Vom Harz nach Berlin Martin Heinrich Klaproth - Georg Schwedt - E-Book

Vom Harz nach Berlin Martin Heinrich Klaproth E-Book

Georg Schwedt

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Beschreibung

In Wernigerode am Harz 1743 geboren kam Klaproth über Apotheken in Quedlinburg, Hannover und Danzig als Apothekenprovisor nach Berlin. Ab 1780 hatte er eine eigene Apotheke, die Bären-Apotheke, an deren Existenz noch heute eine Tafel im Berliner Nikolai-Viertel erinnert. Zwischen 1789 und 1803 entdeckte bzw. verifizierte er sieben chemische Elemente - vom Uran (1789) über Zirkonium, Strontium, Titan, Chrom, Tellur bis zum Cer (1803). Ab 1800 wirkte er als ordentlicher Chemiker der Akademie der Wissenschaften und 1810 erhielt er den ersten Lehrstuhl für Chemie an der neu gegründeten Berliner Universität. Das Buch berichtet über seinen Werdegang, seine Entdeckungen und lädt zu einer Spurensuche zu seinem 200. Todestag 2017 ein.

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INHALT

Vorwort

Lebenslauf und beruflicher Werdegang

Wernigerode (1743-1759)

Quedlinburg (1759-1766)

Hannover (1766-1768)

Berlin (1768-1770)

Danzig 1770/1771 – ein kurzes Intermezzo

Wieder in Berlin – vom Gesellen zum Provisor 1771-1780

Die Apothekerfamilie Rose in Berlin

Exkurs: Collegium medico-chirurgicum

Provisor in der Apotheke

Zum weißen Schwan

Besitzer der Bären-Apotheke (1780-1800)

Exkurs: Zum Laboratorium der königlichen Hofapotheke

Exkurs zu

Crell’s chemischen Journalen

Als Chemiker in der Akademie der Wissenschaften

Professor an der Universität Berlin

Seine wissenschaftlichen Leistungen

Zur Analysenmethodik

Zu den Entdeckungen chemischer Elemente

1789 Uran

1789 Zirkonium

1793 Strontium

1795 Titan

1797 Chrom

1797 Kalium – nicht nur in Pflanzen

1798 Tellur

1803 Cer

Analysen historischer Mineralwässer bzw. von Wässern

Zu Besuch im Museum für Naturkunde in Berlin

Literatur

Vorwort

Die bisher erste und einzige umfassende sowie zugleich grundlegende wissenschaftliche Biographie zu Martin Heinrich Klaproth schrieb der Pharmaziehistoriker Georg Edmund Dann (1898-1979) – sie erschien im Akademie-Verlag (Berlin-Ost) 1958 unter dem Titel „Martin Heinrich Klaproth (1743-1817). Ein deutscher Apotheker und Chemiker. Sein Weg und seine Leistung“.

G. E. Dann wurde im Haus der Adler-Apotheke in Brüssow (südlich von Pasewalk) geboren. Nach Abschluss der schulischen Ausbildung an der Saldria (Realschule) in Brandenburg an der Havel 1915 mit der Primareife eines Realgymnasiums begann er eine Lehrzeit in der Königlichen Hof-Apotheke in Bad Freienwalde. 1918 legte er in Potsdam die pharmazeutische Vorprüfung ab. Im Wintersemester 1919/20 studierte er Pharmazie an der Philipps-Universität in Marburg, ab Sommersemester 1920 an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin und ab dem Wintersemester 1920/21 in Rostock, wo er im Mai 1922 das pharmazeutische Staatsexamen ablegte. Nach Tätigkeiten an verschiedenen Apotheken und einem Jahr in Schweden wirkte Dann als Apotheker von 1925 bis 1945 in Zehden (östlich der Oder, heute Polen, nordöstlich von Bad Freienwalde). In dieser Zeit als Landapotheker begann er sich mit der Geschichte der Pharmazie zu beschäftigen und zu publizieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg flüchtete er nach Preetz in Schleswig-Holstein und wurde 1948 Inhaber der Adler-Apotheke in Kronshagen (Kreis Rendsburg), die er im September 1949 eröffnen konnte. Bereits im Juli 1948 hatte er einen Lehrauftrag für Geschichte der Pharmazie an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel erhalten. Ab 1964 lebte er in Dransfeld bei Göttingen. Er starb am 11. September 1979 in Göttingen und wurde auf eigenen Wunsch in Preetz begraben. Wolfgang Schneider (Pharmaziehistoriker in Braunschweig) würdigte ihn in seinem „Wörterbuch der Pharmazie. Band 4 Geschichte der Pharmazie“ (Stuttgart 1985) als „Apothekenbesitzer, der als Pharmaziehistoriker eine führende Rolle spielte. Er erweckte nach dem 2. Weltkrieg die IGGP [Internationale Gesellschaft der Geschichte der Pharmazie] zu neuem Leben und lenkte bis 1969 ihre Geschicke. Als Schriftsteller war er unermüdlich tätig. Ergebnis seiner Lehrtätigkeit an der Uni. Kiel, wo er die Bibliothek der IGGP unterbrachte und 1964 zum Honorarprofessor ernannt wurde, war seine ‚Einführung in die Pharmaziegeschichte (Stuttgart 1965).“

Danns Klaproth-Biographie von 1958 bildete die Grundlage für die folgenden Kapitel, die jedoch in der Historie der Apotheken bis in unsere Zeit ergänzt wurden.

Außerdem wurden die Veröffentlichungen von Klaproths Vorlesungen (1789; 1807/08; 1811/12), erschienen 1993 bzw. 1994 und die Aufsätze berücksichtigt, die zu seinem 250. Geburtstag 1993 erschienen waren.

2017 jährt sich sein Todestag am 1. Januar zum 200. Mal. Viele Stätten seines Wirkens sind nicht mehr vorhanden, einige jedoch kann man auch heute noch aufsuchen.

Die von ihm analysierten Mineralien sind in vielen mineralogischen Museen, vor allem aber auch in Berlin im Museum für Naturkunde zu finden und zu besichtigen.

Die Analytik dieser Mineralien hat Klaproth zum Entdecker von insgesamt 7 bisher nicht bekannten chemischen Elementen werden lassen – seine „Beiträge zur chemischen Kenntnis der Mineralkörper“ in sechs Bänden (1795-1815) fassen alle seine Arbeiten zusammen und sind bereits digitalisiert worden.

LEBENSLAUF und BERUFLICHER WERDEGANG

WERNIGERODE 1743 bis 1759

Gedenktafel am Geburtshaus von Klaproth gegenüber der Liebfrauenkirche

Am 1. Dezember 1743 wurde Martin Heinrich Klaproth als Sohn des Schneiders Johan Julius Klaproth und dessen Ehefrau Ursula Sophie geb. Dehne in Wernigerode am Harz geboren und zwei Tage später in der Liebfrauenkirche getauft. Seine Vornamen erhielt er durch den Paten, den Kirchenvorsteher Martin Heinrich Peters. Sein Elternhaus stand am Liebfrauenkirchplatz – damals als Bude bezeichnet, ein sehr schmales, wahrscheinlich zweistöckiges Gebäude mit einer Front von nur drei Metern und zwei Fenstern. Daneben rechts befand sich das wesentlich größere kirchliche Verwaltungsgebäude, die Küsterei, und auf der linken Seite ein stattliches Bürgerhaus, als des „Herrn Schreibers Brauhaus“ bezeichnet.

Die Harzstadt Wernigerode liegt an der Nordostflanke des Harzes, nur zwölf Kilometer vom Brocken entfernt. Urkundlich erwähnt wurde sie erstmals 1121 im Zusammenhang mit einem aus der Nähe von Hildesheim ansässig gewordenen Grafen Adalbert zu Haimar, der sich nun Graf von Wernigerode nannte. Entstanden ist der Ort offensichtlich als eine zum Kloster Corvey und dessen Abt Warin (um 800 bis 856, ab 831 Abt des Klosters Corvey) in Beziehung stehende Siedlungsrodung. Abt Warin, aus einem sächsischen Grafengeschlecht stammend, der am Kaiserhof von Karl dem Großen erzogen wurde, hatte von Corvey aus eine große Bedeutung in der Christianisierung Nordwestdeutschlands. 1429 starb das Geschlecht der Grafen von Wernigerode aus und der Ort wurde Sitz der Grafen zu Stolberg, die hier über Jahrhunderte die Oberherrschaft ausübten. 1714 musste jedoch Graf Christian Ernst zu Stolberg-Wernigerode (1691-1771) die Oberhoheit Brandenburg-Preußens (als Königreich Preußen 1701) über seine Grafschaft Wernigerode am Harz anerkennen.

Zu seiner Regierungszeit wurde Martin Heinrich Klaproth geboren. Unter der Regierung des Grafen entwickelt sich eine rege Bautätigkeit – so wurde u.a. in Wernigerode der Lustgarten in französischem Stil umgestaltet und die Orangerie errichtet.

In seiner „Geschichte der Grafschaft Wernigerode“ (1916) berichtete Heinrich Drees, dass im 12. Jahrhundert unter Adalbert I. (1121-1133) der Bau der Burg Wernigerode an zwei Handelswegen (später Vorburg des Schlosses) errichtet wurde, Adelshöfe in der Stadt entstanden und sich Wernigerode sich im 16. Jahrhundert der Lehre Luthers zuwandte, als 1534 Hans Weddige, Stiftsherr zu Wernigerode, erster evangelischer Prediger an der Liebfrauenkirche wurde. In dieser Zeit wurde die Stadt auch befestigt. 1541 wurde aus dem Wernigeröder Spielhaus das heutige Rathaus – 1699 entstanden die Barocktürmchen. 1697 wurde die erste Druckerei gegründet. Den Halleschen Pietismus führte die Mutter des Grafen Christian Ernst, Christine geb. von Mecklenburg-Güstrow, ein. Drees berichtete auch, dass der Graf der Oberschule 1729 „ein neues Haus im Schatten der Sylvestri-Kirche“ erbaute. Die Taufkirche Klaproths, die Liebfrauenkirche, als Stadtkirche von Wernigerode im romanischen Baustil mit zwei Türmen, stammte aus dem Jahr 1230 – sie wurde bei dem verheerenden Stadtbrand des Burgstraßenviertels 1751 (wie von Drees berichtet) völlig zerstört. Mit finanzieller Unterstützung durch das dänische Königshaus wurde sie zwischen 1756 und 1762, bevor Martin Heinrich Klaproth Wernigerode verließ, unter dem regierenden Grafen Christian Ernst im Barockstil wieder aufgebaut. Der Graf hatte von 1735 bis 1745 als Geheimer Rat seinem Cousin König Christian IV. von Dänemark gedient.

Liebfrauen-Kirche (links) – rechts: Blick von der Liebfrauenkirche auf das Geburtshaus Klaproths hinter den Bäumen

Darüber berichtete Drees wie folgt:

„Der Brand in Wernigerode, die Liebfrauen-Kirche. Der langjährigen französischen Okkupationszeit ging eine große Heimsuchung der Stadt voraus, als Ende Juni 1751 ein gewaltiger Brand den größten Teil derselben in Schutt und Asche legte, und auch die alte Liebfrauen-Kirche mit ihren hochragenden Türmen ein Raub der Flammen wurde. Mit vollen Händen hat Chr. E. gegeben, die Not seiner Untertanen zu lindern, und hat sich bemüht, die Hilfeleistungen praktisch zu organisieren; aus allen Teilen Deutschlands und aus Dänemark strömten Gaben in Fülle zusammen. Beim Wiederaufbau der Stadt ist durch Erweiterung eines schmalen Verbindungsganges zur Unterengengasse der ‚Kohlmarkt‘ entstanden. Dies Brandunglück stellte der Bautätigkeit des Grafen neue Aufgaben. 1756 wurde von ihm der Grundstein für die heutige Liebfrauen-Kirche gelegt, deren Plan mit den kühngewölbten Holzdecken der geniale Baumeister Heintzmann entworfen hat, währende Kanzelaltar, Orgelprospekt und Ratsstand von dem Hoftischler Moser geschnitzt sind.“

Bei der genannten Feuersbrunst, als Klaproth gerade 7 Jahre alt war, brannten 280 Häuser ab, darunter auch sein Elternhaus. Der Wiederaufbau war nur mit hohen Hypotheken möglich, die erst nach dem Tod des Vaters abgelöst werden konnten. Und 1756 brach zudem der Siebenjährige Krieg aus, in dem auch die Umgebung von Wernigerode Schauplatz von Kampfhandlungen wurde. Jedoch begann sich der zuvor entstandene Wohlstand wieder zu entwickeln – durch fortlaufende Getreidelieferungen an das preußische Heer, durch offensichtlich gut bezahlte Fuhrleistungen und die Produktion von Branntwein, dem „Alten Wernigeröder“ (für Freund und Feind!). Infolge des nun wieder ansteigenden Wohlstands wird auch der Schneider Klaproth wieder mehr Aufträge erhalten haben.

Das Geburtshaus Klaproths ist zwar nicht erhalten, jedoch befindet sich heute an dem an dieser Stelle wieder errichteten Haus eine Gedenktafel mit folgendem Text: Geburtsstätte des berühmten Chemikers MARTIN HEINRICH KLAPROTH (*am 1. Dezember 1743 †zu Berlin am 1. Januar 1817.

Über die weitere Bautätigkeit ist bei Drees zu lesen:

„Chr. E. begann seine Bautätigkeit schon 1713, als er eine neue Schloß-Kirche erbaute; als erster seit den Tagen Wolf Ernsts residierte er dauernd auf der Burg seiner Väter, die er neu erbaute. Die Befestigungen der Bastion machten den noch heute bestehenden Beamtenwohnungen Platz, für das Schloß schuf er die lange entbehrte Wasserversorgung durch Anlegung einer Röhrenleitung, der sogenannten ‚Wasserreise‘. Er ist der Schöpfer des Lustgartens, der Küchengartens und des Tiergartens; von ihm ist auch das Kastanienwäldchen vor dem Lustgarten angelegt, nach seiner Schwiegertochter erhielt der bisherige Biegenberg den Namen ‚Agnesberg‘, nach ihr ist auch das ‚Christianental‘ benannt. (…)

Die Orangerie. Der größte Bauplan des Grafen, dessen Ausführung vielleicht unserem Schloß den Untergang bereitet hätte, ist nicht vollendet worden, der Bau eines Palastes in französischem Geschmack im Lustgarten nach dem Entwurf des genialen Heintzmann. (…); nur die dazugehörige Orangerie ist vollendet, die heutige fürstliche Bibliothek.“

Johann Friedrich Heintzmann (1716-1764) aus Clausthal war zunächst Baumeister in Wernigerode, wurde 1755 von Friedrich dem Großen in die Grafschaft Mark geschickt, um als Bergmeister den märkischen Steinkohlenbergbau zu erkunden. Er spielte eine wichtige Rolle in der Entwicklung des Ruhrgebietes. Von ihm wurde auch das ehemalige Stadtpalais (Burgstraße 37, heute Außeninstitut des Robert-Koch-Instituts Berlin) projektiert.

Die Orangerie im Lustgarten wird heute als Standort der Abteilung Magdeburg des Landeshauptarchivs Sachsen-Anhalt genutzt.

Zunächst besuchte Klaproth die Stadtschule, ab 1755 auch die Lateinschule – 1538 als städtische evangelische Oberschule gegründet. Mit dem Bau der späteren Lateinschule an der Sylvestrikirche auf dem Klint, dem ältesten Stadtteil von Wernigerode, wurde schon 1544 begonnen. Der Bau der ersten kleinen, nicht mehr vorhandenen Kirche geht auf die Missionstätigkeit der Benediktiner aus dem Kloster Corvey unter ihrem Abt Warin I. zurück, die hier im 9. Jahrhundert eine Kapelle errichteten – Fundamentreste sind unter dem Gemeindehaus „Haus Gadenstedt“ gegenüber dem heutigen Kirchengebäude erhalten. Der nachfolgende romanische Bau entstand im 10. Jahrhundert - um 1100 als ecclesia St. Georgi bezeichnet. Aus Anlass der Gründung eines Chorherrenstifts wurde das Gebäude 1265 zu einer frühgotischen Basilika umgebaut – unter dem Chor befindet sich eine Gruft mit den Gräbern einiger Grafen. 1727 wurden die beiden Türme der Kirche abgetragen – es entstand auf dem Westwerk ein achteckiger Turm mit einer Haube im Barockstil (1869 wieder abgerissen und Kirchenumbau ab 1880 im neugotischen Stil).

Als Kurrendejunge war für Klaproth das Schulgeld erniedrigt und außerdem erhielt er beim Kurrendesingen, als Mitglied des Chorus symphonicus, bei Umzügen, Hochzeiten, Leichenfeiern auch Spenden. Die Geschichte der Lateinschule zur Zeit, als sie Klaproth besuchte, beginnt mit einem Neubau 1730 (5 Klassenzimmer und 1 Saal), worüber eine Inschrift am Portal berichtet: Das Lyceum beider Städte (Alt- und Neustadt) Wernigerode ist unter dem Beistande Gottes und Bewilligung des Erlauchten Grafen und Herrn, Herrn Christian Ernsts, des heiligen römischen Reichsgrafen usw. von dem Stadtmagistrate im Jahre des Heils 1730 erbaut worden.

Historischer Eingang zur ehemaligen Lateinschule – jetzt Landesgymnasium

1999 erfolgte ein Umbau des „Alten Lyceums durch die Stadt Wernigerode zum fortan zweiten Schulgebäude des Landesgymnasiums für Musik, dabei Schaffung von Klassen- und Unterrichtsräumen, Konzertsaal („Festsaal“) und Tonstudio für die musikalische Spezialausbildung des Gymnasiums“.

(Landesgymnasium für Musik Sachsen-Anhalt)

In der „Hausgeschichte Wernigerode“ ist unter Nr. 7 (Oberpfarrkirchhof) Altes Lyzeum u.a. zu lesen:

„Genau gegenüber der Westseite der Sylvestrikirche und deren Ausgang befindet sich unter der Hausnummer 7 das Lyceum. (…) Über der zweiflügeligen, schlicht gehaltenen Füllungshaustür prangt eine aus Holz geschnitzte Kartusche, welche in lateinischer Schreibweise den Zweck des Bauwerks als Lyceum, den Namen des Bauherrn, Christian-Ernst, und das Jahr der Errichtung 1730 trägt. Weiterhin ist links das Allianzwappen der Stolberg-Wernigeröder Grafen zu sehen. An der rechten Seite stellt sich das Wappen der Stadt Wernigerode dar, beides umgeben von zierlich geschnitzten Akanthusranken.“ (Webseite der Stadt Wernigerode – Hausgeschichte und Geschichten)

Klaproth besuchte die Lateinschule von 1755 bis Ende 1758. Von 1738 bis 1781 war Heinrich Karl Schütze (1700-1781) Rektor der Schule. Aus dem Beitrag von Heinrich Drees „Geschichte des Fürstlichen Gymnasiums, der Oberschule zu Wernigerode“ (Harzzeitung 32. Jg. 1899, S. 171-) ist für diese Zeit zu entnehmen, dass „unter der einsichtigen Förderung des Grafen Christian Ernst die Schule zu ungeahntem Glanz sich erhob, reichen Zugang guter Schülerelemente von außerhalb erhielt und eine der angesehensten Schulen Niedersachsen wurde“. Über die Zeit des Rektors Schütze aber ist im Bericht eines Schülers und späteren Lehrers bzw. Pastor aus der Schulzeit von Klaproth Negatives zu erfahren. Drees berichtete:

„Ein scharfer und scharfblickender Beobachter der Schule ist ihr in dem Subkonrektor Johann Christian Meier (1758-1767), dem Sohn des armen Papiermüllers in Hasserode, später Rektor in Verden und dann Pastor in Schneverdingen († 1815) erstanden. Er hat die Schule in den fünfziger Jahren als Schüler und dann als Lehrer kennen gelernt und beurteilt später in einer Selbstbiographie als reifer Mann seine Ansichten darüber schriftlich fixiert. Seine höchst ungünstigen Urteile finden eine erhebliche Einschränkung dadurch, daß der Verfasser, wie er selbst anerkennt, als Autodidakt, der vom Karrenjungen zum Gymnasiasten avancierte und als Sohn armer Leute mit mißgünstigem Auge Höhergestellte und auch seine Lehrer ansah und von seinem eigenen Wissen übertriebene Meinungen hegte, daß er ferner als Lehrer oft genug mit hypochondrischen Anwandlungen geplagt war und mit seinen religiösen Ansichten im direktesten Gegensatz zu dem kirchlichen Leben in Wernigerode stand.

Er nennt Schütze ‚zänkisch, neidisch, selbstbewußt und dabei unglaublich unwissend‘, seinen Unterricht ‚langweilig und ledern‘…“ Und weiter ist von Drees zu lesen: „… wir müssen anerkennen, daß seit den fünfziger Jahren die Wernigeröder Schule nicht mehr das war, was sie gewesen, daß Zeichen des Niedergangs vorhanden sind, die aber gegenüber der Persönlichkeit des gefeierten Rektors nicht beachtet wurden, daß unter ihm, gehoben noch durch Wernigerode’s kirchliche Stellung, die Oberschule ein „Modegymnasium“ für pietistische gerichtete Kreise wurde, obwohl gerade in den Schülerkreisen immer mehr die moderne Aufklärung Freunde findet…“

Vielleicht lässt sich aus diesen Aussagen erklären, worum Klaproth frühzeitig, ohne Abschluss diese Schule verlassen hat.

Sein Biograph Georg Edmund Dann berichtete auch Einzelheiten über die Lehrpläne. Er erwähnt zunächst auch die Schulbibliothek, daneben auch die Schlossbibliothek, die der Graf den Lehrern und älteren Schülern zur Verfügung stellte.

Das Schloss Wernigerode war ursprünglich eine mittelalterliche Burg – von hier aus unternahmen die deutschen Kaiser ihre Jagdausflüge in den Harz. Die erste Anlage entstand über der Stadt in der Mitte des 12. Jahrhunderts, die gegen Ende des 15. Jahrhundert wesentlich im Stil der Spätgotik und im 16. Jahrhundert zu einer Renaissancefestung umgebaut wurde. Im Dreißigjährigen Krieg wurde sie verwüstet und im späten 17. Jahrhundert begann Graf Ernst zu Stolberg-Wernigerode mit einem barocken Umbau der Burgreste ein romantisches Residenzschloss in Form einer Rundburg zu errichten. Ein weiterer großer historischer Umbau, verbunden mit dem Aufstieg des Grafen Otto vom Stolberg-Wernigerode zum ersten Oberpräsidenten der preußischen Provinz Hannover bis zum Stellvertreter Bismarcks, erfolgte zwischen 1862 und 1885. Das heutige Schloss wird als Leitbau des norddeutschen Historismus bezeichnet. Die Stolbergsche Bibliothek zu Wenigerode lässt sich bis auf den Grafen Wolf Ernst zu Stolberg (1546-1606) zurück verfolgen, der mit etwa 4000 Bänden eine der größten Privatbibliotheken des 16. Jahrhunderts besessen hatte. Eine neue Blütezeit begann mit Graf Christian Ernst zu Stolberg-Wernigerode in der Zeit des Schülers Klaproth. 1746 erklärte der Graf die etwa 10 000 Bände umfassende Bibliothek zu einer „Öffentlichen Bibliothek“ – sie stand wöchentlich zweimal wissenschaftlich Interessierten offen. Er vermehrte die Bibliothek bis zu seinem Tode auf 30 Tausend Bände. 1826/27 kam die Bibliothek in die Orangerie im Lustgarten. Am Ende des 19. Jahrhunderts war der Bestand auf über 100 Tausend Bände angewachsen. 1926 mussten die Eigentümer aus wirtschaftlichen Gründen zahlreiche Inkunabeln und Handschriften verkaufen und am 1. August 1929 wurde die Bibliothek offiziell geschlossen.

Zu den Lehrplänen der Lateinschule im 18. Jahrhundert schrieb Dann u.a., dass sie denen des berühmten Franckenschen Pädagogiums in Halle geglichen hätten. Hauptfach war Latein, daneben auch die alten Sprachen als Schwerpunkt. In Wernigerode sei aber auch der freie Vortrag in Deutsch geübt worden, Unterricht in Geographie und Geschichte, Mathematik und Physik sowie Philosophie, Logik und Religion sowie Musik erteilt worden. Wahlfreien Unterricht habe es im Französischen und auch im Handwerklichen wie Drechseln gegeben, wobei er sich wie Drees auf den Bericht des ehemaligen Schülers und späteren Lehrers Johann Christian Meier bezieht. Meier, der ein Jahr vor Klaproths Abgang an die Wernigeroder Schule kam, führte auch englische und französische Konversationsübungen und naturwissenschaftliche Exkursionen ein. Und sein Biograf Dann wagt es, diesem Lehrer auch einen Einfluss auf Klaproth zuzuweisen, sogar einen Anstoß gegeben zu haben, Apotheker zu werden – sich aus der Enge des Pietismus zu befreien.