Vorurteile - Stephano - E-Book

Vorurteile E-Book

Stephano

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Beschreibung

Wie findest du heraus, wer du bist? Cem steht zwischen den Kulturen. Auf der einen Seite ist er vom traditionellen Islam geprägt, auf der anderen Seite will er das schwule Leben in vollen Zügen genießen. Ein Konflikt, für den es keine Lösung zu geben scheint – oder doch? Der Kampf gegen Vorurteile und um die eigene schwule Identität Cems Leben dreht sich vor allem um Sex. Als er in die Großstadt zieht, meldet er sich deshalb sofort im besten Gym der Stadt an und geht auf die Jagd nach attraktiven schwulen Männern. Dabei hat er eigentlich ganz andere Probleme: Er braucht dringend eine eigene Wohnung, damit er nicht mehr im Gästezimmer seiner Schwester pennen muss, er kämpft mit den Vorurteilen seiner Kollegen und seine muslimischen Eltern und sein strenggläubiger Bruder dürfen nicht wissen, dass er schwul ist. Dann baggert er ausgerechnet Tom an, der in einer Beziehung mit Cems verflossener Liebe Joschi lebt. Den sich anbahnenden Konflikt versucht er vergeblich, zu ignorieren. Als wäre das alles nicht genug, wird er auch noch von einem abgelegten Date erpresst … Cems planloses Leben entwickelt sich mehr und mehr zur Katastrophe. Und das Schlimmste ist: Alle haben ganz eigene Vorstellungen davon, was für Cem am besten ist. Aber es sind nicht die Vorurteile der anderen, die ihn blockieren – er selbst steht sich am meisten im Weg. Das wird ihm jedoch erst klar, als es kaum noch einen Ausweg zu geben scheint … Ist es für ihn zu spät für die wahre Liebe? Aus den Rezensionen "Ich glaube, dieses Buch ist unglaublich wichtig für alle diejenigen, die befürchten, nicht von ihren Familien akzeptiert zu werden." "Lasst euch darauf ein, auch wenn es erst wie ein klassisches Buch über viele Männergeschichten wirkt, steckt doch so unglaublich viel dahinter." Die GayStorys Dies ist die vierte Gay Romance aus der Reihe der GayStorys, die auch unabhängig von den anderen sehr gut funktioniert. Wer die Bücher der Reihe nach liest, für den eröffnet sich ein ganzes Universum an queeren Figuren und Geschichten im LGBTQ-Kontext. In diesem schwulen Roman greift Stephano ein in unserer Gesellschaft viel zu wenig besprochenes Problem auf: Homosexualität und Islam. Unverblümt und einfühlsam erzählt er von den Herausforderungen, die sich daraus ergeben. Bangt mit Cem, wenn er Leben und Liebe vor die Wand fährt – und alles am Ende eine überraschende Wendung nimmt! Trag dich auf Stephanos Website in die GayLetters ein.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Der Autor
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Die Gaystorys
Neustarten
Turbulenzen
Summertime
Dorfidylle
Kretische Reise
Die Karte ist nicht das Gebiet
Dank
Impressum

 

 

 

 

 

 

 

Vorurteile

Band vier der GayStorys

von Stephano

 

Der Autor

 

Stephano wuchs in Niedersachsen auf, bevor er zum Studium nach Köln ging. Germanistik, Skandinavistik und Philosophie stand auf dem Plan. Seit 2007 schreibt er. Heute lebt er mit seinem Mann in Köln. Wenn du mehr über ihn erfahren willst, dann findest du ihn hier:

 

Website: www.stephano.eu

Kapitel 1

Cem hatte sich nach kurzer Recherche für das teuerste Fitnessstudio der Stadt entschieden, in dem er die interessantesten Kontakte erwartete, unter anderem, weil es in schwulen Kreisen sehr beliebt zu sein schien. Interessehalber hatte er auch einmal eines der Discount-Studios ausprobiert, doch die anabolikagedopten Machos hatten ihn schon nach drei Minuten so genervt, dass er sich auf dem Absatz umgedreht hatte und gegangen war. Wenn er sich schon auf eine neue Stadt einließ, dann sollte das wenigstens mit Stil geschehen. Außerdem klang EliteGym in seinen Ohren genau nach dem, was er sich vorstellte. Er grinste still in sich hinein, als ihm schon beim Betreten des Studios ein ziemlich attraktiver Kerl über den Weg lief.

Die Anmeldung brachte er schnell hinter sich, den Vertrag las er gar nicht erst durch, sondern marschierte – nachdem ihm zugesichert worden war, dass gleich ein Trainer auf ihn warten und in die Geräte einweisen würde – zielstrebig auf die Umkleide zu, schmiss seine Sachen in den Metallspind und zog sich die Sportsachen über. Er bemerkte dabei durchaus die Blicke der zwei Typen, die sich gerade von ihren verschwitzten Klamotten befreiten. Für seinen Körper brauchte Cem sich nicht zu schämen. Manchmal fand er sich ein bisschen zu klein und er wehrte sich vehement gegen die Bezeichnung Standgebläse, mit der er in der Szene seiner alten Stadt hin und wieder konfrontiert gewesen war, aber er hatte kein Gramm Fett zu viel auf den Rippen und seine Muskeln waren klar definiert, ohne protzig zu wirken. Vor dem Spiegel band er sich die tiefschwarzen Haare zum Knoten auf dem Hinterkopf zusammen, kontrollierte den perfekten Sitz des T-Shirts und drückte dann die Tür zum Flur auf.

Im Gegensatz zu dem Billigstudio roch es hier auch nicht unangenehm nach altem Schweiß und abgestandener Luft, sondern nach Holz und den Blumen, die auf dem Empfangstresen standen. Als Cem sich diesem näherte, entdeckte er sofort den Trainer, der mit dem Inhaber des Studios hinter dem Tresen sprach. Er hob den Kopf und sah Cem entgegen.

»Viktor«, stellte er sich vor und streckte ihm die Hand hin.

Graue Augen, ein straffer Körper, ein fester Händedruck. Die mit blonden Strähnen durchsetzten Haare hatte sich Viktor hinter die Ohren geklemmt und Cem schätzte ihn auf Mitte zwanzig. Bestimmt ein Sportstudent, der sich seinen Lebensunterhalt als Trainer verdiente. Er führte Cem einmal durch das gesamte Sportstudio, ließ ihn in die Kursräume blicken und plauderte mit ihm über die Stadt, die Leute, die hier regelmäßig trainierten, und bestätigte bald, dass Cem mit seiner Vermutung bezüglich des Studiums richtiglag.

»Wie hast du denn bisher trainiert?«, fragte Viktor, als er den Trainingsbogen auf einem Klemmbrett befestigte und auf eine Ansammlung von Geräten zusteuerte, die im Kreis angeordnet waren.

Cem erklärte, welche Maschinen er bislang benutzt hatte, zählte die Gewichte und die Intervalle auf. Viktor war sichtlich beeindruckt.

»Dann können wir ja gleich auf hohem Niveau starten.«

Er setzte sich auf das erste Gerät, um Cem zu zeigen, wie er darauf richtig trainierte. Dann machte er für ihn Platz. Cem spürte noch die Wärme von Viktors Körper in dem Polster unter seinem Hintern und genoss den Blick, den Viktor über seine Arme, die Beine und die Schultern streifen ließ. An seinem Schritt verharrte Viktor eine halbe Sekunde zu lang, bevor er ihm schnell wieder in die Augen sah. Wenn sich Cem nicht völlig täuschte, dann hatte Viktor längst Blut geleckt. Und genau darauf stand Cem. Er platzierte seine Hände in den Griffen und legte los. Nun, vielleicht hatte er ein bisschen übertrieben, als er Viktor von den bisherigen Gewichten an den Maschinen erzählt hatte. Auf jeden Fall brannten seine Schultern schon nach fünf Zügen. Aber er ließ sich nichts anmerken und konzentrierte sich auf seinen Atem.

Viktor trat neben ihn, legte seine Hand auf Cems Schulter und korrigierte seine Haltung leicht. Für einen kurzen Moment schloss Cem die Augen, denn die Wärme von Viktors Handfläche strahlte wohltuend in seine Schulter ab. In der Tiefe seines Seins sehnte er sich danach, von einer warmen Hand berührt zu werden, auch wenn er nach außen meist nur seine harte Schale zeigte.

»Du solltest darauf achten, das Rückgrat möglichst gerade zu halten«, sagte Viktor. »Zieh deinen Hinterkopf ein wenig in die Höhe und nimm ihn als eine Verlängerung deiner Wirbelsäule wahr.«

Cem richtete sich also auf und erntete prompt Viktors Lob. Einmal im Monat konnte er sich einen der Trainer zur Kontrolle des Trainingsplans für dreißig Minuten buchen. Schon dadurch zahlte sich die Mitgliedschaft in diesem Studio aus.

Viktor begleitete Cem von einem Gerät zum anderen, er erklärte und korrigierte, er notierte Gewichte und Intervalle. Nach und nach erfuhr Cem ein paar Details über Viktor, über seine Vorliebe für einsame Joggingstrecken in den Wäldern am Stadtrand, über die anstehenden Prüfungen an der Hochschule und über Viktors Pläne, sich nach dem Studium als Personal Coach selbstständig zu machen.

»Ich würde dich sofort buchen«, sagte Cem und wischte sich den Schweiß von den Unterarmen.

»Im Moment kannst du dich ja noch jeden Monat zum Einzeltraining bei mir anmelden«, lachte Viktor. »Kostenlos!« Er zwinkerte ihm zu.

»Das werde ich mir natürlich nicht entgehen lassen.«

»Ich gebe am Wochenende auch zwei Kurse. Vielleicht guckst du dir die auch mal an, wenn du Lust hast.«

Das Rumgehampel in einer Gruppe würde Cem auf keinen Fall mitmachen. Er trainierte viel lieber allein, mit lauter Musik in den Ohren und nach seinen eigenen Vorstellungen. Dabei wäre so ein Kurs vermutlich genau der richtige Ansatz, um Menschen in der neuen Stadt kennenzulernen.

»Das klingt nach einem guten Plan«, sagte Cem, weil er Viktor nicht vor den Kopf stoßen wollte. »Was unterrichtest du denn?«, fragte er weiter und klimperte mit den Augen, von deren tiefer Schwärze die Männer in der Regel unwiderruflich angezogen wurden.

»Pilates und StepDance. Samstags um zehn und zwölf.«

Innerlich stöhnte Cem auf, als er Pilates hörte. Das war dieses Modetraining, das natürlich alle Studios, die etwas auf sich hielten, anbieten mussten. Mal ganz abgesehen davon, dass er samstags nicht vorhatte, die Wohnung vor dem späten Nachmittag zu verlassen. Und weil ihm bei diesem Gedankengang seine Wohnsituation durch den Kopf ging, fluchte er leise.

»Was ist los?«, erkundigte sich Viktor irritiert. »Ist das nicht dein Ding?«

Sein Ding war etwas ganz anderes, aber darauf wollte Cem jetzt nicht im Detail eingehen. Er schüttelte den Kopf.

»Alles gut. Ich hatte nur gerade daran gedacht, dass ich mich um eine Wohnung kümmern muss. Zurzeit wohne ich noch bei meiner Schwester.«

»Lebt deine ganze Familie hier in der Stadt?«

Wenn Viktor wüsste, wie weitläufig seine Familie war, käme er nicht auf diese Frage. Zumindest nach der Definition seiner Mutter gehörten viele Menschen dazu. Cousins diverser Grade waren an allen Ecken jeder beliebigen deutschen Großstadt zu finden.

»Nein, nur meine Schwester.«

»Und wo kommst du her?«

Cem erstarrte. Wie er diese Frage hasste. Was auch immer die Almans damit bezweckten, alle, die etwas anders aussahen, in Schubladen stecken zu wollen.

»Meine Großeltern sind aus der Türkei nach Deutschland gekommen«, sagte er mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen.

»Das meine ich nicht. Du hast doch erzählt, dass du neu in der Stadt bist. Wo hast du vorher gelebt?«

»Hannover«, antwortete Cem erstaunt.

Da hatte er Viktor wohl falsch eingeschätzt. Es war aber auch echt nicht leicht, diese Frage richtig einzuordnen. Allerdings musste er sich eingestehen, dass er selbst Menschen in Schubladen steckte. Er nahm sich vor, ein wenig gnädiger zu sein.

»In Hannover bin ich vor ein paar Jahren mal mit der Schule gewesen«, erzählte Viktor. »Ich bin in Niedersachsen aufgewachsen und eine Besichtigung des Landtags gehörte damals zum Pflichtprogramm.« Er sah Cem mit fragendem Blick an. »Eine extrem hässliche Stadt. Finde ich.«

»Deshalb bin ich hierhergezogen«, bestätigte Cem und tastete sich jetzt ein wenig weiter vor. »Hier sind zumindest die Männer hübsch.«

Wie erwartet hielt Viktor für einen Sekundenbruchteil inne, bevor sich sein Gesicht mit einem Anflug von Röte überzog und er sich eilig dem nächsten Gerät zuwandte. Cem hatte es doch geahnt: Viktor war für seine Schmeicheleien empfänglich. Aber er durfte sich nicht zu schnell an sein Opfer heranpirschen, sonst wurde es scheu. Also machte Cem brav alle Übungen mit, ließ sich sogar von Viktor die zu seinem Trainingsplan passenden Dehnübungen zeigen und versprach, sie jedes Mal nach dem Training eisern anzuwenden. Das würde er natürlich nicht tun, denn seit er sich einmal beim Dehnen im Spiegel gesehen und festgestellt hatte, dass das völlig bescheuert aussah, verzichtete er grundsätzlich darauf.

Nach ihrer Tour durch das Studio lehnte Viktor an einer der breiten Fensterbänke, von der aus Cem einen fantastischen Blick über die Dächer der Stadt einschließlich der alles dominierenden Kathedrale hatte. Viktor trug die letzten noch fehlenden Details in den Trainingsplan ein und nahm ihn dann vom Klemmbrett, um ihn Cem zu reichen.

»Wie oft willst du trainieren?«, erkundigte er sich.

»Ich komme bestimmt dreimal die Woche. Wann sind denn deine Arbeitszeiten?«

»Samstags und sonntags regelmäßig. Manchmal auch donnerstags.« Dann schlug Viktor sich vor den Kopf. »Ich Blödmann. Hast du die Sauna schon gesehen?«

Cem lachte. »Die wird nicht so schwer zu finden sein, oder?«

»Ich zeig sie dir trotzdem.«

Viktor ging auf die Umkleide zu, drehte sich einmal auffordernd um und zog die Tür auf. Cem folgte ihm und wurde an den schmalen Spinden und den gerade unbenutzten Duschen vorbei in einen ruhigen Raum mit bequem aussehenden Liegen geführt. Daran schloss sich die kleine Sauna an, in der gerade zwei laut quasselnde Frauen saßen.

»Meist ist es hier ziemlich ruhig«, erklärte Viktor entschuldigend. »Und wenn sich doch mal jemand lauter unterhält, reicht es in der Regel, freundlich um Ruhe zu bitten.«

Cem warf einen Blick durch die Glastür und war sich sicher, dass er sich hier regelmäßig für das harte Training belohnen würde. Eigentlich mochte er das Trainieren gar nicht so sehr, die Arbeit an seinem Körper war mehr Mittel zum Zweck. Wer scheiße aussah, kriegte keinen Mann ins Bett. So war das nun mal.

»Gehst du gleich mit rein?«, fragte er.

»Ich muss noch zwei Stunden arbeiten.«

Cem meinte, das vage Bedauern in Viktors Stimme zu hören, und sah sich erneut in seiner Vermutung bestätigt. Wie zufällig lehnte er sich vor und berührte dabei Viktors Hüfte, bevor er die nächste Frage formulierte:

»Nur mal angenommen, ich würde ein Einzeltraining außerhalb des Studios brauchen ... Kann ich dich dann einfach anrufen? Du bist ja jetzt sozusagen mein Personal Trainer.«

Viktors Gesicht überzog sich wieder mit dieser zarten Röte, die Cem unfassbar attraktiv fand. Ein Blick aus den Augenwinkeln auf die Sporthose offenbarte zudem die leichte Ausbeulung, die vorher nicht da gewesen war. Volltreffer!

»Ich weiß nicht«, stammelte Viktor und sah ihn unsicher an.

»Ich kenne hier noch nicht so gute Joggingstrecken. Vielleicht kannst du mir ja die eine oder andere zeigen«, fuhr Cem fort, ohne sich von Viktors Zurückhaltung stoppen zu lassen. »Schreib mir doch einfach mal deine Nummer auf.«

Cem legte das Blatt mit dem Trainingsplan auf die Fensterbank und schob es Viktor langsam zu. Der starrte auf das Papier, hob kurz den Blick, um Cem anzusehen, dann zückte er tatsächlich seinen Stift und kritzelte eine Nummer auf die Rückseite.

»Tagsüber bin ich meist unterwegs ...«, murmelte Viktor, schien nachzudenken, ließ seine Augen flackernd über Cem streifen und straffte dann die Schultern.

»Ich melde mich, wenn ich Bock hab, okay?«, sagte Cem.

Viktor nickte. Dann setzte er ein professionelles Lächeln auf.

»Willst du sonst noch irgendwas zum Ablauf hier im Studio wissen?«

»Ich finde mich schon zurecht«, entgegnete Cem und ließ es sich nicht nehmen, seinen Trainingsplan fallenzulassen, damit er sich herunterbeugen konnte, um dabei die Ausbeulung seines Trainers versehentlich zu berühren.

Viktor zuckte zusammen und trat einen Schritt zurück. Natürlich hatte sich die Beule vergrößert. Er zog an seinem T-Shirt, als könnte er damit irgendwas kaschieren, räusperte sich und reichte Cem dann förmlich die Hand.

»Herzlich willkommen bei EliteGym.«

Nach dem Händedruck nickte er Cem zu, drehte sich dann schnell um und verschwand aus dem Ruheraum. Cem sah ihm lächelnd nach und stützte sich dann mit den Armen auf der Fensterbank ab, um noch einmal den Blick über die Stadt in sich aufzusaugen. Herzlich willkommen bei EliteGym. Herzlich willkommen in der neuen Stadt. Cem war sich sicher, in seiner neuen Heimat auf seine Kosten zu kommen. Einen Vorgeschmack davon hatte er gerade erlebt.

Er zog sein Training zielstrebig durch, duschte danach ausgiebig, nicht ohne die Männer unter den Duschen neben sich verstohlen zu mustern, ging einmal in die Sauna und zog sich an. Als er das Studio verließ, nickte er Viktor hinter der Theke zu, signalisierte ihm mit einer Hand am Ohr, dass er anrufen werde, und tänzelte dann beschwingt die Treppe zum Straßenniveau hinunter. Draußen ließ er die spätsommerliche Sonne einen Moment in sein Gesicht scheinen. Dann griff er zum Handy und rief Zoe an.

»Na, hast du deine Tierchen gefüttert?«, fragte er, als sie sich meldete.

»Sonntags ist das die Hölle«, stöhnte Zoe. »Vor allem in den Ferien. Dann kommen die Familien mit den kleinen Kindern in Heerscharen und schmeißen Pommes ins Becken. Ich muss die dann immer wieder rausfischen, bevor die Pinguine sie fressen.«

Cem lachte. »Vielleicht solltest du dich zum Pavianfelsen versetzen lassen.«

»Nee, lass mal. Das ist nicht besser. Aber bei den Raubkatzen geht bald einer der Kollegen in Rente.«

Cem konnte sich seine beste Freundin hervorragend bei den Tigern und Löwen vorstellen. Sie hatte sich schon in der gemeinsamen Schulzeit eher für die gefährlichen Aufgaben begeistert als für den Streichelzoo.

»Heute Abend Filmgucken und Pizza?«, fragte Cem. »Meine Schwester ist nicht zu Hause.«

»Bin verabredet.«

»Wer ist es diesmal? Wieder so ein aufgepumpter Testosteron-Junkie wie letzten Monat?«

»Neidisch?«

»Auf keinen Fall. Ich hab schon was Eigenes im Visier.«

Diesmal kicherte Zoe am anderen Ende der Verbindung. »Wo treibst du dich rum? Testest du das Kloster-Wäldchen hinter dem Weiher aus?«

»Welches Kloster-Wäldchen? Hab ich was verpasst?«

»Schwule Cruising-Area. Nie davon gehört?«

»Ich war beim Sport.«

»Ach, stimmt. EliteGym!«

»Schmucke Trainer!«

»Namenlos?«

»Viktor.«

»Ein Russe?«

»Keine Ahnung. Vielleicht. Auf jeden Fall ist er ziemlich süß.«

»Hast du wieder deine Exotik-Nummer durchgezogen?«

»Die zieht am besten.«

»Vermutlich hast du ihn direkt klargemacht, oder?«

»Der gehört eher zur zurückhaltenden Kategorie.«

»Ich bin morgen mit meiner Mitbewohnerin verabredet. Sehen wir uns Dienstag? Bei dir?«

Cem stimmte zu und sie beendeten das Gespräch, weil Zoe die Innengehege der Pinguinanlage sauber machen musste. Für Cem wäre das nichts: Den ganzen Tag im Zoo Tierscheiße einsammeln und sich Kinder vom Hals halten, die mit den Pinguinen kuscheln wollen. Er war lieber mit den Bäumen und Gehwegplatten beschäftigt, die seinen Arbeitsalltag füllten, weil er wusste, dass er mit seiner direkten Art bei anderen Menschen immer mal wieder aneckte.

Kapitel 2

Einen Aspekt seiner Arbeit hasste Cem wie kaum etwas anderes: das frühe Aufstehen. Oft waren sie schon um sieben Uhr auf den Baustellen, während sein Gehirn standardmäßig erst gegen neun zu arbeiten anfing. Stöhnend schwang er seine Beine aus dem Bett, fuhr sich verschlafen durch die Haare, roch prüfend unter seinen Achseln und beschloss, das Duschen auf den Nachmittag zu verschieben. Wenn das Wetter so blieb wie in den letzten Tagen, dann würde er sowieso spätestens um zehn Uhr bis auf die Haut durchgeschwitzt sein. Und heute stand außerdem die Neubepflanzung mehrerer Beete vor einer Versicherung an. Das ging nicht ohne Dreck in jeder Falte der Kleidung ab.

Selma und ihr Freund pennten zum Glück noch, sodass sich Cem in Ruhe Kaffee machen konnte, ohne sich die tägliche Predigt seiner Schwester, er solle sich endlich eine eigene Bleibe suchen, anhören zu müssen. Natürlich verdaddelte er sich bei Instagram und wurde von Jan in die Gegenwart zurückgeholt. Schnell sprang Cem auf, grüßte und rannte aus der Wohnung zur Bahn.

Um zwei Minuten nach sieben erreichte er abgehetzt die Landschaftsgärtnerei, bei der er seit zwei Wochen angestellt war. Guido, sein Chef, Ende fünfzig, sah ihn scheel an, sagte aber nichts. Seine beiden Kollegen, Klaus und Bernd, die schon seit Jahren bei GalaBau Grünberg arbeiteten, verzogen amüsiert die Gesichter, als Cem sich eilig die Stiefel anzog.

»Der Alte hat heute schlechte Laune«, meinte Klaus, der Ältere der beiden.

»Dann hat er es immer auf die jüngsten im Team abgesehen«, ergänzte Bernd.

»Wenn du Glück hast, stellt er bald wieder einen Azubi ein. Dann bist du aus der Schusslinie.«

»Los, Leute«, rief Guido aus der Garage mit den Maschinen. »Packt die Sachen zusammen. Ich will in zehn Minuten los!«

Cem lud mehrere Schaufeln, Hacken und Harken auf die Ladefläche des Transporters, während sich Klaus und Bernd mit den Säcken voller Blumenerde abrackerten.

»Der ist eigentlich nur deshalb so mies drauf, weil morgen einer von uns zu diesem Almeida in die Weststadt fahren muss und er den Typen nicht abkann«, zischte Klaus Cem zu, als sie fertig waren und nur noch auf ihren Chef warteten.

»Was ist denn mit dem?«, erkundigte sich Cem.

»Der hat sich so einen Ziergarten mit japanischen Kiefern, Steinen und einem großen Bonsai anlegen lassen«, sagte Klaus. »Sieht ziemlich kitschig aus. Und die Pflanzen sind einfach nicht für Mitteleuropa gemacht. Das gibt also immer Ärger. Aber der bezahlt angeblich gut und pünktlich.«

»Warum legt der dann so was an?«, fragte Cem, der wusste, wie empfindlich fernöstliche Pflanzen auf das hiesige Klima reagierten. »Ein Steingarten ist doch auch ganz hübsch. Oder Beton.«

»Keine abfälligen Bemerkungen über unsere Kunden!«, grollte Guido, der jetzt neben ihnen auftauchte und sie in den Transporter scheuchte. »Cem, du fährst morgen zu Herrn Almeida.«

Er startete den Wagen und setzte ihn rückwärts auf die Straße.

»Der hat Schwierigkeiten mit den Gehwegplatten«, fuhr er fort, als sie die Einfallstraße zur Innenstadt erreichten. »Einer von deinen Kollegen hat die vermutlich schief eingesetzt.«

»Und warum soll ich das dann ausbügeln?«, fragte Cem. »Sollen die sich doch den Anschiss des Kunden holen.«

»Keine Widerrede! Du machst das morgen. Ich geb dir später die Adresse und du fährst mit dem kleinen Transporter.«

»Pass auf, dass der dir nicht zu nah kommt!«, höhnte Klaus vom Beifahrersitz.

»Vielleicht steht unser Kleiner ja auf so was«, warf Bernd neben Cem lachend ein.

Cem stöhnte innerlich, weil er schon ahnte, was jetzt kam.

»Der steht immer daneben, wenn einer von uns bei ihm arbeitet. Und dabei geht es ihm nicht um die Kontrolle der Arbeit.« Klaus wandte sich um und warf Cem einen eindeutigen Blick zu.

»Schluss jetzt mit dem Gequatsche!«, unterbrach Guido sie. »Herr Almeida ist ein guter Kunde und wir können es uns nicht erlauben, ihn zu verlieren.«

»Wir wollten Cem ja bloß darauf vorbereiten, was ihn erwartet«, verteidigte sich Bernd.

Cem kommentierte das Gespräch nicht. Er hatte sich weitgehend daran gewöhnt, dass in seinem beruflichen Umfeld ziemlich ruppig über Schwule gesprochen wurde. Bei Lesben war das natürlich etwas völlig anderes, denn die meinten seine zumeist männlichen Kollegen sehr gut zu kennen. Wenn man denn Pornos als Lehr- und Anschauungsmaterial zuließ. Cem hatte nie das Bedürfnis verspürt, dagegen anzugehen. Ganz zu schweigen davon, dass er etwas aus seinem eigenen Erfahrungsschatz beisteuern wollen würde. Das passte hier nicht hin und das akzeptierte er – wenngleich auch manchmal nur zähneknirschend.

 

Erschöpft schleppte sich Cem am späten Nachmittag die Treppe zur Wohnung seiner Schwester hoch und hörte schon im Treppenhaus die Stimme seines Bruders. Der hatte ihm jetzt gerade noch gefehlt. Cem atmete tief durch und schloss die Tür auf. Esra stand mit einem Karton in den Händen mitten im Flur und redete aufgebracht auf ihre gemeinsame Schwester Selma ein.

»Du kannst froh sein, dass unsere Großeltern nicht wissen, wie du lebst, denn die hätten dir längst klargemacht, dass das so nicht geht«, predigte er.

»Wie dir vielleicht aufgefallen ist, lebe ich nicht mit unseren Großeltern zusammen, und das ist auch gut so«, entgegnete Selma. »Mal abgesehen davon, dass die in vielen Punkten deutlich entspannter sind als du.«

Esra schüttelte den Kopf und stellte den Karton auf die Erde. »Das hat nichts mit Entspannung zu tun, sondern mit unseren Traditionen.«

Selma verdrehte die Augen und sah Cem genervt an, der ratlos an der Wohnungstür stand.

»Gut, dass du da bist, Cem. Nimm doch bitte deinem Bruder den Karton ab.«

»Was ist denn da drin?«, fragte Cem und schob sich an Esra vorbei.

»Klamotten von dir«, erklärte sein kleiner Bruder, der zwar zehn Zentimeter größer, dafür aber fünf Jahre jünger war.

Wieder einmal fiel Cem auf, dass Esra auftrat wie ein Klischeetürke. Er war gerade volljährig geworden, hatte sich zu einer für sein Alter ungewöhnlich bulligen Figur hochtrainiert, trug eine schmale Goldkette zum offenen Hemd, aus dem noch lange kein Brusthaar quoll, obwohl er sich das bestimmt zutiefst ersehnte, und seine Beine steckten in Trainingshosen, die unten mit weißen Turnschuhen gekrönt waren. Natürlich von Adidas. Cem hatte keine Ahnung, wie dieser Junge aus seiner Familie herausgewachsen war. Mit seinem Gelaber über Traditionen und die alten Werte nervte er die Familie seit etwa zwei Jahren und keiner hatte so richtig verstanden, was bei ihm so grundlegend falsch gelaufen war. Vielleicht sollte Cem ihm mal erklären, dass Adidas keine türkische Marke war.

Während Cem den Karton in Richtung Gästezimmer schob, wandte sich Esra schon wieder an Selma: »Warum muss es denn unbedingt ein Alman sein?«

»Esra!«, blaffte Selma ihn an. »Das geht dich nichts an. Außerdem hat der Alman«, sie zeichnete Gänsefüßchen in die Luft, »einen Namen. Er heißt Jan und wir leben zusammen. Punkt.«

»Im Gegensatz zu dir weiß ich eben, woher ich komme und wie ich mich zu verhalten habe!«

Selma lachte laut auf. »Das sagt mein kleiner Bruder, der sich jedes Wochenende durch die Partymeile der Stadt fickt und dem keine Schnalle zu blond sein kann.«

Esra trat bedrohlich einen Schritt auf Selma zu und brachte sie dadurch für einen Moment zum Schweigen. Cem hielt den Atem an, denn zum ersten Mal erlebte er seinen Bruder als besorgniserregend.

»Wen ich ficke, geht dich einen Scheiß an«, grollte er. »Und wenn ich mich ausgetobt habe, fahre ich in die Türkei und suche mir da ein Mädchen, das sich nicht in die Fänge des westlichen Konsums stürzt.«

»Ist das da draußen dein Auto?«, mischte sich in diesem Moment Jan ein, der in der offenen Wohnungstür stand. Cem hatte gar nicht mitbekommen, dass Selmas Freund nach Hause gekommen war. »Der schwarze Mercedes?«

Esra wirbelte herum und starrte Jan an. »Was ist mit dem Auto? Hat jemand einen Kratzer reingemacht?«

Jan legte seinen Schlüssel in die kleine Holzschale auf der Kommode, streifte seine Schuhe von den Füßen und blickte Esra dann ruhig an, sagte aber nichts. Stattdessen meldete sich Selma aus der Küche, in die sie vor ihrem Bruder zurückgewichen war:

»Dieser protzige deutsche Mercedes ist deiner?«

Cem ging in die Küche und lehnte sich neben seiner Schwester an den Fensterrahmen.

»Jep«, sagte Esra.

»Hat er dich ein Jahresgehalt gekostet?« Selma drehte sich um, zündete sich eine Zigarette an und betrachtete Esra amüsiert. »Oder hat Oma den bezahlt, weil du vor ihr den braven Enkel mit den redlichen Werten gemimt hast?«

»Was geht‘s dich an, wie ich mein Auto bezahlt habe?«

»Nichts. Er wird gerade abgeschleppt.«

Selma zog an der Zigarette und stieß gemächlich den Qualm aus. Esras Kopf wirbelte zum Fenstern herum.

»Warum sagst du das nicht gleich?«, fluchte er, rannte in den Flur, schlüpfte in seine Schuhe und polterte die Treppe hinunter.

»Esra!«, rief Selma ihm nach. »Warte mal!«

Sie lief hinter ihm her und blieb in der Wohnungstür stehen.

»Was denn?«, brüllte Esra von unten herauf, war aber dem unterbrochenen Gepolter zufolge immerhin stehen geblieben.

»Grüß Oma von Jan und mir, wenn du sie besuchst.«

»Fick dich!«, hallte es durchs ganze Haus.

Selma schlug die Wohnungstür zu und schimpfte leise vor sich hin. Als sie auf dem Weg zurück in die Küche über den nur halb im Gästezimmer stehenden Karton stolperte, fauchte sie Cem an:

»Und du such dir endlich eine eigene Wohnung. Ich halte es mit so vielen türkischen Männern in meiner Wohnung nicht aus!«

Sie stapfte an Cem vorbei, schmiss ihre Zigarette ins Waschbecken, schnappte sich ein Glas und eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank und marschierte weiter ins Wohnzimmer, wo sie sich auf die Couch sinken ließ.

»Was um alles in der Welt ist bei dem nicht in Ordnung?«, rief sie quer durch die Wohnung und Cem war sich nicht sicher, ob sie ihn, Esra oder den Rest der Welt meinte. »Alle in unserer Familie sind gesittete Menschen, die Wert auf Bildung legen und auf die Türkei scheißen. Nur dieser kleine Pisser schlägt quer und meint sich aufspielen zu dürfen, wie ein Derwisch in seinem Harem!«

Cem und Jan folgten ihr ins Wohnzimmer. Selma hockte wie eine Monarchin in der Mitte des Sofas und wedelte mit dem leeren Glas und der Flasche herum, wobei sie offenbar nach Worten suchte, sie aber nicht fand. Cem blieb an der Tür stehen, während Jan auf sie zutrat, ihr die Flasche aus den Händen nahm und den Korkenzieher ansetzte.

»Soll dir dein Alman gleich mal den Unterschied zwischen der Rolle des Derwischs in der islamischen Religion und einem Harem erklären?«, fragte er lächelnd.

»Nein«, entgegnete Selma erschöpft und hielt ihm das Glas hin. »Ich will einfach recht haben und fertig.«

Jan goss ihr das Glas halb voll.

»Gut. Du hast natürlich recht.«

Selma betrachtete das Glas in ihrer ausgestreckten Hand missbilligend. Jan goss es ganz voll. Dann setzte sie es an den Mund und trank einen großen Schluck.

»Gebe er auch meinem Bruder ein Glas dieses köstlichen Nektars, auf dass er mir nicht länger grolle, da ich ihn vor die Tür setzen wollte!«, rief sie gestelzt.

Cem schlüpfte in die Küche, holte zwei Gläser und ließ sie von Jan ebenfalls füllen.

»Der andere Bruder kriegt nichts?«, fragte Jan verschmitzt.

Selma sah ihren Freund kopfschüttelnd an. »Er hat es nicht verdient. Er hat ein Auto.« Sie stöhnte. »Wenn es ein Ford Transit wäre, dann würde ich den ja als quasi türkisches Auto durchgehen lassen. Aber ein Mercedes!« Sie trank noch einen Schluck Wein. »Ich habe Esra übrigens zu meinem Geburtstag eingeladen.«

Jan lachte. »Ich werde eure Familie nie verstehen.«

»Versuch es erst gar nicht«, sagte Cem und erntete dafür von seiner Schwester ein müdes Nicken.

»Aber auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole«, sagte sie dann und fixierte Cem. »Du brauchst wirklich eine eigene Bleibe.«

Cem ging diese Diskussion echt auf die Nerven. Er fragte doch schon überall rum.

»Was soll ich denn noch tun?«

Selma breitete die Arme aus. »Ist mir egal. Nur mach irgendwas!«

Eine Welle aus Frust schob sich durch Cem. Er wollte ja auch so schnell wie möglich hier raus. Aber in dieser verfickten Stadt schien es nicht eine einzige freie Wohnung zu geben.

Kapitel 3

Bei allem Verständnis, das Cem für das Drängen seiner Schwester hatte, ging ihm der Druck auf die Nerven, den sie aufbaute. Er selbst schwankte hin und her. Eigentlich fühlte er sich in der Wohnung mit Selma und Jan ganz wohl, denn hier war alles, was er brauchte: Eine Waschmaschine, der immer gefüllte Kühlschrank und nicht zuletzt die Gesellschaft von Menschen, die er sehr mochte. Er hatte sich mit Jan vom ersten Moment an gut vertragen. Seine Schwester schätzte er sowieso, nicht zuletzt, weil sie in ihrer Jugend für all die Freiheiten innerhalb der Familie gekämpft hatte, die in der Folge für ihn selbstverständlich waren. Auf der anderen Seite sehnte er sich nach einer eigenen Wohnung, in die niemand hereinkam, den er nicht hereinließ. Nicht dass er Männer mit nach Hause bringen wollte, danach stand ihm überhaupt nicht der Sinn. Denn wenn so ein Typ erst mal in der Wohnung war, dann musste er ihm schließlich auch klarmachen, dass er bitte bald wieder zu gehen hatte. Cem zog es deutlich vor, sich für eine kurze Zeit in der Wohnung eines Fremden niederzulassen und dann selbst zu entscheiden, wann der richtige Moment zum Rückzug gekommen war. In Selmas und Jans Wohnung hätte er auf keinen Fall ein Fickdate mitgebracht. Denn seine Familie war vollkommen ahnungslos, was sein Sexualleben anging.

Er saß auf dem ungemachten Bett und scrollte durch seine Kontakte. Zoe verbrachte den Abend mit ihrer Mitbewohnerin. Und viel mehr Menschen kannte Cem in dieser Stadt noch nicht. Doch dann fiel im Viktors Name ins Auge.

Cem: Bist du heute Abend zu Hause?

Es dauerte einen Moment, bis Viktor zurückschrieb.

Viktor: Hallo Cem. Schön, dass du dich meldest. Willst du noch joggen?

Cem lächelte. Wenn Viktor wüsste, welche sportliche Aktivität ihm vorschwebte, dann würde er vermutlich nicht mehr antworten. Irgendwie fand er diese Naivität süß.

Cem: Mir ist eher nach einem ruhigen Abend. Lust auf ein Glas Wein?

Erst hatte er Bier statt Wein geschrieben, das dann aber korrigiert, weil er Viktor eher als Weintrinker einschätzte.

Viktor: Komme gerade aus einer Prüfung.

Cem: Warst du erfolgreich?

Viktor: Ich hab ne Eins gekriegt.

Cem: Dann komme ich gleich vorbei und wir feiern das.

Viktor: Ich habe aber nichts zu Trinken im Haus.

Cem: Dann bring ich was mit.

Viktor: In einer dreiviertel Stunde bin ich zu Hause.

Dann schickte er noch seine Adresse. Er wohnte gar nicht so weit von Cem entfernt. Der hatte also Zeit, schlenderte ins Bad, sprang schnell unter die Dusche, kämmte sich die Haare, putzte seine Zähne, legte Deo auf, kontrollierte seine Haut, die hin und wieder zu Pickeln neigte, und entschied sich für die knallenge Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Im großen Spiegel im Flur betrachtete er sich noch einmal skeptisch und war einverstanden mit dem, was er sah.

»Gehst du noch aus?«, fragte Selma aus dem Wohnzimmer, wo sie mittlerweile mit Jan einen Film guckte.

»Nicht lange«, antwortete Cem. »Ich nehme mir eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank. Okay?«

»Schnorrer!«

 

Als er bei Viktor klingelte, spürte er die übliche Nervosität, die ihn vor jedem Date überrollte. Aber er ließ sich nicht davon beirren. Im Grunde wusste er ja noch gar nicht, ob er heute schon bei Viktor landete, denn Typen wie der brauchten meist ein bisschen Vorlaufzeit, bis sie warm wurden. Aber irgendwann knackte Cem sie trotzdem.

Viktor öffnete ihm die Tür im Anzug und mit etwas zerstrubbelten Haaren.

»Entschuldige, ich bin gerade erst reingekommen«, sagte er und ließ Cem in die Wohnung. »Ich hab mich noch nicht mal umgezogen.«

Cem war beeindruckt. Der schwarze Anzug saß perfekt an Viktors Körper und machte ihn noch attraktiver, als Cem ihn in den Sportklamotten in Erinnerung hatte. Das ebenfalls schwarze Hemd stand oben offen und ließ den Blick auf die Drosselgrube unter der Kehle frei. Am liebsten hätte Cem seine Hand ausgestreckt, um mit einem Finger darüber zu streichen.

Viktor lächelte und schloss die Wohnungstür. Die Wohnung war nicht groß. Rechts ging es in die Küche, die keine Tür hatte, vermutlich weil dafür zu wenig Platz war. Links erahnte Cem das Bad und geradeaus öffnete sich ein Zimmer, das mit einem Schreibtisch, einem Bett und offenen Regalen für Klamotten fast schon zu voll war. Der winzige Flur war so eng, dass Cem Viktors Deo wahrnahm, als der sich an ihm vorbei in die Küche schob. Cem streifte die Schuhe von den Füßen, zog die Weinflasche aus der Umhängetasche und folgte Viktor.

»In der Küche ist nicht viel Platz, also schlage ich vor, dass wir in mein Zimmer gehen«, sagte der.

Als er die Flasche sah, nickte er, holte Gläser aus dem Regal und wühlte in einer Schublade, bis er den Korkenzieher gefunden hatte. Das gab Cem genug Zeit, sich seinen Trainer noch einmal eingehend von der Seite anzusehen. Viktor war wirklich appetitlich und erneut genoss Cem den Anblick des trainierten Kerls in seinem Anzug, denn mehr als jede andere Kleidung versteckte dieser den darunter verborgenen Körper auf geheimnisvolle Weise. Vielleicht sollte sich Cem auch mal einen guten Anzug besorgen, um damit die Männer auf der Straße in Rage zu bringen.

Viktor drängte sich jetzt wieder an Cem vorbei und sie streiften sich an den Hüften. Ein kurzes Prickeln durchlief Cem, und Viktor stockte. Er drehte den Kopf und sah Cem in die Augen. Wieder dieses Grau. Sie standen direkt voreinander, berührten sich aufgrund der Enge leicht, und Cem meinte etwas in Viktors Gesicht flackern zu sehen. Er war auf dem richtigen Weg und sah dem Körper nach, der sich jetzt wieder von ihm entfernte und im Zimmer verschwand.

»Was war das denn für eine Prüfung heute?«, fragte Cem, um irgendwas zu sagen. Nicht dass ihn die Antwort wirklich interessiert hätte, aber er mochte die Stille nicht, die für einen kurzen Moment eingetreten war.

»Sportdidaktik.«

»Aha.«

Viktor lachte. »Ich werde dir keine Details dazu erzählen. Versprochen.«

Er drehte den Korkenzieher in die Flasche und versuchte, den Korken herauszuziehen.

»Und da schlägst du immer im Anzug auf?«

»In der Sporthochschule laufen wir ständig in Trainingsklamotten rum. Ich find´s dann angemessen, bei Prüfungen anders aufzutreten.« Er zerrte an dem Korken, steckte die Flasche zwischen die Oberschenkel, um mehr Halt zu haben. »Mist. Das Ding sitzt total fest.«

Cem trat zu ihm und griff nach der Flasche. Dabei berührten sich ihre Hände und Cem sah, wie Viktors Schwanz von innen die Anzughose ausbeulte. So weit war er also schon. In seiner eigenen Hose staute sich augenblicklich das Blut und sein Penis machte deutlich auf sich aufmerksam. Lächelnd nahm er Viktor die Flasche ab und entkorkte sie in einer schnellen Bewegung.

»Die geistige Arbeit muss mich heute geschwächt haben«, sagte Viktor und hielt Cem die Gläser hin.

»Ich bin für meine Fingerfertigkeit bekannt«, konterte Cem und sah Viktor herausfordernd an, bevor er den Wein einschenkte.

Viktor sah ihn für eine Sekunde etwas konsterniert an, dann schluckte er und fragte:

»Und wie äußert sich das?«

»Zum einen darin, dass ich wunderbar ein Weinglas festhalten und damit anstoßen kann.«

Sie ließen die Gläser aneinander klingen und tranken, ohne sich dabei aus den Augen zu lassen.

»Zum anderen haben meine Finger gelernt, auch versteckte Geheimnisse offenzulegen.«

Cem stellte sein Glas auf dem Schreibtisch ab und näherte sich Viktor. Dessen Augen flackerten vor Erregung, als Cem um ihn herumgriff, seinen Hintern zärtlich umfasste und ihm dann den Mund auf die Lippen drückte. Ein leises Stöhnen entwich Viktor, dann öffnete er die Lippen und ließ Cem herein. Cem schmeckte den Wein auf Viktors Zunge und roch wieder das Deo, gemischt mit einem zarten Hauch von Schweiß. Sie ließen ihre Zungen umeinanderkreisen, während Cem sein Becken gegen das von Viktor drückte. Er spürte deutlich dessen erigierten Schwanz durch den Stoff hindurch und konnte es kaum erwarten, Viktor den Anzug vom Leib zu reißen. Also löste er seine Lippen von ihm und glitt an ihm herab, bis vor seinen Augen die große Ausbeulung auftauchte. Da wollte er hin. Perfekt.

Mit einer langsamen Bewegung zog er den Reißverschluss nach unten, öffnete den Knopf darüber und befreite die Erektion aus der engen Anzughose. Wieder wurde er von einem Stöhnen belohnt.

»Ich bin aber nicht nur für meine Finger bekannt«, murmelte Cem, als er den steifen Schwanz fest umgriff. »Auch meine Zunge kann sich sehen lassen.«

Viktor hatte wirklich einiges zu bieten und Cem schob sanft die Vorhaut zurück, um die pralle Eichel freizulegen. Viktor zitterte leicht und schob seine Hände in Cems Haar.

»Sollten wir nicht ...«, murmelte Viktor, doch Cem wollte sich jetzt nicht mehr unterbrechen lassen.

»Später«, flüsterte er.

Entschieden schloss er seine Lippen um die Erektion vor sich und umspielte die Ränder der Eichel mit seiner Zunge. Vorsichtig ließ er den Steifen ein paarmal in seinen Mund herein- und wieder herausgleiten. Mit einer Hand hielt er Viktors Schwanz fest, mit der anderen fuhr er jetzt in seine eigene Hose und befreite sich aus der Enge. Er lutschte begierig an der Latte und freute sich, als er das salzige Aroma des Vorsaftes schmeckte. Über ihm atmete Viktor aufgeregt und drängte sich ihm fordernd entgegen. Cem zog sich nach einer Weile zurück, weil er an Viktors Bewegungen die ziemlich zügige Zunahme der Erregung wahrnahm. Er wollte das hier nicht zu schnell zum Ende bringen. Also zerrte er erst einmal die störende Anzughose bis zu den Füßen herunter. Dann richtete er sich auf, öffnete seine Jeans und schob sie ebenfalls an seinen Beinen hinab. Viktor befreite sich von seinem Jackett und warf es aufs Bett. Das Hemd folgte umgehend. Auch Cem zog sich das T-Shirt über den Kopf. Als Viktor sich gerade vor ihm hinknien wollte, um ihn zu verwöhnen, hielt Cem ihn zurück. Er drehte ihn um und schmiegte sich von hinten an ihn heran. Er ließ seine Hände über Viktors wohlgeformte Brust und den flachen Bauch wandern, bis sie den steifen Schaft erreichten, den er fest umschloss. Seinen eigenen Schwanz schob er fordernd zwischen Viktors Pobacken.

Einen Moment bewegten sie sich so behutsam aneinander und Haut rieb auf Haut. Dann dirigierte Cem seinen Trainer zum Bett, drückte ihn ein wenig runter, sodass Viktor vor ihm auf die Knie ging und sich auf die Matratze stützte. Cem ging ebenfalls auf die Knie und drückte seinen Schwanz jetzt gegen Viktors Arsch. Der zuckte kurz zusammen. Dann tastete er neben sich nach seinem Nachttisch, zog ein Kondom und Gleitgel aus der Schublade und reichte beides nach hinten. Cem riss die Packung sofort auf, rollte das Kondom über seine Erektion, drückte aus der Tube ein wenig Gleitgel auf seine Finger und befeuchtete damit Viktors Öffnung.

Er drang zur Dehnung kurz mit einem, dann mit zwei Fingern ein, erntete dafür erneut lustvolles Stöhnen und dann brachte er seinen Schwanz in Position. Vorsichtig drückte er ihn gegen die Rosette, drang leichter als erwartet ein und versenkte sich dann Zentimeter für Zentimeter in Viktor. Von dem kamen keine Klagen, sondern vielmehr bestätigende Laute. Als er bis zum Anschlag in ihm war, verharrte er einen Moment. Er fasste wieder um den Körper vor sich herum und griff nach dem Schwanz, dessen Spitze feucht war. Erst begann er, Viktor zu wichsen, dann setzte er auch sein Becken in Bewegung. Das war fantastisch. Viktor schien es nicht nur sehr zu gefallen, was Cem gerade mit ihm tat, er war auch verdammt eng. Cem glitt immer fieberhafter in ihn rein und raus. Seine Lust sammelte sich in seinen Lenden. Er fickte Viktor schneller und härter. Seine Haut begann zu kribbeln und auf Viktors Rücken sammelte sich der Schweiß. Kurz bevor Cem sich nicht mehr zurückhalten konnte, spannte sich Viktor an, drückte das Kreuz durch und ergoss sich mit einem gedämpften Stöhnen in Cems Hand. Und dann explodierte Cem selbst. Ohne seine Bewegungen zu verlangsamen, spritzte er in Viktors Arsch ab. In mehreren Wellen rollte der Orgasmus durch ihn hindurch, bis er erschöpft auf Viktors Rücken zusammensackte. Hektisch atmend legte er seinen Brustkorb auf die verschwitzte Haut, ließ seinen Schwanz noch eine Weile dort, wo er sich gerade sehr wohlfühlte, und glitschte mit den Fingern der rechten Hand über Viktors noch immer steifen Ständer. So liebte er den Sex. Schnell, wild und rau.

Nach einer Weile zog sich Cem aus Viktor zurück, streifte das Kondom ab und richtete sich auf. Viktor wandte sich um und ließ sich rückwärts auf sein Bett sacken. Er hatte – so wie Cem auch – noch seine Hosen an den Knöcheln hängen und befreite sich jetzt von ihnen. Cem hingegen zog sich die Jeans hoch und knöpfte sie zu. Das Anzugjackett auf dem Bett war mit Sperma besprenkelt. Cem war sich sicher, dass das aus dem schwarzen Stoff nicht so leicht wieder rauszukriegen war. Aber das war nicht sein Problem. Er drehte sich einmal im Kreis, fand sein T-Shirt und zog es sich über. Viktor sah ihn aus seiner liegenden Position nachdenklich an. Sein Penis schrumpfte allmählich auf Normalgröße zurück und ruhte auf seinem Oberschenkel. Ein wenig bereute Cem, dass er nie die Gelegenheit haben würde, diesen Schwanz in sich zu spüren. Aber er hatte vorhin eine schnelle Entscheidung treffen müssen. Viktor oder er. Er hatte aus dem Bauch heraus beschlossen, dass er diesmal ficken würde. Einfach so.

»Sollen wir noch einen Film gucken?«, fragte Viktor mit roten Flecken vom Sex im Gesicht.

Cem schüttelte den Kopf. »Ich muss morgen früh raus.«

Etwas ratlos starrte Viktor ihn von unten an. Dann nickte er, richtete sich auf und zog sich die Hose hoch.

»Findest du allein raus oder soll ich dich bringen?«, fragte er bitter.

Cem hörte den Zynismus genau. Aber er hatte keinen Bock auf Diskussionen. Sie hatten Sex gehabt. Mehr nicht.

»Nimm‘s nicht so schwer«, sagte er also und zwinkerte Viktor zu. »Man sieht sich.«

Er schlüpfte schnell in seine Schuhe und machte sich vom Acker. Wenn er eines hasste, dann war das dieses verkrampfte Zusammensitzen nach dem Sex, der Versuch, irgendwas Tieferes in dem Geschehenen zu entdecken, als einfach nur das, was es war: Der Austausch von Körperflüssigkeit zum Zweck des maximalen Lustgewinns. Punkt.

Kapitel 4

»Du musst uns natürlich heute Nachmittag genau Bericht erstatten«, amüsierte sich Klaus, als Cem das Werkzeug in den kleinen Transporter lud, um zu dem Kunden in der Weststadt zu fahren.

»Oh, ja«, bestätigte Bernd seinen Kollegen. »Wir wollen jedes schmutzige Detail hören!«

Er schlug Cem kumpelhaft auf die Schulter.

»Das kann ich für euch übernehmen«, fuhr der Chef dazwischen und durchbohrte seine Mitarbeiter mit den Augen. »Wenn ihr euch bei Herrn Almeida auf eure Arbeit konzentriert hättet, anstatt euch das Maul über sein Privatleben zu zerreißen, dann müsste Cem heute nicht noch mal da hin.«

»Diese Ziergärten sind die Hölle!«, erwiderte Klaus.

»Mir ist völlig egal, was du persönlich von der Gestaltung im Garten von Herrn Almeida hältst«, blaffte Guido ihn an. »Dein Job war es, die Natursteinplatten vernünftig zu verlegen. Stattdessen hast du dich über die Form der Büsche lustig gemacht.«

»Die sehen aber wirklich aus wie Pimmel«, sprang Bernd seinem Kollegen zur Seite.

»Wenn der Kunde phallische Büsche haben will, dann kriegt er sie. Ende der Diskussion.« Guido stand mit in die Seiten gestemmten Armen vor ihnen und funkelte sie an. »Und noch etwas: Cem ist erst zwei Wochen dabei, aber er hat deutlich besser kapiert, was unseren Job ausmacht. Habt ihr gestern bemerkt, wie eure Blumenreihen aussahen? Ein totales Desaster. Krumm und schief. Teilweise waren die Wurzelballen nicht mal mit Erde bedeckt. Und habt ihr zum Vergleich registriert, wie das Beet aussah, das Cem bepflanzt hat? Der Junge hat Geschmack. Der weiß, was er tut. Ihr kippt die Pflanzen vom Hänger und hofft, dass die schon irgendwie in die Erde kommen. Das könnt ihr bei euch zu Hause machen. Aber nicht, wenn ihr bei Kunden seid!«

Klaus und Bernd zogen die Köpfe bei der Standpauke ein.

»Aber Chef ...«, versuchte Bernd sich zu verteidigen.

»Nix Aber Chef! Ihr macht euren Job ordentlich. Keine Diskussion!«

Cem wusste nicht so recht, wie er reagieren sollte. Ihm war es unangenehm, diesen Konflikt mitzubekommen. Trotzdem gab er seinem Chef durchaus recht. Er hatte gestern das Gleiche bemerkt, aber lieber nichts gesagt, weil er noch nicht lange genug im Betrieb war, als dass er sich einen Konflikt mit den Kollegen leisten wollte. Schließlich war er davon abhängig, dass sie ihn schätzten. Ob dafür jedoch der Vergleich zwischen den Kollegen und ihm, den der Chef gerade bemüht hatte, förderlich war, das bezweifelte er. Zügig schloss er die Hecktüren des Transporters, nickte den Kollegen zu und fuhr los.

Erst als er sich in die Hauptstraße einfädelte, wurde ihm bewusst, dass sein Chef ihn gerade gelobt hatte. Die Aufgabe, die ihnen gestern gestellt worden war, hatte sich als wirklich einfach entpuppt. Die Pflanzen mussten lediglich in geraden Reihen in die Erde gesetzt und gewässert werden. Bernd hatte am Ende einfach den Wasserschlauch grob in die Richtung der Blumen gehalten, während er geraucht und mit Klaus über die schicken Anzugträger der Versicherung, vor deren Hauptsitz sie arbeiteten, gelästert hatte. Cem hatte hinterher noch einmal alle Pflanzen gründlich gegossen, weil er es einfach nicht ertragen hätte, wenn die Blumen wegen der Dummheit seines Kollegen vertrocknet wären. Dass er dabei von Guido beobachtet wurde, war ihm erst aufgefallen, als er den Schlauch schon wieder zusammenrollte.

Ein Grinsen über das Lob konnte er sich nicht verkneifen. Sein Chef hatte also registriert, dass er was draufhatte. Wunderbar. Damit machte er sich – vor allem, wenn Klaus und Bernd immer so arbeiteten – unentbehrlich.

Cem bog von der Hauptstraße in einen gutbürgerlichen Stadtteil ab. Hier standen die Häuser alle einzeln, die Vorgärten waren gepflegt, teure Autos parkten in den Einfahrten und vor einigen Fenstern waren Gitterstäbe zum Schutz gegen Einbrecher angebracht. Dies war zwar nicht der teuerste Teil der Stadt, aber immerhin doch einer, in dem seine Eltern wohnen würden, wenn sie nicht diese unsägliche Kleinstadt in fünfzig Kilometern Entfernung bevorzugen würden. Langsam steuerte Cem den Transporter an den Häusern entlang, bis er die richtige Hausnummer gefunden hatte.

Hier dominierte schlichte Eleganz im Vorgarten. Das sah zwar nicht japanisch aus, aber es passte zu der Beschreibung der Kollegen. Ein dunkler SUV stand in der Einfahrt vor der Garage, kein Blatt lag auf dem Rasen. Alles wirkte, wie aus einem Katalog ausgeschnitten und in die Realität gesetzt. Cem parkte den Wagen direkt vor dem Haus, öffnete das von halbhohen Hecken gesäumte Eisentor, ging auf die Haustür zu und klingelte. Er hörte Schritte und sah durch die geriffelte Scheibe einen Mann auf sich zukommen, der im nächsten Moment die Tür öffnete und Cem fragend ansah.

»Guten Morgen, Herr Almeida. GalaBau Grünberg«, sagte der. »Ich soll hier noch mal nach den Natursteinplatten in Ihrem Garten sehen.«

Die Miene von Fabio Almeida hellte sich auf. Er ließ den Blick sekundenschnell einmal über Cems Körper wandern und nickte. Cem hatte nach dem Bericht von Klaus und Bernd mit einem etwa sechzigjähren Typen gerechnet, dem die Zunge sabbernd aus dem Mund hing. Stattdessen entpuppte sich Almeida als noch ziemlich jung – er war höchstens dreißig – und hatte den Körper eines Bodybuilders. Nicht so extrem wie Esra, aber dass er regelmäßig trainierte, sah man ihm an. Er war etwas größer als Cem, steckte in einem weißen Poloshirt und einer hellen Stoffhose ohne Schuhe, war glattrasiert und trug die Haare nach hinten gegelt. Ein verschmitztes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als er Cem abgecheckt hatte.

Und seine Augen strahlten Sex aus. Puren, reinen, animalischen Sex.

»Ich bin Fabio«, stellte er sich von und streckte Cem die Hand hin.

Der Händedruck war fest und warm und vielleicht einen Deut zu lang für eine rein geschäftliche Begrüßung. Cem war gespannt, was sich hinter der Fassade dieses attraktiven Mannes verbarg. Aber letztendlich war er gar nicht an der Tiefe interessiert, sondern er fokussierte sich auf die Oberfläche, und die ließ seiner Fantasie freien Lauf.

Fabio trat aus dem Haus, lächelte und ging an der Front entlang zur Garage, wandte sich kurz um, winkte Cem zu sich heran und öffnete die Tür neben dem Garagentor. Er führte Cem durch die penibel aufgeräumte Garage, in der ein flacher Sportwagen älteren Baujahrs stand, dessen Marke Cem nicht kannte. Am Ende öffnete er wieder eine Tür, die in den Garten hinter dem Haus hinausführte. Und jetzt verstand Cem auch die Zweifel seiner Kollegen: Der Garten war mit verschlungenen Wegen, akkurat gestutzten Büschen und Bäumen, japanisch aussehenden Ziergegenständen, einer kleinen Brücke und sogar einem plätschernden Bach ausgestattet. Wenn es mehr Platz gegeben hätte, wenn nicht der Garten nach fünfzig Metern mit einer Mauer geendet hätte, wenn sich die asiatische Gestaltung wirklich hätte entfalten können – dann hätte dies durchaus ein schöner Ort sein können. Aber so wirkte das gesamte Ensemble irgendwie künstlich und nicht organisch. Ihm fehlte die tiefe Gelassenheit, die zu einem perfekten japanischen Garten gehörte.

Cem sah sofort, wo das Problem lag: Der schmale Weg durch die Mitte des Gartens war zwar grundsätzlich gut angelegt, doch einige der Steinplatten hatten sich gelöst und waren zur Seite weggerutscht. Das war leicht zu beheben. Cem musste lediglich den Sand unter den Platten gründlicher verteilen und darauf achten, dass sie seitlich genug Halt hatten.

»Ich denke, dass ich damit in einer Stunde fertig bin«, sagte er zu Fabio und erntete ein bestätigendes Nicken.

»Ich werde dann eine Runde laufen und bin spätestens in einer Stunde zurück.«

Fabio wandte sich um, nicht ohne Cem noch einmal eingehend gemustert zu haben, und verschwand dann wieder in der Garage. Kurz darauf sah Cem ihn hinter der großen Fensterscheibe im Wohnzimmer herumgehen, diesmal schon in Sportklamotten. Das sah ziemlich sexy aus. Cem wandte sich entschlossen seiner Arbeit zu, hob die verrutschten Platten an, sah, dass der Sand reichte, und holte sich eine Schaufel und einen Spatel aus dem Transporter. Dann legte er los.

Wie vermutet war er nach einer Stunde fertig. Jetzt waren die Platten fest an ihrem Platz und selbst als Cem testweise kräftig darauf trat, bewegten sie sich keinen Millimeter. Er war zufrieden und wollte gerade das Werkzeug zurückbringen, als die Terrassentür aufgezogen wurde.

---ENDE DER LESEPROBE---