Was das Herz sich wünscht - Eli Easton - E-Book
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Was das Herz sich wünscht E-Book

Eli Easton

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Beschreibung

Alle in Clyde's Corner, Montana, wissen, dass Chris Ramsey vorhat, die Erbin der reichsten Ranch der Gegend zu heiraten. Allerdings ist Mabe Crassen nicht allzu begeistert von der Idee, will sie die Ranch doch selbst in die Finger bekommen. Also setzt sie ihren Sohn Jeremy darauf an, Chris von seinem Vorhaben abzubringen. Jeremy hält nicht viel vom Plan seiner Mutter, aber wenn er aufs College gehen will, braucht er ihre Unterstützung – die sie ihm natürlich nur gewährt, wenn er Chris verführt. Was für einen schüchternen Mann wie Jeremy gar nicht so einfach ist, denn Chris ist fest davon überzeugt, mit der Hochzeit das Richtige zu tun. Hat Jeremy gegen eine Frau überhaupt eine Chance? Band 3 der BELOVED-Romantikreihe. Buch ist in sich abgeschlossen.

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Seitenzahl: 348

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Deutsche Erstausgabe (ePub) Januar 2017

Für die Originalausgabe:

© 2016 by Eli Easton

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Stolen Suitor«

Originalverlag:

Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2017 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

beloved ist ein Imprint des Cursed Verlags

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

ISBN ePub: 978-3-95823-625-7

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

Aus dem Englischen von Vanessa Tockner

Liebe Leserin, lieber Leser,

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem die Autorin des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

Klappentext:

Alle in Clyde’s Corner, Montana, wissen, dass Chris Ramsey vorhat, die Erbin der reichsten Ranch der Gegend zu heiraten. Allerdings ist Mabe Crassen nicht allzu begeistert von der Idee, will sie die Ranch doch selbst in die Finger bekommen. Also setzt sie ihren Sohn Jeremy darauf an, Chris von seinem Vorhaben abzubringen.

Jeremy hält nicht viel vom Plan seiner Mutter, aber wenn er aufs College gehen will, braucht er ihre Unterstützung – die sie ihm natürlich nur gewährt, wenn er Chris verführt. Was für einen schüchternen Mann wie Jeremy gar nicht so einfach ist, denn Chris ist fest davon überzeugt, mit der Hochzeit das Richtige zu tun. Hat Jeremy gegen eine Frau überhaupt eine Chance?

Danke an meine Schreibfreunde, die mir helfen, motiviert zu bleiben. Mein besonderer Dank gilt Jamie Fessenden, Kim Fielding, RJ Scott und Shira Anthony.

Danksagung

Danke an meine Betaleser Kate Rothwell, RJ Scott, Veronica Harrison, Jamie Fessenden, Nico Sels und Karen Ostrowski.

Sowohl A Prairie Dog's Love Song als auch Was das Herz sich wünscht wurden von einer meiner Lieblingsautorinnen im Genre Romance, Pamela Morsi, und ihrer Serie Marrying Stone sowie von dem Radioprogramm A Prairie Home Companion inspiriert. Clyde's Corner, Montana, gibt es nicht, aber hoffen wir, dass ähnliche Orte sehr wohl existieren.

Anmerkung der Autorin

Obwohl Was das Herz sich wünscht genau genommen nicht Teil einer Serie ist, spielt der Roman in derselben Stadt (Clyde's Corner, Montana) wie A Prairie Dog’s Love Song, meine Weihnachtsnovelle von 2013. Wenn ihr Bens und Joshuas Geschichte lesen wollt, findet ihr sie dort.

Kapitel 1

Mabeline Crassen hatte endgültig die Grenze zum Wahnsinn überschritten. So viel war klar.

»Was?«, fragte Eric gedehnt.

»Wie ich gerade sagte«, begann Mabe in geschäftsmäßigem Ton, »du, Eric Crassen, wirst dich zusammenreiß'n, mit dem Trink'n und Rauch'n und Zech'n aufhören und Trix Stubben dazu bringen, dich zu heirat'n. Und du, Jeremy, wirst Chris Ramsey verführ'n.«

In der Hölle musste es ziehen, denn ein solcher Luftzug wehte gerade über Jeremy hinweg. Sein Nacken kribbelte selbst unter seinen langen Haaren vor Hitze.

»Was?«, wiederholte Eric.

Jeremy jedoch gab endlich den fehlenden Hinweis, der die Ankündigung seiner Mutter erklärte. »Es geht um die Big Basin Ranch! Fuck, Ma, das wird niemals...«

»Du benutzt dieses Wort nicht in diesem Haus!«, schimpfte Mabe.

»Gut«, knirschte Jeremy. »Mensch, Ma, das wird niemals funktionieren.«

»Warum muss ich mit Feiern aufhör'n?«, maulte Eric. Wie üblich hinkte er dem Gespräch Meilen hinterher und hatte es nicht eilig aufzuholen.

»Und was... was soll das mit Chris Ramsey?« Jeremy schnaufte, als wäre das alles lächerlich, als hätten sich seine Innereien nicht gerade in Chilipulver verwandelt. Konnte seine Mutter wirklich ernst meinen, was sie gerade gesagt hatte? Dass er einen Mann verführen sollte? Wenn ja, brauchte er einen großen Aufkleber mit der Aufschrift Ironie, den er sich für den Rest des Tages auf die Stirn kleben konnte.

Mabe antwortete nicht sofort, aber ihr Gesichtsausdruck war geradezu selbstgefällig. Worum es auch immer bei ihrem kleinen Plan ging, er war definitiv mehr als nur eine Laune. Und das machte Jeremy ziemlich nervös.

»Ich glaub, ich muss noch deutlicher werd'n. Ihr wisst ja, dass John Stubben letzten Sommer tragisch ums Leben gekommen ist...« Mabe sah tatsächlich traurig aus. Es hatte die ganze Nachbarschaft erschüttert. John war so jung und aufrichtig wie wenige andere gewesen, seine Zukunft so vielversprechend.

Genauer gesagt, er war nicht mal ansatzweise wie die Crassens gewesen.

»Jedenfalls sind Trixie, seine Witwe, und Janie, ihre kleine Tochter, jetzt ganz allein. Und ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass Billy Stubben vorhat, die Big Basin Ranch Trix und Janie zu vererben. Er glaubt, John hätte es so gewollt.«

»Klingt vernünftig.« Jeremy zuckte mit den Schultern. »Aber das geht nur die Stubbens etwas an.«

»Unsinn! Trixie Stubben wird wieder heiraten. Sie ist ja jung und hübsch auch. Also warum sollte sie nicht Eric heiraten? Es gibt keinen einzigen Grund, warum sie es nicht tun sollte!«

Jeremy sah zu seinem älteren Bruder Eric hinüber. Er wusste ein Dutzend Gründe, warum das nie funktionieren würde. Trix war in der Schule drei Jahre über Jeremy gewesen, aber soweit er wusste, war sie intelligent und bodenständig, arbeitete hart und übernahm Verantwortung. Sie war eine gute Frau und stammte aus einer angesehenen Ranch-Familie. Verdammt, sie war Homecoming-Queen gewesen. Jeremy liebte seinen Bruder, aber er verstand auch, warum jede Frau mit nur einem Fünkchen Verstand einen weiten, weiten Bogen um Eric machen würde.

»Ma, Trix Stubben spielt nicht mal in Erics Liga«, erklärte Jeremy geduldig. »Ist nicht böse gemeint, Eric.«

Eric richtete sich aus seiner typischen krummen Haltung auf. »Jer hat recht, Ma. Eine Frau wie sie würd' nie auf 'nen Typen wie mich anspringen. Alles, was ich hab, is' mein Aussehen, und Trix is' nich' so. Außerdem hab ich eine Freundin.«

Mabe wedelte abfällig mit der Hand. »Alle Frauen sind so. Jetzt hör mal gut zu, Eric Crassen. Mit deinem Ausseh'n könntest du eine Schlange aus ihrer eigenen Haut rauslock'n, und es wird Zeit, dass du deine von Gott gegebenen Gaben nutzt, um es im Leben zu was zu bring'n. Das gute Aussehen bleibt nich' für immer! Du tust ab jetzt so, als hätt'st du dich geändert. Kein Alkohol mehr. Nicht mehr jede Woche ein neues Mädel auf deinem Schoß. Und red kein' Mist von einer Freundin. Diese Darla, oder wie sie heißt, hält nicht länger als ein Niesen, genau wie alle deine Freundinnen.«

»Aber Ma...«, begann Eric.

»Ruhe! Du besorgst dir einen Job. Lässt dich ordentlich und nüchtern im Ort blicken. Wenn du das machst und nett zu Trix Stubben bist, wird sie dir verfall'n wie ein toter Baum nach 'nem Tritt von 'nem Maultier.«

Eric presste zweifelnd die Lippen zusammen.

»Liebling, ich verlang ja nich', dass du das ewig machst.« Mabe sprach nun sanfter und tätschelte Erics Hand. »Verstell dich nur ein paar Monate lang. Sobald ihr verheiratet seid, kannst du wieder normal sein.«

»Oh, wie schön.« Jeremy schnaubte. Er konnte sich gut vorstellen, wie die vernünftige Trix Stubben seinen ungehobelten, betrunkenen Bruder am Hals hatte. In seiner Vorstellung formte sich ein Bild: Trix, gekleidet wie eine echte Frau der Prärie mit einem Bonnet, stand auf der Veranda von Big Basin und hatte in dramatischer Geste einen Arm erhoben, während sie nach ihrem fehlgeleiteten Ehemann Ausschau hielt und im Hintergrund die dunklen Wolken eines Sturms aufzogen... Er kicherte.

Eric verpasste ihm einen Schlag auf den Hinterkopf und warf ihm einen Blick zu.

»Dein hochnäsiges Gehabe wird hier nicht geduldet, Jeremy Monroe Crassen!«, sagte Mabe.

Jeremy hob die Hände. »Keine Sorge. Ich halte mich raus.« Sich herauszuhalten, war das, was er am besten konnte. Außerdem glaubte er nicht eine Minute daran, dass Eric es wirklich schaffen würde, Trix Stubben zu verführen.

»Oh nein, du wirst dich nicht raushalten.« Ein böser Glanz trat in Mabes Augen. »Wir brauchen dich, damit es funktioniert! Ich bin nicht die einzige Person in diesem Ort mit Augen im Kopf. Der alte Berk Ramsey lässt schon seinen Sohn Chris um Trix herumscharwenzeln. Trix wird sicher keinen Ramsey heirat'n! Nicht solang' ich zwei gut aussehende Söhne hab!«

Jeremy betrachtete das Gesicht seiner Mutter und versuchte herauszufinden, woher das alles auf einmal kam. Sie war stolz und hatte nie in ihrem Leben irgendwelche Almosen angenommen. Und jetzt wollte sie eine der schönsten Ranches der Gegend? Es ergab keinen Sinn. Sie musste ihnen etwas verschweigen. Vielleicht wollte sie nur, dass Eric sich zusammenriss, und gab ihm den nötigen Ansporn dazu.

»Also, dieser Chris sieht ja nich' schlecht aus, obwohl er nichts gegen Eric is'«, fuhr Mabe fort. »Aber er hat einen Uniabschluss als Vorteil und den Ramseys gehört der Merc. Also müss'n wir Chris ausm Weg schaffen. Zum Glück«, sie machte eine dramatische Pause, »ist Chris, wie ich durchaus glaub, stockschwul. Und du, Jeremy, wirst das beweis'n. Du wirst den Mann verführ'n und jedem hier zeigen, von welchem Ufer der kommt.«

»Was?« Jeremy sprang von seinem Stuhl auf, wobei er fast den Küchentisch umstieß. »Das... Das ist Irrsinn!«

»Oh nein, is' es nich'«, sagte Mabe sehr gelassen. Sie nahm ihre Kaffeetasse und trank anmutig.

»Mann, ich dachte, ich hätt Probleme!« Eric wieherte vor Lachen. »Ein Glück, dass ich nicht du bin!«

Jeremy gab Erics Stuhl einen brüderlichen Tritt. »Erstens, Ma, wie kommst du darauf, dass Chris Ramsey schwul ist? Du hast gerade gesagt, er trifft sich mit Trix.«

Mabe verzog verächtlich das Gesicht. »Jeder weiß, dass Schwule heiraten können und es auch tun. Wisst ihr noch, wie Gibbon Adams sich immer wie die Cowboyversion von diesem Liberace angezogen hat? Es hieß, er hatte sogar Pailletten auf seinem Nachthemd. Seine Olle hat's trotzdem geschafft, sechs Kinder zu kriegen. Wie man so schön sagt: Bei Nacht sind alle Katzen grau.«

»Oh mein Gott«, stöhnte Jeremy, während er sich die Handballen auf die Augen presste. Er konnte nicht glauben, dass seine Mutter tatsächlich eine Philosophie über schwule Männer hatte. Eine, in der es um Sex... und Dunkelheit... und Pailletten ging. Er fühlte sich schmutzig.

»Wie auch immer, dieser Chris war immer ordentlicher als alle Mädels, die ich kenn«, fuhr Mabe aufgeregt fort. »Seine Zähne sin' so weiß, die blenden einen richtig. Das is' doch nich' normal.«

»Ma, nur weil er auf sein Aussehen achtet, ist Chris lange noch nicht schwul«, sagte Jeremy verzweifelt. »Aber auch wenn er es wäre, könnte ich niemals Chris Ramsey verführen.«

Sie lehnte sich eifrig vor. »Natürlich kannst du! Du siehst vielleicht nich' so gut aus wie Eric, aber wenn du diese verdammten Haare aus deinem Gesicht nimmst, bist du ganz hübsch.« Leicht belustigt sah sie Jeremy an. Er hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte. Sie hatte definitiv etwas vor. Und es ging ihr nicht um die Big Basin Ranch.

»Ma«, sagte Eric ruhig. »Jeremy is' zu schüchtern, das weißt du.«

Sie winkte nur ab. »Jer, du bist derjenige, der den ganzen Verstand abbekomm'n hat.« Sie deutete zwischen Jeremy und Eric hin und her. »Ich weiß, dass du es schaffen kannst, wenn du es versuchst. Tu einfach so, als wärst du ein – wie nennst du die noch mal? – Charakter in einer dieser Geschichten, an denen du immer herumkritzelst. Verstell dich. Nimm die Haare zurück und zeig ihm dein süßes Lächeln, dann wirst du keine Probleme haben.«

Verlegen strich sich Jeremy die langen Strähnen hinter die Ohren, obwohl er sich lieber weiterhin dahinter versteckt hätte. Er tauschte einen Blick mit Eric. Großer Gott, Eric, wie kommen wir da wieder raus?

Mabe warf ihnen über den Tisch hinweg einen entschlossenen Blick zu. »Jetzt hört zu. Wir machen das zusammen, als Familie, und wir werden es schaffen. Eric, du wirst es nie zu viel bringen, also brauchst du eine fleißige Frau, die sich um dich kümmert. Und ich kann nich' ewig für andere putzen und waschen. Ihr wisst doch, dass wir nichts auf der hohen Kante hab'n. Und du, Jeremy, du willst doch aufs College, oder? Wenn du deinem Bruder hilfst, mit Trix Stubben zusammenzukommen, brauchst du uns nich' mehr finanziell unterstützen.«

Dann lächelte sie ihn an, als wüsste sie, dass sie gewonnen hatte. Und verdammt noch mal, sie hatte ihn mit Haut und Haaren in der Tasche. Jeremy fühlte, wie etwas in ihm nachgab, nur ein wenig.

Er sagte nicht, dass er es machen würde, nicht einmal im Stillen zu sich selbst. Aber vielleicht, nur vielleicht konnte er sich Chris Ramsey zumindest einmal genauer ansehen.

Nachdem seine Mutter ihm ihren verrückten Plan eröffnet hatte, musste Jeremy aus dem Haus kommen, weswegen er früher zu Nora's ging. Er setzte sich in seine Lieblingsecke, an den kleinen Tisch im hinteren Bereich, den die Mitarbeiter nutzten, wenn sie Zeit hatten.

Nora brachte ihm Kaffee und ein Stück Blaubeerkuchen. »Du bist ja früh hier, Hübscher«, kommentierte sie und hob eine Augenbraue.

»Ma«, sagte Jeremy, was Erklärung genug für Nora war.

»Willst du darüber reden?«

»Auf keinen Fall.«

Nora lächelte. »Alles klar, Süßer. Ich bin da, wenn du's dir anders überlegst.«

Sie ging wieder, um die Gäste zu versorgen, was sie mehr oder weniger im Alleingang schaffte, bis Francie um drei kam, wenn die Schule aus war.

Nora war für Jeremy das Beste an der Arbeit im Diner. Er hatte verdammtes Glück, dass sie ihm eine Chance gegeben hatte. Als der dritte männliche Crassen im Ort war Jeremy bereits abgeschrieben geworden, bevor er es überhaupt versucht hatte.

Beim Fleischverpackungsbetrieb zum Beispiel. Das war der größte Arbeitgeber in der Gegend, der keinen Universitätsabschluss verlangte. Aber nachdem ihm sowohl sein Vater als auch Eric abgesprungen war, warf er einen Blick auf Jeremys Namen und erteilte ihm eine höfliche Absage.

Nicht dass Jeremy unbedingt in der Fleischverpackung arbeiten wollte. Tatsächlich war ihm schon der Gedanke zuwider und er war sich sicher, dass er die Arbeit dort genauso hassen würde wie sein Vater und sein Bruder. Aber es wäre der bestbezahlte Job im Ort gewesen und er musste so viel Geld wie möglich verdienen, wenn er seine Ma unterstützen und noch dazu für das Studium sparen wollte.

Stattdessen hatte Nora ihn angestellt. Während der Highschool hatte er als Aushilfe und Tellerwäscher, ab und zu sogar als Kellner gearbeitet. Als Nora von der Absage der Fleischverpackung gehört hatte, hatte sie ihn gefragt, ob er nicht als Koch für Schnellgerichte anfangen wollte. Eduardo wurde nicht jünger und wollte keine langen Schichten mehr übernehmen. Also hatte sich Jeremy von Eduardo ausbilden lassen; jetzt übernahm Eduardo die Frühschicht und Jeremy stand von eins bis zum Geschäftsschluss um acht in der Küche.

Jeremy träumte nicht unbedingt davon, Koch zu werden, auch hatte er kein besonderes Talent dafür. Aber die Gerichte im Diner waren alles andere als ausgefallen und an den meisten Tagen gab es genug zu tun, um ihn beschäftigt zu halten. Und wenn es mal ruhiger war, konnte er sich nebenbei beim Burgerbraten Plots und Szenen und Charaktere ausdenken. Das gefiel ihm.

Als er Noras wunderbaren Blaubeerkuchen genoss, dachte er jedoch nicht an seine Geschichten. Er dachte an seine Mutter und Chris Ramsey.

Er dachte an die Tatsache, dass er, Jeremy, schwul war, obwohl kein einziger Mensch in Clyde's Corner davon wusste. Es konnte nur reiner Zufall sein, dass seine Mutter auf diese Idee gekommen war. Oder? Sie ahnte nichts. Niemand ahnte etwas.

Schließlich schenkte niemand Jeremy Crassen besonders viel Aufmerksamkeit.

Konnte er es schaffen? Konnte er Chris Ramsey verführen?

Es war eine blöde Idee. Gott, Jeremy war noch Jungfrau. Er kannte keine anderen schwulen Männer im Ort – na ja, keine, die nicht schon vergeben waren, wie Joshua und Ben. Und er war nie mutig oder verzweifelt genug gewesen, um sich tatsächlich online zu verabreden. Außerdem war er der Typ, der lieber für sich blieb. Noch dazu war er ein schlecht bezahlter Koch für Schnellgerichte und ein Crassen – wer würde sich schon für ihn interessieren? Und außerdem, vielleicht war Chris Ramsey nicht einmal schwul. Als könnte seine Mutter ihm das ansehen.

Chris war in Trixies und Johns Jahrgang gewesen. Sie waren im letzten Jahr gewesen, als Jeremy an die Highschool von Clyde's Corner gekommen war. Jeremy erinnerte sich, dass Chris sehr gut ausgesehen hatte, mit dunklem Haar und schlanker Figur, immer elegant und gut gekleidet, und beliebt war er auch gewesen. Verglichen mit Jeremy, der in diesem Alter – zur Hölle, in jedem Alter – ein Einzelgänger gewesen war, hätte er genauso gut ein Gott sein können. Nicht einmal sein großer Bruder hatte Jeremy Gesellschaft leisten können. Eric hatte seinen Abschluss in dem Jahr gemacht, bevor Jeremy an die Highschool gekommen war.

Jeremy erinnerte sich, dass Chris mit John Stubben befreundet gewesen war. John und Trix waren das Vorzeigepärchen gewesen, zwei der Kuhkids – der Ranch-Kinder. Chris' Vater war jedoch kein Rancher. Nein, Berk Ramsey gehörte der größte Laden im Ort, der Merc, was bedeutete, dass die Ramseys wohlhabend waren.

Jeremy hatte nie das Gefühl gehabt, dass Chris schwul war, andererseits war es ja nicht so, als hätten sie je miteinander geredet. Oder als wüsste Chris, dass Jeremy existierte.

Tu einfach so, als wärst du ein Charakter in einer dieser Geschichten, an denen du immer herumkritzelst.

Konnte er das? Wenn Jeremy es sich aussuchen könnte, würde er Gary Prince sein, ein umwerfender, geselliger, blonder Typ aus seinem ersten Roman, einem Roman, der inzwischen für die Termiten in der untersten Schublade seines Schreibtisches lag. Gary war nach dem Vorbild von Ben Rivers entstanden. Er war ein Cowboy, ganz Mann, selbstbewusst und verwegen. Gary Prince war heiß.

Er stellte sich vor, wie Gary Prince in Stiefeln und Cowboyhut mit einem Tausend-Watt-Lächeln in den Lebensmittelladen stolzierte und Chris die Hände auf den Nacken legte. Sie würden ein paar schlurfende Schritte machen, wie in Brokeback Mountain. Dann würde Gary Chris so heftig küssen, dass dieser rücklings am Kassentisch lag.

Jeremy berührte seine eigenen Lippen. Wie würde es sich anfühlen, einen Mann zu küssen? Seine einzige Erfahrung war ein bisschen Knutschen mit Mary Lou Hengler auf einer Party des Abschlussjahrgangs gewesen. Er hatte die Augen geschlossen und so getan, als wäre sie ein Mann, aber ihr Lippenstift hatte scheußlich geschmeckt und ihre Brüste hatten sich geweigert, seine Privatsphäre anzuerkennen.

Nora kam herüber, um seine Tasse nachzufüllen, und Jeremy schenkte ihr ein Gary-Prince-Lächeln.

»Danke, Darling. Du siehst heut aber besonders gut aus!«

Nora sah ihn an, als wäre er verrückt geworden. »Was hast du denn geraucht? Egal. Was es auch immer is', es gefällt mir.«

»Bin nur bezaubert von deiner natürlichen Schönheit.«

Noras Augen waren übertrieben geweitet. »Ach ja? Na, dieser neue violette Kittel macht schon was her, wenn ich das so sag'n darf. Du hast noch eine Stunde bis zu deinem Schichtbeginn. Wollen wir zusammen zu Mittag essen? Dann kannst du mir noch paar Komplimente mach'n.«

»Nein. Ich hab darüber nachgedacht, mal zum Merc runterzugehen.«

»Aha? Brauchst du irgendwas?«

»Noch nicht. Will nur mal die Lage checken«, sagte Jeremy ernst. Mit den Fingern glättete er seine langen Strähnen und strich sie sich hinter die Ohren. Er fuhr sich über das Gesicht, um die letzten Kuchenkrümel zu erwischen, und sah fragend zu Nora auf. »Passt?«

Nora nahm sein Kinn sanft zwischen die Finger und ihr Blick wurde weich. »Süßer, du bist bildhübsch. Sag ich das nich' immer? Wer ist denn die Glückliche – endlich mal?«

Gary Prince zwinkerte Nora zu und glitt vom Stuhl, ohne zu antworten. Hinter der Maske zitterte Jeremy in seinen Stiefeln.

Kapitel 2

Chris war gerade dabei, eine Glühbirne in der Lichterkette über der Kaffeestation auszuwechseln, als Jeremy Crassen in den Merc stolzierte.

Der Merc, die Abkürzung für Mercantile, war die beste Anlaufstelle für Lebensmittel im Ort. Verglichen mit den riesigen Kaufhausketten in der Stadt war der Laden zwar klein, aber für Clyde's Corner reichte es. Abgesehen von Lebensmitteln führten sie Bier, Wein, Spirituosen und eine kleine Auswahl an Kleidung, die die arbeitenden Männer und Frauen aus Montana gebrauchen konnten. Und sie befanden sich auf der Westerny Main Street, genau in der Mitte der malerischen Altstadt von Clyde's Corner. Daher sahen die Leute, die im Laden arbeiteten, regelmäßig so ziemlich jeden aus dem Ort und die meisten Touristen noch dazu.

Mit Ausnahme von Jeremy Crassen. Chris warf ihm einen zweiten, abschätzenden Blick zu. Er konnte sich nicht erinnern, Jeremy jemals wieder im Merc gesehen zu haben, seit er als Kind Süßigkeiten oder Lollipops für einen Penny gekauft hatte. Trotzdem wusste Chris sofort, wer er war.

Dieses volle, glänzende, verboten glatte, rotbraune Haar konnte nur zu einem Crassen gehören. Und Chris kannte Eric Crassen ziemlich gut. Er kam oft vorbei, um Bier und Snacks zu kaufen. Eric war immer noch genauso groß, schön und nutzlos wie in seiner Schulzeit. Also musste das hier Jeremy sein, Erics kleiner Bruder. Als Chris ihn zum letzten Mal gesehen hatte, war Jeremy fünfzehn gewesen – hatte nur aus Ellbogen, Knie und diesem großen rotbraunen Haarschopf bestanden. Chris erinnerte sich an die langen Strähnen, die Jeremys Gesicht wie zottiges Hundefell verdeckt hatten, als wollte der Junge sich verstecken.

Nun. Heute versteckte Jeremy sich nicht. Er trug das mahagonifarbene Haar offen, gerade geschnitten und weit über die Schultern hinaus. Die vorderen Strähnen waren ordentlich hinter die Ohren gestrichen und zeigten damit ein Gesicht, bei dem Chris sich fragte, warum er es überhaupt versteckt hatte. Er hatte hohe, markante Wangenknochen und weiche Gesichtszüge. Er sah nicht so ungehobelt gut aus wie Eric. Man musste sich die Zeit nehmen, Jeremy genauer zu betrachten, um sein gutes Aussehen zu erkennen. Er wirkte eleganter, zerbrechlicher, eher wie Porzellan als Ton.

Verflucht. Chris hatte sich in letzter Zeit zu viele Kataloge für Essgeschirr angesehen. Und das erinnerte ihn daran, dass er in dieser Woche noch die Tassen für Touristen bestellen musste.

Jeremy blickte zu Chris hinüber und Chris sah hastig auf die Glühbirne und das Kabel in seinen Händen. Er wechselte zwei fragwürdige Birnen aus, bevor er wieder einen Blick wagte.

Jeremy stand vor dem Kühlschrank mit den Getränken, hatte die Tür geöffnet und prüfte den Inhalt.

Er war auch in seine Proportionen hineingewachsen, wie Chris bemerkte. Er trug eine abgewetzte Lederjacke und Jeans. Er war groß und seine Hüften – die unter seiner Jacke zu sehen waren, da er sich mit einem Arm an der Tür des Kühlschranks abstützte – waren schmal, aber mit einem festen, runden...

Jeremy drehte den Kopf und sah Chris direkt an.

Chris verschluckte sich an seiner Spucke und hustete wie ein Idiot. Hastig wandte er sich wieder seinen Glühbirnen und dem Kabel zu. Scheiße! Dabei erwischt zu werden, wie er Jeremy Crassens Hintern abcheckte... Auch Jeremy war die Erkenntnis ins Gesicht geschrieben. Mistkerl. Schließlich war er ein Crassen und daher zweifellos dumm und gemein.

Mit einem selbstverachtenden Schnauben steckte Chris die Lichterkette an und war nicht überrascht, als die Hälfte der Birnen immer noch nicht funktionierte. Er würde sich später darum kümmern. Vorerst stopfte er das Werkzeug unten in den Geschirrschrank, um es los zu sein, und ging in Richtung Lagerraum. Er würde Minola dazu bringen, nach vorne zu kommen und Jeremy an der Kasse zu bedienen. Er würde nicht...

»Hey.« Eine Männerstimme, tief und ruhig, erklang in seiner Nähe und ließ sich nicht ignorieren.

Chris drehte sich um und entdeckte Jeremy nur wenige Meter entfernt. »Oh, hallo. Wie kann ich dir helfen?«, fragte Chris steif und runzelte ein wenig die Stirn, damit Jeremy wusste, dass er sich nichts gefallen lassen würde.

Jeremys Augen waren groß und unschuldig. »Ich hab nur die Sahne gesucht, aber sag mal, bist du Chris? Ich habe gehört, dass du wieder in der Gegend bist.« Jeremy lächelte freundlich.

»Oh, ja, hey, äh...«

»Jeremy Crassen.« Jeremy streckte die Hand aus und Chris schüttelte sie zögernd. »Ich nehm es dir nicht übel, dass du dich nicht an mich erinnerst. Ich war in der Schule ein paar Jahre unter dir.«

»Ach, stimmt, jetzt weiß ich es wieder.« Jeremy war so freundlich zu ihm, es wäre gemein, weiterhin so zu tun, als würde er ihn nicht erkennen. »Du bist Erics kleiner Bruder. Wie geht es dir?«

»Super«, sagte Jeremy mit einem weiteren bezaubernden Lächeln. »Und was ist mit dir? Bleibst du länger hier in der Gegend? Und übernimmst den Merc von deinem Vater?«

Die Frage war berechtigt. Jeremy konnte nichts dafür, wenn Chris noch nicht ganz bereit für diese Verantwortung war.

»Na ja, zumindest mache ich das für die nächste Zeit. Mein Dad hatte eine OP am Knie, deshalb helfe ich meinen Eltern ein bisschen. Hey, ich zeig dir, wo du die Sahne findest.« Chris marschierte hinüber zum Kühlregal und öffnete die Tür, während Jeremy ihm folgte. »Wir haben normale Sahne, Bio, Halbfett und, äh, h-ha...«

Seine Zunge stockte, als er den Kopf drehte und mit Haut und Haar in Jeremys Augen versank.

Heilige Scheiße.

Eric war bekannt für seine blauen Augen. Der Macho hatte tatsächlich ein Grübchen im Kinn und seine Augen besaßen die Farbe eines tiefblauen Himmels, wie bei einem Disney-Helden. Die Frauen waren verrückt nach seinen Augen. Eric war in der Schule ein Jahr über Chris gewesen und auch Chris war auf dem Höhepunkt seiner hormongetriebenen Jugend nicht immun dagegen gewesen.

Jeremys Augen waren ganz anders. Sie waren goldbraun mit einem rötlichen Rand, ein paar Nuancen heller als sein Haar, und leuchteten im Licht des Kühlschranks zehnmal so stark. Chris schluckte.

»Bist du sicher, dass ihr keine andere Sahne mehr habt? Vielleicht im Lager?« Jeremys Worte waren glatt wie Seide. Sein Blick sank auf Chris' Lippen, dann auf seinen Schritt hinab.

Chris fühlte, wie sein Gesicht heiß wurde, und im selben Moment begann sein Penis anzuschwellen. Sein verdammtes Blut riss ihn mit sich.

Jeremy sah wieder auf, sein Gesichtsausdruck neutral, als hätte er nicht gerade... Hatte er?

»Tut mir leid, ich war auf dem Weg nach hinten«, sagte Chris schnell. »Arbeit. Muss was erledigen. Entschuldige. Wenn du noch Fragen hast, wende dich an Minola.« Chris nickte ruckartig mit dem Kopf und floh.

»Kannst du eine Weile den Laden übernehmen?«, bat Chris Minola. Sie war gerade dabei, Waren auszupacken und ins Lager einzusortieren – eine nie endende Aufgabe, die er ihr vor einer halben Stunde zugewiesen hatte.

»Klar«, sagte sie freundlich. Minola, in den Vierzigern und ledig, tat gerne alles, was von ihr verlangt wurde, solange Dienstzeit war. Sie wischte sich die Hände ab und ging nach vorne.

Chris betrat das kleine Büro, das in seiner Kindheit das Heiligtum seines Vaters gewesen war und jetzt, zumindest zeitweise, sein Reich. Er zog die Tür hinter sich zu, schloss sie noch dazu ab und ließ sich in den uralten Rollsessel hinter dem Schreibtisch sinken.

Er fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht. Was war das?

Er tadelte sich selbst. Das war er, wenn er sich von einem gut aussehenden Mann angezogen fühlte. Er hatte sich selbst geschworen, es nicht zuzulassen. Nicht hier in Clyde's Corner und besonders nicht jetzt. Genauer gesagt, wenn seine Zukunft sich so entwickelte wie geplant, nie wieder.

Chris machte sich nichts vor. Was seine Bisexualität betraf, wusste er, dass seine Neigung eher zu achtzig zu zwanzig tendierte. In der Highschool war er mit ein paar Mädchen ausgegangen und hatte Sex mit ihnen gehabt. Er war dem zwar nicht abgeneigt gewesen oder hatte sich davor geekelt, aber es konnte einfach nicht mit dem Adrenalinrausch mithalten, den er bei Männern bekam, mit dem reinen physisch-hormonellen Trieb, mit dem er geboren worden war.

Aber letztendlich war Sex nur Sex. Jeder musste irgendwann erwachsen werden und eine langfristige Perspektive annehmen. Er hatte im College sein Pensum an Männern erfüllt. Er hatte Dutzende One-Night-Stands gehabt und sogar eine schreckliche Beziehung durchlaufen. Jetzt war er vierundzwanzig und hatte sich entschieden. Er würde sich häuslich niederlassen, eine echte Familie und ein echtes Zuhause gründen. Trix und Janie brauchten ihn und er liebte sie. Das tat er wirklich.

Gott, John. So eine verdammte Tragödie. Ich vermiss dich, Kumpel. Es tut mir so leid, dass du von deinen Mädels getrennt wurdest. Von mir.

Es stand John zu, bei Trixie und Janie zu sein. Als sein bester Freund hatte John ihn nie verurteilt, für nichts. Sie hatten über Gott und die Welt geredet und oft auch darüber, was sie im Leben erreichen wollten. John hatte immer auf der Big Basin bleiben, Trixie heiraten, ein Rudel Kinder haben und das Leben eines Ranchers führen wollen. John war ein aufrichtiger, glücklicher Kerl gewesen. Chris hatte mehr gezweifelt, hatte weniger genau gewusst, wohin er wollte. Aber John hatte ihm immer zugehört und ihm Mut gemacht. Er hatte gerne Neuigkeiten von ihm aus Denver gehört, hatte ihn jede Woche angerufen. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem dieser Anruf ausgeblieben war.

Chris war zu Johns Beerdigung nach Hause geflogen. Es war Schicksal gewesen, dass in Denver zu der Zeit alles den Bach hinuntergegangen war. Im Zuge einer Personalkürzung hatte Chris seinen Job im Marketing verloren und seine Beziehung mit Sebastian hatte sich in einem höllisch spektakulären letzten Streit selbst zerstört. Außerdem hatte Chris' Dad sich gerade auf die Operation am Knie vorbereitet, deren Folgen ihn für Monate außer Gefecht setzen würden.

Und als er am Friedhof von Clyde's Corner oben am Hügel gestanden und all die bekannten Gesichter gesehen hatte, das grüne Gras und die Bäume und die Berge um sie herum, und vor allem Trix, so einsam und kaputt, und Janie, kaum alt genug, um zu verstehen, hatte Chris vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben Klarheit verspürt.

Er wusste, was er wollte. Er würde Trix heiraten, ein Vater sein und sich langfristig an einem Ort niederlassen. Vielleicht würde er nie ein echter Rancher sein. Aber Trix kannte sich mit all diesen Dingen gut aus und er wusste genug, um dem Betrieb auf andere Art und Weise zu helfen. Außerdem würde er in Clyde's Corner bleiben, wo er seinem Dad helfen und ein Auge auf seine Eltern haben konnte, wenn sie älter wurden.

Das war es, was Chris wollte.

Und er würde weder Jeremy Crassen noch irgendeinem anderen Kerl erlauben, das zu zerstören.

Kapitel 3

Jeremy sah im spärlichen Licht seines Zimmers in den Spiegel, drehte den Kopf zur Seite, spitzte die Lippen zu einem Kussmund und zwinkerte. »Hey«, sagte er so rau, wie seine jungfräuliche Kehle krächzen konnte. Genau wie an jenem Tag im Merc tat er so, als wäre er Gary Prince.

Er konnte kaum glauben, dass er das wirklich durchgezogen hatte – vor allem den Satz über Sahne, der total aus der Luft gegriffen war. Als er später darüber nachdachte, was er getan hatte, hatte er sich fast zu Tode geschämt. Aber der Punkt war, dass er es getan hatte. Jetzt musste er sich nur noch daran gewöhnen, so kokett zu sein.

»Hey!«, versuchte Jeremy es erneut, diesmal mit mehr Selbstbewusstsein im Gary/Ben-Stil. Er nahm die Schultern zurück und streckte die Brust heraus.

Das tun Mädchen, du Esel. Du hast nichts, was du rausstrecken kannst.

Stimmt. Er straffte die Schultern und streckte stattdessen den Hintern heraus. Es sah aus, als müsste er auf die Toilette.

Stöhnend ließ er sich auf sein Bett fallen.

Was für einen verdammten Unterschied macht es schon, wie ich aussehe? Chris Ramsey wird es sowieso nie bemerken.

Chris mied ihn. Jeremy war diese Woche noch dreimal zum Merc gegangen. Jedes Mal hatte er, kurz nachdem er den Laden betreten hatte, nach Chris Ausschau gehalten und gemerkt, dass der Kerl verschwunden war. Stattdessen stand immer die ältere Frau, Minola, an der Kasse.

Warum? Er war beim ersten Mal nicht gemein oder unhöflich gewesen. Zugegeben, er hatte die Lage ausgekundschaftet und das vielleicht zu offensichtlich. Aber das konnte doch nicht so traumatisch gewesen sein!

Andererseits hatte er nach einer Hand gegriffen und gleich einen ganzen Arm bekommen. In Chris' Gesicht hatte definitiv Interesse gestanden, vielleicht auch unter seiner Schürze? Vielleicht lag dort das Problem. Vielleicht hatte Chris erkannt, dass Jeremy wusste, dass er schwul war? Und das gefiel ihm nicht?

Jeremy setzte sich auf und verspürte aufkeimende Freude bei dem Gedanken, dass es Chris Ramsey interessierte, was Jeremy Crassen dachte. Die meisten Leute ignorierten ihn einfach. Dass er sich wirklich Mühe gab, ihm aus dem Weg zu gehen, bedeutete... dass er ihm nicht egal war. War das nicht ein Fortschritt?

Seine Fantasie setzte ein... Chris, der ihn verzweifelt neben dem Regal für Dosenmais in die Enge trieb, ihn anflehte, sich vom Merc fernzuhalten, weil er diese qualvolle Versuchung nicht aushielt, ähnlich wie Edward Bella in diesem Vampirfilm aus dem Weg gegangen war, nur ohne den Teil mit ihrem Duft.

Jeremy lachte schnaubend und holte sein Notizheft hervor, um sich das aufzuschreiben.

Die Zimmertür flog auf und Eric marschierte herein.

»Anklopfen!«, sagte Jeremy, ohne aufzusehen.

»Gut«, sagte Eric versöhnlich, obwohl er es nie tat und nie tun würde. Er ließ sich auf Jeremys Bett fallen, wodurch die durchgelegene Matratze auf den alten Boxspringfedern quietschte.

»Was willst du?« Jeremy sah von seinem Notizheft auf.

»Mir ist langweilig«, sagte Eric. »Wie wär's mit 'nem Joint?«

»Nein«, sagte Jeremy automatisch. Er war nicht grundsätzlich gegen Gras, aber wenn er wieder davon runterkam, fühlte er sich immer müde und schlecht und bekam für den restlichen Tag nichts auf die Reihe. Eric war nutzlos genug für sie beide.

»Du bist so langweilig«, sagte Eric seufzend.

»Ist langweilig das einzige Wort, das du kennst? Wo sind denn deine Komplizen? Henry und Mike?«

»Ach, die sin' alle arbeiten und so.« Eric holte sein Klappmesser aus der Tasche, warf es wie einen Ball in die Luft und fing es wieder.

»Idioten.«

»Ich weiß.« Eric schnaubte. Er fing das Messer. Und warf es wieder.

»Ich dachte, du solltest dich sowieso besser benehmen.«

Eric zuckte mit den Schultern. »Hey, was hältst du von Trix Stubben?«

Jeremy ließ sein Notizheft sinken und sah seinen Bruder an. Erics Gesicht war etwas zu neutral. »Ich denke, sie ist hübsch. Hat Stil. Ist nett. Und ungefähr eine Million Meilen von all deinen Freundinnen entfernt.« Nicht billig, nuttig und dumm.

Eric warf das Messer erneut hoch und fing es. »Glaubst du, sie könnt mich mögen?«

Jeremy hatte keine Antwort darauf, jedenfalls keine, die Eric hören wollte. »Magst du sie?«, fragte er stattdessen.

Eric verdrehte die Augen. »Klar. Am liebsten würd ich ihren Namen in einen Baum ritz'n und mir 'nen Anzug für die Hochzeit aussuch'n.«

»Ma wird sich freuen, das zu hören.« Jeremy kritzelte hinten auf seinem Heft herum.

»Was ist mit Chriiis?«, fragte Eric in einem trällernden Tonfall, bei dem Jeremy ihm am liebsten eine geknallt hätte.

»Was soll mit ihm sein, Stinker?«

Eric hörte auf, das Messer zu werfen, und sah Jeremy an. »Halt die Klappe. Ich hab ihn und Trixie gestern im Kino geseh'n.« Eric verzog das Gesicht, als würde es ihn tatsächlich stören, er aber nicht wollen, dass Jeremy etwas merkte.

»Wirklich?« Auch Jeremy war nicht gerade glücklich über diese Neuigkeit. »Haben sie sich wie ein Paar verhalten? Vielleicht war es einfach nur freundschaftlich. Immerhin waren sie in der Highschool befreundet.«

»Auf keinen Fall freundschaftlich. Ramsey hatte seinen Arm auf ihrer Hüfte, hat ihre Karte bezahlt und nachher hat er die Autotür für sie aufgehalten.«

Mist. Und so ein ausführlicher Bericht von Eric, einem Kerl, der so vergesslich war, dass er nicht wusste, ob der Briefträger gekommen war, obwohl er den ganzen Nachmittag auf der Veranda vor dem Haus gesessen hatte. Dem Kerl, der es nicht mal gemerkt hatte, als sein Stiefel einmal gebrannt hatte.

»Und? Auch wenn sie miteinander ausgehen, muss das nichts heißen. Es bedeutet nicht, dass Trix ihn heiraten wird.«

»Trix is' nich' der Typ, der sich einfach so mit wem trifft. Vor allem nich' jetzt, wenn sie sich um ihr kleines Mädel kümmern muss.«

Gegen diese überraschend einfühlsame Einschätzung konnte Jeremy nichts einwenden.

»Also, glaubst du echt, er is' eine Schwuchtel? Ramsey, mein ich?«, fragte Eric hoffnungsvoll. »Weil, wenn er nich' stockschwul ist... na ja. Ich könnt ihm bei Trix nich' das Wasser reichen. Brauch es gar nich' erst versuch'n.«

Warum sollte Eric es überhaupt versuchen? Warum sollte Jeremy das? Warum sollte Chris ihm auch nur einen zweiten Blick schenken? Die Bewohner von Clyde's Corner hatten die Crassens schon vor langer Zeit abgeschrieben.

Soweit Jeremy wusste, war Mabeline Crassen – zu jener Zeit noch Mabe Stucky – in ihrer Jugend ziemlich wild gewesen. Sie hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie Männer mochte, und zwar viele verschiedene. Damals war sie sehr hübsch gewesen. Im Wohnzimmer gab es ein Album mit Fotos von ihr als Achtzehnjährige. Sie hatte rotbraunes Haar bis zur Taille gehabt und war schlank wie ein Model gewesen. Sie stammte aus einer armen Familie und hatte in der Wohnwagensiedlung am Rand der Stadt gewohnt – im selben Wohnwagen, in dem Mabe, Eric und Jeremy jetzt lebten, seit seine Großeltern gestorben waren. Die Männer hatten nicht gezögert, ihre Freizügigkeit auszunutzen und die Nachricht in der Stadt zu verbreiten. Zumindest war das der Eindruck, den Jeremy bekommen hatte.

Aber dann hatte Mabe Frank Crassen geheiratet. Jeremy liebte seinen Vater, aber er konnte nicht leugnen, dass der Kerl ein Träumer gewesen war und ein paar dumme Entscheidungen getroffen hatte. Da er seine Arbeit in der Fleischverpackung hasste, war er auf einen dieser Pläne, um zu schnellem Geld zu kommen, eingestiegen, den ein Freund ausgetüftelt hatte – und für zwanzig Jahre im Gefängnis gelandet. Er war inhaftiert worden, als Jeremy gerade sieben Jahre alt gewesen war.

Dein Alter ist ein Knastbruder. Knacki! Knacki! Dreckiger Verbrecher.

Niemand schien sich für die Tatsache zu interessieren, dass Frank Crassen nur wenige Jahre später im Gefängnis gestorben war, umgebracht, weil er – laut der Aussage des Gefängnisdirektors – einen jungen Neuling verteidigt hatte. Aber für Jeremy war es wichtig. Sein Dad war nicht perfekt gewesen, aber er war als Held gestorben.

Niemand in Clyde's Corner setzte große Erwartungen in Eric oder Jeremy. Und Jeremy wünschte sich nichts mehr, als aus dieser blöden Stadt herauszukommen und irgendwohin zu ziehen, wo niemand seine Vergangenheit kannte, wo er einfach nur Jeremy sein konnte und nicht Jeremy Crassen. Er konnte nicht einmal an seinen eigenen Namen denken, ohne gleichzeitig den Spott zu hören, der üblicherweise damit einherging.

»Also glaubst du, er is' ein Homo oder nich'?« Eric stieß Jeremys Knie mit dem Ellbogen an.

»Natürlich ist er ein Homo. Er hat weiße Zähne«, sagte Jeremy bitter. Er schlug eine leere Seite in seinem Notizheft auf und begann, mögliche Namen für einen Hausmeister in seiner neuen Geschichte aufzuschreiben. Er ließ seine Haare nach vorne fallen, um sich von Eric abzuschirmen. Er glaubte nicht, dass Eric wirklich etwas gegen Schwule hatte. Er redete nur so, weil er keine Ahnung hatte. Trotzdem tat es weh.

»Mann!« Eric lachte. »Ich weiß, oder? Aber... im Ernst, ich weiß, dass das Zeug, was Ma gesagt hat, ihn noch nich' schwul macht, aber... könnt er es sein?«

»Ich weiß nicht, Eric.« Ja, ich denke, das ist er.

»Wirst du's herausfinden? Wirst du deinen Teil durchzieh'n?«, hakte Eric drängend nach.

Jeremy antwortete nicht. Ferdinand. Frank. Fossie. Frances.

»Jer!« Eric griff nach Jeremys Stift und nahm ihn an sich.

»Hör auf!« Jeremy wusste, dass er eher wie acht, nicht wie zwanzig klang, aber das war ihm egal. Er strich sich die Haare aus den Augen, in der Hoffnung, den Stift zu entdecken, aber Eric hatte ihn bereits weggesteckt. »Du bist scheiße! Was willst du von mir hören?«

»Wirst du's tun?«, wiederholte Eric und sah dabei sehr ernst und entschlossen aus. »Kannst du wenigstens für mich rausfinden, ob Chris wirklich schwul ist? Ich muss das wissen.«

Jeremy seufzte verärgert. »Ja, ich werd's tun. Oder zumindest versuchen. Du weißt, wie sehr ich aufs College will. Und wenn Mas Plan aufgeht, kommt ihr beide auch alleine zurecht.«

Eric machte ein seltsames Gesicht, so als hätte jemand Schuldgefühle, Freude und Angst in einen Mixer geworfen und den ziemlich aufgedreht. »Schätze, ich hab's versäumt, meinen Teil beizutragen. Es ist nur... ich halt die Arbeit in der Fleischverpackung einfach nicht aus.«

»Ich weiß.«

»Warum willst du überhaupt so dringend aufs College? Du kannst auch hier Autor werd'n, oder?«

Jeremy warf ihm einen Blick zu, der förmlich Bist du irre? schrie. »Niemand wird mich als Schriftsteller ernst nehmen, wenn ich nur irgendein Landei aus Montana mit einem Highschoolabschluss bin. Auch wenn ich glaube, dass ich etwas zu sagen habe, wer würde denn zuhören? Und ich kann nicht ewig darüber schreiben, ein armer Jugendlicher aus Montana zu sein. Ich muss mehr sehen. Ich muss Leute aus anderen Orten kennenlernen, verschiedene Erfahrungen machen. Außerdem habe ich doch keine Ahnung vom Schreiben. Stell dir mal vor, wie cool es wäre, wenn ich von jemandem lernen könnte, der wirklich weiß, was er tut.«

»Ja«, stimmte Eric zu. Er kratzte sich unter der Achsel. »Du verdienst das echt, Bro.«

Jeremy zuckte mit den Schultern. »Viele Leute verdienen Dinge, die sie nicht bekommen. Dad hätte eine zweite Chance verdient. Und Trix hätte es verdient, dass John am Leben wäre. Oder?«

Eric sah aus, als wollte er mehr sagen, hielt sich jedoch zurück. »Sag mir wegen Ramsey Bescheid, okay?« Er stand auf, warf den geklauten Stift auf das Bett und marschierte aus dem Zimmer.

Jeremy nahm den Stift und wandte sich wieder seinen Kritzeleien zu. Chris Ramsey spielte ebenso wenig in Jeremys Liga wie Trix in Erics. Aber Jeremy musste Chris nicht dazu bringen, ihn zu heiraten. Er musste ihn nur dazu bringen, mit ihm Sex haben zu wollen.

In ihrer Blütezeit hatte Mabe offensichtlich die Männer dazu gebracht, die Hosen für sie herunterzulassen, warum sollte es Jeremy nicht auch schaffen?

Es war schon gemein, sich an einen Typen heranzumachen, der eine Witwe heiraten wollte, aber Chris brauchte die Big Basin Ranch nicht. Er hatte den Merc. Und er war aufs College gegangen und hatte einen Abschluss. Er hatte alles bekommen, was Jeremy nie gehabt hatte. Abgesehen davon sollte er sowieso keine Frau heiraten, wenn er schwul war. Jeremy würde allen einen Gefallen tun.

Aber wenn Jeremy ehrlich war, verhielt er sich einfach nur egoistisch. Er tat es nicht für Trix oder Eric, nicht einmal für seine Mutter. Jeremy hatte Träume. Er hatte Pläne. Er wollte Clyde's Corner hinter sich lassen, einen akademischen Titel bekommen und Schriftsteller werden.

Das war es, was Jeremy wollte.

***

»Nein, Chris!«, rief Trix. »Lass ihn nicht an die...«