Vorsicht! Mann in Wechseljahren - Gisela Sachs - E-Book

Vorsicht! Mann in Wechseljahren E-Book

Gisela Sachs

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Auch das starke Geschlecht durchlebt Unannehmlichkeiten, wenn im Alter die Hormonproduktion nachlässt und der Zahn der Zeit am Manne nagt. Die Wechseljahre, verschrien als alleiniges Frauenproblem, bescheren dem Mann ein Wechselbad der Gefühle. Er kauft sich einen Sportflitzer, färbt sich die Haare, quetscht sich in hautenge Jeans und sehnt sich nach einer Freundin, die gerade erst Abitur gemacht hat. Die Libido nimmt ab, das Bauchfett zu. Er neigt zu Stimmungsschwankungen, leidet unter dem Verlust von Energie … Ein Feuerwerk von Einfällen. Mal traurig, mal euphorisch, mal realistisch, mal total überzogen. Ideenreich und voller Komik.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 312

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Vorsicht! Mann in Wechseljahren
Impressum
Teil 1
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
Teil 2
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
Teil 3
1. Kapitel
2. Kapitel
Teil 4
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
Über die Autorin

Gisela Sachs

Vorsicht! Mann in Wechseljahren

Roman

XOXO Verlag

Impressum

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://www.d-nb.de abrufbar.

Print-ISBN: 978-3-96752-114-6

E-Book-ISBN: 978-3-96752-614-1

Copyright (2020) XOXO Verlag

Umschlaggestaltung und Buchsatz: XOXO Verlag

Unter Verwendung von 62368885

Businessman holding an exclamation road sign© ra2 studio

Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

XOXO Verlag

ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH

Gröpelinger Heerstr. 149

28237 Bremen

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Teil 1

1. Kapitel

Er pinkelt jetzt im Sitzen, seine Männlichkeit braucht es nicht mehr, dass er steht. Die Prostata hat es geschafft, um was ich vierzig Jahre lang erfolglos gerungen habe. Er setzt sich jetzt zum Pinkeln nicht deshalb nieder, weil er nicht mehr so treffsicher wie früher ist (und in Wirklichkeit war er es nie), sondern weil ihm die Füße schmerzen, wenn er so lange auf einem Fleck verharren muss und es nur noch tröpfchenweise kommt. Gut Ding will eben Weile haben …

Er ist mit den Jahren sehr ordentlich, sehr fleißig und sehr fürsorglich geworden. Etwas spät, wie ich meine, unsere drei erwachsenen Kinder können damit ebenso wenig umgehen wie ich. Ich mache mich zum Ausgehen bereit, hole meine Schuhe aus dem Schrank im Flur, gehe noch schnell auf die Toilette, komme noch schneller wieder zurück und die Schuhe befinden sich schon wieder im Schuhschrank. Früher stolperten wir täglich über seine Sportlatschen, die er überall, nur nicht im Schuhschrank, abstellte. Mein Schlüsselbund, den ich vor ein paar Minuten auf dem Küchentisch abgelegt habe, hängt schon wieder ordnungsgemäß am Schlüsselhaken neben der Haustür, bemerke ich, als ich aus der Toilette komme. Meine Handtasche liegt geöffnet auf dem Wohnzimmertisch.

Er hat eine kleine Flasche mit Apfelsaftschorle und eine Banane in meine Handtasche gepackt, dafür aber meine Schminkutensilien herausgenommen. »Das Zeug brauchst du sowieso nicht«, bestimmt mein Mann. »Aber wenn du in den Unterzucker kommst, Frau …«

Ich seufze, schweige und verlasse das Haus, begebe mich missmutig Richtung Autoabstellplatz. »Viel Unkraut heuer«, sage ich zur Nachbarin, die in ihrem Vorgarten arbeitet. Sie nickt.

»Viel Unkraut«, wiederholt sie und zupft beharrlich weiter.

Er beobachtet uns argwöhnisch vom Küchenfenster aus, Sekunden später geht die Haustür auf, Winfried bleibt an der obersten Treppenstufe stehen und brüllt: »Hast du auch alles, Margit? Geldbeutel, Adressbuch, Slipeinlagen?«

Die Nachbarin lässt vor Schreck den Löwenzahn aus ihren Händen fallen. »Wie mein Walter«, nuschelt sie vor sich hin. Wenigstens hat er mich dieses Mal beim Namen genannt, denke ich, während ich genervt die Autotür aufschließe. Nun aber nichts wie weg von hier!

Er steht plötzlich hinter mir und japst. »Du hast deinen Schal vergessen, Frau. Wenn du mich nicht hättest, dann wärst du aber ganz schön aufgeschmissen, was?!«

»Ich brauche keinen Schal, Winfried!«

Er sieht zum Himmel hoch und verdreht die Augen. »Das Wetter schlägt um, es wird kalt.«

Ich nehme den Schal, den mir meine Schwiegermutter vor ein paar Jahrzehnten gestrickt hatte und lege ihn auf den Beifahrersitz. Das graue kratzende Wolleteil konnte ich noch nie leiden. Winfried schüttelt missbilligend seinen Kopf, hechtet um das Auto, reißt mit einem Ruck die Beifahrertür auf, beugt sich, soweit sein Bauch das zulässt, zu mir herüber und legt den Schal um meine Schultern. »So, Frau. Und fahr mir bloß keine Delle in mein Auto!«

Alle Kräfte fallen nach unten, sofern sie nicht durch andere Kräfte gehindert werden. Die andere Kraft ist der Beifahrersitz. Es dauert ein Weilchen, bis er sich aus dem Auto gehievt hat. Bevor er die Tür endgültig schließt, sieht er mich mahnend an.

»Den Saft aber nicht im Auto trinken, Frau. Wenn du den verschüttest, ist das katastrophal, der klebt auf den Matten wie Sekundenkleber.«

Er kaut auf seinen Lippen. »Und vergiss um des Himmels Willen nicht, die Bananenschale wegzuwerfen, Frau, den Geruch kriegen wir sonst nie wieder aus dem Auto raus!«

Er sieht mich Unheil verheißend an. »Was glaubst du, wie so eine Schale nach ein paar Tagen stinkt. Die stinkt zum Himmel, sag ich dir, das kannst du dir gar nicht vorstellen, Frau. Die riecht wie ‚Dope’!«

Er hält mir seinen hektisch wackelnden Zeigefinger vor die Nase. »Und wenn du da in eine Polizeikontrolle gerätst, Frau …«

Ich verdrehe die Augen, sehe zur Nachbarin rüber und seufze.

»Du glaubst mir das nicht, Margitchen? Da bist du der Arsch, das kann ich dir aber sagen.«

Er nickt mit dem Kopf wie die Krippenfigur in unserer Kirche, nachdem sie ein Geldstück geschluckt hat.

»Die bringen dich glatt als Dealer in den Knast. Wenn du Glück hast, nur als Dealer, Frau. Wenn die aber Verwesung riechen und nach einer Leiche suchen …«

»Ich esse die Banane nicht im Auto, Winfried.«

»Wo denn dann, Frau?«, fragt mein Mann verblüfft.

»Ich gehe heute essen, das habe ich dir doch erzählt.«

»Du gehst essen?«

»Du hast mir wieder einmal nicht zugehört, Winfried.«

»Mit wem denn, Frau?«

»Mit ein paar Freundinnen aus der Bauchtanzgruppe.« Mein Mann schlägt sich mit der flachen Hand auf die Stirn.

»Du triffst dich schon wieder mit diesen aufmüpfigen Weibern?«

Er bläst sich auf wie ein Kugelfisch. »Es wird noch schlimm mit dir enden, Frau!«

Ich drehe den Zündschlüssel nach rechts. »Ich fahr dann mal.« Er hat seinen Fuß zwischen die Tür gestellt, sieht auf seine

Armbanduhr. »Zwei Stunden?«

»Was meinst du mit zwei Stunden, Winfried?«

»In zwei Stunden bist du doch sicherlich wieder zurück, Frau?«

»Nein, das werde ich nicht, Winfried. Ich mache mir heute einen schönen Tag. Ohne dich als Spaßbremse! Und nenn mich, verdammt noch mal, nicht immer Frau. Ich habe einen Namen, Winfried!«

Der Kugelfisch zeigt sein Maul. »Du solltest dir ein Hobby zulegen, Freunde suchen vielleicht. Dann kann ich auch einmal Luft schöpfen.«

Er kneift die Augen zusammen. »Du hast geflucht, Frau«, stellt er erschüttert fest. Seine Stimme wird laut. »Das ist der Einfluss dieser karrieristischen, egomanischen Weiber!«

»Ich habe nicht geflucht, Winfried.«

»Verdammt noch mal, ist geflucht, Frau.«

Seine Stimme wird hoch, die Wörter ziehen sich in die Breite. Das bedeutet Alarmstufe 1.

»Ein Hobby soll ich mir zulegen? Was ist das denn für eine lächerliche Idee, Frau? Die kommt doch bestimmt auch von deinen rebellischen, narzisstischen, sexistischen Hüftschwingerinnen. Die sollen lieber daheim bleiben und kochen und putzen, wie sich das für eine anständige Frau gehört, statt sich ein flottes Leben zu machen!«

Der Kugelfisch japst nach Luft. »Und das auf Kosten ihrer Männer. Was essen die jetzt heute Mittag, kannst du mir das einmal erzählen, Frau?«

»Du bezeichnest uns als sexistische Hüftschwingerinnen, Winfried? Das ist ja die Oberhärte. Du weißt genau, dass wir den orientalischen Tanz in der Geburtsvorbereitung gelernt haben. Wir haben noch nie vor einem Mann getanzt, auch das weißt du ganz genau, Winfried. Es ist ein Tanz von Frauen für Frauen! Aber das kann ich ja ebenso unserer Schrankwand oder dem Kühlschrank erzählen, du hörst mir ja ohnehin nie zu.«

Reuevoll über seinen Anfall zieht er mich an sich. »Du bist doch mein Hobby, Frau!«

»Da hast du aber etwas gründlich missverstanden, Winfried.«

»Aber du bist doch meine Frau und …«

»Aber nicht dein Unterhaltungsclown. Für deine Unterhaltung musst du schon selbst sorgen, Winfried!«

Er schluckt. »Ich rufe dich auf dem Handy an, Frau.«

»Es ist in meiner Kosmetiktasche. Und die hast du aus meiner Handtasche entfernt, Winfried.«

Er grapscht nach meiner Tasche auf dem Rücksitz, zieht den Reißverschluss mit einem Ratsch auf und nimmt die Banane und die Flasche mit der Apfelsaftschorle heraus. »Ich hole deinen Kosmetikbeutel, Frau«, sagt er, sprintet davon und verschwindet im Haus. Ich drücke das Gaspedal durch und fahre mit quietschenden Reifen aus unserer Straße. Unter was ich sein Verhalten einordnen muss, weiß ich nicht. Auf alle Fälle werde ich demnächst mit unserem Hausarzt darüber sprechen. Wehret den Anfängen, steht in der Bibel und das nehme ich mir zu Herzen.

Er kontrolliert seit Neuestem sogar den Mülleimer. Die städtische Müllabfuhr versieht ihren Dienst bei uns vierzehntägig. Dienstags! Ich stelle jeden zweiten Montagabend unseren Mülleimer an den Straßenrand, direkt neben den Eimer unserer Nachbarn. Mein Mann sieht regelmäßig nach, ob unser Eimer auch richtig steht. Lange und mit ernster Miene steht er jeden zweiten Montagabend vor dem städtischen Behälter, schüttelt jeden zweiten Montagabend missbilligend seinen Kopf, kratzt seine Stirn, fährt sich mit gespreizten Fingern durch die Haare und meckert.

»Was sind die Meiers doch für ein schlampiges Volk, Frau. Die waschen ihren Kübel weder ab noch aus, da hängt der Staub der letzten 14 Tage drauf, siehst du das, Frau?«

Er hält seinen schwarzen Zeigefinger in die Luft wie eine Trophäe, deutet auf die Streifspuren auf Meiers Mülleimer. »Und solche Schlampermeiers habe ausgerechnet ich in der Nachbarschaft«, keift er. »Womit habe ich das bloß verdient?«

Ich gehe schweigend ins Haus zurück, spähe aus dem Küchenfenster und hoffe, dass niemand in der Nachbarschaft dasselbe tut.

Er kämpft wie ein Torero, dreht den Mülleimer nach rechts, begutachtet ihn argwöhnisch von der Seite, läuft nach links, begutachtet die andere Seite, schüttelt seinen Kopf, überlegt, dreht dann den Eimer weiter nach rechts, steht wieder lange Zeit davor, zieht ruckartig sein Stofftaschentuch aus der Hosentasche, wischt über den Eimerdeckel, dreht den Eimer wieder nach links.

Er spitzt die Lippen, streicht sich mit gespreizten Fingern durch die Haare, runzelt die Stirn und kneift die Augen zu Schlitzen, läuft noch einmal um den Eimer herum. Dieses Mal langsamer. Dann zerrt er ihn mit viel Gestöhne bis zur Straßenmitte, um ihn zwei Minuten später wild entschlossen wieder zurückzustellen. Er wischt nochmals mit dem Taschentuch über den Deckel. »So, jetzt hammer’s!«

Sieg des Kämpfers. Zufriedenheit spiegelt sich in den Gesichtszügen meines Angetrauten, die nach dem Anzünden einer Zigarette noch eine Steigerung erfahren. Er setzt sich auf die oberste Stufe am Hauseingang und lauscht glücklich dem Vogelgezwitscher, das aus Nachbars Walnussbaum erschallt. Sein liebevoller Blick gilt unserem Mülleimer, der staubfrei in der Abendsonne glänzt und in derselben Position am Straßenrand steht, wie ich ihn seit vierzig Jahren schon hinstelle.

Er isst zu viel Fettiges, zu viel Schokolade, trinkt zu viel Cola und Säfte und hat längst schon das Schlachtgewicht eines Schweines überschritten. Er freut sich immer riesig, wenn er irgendwo auf einen Typen trifft, dessen Bauchumfang auch nur um einen Millimeter größer ist als der seinige. Diesen Menschen zeigt er mir dann mit grenzenloser Begeisterung. »Schau dir mal den Fettsack an, Frau, der hat einen Ranzen, was, Frau? Was sagt man denn dazu?«

»Ich heiße Margit«, sage ich leise.

Er strahlt mich an, fuchtelt aufgeregt mit seinen Händen vor meinem Gesicht herum. »Gegen den bin ich ein Hungertuch, das sieht doch ein Blinder mit Krückstock, Frau!«

Ich würde gerne etwas dazu sagen, schweige aber, will keine Wiederholung der Schilderung meiner unförmigen Oberschenkel riskieren. Das muss ich nicht schon wieder haben. Außerdem haben wir in diesem Supermarkt schon des Öfteren für Aufsehen gesorgt.

Er streichelt über meinen Oberarm. »Weißt du eigentlich, wie gut du mit mir dran bist, Frau?!«

»Ich heiße Margit«, sage ich laut. Die Verkäuferin, die gerade die Eier auffüllt, dreht sich erschrocken zu uns um. Winfried schüttelt seinen Kopf. »Du meine Güte, Frau, was bist du doch wieder zickig heute.«

Meinem Gatten gehen die Haare aus. Für den Restbestand derselben gibt er viel Geld aus. Sein Fach im Badezimmerschrank ist wesentlich voller als meines. Es beherbergt viele Arten von Haarfestiger, Haarschaum, Haarspray, Frisiercreme, Shampoons gegen Schuppen, gegen trockene, widerspenstige, für gefärbte und sonst noch was für Haare. Der Markt ist vielseitig und er nimmt dankbar die Sonderangebote der Drogeriemärkte im Umkreis von 20 Kilometern an. Wie die spärlich verbliebenen Haare auf seinem Kopf so widerspenstig sein können, ist mir allerdings ein Rätsel. Ich schweige nur wegen der zu erwartenden Schilderung meiner unförmigen Oberschenkel, verschweige auch mein Wissen über seinen weiteren Kosmetikavorrat in dem abgeschlossenen Metallkoffer unter dem Ehebett.

Er ist vergesslich und hat die Geheimzahl(unser Hochzeitsdatum) im PC abgespeichert, scheint inkontinent zu sein und künstliche Zähne zu tragen. Tabs zur Gebissreinigung und Einlagen für den Mann sind im Seitenfach des Koffers deponiert. In einem Briefumschlag schlummert zwischen den Kontoauszügen eine blaue Pille namens Viagra. Letzte Woche waren es noch zwei, wundere ich mich.

Er ist meist müde, rasch erschöpft, immer hungrig und immer schlecht gelaunt. Heute macht er den Regen für seine fiese Laune verantwortlich. Seine Stimmungsschwankungen sind enorm. Ich bin frustriert, als er mich im Badezimmer anraunzt, weil die Klopapierrolle leer ist.

»Die Frauen heutzutage …«

Dieses Mal schaffe ich es nicht, meinen Mund zu halten. Ich baue mich kerzengerade vor ihm auf, sehe ihm kontinuierlich in die Augen, ziehe hörbar die Luft durch meine Nase, lasse sie mit einem tiefen Seufzer wieder aus, ziehe die linke Augenbraue nach oben und sage in dem spöttischsten Ton, den ich draufhabe:

»Vorsicht! Mann in den Wechseljahren.«

Mit dieser Aussage habe ich nicht nur mein Schokoladecroissant, das er mir jeden Samstagmorgen vom Bäcker mitbringt, aufs Spiel gesetzt, sondern mir eine unglaubliche Schilderung meiner Oberschenkel eingehandelt. 20 Minuten lang! Ich bin beleidigt und rede vorerst kein Sterbenswörtchen mehr mit ihm, starte ganz konsequent eine Diät und er kriegt auch nichts gekocht. Ich schließe unsere Küche ab und stelle eine Schale mit Obst ins Wohnzimmer. Die Schokolade aus seinem Versteck im Dielenschrank verschenke ich an die Nachbarskinder. Sein Gehirn scheint ohne diese glücksbringenden Botenstoffe noch schlechter zurechtzukommen. Ertraget einander in Liebe und Geduld, hatte der Herr Pfarrer vor vierzig Jahren bei unserer Trauung verkündet. Ich weiß jetzt, was er damit gemeint hatte.

Schlafen können wir beide nicht, zudem fehlt mir mein abendlicher Schlummertrunk und ich überlege lange, was wir früher so in unseren schlaflosen Nächten gemacht haben. Irgendwas war da doch noch? Der Einschlaftrick mit dem Schafe zählen, fällt mir ein. Ich fange also an, Schäfchen zu zählen, zähle Schäfchen wie verrückt, sehe aber nur Schokoladecroissant fressende und Rotwein saufende Schafe vor mir. Ich quäle mich aus dem Bett, öffne das Schlafzimmerfenster, lasse die klare Nachtluft ins Zimmer strömen, kuschele mich wieder in meine Daunen und bin bald darauf im Land der Träume angelangt.

Ich träume von einer knusprigen Kalbshaxe und einem großen Knödel mit dunkelbrauner Soße darüber, ein helles Hefeweißbier dazu. Von einem Süppchen vorneweg – einem Festtagssüppchen aus Rinderbrühe mit Eierstich, Markklößchen, Suppennudeln und frischem Schnittlauch drüber. Ich seufze genüsslich bei dieser Vorstellung. Mein Mann drückt sich eng an mich, umklammert meine Hüften, streichelt meine Oberschenkel, sabbert in mein Ohr. »Da ist wenigstens etwas dran, Frau.«

»Lass das, Winfried«, knurre ich, wische mit dem Handrücken über mein Gesicht, befreie mich von seinen klammernden Händen, rutsche an den Bettrand und kuschele mich in mein Trösterchen-Kissen. Im Halbschlaf sehe ich eine schwarze Wolke über mir schweben. Auf dieser sitzt unser Pfarrer. Er streckt mahnend den rechten Zeigefinger in die Luft, seine Stimme braust auf wie Donnerhall. »Ertraget einander in Liebe und Geduld!«

Seufzend schiebe ich das Wildgänse-Flaum-Kissen von mir und rutsche zur Bettmitte. »Ist ja schon gut, Herr Pfarrer.«

Der kontinuierliche Rückgang des dem Körper zur Verfügung stehenden Testosterons wird mir schnell bewusst. Die blaue Pille im Koffer unter dem Bett war mit Sicherheit nicht zur Einnahme gegen Bluthochdruck gedacht. Männer ab 50 sollen unter einer erektilen Dysfunktion leiden. Das habe ich kürzlich in einem Gesundheitsratgeber gelesen. Wahrscheinlich ist Winfried deshalb dauergrantig, vermute ich. Ich werde demnächst mit unserem Hausarzt darüber reden.

Er tut mir leid und ich versuche ihn zu trösten. »Das macht jeder Mann irgendwann einmal durch«, sage ich und wuschele mit beiden Händen durch seine Haare.

»Hände weg von meinen Haaren, Frau«, keift er, springt mit einem Satz aus den Federn, zerrt den Koffer unter dem Bett hervor, nimmt die Pille aus dem Briefumschlag und wirft sie in hohem Bogen aus dem Fenster. Dann sieht er mich an wie der Wolf die Großmutter, bevor er sie aufgefressen hat, greift nach seinen Kleidern, verschwindet aus dem Schlafzimmer, aus dem Haus und erscheint erst am Abend zu seiner Geburtstagsfeier wieder.

»Der Abbau von Muskeln und die Zunahme von Fettmasse sowie ein verminderter Bartwuchs sind in diesem Alter völlig normal«, erklärt unser ältester Sohn seinem verdutzten Vater, als er ihm als Geburtstagsgeschenk eine schicke Designerwaage überreicht. Der Sohn grinst. »Von dem eingesparten Geld für Schokolade und Rasierklingen könntest du dir eine Dauerkarte fürs Hallenbad kaufen, Paps.«

Der Junior schlägt dem Vater auf die Schultern. »Ja, so ist das Leben. Nach den Jahren der Last hat man die Last der Jahre.«

Mein Mann wird leichenblass. Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn. Er schnappt nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen, klatscht die Waage auf den Wohnzimmertisch und verlässt abermals das Haus. Ich sehe ratlos aus dem Küchenfenster, als ich die Autotür zuknallen höre. Meine Blicke bleiben in unserem Vorgarten hängen. So große Tulpen hatten wir noch nie. Kerzengerade wie eine Messlatte stehen die Stängel in Reih und Glied, strecken ihre geschlossenen Knospen dem Himmel entgegen. In dieser Nacht schläft mein Mann im Gästezimmer.

Er geht gerne einkaufen …

Strahlend wie ein kleines Kind kommt Winfried von seinen täglichen Streifzügen aus den umliegenden Bäckereien nach Hause, steigt fröhlich pfeifend aus dem Auto und streckt triumphierend seine Schätze in die Höhe, wenn er mich am Küchenfenster entdeckt.

»Alles vom Vortag und zum halben Preis, Frau«, freut er sich. Wo soll das noch hinführen, sorge ich mich. Mittlerweile bin ich reif für eine Kur.

Er hat 65 Hemden im Schrank. 38 Hemden mit langen Ärmeln und 27 Hemden mit kurzen Ärmeln. Sie hängen farblich sortiert und in abgemessenem Bügelabstand von drei Zentimetern im Schrank. Winfried verringert den Abstand auf zwei Zentimeter. Er ist sichtlich aufgeregt. »Die Boutique Meissner bietet wegen Umbauarbeiten Designerhemden zum halben Preis an. Seit gestern schon.«

Er kratzt seine Stirn. »Ich habe das viel zu spät erfahren, Frau. Hoffentlich bekomme ich noch welche ab. Da werde ich mal ordentlich zuschlagen, Frau, wenn man doch so viel Geld sparen kann.«

»Heute brauche ich das Auto«, sage ich.

»Du brauchst das Auto?«

»Ich habe einen Arzttermin, Winfried.«

»Einen Arzttermin? Weswegen denn, Frau?«

»Die Krebsvorsorge, Winfried …«

»Du kannst den Bus nehmen, Margitchen.«

»Du auch, Winfried«, entgegne ich.

»Mein Gott, Frau, wie bist du doch wieder zickig heute!«

»Gib mir den Autoschlüssel«, sagt mein Mann, als ich Stunden später zurückkomme und streckt verlangend die Hand aus. Er sieht mich strafend an. »Jetzt hast du mich aber lange warten lassen, Frau.«

Er runzelt die Stirn. »Wie viele Dellen hast du reingefahren?«

»Keine«, sage ich, drücke mich an ihm vorbei ins Haus, in die Küche, schalte die Kaffeemaschine ein und decke den Tisch. »Ich habe Kuchen für uns mitgebracht, Winfried«, sage ich versöhnlich.

»Ich muss noch mal ans Auto«, sagt er. Ich beobachte ihn vom Küchenfenster aus.

Er schleicht um das Auto herum, schließt die Fahrertür auf, begutachtet das Polster, zupft etwas weg. Ein Haar vielleicht? Danach öffnet er den Kofferraumdeckel, betrachtet nachdenklich den Innenraum, schließt ihn wieder, dreht nochmals zwei Runden ums Auto. Er atmet tief durch, bevor er ins Haus zurückkehrt.

»Ist ja noch einmal gut gegangen, Frau«, seufzt er und sticht mit der Kuchengabel erleichtert in den Käsekuchen.

»Ich habe den Führerschein länger als du«, bemerke ich.

»Du willst schon wieder streiten, Frau …«

»Bei Obi gibt es gerade eine Farb-Aktionswoche«, erzählt Winfried mir am Telefon. Ich bin für ein paar Tage zu meiner an Grippe erkrankten Schwester in den Odenwald gereist, um deren Haushalt zu schmeißen. Mit dem Zug. Das Auto hat Winfried mir verweigert, weil ich ihn nicht mitnehmen wollte.

Er ruft jeden Tag mindestens fünfmal an.

»Kommt ihr auch wirklich ohne mich klar, Frau?«

Er wartet vergeblich auf eine Antwort von mir, räuspert sich und brüllt noch lauter in die Muschel.

»Ich habe dich gefragt, ob ihr ohne mich klar kommt, Frau?«

»Natürlich kommen wir ohne dich klar, Winfried.«

»Du fehlst mir, Frau«, sagt er leise.

»Hm.«

»Es ist so ruhig hier ohne dich, Frau, fast schon langweilig.«

»Du solltest dir ein Hobby zulegen, Winfried.«

»Aber du bist doch …«

»Ach Winnie«, seufze ich. »Das Thema haben wir doch schon durch.«

Er flötet in die Sprechmuschel. »Wenn du heimkommst, wartet eine Überraschung auf dich, Margit.«

»Wirklich?«

»Wirklich!«

Er hat mich Margit genannt. Und er will mich überraschen so wie früher. Alles wird gut! Ich bin fest davon überzeugt.

Als ich wegen einer Mitfahrgelegenheit einen Tag früher und unangesagt zu Hause ankomme, bleibt mir die Luft in der Röhre stecken. Die rechte Hauswand leuchtet in Sonnengelb, die linke in Schweinchenpink, die Fensterrahmen sind moosgrün. Meine Blicke streifen ungläubig über unser Haus. Ich sehe schemenhaft die Umrisse meines Mannes hinter den Küchenfenstergardinen. Sekunden später reißt er die Haustür auf.

Er strahlt wie ein Honigkuchenpferd am Weihnachtsbaum, drückt mich so fest an sich, dass ich keine Luft mehr bekomme.

»Mein Margitchen. Du hast es keinen Tag mehr länger ausgehalten ohne mich, gell, Frau?!«

Er lässt mich abrupt los. »Hast du unser Haus gesehen, Frau? Das ist eine Überraschung, was? Sind alles Restbestände aus dem Baumarkt«, sagt er mit stolzgeschwellter Brust.

Ich stelle meine Reisetasche im Flur ab, schnappe mein Rad und versuche, meinen Frust abzustrampeln. Als ich von meiner Strampeltour zurückkomme, ist unsere Haustür, die vor ein paar Stunden noch kiefernfarben war, mahagonibraun. Auf der obersten Treppe steht ein leerer Farbeimer. Vorsichtig schließe ich die Haustür auf, laufe durch unser Wohnzimmer in den Garten und falle in die Tiefe.

»Eigentlich wollte ich das Gartenhaus streichen, dafür hat die Farbe aber nicht gereicht, für die Haustür gerade noch, die hat ja auch viel weniger Fläche«, stammelt Winfried, als die Männer vom Rettungsdienst mich auf eine Trage legen und mit einem Gurt festzurren. Mein Blick streift die Schachtabdeckung, die an der Hauswand lehnt.

»Ich möchte nicht, dass mein Mann mich im Krankenwagen begleitet«, mache ich meinen Erstversorgern klar.

»Ich will ihn nicht sehen«, sage ich später zu den Schwestern in der Chirurgischen Abteilung. Drei Rippen habe ich gebrochen, kann mich kaum bewegen und bin stinkesauer auf meinen Mann. Heute noch werde ich eine Kur beantragen.

2. Kapitel

In der Therapiegruppe sind vorwiegend Männer zwischen 50 und 60 Jahren. Alle paar Minuten steht einer auf, um pinkeln zu gehen. Und immer dauert es Ewigkeiten, bis sie wieder in den Raum zurückkommen. Alle vermeiden jeglichen Blickkontakt mit mir, setzen sich verschämt auf ihren Stuhl und starren auf den Fußboden. Phänomenal!

Nach dem Mittagessen sitzen täglich jeweils vier der Herren dicht nebeneinander auf zwei Bänken und beobachten die Enten auf dem Chiemsee. Mit dem Glockenschlag um drei Uhr erheben sich täglich acht Hinterteile synchron von der Holzbank, streichen sich acht Männer synchron mit der rechten Hand über ihren Rücken und watscheln schwerfällig Richtung Klinik. Da gibt es mittags ab drei Uhr Kaffee.

Es ist wohl ein Wink des Schicksals, dass ich mit Männern in der Andropause zusammen sein muss, denke ich. Und um den Schicksalswink anzunehmen, verbringe ich viel Zeit mit den Herren. Wir kochen gemeinsam in der Stationsküche, gehen ins Kino und machen Ausflüge mit dem Boot. Acht Herren rudern fast täglich parallel in zwei Booten synchron zur Fraueninsel rüber. Ich verkneife mir das Lachen, weiß ich doch von zuhause, dass Männer in den Wechseljahren selten einen Spaß verstehen.

Mein Mann besucht mich jedes Wochenende und erteilt den Männern meiner Gruppe regelmäßig Ratschläge über den konsequenten Umgang mit mir, nimmt ihnen jedes Wochenende von Neuem die Ehrenworte ab, unter der Woche gut auf mich aufzupassen. Er würde sich erkenntlich zeigen, meint er. Die Wochenenden sind sehr anstrengend für mich und der mich behandelnde Psychologe hält es für sinnvoll, dass ich meinen Aufenthalt in der Klinik verlängere.

Ich nehme seinen Vorschlag begeistert an, mache meinem Mann klar, dass die wöchentlichen Benzinkosten für die Besuche große Löcher in unsere Haushaltskasse reißen und dass er an den Wochenenden einfach einmal seine Seele baumeln lassen, Musik hören, ein gutes Buch lesen und sich vor allem nicht dem Stress des Wochenendverkehrs aussetzen soll. Die Kostengründe überzeugen ihn letztendlich.

»Danke«, sagt mein Mann zu den Männern, als er mich nach acht Wochen von der Kurklinik abholt.

»Wir bleiben in Verbindung«, sagen acht Männer, als ich zum Abschied in die vertrauten Gesichter blicke.

»Ich werde euch vermissen«, murmele ich mit einem letzten Blick auf den Chiemsee.

»Wir sollten einkaufen gehen«, sagt mein Mann, kaum dass wir um die Ecke gebogen sind. Die Farben seines LieblingsSupermarktes leuchten schon von weitem. Gelb! Rot! Blau! Mir schwant Böses. Mein Mann ist begeistert.

»Egal wo du bist, Frau, du brauchst nur ins passende Regal zu greifen und hast dein Gewohntes, ohne lange herumsuchen zu müssen. Ist das nicht fabelhaft, Frau?«

»Ich heiße Margit!«

Er klatscht sich mit der flachen Hand an die Stirn, streift sich mit gespreizten Fingern durch die Haare, kneift seine Augen zu Schlitzen und stöhnt. »Du bist ja immer noch zickig, Frau!«

Er brüllt schon an der Eingangstüre. »Eier, Zucker, Mehl, brauchst du das, Frau?«

Vor uns, ein junges Paar, das sich suchend umschaut. Sie sind sich unschlüssig, ob sie die Eier von glücklichen Hühnern oder die von den weniger glücklichen, aber zum halben Preis nehmen sollen. Die junge Frau hat eine grün gestreifte Tragetasche um ihre Hüfte gebunden, statt Baby lugt aber ein Dackelkopf heraus. Der Dackel zuckt zusammen, als mein Mann »Kartoffeln, Karotten, Salat, brauchst du das, Frau?«, durch den Verkaufsraum brüllt.

Wir treffen uns an der Tiefkühltruhe wieder. Der Hund kuschelt sich eng an sein Frauchen, als er die Stimme meines Mannes vernimmt.

»Milch, Butter, Wurst, brauchst du da was, Frau?«

Die junge Frau streichelt beruhigend über den Kopf des Tierbabys. »Ist nur ein alter Mann, Hundie.«

Er begibt sich bedächtig Richtung Kasse, wartet, bis die Menschenschlange lang, aber nicht allzu lang ist, vergewissert sich, dass er genügend Zuschauer hat, packt die Lebensmittel auf das Band, verweigert meine Mithilfe und sieht sich beifallheischend um. Alle sollen sehen, wie gut ich es mit ihm getroffen habe. Jetzt kommt mein Einsatz, bietet sich mir endlich die Gelegenheit, meine gewünschten Lebensmittel zu holen, und ich sprinte nach hinten, hole mir alles wieder, was mein Mann aus dem Wagen und in die Regale zurückgelegt hat, hechte nach vorne ans Kassenband, ignoriere die erbosten Blicke der jungen Frau mit dem Dackel und lege meine Sachen neben den Einkauf meines Mannes.

»Gehören Sie zusammen?«, fragt die Kassiererin.

»Bis jetzt noch«, antworte ich mit einem kurzen Seitenblick auf meinen Mann.

»Das fängt ja gut an, noch nicht einmal zu Hause angekommen, fängst du auch schon wieder an zu rebellieren, Margitchen. Die Frauen heutzutage …«

»Das Telefon läutet«, sagt er, als ich die Haustür aufschließe. Ich nehme den Hörer ab und erkenne sofort die rauchige Stimme meines Kur-Kumpels Herbert.

»Ich habe Probleme mit meiner Frau, Margitchen«, klagt er.

»Massive Probleme, Margitchen. Ich muss dringend mit dir darüber reden.«

»Hm.«

»Wir haben uns doch in der Kur so gut verstanden, Margitchen, und …«

»Herbert, ich komme gerade zur Haustür herein, bin noch nicht einmal ausgezogen, muss meinen Einkauf verstauen und …«

»Du hast keine Zeit für mich, Margitchen?«

»Im Moment nicht, Herbert.«

»Ach? Ich rufe dich in 10 Minuten noch einmal an, Margitchen!«

»Ich bin voll beschäftigt, Herbert, muss meine Schmutzwäsche versorgen, die Einkäufe verstauen, Essen zubereiten, meine Kinder kommen in einer knappen Stunde und …«

Herbert hüstelt, ist beleidigt und legt auf.

Der nächste Anrufer ist Martin. Ich hatte an unserem Kennenlern-Tag schon bemerkt, dass er der Gruppe etwas verheimlichen will. Einmal in der Woche, meist montags, kam er mit einer Apothekertüte in den Speisesaal, verstaute diese umständlich unter dem Tisch, legte sorgfältig seine Serviette darüber und suchte unmittelbar nach dem Essen die nächste Toilette auf.

»Du, Margit, wir haben uns doch in der Klinik so gut verstanden«, beginnt er das Gespräch. »Jetzt ist es Fakt, ich lasse mich scheiden, Margit. Meine Frau und ich passen einfach nicht zusammen. Wir haben uns in verschiedene Richtungen entwickelt, das habe ich jetzt ganz klar erkannt. Dr. Maier hatte recht. Mir geht es scheiße, Margitchen. Das Haus wird drauf gehen und Else wird den Hund bekommen. Ohne meinen Fips ist mein Leben aber nichts mehr wert, ich liebe meinen Hund mehr als alles Andere auf dieser Welt. Schade, dass meine erste Frau so früh verschieden ist.«

Er schnäuzt sich. »Meine erste Frau war so eine gute Frau, Margitchen, nicht so eine Schindmähre wie meine Jetzige …«

»So schlimm kann es doch gar nicht sein, Martin. Du bist doch eben erst zu Hause angekommen.«

»Du willst nicht mit mir reden, Margitchen?«

»Nicht jetzt, Martin. Ich habe Hunger, muss meine Einkäufe auspacken, Wäsche waschen und …«

Martin legt auf. Drei Minuten später ruft Siggi an.

»Es tut so gut deine Stimme zu hören, Margitchen«, flötet er in den Hörer. Er versucht seine Stimme sexy klingen zu lassen. Das hat er in der Klinik schon erfolgreich bei den Putzperlen ausprobiert. Siggi ist ein solariumgebräunter, schmuckbehangener Draufgänger.

Er fährt ein Mercedes Cabrio, trägt am linken Ohr einen goldenen Brilli, wechselt seine Hemden stündlich, lässt die obersten drei Kragenknöpfe offen, krempelt die Ärmel bis zum Ellbogen hoch und trägt vorzugsweise hautenge Designerjeans. Er erzählt mir minutenlang das Dilemma seiner psychosozialen Belastungen.

»Ich bin gerade heimgekommen, Siggi, habe Hunger, muss Wäsche waschen und …«

»Du willst nicht mit mir reden, Margit?«

Siggis Stimme klingt erstaunt. »Wo wir uns doch in der Kur so großartig verstanden haben, Margitchen.«

»Jetzt nicht, Siggi, ich habe zu tun!«

Siggi legt auf, ohne sich von mir verabschiedet zu haben. Ich bin nicht sonderlich erstaunt, als eine Stunde später mein KurKumpel Jürgen anruft. Er wohnt in der gleichen Stadt und will mit mir Kaffee trinken gehen, macht er kund. Ins Insel-Hotel.

»Ich lade dich ein«, sagt er großzügig.

»Jürgen, ich muss meine Wäsche in Ordnung bringen, die Einkäufe verstauen. Meine Kinder kommen nachher vorbei und …«

»Du hast keine Zeit für mich, Margitchen?«

Ich höre, wie er die Luft durch seine Nase zieht.

»Wo wir uns doch in der Kur so blendend verstanden haben, Margitchen.«

»Heute leider nicht. Mach’s gut, Jürgen. Bis demnächst einmal.«

»Bis demnächst einmal? Was soll denn das heißen, Margitchen?« Ich lege den Hörer auf die Gabel, bevor es Jürgen tut.

»Meine Frau ist unberechenbar und launisch«, meint Harald mit dem Eincreme-Tick. »Die versteht mich nicht.«

In der Leitung rauscht und knistert es.

»Ich kann dich nicht verstehen, Harald«, sage ich.

»Du auch nicht, Margit? Wo wir uns in der Klinik doch so gut verstanden haben? Das verstehe ich jetzt überhaupt nicht, Margit.«

»Harald«, sage ich, rufe doch den Herbert, den Martin, den Siggi oder einen von den anderen Männern an. Ihr seid in etwa gleichem Alter und …«

»Du willst mir nicht helfen, Margit? Eigentlich hätte ich mir das gleich denken können. Ihr Frauen seid doch wirklich …«

Ich lege den Hörer auf die Gabel, fange an, die Einkäufe zu verstauen, putze den Salat und stelle das Wasser für die Nudeln auf die Herdplatte. Ich atme tief durch, als das Telefon von neuem läutet.

Ulli ist erstaunt, als er erfährt, dass Herbert, Martin, Siggi, Harald und Jürgen auch schon bei mir angerufen haben. Sein Redefluss ist nicht zu stoppen. »Ich muss etwas mit dir besprechen, Margitchen«, meint er. »Wir müssen uns unbedingt sehen. Heute noch, Margitchen. Das muss richtig ausdiskutiert werden. Wie ist dein Befinden gerade, Margitchen? Also ich bin gerade bei Skala 10. Weißt du …«

»Stopp, Ulli. Wir sind nicht mehr in der Gruppentherapie«, wehre ich mich.

»Aber Margit, wir haben uns doch in der Gruppe so gut verstanden. Und wo ich doch in solchen Schwierigkeiten stecke.«

»Lieber Ulli, deine Probleme fallen nicht in meinen Zuständigkeitsbereich. Dazu habe ich weder Lust noch Zeit. Jetzt ist wieder normales Leben für mich angesagt!«

»Aber Margit …?«

Ich schalte das Telefon auf stumm und hole die Bratpfanne aus dem Küchenschrank.

»Helmut und Klaus-Otto haben nicht angerufen«, stellt mein Mann fest, während ich das Öl in die Pfanne träufele.

»Mir geht es so gut wie noch nie in meinem Leben, Margitchen«, säuselt Helmut Tage später in die Muschel. »Ich habe meine große Liebe gefunden, Margitchen. Meine ganz große Liebe. Endlich!«

Er säuselt. »Wir gleiten auf der gleichen Wellenlinie, Margitchen.«

»Aha?«

»Wir haben die gleichen Hobbys, mögen die gleiche Musik, dasselbe Essen, lieben die gleichen Farben, haben den gleichen Humor und … Ich werde Manfred zu Herberts 60. Geburtstag mitbringen. Er ist ja so ein feiner Kerl. Du wirst ihn mögen, Margit!« Ich wundere mich über diese Neuigkeit nicht all zu sehr, habe

Helmuts Neigung zu Männern schon längst erkannt.

»Das wird eine Gaudi, Margitchen«, sagt er begeistert. »Dann sind wir endlich wieder vereint.«

Er lacht laut über seinen Witz. Ich halte den Hörer weit weg von meinem Ohr.

»Du hast doch auch eine Einladung bekommen, Margitchen?«

Helmut wartet keine Antwort ab. »Bringst du deinen Winfried mit? Bleibt ihr über Nacht? Wir könnten am Morgen danach zusammen wandern gehen. Mein Manfred wandert doch so gerne, Margit. Wir bleiben für drei Tage. Manny hat sich extra Wanderschuhe gekauft. Braunorangenfarbene. Mit rutschfester Gummisohle und Shockabsorber. Du weißt doch, was ein Shockabsorber ist, Margit? Meine Ex trug ja so was als BH.«

Helmut wiehert wie ein Pferd. »Immer wenn sie mit dem Hund Gassi ging. Du weißt doch, dass wir früher einen Hund hatten, Margit. Einen Dackel. Ich habe dir Bilder von unserem Waldi gezeigt …«

Ich versuche Helmuts Redefluss zu stoppen. »Was ist denn aus deiner Frau geworden, Helmut?«, frage ich nach. »Ihr geht’s doch gut?«

»Mach dir da mal keine Sorgen, Margit. Die Gabi macht es sich mit ihrem Mädel in einem Wellness-Hotel in Schwäbisch Hall gemütlich.«

»Aha?«

»Du weißt doch, dass wir eine Paartherapie gemacht haben, Margit. Das habe ich dir doch erzählt. Und da hat es sich herausgestellt, dass wir lieber mit dem eigenen Geschlecht zusammen sind.«

»Aha!«

»Was heißt denn hier aha, Margit?«

»Nun ja, die Regel ist das ja wohl eher nicht, Helmut.«

»Du bist in manchen Dingen so richtig vorgestrig, Margit. Man(n) muss auch anderweitige Erfahrungen sammeln, kann nicht immer den gleichen Trott leben. Mein Gott, Margit. Mit 60 fängt das Leben doch erst richtig an!«

3. Kapitel

Rückblick

Es war am Rosenmontag, ich hatte Nachtdienst und war hundemüde. Eigentlich wollte ich nur noch eines in mein Bett. Das penetrante Klingeln des Telefons erschrickt mich, ich lasse den Kaffeelöffel aus meiner Hand fallen, bücke mich danach und schlage mir den Kopf an der offen stehenden Schranktür an.

»Scheiße!«

Ich gebe der Tür einen Fußtritt. Wenn ich übermüdet und hungrig bin, bin ich äußerst schreckhaft und gereizt. Das war schon in meiner Kindheit so. Ich reibe mit den Fingerspitzen meiner rechten Hand über die schmerzende Stelle an meinem Kopf, trinke einen Schluck des noch zu heißen Kaffees.

»Auuu. Heute geht wirklich alles schief.«

Ich knalle die Tasse auf den Spültisch und lasse mich seufzend auf den Küchenstuhl gleiten, lege die Hände gekreuzt auf den Holztisch, meinen Kopf darauf und ergehe mich in Selbstmitleid. Das Telefon läutet immer noch. Genervt stehe ich auf und sehe auf dem Display die Nummer meiner Freundin Barbara. Was will die schon wieder? Die weiß doch, dass ich Nachtdienst hatte.

Ich greife nach dem Hörer. »Ja?«

»Ich bin’s, Margit. Die Barbara.«

»Ich weiß.«

»Ich habe Fasnachtsküchle gebacken, Margit. Lass mal einen Kaffee durch, ich bin in zehn Minuten bei dir!«

»Ich hatte Nachtschicht, Barbara.«

»Ich weiß.«

»Ich will in mein Bett, Barbara!«

»Heute ist Rosenmontag, Margit. Und da gibt es wie jedes Jahr Fettgebackenes. Das magst du doch so gerne.«

»Ja schon, Barbara. Aber nicht zum Frühstück. Und nicht nach der Nachtschicht.«

»Also dann in zehn Minuten, Margit.«

»Ich habe keine Lust auf Fasnachtsküchle, Barbara.«

»Dann komme ich mit einer Brötchentüte bei dir vorbei.«

»Ich bin müde, Barbara!«

»Sie sind in Schmalz ausgebacken, Margit.«

»Was?«

»Die Fasnachtsküchle.«

»Ich gehe jetzt ins Bett, Barbara!«

»Ich dachte, wir frühstücken zusammen, machen danach einen Schneespaziergang. Ich habe dir ja so viel zu erzählen, Margit. Ich habe da einen Mann kennengelernt …«

»Schon wieder?«

»Wir könnten uns aber auch beim Chinesen treffen und ich erzähle dir dann beim Mittagessen von meinem Fisch im Netz, einem ganz dicken Brocken, Margit, höchstwahrscheinlich ein Beamter, vielleicht sogar ein Beamter auf Lebenszeit. Der Horst hat so gepflegte Hände, Margit.«

»Aha.«

»Am Nachmittag habe ich einen Friseurtermin, dann kannst du dich ausruhen und für den Rosenmontagsball aufhübschen, Margit.«

»Ich bin müde, Barbara!«

»Karin, Jutta und Anna gehen auch mit.«

»Aha?«

»Ich habe den Mädels fest zugesagt für heute Abend. Auch für das Hering-Essen am Aschermittwoch. Für uns beide, Margit.«

»Aha?«

»Du hast doch jetzt ein paar Tage frei und …«

»Meine Güte, Barbara, ich will in mein Bett. Lass mir doch einfach meine Ruhe!«

»Oh, du bist wieder einmal überarbeitet, Margit. Dann sehen wir uns aber morgen Abend beim Faschingsdienstagsball in der Stadthalle.«

»Mir ist nicht danach Fasching zu feiern, Barbara.«

»Ich bin dieses Jahr als laszive Nonne unterwegs.«

Barbara lacht wie ein Grünspecht. »Du ziehst wahrscheinlich wieder dein braves Corsagen-Tanz-Kostüm an, habe ich recht, Margit?«

»Ich hole dich sicherheitshalber von zu Hause ab, Margit, damit da mal nichts schief geht. So gegen 19.00 Uhr. Gute Nacht. Bis Morgen dann, Margit.«

Sie räuspert sich. »Und schlaf dir gute Laune an, Liebes.«

»Gute Nacht ist gut, Barbara.«

Ich stöhne. »Du weißt ja, wie hellhörig dieses Haus tagsüber ist.«

»Da musst du durch. Bis dann, Margit.«