Von Elfen und Menschen - Andrea Kayser - E-Book

Von Elfen und Menschen E-Book

Andrea Kayser

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Beschreibung

Elfen, deren Gesang so schön und fern ist wie flirrendes Nordlicht; ein Eisbär, dessen bester Freund ein Polarfuchs ist; eine Arve, die sich als Aussicht den Blick auf einen Gletscher wünscht; die den Menschen verborgenen Geheimnisse eines Familienkaters - vier zauberhafte Erzählungen, die uns einladen, Teil einer unsichtbaren, aber höchst lebendigen Welt zu werden.

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Seitenzahl: 72

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Für Ben und Nina

Inhaltsverzeichnis

Von der Elfe, die sich verlaufen hatte

Dimo

Von Zapfen, Tannenhähern und Anderem

Max

Von der Elfe, die sich verlaufen hatte

Kjass schüttelte sein Fell.

Nach erfolgreicher Jagd war er genüsslich im offenen Wasser zwischen den treibenden Eisschollen umhergeschwommen und hielt nun auf die Landspitze zu. Lediglich sein Kopf mit der schwarzen Nase war noch zu sehen. Der große Eisbär kam zügig voran, ein kraftvoller, schneller Schwimmer. Schließlich hievte er sich ans Ufer und stapfte den Hügel hinauf. Der steife Nordwind sträubte sein Fell und ließ die letzten Wassertropfen augenblicklich erstarren. Eine fahle Sonne zeigte sich am Himmel, die Tage wurden bereits wieder länger.

Die Macht des Winters schien gebrochen, der kurze arktische Sommer ließ sich bereits in der kalten Luft erahnen und verhieß Allen bessere Zeiten. Das galt allerdings nicht für ihn. Als Eisbär hasste Kjass die kommenden weißen Tage und Nächte. Die Robben würden sich weit draußen tummeln, im offenen Meer, für ihn unerreichbar. Zu vorsichtig und zu flink waren sie, als dass er sie dort erwischen könnte. Aber jetzt war er satt und zufrieden.

Etwas trieb ihn vorwärts. Der Anstieg vom Ufer war recht steil, Kjass spürte das zusätzliche Gewicht, das er sich angefressen hatte. Ihm wurde warm. Der riesige Eisbär verhielt im Schritt und ließ seine schwarze Zunge heraushängen. Plötzlich sah er sich irritiert um, gleich darauf setzte er sich wieder in Bewegung. Seine empfindliche Nase hatte einen seltsamen Geruch wahr genommen. Diamanten gleich flirrten Kristalle in der Luft.

Kjass überquerte eine Ebene. An einer windgeschützten Stelle lag ein Bündel. Es erinnerte ihn an die Kleider, welche die Menschen an sich trugen. So etwas mochte er nicht. Andererseits: Ob man es essen konnte? Kjass schnupperte daran. Es roch nach Wald. Inmitten von Eis, Schnee, Felsen und braunen Wiesen ein eher fremdartiger Geruch. Es erinnerte ihn an die Pflanzen, die ihm in den nächsten Monaten vielleicht den knurrenden Magen etwas beruhigen würden. Im Notfall. Will heißen, im äußersten Notfall. Lieber waren ihm Vogeleier, die sich während der Brutzeit unterhalb des großen Felsens im Süden der Halbinsel im Gras finden lassen würden.

Neugierig stupste er in dem Bündel herum und schnüffelte. Zwei Augenblicke später knallte ihm etwas auf seine glänzende schwarze Nase. Völlig verdutzt setzte er sich hin. Was war das? Ein schlagendes Bündel, das nach Wald roch und ihn anblitzte. Höchst kriegerisch.

Kjass schluckte. Dann richtete sich auf. Mit seinen achthundert Kilo bei knapp drei Metern Länge ein eindrückliches Bild.

»Beruhige dich«, kam es von unten. »Ist ja schon gut! Es tut mir leid. Ich bin bloß furchtbar erschrocken. Wach du mal auf und hab so ein großes, schnüffelndes Maul im Gesicht. Da muss man doch einfach zu Tode erschrecken, findest du nicht?«

»Wo sie recht hat, hat sie recht, Kjass. Komm mal wieder runter.« Das kam von Lasse.

Lasse war ein schlanker graubrauner Polarfuchs mit dunklen Knopfaugen. Er fraß gerne, was Kjass ihm von den Robben übrig ließ, bevor sich die Möwen darüber her machten. Momentan sah er etwas zerfleddert aus. Sein plüschig weißer Winterpelz begann bereits auszufallen. Lasse kratzte sich ausgiebig hinter dem Ohr.

Schnüffelndes Maul?! Kjass schwieg empört. Eisbären schnüffeln nicht, sie riechen sehr, sehr gut. Kilometerweit übers Eis.

»Wo kommst du denn her, Kleine? So etwas wie dich haben wir hier noch nie zu sehen bekommen«, fragte Kjass, jetzt neugierig geworden.

»Klein!« Empört sprang das in lumpige grüne Fetzen gehüllte Etwas nun seinerseits auf die Füße. Kjass und Lasse registrierten verwundert, dass es kein bisschen rutschte oder nachgab. Oder so etwas wie Angst hatte. Sie fanden das interessant.

»Wer bist du?« fragte Kjass. »Bist du eine Sie?«

»Ich bin Emma«, stellte die Sie sich höflich vor. »Eigentlich heiße ich Emmanuela Fragola Glockenstern. Aber ich finde, Emma passt besser.«

»Aha«, meinte Lasse.

Kjass meinte gar nichts. Er hatte nichts zu tun und keine Lust mehr auf einen Spaziergang. Er begann, sich die Tatzen abzulecken. Sie waren sehr groß. Er brauchte lange.

»Nicht zu fassen«, meinte Lasse in Richtung Kjass. »Das Dings da, Emma, die schläft schon wieder tief und fest. Wo kommen wir denn hin, wenn keiner mehr vor uns Angst hat? Wer schläft denn schon zwei Meter neben einem Eisbären? Und dann noch neben dem König von Spitzbergen, lieber Kjass«, schmeichelte Lasse mit samtweicher Stimme.

Kjass meinte immer noch nichts.

Er ließ Lasse reden.

Die Nacht fiel rasch herein. Der Himmel war weit und voll glitzernder Sterne, die in der frostigen Kälte blitzten und blinkten.

Lasse und Kjass vergnügten sich im hellen Licht des Mondes auf einer riesigen Eisscholle. Kjass fing ein paar richtig fette Fische und ärgerte die Robben ein bisschen.

Es wurde bereits wieder hell. Der Wind hatte nachgelassen und war schließlich ganz eingeschlafen. Es wurde fast warm.

Lasse blinzelte in die aufgehende Sonne. Er gab keine Ruhe.

»Komm, Kjass, lass uns nochmal nachgucken«, quengelte er. »Ob sie noch da ist. Es. Sie. Emma. Es ist ja jetzt Tag.«

Kjass gab nach. Eigentlich interessierte es ihn auch. Aber das würde er niemals zugeben.

Nach kurzem Marsch über das Eis kamen sie an die Stelle, wo sie gestern den Waldgeruch wahrgenommen hatten.

Es war noch da. Also sie. Emma lag genau am gleichen Ort, wo sie sie gestern verlassen hatten. Eingerollt in ihre Fetzen. Dieses Mal wachte sie auf.

»Hallo, ihr zwei.« Emma lächelte sie strahlend an und ordnete ihre Fetzen. Dabei konnte man sehen, dass das gar keine Fetzen waren. Unter unzähligen Schichten und Schals trug sie ein Blätterkleid, wunderbar gearbeitet aus Leder, Binsen und Halmen. Fein gewebt. Emma schüttelte die goldenen Haare und rückte ihre Blumenkrone zurecht. Schließlich griff sie in ihren Rucksack und zog etwas heraus, das Kjass entsetzt die Nase rümpfen ließ. Emma kaute unbeeindruckt weiter. Sie war hungrig.

»Was machst du bloß hier? Wo kommst du her?« fragte Lasse neugierig, die Knopfaugen weit aufgerissen.

»Ich weiß es nicht, von weit her«, antwortete Emma. »Ich bin vor Wochen einfach von zu Hause losgelaufen.«

»Aha. Willst du damit sagen, du bist durch Wind, Eis und Schnee hierher in den Norden gelaufen? Ohne Ziel? Im Dunkeln? Im Winter?« Lasse war fassungslos.

»Schnee? Warum im Schnee? Ich bin natürlich über das Wasser gelaufen«, entgegnete Emma völlig gelassen.

Kjass wurde nachdenklich.

Das hatte ihm mal jemand erzählt. Es gäbe solche Wesen, die könnten übers Wasser laufen. Sie lebten angeblich auf der anderen Seite des Meeres, am Ende des Packeises und dann weiter Richtung Süden. Dort gäbe es auch richtige Bäume. Die Bären seien braun, und es gäbe wilde Schlittenhunde, die frei und ungebunden in Rudeln lebten.

Lasse keckerte. »Hahaha! Natürlich bist du über das Wasser gelaufen. Wochenlang!« Lasse kriegte sich nicht mehr ein. Er kugelte sich vor Lachen. Bis auch er einen ordentlichen Nasenstüber verspürte.

»Bist du etwa eine Elfe?« fragte Kjass. »Eine Waldelfe aus dem anderen Land?« Er musterte sie nachdenklich.

»Was um alles in der Welt willst du bloß hier? Wie bist du hierhergekommen?«

»Moreaaa«, antwortete Emma vage.

Lasse war verblüfft. »Moreaaa?« wiederholte er fassungslos. Dieses komische Wesen, diese kleine Waldelfe, kannte einen Grönlandwal!? Und nicht nur irgendeinen. Moreaaa war sozusagen der Herr der nördlichen Meere.

»Willst du etwa hierbleiben?« brachte Lars schließlich heraus.

Kjass verzog keine Miene. »Ich weiß, wie findig euer Volk ist. Bald ist Sommer«, stellte Kjass fest. »Aber was machst du, wenn der Winter zurückkommt? Dich in dein Blätterdings hüllen und erfrieren?«

»Was ist eigentlich passiert, dass du so weit von zu Hause weggelaufen bist?« hakte Kjass noch nach. Die Sache schmeckte ihm gar nicht.

»Es hat mir dort nicht mehr gefallen«, meinte Emma.

»Hier ist es kalt. Es gibt nichts zu essen. Nur Wind und Schnee. Du überlebst hier keine fünf Minuten«, knurrte Kjass. »Oder willst du Robbenfleisch essen?«

Angewidert verzog Emma das Gesicht.

»Na, bitte«, meinte Kjass. »Was glaubst du, gibt es hier? Rautenschlegel und Tagtauprimeln? Du kannst froh sein, wenn du ein Möwenei klauen kannst.«

Lasse fuhr auf. Er aß fürs Leben gern Möweneier.

»So etwas esse ich nicht«, antwortete Emma. »Es ist doch ganz hübsch hier. Gar nicht kalt. Und so nette Gesellschaft.« Emma grinste.

Kjass schaute schon wieder verdutzt.

Das hatte noch nie jemand zu ihm gesagt.

»Zeigt mir lieber einen anständigen Platz«, verkündete Emma entschieden. »Mit Aussicht. Wo ich mich in einer Höhle einrichten kann. Ich habe keine Zeit zu verlieren, wie du ganz richtig sagst.« Emma sprang entschlossen auf die Füße. Sie waren winzig.

Kjass wiegte den weißen Schädel. Keine Regung war ihm anzusehen. Dies war nicht wirklich überraschend, denn Eisbären verziehen niemals das Gesicht.

»Du?« meinte Lasse. »In einer Höhle?«

»Ja. Ich muss mich einrichten«, wiederholte Emma geduldig und schulterte ihren Rucksack. Er war ziemlich groß und schien schwer zu sein.