Von hier bis Kim - Bernt Danielsson - E-Book

Von hier bis Kim E-Book

Bernt Danielsson

5,0

Beschreibung

Per, 16 Jahre alt, träumt davon die Welt zu erobern, nach New York zu reisen und Jazz zu spielen. Um aus seinem kleinen Dorf in Mittelschweden zu kommen, nimmt er an der Aufnahmeprüfung an einem Musikgymnasium in Stockholm teil und bekommt den Platz. Die Freude ist groß – auch wenn Stockholm noch nicht New York ist, aber ein Anfang ist gemacht. Dann lernt er im Gymnasium nebenan Kim kennen – seine absolute Traumfrau. Per verliebt sich bis über beide Ohren in Kim. Doch wie kann er Kims Herz erobern? Eine spannende Zeit beginnt.

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Bernt Danielsson

Von hier bis Kim

Roman

Aus dem Schwedischen vonBirgitta Kicherer

Saga

„Don’t you know it’s always hard at the start ...“

(Wilde)

1

Vier Wochen vor Ende des Schuljahres hab ich die Penne hingeschmissen.

Einfach so?

„Klar, einfach so“,

antworte ich darauf mit der coolsten Stimme, die ihr je gehört habt.

Es wurde ganz einfach Too much. Mir wurde es schlichtweg zuviel. Alles in mir sagte stop, und schließlich weigerte ich mich, jemals wieder auch nur einen Fuß in diesen Backsteinhaufen zu setzen, der hier als Gymnasium bezeichnet wird.

Jetzt, dachte ich, jetzt ist ein für allemal genug.

Eines Montagmorgens, als wir am Küchentisch beim Frühstück saßen, räusperte ich mich und sagte:

„Ich schmeiß die Penne hin.“

„Washastegesagt?“ murmelte meine Mutter abwesend und streckte den Arm nach den Cornflakes aus.

„Ich schmeiß die Penne hin, ich hör auf.“

„Sei nicht albern“, brummte der Big Boss säuerlich.

Da stellte ich die Kaffeetasse mit einem Knall ab und wiederholte:

„Ich schmeiß die Penne hin!“

Mein Vater verschluckte sich an seiner Grütze, und meine Mutter ließ die Schachtel mit den Cornflakes fallen.

Das war natürlich erst der Anfang. Ich brauchte zahllose Tage und Abende, um meine Eltern davon zu überzeugen, daß ich es tatsächlich ernst meinte. Und als sie es schließlich einsahen, schickten sie mich sofort zu lauter Psychologen, Schulberatern und Ärzten – lauter todernste Erwachsene mit bekümmerten Mienen, die in ihren Schreibtischsesseln kippelten und unbegreifliches Zeug daherlaberten.

Meine Eltern laberten ebenfalls unbegreifliches Zeug daher. Sie wurden deprimiert und behaupteten, alles sei ihre Schuld, sie fragten, was denn passiert sei, sie wollten wissen, ob ich in „schlechte Gesellschaft“ geraten sei, ob ich zu trinken angefangen hätte oder heimlich Hasch rauche oder

„ – was ist eigentlich passiert?!“

„Nichts“, sagte ich kurz, „absolut nichts. Und das ist es ja gerade.“

Das kapierten sie schon gar nicht, was ich auch nicht erwartet hatte.

„Aber hör mal! Du wirst doch verstehen, daß man, also, du mußt ... daß wir ...“

„Ich geh nicht mehr hin“, wiederholte ich hartnäckig immer wieder aufs neue, „daran läßt sich nichts ändern. Ich geh nicht mehr hin.“

„Herrgottnochmal, so kannst du dich doch nicht benehmen“, krächzte meine Mutter mit tränenerstickter Stimme und begrub ihr Gesicht in einem weiteren Papiertaschentuch.

„Verdammt nochmal, hast du denn überhaupt kein Verantwortungsgefühl!!??“

Diese Worte kamen natürlich von väterlicher Seite angedröhnt, und dabei versuchte mein Alter auch noch, drohend auszusehen. Das mißlang ihm natürlich gründlich – wie immer.

Also ehrlich, wie kann man sich einbilden, daß man drohend aussieht, wenn man eins vierundsiebzig (1.74!) kurz ist, rote strähnige Haare hat, die seitlich über eine wachsende Glatze gekämmt werden, wenn man eine runde Brille aufhat, die einem ständig auf die Nasenspitze rutscht, und zu guter Letzt auch noch einen heftig schwellenden Bierbauch vorzuweisen hat, obwohl man sonst eher mickrig geraten ist? Wie kann man sich da allen Ernstes einbilden, man könne seinem 186 cm großen Sohn gegenüber gewichtig und drohend auftreten? Also mal ehrlich. Ich frage ja nur.

Auf diesen schicksalhaften Morgen folgte ein Inferno ohnegleichen. Ein ständiges Hin- und Hergerede, verzweifeltes Seufzen, ätzende Ermahnungen, bebende Zeigefinger, heftige Ausbrüche und ein ungeheurer Verbrauch an Papiertaschentüchern.

Quel scandale! (Das ist Französisch und bedeutet „welch ein Skandal“.) Von nah und fern rief die Verwandtschaft an, drückte ihre Anteilnahme aus und nahm an der öffentlichen Trauer teil. Bald wurde mehr oder weniger jedes Haupt in der ganzen Stadt sorgenvoll geschüttelt. Es wurde gestöhnt, und unzählige Augen wurden gen Himmel verdreht. Gespräche verstummten abrupt, wenn ich zufällig vorbeikam.

Eines Nachmittags, ungefähr eine Woche nach dem großen Stunk, kam ich in den ICA-Laden. Dort klebte die übliche Tantenclique an ihren Einkaufswagen. Ich kaufte eine Fleischwurst und zwölf Dosen Bier.

Auweiauweiauwei! Das gab vielleicht ein Geflüster und Getuschel.

Quel scandale!

Was die Tanten und die Kassiererin nicht wußten, war, daß ich die zwölf Dosen Bier für meinen Vater besorgt hatte, und daß die Fleischwurst als Mittagessen vorgesehen war.

Aber an und für sich – was hatte ich denn erwartet? In diesen miefigen Kleinstädten, die so klein sind, daß man jede einzelne ihrer Straßen im Laufe eines einzigen Vormittags abklappern kann und zwar in gemächlichem Tempo, da braucht man ja bloß in der Nase zu bohren, um einen Skandal zu erzeugen.

Aus reiner Rücksichtnahme (auf euch natürlich) werde ich nicht verraten, wie mein sogenannter Geburtsort heißt. Es reicht, wenn ich sage, daß es ein Kaff ist, das irgendwann in den sechziger Jahren den Größenwahn bekam, weil ein paar Bürokratensilos dorthin verlegt wurden. Das Freizeitangebot des Ortes besteht vor allem aus Tanzabenden für die reifere Jugend im Volkspark, wo Urban Ängs und Siv und Leif-Ragnars ihre Furzmusik runtergeigen, außerdem aus Volkshochschulkursen für Volkstanz und Lampenschirmbasteln sowie aus ein paar Bingo-Hallen.

Es gibt sogar vier (tatsächlich!) Kinos, aber die schließen immer abwechselnd, was zur Folge hat, daß wenigstens eins von ihnen manchmal einen Film zeigt, und das ist dann entweder ein Rocky-Rambo oder ein unbegreiflicher Schnarchowski.

Ein McDonalds hat das Kaff auch noch aufzuweisen und drei Würstchenbuden, von denen Börjes Grill am Marktplatz der heißeste Tip ist (mißversteht mich bitte richtig).

Diese sogenannte Stadt liegt mehrere Zugstunden nördlich von Stockholm. Genügt das?

Und jeder kennt natürlich jeden, und jeder weiß natürlich, was jeder treibt. Also wußte jeder Dackel über Nacht, daß ich ein undankbarer Rotzlöffel war, der meine armen engelhaften Eltern mit Betrübnis überhäufte. Ich sollte mich in Grund und Boden schämen! Die reinste Lynchstimmung herrschte, wenn ich mich nur auf der Straße zeigte. Und das war kein Wunder, denn 93 % der Stadtbewohner bestehen aus völlig beknackten Nullen, die ihr Leben mit Getratsche und hirnrissigem Gesabbere vergeuden. Mein Pech war, daß ausgerechnet unsere Verwandtschaft zu den allerübelsten Vorsintflutlern gehörte. Also könnt ihr euch ja denken, was los war ...

Quel Elend! Ich begann, meinen Entschluß bald zu bereuen. Vielleicht wäre es doch einfacher gewesen, die Bewährungsstrafe einfach abzusitzen, will sagen, noch ein Jahr weiterzubüffeln und dann einen Job zu suchen – wenn es überhaupt einen gab.

Aber, aber – getan war getan.

Während all dieser langen, späten, schluchzenden und schreienden Gespräche am Küchentisch versuchte ich, ma mère et mon père wirklich genau zu erklären, wie ich mich fühlte, wie vollkommen hoffnungslos, sinnlos ich die ganze Scheiße fand.

Aber zuhören war bei denen nicht drin.

Sie seufzten.

Habt ihr das gehört?

Sie Seufzten!

Und laberten eine Menge Schwachsinn. Der Schwachsinn handelte vor allem von der Zukunft. Die Zukunft, die Zukunft – dieses Gespenst, dieses rote Tuch, diese trügerische Illusion.

„Die Zukunft, die Zukunft – dieses Gespenst, dieses rote Tuch, diese erbärmliche Illusion“,

wie es in meinem Buch steht.

Mein Buch? Na ja, wenigstens der Versuch zu einem solchen, mehr als 31 vollgekritzelte Kollegblockseiten ist nie daraus geworden. Dann gab ich auf.

Während einer dieser immer hitziger werdenden Diskussionen schlug mein Vater in einer verzweifelten Geste die Hände auseinander, genau wie die Franzosen es immer im Kino machen. Dann schleuderte er sich die rote Tarnmähne über die Glatze, suchte an der fleckigen Küchendecke Stärkung und sprach mit zusammengepreßten Kiefern:

„Aber du mußt doch um Himmels willen wenigstens wissen, was du werden willst?!“

Da wurde es mir zuviel. Ich starrte ihm finster in die Augen, erhob mich zu meiner ganzen, für ihn so imponierenden Größe und knurrte mit meiner besten Harrison Ford-Stimme:

„Wie soll ich wissen, was ich werden will, wenn ich nicht mal weiß, wer ich bin??!“

Und damit verließ ich den Raum.

Ich begab mich geradewegs in mein Zimmer und schrieb die Bemerkung in mein Tagebuch. Durch die papierdünnen Mieterbauvereinswände hörte ich deutlich, daß ihm das, was ich gesagt hatte, kein bißchen gepaßt hatte. Er schlug mit der Faust auf den Küchentisch und stieß brüllend einen Fluch aus – dann wurde es ganz still.

Jetzt ist er gestorben, dachte ich, jetzt hat er den erwarteten Herzinfarkt gekriegt und seinen Abschied eingereicht.

„Who cares?“

brummte ich müde, und dann wurde mir ganz eiskalt, weil ich diesen Gedanken überhaupt gedacht hatte.

Ich warf den Stift weg, legte den Kopf auf dem Schreibtisch in die Arme und weinte. Heulte, besser gesagt, aber so leise wie möglich, ich wollte ja nicht, daß sie was hörten und womöglich reinkämen.

Natürlich wollte ich nicht, daß er sterben sollte – ehrlich gesagt hatte ich ihn ja gern. Aber stimmte das auch? Oder war das vielleicht nur eine alte Gewohnheit? Ich hatte mir meine Eltern schließlich nicht aussuchen können. Andererseits hatten die bei ihrem Kind auch keine Wahl gehabt. Aber wie ist das eigentlich – hat man seine Eltern wirklich gern, wenn man seine Eltern gern hat, oder ist das nur eine Gewohnheit, die im Laufe der Jahre immer tiefer verwurzelt wird? Spielt es überhaupt eine Rolle, was für Eltern man abbekommt? Ganz gleich, wie sie sind, mit der Zeit lernt man eben, „sie gern zu haben“, denn das gehört sich ja so, und schließlich glaubt man tatsächlich, daß man sie gern hat. Ist es etwa so?

Als ich fertig geflennt hatte, ging ich auf den Lokus und spülte mir das Gesicht ab, und da ich schon mal da war, pißte ich auch gleich. Dann ging ich in den Flur und schaute ins Wohnzimmer, wo Mother and Father auf der Couch vor der Glotze saßen. Sie sahen beide sehr müde aus. Bestimmt ist das meine Schuld, dachte ich. Plötzlich hätte ich am liebsten losgebrüllt:

„Ich will glücklich werden, kapiert ihr das? Ich will glücklich werden, sonst nichts!“

Aber das hätte mein Vater wahrscheinlich nicht verkraftet. Nein, wenn ich das gebrüllt hätte, dann hätte das Nitroglyzerintabletten, Krankenwagen, Intensivstation und Herzmassage zur Folge gehabt.

Also ließ ich es bleiben – aus purer Rücksicht.

Nach wahnsinnig vielen Wenn und Aber und Aber und Wenn und Vielleicht und Warum? und Blablababbelbla und Weisstdudennjetztwasduwillst! und Aberaberaber und Seufzstöhn und Ahaachso und Habichsnichtgleichgesagt und Ächz und Aberwenn, stellte sich heraus, daß ich tatsächlich in Stockholm im Musikgymnasium weitermachen konnte.

War das eine Erleichterung!

Mann, als ich das erfuhr, wurde mir ganz schwindelig.

Stockholm! Raus ins Leben! Von daheim wegziehen! Here I go! Alleine wohnen! Jetzt kann’s losgehen! Watch it – here I come!

OH! OH! OH!

Dann erfuhr ich, daß ich bei Tante Agnes wohnen sollte.

Na ja, von mir aus, dachte ich, okay, okay – ist zwar nicht gerade das, was ich mir vorgestellt hatte, aber wenigstens ist es Stockholm ...

Und Musikgymnasium, das klang echt gut. Mußte es wohl oder übel auch tun, das war nämlich der einzige Ort in dem ganzen bekackten Land, wo ich aufgenommen werden konnte. Doch, das ist tatsächlich so – wenn einer sechzehn ist und aus dem verschimmelten Kaff rauskommen will, wo er zufällig auf die Welt gekommen ist, gibt es nicht allzu viele Alternativen. Mein Glück, daß ich ganz passabel Gitarre und Synthi spielen konnte. Wenn ich es richtig verstanden hatte, war das Musikgymnasium eine normale Penne, wo eine Menge Musikunterricht in den normalen Lehrplan eingesprengt war. In meinen Ohren klang das geradezu traumhaft, obwohl es mir in jenem Augenblick mehr oder weniger scheißegal war, welche Schule ich besuchen würde. Hauptsache – weg von daheim. Das war eine Frage von Leben und Tod. Ich wäre überall eingestiegen, wenn es nur in einer anderen Stadt lag. Hätte es in Lycksele einen Gymnasialkurs für Pissoirtester gegeben, hätte ich mich ohne zu zögern in den Zug nach Norden gesetzt.

Eines muß unbedingt festgehalten werden: auch wenn sie noch so sehr nervten und nölten, waren The Parents doch verdammt anständig. Nachdem sie den Schock erst mal überwunden und eingesehen hatten, daß es mein blutiger Ernst war, strengten sie sich mächtig an, um mir zu helfen. Und das machten sie auch noch gut, so gut, wie zwei groß geratene Kindsköpfe es eben können.

Alle Eltern sind groß geratene Kindsköpfe, vergeßt das nicht.

(Auf jeden Fall all jene, die nicht zuzugeben wagen, daß sie tatsächlich immer noch Kindsköpfe sind, sondern unbedingt so tun müssen, als wären sie „erwachsen“.)

Eigentlich gaben sich die meisten ziemlich viel Mühe mit mir, obwohl sie natürlich alle erst mal versuchten, mich zum Bleiben zu überreden, wenigstens bis ich mit der Schule fertig sei. Doch das ging nicht.

Ich mußte ganz einfach weg. Mir ging es so abgrundtief beschissen, daß ich weg Musste. Ich mußte weiterkommen. Ich fühlte mich eingesperrt und bedrückt. Es war zu eng. Ich hatte es satt, jeden Dämlack zu kennen, den man auf der Straße traf. Ich hatte all die sogenannten Kumpels satt, die mich nie tun und sein ließen, was und wie ich selbst wollte – immer waren sie es, die viel besser wußten, wie ich zu sein hatte.

Ein anderer Grund, warum ich wegmußte und am liebsten nach Stockholm wollte, hatte mit einer großen Sehnsucht zu tun.

Wonach ich mich vor allem sehnte, wovon ich jeden Abend träumte, bevor ich einschlief, und jeden Morgen sofort nach dem Aufwachen, das war eine Frau.

Nein, kein Mädchen, keine Puppe – eine Frau.

Mmm, genau das – eine Frau.

Die Frau sollte so zwischen fünfundzwanzig und dreißig sein, ihr versteht schon, was ich meine. So wie in Penthouse.

Einmal im Monat schwang ich mich aus Sicherheitsgründen aufs Fahrrad und strampelte zu einem kleinen Kiosk, der weit draußen vor der Stadt lag. Dafür brauchte ich eine Stunde hin und eine zurück. Dort kaufte ich das neueste Penthouse. Ja, genau das: Penthouse. Wenn schon, denn schon. An diesen plumpen, primitiven schwedischen sogenannten „Herrenzeitschriften“ war ich kein bißchen interessiert – die waren ja nichts als peinlich.

Daheim versteckte ich die Zeitungen in einem Schrankfach in meinem Bücherregal, in das ich eine doppelte Rückwand eingebaut hatte. Im Laufe der Monate mußte ich wohl oder übel die Seiten, die ich behalten wollte, herausreißen (Ha, Ha, ganz recht – nicht die Artikel!), da der Platz so begrenzt war.

Wovon ich also wie wahnsinnig träumte, das war nichts mehr und nichts weniger als eine Frau.

Eine ganz besondere Frau.

Ich wußte genau, wie sie aussehen und wie sie sein mußte. Schön, natürlich, mit so einem vollendeten Körper (nicht zu viele Kurven, sondern alles genau Richtig proportioniert), und dann mußte sie reif sein und erwachsen, aber auf diese Gute Art, (ihr wißt schon). Und sie mußte mir einfach alles beibringen, nicht nur Sex.

Schön, sexy, weich, bestimmt, verständnisvoll und heiß verliebt in The One and Only – will sagen, mich.

Das Angebot an solchen Frauen in unserer Stadt war, gelinde gesagt, begrenzt – es gab sie nämlich überhaupt nicht.

Aber in Stockholm, dachte ich, in Stockholm, da gibt es sie bestimmt ...

Vielleicht schon im Zug, dachte ich, vielleicht schon, wenn ich in den Zug steige ...

Als ich am Morgen zum Bahnhof kam, stellte es sich heraus, daß drei Wagen des Zuges echte Antiquitäten waren, ungefähr so wie in „Mord im Orientexpreß“. Alle drei waren natürlich Erster-Klasse-Wagen, aber das war mir echt egal.

Ich stieg in den erstbesten ein, hievte meine beiden großen Koffer rauf und stiefelte rein. Ich drängte mich durch den Korridor und linste neugierig in die Abteile.

Im ersten saßen zwei ältere Herren und diskutierten so eifrig und ernsthaft, daß ich sie nicht zu stören wagte. Im zweiten Abteil saß eine ganze Familie – vier verschmierte Kinder, eine sehr dicke Matrone und ein sehr dünner, magerer kleiner Vater. Dort gab es noch einen freien Platz, aber ich hatte keine Lust, mir meine Jeans mit Schokolade vollschmieren zu lassen.

Die Kinder glotzten mich feindselig an, als ich vorbeiging.

In das nächste Abteil trat ich ein.

Und da saß sie.

2

Sie sitzt am Fenster. Sie trägt ein weißes, enganliegendes Kleid. Wäre es schwarz gewesen, hätte man es als „das kleine Schwarze“ bezeichnet. Sie trägt keinen Schmuck, abgesehen von einer langen Perlenkette, die so schlicht aussieht, daß sie sehr exklusiv und teuer sein muß.

Sie blättert zerstreut in einer dicken Zeitschrift, und als ich ihr gegenüber Platz nehme, sehe ich, daß es die italienische Ausgabe von Vogue ist. Sie sieht auf, lächelt mich mit sorgfältig geschminkten, glänzenden Lippen und funkelnden Augen an und sagt:

„Ciao“,

mit der melodischsten Stimme, die ich je gehört habe.

Sie ist schön. Unbeschreiblich schön. Sie ist eine Frau, ihr wißt schon: eine Frau. Sie ist all das, was Anna, Lena und die anderen Mädchen in der Schule nicht sind und auch nie werden können – eine Frau!

Im selben Augenblick, als ich mich hinsetze, fährt der Zug ruckelnd an, er klappert rüttelnd aus dem Bahnhof und beginnt langsam, aber gleichmäßig zu beschleunigen.

Ich versuche, die Augen von ihr abzuwenden, aber das geht nicht, ich muß einfach hinschauen. Meine Augen kriechen über ihren Mund, ihren Hals, ihre Brust und ihre Beine. Ich spüre, wie meine Jeans im Schritt zu spannen beginnen und meine Hände warm und feucht werden.

„Ich sehe, wie du unruhig und leicht nervös zu verhindern versuchst, daß dein Blick meinen Körper erforscht, doch das gelingt dir nicht. Immer wieder gleitet dein Blick zu meinen Knien, er wandert liebkosend weiter und drängt sich durch den Stoff meines Kleides. Ich rücke etwas zur Seite, öffne ganz leicht die Beine ... Und sofort ist dein Blick dort. Jetzt ist er entschieden, fest und heiß.“

Langsam steht sie auf. Ihre Augen ruhen ununterbrochen auf mir. Es fällt mir schwer zu glauben, daß es wahr ist. Ich träume, denke ich. Ich schlucke und schlucke und weiß nicht recht, wohin, und gleichzeitig weiß ich es nur zu gut.

Mit einem ruhigen Lächeln legt sie die wenigen Schritte zurück, die uns trennen. Sie beugt sich über mich und legt ihre Hand außen auf meine Jeans – über meinen pochenden Schwanz.

Ihre Nägel sind rotlackiert und spitz. Auf dem Handrükken zeichnen sich die Adern unter der leicht sonnengebräunten Haut ab.

Ihre andere Hand fängt meine Hand ein und führt sie an ihren Schenkel hinauf.

Ich fühle die rauhe, kühle Oberfläche des Nylonstrumpfes – wie die Zunge eines jungen Kätzchens. Meine Hand wandert unter den Kleidersaum und immer weiter hinauf.

„Mein Körper, mein erwachsener Frauenkörper, gegen deinen gepreßt, gegen deinen Körper – deinen jungen, wachsenden, frisch erwachten Körper. Deine eifrigen Hände, die sich vortasten, die immer kühner werden – all over me, mich öffnen, meine Brüste unterm Kleid einfangen. Mein Mund gegen deinen, meine Lippen gegen deine.“

Plötzlich, als ich sie gerade küssen will, hindert sie mich daran. Einen kurzen Augenblick lang wird mir eiskalt vor Angst, daß sie es bereut haben könnte, daß sie an ihren Mann denken muß oder sonst was. Das wäre nicht eben ungewöhnlich – so was hat man ja schon öfter erlebt, allerdings jedesmal natürlich nur mit Mädchen.

Sie blickt mir lächelnd in die Augen und geht zur Abteiltür, um sie zu verriegeln und die grünen kleinen Filzvorhänge herunterzuziehen.

Dann dreht sie sich um. Sieht mir wieder in die Augen, und mit einer einzigen, perfekt berechneten Bewegung streift sie das weiße Kleid ab.

Mit langsamen, gleitenden Schritten geht sie auf mich zu.

Ihre Unterhose ist aus weißer, glänzender Seide und kräuselt sich rhythmisch bei jedem Schritt.

„Komm, bambino“, flüstert sie mit feuchten Lippen, „komm ...“

Und ich bin da, ganz nah bei ihr. Sie verströmt Wärme, sie ist warm und heiß – nur für mich, nur für mich.

„Dein Mund an meinem Nabel. Deine Lippen wandern nach unten, deine Zunge preßt sich durch schwarzes, krauses Haar, und ich spreize meine Schenkel, und deine Zungenspitze tastet sich vor. Du preßt dein ganzes Gesicht hinein, trinkst meinen Wein, deine Zunge gräbt sich in mich hinein, und ich presse die Schenkel um dein dunkles Haar und halte mich fest ...“

Meine Zunge an ihrer warmen heißen Möse. Meine Zunge, die ihre heißen Tore öffnet.

„Und dann meine Hand, die den Reißverschluß öffnet, die sich hineinschleicht, sich am Stoff der Unterhose vorbeitastet und sich schließlich um dich schließt – die sich um das harte, pochende, heiße, noch wachsende, junge pulsierende Du schließt.“

Und ihr Mund.

Ihr Mund, oh, ihr Mund.

Rotglänzende Lippen, die sich um mich schließen – und dann bin ich da, in ihrem Mund, pochend und vibrierend.

„Ich schmecke dich. Ich spiele mit dir, ich lehre dich und lerne selbst. Ich genieße dich, und du genießt mich, ich trinke dich und will immer nur mehr haben, mehr und mehr und mehr, ich will deinen geilen Schwanz überall spüren. Ich will, daß dein glänzender Schwanz explodiert und mich mit seinem heißen Leben erfüllt, mit seiner Geilheit, mit seiner Lust, seiner Freude. Ich will und ich bin hier, nur für dich, jetzt im Augenblick, nur für deinen Schwanz, für deine Hände und deine Zunge, mein ganzer Körper für dich!“

3

Na, was sagt ihr jetzt?

Nicht schlecht, was?

Das war doch recht gut, oder – um nicht zu sagen, verdammt gut?

Ja, genau, finde ich auch. Aber, um ehrlich zu sein, muß ich zugeben, daß ich das Ganze aus einem Buch geklaut habe. Nicht daß das etwas ausmachen würde, das meiste im Leben klaut man ja eh, nicht wahr? Aber gebt zu, daß es gut war?

Welches Buch?

O nein, ich habe keineswegs vor, zu verraten, was für ein Buch das ist. In der Bücherei ist es sowieso nicht zu finden. Und Ganz bestimmt nicht in der Kinder- und Jugendbuchabteilung.

Diese Bezeichnung ist wirklich der pure Hohn!

Kinder- und Jugendbuchabteilung!!

Völlig wahnsinnig. Die stecken mich doch glatt zu den Fünf- und Sechsjährigen; die erwarten doch tatsächlich, daß ich mich mit kreischenden Kleinkindern in der Schlange vor der Ausleihe drängle! Einfach unglaublich!

Nun, ich war also fest davon überzeugt, daß es in Stockholm von Penthousepuppen nur so Wimmelte, die vor Begierde nach meinem jungen, eifrigen, scharfen Körper völlig außer sich geraten würden.

In meinen schwächsten Augenblicken sah ich natürlich ein, daß selbst wenn die Stadt von leckeren Pet-of-the-Month-Exemplaren nur so überquoll, und selbst wenn eine von ihnen wirklich auf mich abfahren würde, ich trotzdem nichts wagen würde. Nein, vermutlich würde ich auf der Stelle eine Mücke machen.

Also, es ist doch so, daß es nicht nur darauf ankommt, auf diesem Gebiet etwas zu wagen – nein, außerdem muß man sich doch in die Hosen machen vor Angst, daß sie ein Kind kriegt oder daß man sich Syphilis oder den Tripper holt oder – Aids!!!

(Mit Weltuntergangsstimme à la amerikanischem Video herausposaunt.)

Apropos Strafe Gottes. Wenn man für religiöse Grübeleien veranlagt wäre, müßte man ja schon längst bekehrt sein. Zuerst kam die Pest, und dann kam Aids. Die Strafe Gottes. Alle Sünder werden weggefegt. Anfangs kam Aids ja in so raffinierter Form angeschlichen, daß nur diejenigen starben, die, christlich gesehen, am allermiesesten dran waren – Schwule, Fixer und Nutten.

Und Neger ...

Also, da muß doch irgendwo ein Fehler unterlaufen sein, glaube ich. Vielleicht so: als Gott seine Grosse Strafe verteilte, erklärte er seinen Unterlingen, wie sie zuwege gehen sollten, und da sagte er wahrscheinlich etwas ähnliches wie:

„Und die Strafe soll nur jene treffen, deren Seelen ganz schwarz sind, die Sünder mit dem allerfinstersten Gewissen ...“

Er drückt sich ja meistens so undeutlich und verschwommen aus. Und die Unterlinge, die Unterlinge, die wie üblich vor sich hindösten, während der Alte quasselte, die glaubten, er hätte „die Schwarzen und die Sünder“ gesagt. Und dann gingen sie ans Werk und hätten fast ganz Afrika ausgelöscht.

Das war ein echter Schnitzer!

Aber Aids oder nicht, dachte ich – in Stockholm gibt es sie, in Stockholm gibt es Sie, dort gibt es eine Frau, eine Frau für mich.

In Stockholm gibt es Tante Agnes, sagte eine spöttische Stimme, und Tante Agnes – das klingt wie eine alte Zimtziege aus einem Lore-Roman.

Ja, das finde ich auch. Aber ich kann nichts dafür – die Schwester meiner Mutter heißt nun mal Tante Agnes.

Nein, natürlich heißt sie nicht Tante Agnes, sondern nur Agnes. Aber da sie meine Tante ist, wird es eben so, man nennt sie Tanteagnes, als wäre es ein einziger Name.

Sie wohnt in Karlavägen, mitten in der hochgestochenen Gegend von Östermalm, wenn ich mich nicht irre. In der Nähe von Karlaplan hat sie eine große Vierzimmerwohnung in einem Eckhaus. Und in einem dieser vier Zimmer sollte ich also einquartiert werden.

Ich hatte sie erst dreimal getroffen. An die beiden ersten Male konnte ich mich nicht erinnern, damals war ich nämlich so klein, daß ich kaum sprechen konnte. Das dritte Mal war vor fünf oder sechs Jahren, da haben wir sie in Stockholm besucht. Damals kam Tante Agnes mir schrecklich alt vor, aber das lag wahrscheinlich daran, daß ich selbst noch schrecklich jung war. Die Jüngste war sie selbstverständlich nicht mehr, immerhin ist sie sieben Jahre älter als meine Mutter.

Natürlich war es ziemlich peinlich, daß ich bei Tante Agnes wohnen mußte. Aber es war immerhin Stockholm. Und in Stockholm wartete ein neues Leben auf mich – A Brand New Life.

Dort würde alles anders werden, davon war ich überzeugt. Ich würde den lahmarschigen Jungen hinter mir lassen, in den mich das Zombiekaff verwandelt hatte, und mit ihm auch all die Zombies, die dort lebten. Wenn ich das alles erst mal hinter mir hätte, würde es mir sehr viel besser gehen. A new career in a new town, wie Bowie einmal sagte.

Doch, natürlich hatte ich das auch schon gehört – daß man vor sich selbst nicht fliehen kann. Davon war ich allerdings nicht restlos überzeugt. Und außerdem hatte ich das ja gar nicht vor – ich wollte zu mir selbst fliehen, so war das. Und ich mußte es wenigstens testen. Vielleicht würde es mir in Stockholm ja genauso mies gehen, aber ich war davon überzeugt, daß es viel mehr bringen würde, mich im Big Burger am Stockholmer Stureplan bekotzt zu fühlen als vor Börjes Grill daheim am Marktplatz.

Schlimmer konnte es auf jeden Fall nicht werden.

Die ersten Anfälle, oder wie man es sonst nennen soll, bekam ich im Herbst des Jahres, bevor ich den Bettel hinschmiß.

Das muß echt superdämlich ausgesehen haben. Hätte ich mich selbst sehen können, hätte ich bestimmt zynisch und roh über mich gelacht. Also, das sah so aus: Mitten im Gewimmel (so wimmelig, wie es in diesem Kaff eben werden konnte) auf unserem Einkaufsboulevard numero uno latschte ich vor mich hin. Es war ein Samstagvormittag, ein dumpf herbstfarbener Samstag im Oktober. Und da ging ich und schlenkerte mit einer Einkaufstüte.

Und dann, ganz plötzlich, erstarrte ich. Irgendwie wurde ich mitten in einem Schritt gelähmt. Mit einem Fuß in der Luft blieb ich stehen und bekam einen totalen blackout. Ich kauerte mich hin, als würde ich wahnsinnig frieren oder als hätte ich einen Krampf, und dann kniff ich die Augen zu und versuchte, die Arme tröstend um mich selbst zu schlingen.

Das muß ganz einfach umwerfend komisch ausgesehen haben.