Wandelt im Licht - Lew Tolstoi - E-Book

Wandelt im Licht E-Book

Lew Tolstoi

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Beschreibung

Für Fans von "Der Prophet" und spiritueller Lektüre. In "Wandelt im Licht!" erzählt Tolstoi die historische Geschichte zweier junger Männer zur Zeit Trajans. Während der eine sich in einem Kloster dem christilichen Glauben zuwendet, lässt sich der andere als Lebemann und Abenteurer durch die Welt treiben. Als er jedoch nach und nach von den Menschen enttäuscht wird, sucht er seinen alten Freund wieder auf, um dort eine andere Art Glück kennenzulernen. In diesre Erzählung sucht auch der junge Tolstoi bereits nach Antworten auf die großen Fragen des Lebens: Was verleiht einem Leben Bedeutung? Und wie kann das flüchtige Glück des Menschen festgehalten werden?-

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Lew Tolstoi

Wandelt im Licht

Eine Erzählung aus altchristlicher Zeit.

Übersezt von Angelo Pankow

Saga

Wandelt im Licht

 

Übersezt von Angelo Pankow

 

Titel der Originalausgabe: Chodite v svete, poka est' svet

 

Originalsprache: Russisch

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1887, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788728017654

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Einleitung.

Schwer ist es, sich ein klares Bild von dem Schaffen und den Zielen eines Denkers zu geben, der eine so eigene und komplizierte Wesenheit aufweist und der während eines langen, arbeitsreichen Lebens so verschiedenartige Entwicklungsstadien durchlaufen hat, wie Tolstoi. Seine zahlreichen Werke scheinen unter sich oft so entgegengesetzte Anschauungen zu vertreten, dass sie auf den uneingeweihten Leser gar leicht verwirrend wirken können.

Will man darum zu einer gerechten Würdigung seiner Schriften gelangen und den Kernpunkt seiner Lehren erkennen, muss man Tolstoi’s Jugend- und Mannesjahre, die fast ausschliesslich dem rein dichterischen Schaffen galten und denen, neben einer beträchtlichen Anzahl kleinerer Werke, die Romane „Die Kosaken“, „Krieg und Frieden“ und „Anna Karenina“ angehören, streng unterscheiden von der Zeit seiner inneren Umwandlung, die, hervorgerufen durch die Unzufriedenheit mit seinem bisherigen inhaltslosen Dasein und durch seinen tiefinnersten Drang nach Wahrheit, ihn dazu führte, auf alles schöngeistige Wirken zu verzichten und all seine Kräfte ganz den moralphilosophischen, religiösen und sozialistischen Problemen zu widmen. Mit allen grossen Religionsstiftern und Philosophen hatte er sich innerlich auseinandergesetzt, und besonders waren es Buddha 1 ) und Schopenhauer, die nicht ohne nachhaltigen Einfluss auf ihn blieben. Grundlegend für seine Anschauungen aber wurde die unverfälschte christliche Lehre. Die ganze Hohlheit unserer heutigen Kulturwelt, die mit den Gottesgesetzen nicht mehr im Einklang steht, erkennend, trat er wie ein gewaltiger strafender Prophet auf den Plan, und so viele Mängel und Widersprüche in seinen religiösen Auslegungen auch angetroffen werden mögen, ist hier doch das eigentlich Bedeutsame seiner Lehren, die die Rückkehr zur einfachsten Lebensform, zur Befolgung des Gebotes „Bete und arbeite!“ fordern, zu erblicken.

Schrift auf Schrift von ihm erschien; genannt seien nur: „Die Kreutzersonate“, „Wovon die Menschen leben“, „Der Sinn des Lebens“, „ Die sexuelle Frage“ und „Meine Beichte“, 2 ) wo er mit erschütternder Offenheit die Geschichte seines Werdegangs und seiner inneren Umkehr schildert. Und hatte bereits der Dichter Tolstoi nicht nur in seiner Heimat, sondern auch im Auslande Anerkennung und Ruhm gefunden, so sollte nun der Denker und Philosoph bald die Beachtung der gesamten gebildeten Welt auf sich ziehen und Anlass zu erbitterten Kämpfen und Meinungsverschiedenheiten über die von ihm verkündigten Anschauungen geben.

Zu beachten ist dabei, dass Tolstoi diese seine Lehren nicht etwa als weit entrückte, noch unerfüllbare Ideale hinstellt, sondern sie bis zu einem gewissen Grade bereits verwirklicht sieht in dem unverbildeten, schlichten russischen Bauerntum, das, in der Tat von einer überaus lebensstrotzenden, noch latenten Kraft und mit dem früheren Zarismus und der Verderbnis der oberen Gesellschaftsschichten nichts gemein habend, vielleicht berufen ist, ein Volk der Zukunft zu werden. Hingewiesen sei nur auf die Gestalt des alten, etwas beschränkten Bauern Akim in des Dichters gewaltigem Drama „Die Macht der Finsternis“ und des jungen Gerassim in „Ein düsteres Geschick“, 3 ) die beide gleichsam das Vorbild darstelllen, nach dem wir unser Leben umwandeln sollen. Gross ist auch die Zahl seiner Volkserzählungen, 4 ) in denen Tolstoi immer wieder bie innere Leerheit des äusseren Scheins und des Reichtums der gottgewollten, schlichten Natürlichkeit und der glücklichen Zufriedenheit der Armen gegenüberstellt.

Wenn aber in all diesen Werken die Ideen und Anschauungen des Dichter - Philosophen nur teilweise oder von verschiedenen Gesichtspunkten aus gesehen zur Geltung kommen, so finden sie sich gleichsam in konzentrierter Form zusammengefasst in einem seiner besten späteren Werke, der hier in der Uebertragung vorliegenden Erzählung „Wandelt im Licht!“ Besonders Tolstois Auffassung vom wahren Christentum und die Grundzüge seiner Ethik, die die Errichtung des Reiches Gottes auf Erden zum Ziele haben, treten uns hier im vollen Lichte entgegen. Der Denker gelangt zu einer Verneinung der Gerichte, des Krieges, des Eides, jeglicher Gewalt und ersteht in der Befolgung des Gebotes „Widerstrebe nicht dem Uebel!“ einen der ersten Grundsätze des christlichen Lebens. Des weiteren verwirft er das Eigentumsrecht und gibt damit Veranlassung zu einem interessanten Vergleich mit Stirners „Der Einzige und sein Eigentum“. Auch die weitverbreitete Meinung, Tolstoi hasse jede Kunst, findet hier eine ebenso klare wie bestimmte Widerlegung. Ihm ist, nach seinen eigenen Worten, „die Kunst eine Tätigkeit des Menschen, die darin besteht, dass er, bewusst durch äussere Zeichen, wie Linien, Farben, Töne, Bilder den anderen die von ihm erfahrenen Gefühle mitteilt, die anderen Menschen von diesen Gefühlen angesteckt werden und sie nacherleben.“ — Also auch die Kunst ist als nichts anderes gedacht als ein Mittel zur Verwirklichung religiöser und sozialistischer Ideen. Desgleichen hat hier das sexuelle Problem eine genaue Behandlung erfahren. Während aber in der „Kreutzersonate“ der Held psychopathischer Natur ist und seine Anschauungen danach beurteilt werden müssen, zeigen sich hier die Hauptpersonen, sowohl psychisch als auch physisch, in reiner, gesunder Menschlichkeit. Damit erweist sich auch eine andere Meinung, Tolstoi bekämpfe ohne jede Einschränkung die Ehe, als irrig und durchaus unzutreffend. — Der schlichte und doch eindringliche Ton, die suggestive Wirkung, die Tolskoi stets auszuüben weiss, machen sich auch in dieser Erzählung geltend und lassen dem Leser die Gegensätze zwischen dem altchristlichen Leben und unserem heutigen Kulturdasein mit seinen Schattenseiten grell hervortreten. Die weltliche Lehre im Kampfe mit der göttlichen —: die erstere sinnbildlich vertreten von einem Arzt, die letztere von dem Wahrheitssucher Julius, der nach mancherlei. Zweifel und Leiden zur Erkenntnis sich durchringt ...

Mit kurzen Worten sei noch des äusseren Lebensganges Tolstois Erwähnung getan. Geboren am 9. September 1828 auf dem Gute Jassnaja Polna im Gouvernement Tula, genoss er seine erste Erziehung im Elternhause und kam dann, nach dem Tode seines Vaters, im Jahre 1840, nach Kasan und wurde dort zum Eintritt in die Universität vorbereitet. Anfangs waren es vornehmlich die orientalischen Sprachen, dann die Rechte, denen er sein Interesse zuwandte, bis er schliesslich seine Studien jäh abbrach und bald darauf, im Jahre 1851, zum Besuch seines Bruders nach dem Kaukasus abreiste. Hier entschloss er sich, durch das dortige Leben angeregt, bald zum Militärdienst, und nahm in der Folge mit Auszeichnung teil an dem damals ausbrechenden Krimkrieg, besonders an der Belagerung Sebastopols. All diese Erlebnisse finden wir zum grossen Teil in den Erstlingserzeugnissen seiner Muse, wie den „Sebastopoler Geschichten“ und dem Roman „Die Kosaken“, nach Turgenjews Urteil der beste Roman der damaligen Zeit, wiedergegeben. Aber trotz guter Beförderung gab Tolstoi die militärische Laufbahn bald auf, um sich von nun ab ganz dem literarischen Schaffen zu widmen. Neben ausgiebigen Reisen nach Italien und Deutschland, wobei er unter anderem genaue pädagogische Studien trieb und diese später bei der Gründung seiner Musterschule verwertete, nahm er seinen Wohnsitz abwechselnd in Moskau und Petersburg, und schliesslich, nach seiner im Jahre 1862 erfolgten Vermählung mit Sophie Behr, der Tochter eines Moskauer Arztes, ständig auf seinem Stammgute Jassnaja Poljana. Die folgenden Jahre, in denen die grossen Romane „Krieg und Frieden“ und „Anna Karenina“ entstanden, bilden den Höhepunkt seines dichterischen Schaffens. Dann trat, wie bereits eingehend erwähnt wurde, die innere Umwandlung ein, der wir all seine späteren Werke verdanken, von denen, neben den bereits früher genannten, nur noch angeführt seien: „Religion und Moral“, „Gottes Reich in Euch“, „Patriotismus und Christentum“, „Die christliche Lehre“, „Die Sklaverei unserer Zeit“ usw. Seine religiösen Anschauungen, die wir als einen idealistisch-mystischen Monismus ansehen müssen, hat er erläuternd dargelegt in seiner Uebersetzung und Auslegung der vier Evangelien Noch einmal zum dichterischen Schaffen kehrte er zurück in seinem letzten und reissten Romane „Auferstehung“, 5 ) der, von tiefstem sittlichstem Ernste getragen, ein erschütterndes, gewaltiges Seelengemälde vor uns entrollt; ferner in seinen beiden letzten Dramen „Der lebende Leichnam“ und „Das Licht scheint in der Finsternis“, sowie einer Anzahl Erzählungen, die sämtlich erst nach seinem Tode erschienen. Die letzten Lebensjahre verbrachte Tolstoi, der schon früher bie Kleidung und Gebräuche der schlichten Bauern angenommen, unverstanden von den Seinigen, in völliger Zurückgezogenheit auf seinem Gute, bis er schliesslich auf seiner bekannten Flucht in die Einsamkeit, aus Familie und Heim, die uns die ganze Tragik seines Lebens entschleierte, am 20. November 1910 auf der Eisenbahnstation Aftapowo starb, tief betrauert nicht nur von seinem Volk, das in ihm seinen grössten Vorkämpfer für Freiheit und Recht verlor, sondern auch von der gesamten gebildeten Welt, der er auch über seinen Tod hinaus ein leuchtendes Vorbild bleiben wird zu den höchsten sittlichen Idealen und reinem, unverfälschtem Menschentum.

Berlin, im Juni 1917.

Angelo Pankow.

Wandelt im Eicht!

I.

Es war zur Zeit der Regierung des römischen Kaisers Trajan, hundert Jahre nach der Geburt Christi. Damals lebten noch die Schüler der Apostel Christi, und die Christen befolgten streng die Gebote ihres Lehrers, wie in der Apostelgeschichte geschrieben steht:

„Die Menge aber der Gläubigen war ein Herz und eine Seele; auch keiner sagete von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemein.

Und mit grosser Kraft gaben die Apostel Zeugnis von der Auferstehung des Herrn Jesu, und war grosse Gnade bei ihnen allen.

Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel halte; denn wie viel ihrer waren, die da Aecker oder Häuser hatten, verkauften sie dieselben, und brachten das Geld des verkauften Guts,

Und legten’s zu der Apostel Füssen; und man gab einem jeglichen, was ihm not war.“ — (Apost. 4, 32—35.)

Zu jener ersten Zeit lebte in der Landschaft Cilicien, in der Stadt Tarsus, ein reicher syrischer Kaufmann, Juvenalis, der sich mit dem Handel von Edelsteinen befassie. Er stammte von einfachen, armen Eltern, hatte sich aber durch Fleiss und Kunstfertigkeit in seinem Fach einen ansehnlichen Reichtum und die Achtung seiner Mitbürger erworben. Er hatte viele fremde Länder bereist und hatte, obwohl er kein Gelehrter war, doch vielerlei erfahren und gelernt, und die Leute der Stadt schätzten ihn hoch wegen seines Verstandes und seines rechtlichen Sinnes. Er bekannte sich zu jenem römisch-heidnischen Glauben, dem auch alle angesehenen Leute des römischen Kaiserreiches anhingen. Auf die Erfüllung der Gebote dieses Glaubens wurde zur Zeit des Kaisers Augustus streng geachtet, und auch der gegenwärtige Kaiser Trajan war diesem Glauben streng ergeben.

Die Landschaft Cilicien liegt weit entfernt von Rom, wurde aber dessen ungeachtet von einem römischen Statthalter verwaltet. Alles, was in Rom vorging, fand einen Widerhall auch in Cilicien, und die Statthalter waren bestrebt, es ihrem Kaiser gleichzutun.

Juvenalis konnte sich noch der Erzählungen aus seiner Kindheit vom Leben des Kaisers Nero in Rom erinnern. Später hatte er dann gesehen, wie ein Sturz des Kaisers dem andern folgte, und als verständiger Mensch begriff er, dass der römischen Religion nichts Helliges anhaftete, dass vielmehr alles das Werk menschlicher Hände war. Die Unvernunft und die Unordnung des gesamten öffentlichen Lebens, vor allen aber in dem, was in Rom geschah, wo er bisweilen seiner Geschäfte halber zu sein pflegte, rief oft seinen ganzen Unwillen hervor. Zweifel regten sich in ihm; er konnte dies alles nicht begreifen, schrieb es jedoch seinem Mangel an Bildung zu.

Er war derheiratet und besass vier Kinder, von denen aber drei mit jungen Jahren gestorben waren; nur ein einziger Sohn, mit Namen Julius, war ihm geblieben.

Diesem einen Sohne Julius Juvenalis galt seine ganze Liebe und seine ganze Sorge. Vor allem wollte Juvenalis seinen Sohn Julius so erziehen, dass ihm jene Zweifel über das Leben fern blieben, die ihn selbst so schwer bedrängten und peinigten.

Als Julius fünfzehn Jahre zählte, gab ihn sein Vater zur Erziehung einem Philosophen, der sich in ihrer Stadt niedergelassen halte und Jünglinge zum Unterricht aufnahm. Der Vater gab ihn dem Philosophen zusammen mit seinem Kameraden Pamphilius, dem Sohne eines freigelassenen Sklaven Juvenalis‘, der verstorben war. Die Jünglinge standen in gleichem Alter; beide waren schön und wohlgestaltet, und innige Freundschaft verband sie.

Beide Jünglinge lagen fleissig ihrem Studium ob, und beide waren von guter Gemütsart. Julius tat sich mehr im Studium der Dichter und Mathematiker hervor, während Pamphilius das Studium der Philosophie bevorzugte.

Ein Jahr vor Beendigung ihrer Studien teilte Pamphillus dem Lehrer mit, dass seine verwitwete Mutter nach der Stadt Daphne überzusiedeln gedenke und dass er deshalb genötigt sei, das Studium aufzugeben. Der Lehrer beklagte den Verlust des Schülers, der ihm Ehre gemacht; auch Juvenalis tat es leid, aber mehr als alle war Julius darüber betrübt. Trotz aller Bitten und Vorstellungen, zu bleiben und das Studium fortzusetzen, blieb Pamphilius unbeugsam; und nachdem er seinen Freunden für ihre Liebe zu ihm und ihre Sorge um ihn gedankt hatte, trennte er sich von ihnen.

Es vergingen zwei Jahre. Julius hatte seine Studien beendigt und hatte während dieser ganzen Zeit seinen Freund nicht einmal gesehen.