Waldkindergarten: Ein pädagogisches Konzept mit Zukunft? - Silvana DelRosso - E-Book

Waldkindergarten: Ein pädagogisches Konzept mit Zukunft? E-Book

Silvana DelRosso

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Beschreibung

Waldkindergärten - Eine Idee aus den 68ern mit dem Leitsatz "Zurück zur Natur". Eine verrückte Idee von Ökos? Oder steht dahinter nicht vielleicht doch ein zukunftsfähiges Konzept der Elementarpädagogik? Gerade in den letzten Jahren gab es einen enormen Zuwachs an Neugründungen (die heutige Anzahl der Waldkindergärten in Deutschland liegt bei über 500), was darauf schließen lässt, dass die Waldkindergärten tatsächlich noch durch weitere Argumente als die der Umwelterziehung überzeugen. Nichtsdestotrotz erfährt das Konzept des Waldkindergartens in unserer Gesellschaft - insbesondere von Seiten der Politik - immer noch eine gewisse Skepsis. Die wohl gewichtigste Annahme ist dabei, dass die Kinder im Waldkindergarten nicht genug lernten und nicht ausreichend auf die Schule vorbereitet würden. Denn spätestens seit der PISA-Studie lastet ein enormer Druck seitens Politik und Medien auf den Kindergärten, der bei Eltern den Eindruck vermittelt, sie müssten ihr Kind am Besten im Alter von 3 Jahren eine Fremdsprache erlernen lassen und mit den Vorbereitungen auf die Schule beginnen. Einem Waldkindergarten stehen was diese Anforderungen anbelangt viele mit Vorbehalten gegenüber. Doch wie sinnvoll und kindgerecht ist diese frühe Wissensvermittlung überhaupt? Wie sieht Kindheit heute aus und was brauchen Kinder? Was kann das Konzept Waldkindergarten ihnen bieten? Wie kommen Waldkindergartenkinder in den späteren Schulen zurecht? Hierzu wurden Kinder, die vor 10 Jahren einen Waldkindergarten besuchten, sowie deren Mütter befragt. Das Buch gibt zunächst einen Überblick über das Feld der Vorschulerziehung, d.h. die entwicklungspsychologische sowie gesellschaftliche Situation von Kindern im heutigen Deutschland und die daraus resultierenden Anforderungen an die Pädagogik. Des Weiteren wird das Konzept Waldkindergarten sowohl theoretisch vorgestellt als auch ein Einblick in die Praxis gegeben, um dann zu überprüfen, ob es sich bei diesem Konzept um eine zukunftsfähige Form der Vorschulerziehung handelt.

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Del Rosso, SilvanaWaldkindergarten Ein pädagogisches Konzept mit Zukunft?

ISBN: 978-3-8428-1738-8 Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2010

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtes.

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Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden und der Verlag, die Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.

© Diplomica Verlag GmbHhttp://www.diplomica-verlag.de, Hamburg 2010

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Ausgangslage/ Grundlagen für die Arbeit in einem Kindergarten

1.1 Gesetzliche Grundlage (Erziehungs- und Bildungsauftrag)

1.2 Anforderungen an die Elementarpädagogik

1.3 Entwicklungspsychologische Situation von Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren

1.4 Kinder heute – veränderte Kindheit?

1.5 Resümee

2 Waldkindergärten

2.1 Geschichte / Entstehung

2.2 Formen von Waldkindergärten

2.3 Konzept

2.4 Pädagogische Anliegen

2.4.1 Umwelterziehung

2.4.2 Förderung der Sinne

2.4.3 Soziales Lernen und Werteerziehung

2.4.4 Motorische Förderung

2.4.5 Lernen durch Freispiel

2.5 Die ErzieherIn im Waldkindergarten

2.6 Resümee

3 Was leistet der Waldkindergarten?

3.1 Selbstverständnis des Konzepts Waldkindergarten

3.2 Naturerleben und die Bedeutung des Waldes für Kinder

3.3 Gewinn durch Verzicht

3.4 Lernen durch Bewegung

3.5 Resilienzförderung

3.6 Empirische Ergebnisse zur Schulfähigkeit von Waldkindergartenkindern

3.7 Resümee

4 Praktische Umsetzung am Beispiel „Waldkindergarten Münster e.V.“

4.1 Besetzung

4.2 Tagesablauf

4.3 Konzeption

4.4 10 Jahre Waldkindergarten Münster - Befragung von ehemaligen Kindern und Eltern

4.5 Resümee

5 Schlusswort

Anhang

Literaturverzeichnis

Einleitung

„Die Wände so weit wie die ganze Welt“ So lautet einer von vielen Leitsätzen von Waldkindergärten, der sich auf ihren Internetseiten und in Büchern über dieses Konzept wieder findet. „Waldkindergärten? Das ist doch so eine verrückte Idee von Ökos“ bekam ich oft zu hören, sobald ich darauf zu sprechen kam, dass ich ein Buch über Waldkindergärten schreiben würde. In unserer Gesellschaft, insbesondere von Seiten der Politik, erfährt das Konzept des Waldkindergartens eine ebensolche Skepsis. Die wohl gewichtigste Annahme ist dabei, dass die Kinder im Waldkindergarten nicht genug lernten und nicht ausreichend auf die Schule vorbereitet würden. Denn spätestens seit der PISA-Studie lastet ein enormer Druck seitens Politik und Medien auf Kindergärten, der bei Eltern den Eindruck vermittelt, sie müssten ihr Kind am besten bereits im Alter von drei Jahren eine Fremdsprache erlernen lassen und mit den Vorbereitungen auf die Schule beginnen. Einem Waldkindergarten stehen was diese Anforderungen anbelangt viele mit Vorbehalten gegenüber. Dagegen lassen die steigenden Zahlen von Neugründungen bzw. von Anmeldungen von Kindern in bereits vorhandenen Waldkindergärten darauf schließen, dass nicht alle von diesen Vorbehalten getragen sind und dem Trend der unbedingten frühen Wissensvermittlung nacheifern. Viele Eltern begeben sich auf die Suche nach innovativen Konzepten für den Vorschulbereich, um ihren Kindern eine optimale Vorschulerziehung zu ermöglichen. Dieses Buch wird klären, inwieweit Waldkindergärten dafür geeignet sind oder nicht.

Wie sieht dieses „Konzept Waldkindergarten“ aus? Warum findet es gerade heute so großen Anklang in Deutschland? Und sind es tatsächlich nur die „Ökos“, die ihre Kinder dort anmelden oder überzeugt das Konzept noch durch andere Argumente als das der Umwelterziehung?

Diesen Fragen soll im Rahmen des vorliegenden Buches nachgegangen werden. Um einen Bezug zur Praxis herzustellen, d.h. zu überprüfen, wie das theoretisch Erläuterte in der Praxis umgesetzt wird, wird im vierten Kapitel das Beispiel „Waldkindergarten Münster e.V.“ vorgestellt. Hierzu wurden auch die Aussagen von vier ehemaligen Waldkindergartenkindern und ihren Müttern, die im Rahmen von Interviews gewonnen wurden, wiedergegeben und ausgewertet. 

Anmerkungen

Neben dem Begriff „Kindergarten“ wird im Folgenden auch der Begriff „Kindertageseinrichtung“ verwendet, da dieser sich auch in der Fachliteratur und den Gesetzestexten wieder findet. Der Kindergarten ist eine Form der Kindertageseinrichtung und deshalb auch stets damit angesprochen, wenn von Kindertageseinrichtungen die Rede ist.

Der Begriff „Regelkindergarten“ findet sich ebenfalls in der Fachliteratur wieder und wird verwendet zur Abgrenzung von Waldkindergärten gegenüber der gängigen Form von Kindergärten, die in Deutschland überwiegend vertreten ist.

1 Ausgangslage/ Grundlagen für die Arbeit in einem Kindergarten

1.1 Gesetzliche Grundlage (Erziehungs- und Bildungsauftrag)

Da sich dieses Buch mit dem Konzept eines Kindergartens beschäftigt, muss zunächst der Rahmen geklärt werden, in dem sich die Arbeit einer solchen Einrichtung bewegt. Es stellt sich demnach die Frage, wie Kindergärten in unserem gesellschaftlichen System verankert sind, an welche Gesetze sie gebunden sind und welche Aufgaben und Aufträge sich daraus ergeben.

Gesetzliche Grundlagen für die Arbeit in einem Kindergarten finden sich zum einen auf Bundesebene im Sozialgesetzbuch SGB VIII und zum anderen auf Landesebene im Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder – GTK (bzw. entsprechende Gesetze in anderen Bundesländern). Für dieses Buch wurde das Gesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (im Weiteren mit NRW abgekürzt) ausgewählt, da in Punkt 4 dieses Buches das Beispiel Waldkindergarten Münster erläutert wird, der – ebenso wie die Autorin dieses Buches – im Bundesland NRW ansässig ist.

Die im Folgenden zitierten Paragraphen stammen aus dem SGB VIII in der Fassung vom 19.02.20071 sowie dem GTK in der Fassung vom 26.12.2006 2. Nach §1 Absatz 1 des SBG VIII hat

„Jeder junge Mensch […] ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“

Weiter heißt es dort in Absatz 3:

„Jugendhilfe soll zur Verwirklichung des Rechts nach Absatz 1 insbesondere 1. junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen,  […] 4. dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen“

Als Leistung der Jugendhilfe zählen nach § 2 Absatz 2, Punkt 3 SBG VIII 

„Angebote zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege.“

Tageseinrichtungen sind nach § 22 SGB VIII und § 1 GTK 

„Einrichtungen, in denen sich Kinder für einen Teil des Tages oder ganztägig aufhalten und in Gruppen gefördert werden.“

Der Kindergarten ist also eine Tageseinrichtung und somit eine Leistung der Jugendhilfe. Deshalb gehört zu seinen Aufgaben, den oben genannten § 1 Absatz 1 des SGB VIII umzusetzen. Weiterhin hat der Kindergarten als eine Tageseinrichtung nach § 22 Absatz 2 SGB VIII folgende Grundsätze:

Förderung der Entwicklung des Kindes hin zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit

Unterstützung und Ergänzung der Erziehung und Bildung in der Familie

Hilfe für die Eltern zur besseren Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kindererziehung

Dieser Förderauftrag bezieht sich nach §22 Absatz 3 SGB VIII auf die Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes. Er zielt sowohl auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes, als auch auf die Vermittlung von orientierenden Werten und Regeln ab. Dabei sollen der jeweilige Entwicklungsstand, die Lebenssituation sowie die Interessen und Bedürfnisse des einzelnen Kindes berücksichtigt werden.

In § 22a des SGB VIII werden die Aufgaben zur Förderung näher bestimmt. Demnach soll die Qualität der Förderung in den jeweiligen Einrichtungen durch den Einsatz einer pädagogischen Konzeption und eines Evaluationsverfahrens sichergestellt und weiterentwickelt werden. Darüber hinaus sollen die Fachkräfte der Einrichtungen mit den Eltern, mit anderen familienbezogenen Institutionen sowie mit Schulen zusammenarbeiten, wobei sich das Angebot pädagogisch sowie organisatorisch an den Bedürfnissen der Familien orientieren soll. Kinder mit und ohne Behinderung sollen weitestgehend gemeinsam in Gruppen gefördert werden.

Nach § 26 SGB VIII regelt das Nähere über Inhalt und Umfang der Aufgaben und Leistungen zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen das Landesrecht. Wie schon erläutert wird im Folgenden auf das GTK des Landes NRW eingegangen. § 2 dieses Gesetzes beschreibt den Auftrag des Kindergartens. Demnach ist der Kindergarten eine sozialpädagogische Einrichtung, die neben der Betreuungsaufgabe auch einen eigenständigen Erziehungs- und Bildungsauftrag hat, im Bildungssystem als Elementarbereich benannt. Dieser Auftrag ist im ständigen Kontakt mit der Familie und unter Berücksichtigung der Lebenssituation des jeweiligen Kindes durchzuführen und soll

die größtmögliche Selbständigkeit und Eigenaktivität des Kindes zum Ziel haben,

seine Lebensfreude anregen und den Aufbau seiner emotionalen sowie schöpferischen Kräfte ermöglichen,

ein Grundwissen über den Körper des Kindes vermitteln und die körperliche Entwicklung fördern,

durch ein breites Angebot an Erfahrungsmöglichkeiten elementare Kenntnisse der Umwelt vermitteln und somit die Entfaltung der geistigen Fähigkeiten und Interessen des Kindes unterstützen.

Dies alles soll dadurch geschehen, dass der Kindergarten das Kind verschiedene soziale Verhaltensweisen, Probleme und Situationen bewusst erleben lässt und ihm ermöglicht, seine eigene soziale Rolle innerhalb der Gruppe zu erfahren. Dadurch soll ein gewaltfreies, gleichberechtigtes und partnerschaftliches Miteinander erlernt und praktiziert werden. Ferner soll die Integration behinderter Kinder gefördert sowie Verständnis und Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Weltanschauungen entwickelt und vorgelebt werden.

Soweit die Gesetzeslage für den Elementarbereich. Doch welche Aufgaben ergeben sich aus diesen Gesetzen für die Pädagogik des Kindergartens?

1.2 Anforderungen an die Elementarpädagogik

Aus der vorangegangen Darstellung der Gesetze, die es für den Elementarbereich gibt, wird deutlich, dass zwar eine Vielzahl an Richtlinien zur Orientierung der Arbeit im Kindergarten existieren, diese aber noch zu ungenau und weit gefasst sind. Zudem kam es in den letzten Jahrzehnten zu einer Verschiebung der Gewichtung der im Gesetz verankerten Aufgaben „Betreuung, Erziehung, Bildung“. Der Kindergarten war lange Zeit hauptsächlich eine Einrichtung, die der Betreuung und Erziehung von Kindern diente. Diese Funktion ist heute natürlich ebenfalls noch gegeben und wichtig, alleine schon um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern, die heutzutage immer wichtiger wird. Im Zuge des „PISA-Schocks“3 entfachte jedoch eine große Diskussion um den Bildungsauftrag des Kindergartens, der eigentlich schon 1970 durch den Deutschen Bildungsrat formuliert wurde und auch im GTK benannt ist (s. Punkt 1.1 dieses Buches). Die Legitimation für die Anerkennung als eigener Bildungsbereich, d.h. der eigenständige Bildungsauftrag, leitet sich aus wissenschaftlichen Erkenntnissen, vor allem der Entwicklungspsychologie, der beobachtenden Kleinkindfor- schung sowie der Kognitionsforschung ab.4 Bisherige entwicklungspsychologische Theorien waren meist geprägt von der Auffassung Jean Piagets (geb. 1896), die in einzelnen Bereichen durch neue Erkenntnisse jedoch widerlegt werden konnte. Die Lernfähigkeit des Kindes wurde demnach bisher unterschätzt5 und es gilt die These „Je früher desto besser“. Die Kinder sollen im Kindergarten nicht mehr nur noch spielen, sondern so früh wie möglich gezielt gefördert werden, lernen, Fähigkeiten entwickeln und auf die Schule vorbereitet werden.

Der Kindergarten stellt somit die erste Stufe des Bildungssystems Deutschlands dar und bringt dadurch neue Anforderungen für die Einrichtungen mit sich. Das Gewicht der im Gesetz verankerten Aufgaben „Betreuung, Erziehung, Bildung“ verschob sich in den letzten Jahren immer mehr auf den Bereich der Bildung, zuletzt noch mal vorangetrieben durch Ergebnisse der PISA-Studie (und vergleichbaren Studien) sowie aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse über kindliche Selbstbildungsprozesse.6

Doch was bedeutet „Bildung“? Das Nachschlagen in einem Lexikon eröffnet beispielsweise folgende Definition:

„Die Formung des Menschen im Hinblick auf seine geistigen, seelischen, kulturellen und sozialen Fähigkeiten.“7

Seit Anfang des 19. Jahrhunderts ist „Bildung“ durch Wilhelm von Humboldt ein wichtiger Begriff der Pädagogik geworden. Und seither gibt es auch diverse Bedeutungen und Inhalte für diesen Begriff. Es gibt keine einheitliche Definition, da Bildung ein sprachlich, kulturell und historisch bedingter Begriff ist. Als zentrales Thema in allen Bildungsvorstellungen ist jedoch immer die Beziehung des Menschen zu seiner ihn umgebenden Welt enthalten, d.h. der Mensch setzt sich über Bildung ins Verhältnis zur Welt und zu sich selbst als Teil dieser Welt.8  Da dies ständig und das ganze Leben lang geschieht, spricht man auch von Bildung als lebenslangem Prozess.

Zerlegt man das Wort in seine Einzelbestandteile, so verbirgt sich darin das Wort „Bild“. So lässt sich Bild-ung also auch definieren als: sich ein Bild von der Welt machen. Als Verinnerlichung der äußeren Welt. Im Ergebnis bestimmt dann die Summe der Erlebnisse eines Menschen seinen Bildungsprozess.9

Laewen10 bezeichnet Bildung als die Selbsttätigkeit des Kindes zur Aneignung der Welt. Aneignung der Welt bedeutet, dass sich das Kind ein Bild von der Welt macht, aber auch ein Bild von sich selbst als Teil dieser Welt. Bildung bedeutet dementsprechend auch Persönlichkeitsbildung. Dieses Bild der Welt ist in dem Zusammenhang jedoch nicht als ein Bild im Sinne einer Fotografie zu verstehen, sondern als eine Konstruktion, ein Selbsterzeugnis des Kindes.11

Während es z.B. im Englischen nur ein Wort für die Begriffe „Bildung“ und „Erziehung“ gibt (education), unterscheidet die deutsche Sprache im Gegensatz zu vielen anderen Sprachen hier zwei Bedeutungen, wobei es ähnlich wie für den Begriff der Bildung auch für den Begriff der Erziehung keine allgemein anerkannte Definition gibt.12 Die gängigste Definition lautet: Erziehung meint das Einwirken anderer Personen auf ein Kind, Bildung dagegen meint den eigenständigen Wissenserwerb und das Erlangen geistiger Reife.13

Bildung meint also Selbstbildung. Demnach sind Kinder Subjekte der Bildung. 

„Sie sind nicht leere Gefäße, in die man etwas eintrichtern kann, sondern selbstbestimmende, junge Menschen, die ihre Bildung selber voran treiben(…)“14

Im Bereich der Erwachsenenbildung ist diese Definition und Abgrenzung zum Erziehungsbegriff selbstverständlich. Es würde wohl kaum jemand ein Angebot besuchen, das unter dem Begriff „Erwachsenenerziehung“ laufen würde. Gleiches muss ebenso für die Bildung im Kindergarten gelten.

Eine weitere Abgrenzung, die man vornehmen muss, ist die zum Begriff des Lernens. Bildung ist nicht gleichbedeutend mit Lernen, sondern geht über das Lernen hinaus. 

„Bildung wird als Begriff benutzt, der eine bestimmte Qualität von Lernprozessen beschreibt.“15

Vielleicht wird der Unterschied und die einzigartige Bedeutung des Begriffs Bildung deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass es kompetente und selbstlernende Roboter geben kann, jedoch niemals gebildete Roboter.16 Denn zu Bildung gehört mehr als der Wissenserwerb und das Lernen von bestimmten Fähigkeiten, Kompetenzen und Verhaltensweisen. Bildung meint die vollständige Integration all dieser Aspekte unter Einbezug der gesamten Persönlichkeit. Bildung meint das in Ordnung bringen seines Verhältnisses zur Welt und hat deshalb die Voraussetzung, zum einen etwas über die Welt zu wissen, zum anderen aber auch etwas über sich selbst und über seine Beziehung zur Welt zu wissen. 17 Bildung meint das Wissen und Können, das man als Werkzeug benutzt um sich den alltäglich anfallenden Aufgaben stellen zu können. Oder: 

„Allgemeiner noch, Bildung ist das Instrumentarium, mit welchem wir unsere Welterfahrungen deuten.“18

Es bleibt festzuhalten, dass das Thema Bildung für die Arbeit im Kindergarten in den Vordergrund gerückt ist, jedoch die Definition des Begriffes Bildung problematisch und schwierig ist. Wie sieht es aber mit den Inhalten von Bildung aus? 

Nach Schäfer19 bestehen die Aufgaben der frühkindlichen Bildung in der Bildung der kindlichen Sinne, d.h. zum einen der Fernsinne wie Augen, Ohren, Nase und zum anderen der eigenen Körperwahrnehmung, sowie der emotionale Wahrnehmung. Denn frühkindliche Bildungsprozesse vollziehen sich über die Selbstbildungspotenziale, die ein Kind zwar von Geburt an mitbringt, die jedoch weiterentwickelt und dazu gefördert werden müssen. Diese Selbstbildung, d.h. beim Kind zunächst die Strukturierung der Wirklichkeit, erfolgt über die Wahrnehmung. Ebenso gehört das Spielen – als Oberbegriff für eine Fülle an Tätigkeiten – zum Bildungsprozess dazu, da es besonders bei der kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklung von großer Bedeutung und Nachhaltigkeit ist.

Ein weiterer wichtiger Teil von Bildung besteht im Problemlösen. Kindern sollen nicht Kompetenzen vermittelt werden. Sie sollen keine vorgefertigten Lösungen auf bestimmte Fragen bekommen, sondern sich die Welt und ihre Probleme selbst erschließen und zu eigenen kreativen Lösungen gelangen. Gerade in der heutigen sich schnell verändernden Gesellschaft kann man nicht mehr voraussagen, mit welchen Problemen sich die Kinder in ihrer Zukunft beschäftigen werden müssen.20 Deshalb kann man keine speziellen Fertigkeiten, sondern lediglich die Fähigkeit vermitteln, eigenständig Problemlösungsstrategien zu entwickeln und sich selbst etwas beizubringen. Das „Lernen lernen“ also. Die PISA-Studie ergab, dass die Schüler gerade im Problemlösungsbereich große Defizite aufweisen, weshalb das forschende Lernen im Kindergarten gefördert werden soll, da dieses die geforderten Kompetenzen vermittelt.

„Wer die Welt begreift, kann sich in ihr kompetent und selbstbewusst bewegen.“21

Des Weiteren hat Bildung zum Ziel, Kindern die Welt als einen sinnvoll strukturierten Gesamtzusammenhang verständlich und begreifbar – d.h. erlebbar – zu machen. Da das Kind bei diesem Prozess seine gesamte Persönlichkeit beteiligt, d.h. seine körperlichen, kognitiven, emotionalen, sozialen, moralischen und kreativen Kräfte, müssen auch all diese Bereiche durch angemessene Angebote angesprochen werden. Bildung meint dementsprechend auch Persönlichkeitsbildung, d.h. nicht nur das Aneignen von Wissen, sondern vielmehr auch von Charakter und Entscheidungsstrukturen. Die Bildungsinhalte können dabei nur im menschlichen Bezug vermittelt werden, nicht medial, da Kinder sich am Menschen orientieren und nur durch seine liebevolle und wertschätzende Zuwendung die Welt als wertvoll erleben. Das Kind – und der spätere Erwachsene – nimmt sich so als Teil eines Ganzen wahr, mit dem es so verbunden ist, dass das Ganze auch gleichzeitig Teil seines Selbst ist und das er deshalb achtet. 22 Die Aufgaben der ErzieherIn bei diesem Prozess liegen in der Herstellung einer liebevollen Beziehung zum Kind (da dieses Gefühl der Sicherheit beim Kind Voraussetzung für seine weitere Entwicklung ist) sowie in der Beobachtung des Entwicklungsstandes und der dementsprechenden Förderung des Kindes. Diese Beobachtungen sollen den Eltern mitgeteilt werden, um eine für das Kind förderliche Zusammenarbeit („Erziehungspartnerschaft“) sicherzustellen. Der Erfolg dieser Zusammenarbeit verlangt Kontinuität, d.h. sie muss über die ganze Kindergartenzeit hin gegeben sein und nicht erst am Ende beginnen, wenn es um die Schulfähigkeit des Kindes geht.23

Mit den Inhalten von Bildung haben sich nicht nur Wissenschaftler beschäftigt, sondern auch die Vertreter der einzelnen Bundesländer, die als Folge des bereits genannten „PISA-Schocks“ dazu angehalten waren, die im Punkt 1.1 aufgeführten Gesetze zum Bildungsauftrag des Kindergartens zu erweitern und vertiefen. Vorangetrieben wurde diese Entwicklung vom „Forum Bildung“. Da in Deutschland die Bildungshoheit bei den Bundesländern liegt, man sich jedoch darüber bewusst wurde, dass auch über die Landesgrenzen hinaus gemeinsame Strukturen im Bildungsbereich geschaffen werden mussten, entstand 1999 eine Kommission namens „Forum Bildung“, die Empfehlungen für die Reformen im deutschen Bildungswesen herausgegeben hat.24 Mittlerweile haben alle Bundesländer Bildungspläne für den Vorschulbereich aufgestellt.25

Im Folgenden wird entsprechend der in Punkt 1.1 dieses Buches aufgeführten Gründe auf die Bildungsvereinbarung des Landes NRW eingegangen. In dieser Bildungsvereinbarung, die am 1. August 2003 in Kraft getreten ist, werden trägerübergreifende Grundsätze über die Stärkung des Bildungsauftrags von Kindertageseinrichtungen festgelegt. Dabei sollen 

„Die Bildungspotenziale, die jedes Kind von Geburt an mitbringt, (…) frühzeitig entdeckt, gefördert und herausgefordert werden“26

Der Bildungsplan bezieht sich auf die Bildungsbereiche27

Bewegung

Spielen und Gestalten, Medien

Sprache(n)

Natur und kulturelle Umwelt

Diese Bereiche werden auch von Schäfer28 als nach heutigen Kenntnissen wichtige Bereiche für die Elementarbildung benannt. Innerhalb der jeweiligen Bildungsbereiche soll auf folgende Selbstbildungspotenziale eingegangen werden29:

Differenzierung von Wahrnehmungserfahrungen über die Körpersinne, Fernsinne und Gefühle