste Woche, der potenzielle Kunde ein weltweit tätiges Unternehmen in der Kosmetikbranche mit deutschem Sitz in Düsseldorf. Wenn das geht, Alter, dann bin ich frei.
Jetzt hatte er seinen Kick und konnte in den Tag starten.
Er fuhr die kurzen 5 km zu seinem Unternehmen in guter Stimmung, freute sich auf den Tag, genoss die Aussicht, bald einen absolut geilen Auftrag einzuholen, dachte an seine neue Firma … Er war entspannter und glücklicher als am gesamten Wochenende.
Das Unternehmen war in einem ehemaligen Kasernenhof untergebracht. Es war ein sanierter, wunderschöner Altbau mit einer beindruckenden Eingangslobby, zehn Meter hoch, Industriecharme mit Eisenträgern und Sandstein. Viele kleine Start-ups hatten sich hier angesiedelt, die fußläufige Nähe zur Hochschule tat ihr Übriges, es war ein absoluter Hotspot mit Atmosphäre und Potenzial.
Er fuhr mit dem Fahrstuhl in die oberste Etage und betrat seine Firma: Die erste Ansprechpartnerin für jeden war Gisela, die Assistentin. Sie residierte in der kleinen Rezeption des Unternehmens.
Sofort überkam ihn eine Welle des Widerwillens. Er sah sie, wie sie dort saß. Ungeschminkt, die Haare noch nass von der Dusche (immerhin duschte sie), das ungebügelte Shirt hing an ihr herunter und vermochte nicht zu verhüllen, dass sie keinen BH trug, und gab in unvorteilhafter Weise ihre hängenden Oberarme frei. Sagten die Engländer nicht Bingo Wings dazu?
Warum, dachte er, warum?Warum konnte sie sich nicht gemäß ihrer Stelle kleiden? Warum pflegte sie sich nicht? Ah, es war so mühsam …
„Morgen Chris, schönes Wochenende gehabt? Du siehst irgendwie müde aus. Also ich war auf einem Bauchtanz-Festival, bin da aufgetreten und stell dir vor …“ NEIN. DAS STELLE ICH MIR NICHT VOR.
„Guten Morgen Gisela. Hast du schon alles für unseren Termin um 8:00 Uhr vorbereitet? Dann komm doch gleich vorbei, mein Tag ist voll heute.“
Nach einer anstrengenden Sitzung mit Gisela war er bereits erschöpft. Was hatte sie in den vergangenen fünf Jahren eigentlich getan? Was hatte sie gelernt? Er hatte sie vor Jahren bereits freistellen wollen, doch Lona – seine Management-Kollegin, wie sie sich selbst nannte – hatte dagegen gestimmt. Gisela jedenfalls hatte in keiner Weise verstanden, was er von ihr wollte, und dementsprechend musste er den Job jetzt selber machen.
Wer war der Nächste? Ach ja, Theo. Das war Lonas Mann. Er war Steuerberater, einer von den Guten, und unterstützte ihn bei Steuerfachfragen. Und da war er schon. Hmm. Er sah schlecht aus. Also er sah eigentlich immer schlecht aus, weil er überaus unansehnlich war, aber heute hatte er einen Bluterguss im Gesicht, er hinkte und wirkte zerbrechlich.
„Hallo Theo, wie ist die Lage?“ „Hi Chris, hatte einen kleinen Sportunfall am Wochenende, siehst du ja. Nix Ernstes, geht schon. Wollen wir anfangen?“
Nach diesem Meeting fühlte er sich wesentlich besser – wie immer, wenn er wusste, dass er sich verlassen konnte, weil sein Gegenüber professionell und zuverlässig war.
Jetzt schnell zur Toilette, einen Kaffee holen und dann Lona.
Er kam zurück in sein Büro und da saß sie schon. Er musterte ihre blonde Dauerwelle, ihr mit Make-up zugekleistertes Akne-Gesicht und seufzte innerlich. Da muss sich noch etwas tun vor der Präsentation.
„Guten Morgen, Lona, wie geht’s dir, wie war dein Wochenende?“
„Joa, schön, wir haben ganz doll versucht, Nummer 2 in Angriff zu nehmen“, sie zwinkerte ihm zu. Ach ja, also wollten sie ein zweites Baby und hatten das ganze Wochenende gefickt. Allein die Vorstellung … no way und überhaupt … eklig.
Und warum erzählte sie ihm das?
„Aber der Theo hats ja wieder übertrieben mit dem Alk und ist die Treppe runtergefallen …“
Theo? Aber Theo trinkt doch nicht. Das war seltsam, aber er wollte es nicht kommentieren, denn er spürte, dass er weder die Kraft noch die Energie besaß um sich den Problemen anderer Leute zu widmen.
„Lass uns mal über die Präsi nächste Woche reden, denn das ist echt megawichtig für uns. Wenn wir den Pitch landen, sind wir in der Liga. Das muss klappen. Hast du deinen Teil vorbereitet?“
„Ja, ich zeig sie dir.“
Nach fünf Minuten hatte er bereits abgeschaltet. Es war so banal. Einfach nichts. Altbacken und uninspiriert.
Chris dachte – oder eher schrie er innerlich:
Ich betreibe ein Marketing-Unternehmen und ich bin gut. Ich kann Leute begeistern – weil ich begeistert bin. Ich liebe Werbung, ich erzähle gerne Geschichten, ich mag es, mit Menschen zu arbeiten. Jedes Jahr sitze ich wie ein Bloodhound vor dem Screen und freue mich auf die mega britischen Weihnachtsvideos. Ich schaue mir die Werbung der ganzen Welt an, ich bin wie ein Schwamm, sauge alles auf und versuche es zu verarbeiten. Ich will klasse sein, verrückt, genial und … ich will der Beste sein.
Ich will gewinnen, verdammt nochmal, ich will Geschichten erzählen. Ich will, dass die Leute den Moment vergessen und anfangen zu träumen.
Irgendwann erwachte er aus seiner Trance, weil Lona ihn ansah und auf etwas zu warten schien.
„Wie findest du es, Chris?“, fragte sie mit ihrer Kleinmädchen-Stimme, sie schien zu zittern.
Öde, altbacken, banal …
„Ja, es ist ein erster Schritt, Lona. Du kannst dich noch verbessern, aber du gehst in die richtige Richtung. Das gefällt mir! Allerdings müssen wir uns nun ein bisschen beeilen, denn am Freitag ist Abgabeschluss. Und wir müssen die Präsi ja auch noch halten, also üben. Wie ist dein Zeitplan?“
„Äh ja, Chris. Also, also ich kann die … also ich kann das nicht. Das stresst mich viel zu viel, das kann ich nicht. Du musst die Präsentation halten.“
„Aber Lona, es geht um einen Anteil von 40 % auf deiner Seite, den Rest übernehme ich sowieso. Das schaffst du doch, da bin ich sicher!“
„Nein Chris, das schaffe ich echt nicht, ich hab so viel Angst, das krieg ich nicht hin …“
Oh nein, jetzt fängt sie wieder an zu weinen und ich weiß genau, dass ich die Präsi schreiben, vortragen, leben muss.
Einen Moment war er so wütend, sie widerte ihn an mit ihren Löckchen, ihrer Unkenntnis, ihrer Mittelmäßigkeit.
„Keine Sorge, Lona, das kriegen wir hin. Ich unterstütze dich, wir schaffen das. Aber jetzt müssen wir zu unserem Meeting, das Team wartet schon. Vielleicht machst du dich noch ein wenig frisch, ich gehe schon mal vor.“
Auf den wenigen Metern zum Besprechungszimmer versuchte er sich zu beruhigen, Gleichmut herzustellen. Es war anstrengend. Er öffnete die Tür.
Im Raum herrschte buntes Treiben, alles scherzte und lachte, die Atmosphäre war freundlich, friedlich und entspannt, der Firmenhund Biscuit saß zu Füßen des eitlen Julian und leckte ihm ergeben die Hände, jeder hatte den obligatorischen Cappuccino vor sich auf dem Tisch. Ein perfekter Arbeitsmorgen im New-Work-Environment.
„Hallo und einen schönen guten Morgen an euch alle, ich freue mich, dass ihr da seid, Biscuit eingeschlossen. Heute werden wir unser Fly-through-the-Week-Meeting spontan umorganisieren, denn wir haben noch einiges für unsere Challenge in der kommenden Woche zu tun. Wie ihr wisst, haben wir die Unternehmensvertreter am nächsten Montag im Haus und wir müssen eine wirklich tolle Show liefern. Ein unschlagbares Konzept, ein begeisterndes Storytelling, eine Vision, einen Stern, einen Diamanten – ein Meisterwerk.
Ich hatte euch vor einigen Wochen gebeten, euch Gedanken zum Thema zu machen, und ich möchte das heutige Meeting nutzen, um eure Ideen und Vorschläge nur zu diesem Thema zu erfahren und ein tolles Konzept zu erarbeiten. Lasst uns beginnen. Wer mag?“
Im Augenwinkel sah Chris Lona in den Raum schleichen, sie sah schrecklich aus und wirkte vollkommen passiv.
Chris sah in die Runde, niemand wirkte inspiriert oder wollte gar sprechen:
Der eitle Julian glättete sein kurzes blondes Haar und streichelte den Hund, Karl-Egon als Bedenkenträger sah vor sich auf den Boden, die Leute aus der IT waren sowieso erbärmlich, der Messie Kai biss nervös an seinen Nägeln, Gisela kratzte sich ausgiebig am Kopf, jemand rülpste.
„Ich freue mich wirklich auf eure Ideen, also traut euch. Fangt an, es geht los. Jetzt und hier. Das ist eine riesige Chance für uns, legen wir los!“
„Ja, also, Chris. So einfach ist das nicht. Wir haben keine Erfahrung mit solchen großen Projekten. Wir haben gar nicht den Background. Nicht genug Leute, nicht genug Zeit. Mein Team ist jetzt schon vollkommen überlastet, und der Workload nimmt immer noch zu. Ich weiß nicht, wie wir das stemmen sollen!“ Das war einer der Teamleiter.
Der Bedenkenträger stimmte zu: „Ich habe gerade eine Familie gegründet und mir wurde die Work-Life-Balance versprochen!“ „Ich sehe das genauso, ich …“
„Na, und wir wollen ja nicht immer Lippenstift auf der Arbeit tragen. Oder Leute?“ Der eitle Julian war sich für keinen schlechten Scherz zu schade.
„Ich glaube, es ist viel zu viel Aufwand und …“
Chris versank.
Ich hatte einmal die Idee von einem perfekten Unternehmen, das fair, engagiert, begeistert und begeisternd ist. Ich habe mir Gedanken gemacht über Werte, Mindset, Kultur und Freiheit des Denkens und Handelns. Ich war der absoluten Überzeugung, dass es möglich sein muss, Menschen zu entwickeln, ihre Talente zu fördern, sie individuell in einen Rhythmus einzustimmen, der ihrer würdig ist. Ich hatte gedacht, dass Menschen idealistisch sind, dass sie sich begeistern. Dass sie beitragen möchten. Dass sie wachsen wollen. Dass sie Freude an der Arbeit haben. Dass sie sie lieben.Tja Chris, war wohl nichts.
Die höhnische Stimme wieder. Er schloss die Augen, versuchte sich zu zentrieren.
„Hallo Team, wir haben jetzt lange diskutiert, aber leider keine wirkliche Idee entwickelt. Das ist schade. Ich werde deshalb meine eigene Präsentation weiterführen und hoffe, dass wir Erfolg haben werden.“
Ja, da haste recht, kannste sowieso besser, kein Thema, mach das mal lieber so, is schon okay …
Die Sitzung löste sich auf, er ging ins Büro, setzte sich an seinen Schreibtisch, alles war wie immer, alles war gut. Er versuchte, das bittere, saure Gefühl in seinem Magen zu ignorieren und das nächste Meeting zu starten.
Lona, schon wieder.
„Hallo Chris. Wir müssen jetzt mal über die Geschäftsreise reden, es geht ja bald schon los. Was hast du geplant?“
Oh nein, diese Reise nach München und übermorgen müssen wir schon los. Er hatte eigentlich alleine fahren wollen, doch sie hatte sich aufgedrängt als „Finanzvorstand“. Eigentlich mochte er den Kunden in München, doch er hatte überhaupt keine Lust, die ganze Zeit mit Lona zu verbringen.
„Schön Lona, dann lass uns mal planen. Aber vielleicht können wir das beim Mittagessen tun, denn ich habe richtig Hunger. Du auch?“
„Ja, auf jeden Fall.“
„Dann mal los.“
Sie aßen stets im nahe gelegenen Baumarkt-Restaurant. Es gab ein Tagesessen mit Getränk. Praktisch, billig, schnell.
Er holte sich sein Schnitzel mit Pommes, sie Eier mit Frankfurter Grüner Soße. Sie setzten sich auf die billigen Stühle und begannen zu essen. Auf Lonas Pickel rechts vom Mund landete eine Soßeninsel. Er wollte es nicht sehen und schaufelte das Essen in sich hinein. Dann klingelte sein Telefon.
„Marie, Marie, bist du es wirklich?“ Er strahlte.
„Ja, mein liebster Chris, ich bin es. Wie geht es dir, Chrissie?“
Sie war die Einzige, die ihn jemals Chrissie genannt hatte. Er hatte so lange nichts von ihr gehört, er hatte sie vermisst, er war vollkommen durcheinander jetzt.
„Es geht mir okay, Marie. Wie geht es dir? Was machst du, warum rufst du an?“
„Oh, ich bin auf dem Weg nach Deutschland und ich dachte, wir sehen uns. Ich bin morgen da. Hast du Zeit? Ich würde dich so gerne sehen.“
Zeit. Er hatte keine Zeit. Er musste die Präsentation vorbereiten, die Geschäftsreise, die Verträge …
„Natürlich habe ich Zeit. Wann treffen wir uns?“
„Oh Chrissie, super, ich melde mich. Aber ich denke, wir können um 18:00 Uhr bei unserem Lieblingsitaliener sein. Ist das okay?“
„Das ist so toll und ich freue mir ein Loch in den Bauch. Bis morgen, Marie.“
Es war ihm nicht entgangen, wie Lonas Gesicht versteinerte.
Sie sprach nicht, wirkte abwesend und … seltsam.
Chris entschloss sich, sie nicht zu beachten.
Er freute sich auf Marie.
2. MARIE
Ich war eine Weile nicht in Deutschland gewesen und hatte es nicht vermisst. Im Gegenteil war mir das Land fremd geworden und erschien mir mehr und mehr als Zumutung.
Querdenker, Reichsbürger, ein peinliches Stück Vergangenheit im CDU-Vorsitz, eine lächerliche Regierung.
Ich musste einige Dinge klären und danach war ich wieder weg.
Aber ich freute mich auf Chris.
Wir hatten beide Marketing an der Uni studiert und er war mir aufgefallen, weil er so aufrichtig freundlich und angenehm wirkte. Aber er war auch brillant, wahnsinnig kreativ und so lustig. Wir hatten Nächte durchgefeiert, hart gearbeitet, gelacht, Freunde gewonnen, diskutiert und Ideen entwickelt – gemeinsam waren wir wirklich gut.
Wir wurden beste Freunde.
Nach dem Studium drängte ich ihn, mit mir zusammen nach London zu gehen, denn ich hatte dort eine unglaublich gute Stelle erhalten und gekämpft, dass er mitkommen konnte.
Aber natürlich war zu diesem Zeitpunkt schon seine Tochter geboren und er war mit Mimi verheiratet.
Ich mochte Mimi nicht. Nein, das ist eine Untertreibung: Ich kann sie nicht ausstehen.
Dröge, voller Dünkel, passivaggressiv und unsagbar langweilig verdarb sie mit ihrer nörgelnden Stimme und ihrer Provinz-Attitüde das Programm. Sie war so vorhersehbar. Eine Zumutung, genau wie diese Lona-Person. (Und ja, ich bin öfter nicht fair.)
Während ich meine Erinnerungen Revue passieren ließ, bestellte ich mir ein Glas Wein und plötzlich sah ich ihn.
Ich duckte mich weg weil ich mein Gesicht unter Kontrolle bringen musste (was mir nur selten gelingt).
Er sah so müde aus, so traurig und erschöpft. So alt.
Chris war immer ein schöner Mann gewesen, ich meine klassisch schön. Er trägt sein braunes Haar lang, er hat strahlende blaue Augen, ein angenehmes Gesicht, ein gewinnendes Lächeln.
Doch hier stand jemand, der zugleich aufgedunsen und hager wirkte, dessen Augen ihren Glanz verloren hatten und der sichtlich nicht mit sich im Reinen war.
Ich bin nicht traurig. Ich freue mich.
Lächelnd stand ich auf und ging auf ihn zu: „Chris, wie geht es dir? Schön dich zu sehen!“
Wir umarmten uns und für einen Moment sah ich seine Augen blitzen, er lachte mich an: „Meine Güte Marie, du siehst toll aus! Ich freue mich sehr, dass wir uns sehen. Wie lange ist es her?“ „Ein Jahr, vielleicht etwas mehr, aber jedenfalls lange.“
Als wir am Tisch saßen, war es schnell wie früher. Chris war mein bester Freund, mein Bruder im Geiste und genauso fühlte es sich an.
„Was machst du in deinem Lieblingsland, Marie? Hast du vor, zurückzukommen? Du weißt, bei mir gibt es immer einen Platz für dich.“
„Sehr witzig, Chrissie. Nein, ich bin nur für ein paar Tage hier, hab Bürokratisches zu erledigen, brauche einen neuen Pass, einen neuen Führerschein und so Zeug. Da dieses Land digital vollkommen auf der Höhe ist, muss man das alles natürlich in Persona beantragen; nur dafür bin ich hier und, klar, um dich endlich mal wieder zu sehen.“ „Was macht dein Job? Bist du noch bei der Wahnsinnsagentur?“ „Ja, ich bin noch da, aber ich überlege mir gerade, ein Jahr eine Auszeit zu nehmen, eine Art Sabbatical. Ich habe ziemlich viel Geld zur Seite legen können und ich habe einfach Lust zu reisen, nachzudenken, vielleicht ein anderes Leben zu erträumen. Mal sehen.“ „Und was sagt Oliver dazu?“ „Er ist begeistert, er will auch kürzer treten und versucht, die meiste Zeit dabei zu sein. Weißt du, die Pandemie hat uns sehr verändert bzw. ist vieles an die Oberfläche gekommen, was wahrscheinlich schon eine Weile in uns geschlummert hatte. Ich jedenfalls habe weniger und weniger Lust auf ein Dasein im Büro, wenig Lust auf Stress, Termine und das ganze Zeug. Ich weiß, wir sind privilegiert, aber wir haben das Gefühl, das jetzt durchziehen zu wollen. Mal schauen, was kommt.“ „Klar, ihr seid privilegiert, aber ihr habt hart dafür gearbeitet. Ich beneide euch.“ Chris wirkte in Gedanken weit weg und ich glaubte, Wehmut in seinen Augen zu erkennen. „Jetzt lass uns erstmal bestellen und dann erzählst du, was bei dir los ist, ja? Ich gehe davon aus, du nimmst wie immer die Pizza mit Spiegelei, du Perversling, oder?“ „Du hast es erraten, Frau Kollegin. Aber wir teilen eine Vorspeise, wie immer? Und wir nehmen eine Flasche Primitivo, das muss heute sein. Du bist herzlich eingeladen.“
Bis das Essen kam, plauderten wir belanglos und gemütlich. Es tat gut, den Abend sich langsam entwickeln zu lassen, in Erinnerungen zu schwelgen und zu lachen. Zwischen zwei Bissen Pasta fragte ich ihn nach seiner Firma; sofort huschte ein Schatten über sein Gesicht. „Ach, ich will eigentlich gar nicht darüber reden, es ist ja doch immer der gleiche Mist und ich bin maximal genervt von allem …“ Aber natürlich redete er doch und es war wie ein Déjá-vu für mich, ich hatte alles das bereits hunderte Male so oder so ähnlich gehört. Die Leute saßen in ihrer fetten Komfortzone, weigerten sich, Verantwortung zu übernehmen, lamentierten stundenlang vor sich hin, waren faul, entscheidungsunfähig und stets ängstlich auf ihren Vorteil bedacht.
„Gähn, Chris, gähn. Das kann doch nicht wahr sein nach all den Jahren! Es hat sich nichts geändert, wie ist das möglich?!“
Natürlich fühlte er sich angegriffen und war verletzt, doch die Wahrheit kannte er selbst und nahm sie mit in jeden Abend und jedes Wochenende: Er war vieles, er hatte tolle Eigenschaften, aber eines konnte er nicht: Konsequent sein und Härte zeigen. Er war kein Leader.
„Ach Marie, lassen wir das, ich möchte uns nicht den Abend verderben. Ich will es heute einfach schön haben, bitte.“
„Du hast es gleich schön, Chrissie. Aber meinst du nicht, ich sollte nochmal das disruptive Element spielen?“ Ich grinste in Erinnerung an meine Auftritte in seinem Unternehmen. Während der Jahre hatte ich immer mal wieder Präsentationen vor seinen Mitarbeitern gehalten, Workshops mit ihnen unternommen, Einzelgespräche geführt und sie fast um den Verstand gebracht. Es hatte mir viel Spaß gemacht, aber leider nichts gebracht, weil Chris danach monatelang damit beschäftigt war, die kopflosen Hühner wieder einigermaßen in den Griff zu kriegen. Gezeigt hatte es jedoch eines: Kaum einer hatte das Potenzial, so zu arbeiten, wie Chris es sich vorstellte und es im Marketing auch üblich war (wobei ich in London ein ganz anderes Stressniveau kannte, das war hiermit nicht zu vergleichen). Chris lachte lauthals: „Weißt du noch, wie die Männer sich angestellt haben, wie sie rumgezickt haben? Und nicht mehr mit dir sprechen wollten? Wie die ITler sich in ihrem Büro eingeschlossen haben, damit du sie bloß nicht holen kommst? Och, und ich hatte Krankschreibungen noch und nöcher …“ „Lona sah wochenlang aus wie ein Streuselkuchen und sie hat mir eine vollgeschissene Babywindel ins Büro gelegt“, kicherte ich. „Und Gisela saß jeden Morgen heulend beim Streuselkuchen und sie haben sich mit Schokolade vollgestopft und Rachepläne geschmiedet. Macht Gisela eigentlich immer noch Häppchen für die Kunden, wenn sie keine Lust hat zu arbeiten?“ „Ja, und leider hat sie in Lona ihre Unterstützung gefunden. Erinnerst du dich noch an den Messie, der seinen Müll im Büro gehortet hat, bis alles voller Schimmelpilze war und es stank wie die Pest?! Ah, der Mensch war so eklig.“ „Oh je, ich weiß es bis heute, und dieser schauderhafte Sales-Typ, der …“ Chris unterbrach mich. „Ja, und dann haben sie sich im Internet verleumdet, auf dieser Scheißplattform und ich …“ „Ach Chris, ist schon gut, es ist lange her. Wie wir in Marketing-Psychologie gelernt haben: Das System unternimmt alles, um sich selbst zu erhalten.“
Tatsächlich hatten wir eine positive Stimmung in das Unternehmen bringen wollen, Professionalität, Begeisterung und Mut. Heute klangen wir zynisch, doch damals waren wir voller Euphorie gestartet – und krachend gescheitert.
Scheinbar war es auch jetzt nicht ein bisschen anders. „Sind eigentlich alle noch da, Herr Geschäftsführer?“ „Nein, nicht alle. Die Besten habe ich verloren: Phil ist gegangen, Anthony auch und Christian. Tja, und der Rest sitzt immer noch da.“ Er schwieg bedrückt.
Oh schade, von allen hatte ich Phil am meisten gemocht. Er war ein genialer Entwickler, mit Ecken und Kanten; ebenso störrisch wie liebenswert und so kreativ wie ängstlich. Ein toller Typ und seltsamerweise einer der wenigen Menschen, mit denen Chris nicht ausgekommen war. Anthony und Christian – ja, die waren jung, sie hatten nur eine Übergangslösung gesucht.
„Aber jetzt echt, Chrissie, sind die aus der IT noch da, ist der Streuselkuchen tatsächlich noch da, der Bedenkenträger, der eitle Julian und die dicke Gisela? Das kannst du mir nicht erzählen. Sag, dass das nicht wahr ist!“ Chris sah so traurig aus, dass ich nicht mehr in ihn dringen wollte. „Ja, sie sind alle noch da.“ Doch ich konnte nicht aufhören. „Chrissie, Mann oder Maus? Was bist du eigentlich?“
Wir hatten in der Vergangenheit öfter derartige Gespräche geführt und unsere Freundschaft war beinahe daran zerbrochen. Aber ich verstand es einfach nicht, verstand nicht, warum er sein Talent verschleuderte, sich klein machte, seine Vision nicht nur nicht lebte, sondern verriet.
„Aaahh, bitte Marie, lass es. Ich halte das nicht aus, nicht heute Abend.“ „Okay Chris, ich lasse es, aber nur, wenn du mir etwas Positives über deine Firma sagst. Du hast drei Sekunden.“
„Ich habe einen Pitch am nächsten Montag mit dem größten Kosmetikunternehmen Europas.“
Das war richtig gut, das war genial. Touché.
„Oh Mann, Bruder, wie geil ist das denn! Haben wir noch Wein? Oh komm, wir bestellen eine Flasche. Lass uns anstoßen, lass uns feiern und danach gehen wir tanzen. Erzähl mir deine Strategie!“
Ich war in meinem Element, ich war begeistert. Endlich, endlich hatte er diese Chance, die Möglichkeit. Alles konnte sich verändern. Und ich wusste, dass er den Pitch gewinnen würde.
Chris sah mich lange an: „Ich habe noch keine Strategie. Ich fühle mich manchmal so leer, so müde und getrieben. Ich wollte das mit Lona ausbauen, aber ihre Ideen sind unter aller Würde. Ja, jetzt sagst du wieder, du hast das immer gewusst. Und du hast Recht, aber das hilft mir nicht. Marie, ich arbeite 18 Stunden pro Tag, ohne etwas Nennenswertes zustande zu bringen. Ich bin müde, so müde. Ich habe nicht einmal einen Gedankenblitz so wie früher. Ich lebe und arbeite vor mich hin, weißt du. Erinnerst du dich an Thomas Buddenbrook? Als er zerbrach, weil er seine Ideenwelt, sein spirituelles Selbst verloren hatte? So fühle ich mich jetzt.“
Das hatte ich kommen sehen, so arrogant es klingt. Es lag an Chris’ Wesen, an seinem Anspruch, alles diskutieren zu wollen, jedem gerecht zu werden und für alles gemeinsam eine Lösung zu finden. Ich erinnerte mich an den Vollpfosten von Projektmanager – wie hieß er gleich, Udo oder Jens, egal –, den er mit endlosen Gesprächen dazu bringen wollte, endlich seinen Job zu machen. Er schulte ihn sogar in Projektmanagement. Der Typ war hoffnungslos und hatte einfach kein Hirn. Ein furchtbares Großmaul obendrein. Das Ganze zog sich zwei Jahre hin, kostete Unsummen und ergab keinerlei betriebswirtschaftlichen Sinn. Mit Engelszungen redete ich auf Chris ein, schließlich brach ich eine Zeitlang den Kontakt zu ihm ab, weil es mich furchtbar aufregte. Schließlich entließ er ihn, denn die meisten seiner Kunden wollten einfach nicht mehr mit der Pfeife arbeiten. Aber er entließ ihn erst dann.
Das Problem war, dass es immer wieder diese Situationen, diese Vollpfosten gab und er unbelehrbar an seinem Grundsatz festhielt, man könne alles durch Reden in die richtigen Bahnen lenken, und dass er das Wort Konsequenz aus seinem Wortschatz gestrichen hatte.
Kennen Sie das Summerhill-Konzept von Alexander Neill? Auf den ersten Blick interessant, idealistisch und visionär. Auf den zweiten Blick unrealisierbar. Diese Firma war Summerhill:
Jeder konnte tun und lassen, was er für richtig hielt. Jeder sollte sich in seine Richtung entwickeln können und in seiner Madenzone träge dümpeln. Bloß keine Veränderung! Wenn ein Projekt Unsummen an Geldern verschlang – ja, das war dann ärgerlich, aber eine Konsequenz gab es nicht. Wenn jemand im Homeoffice verschwand, ohne brauchbare Resultate zu liefern, musste man reden. Aber eine Konsequenz gab es nicht. Wenn jemand sich nicht weiterbilden wollte, musste er nicht. Laissez-faire par excellence.
So verplemperte Chris seine Zeit mit Reden, erledigte die Arbeiten, die sein Team als nicht notwendig erachtete und war schlussendlich so erschöpft, dass ihm die Kreativität verloren gegangen war.
Ich hing meinen Gedanken nach und sah, dass Chris eine weitere Flasche Wein bestellt hatte. Plötzlich hatte ich eine Idee: „Und wenn ich dir helfe? Wenn wir die Präsentation zusammen konzipieren und am Montag gemeinsam halten? Wir könnten etwas Tolles auf die Beine stellen, was denkst du?!“
Chris sah mich vollkommen verwundert an: „Das würdest du tun? Nach allem, was du in meiner Firma erlebt hast? Und du wolltest doch bald wieder abreisen …“ „Chrissie, ich tue das für dich und ich würde es dir nicht anbieten, wenn ich es nicht ernst meine. Abreisen kann ich auch am Dienstag noch, Oliver ist sowieso auf Geschäftsreise in den Staaten und ich habe nächste Woche noch frei. Allerdings verlange ich ein kleines Honorar.“
„Mein Gott, du meinst es wirklich ernst. Du weißt gar nicht, was mir das bedeutet. Ich bin absolut glücklich und mache mir jetzt überhaupt keine Sorgen mehr. Ich weiß, dass wir das hinkriegen. Ja, und wir halten die Präsi gemeinsam. Aber darfst du das denn? Ich meine, du hast ja deinen Job, hast du da keine Klausel? Ach ja, und was möchtest du als Honorar?“ Plötzlich war er wieder unsicher.
„Mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich um alles. Wirklich kein Problem und mein Honorar ist klar: Leberwurstbrot, eine Dose Bratwurst und ein schöner kalter Riesling. Vielleicht noch ein wenig Camembert, was denkst du?“ Lachend sprang er auf, zog mich vom Stuhl und wirbelte mich durch die Luft. „Du Verrückte, das ist das Tollste, was ich je erlebt habe. Lass uns den Wein trinken und dann gehen wir tanzen!“
Und das taten wir.
3. CHRIS
Er erwachte mit einem dicken Brummschädel, aber so gut gelaunt wie schon lange nicht mehr. Der Abend war lang, lustig, herrlich und verrückt gewesen, er fühlte sich lebendig, voller Energie und Tatendrang. Sie würden es schaffen, er wusste es einfach. Marie war topp, sie war nicht nur professionell und diszipliniert, sondern auch äußerst kreativ und fantasievoll. Außerdem hatte sie in den vergangenen Jahren Erfahrungen sammeln dürfen, an die er nicht im Traum denken konnte.
Lächelnd stand er unter der Dusche. Jetzt noch die Geschäftsreise mit Lona hinter sich bringen und am Samstag würden sie dann gemeinsam spinnen, Ideen entwickeln, zaubern. Sollte er einen schönen Meeting-Raum im Hotel mieten? Das wäre doch besser als das Büro. Ja, das war eine gute Idee. Und er würde ein Catering bestellen mit Leberwurst und allem, was sie sich gewünscht hatte. So was ganz Feines. Vielleicht auch noch einen Champagner. Super Idee, Chris, grinste er und freute sich schon jetzt auf dem Weg zur Arbeit.
„Guten Morgen, Gisela. Wie geht es dir an diesem schönen Morgen?“ Schwungvoll öffnete er die Tür. Gisela saß mit verwuscheltem, halb trockenen Haar an ihrem Schreibtisch und sah ihn misstrauisch an. „Oh, du bist aber gut gelaunt heute. Hast einen schönen Abend gehabt …?“, fragte sie gedehnt. Es musste sich längst herumgesprochen haben, dass er Marie getroffen hatte, und Gisela hatte – wie die meisten anderen hier – ihre speziellen Erinnerungen. „Ja, ich hatte einen tollen Abend und ich möchte dich bitten, für Samstag ab 10:00 Uhr im Chateau zu reservieren. Wir brauchen einen Meeting-Raum mit Ausstattung. Als Catering bestellst du Champagner, Leberwurst, …“ Sie sah ihn mit offenem Mund an und schien nicht zu verstehen. Schon wieder fühlte er sich entsetzlich gereizt. „Was ist denn? Soll ich es dir aufschreiben?! Also ich will: …“
Er holte sich einen Kaffee und setzte sich in sein Büro – noch konservierte er seine Freude und begann zu überlegen, wie der Pitch aussehen konnte. Es klopfte an der Tür.
„Ja bitte?“ Er erwartete niemanden, es war noch früh. „Hallo Chris, kann ich reinkommen?“ Ich weiß nicht, ob du das kannst, dachte er gereizt. Lona schon wieder. Er seufzte innerlich. Kurz sagte er: „Ja, was gibt es?“ Sie setzte sich an seinen Besprechungstisch, was bedeutete, dass sie so schnell nicht wieder aufstehen würde.