Schwiegermutteralarm - Gisela Sachs - E-Book

Schwiegermutteralarm E-Book

Gisela Sachs

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Beschreibung

Mein Name ist Oliver Sven Nägele. Ich bin 32 Jahre alt und arbeite im Zentraleinkauf eines Holzhandels in Stuttgart-Feuerbach. Eigentlich wollte ich Fußballstar werden. Das hat sich aber nie ergeben. Ich bin verheiratet ... und ich habe eine Schwiegermutter. »Schwiegermutteralarm« ist eine aus dem Leben gegriffene Schicksalsgeschichte, die vor Alltagskomik nur so überspritzt. Die bildhafte Sprache und knallige Wortwahl lässt kein Klischee der Schwiegermutter-Schwiegersohn-Beziehung aus, ist aber letztendlich eine einzige Liebeserklärung an sie. Die Erkenntnis: Wenn meine Schwiegermutter glücklich ist, ist auch meine Ehefrau glücklich. Und wenn meine Ehefrau glücklich ist, bin auch ich glücklich. Ein Ehemann bekommt das Licht von seiner Schwiegermutter wie der Mond von der Sonne ...

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Seitenzahl: 286

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Schwiegermutteralarm
Impressum
1. Teil
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
2. Teil
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
3. Teil
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel

Gisela Sachs

Schwiegermutteralarm

Roman

XOXO Verlag

Impressum

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://www.d-nb.de abrufbar.

Print-ISBN: 978-3-96752-112-2

E-Book-ISBN: 978-3-96752-612-7

Copyright (2020) XOXO Verlag

Umschlaggestaltung & Buchsatz: XOXO Verlag

Coverbild: Shutterstock 678426913

Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

XOXO Verlag

ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH

Gröpelinger Heerstr. 149

28237 Bremen

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

»Die Zeit ist eine Schneiderei,

die auf Änderungen spezialisiert ist«

— Faith Baldwin

1. Teil

Wie alles begann

1. Kapitel

Es war an Silvester. Kurz vor Mitternacht fasste ich den Entschluss, zu heiraten. Nüchtern, wohlgemerkt. Ich fiel meiner Traumfrau vor die Füße, blinzelte mich von ihren Jeansbeinen über ihren Blusenausschnitt hoch zu ihrem tomatenroten Schmollmund, suchte ihren Blick und fragte: »Willst du mich heiraten, Dania?«

Dania sah ratlos auf mich herab. Sie wusste nicht so recht, was sie jetzt tun oder sagen sollte. Und erst, als die Freunde um uns herum grölten und begeistert in die Hände klatschten, hauchte sie ein leises »Ja‚ zu mir herunter. Erleichtert stand ich von den kalten Steinfliesen auf, nahm meine Herzensdame in die Arme und küsste sie.

Schon am ersten Tag im neuen Jahr, am späten Nachmittag, so gegen fünf Uhr, wurde ich bei meiner zukünftigen Schwiegermutter vorstellig. Mit Blumenstrauß von der Tankstelle, ganz so, wie es sich gehörte. Ich hatte das in einer Illustrierten beim Notarzt gelesen. In der Regel lese ich keine Illustrierten. Nur beim Arzt oder beim Friseur. Was soll man in der langen Wartezeit auch sonst tun? Und wenn das Zeugs ohnehin schon da liegt.

Ich spiele Fußball. In jeder freien Minute. Im letzten Spiel habe ich mir den linken Haxen verrenkt, einen Zahn ausgeschlagen. Dennis, der Blindfuchs, hatte mich angerempelt, bevor er ein Eigentor schoss. Schon das zweite Eigentor in dieser Saison! Und mit diesem Missgeschick meines Sportkollegen fing alles an. Man brachte mich in die chirurgische Notambulanz ins Stuttgarter Klinikum.

Ich saß schmerzgekrümmt im Wartebereich, es dauerte ziemlich lange, bis ich ins Sprechzimmer gerufen wurde, so blätterte ich in irgendeiner Illustrierten. Dabei stieß ich auf den Beitrag »Der Schwiegermutter vorstellig werden.«

Die nächsten Tage war mein Kopf gedankenschwer. Als guter Verdrängungskünstler, der ich schon immer war, schob ich dann die Sache mit dem Heiraten weit nach hinten auf der Landkarte meines Gehirns. Und dann drängte sie sich plötzlich nach vorne, wollte raus aus mir, ließ mich in der Silvesternacht auf den kalten Steinfliesen niederknien und Worte sagen, die ich eigentlich gar nicht vor hatte zu sagen. Ich machte noch weitere Dinge, von denen ich nie geglaubt hätte, dass ich sie irgendwann einmal tun könnte.

An dem Tag, an dem ich bei meiner zukünftigen Schwiegermutter vorstellig wurde, trug ich sogar Stoffhosen und richtige Schuhe. Keine Jeans und Turnschlappen, wie sonst, habe mich mit viel Mühe in die schwarze Stoffhose meines Konfirmandenanzugs gequetscht, das weiße Hemd mit den albernen Biesen und Wäscheknöpfen dazu angezogen, sowie die schwarzen Lackschuhe von Salamander, die mir Oma Klärchen damals aufgequatscht hatte. Meine Oma ist dickköpfig, sie hätte mir den Führerschein nicht bezahlt, wenn ich die Lacklatschen und das alberne Hemd nicht angezogen hätte.

Eigenartigerweise passen die Schuhe noch, meine Füße sind seit meiner Konfirmation nicht mehr gewachsen, sehr wohl aber mein Bauchumfang. Den Reißverschluss der Hose bekam ich auch mit viel Luftanhalten nicht zu, trug das Hemd deshalb über der Hose. Ich kam mir ganz schön blöd vor damals. Auf meine Army Cap habe ich aber trotz Einspruch meiner Oma nicht verzichtet. Was genug war, war genug!

Und dann stand sie vor mir. Die Frau, die meine Schwiegermutter werden sollte. Gisela Kammerberger. Mir war ziemlich flau im Magen. Richtig schlecht, um genauer zu sein. Sauschlecht, um ehrlich zu sein. Meine zukünftige Schwiegermutter musterte mich von Kopf bis Fuß und wieder zurück, bevor sie die Tür frei gab und sagte: »Komm rein«

Das Verhör fand in der guten Stube statt. Und erst danach hat sie mir einen Kaffee angeboten. »Oder ein Wasser vielleicht, junger Mann?« fragte sie mich süffisant. Ich wusste damals noch nicht, wie ich mit ihr dran war, entschied mich vorsichtshalber mal für Wasser, obwohl ich einen Klaren ganz gut hätte brauchen können.

Das Wasser blieb mir dann fast im Hals stecken. Ich solle in zwei Tagen wiederkommen, meinte die Mutter meiner zukünftigen Frau. Und, dass es da noch einiges zu klären gäbe. Und dass ich zu dem Date meine Kontoauszüge mitbringen solle, ebenso meine Versicherungs-Policen und meine Sparbücher.

So hatte ich das mit dem »Der Schwiegermutter vorstellig werden« nicht in Erinnerung. Aber die Illustrierten haben ja auch nicht immer Recht. Meine Traumfrau stand neben ihrer Mutter. Sie lächelte mir vielversprechend zu. Ihr Blick wirkte wie eine Belohnung für zukünftige Taten. Irgendwie wurde mein Hals eng, mein Magen noch flauer. Aber es wird schon seine Ordnung haben, dachte ich damals!

Meine Oma hatte mir dann aus der Patsche geholfen, mir ihren Sparstrumpf zum Vorzeigen ausgeliehen. Als Gegenleistung musste ich meiner Oma eine kirchliche Hochzeit versprechen. Mit allem Gedöns! Mit der ganzen verratzten Verwandtschaft, feinem Anzug, Blumenkindern und Orgelspiel. Stundenlang stand sie bei Nacht und Nebel vor dem schäbigen Mietshaus, in dem die Kammerbergers damals wohnten, fror sich den Arsch ab, um ihr selbst gestricktes Strümpfchen wieder in Empfang zu nehmen. Danach war sie für drei Tage platt. Omas Plan aber ging auf, ich besitze jetzt zwei schwarze Anzüge und zwei Paar schwarze Lackschuhe von Salamander.

Meine damals zukünftige Schwiegermutter war sehr beeindruckt vom Inhalt aus Oma Klärchens blauem Strickstrumpf mit dem Zopfmuster. Und wie sich später heraus kristallisieren sollte, auch von meiner Oma. Sehr sogar! Aber das ist eine andere Geschichte. Sie nahm mich, nachdem sie äußerst gewissenhaft die Geldscheine durchgezählt hatte, in die Arme, drückte mich ganz fest an ihre dicken Brüste und flüsterte bewegt: »Mein Schwiegersohn«

Für meine Traumfrau, die als uneheliches Einzelkind aufgewachsen ist, war es eine Selbstverständlichkeit, dass sie weiterhin mit ihrer Mutter zusammen wohnen würde. Dania erklärte mir wortreich, dass die Zwei-Zimmer-Maisonette-Wohnung in Stuttgart-Berg aber viel zu klein für drei Personen sei.

Ich nickte zustimmend. Die Wohnung ist wirklich zu klein für drei Personen. Meine Traumfrau hatte damals allerdings etwas missverstanden. Sie fiel mir um den Hals, knabberte an meinem linken Ohr, flüsterte:

»Mein Schatz«

Wir suchten also nach einer größeren Wohnung. Für meine Traumfrau, meine zukünftige Schwiegermutter und mich. Was in Stuttgart allerdings eine schwierige Angelegenheit ist. Und erschwerend kommt dazu, dass »Mann« nicht den passenden Geldbeutel dafür hat.

Ich hatte meinen Chef schon des Öfteren um eine Gehaltserhöhung gebeten. Aber er hatte nie wirklich darauf reagiert. Gut, der Mann muss auch zusehen, wo er bleibt, das sehe ich ja ein. Die Heizungskosten sind enorm gestiegen und die Temperatur des Schwimmbeckens im Erdgeschoss seiner Stadtvilla auf der Gänsheide darf nicht unter 30 Grad fallen. Seine Angetraute mag nicht in kaltem Wasser planschen. Auch das sehe ich irgendwie ein. Aber halt nur irgendwie. Wer hat schon ein Schwimmbecken in seinem Haus?

»Du hast doch Bausparverträge, Oliver Sven« sagte meine zukünftige Schwiegermutter eines Abends beim Fernsehen. Sie sah mich an wie ein Tiger vor dem Sprung. »Ja?« antwortete ich zögernd. Wenn sie mich mit vollem Namen anspricht, dann wird es brenzlig für mich werden, das hatte ich schnell kapiert.

Der Tiger setzt zum Sprung an. Dann die Attacke. »Dann bauen wir doch ein Haus, Oliver Sven«

Irritiert sah ich auf den Mund, der diese Worte ausgespuckt hatte, blinzelte mich über die Nase bis zu den Augenbrauen hoch. Sie meint es ernst, wurde mir schlagartig klar.

Ich sah ratlos auf meine Traumfrau. Dania lächelte mir verheißungsvoll zu. Und aus meinem Mund kommen zukunftsschwere Worte.

»Dann bauen wir doch ein Haus« wiederholte ich den Satz meiner zukünftigen Schwiegermutter.

Ich konnte wirklich nicht anders handeln, wäre mir wie ein Schwein vorgekommen, wenn ich, ach Scheiße …

Danach flüchtete ich zu Oma Klärchen.

»Dann bauen wir halt ein Haus, Olli!« sagte meine Oma nach dem zweiten Glas Zwetschgenschnaps. Sie fuhr sich mit gespreizten Fingern durch ihre dauergewellten Haare, schob ihre Nickelbrille Richtung Stirn und zupfte an ihrer blau geblümten Kittelschürze herum. »Ich hab da noch ä Bausparverträgle, Bub« sagte Oma verschmitzt.

2. Kapitel

Unsere Hochzeit fand in der katholischen Kirche St. Eberhard statt. Mit allem Gedöns. Genauso, wie es sich Oma Klärchen erträumt hatte: mit der ganzen verratzten Verwandtschaft. Nach der Zeremonie mit viel Geplärre wurden Erinnerungsbilder am Pusteblumenbrunnen geschossen. Und danach ging es endlich zum Essen. Mir hing der Magen schon bis zu den Knien, als wir in das »Restaurant Wielandshöhe« einliefen. Die Tische waren festlich eingedeckt. Kerzen flackerten um die Wette. Überall standen Blümchen herum.

»Hinreißende Blumenarrangements« jauchzte meine Schwiegermutter.

»Ganz neue Impulse«

Sie war ganz aus dem Häuschen.

Keine Ahnung, was das für Blümchen waren, das war mir auch ziemlich egal, ich hatte Kohldampf. Und wie! Mir war schon ganz schlecht vor Hunger.

Und dann kamen alle halbe Stunde ein paar Häppchen. Als erstes ein Apfel-Meerrettich-Süppchen. Grad mal ä Göschle voll. Aber meine Schwiegermutter war begeistert. Sie verdrehte weltentrückt die Augen, zog den Duft genießerisch und laut durch die Nase, stöhnte beim Ausatmen: »Mmmmh«

Später wurde ein Sülzchen von geräuchertem Hecht und Zander mit Orangen-Fenchelsalat serviert. Wieder nur ä Göschle voll. Und wieder verdrehte meine Schwiegermutter weltentrückt die Augen und stöhnte:

»Mmmmh«

Es folgten Perlhuhn in Amalfizitrone, Rahmsoße, Grießnocken. Filet von Würzbachtalforelle auf Heckengäulinsen. Ich hatte bis dato keine Ahnung, was Heckengäulinsen sind, meine Schwiegermutter hatte das Menü bestellt. Die Location ausgesucht. Sie liebt das Außergewöhnliche, den Luxus. Sie schielte mittlerweile wie eine Beutelratte: »Mmmmh«

Für dieses Hochzeitsessen gingen ihre gesamten Ersparnisse drauf.

»Mein einziges Kind ist mir das wert« flüsterte sie mir ergriffen zu.

»Als Friseurin verdient man ja nicht allzu viel«

»Ich muss mal« gab ich zurück, ging so unauffällig wie möglich nach draußen, wo der Typ vom Pizza Service schon auf mich wartete, riss ihm den duftenden Karton förmlich aus der Hand und steckte ihm einen 20Euro-Schein zu.

»Stimmt so« sagte ich, setzte mich in mein Auto und stopfte heißhungrig die Thunfisch-Pizza in mich hinein, die ich per Handy und von der Herren-Toilette aus geordert hatte. Danach war ich aufgeschlossener gegenüber dem Göschle voll Valrhona-Schokoladenpudding, Aprikosenconfit und Vanille Glace, das als Nachtisch gebracht wurde.

»Ein himmlisches Dessert« seufzte meine schielende Schwiegermutter.

»Ein himmlisches Dessert« echote meine Traumfrau. Und auch Oma Klärchen verdrehte verzückt die Augen und seufzte: »Das ist der schönste Tag in meinem Leben, Bub«

Ich wollte meine bescheidene Eineinhalb-Zimmer-Wohnung in Bad Cannstatt auflösen, wollte, um die Mietkosten zu sparen, während der Bauphase unseres Hauses bei meiner Oma wohnen. »Du hast einen Knall, Olli« meinte Oma Klärchen, als ich ihr den Vorschlag unterbreitete. »Eheleute gehören zusammen«

»Wo sie Recht hat, hat sie Recht« sagte meine Schwiegermutter. Und auch Dania nickte. So zog ich gleich nach unserer Hochzeit in die Wohnung meiner Schwiegermutter in Stuttgart-Berg.

3. Kapitel

Das erste Jahr ging schnell vorüber. Seit ein paar Wochen schon wohnen wir in unserem Reihenhäuschen in Stuttgart-Feuerbach. Links neben unserer Haustür führt ein schmaler Weg zu unserer Erdgeschosswohnung. Meine Schwiegermutter fühlt sich sehr wohl in ihrem Puppenstubenreich dort unten im Keller. Sie verfügt über ein kleines Badezimmer mit Dusche, eine Miniküche, ein Schlafzimmer und einen Wohnbereich mit direktem Zugang zu unserer Terrasse, den sie nicht allzu häufig nutzen wird, wie ich hoffe.

Wir drei verstehen uns gut, von den kaum erwähnenswerten Reibereien, die wir in der viel zu kleinen Wohnung in Stuttgart-Berg hatten, einmal abgesehen. Kein großes Kunststück, wir sehen uns nur am Wochenende und meist auch nur für ein paar Stunden. Ich spiele montags und freitags Fußball in der Sportvereinigung Feuerbach. Gleich nach Feierabend. Danach gehe ich mit den Kumpels noch was trinken, schwuppdiwupp ist es dann meist auch schon Mitternacht, manchmal auch etwas später.

Meine Ehefrau ist kinosüchtig. Sie nutzt jeden Dienstag und Freitag die Kinotage im Ufa-Palast. Und weil an diesen Tagen der Einlass nur 5 Euro kostet, schaut sie sich über »Doktorspiele«, »Biene Maja« und »Drachenzähmen« so ziemlich alles an was geboten wird, mit ihrer Mama natürlich. Samstags erledigen meine zwei Frauen gemeinsam die Hausarbeit. Alles was halt so angefallen und liegengeblieben ist unter der Woche. Mich schicken sie gleich nach dem Frühstück mit dem Einkaufszettel los. Auch für das Getränke holen und das Altpapier entsorgen bin ich zuständig, also ist der halbe Samstag auch schon weg. Sonntags besuchen meine Schwiegermutter und meine Ehefrau den Gottesdienst in der St. Josef Kirche, halten anschließend noch einen Plausch mit dem Herrn Pfarrer.

Wenn meine Damen dann so gegen 12.30 Uhr zurückkommen, gibt es Mittagessen: Rostbraten mit Spätzle und schwäbischen Kartoffelsalat - unser Sonntagsund Feiertagsessen. Und wenn meine Schwiegermutter und meine Ehefrau danach die Küche sauber machen, gönne ich mir ein Nickerchen. Somit ist der halbe Sonntag auch schon rum.

Nach meinem Mittagsschlaf mache ich mich auf den Weg zum Sportplatz. Und nach dem Fußballspiel trinke ich mit meinen Kumpels noch ein Pilschen, meist ein zweites, manchmal auch ein drittes.

Es könnte alles so schön sein. Aber wenn ich heimkomme, hocken meine Schwiegermutter, meine Ehefrau und meine Oma nebeneinander auf dem Sofa wie die Hühner auf der Stange und stricken wie besessen: Handschühchen in rosa, Handschühchen in gelb und Handschühchen in hellblau.

Auf dem Tisch liegen bergeweise Erstlings-Ausstattungkataloge. Mann, was willst du mehr, oder? Ich fühle Druck. Verdammt viel Druck!

4. Kapitel

Wie jeden Morgen schmiert meine Schwiegermutter meine Vesperbrote fürs Geschäft, während Dania sich im Badezimmer für ihre Arbeit am Stuttgarter Flughafen stylt. Heute gibt es Erdbeermarmeladenbrote. Zwei Erdbeermarmeladenbrote fürs Frühstück und zwei Himbeermarmeladenbrote als Mittagessen. Die Marmelade frisch gekocht aus Beeren aus unserem Vorgarten. Mit Zettelchen versehen. Damit ich die Frühstücksbrote nicht mit den Mittagsbroten verwechseln kann. Dazu gibt es eine Thermoskanne mit Tee, Melisse oder Fenchel.

Sie steckt die Brote in den Beutel aus Leinen, den sie mir, selbst genäht und selbst bestickt, letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte, bringt ihn nebst der Thermoskanne in meiner Aktentasche unter. Auch ein Geschenk von ihr. Zum Geburtstag. Ich hasse Aktentaschen. Vor allem hellbraune. Die Dinger sind etwas für Opas, wie ich meine. Aber was sollte ich machen, ohne undankbar zu erscheinen? Immer, wenn ich nicht so will, wie meine Damen wollen, bin ich der böse Bube.

So hätte ich z. B. ganz gerne einen Fliederbusch in unserem Vorgarten gehabt. So wie meine Uroma. Außerdem Blumen: Tulpen, Narzissen, einen blutroten Rosenstock … Um die Geschichte kurz zu halten: Meine Schwiegermutter konnte sich wieder einmal durchsetzen. Jetzt wächst bei uns alles wild durcheinander: Brombeeren, Himbeeren, Lauch, Kartoffeln, Radieschen, Krautköpfe, Fenchel, Melisse und Unkraut-Blumen.

»So ein hinreißendes Arrangement hat nicht jeder« meint sie. Und, dass das ganze Durcheinander neue Impulse seien.

»Ich will Brezeln zum Frühstück« mache ich meiner Ehefrau klar. »Mit viel Butter drauf. Salzbutter! Ein, zwei Fleischkäsweckle. Und Kaffee. Viel Kaffee! Keinen Tee. Weder Melissentee, noch sonst einen Tee. Ich habe Tee noch nie gemocht. Ihn nur getrunken, wenn ich mich todkrank fühlte. Und zu Mittag will ich was Warmes in den Bauch! Keine Marmeladenbrote. Ich steh auf schwäbische Hausmannskost: Linsen mit Spätzle und Saitenwürschtle. Eine Gulaschsuppe mit viel Fleichbröckele drin, Bauernbrot dazu, Sauerbraten mit Knödeln, Gaisburger Marsch, Saure Kutteln mit Bratkartoffeln, Kässpätzle, Wurstspätzle, Krautspätzle. Wo ist denn da das Problem, verdammt noch mal?«

»Warum machst du wegen des Vespers so ein Geschrei, Olli?« gibt sie empört zurück.

»Ich arbeite wie ein Mann, also will ich auch essen wie ein Mann«

»Sei dankbar, Olli. Nicht jeder bekommt von seiner Schwiegermutter die Brote fürs Geschäft geschmiert. Die Mama meint es doch nur gut mit dir. Und wer weiß, wie lange wir die Mama noch haben werden«

Meine Ehefrau sieht grantig aus, ihren Standardsatz sollte ich noch viele Male zu hören bekommen. Er lässt mir jedes Mal von neuem kalte Schauer über den Rücken laufen. Gisela ist erst 62 Jahre alt, fit wie ein Turnschuh, und ich fürchte, sie wird so alt werden wie Methusalem.

5. Kapitel

Auf welche Ideen meine Schwiegermutter manchmal kommt, das haut dem Fass glatt den Boden raus. Neben meinem Frühstücksteller liegt ein rosaroter Briefumschlag. Er riecht nach Parfüm. Nach Veilchen, Maiglöckchen, Lilien, Jasmin. So was in der Richtung. Ein Briefumschlag mit einem Duft wie für eine Schwuchtel. Aber es steht mein Name drauf. Mein voller Name, wie ich überrascht feststelle. Oliver Sven Nägele. Und mir wird schon im Vorfeld angst und bange. Was habe ich jetzt schon wieder falsch gemacht, frage ich mich.

Das »i« bei Oliver ziert ein rotes Herz statt Punkt. Das ist ja schon mal positiv, wie ich meine. Ich drehe und wende das Kuvert, reiße dann mit einem Ruck den Umschlag auf, ziehe das Blatt Papier heraus, der Gestank haut mich fast um, und fange zu lesen an.

Lieber Schwiegersohn

Wir sollten unsere Beziehung verfestigen. Ich schlage dir deshalb einen Schwiegermuttertag vor. Den Tag lege ich auf den 1. Dezember fest. Und ich werde dir den ganzen Tag über zur Verfügung stehen.

Deine dich liebende Schwiegermutter.

Ich lese die sechs Zeilen ein zweites Mal durch, dann ein drittes Mal, kann nicht glauben, was die Buchstaben mir sagen. Mir stockt der Atem. Ein Gisela-Tag? Ideen hat die Alte! So was hatte mir gerade noch gefehlt. Ich habe den Kopf ohnehin gerade voll. Übervoll! Privat und im Geschäft.

Gedankenschwer stecke ich den Brief in die Aktentasche, werde mich bei meinen verheirateten Arbeitskollegen umhören, werde mich informieren, wie die ihre Beziehungen zu ihren Schwiegermüttern pflegen.

»Beziehung? Zu meiner Schwiegermutter?« wundert sich Achim. »Wie kommst du denn auf so eine absurde Idee, Olli? Man sieht sich halt an den Geburtstagen, an Weihnachten, an Ostern. Manchmal auch zwischendrin. Wenn einer mal krank ist, oder so«

Kalle verdreht die Augen. »Beziehung? Zu meiner Schwiegermutter? Dir macht wohl das Wetter zu schaffen, Olli«

»Die Alte hat doch einen an der Waffel, Kumpel« poltert Dennis los, als er die duftende Nachricht auf dem rosaroten Papier liest. »Die tickt noch schräger als die Schwarzwälder Kuckucksuhr deiner Oma. Mein Gott, was bin ich froh, dass meine Schwiegermutter schon das Zeitliche gesegnet hat. Das war auch so eine seltsame Kanaille«

Ich frage noch Michael und Jürgen. Aber auch sie haben noch nie etwas von einem Schwiegermuttertag gehört.

Wenn ich gegen Giselas Vorschlag aufbegehre, werde ich wieder aus dem ehelichen Schlafzimmer ausquartiert, das ist mir klar. Auch werden Dania und ihre Mutter das Reden mit mir einstellen. Das ist mir auch klar. Ich kann es aber nicht ertragen, wenn meine Ehefrau und meine Schwiegermutter vor sich hinmuffeln. Und einen Tag von 365 Tagen zu opfern, erscheint mir da das geringere Übel. Ich erkläre mich also zum Schwiegermuttertag bereit.

»Wir werden frühstücken gehen, Olli« informiert mich meine Schwiegermutter beim Frühstück. »Ins Café Planie« Sie sieht mich beifallheischend an. »Da gehen viele meiner Kundinnen zum Frühstücken hin. Auch einige meiner Arbeitskolleginnen waren schon dort«

Ich trinke einen Schluck Kaffee. »Nach dem Frühstück werden wir einen schönen Stadtbummel machen, im Schlosscafé Kaffee trinken, Kuchen essen«

»Hoffentlich ist sie bald still« denke ich, kann das muntere Geplapper am frühen Morgen einfach nicht ertragen.

»Danach fahren wir zum Flughafen raus nach Echterdingen. Wir könnten aber auch in die Wilhelma zum Tiere gucken oder ins Porsche Museum vielleicht? Was meinst du dazu, Olli?«

Sie hält sich die Hand an den Mund: »Ich habe doch tatsächlich das Mittagessen vergessen. Wir müssen ja auch was zu Mittag essen, Olli…

6. Kapitel

Am 1. Dezember, morgens um 7.00 Uhr laufen meine Schwiegermutter und ich zum Frühstücken im Café Planie ein. »Mensch Olli, ich bin hungrig wie ein Wolf«

Sie haut rein wie ein Bürstenbinder, isst Lachs, Schokocroissants, verschiedene Sorten von Brötchen, diverse Eierspeisen, trinkt Unmengen Kaffee und erzählt mir Unmengen Geschichten, die ich schon alle kenne. Um die Mittagszeit bestellt sie sich ein Glas Champagner.

»Zur Feier des Tages« sagt sie, streckt das Glas hoch in die Luft und lacht mich an wie ein Hamster: »Auf uns, Bub«

»Ja, das ist aber mal eine Überraschung. Die Frau Schulze! Na so was aber auch«

Gisela springt von ihrem Stuhl auf. »Grüß Gott, Frau Schulze, das ist aber nett, dass wir uns hier treffen. Wie geht es Ihnen denn, sie waren ja seit Ewigkeiten nicht mehr bei uns im Salon. Sie waren doch nicht etwa krank? Darf ich Ihnen meinen Schwiegersohn vorstellen, Frau Schulze?« Sie streckt die Hand aus, zeigt auf mich: »Das ist Olli!« sagt sie stolz.

»Wir machen nämlich heute unseren Schwiegermutter/ Schwiegersohntag«

Sie lächelt breit: »Der Olli ist ein wunderbarer Schwiegersohn. Einen besseren Schwiegersohn hätte ich mir gar nicht vorstellen können« Hoffentlich wuschelt sie jetzt nicht auch noch durch meine Haare, denke ich. Oder streichelt mir über die Wangen wie so oft, denke ich. Sie ignoriert die Tatsache, dass ich das nicht leiden kann, total. Aber sie hält sich im Zaum heute, Gott sei Dank.

Artig stehe ich vom Stuhl auf, strecke Frau Schulze meine rechte Hand entgegen, sage freundlich: »Grüß Gott« setze mich wieder und versinke im Anblick meines Eierbechers.

»Ja, wen sehe ich denn da? So eine Überraschung aber auch« Die Stimme meiner Schwiegermutter überschlägt sich: »Anja« Vor Schreck lasse ich mein Ei fallen.

»Anja LaCombe, du bist es doch?«

Sie springt vom Stuhl auf. Ihr Blick streift die junge Frau von den Schuhen bis zu den Ohren. »Gut siehst du aus« stellt sie fest. »Ein bisschen fülliger als früher, vielleicht« sagt sie. »Aber es steht dir gut«

Anja lächelt.

»Wie geht es deiner Mutter? Was macht dein Vater? Arbeitest du noch in der Buchhandlung?« blubbert meine Schwiegermutter weiter. Sie lässt dem armen Mädchen keine Zeit für eine Antwort, klatscht sich an die Stirn. »Deine Eltern sind ja geschieden, hab ich doch total vergessen« Anja kaut an ihrer Unterlippe.

»Und dein Vater ist wieder nach Amerika gegangen, soweit ich informiert bin«

»Und deine Mutter hat sich einen Neuen geangelt, einen Jüngeren … Anja schnappt nach Luft wie ein an Land geworfener Fisch. »Wie geht‘s denn deiner Oma, Anja?«

»Sie ist vor drei Jahren gestorben« sagt Anja knapp. Sie hat Tränen in den Augen.

Gisela fällt Anja um den Hals: »Mensch, Mädchen« ihr Blick streift den Kinderwagen: »Sag bloß, du bist schon Mutter?«

»Ja« sagt Anja knapp.

»Darf ich dir Anja vorstellen, Olli?« sagt Gisela mit einem Seitenblick auf mich. »Sie ist eine Freundin aus Danias Kindergartentagen. Später gingen sie zusammen in die Grundschule, danach in die Realschule. Sie hatten zusammen Ballett-Unterricht, sie haben …

Ich lege den Löffel neben den Eierbecher zurück, stehe vom Stuhl auf, strecke der jungen Mutter meine rechte Hand entgegen, sage freundlich:

»Grüß Gott« setze mich wieder und mache mich über mein Ei her, über den knusprig gebackenen Schinkenspeck, das Müsli mit den frischen Obststücken. Ab und an sehe ich hoch. Mein Blick streift über Anjas Körper. Ich sehe, dass sie wieder schwanger ist. Anja merkt, dass ich bemerkt habe, was sie meiner Schwiegermutter verschwiegen hat. Sie lächelt mich scheu an. Ich lächle zurück.

Ich erschrecke sehr, als die Toilettentür aufgeht und Gisela aufkreischt.

»Der Herr Dr. Schuster. Na so eine Überraschung aber auch. Das ist aber eine Freude, sie hier zu sehen«

Sie nimmt ihn in die Zange, schüttelt seine Hand, so heftig, dass ich befürchte, sie reißt ihm den ganzen Arm aus.

»Wo haben sie denn ihre liebe Frau gelassen, lieber Herr Dr. Schuster?« Der Zahnarzt meiner Schwiegermutter kratzt seinen Hals.

»Sie hütet wohl die Kinderchen?« bohrt sie weiter.

Gisela nickt verständnisvoll. »Einer muss halt immer zu Hause bleiben, wenn Kinderchen da sind, gell?«

Der Arzt nickt.

Meine Schwiegermutter plappert munter weiter. »Eine Oma wäre da sehr geschickt« Dann besinnt sie sich auf mich. »Darf ich Ihnen meinen Schwiegersohn vorstellen, Herr Dr. Schuster?« fragt sie, seine Hand lässt sie nicht los. Mit seinem und ihrem ausgestrecktem Arm zeigt sie auf mich. »Das ist unser Olli, Herr Doktor Schuster«

Sein kurzer Blick streift mich. Er nickt mir zu. Ich nicke zurück.

»Ich habe Ihnen ja schon so viel von ihm erzählt« Und wiederum nickt der Arzt nur mit dem Kopf.

Ich wische meinen Mund mit der Serviette ab, stehe artig vom Stuhl auf, strecke Dr. Schuster meine rechte Hand entgegen, sage freundlich:

»Grüß Gott‚ und setze mich wieder.

Der Doktor wünscht einen angenehmen Tag, nickt meiner Schwiegermutter kurz zu und kratzt dann so schnell er kann die Kurve. Anja trippelt ratlos auf dem Fleck. Das Kind im Kinderwagen quengelt.

Wir treffen noch Susanne, Gertrud und Irene. »Darf ich dir meinen Schwiegersohn vorstellen …«

»Sie scheinen einen Bus mit Giselas Bekannten hier abgeladen zu haben« sage ich zu Anja. Die junge Mutter verabschiedet sich lächelnd.

Nach dem Genießerfrühstück zeigt mir meine Schwiegermutter das Haus, in dem der Kindergarten war, den sie vor fast sechs Jahrzehnten besucht hatte. Danach ihre Grundschule. Die Kirche, in der sie ihre erste heilige Kommunion empfangen hatte. Den Platz, auf dem das Haus stand, in dem sie ihre Ausbildung zur Friseurin gemacht hatte.

»Und dann haben sie das schöne Haus abgerissen, stell dir das einmal vor, Bub. Man hätte eine Sozialstation daraus machen können, ein Asylbewerberhaus vielleicht? Oder eine Außenstelle der Volkshochschule. Was glaubst du, wie geschickt das hier gewesen wäre, aber mit dem Abreißen sind sie ja schnell, wenn ich daran denke, dass …

Sie zeigt mir die Räumlichkeiten, in denen ihre Tanzkurse stattfanden.

»Ich war die begehrteste Tänzerin, die »Dancing Queen« sozusagen. Über Jahre hinweg. Die Jungs haben sich förmlich geprügelt um mich, Olli. Einmal, da hat der Wilhelm sich mit dem Karle angelegt, das war ein Ding, kann ich dir sagen, die beiden haben sich grün und blau geprügelt wegen mir. Karle musste sogar zum Notarzt, seine Nase …

Gisela will zum Mittagstisch in die Akademie der schönen Künste.

»Hoffentlich bekommen wir noch einen Platz« überlegt sie. Laut, viel zu laut, wie immer.

»Ich hätte vielleicht doch besser einen Tisch reservieren sollen, Olli«

»Leiser« bitte ich sie.

Sie wühlt in ihrer übergroßen Handtasche: »Scheiße, ich hab mein Handy vergessen, Olli«

Die Leute drehen sich nach uns um. Ich weiß nicht, wohin ich schauen soll.

Wir haben Glück, bekommen zwei Plätze direkt an der Fensterfront und Gisela ist begeistert. »Sie haben ja schon weihnachtlich dekoriert, Olli«

»Die Läden, in denen wir heute schon waren, auch«

»Guck dir das mal an, Olli. Welch ein hinreißendes Ambiente! Ganz neue Impulse. Findest du nicht auch, Olli?«

Sie knetet die Anhänger des Weihnachtsbaums durch, bevor sie sich setzt. »So was Schönes aber auch«

Und wieder bestellt sie sich ein Glas Champagner. Ich nippe an meinen Cappuccino, lausche ihren Erzählungen, bis unser verspätetes Mittagessen serviert wird. Es gibt Lammsattel mit Speckbohnen und goldgelben Kartöffelchen. Gisela stöhnt entzückt: »Mmmmh. So was Feines aber auch«

Nach dem Mittagessen will sie mir unbedingt das Grab einer vor kurzem verstorbenen Kundin auf dem Pragfriedhof zeigen, danach die Wohnungen ihrer früheren Schulfreundinnen, ihrer Arbeitskolleginnen, die Villa ihres ehemaligen Chefs und noch so einiges. Wir fahren in alle Himmelsrichtungen, landen letztendlich vor dem Polizeipräsidium in der Hahnemannstraße. Irgendein Bekannter meiner Schwiegermutter war da irgendwann einmal für ein halbes Jahr Hausmeister gewesen.

»Die Markthalle noch, Olli«

Ich ergebe mich meinem Schicksal zum x-ten Mal an diesem Tag.

Und ich begebe mich zum x-ten Mal an diesem Tag auf Parkplatzsuche.

Die Einkäufe gehen heute auf mich. Ich hatte auch das Frühstück und das Mittagessen bezahlt. Dania hatte mich darum gebeten. An die Höhe der Parkplatzgebühren mag ich gar nicht denken. Stuttgart ist ein teures Pflaster für Autofahrer, und die Parkplatzsuche gleicht einem Hindernislauf. Man braucht außer einem gut gefüllten Geldbeutel auch gute Nerven. Endlich finde ich einen Parkplatz im APCOA Parkhaus Schillerplatz für 3 Euro die Stunde.

»Ich war ja seit Ewigkeiten nicht mehr in der Markthalle, Olli« stellt Gisela fest. »Früher, als Dania noch klein war, bin ich mindestens einmal in der Woche mit meinen Arbeitskolleginnen hier zum Einkaufen gewesen« beginnt sie mit ihrem Vortrag. »Obwohl ich mir das eigentlich gar nicht leisten konnte. Aber frisches Gemüse und Obst sind ja so wichtig für ein Kind. Der Teller muss bunt und gesund sein, Olli«

Sie seufzt: »Die Mütter heutzutage vergessen das immer wieder«

Sie schüttelt den Kopf: »Ich habe meiner Kleinen immer Obstund Gemüsehappen angeboten«

»Vernünftig« murmele ich vor mich hin.

»Jeden Tag! Keine Naschsachen wie Gummibärchen, Milchschnitten und so zuckerhaltiges Zeug. Das macht nur die Zähne kaputt, Olli. Das musst du dir merken, wenn ihr auch einmal Kinder habt. Ihr werdet doch …

Ich schalte meine Ohren auf Durchzug, während meine Schwiegermutter mich wortreich durch die Markthalle zieht. »Pflanzliche Lebensmittel sind immer der besser Weg, Olli«

Gisela ersteht eine Tüte mit getrockneten Kirschtomaten.

»Die getrockneten Tomätchen sind zu jeder Jahreszeit aromatisch und kräftig. Da gibt es raffinierte Rezepte, Olli, wenn du willst, dann probiere ich demnächst einmal einige aus«

Sie sieht mich fragend an. »Ich könnte zum Beispiel Penne mit Fenchel und getrockneten Tomaten machen, Tortellini mit Kirchererbsen und getrockneten Tomaten, Vegane Aioli Spagetti mit getrockneten Tomaten. Oder wie wäre es mit …

»Geht‘s auch mit Spätzle und ohne getrocknete Tomaten?« frage ich.

Sie bleibt vor dem Stand mit den Oliven stehen: »Oliven sind ja so gesund, Olli. Sie sind reich an ungesättigten Fettsäuren, gleichen die Blutfettwerte aus und schützen das Herz. Jede Olive hat ihren eigenen Geschmackscharakter. Sie schmecken nach Urlaub, Olli. Wenn du willst, dann mache ich demnächst einmal einen leckeren Oliven-Salat. Einen bunten. Mit schwarzen Oliven. Mit gelben Oliven. Mit grünen Oliven. Mit Putenstreifen und filetierten Orangen. Was hältst du davon, Olli?« Sie kreischt auf. »Ein Brotstand, Olli, guck mal«

»Wir könnten italienisches Brot dazu essen. Ciabatta oder Pizzabrot, vielleicht. Piadina, wäre auch nicht schlecht. Also was hältst du davon? Sag schon was, Olli«

»Ein Rostbraten mit Spätzle und Kartoffelsalat wäre mir lieber«

»Brot ist nämlich nicht gleich Brot, Olli«

»Ich weiß. Mir schmeckt zum Beispiel Besenbrot am besten«

»Ach, Olli«

»Ich bin Schwabe, Gisela«

Sie peilt den Stand mit den Nüssen und Trockenfrüchten an, wählt sich Macadamia Nüsse und getrocknete Mangos aus. Danach stürzt sie sich auf den Stand daneben.

»Ein Gläschen Honig noch vielleicht? Was meinst du, Olli?«

»Das musst du wissen, Gisela«

»Dann nehme ich die Sommervielfaltauslese«

»Wenn du meinst«

Sie grabscht nach dem Honigglas: »Oder doch lieber die Imkerspezialität? Was meinst du dazu?«

Sie überlegt, laut. »Vielleicht sollte ich beide nehmen?«

Ich mache mir Sorgen um meinen Geldbeutel. Unser Auto war mal wieder in Reparatur.

»Jetzt sag doch endlich auch mal was, Olli«

»Nimm halt beide«

ihre Augen leuchten auf: »Du bist so unwahrscheinlich großzügig, Olli«

Ich schaue auf meine Armbanduhr: »Die Parkgebühren«

»Wir machen aber noch eine Pause im Schlosskaffee, gell? Du hast es versprochen, Bub«

Ich muss wohl geistig umnachtet gewesen sein, als ich das versprochen hatte, denke ich.

Sie drückt mir die Tüten in die Hände: »Guck mal, Olli, ich glaub‘s ja nicht, die haben sogar …

Nach einer Stunde drückt sie mir noch mehr Tüten in die Hände: »Es ist doch ein Segen, dass wir uns so gut verstehen, gell, Bub«

Nach dem Cappuccino im Schlosskaffee klappern wir sämtliche Boutiquen in der Innenstadt ab. Und im »La dolce Vita« passiert es. Meine Schwiegermutter entdeckt eine goldene Handtasche. Sie stürzt mit einem Aufschrei auf das Regal zu, reißt die Tasche an sich und stöhnt: »Was ist die doch schön«

Sie dreht das Preisschild um, flüstert andächtig: »385 Euro« Dann hängt sie sich das edle Stück um die Schultern, dreht und wendet sich vor dem Spiegel. »Mein Gott, mein Gott, was ist das doch für ein schönes Stück! Findest Du nicht auch, Olli?«

»Echtes Rindsleder« sagt die Verkäuferin.

»Echtes Rindsleder« wiederholt Gisela andächtig leise: »So was Edles, aber auch«

Irgendwie hat sich dann meine Schwiegermutter mit der Umhängeschleife verheddert. Das edle Täschchen fällt zu Boden, sie will es aufheben und knallt mit voller Wucht gegen das Regal mit den luxuriösen Accessoires. Geldbörsen, Sonnenbrillen, Gürtel, Halsketten, Armbänder und Mini-Taschen-Schirme machen sich mit lautem Knall selbstständig, kullern quer durcheinander auf dem Boden, unter den Regalen, unter der Verkaufstheke.

Die Verkäuferin schlägt die Hände vors Gesicht: »Mein Gott, mein Gott«

»Davon geht die Welt nicht unter, Mädle« tröstet meine Schwiegermutter. »Hilf mal auflesen, Olli«

Ich krabbele im Vierfüßerstand durch den Laden und versuche so viel wie möglich von dem Kleinkram einzusammeln, schiebe alles auf einem Haufen zusammen. Meine Schwiegermutter fängt zu kichern an: »Du siehst wie eine Robbe aus, Olli« ihr Kichern mündet in eine Lachsalve. »Oder doch eher wie eine Trüffelsau«

Wenn Gisela lacht, kriegt sie sich nicht so schnell mehr ein. Sie sitzt auf dem Boden und biegt sich, wischt sich immer wieder die Lachtränen aus dem Gesicht, macht Grunzgeräusche: »Schnuff, schnuff«

»Sie finden das auch noch lustig?« fragt die Verkäuferin pikiert.

»Und wie«

»Gisela!« mahne ich mit hochrotem Kopf.

»Wenn ich das Klärchen erzähle, hahaha« prustet meine Schwiegermutter, »die kriegt sich nicht mehr ein«

»Gisela!« mahne ich nochmals. Ich komme mir vor wie der allerletzte Depp.

»Hoffentlich haben die keine Tetanuserreger auf dem Boden, Olli«

Die Verkäuferin ist entsetzt: »Sie wollen damit doch nicht etwa sagen, dass es bei uns nicht sauber ist?«

Gisela ändert ihre Mimik. Todernst erklärt sie: »So ein Fußboden kann eine Infektionsquelle sein, müssen sie wissen, gute Frau. Der Straßenstaub ist es, was die Sache so gefährlich macht. Und wenn sie da eine kleine Wunde haben …

Sie sieht die Verkäuferin abschätzend an: »Sie sind doch hoffentlich geimpft?«

Die Verkäuferin ist verdutzt.

»Oder etwa nicht?« fragt sie nach. Ihr Blick drückt eine Mischung aus Unverständnis und Verachtung aus«

»Neein« stottert die Verkäuferin. »Das heißt, ich weiß nicht« Sie zuckt die Achseln. »Keine Ahnung«

»Das sollten sie aber wissen, gute Frau. So etwas nenne ich grobe Vernachlässigung der Gesundheit. Wissen sie, die Sache verhält sich nämlich so …

Gisela holt tief Luft bevor sie weiter spricht: »Der Tetanuserreger sondert ein Gift ab, welches durch das Blut ins Gehirn gelangt. Weltweit sterben jährlich geschätzte 500.000 Menschen daran. Es ist ein qualvoller Tod, es kommt zu …

Gisela ist voll in ihrem Element, die Verkäuferin steht wie in Schockstarre da.

»Ich habe einen Tisch in der Alten Weinsteige reservieren lassen« versuche ich die Situation in den Griff zu bekommen, sage: »Wir sollten jetzt gehen, Schatz«

Abrupt hält sie in ihrem Vortrag inne. »Das ist aber eine schöne Überraschung, Olli«

Wir rappeln uns vom Boden auf, streifen zur gleichen Zeit die Staubfusseln von unserer Kleidung, peilen zur gleichen Zeit die Tür an und sagen zur gleichen Zeit: »Auf Wiedersehen«

Und Gisela fängt schon wieder an zu lachen: »Das ist doch wirklich zu komisch«