Was dein Herz dir befiehlt ... - Kate Hewitt - E-Book

Was dein Herz dir befiehlt ... E-Book

Kate Hewitt

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Beschreibung

Eine Stimme, so samtig wie sizilianischer Wein! Selbst nach sieben Jahren übt Marco Ferranti eine magische Wirkung auf Sierra aus -- für die sensible Musikerin ein Albtraum. Schließlich hat sie den attraktiven Geschäftsmann nicht ohne Grund vor dem Traualtar stehen lassen! Aber obwohl sie nicht mehr das leicht zu beeindruckende Mädchen von damals ist, verfällt sie erneut Marcos verführerischem Charme. Ein folgenschwerer Fehler, für den sie ein zweites Mal einen hohen Preis bezahlen muss?

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Seitenzahl: 206

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IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2016 by Kate Hewitt Originaltitel: „Inherited by Ferranti“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 2293 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Meriam Pstross

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733708504

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

Morgen würde sie heiraten. Sierra betrachtete das Kleid, das schneeweiß wie ein schaumiges Baiser an ihrem Kleiderschrank hing, und versuchte, die aufkommende Nervosität zu unterdrücken. Es war richtig, was sie tat. Sie musste es tun. Sie hatte gar keine andere Wahl.

Sierra presste die Hand auf ihren nervösen Magen und wandte sich zum Fenster um. Ihr Blick schweifte über den dunklen Garten der Villa ihres Vaters, die an der Via Marinai Alliata in Palermo lag. Es war eine stille, heiße Sommernacht. In der Stille lag etwas Erwartungsvolles, fast schon Unheimliches.

Zuvor hatte sie mit ihren Eltern und Marco Ferranti, ihrem Bräutigam, zu Abend gegessen. Sie hatten zwanglos geplaudert, und Marcos Blick war wie eine zärtliche Liebkosung, wie ein Versprechen gewesen.

Während der drei Monate dauernden Brautwerbung hatte er sich ihr gegenüber durchaus liebenswürdig verhalten, sanft und geduldig, niemals aufbrausend und drängend. Außer vielleicht das eine Mal, als sie durch den Garten schlenderten und er sie im Schatten eines Baumes küsste. Der Kuss war hart und fordernd gewesen. Zu ihrem eigenen Erstaunen hatte sie das Ganze als sehr erregend empfunden.

Wieder zog sich ihr Magen zusammen, aber diesmal war eine ganz andere Art von Furcht der Grund dafür. Sie war neunzehn, und ihr Verlobter hatte sie erst ein paarmal geküsst. Was das Schlafzimmer und alles, was dort geschehen würde, betraf, war sie völlig unerfahren. Nach jenem äußerst angenehmen Überfall unter der Platane hatte Marco ihr versprochen, in der Hochzeitsnacht geduldig und sanft mit ihr zu sein.

Sie glaubte ihm. Sie wollte ihm glauben. Es war ein Schritt auf dem Weg, sich ihre Zukunft und ihre Freiheit zu sichern. Und doch … Sierras Blick ruhte auf dem nächtlichen Garten, während ihre Nerven verrücktspielten und der Zweifel sich heimlich und heimtückisch in ihr Herz schlich. Kannte sie Marco Ferranti wirklich? Das erste Mal gesehen hatte sie ihn im Hof des Palazzos. Eine Katze hatte sich an sein Bein geschmiegt, und Marco war auf die Knie gegangen, um das Tier zu streicheln. Ihr Vater hätte es mit einem Tritt zur Seite befördert. Dass Marco so etwas wie Güte zeigte, hatte in ihr einen Funken Hoffnung geweckt.

Sie war nicht naiv und wusste genau, dass es ihr Vater war, der Marco energisch zu dieser Heirat drängte. Aber auch sie hatte Marco bewusst ermuntert. Soweit es möglich war, wollte sie ihr Schicksal mitbestimmen.

Immer höflich, ja fast schon zärtlich hatte er sie umworben. Sie war aber nicht in ihn verliebt. Dieses trügerische, gefährliche Gefühl interessierte sie nicht. Sie suchte nur nach einer Möglichkeit, ihrem Vater zu entfliehen. Und die Ehe mit Marco Ferranti bot ihr diese Möglichkeit. Falls sie ihm wirklich vertrauen konnte.

Sierra spürte, wie eine neue Welle kalter Furcht in ihr aufstieg. Sollte sie es wirklich tun? Ein Rückzieher würde bedeuten, sich den ewigen Zorn ihres Vaters zuzuziehen. Vielleicht würde sie nie wirklich frei sein. Aber welche Wahl hatte ein neunzehn Jahre altes, völlig vom Leben abgeschottetes Mädchen schon?

Von unten hörte sie die polternde Stimme ihres Vaters. Obwohl Sierra seine Worte nicht verstehen konnte, fühlte sie allein bei ihrem Klang ein unangenehmes Prickeln im Nacken. Dann hörte sie Marco antworten. Seine Stimme war genauso tief, klang aber irgendwie wärmer. Vom ersten Augenblick an war ihr diese Stimme sympathisch gewesen. Sie mochte auch sein Lächeln, die gewisse Art, wie er dabei einen Mundwinkel hochzog. Und obwohl er für ihren Vater arbeitete, vertraute sie ihm instinktiv. Aber was, wenn sie sich in ihm täuschte?

Sierra schlüpfte aus ihrem Schlafzimmer und huschte ein paar Stufen die Vordertreppe hinunter. Auf dem Treppenabsatz, wo die Männer sie nicht sehen konnten, blieb sie stehen und versuchte, etwas von dem Gespräch aufzufangen.

„Ich freue mich, dich als Sohn in meiner Familie willkommen zu heißen.“ Ihr Vater war in Höchstform, charmant und respektabel, ein wohlwollender Papà, voll des guten Willens.

„Und ich freue mich, dass man mich so herzlich willkommen heißt.“

Sierra konnte hören, wie ihr Vater Marco auf die Schulter schlug und jovial lachte. Wie gut sie dieses Lachen kannte. Und wie verlogen es war!

„Bene, Marco. Hauptsache, du weißt, wie du mit Sierra umgehen musst. Eine Frau braucht eine feste Hand. Man darf nicht zu sanft sein, sonst kommt sie auf dumme Gedanken.“ Es waren abscheuliche Worte und doch schrecklich vertraut, im Ton liebenswürdig, fast amüsiert.

Zur Statue erstarrt, wartete Sierra auf Marcos Antwort.

„Keine Angst, Signor“, sagte Marco. „Ich weiß schon, wie ich mit ihr umgehen muss.“

Sierra zuckte zusammen. Entsetzen und Angst schnürten ihr die Kehle zu. Ich weiß schon, wie ich mit ihr umgehen muss. Dachte er etwa genau so wie ihr Vater? Dass sie ein wildes Tier war, das gezähmt und unterworfen werden musste?

„Natürlich weißt du das“, erwiderte Arturo Rocci selbstzufrieden. „Schließlich habe ich dich ja zu meinem Nachfolger herangezogen.“

„Das ehrt mich, Signor.“

„Papà, Marco. Du darfst mich Papà nennen.“

Sierra lugte vorsichtig um das Geländer und sah, wie die beiden Männer sich umarmten. Ihr Vater schlug Marco noch einmal auf die Schulter und verschwand dann den Gang hinunter.

Sie beobachtete Marco. Ein kleines Lächeln spielte um seinen ausdrucksvollen Mund. Er lockerte die Krawatte und warf das Jackett beiseite. Jetzt sah er zerzaust und müde und überwältigend männlich aus. Einfach sexy.

Aber nichts von dem, was er gesagt hatte, war sexy. Nichts war romantisch oder liebenswürdig an einem Mann, der zu wissen glaubte, wie man mit Frauen umgehen musste. Alles in ihr krampfte sich vor Angst und Zorn zusammen. Zorn auf Marco Ferranti, weil er genauso dachte wie ihr Vater. Und Zorn auf sich selbst, weil sie so naiv war zu glauben, einen Mann schon nach ein paar arrangierten Dates zu kennen. Alle waren es sorgfältig vorbereitete Abende gewesen, mit einem Marco in Hochform. Sie hatte geglaubt, sie hätte ihn erwählt. Jetzt stellte sie staunend fest, wie perfekt sie manipuliert worden war. War ihr Verlobter ebenso falsch wie ihr Vater? Zeigte er ihr nur das, was sie sehen wollte? Würde sie das je wissen?

Ja, wenn es zu spät ist. Wenn ich mit ihm verheiratet bin und ihm nicht mehr entfliehen kann …

„Sierra?“ Marco blickte lächelnd zu ihr hoch. „Wieso versteckst du dich da oben?“

„Ich …“ Sie fuhr mit der Zunge über die trockenen Lippen, während sich ihre Gedanken überschlugen. Ihr fiel absolut nichts ein, das sie hätte sagen können. Wie auf einer Endlosspur dröhnte ein einziger schrecklicher Satz in ihren Ohren. Ich weiß schon, wie ich mit ihr umgehen muss.

Marco sah auf seine Uhr. „Es ist nach Mitternacht. Eigentlich dürfte ich dich nicht sehen, denn es ist unser Hochzeitstag.“

Hochzeitstag. In nur wenigen Stunden würde sie diesen Mann heiraten. Sie würde versprechen, ihn zu lieben, zu ehren und ihm zu gehorchen …

Ich weiß schon, wie ich mit ihr umgehen muss.

„Sierra?“, fragte Marco besorgt. „Stimmt etwas nicht?“

Nichts stimmte. Und sie hatte geglaubt, sie hätte ihr Schicksal in die Hand genommen! Wie hatte sie sich nur so lange etwas vormachen können?

„Sierra?“

Ihr entging nicht, wie ungeduldig seine Stimme jetzt klang. Sierra konnte praktisch hören, wie die Fassade der vorgetäuschten Besorgnis fiel und dahinter der wahre Mann auftauchte. Er war genau wie ihr Vater.

„Ich bin nur müde“, flüsterte sie. Marco winkte sie zu sich, und sie ging auf unsicheren Beinen die Treppe hinunter. Dann stand sie vor ihm und versuchte, ihre Furcht nicht zu zeigen. Es war ein kleiner Akt des Widerstands, den sie langsam entwickelt hatte. Ihren Vater trieb sie damit zur Weißglut. Er wollte, dass seine Frauen sich vor ihm duckten. Es war beschämend, aber Sierra hatte es jahrelang getan. Doch seit sie die Kraft fand, aufrecht vor ihm zu stehen und kühl und beherrscht zu handeln, war es damit vorbei.

Marco legte eine Hand auf ihre Wange. Sierra hielt inne. Die Hand fühlte sich warm an, und sogar jetzt weckte diese zärtliche Geste ein aufregendes Gefühl in ihrem Bauch.

„Bald ist es so weit“, flüsterte er und strich mit dem Daumen über ihre Lippen. „Bist du nervös, Kleines?“

Ihr graute davor. Wortlos schüttelte sie den Kopf. Marco lachte leise. Es klang nachsichtig, vielleicht herablassend. Ihre Vermutungen erwiesen sich als genau das, was sie waren: reine Vermutungen.

Marco sah lächelnd auf sie herunter. „Sicher, amore mio?“

Amore mio. Meine Liebste. Doch Marco Ferranti liebte sie nicht. Er hatte es ihr nie gesagt, und sie wollte es auch gar nicht hören. Rückblickend erkannte sie, wie genau ihre Beziehung geplant worden war. Ein Essen mit der Familie hatte zu einem Spaziergang im Garten geführt, und dieser wiederum zu einer Verabredung mit anschließendem Heiratsantrag. Und sie hatte geglaubt, sie hätte bei dem Ganzen ein Wörtchen mitzureden gehabt. Jetzt konnte sie nur darüber staunen, wie sehr sie manipuliert worden war. Und benutzt.

„Mir geht es gut, Marco.“ Ihre Stimme war nur ein geflüsterter Hauch. Sierra brauchte ihre ganze Kraft, um einen Schritt zurückzutreten, sodass seine Hand von ihrer Wange glitt.

Er runzelte die Stirn, und Sierra fragte sich, ob ihm selbst diese kleine Demonstration eines eigenen Willens missfiel.

„Einen letzten Kuss“, flüsterte Marco, und bevor Sierra auch nur daran denken konnte, noch weiter zurückzuweichen, hatte er sie schon an sich gezogen. Seine Hände umfassten ihr Gesicht, und er senkte die Lippen auf ihre. Hart, und doch weich. Heiß und kalt. Tausend sich widersprechende Gefühle erwachten jäh in ihr, als sie ihm ihre Lippen öffnete. Sehnsucht und Freude. Angst und Verlangen. Ein einziges, unentwirrbares Gefühlschaos erfüllte sie. Ihre Finger krallten sich an seinem Hemd fest. Um ihm noch näher zu sein, stellte sie sich auf die Zehenspitzen, unfähig, ihm zu widerstehen. Sierra merkte nicht, wie verräterisch ihre Reaktion war, bis Marco sie leise lachend von sich schob.

„Dazu werden wir später noch viel Zeit haben“, versprach er. „Morgen Nacht.“

Sie presste die Hand auf ihren Mund, während Marco zufrieden lächelte.

„Gute Nacht, Sierra“, sagte er leise.

„Gute Nacht.“ Sie eilte die Treppe hinauf. Sie wusste, dass Marco ihr nachblickte, aber sie wagte es nicht, zurückzuschauen.

In der stillen Dunkelheit des oberen Korridors presste sie die Hand auf ihr wild hämmerndes Herz. Sie hasste sich, hasste Marco. Sie hätte diesen Kuss nie zulassen dürfen.

Sierra lief den Gang entlang bis zum entferntesten Flügel des Palazzos und klopfte leise an die Schlafzimmertür ihrer Mutter.

Violet Rocci öffnete die Tür einen Spalt breit. Als sie Sierra erkannte, entspannte sie sich sichtlich, und der ängstliche Ausdruck verschwand aus ihren Augen. Sie machte die Tür weiter auf und ließ ihre Tochter eintreten.

„Du solltest nicht hier sein.“

„Papà ist unten.“

„Trotzdem.“ Violet raffte ihr seidenes Nachthemd enger um sich. Ihr Gesicht war blass vor Sorge und Anspannung. Vor zwanzig Jahren war sie eine schöne junge Frau gewesen, eine weltberühmte Pianistin auf der Höhe ihres Ruhmes. Dann hatte sie Arturo Rocci geheiratet und war so gut wie aus der Öffentlichkeit verschwunden. Sie hatte sich dabei selbst verloren.

„Mamma.“ Sierra sah ihre Mutter hilflos an. „Ich glaube, ich bin dabei, einen Fehler zu machen.“

Violet sog scharf die Luft ein. „Marco?“

Sierra nickte.

„Aber du liebst ihn doch.“ Selbst nach zwanzig Jahren mit Arturo Rocci glaubte Violet immer noch an die Liebe. Sie liebte ihren Mann wahnsinnig, und das war ihr Untergang.

„Ich habe ihn nie geliebt, Mamma.“

„Was?“ Violet schüttelte den Kopf. „Aber Sierra, du hast doch gesagt …“

„Ich vertraute ihm. Ich hielt ihn für liebenswert. Aber der einzige Grund, warum ich ihn heiraten wollte …“

„Ja? Warum hast du der Hochzeit zugestimmt?“

„Weil ich weg will. Weg von …“ Selbst jetzt konnte sie es nicht aussprechen. Weg von Papà. Die Worte würden ihre Mutter verletzen. Violet ignorierte die Wahrheit mit aller Kraft.

„Und jetzt?“, fragte Violet nach einiger Zeit leise.

„Jetzt weiß ich nicht, was ich machen soll.“ Unruhig ging Sierra im Zimmer auf und ab.

„Alles ist bereits arrangiert!“

„Ich weiß.“ Sierra schloss die Augen. „Ich fürchte, ich war sehr dumm.“ Sie versuchte, die Tränen fortzublinzeln. Weinen hatte jetzt auch keinen Sinn. „Ich weiß, da ist nichts mehr zu machen. Ich muss ihn heiraten.“ Das Gefühl der Machtlosigkeit war ihr vertraut. Wie ein schwerer Mantel drückte es sie schon viel zu lange nieder. Am Ende konnte sie aber niemand anderem als nur sich selbst die Schuld geben.

„Vielleicht gibt es doch noch einen Ausweg.“

Sierra sah ihre Mutter erstaunt an. Violets Augen verrieten eine ungewohnte Entschlossenheit. „Und was für ein Ausweg soll das sein?“

„Wenn du dir wirklich sicher bist, dass du das nicht schaffst …“

„Sicher?“ Sierra schüttelte den Kopf. „Ich bin mir alles andere als sicher. Vielleicht ist er ein guter Mann …“ Ein Mann, der Hand in Hand mit ihrem Vater arbeitete?

„Aber du sagtest doch, du würdest ihn lieben“, meinte Violet.

Sierra dachte an Marcos sympathisches Lächeln, an seinen Kuss. Dann dachte sie daran, wie verzweifelt ihre Mutter ihren Vater liebte, trotz all seiner Grausamkeiten und Beleidigungen. Sierra aber liebte Marco Ferranti nicht. „Nein, ich liebe ihn nicht.“

„Dann darfst du ihn nicht heiraten. Gott weiß, eine Frau kann aus Liebe vieles ertragen, aber ohne Liebe …“ Sie presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf.

„Was soll ich machen, Mamma?“

Violet holte zitternd Luft. „Fliehen. Ich hätte es dir schon früher geraten, aber ich dachte, du liebst ihn. Ich wollte nur dein Glück, mein Liebling. Ich hoffe, du glaubst mir das.“

„Ich glaube dir, Mamma.“ Ihre Mutter war eine schwache, unterwürfige Frau. Trotzdem hatte Sierra nie an ihrer Liebe zu ihr gezweifelt.

Violet nickte kurz. „Dann musst du fortgehen. Noch heute Nacht.“

„Heute Nacht?“

„Ja.“ Rasch ging ihre Mutter zu einer Kommode und öffnete eine Schublade. Unter einem Stoß Wäsche zog sie einen Umschlag hervor. „Hier, das ist alles, was ich dir geben kann. Ich habe es über die Jahre hinweg angespart, für den Fall, dass …“

„Aber wie denn?“ Irritiert nahm Sierra den Umschlag.

„Dein Vater gibt mir jede Woche Haushaltsgeld“, erklärte Violet. Sierra empfand Mitleid für sie. Sie wusste, dass ihre Mutter sich dafür schämte, dass ihr Ehemann sie so abhängig hielt. „Viel ist es nicht. Für deine Flucht wird es reichen.“

„Aber wo soll ich denn hin?“ Eine Flucht hatte sie nie in Betracht gezogen. Sie würde wirklich frei und unabhängig sein. Die Möglichkeit war berauschend, machte ihr aber auch Angst. Ihre ganze Kindheit hatte sie in einer Villa auf dem Land verbracht, ihre Jugend in einer strengen Klosterschule. Sie besaß keinerlei Erfahrung, in nichts, und das wusste sie auch.

„Nimm die Fähre zum Festland und dann den Zug nach Rom. Von da aus fahr nach England.“

„England …“ Die Heimat ihrer Mutter.

„Dort habe ich eine Freundin, Mary Bertram“, flüsterte Violet. „Ich habe seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr zu ihr. Nicht mehr seit …“ Seit zwanzig Jahren, als sie Arturo Rocci geheiratet hatte. „Sie wollte nicht, dass ich heiratete“, fuhr Violet so leise fort, dass Sierra sich anstrengen musste, um sie zu verstehen. „Sie traute ihm nicht. Und sie sagte mir, falls etwas passieren würde, stünde ihre Tür für mich immer offen.“

„Weißt du, wo sie wohnt?“

„Ich habe ihre Adresse von vor zwanzig Jahren. Ich fürchte, das ist alles, was ich für dich tun kann.“

Sierra zitterte innerlich, als ihr klar wurde, was sie im Begriff war zu tun. Sie, die ohne Begleitung noch nicht einmal einen Spaziergang durch Palermo wagte! Wie sollte sie das alles schaffen?

Und wieso nicht? Das hier war ihre einzige Chance. Morgen würde sie Marco Ferranti heiraten, und wenn er wie ihr Vater war, gab es für sie keine Gelegenheit zur Flucht mehr.

„Wenn ich gehe …“, flüsterte sie mit erstickter Stimme. Sie konnte nicht weitersprechen, musste es aber auch nicht.

„… wirst du nicht zurückkommen können“, sagte Violet tonlos. „Dein Vater würde …“ Sie schluckte und schüttelte den Kopf. „Das ist ein Abschied für immer.“

„Komm mit, Mamma …“

Violets Züge verhärteten sich. „Ich kann nicht.“

„Weil du ihn liebst?“

„Ziehe nicht meine Entscheidung in Zweifel“, erwiderte Violet mit blassem Gesicht und kniff die Lippen zusammen. „Triff deine eigene.“

Ihre eigene Entscheidung. Letztendlich bedeutete das die Freiheit. Sie würde ihr eigener Herr sein, würde frei entscheiden, frei leben können. Was sollte sie mit so viel Freiheit anfangen?

Bei der Vorstellung verspürte sie Angst. „Ich weiß nicht, Mamma …“

„Ich kann nicht für dich entscheiden.“ Die Mutter streichelte ihr zart die Wange. „Über dein Schicksal kannst nur du allein bestimmen. Aber eine Heirat ohne Liebe …“ Ihre Mutter holte tief Luft. „Das wünsche ich niemandem.“

Nicht jeder Mann ist wie Arturo Rocci. Marco Ferranti war vielleicht wirklich nicht wie ihr Vater. Aber nach dem, was sie heute Abend gehört hatte, konnte sie kein Risiko eingehen.

Ihre Hand umklammerte den Umschlag mit dem Geld. Sie hatte eine Entscheidung getroffen.

Das entging auch Violet nicht. „Gott sei mit dir, Sierra.“

Mit Tränen in den Augen umarmte Sierra ihre Mutter.

„Schnell jetzt“, sagte Violet, und ihre Tochter eilte aus dem Zimmer, den Gang hinunter und in ihr eigenes Zimmer, wo das Hochzeitskleid wie ein Geist an der Garderobe hing. Rasch zog sie sich an und stopfte mit zitternden Händen ein paar Kleidungsstücke in eine Tasche.

Im Haus war es still. Sierra warf einen Blick auf ihren Geigenkasten. Er war etwas sperrig – und trotzdem …

Die Musik hatte sie über viele schlechte Zeiten in ihrem Leben hinweggetröstet. Ihre Violine zurückzulassen wäre so, als würde sie ein Stück ihrer Seele zurücklassen. Sie griff nach dem Kasten, schwang sich die Reisetasche über die Schulter und schlich mit angehaltenem Atem die Treppe hinunter. Die Haustür war bereits verschlossen, aber Sierra schob geräuschlos den Riegel zurück. Sie konnte hören, wie ihr Vater sich in seinem Sessel im Büro bewegte und mit irgendwelchen Papieren raschelte. Einen schrecklichen Augenblick lang erstarrte sie vor Angst.

Dann hörte sie, wie er seufzte. Langsam, ganz langsam öffnete sie die Tür, schlüpfte hinaus und schloss die Tür wieder sorgfältig. Vor sich sah sie die dunkle, leere Straße. Sierra warf einen letzten Blick auf das Haus mit seinen hell erleuchteten Fenstern und eilte in die Nacht hinaus.

2. KAPITEL

Sieben Jahre später

„Vielleicht kommt sie nicht.“

Marco Ferranti wandte sich achselzuckend vom Fenster ab. Er warf einen Blick auf den Anwalt, der hinter seinem Mahagonischreibtisch saß, und versuchte mit gespielter Beherrschtheit über seine innere Unruhe hinwegzutäuschen.

„Sie kam nicht zur Beerdigung ihrer Mutter“, wagte der Anwalt Roberto di Santis vorsichtig zu bemerken.

Unwillkürlich ballte Marco die Fäuste. Dann entspannte er sich und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Ich weiß.“

Violet Rocci war vor drei Jahren gestorben. Der Krebs hatte sie in wenigen Monaten dahingerafft. Trotz Arturos flehendem Bitten war Sierra nicht gekommen. Sehr zum Kummer ihres Vaters hatte sie noch nicht einmal einen Brief oder eine Beileidskarte geschrieben. Das letzte Mal hatte Marco sie in der Nacht vor ihrer Hochzeit gesehen. Damals hatte er sie geküsst und sehr wohl ihre leidenschaftliche Reaktion gespürt.

Am nächsten Morgen hatte er dann vor der Kirche Santa Caterina vergeblich auf seine Braut gewartet.

Sieben Jahre später wartete er immer noch darauf, dass Sierra Rocci auftauchte.

Der Anwalt räusperte sich ungeduldig. Er wollte diese unangenehme Sache mit Arturo Roccis Testament endlich hinter sich bringen. Marco wusste bereits, was es enthielt, und mit einer Art grimmiger Vorfreude wartete er darauf, Sierra über die Einzelheiten in Kenntnis zu setzen.

Er hatte den Anwalt beauftragt, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Seit einiger Zeit wusste er nämlich, wo Sierra sich aufhielt. Vor zwei Jahren hatte er einen Detektiv beauftragt, ihren Aufenthaltsort herauszufinden. Damals war seine erste Wut noch immer kaum verraucht gewesen. Er selbst hatte sich nie bei Sierra gemeldet, aber er musste wissen, wo sie war. Zu erfahren, dass sie in London ein anscheinend ruhiges, bescheidenes Leben führte, hatte ihn keineswegs zufriedengestellt.

„Sie sagte doch, sie würde kommen, oder?“, fragte er, obwohl er die Antwort bereits kannte.

Sie hatte zugesagt, ihn um zehn Uhr in der Anwaltskanzlei zu treffen. Und jetzt war es fast halb elf.

„Vielleicht sollten wir einfach schon einmal anfangen …?“

„Nein.“ Marco ging zum Fenster zurück und starrte auf die Straße hinunter. „Wir warten.“ Er wollte Sierras Gesicht sehen, wenn das Testament verlesen wurde. Er wollte ihre Augen sehen, wenn ihr dämmerte, wie viel sie verloren, wie viel sie geopfert hatte, nur um von ihm loszukommen.

Einen Augenblick später konnte man hören, wie draußen die Flurtür geöffnet wurde und die Sekretärin etwas sagte. Dann klopfte es an der Tür zum Büro.

Marco erstarrte. Er befand sich in einer Art höchster Alarmbereitschaft. Das musste Sierra sein.

„Signor di Santis?“, sagte die Sekretärin. „Signorina Sierra ist da.“

Marco bemühte sich um eine entspannte Haltung, während Sierra ins Zimmer trat. Sie hatte sich kein bisschen verändert. Dasselbe dunkelblonde Haar, jetzt im Nacken zu einem seidig glänzenden Knoten geschlungen. Dieselben großen blaugrauen Augen. Und derselbe verführerische Mund mit dem winzigen Grübchen am linken Mundwinkel, das zum Küssen einlud. Immer noch besaß sie dieselbe gertenschlanke Figur mit den sanften Kurven. Selbst jetzt sehnte er sich danach, sie zu berühren.

Ein heftiges, heißes Verlangen erwachte in ihm, das er aber energisch unterdrückte.

Sierra sah ihn an und wandte rasch den Blick ab. Aufrecht und mit stolz erhobenem Kopf stand sie da. Und dann bemerkte Marco, dass sie doch nicht dieselbe war wie früher.

Sie war sieben Jahre älter, das konnte er an den feinen Linien um ihre Augen und ihren Mund sehen. Er sah es auch an ihrer Kleidung. Sie trug jetzt einen dunkelgrauen Bleistiftrock und eine blass rosa Seidenbluse, das elegante Outfit einer erwachsenen Frau.

Aber immer noch strahlte sie diese innere Ruhe aus, die er früher an ihr bewundert hatte. So, als könnte nichts und niemand sie berühren. Nach seiner stürmischen Kindheit hatte gerade das so anziehend auf ihn gewirkt. Obwohl sie damals erst neunzehn gewesen war, hatte sie älter und vernünftiger gewirkt. Und doch so unschuldig.

„Signorina Rocci, ich freue mich, dass Sie kommen konnten.“

Roberto di Santis ging mit ausgestreckter Hand auf sie zu. Sierra berührte seine Hand kaum mit den Fingerspitzen, ging dann zu einem der Clubsessel und setzte sich.

„Fangen wir an?“, schlug der Anwalt vor. „Das Testament ist einfach.“ Er räusperte sich und schenkte Sierra ein Lächeln, das sie aber nicht erwiderte. „Signorina Rocci, Ihr Vater drückt seinen letzten Willen sehr klar aus.“ Er hielt einen Moment inne. Marco wusste, dass dem Mann nicht gefiel, was er jetzt verkünden musste.

Sierra saß mit erhobenem Kopf da, die Hände im Schoss gefaltet. Ihr Gesicht war eine perfekte, eisige Maske. „Könnten Sie ihn mir bitte mitteilen?“, verlangte sie.

Der Klang ihrer Stimme traf Marco wie ein Faustschlag. Leise, klangvoll, klar. Sieben Jahre hatte er sie nicht mehr gehört. Sierra sprach mit einer Sicherheit, die sie damals nicht besessen hatte. Einem Selbstvertrauen, das sie in den sieben Jahren gewonnen haben musste. Irgendwie empfand Marco diese Erkenntnis wie einen Schlag ins Gesicht. Sie war eine andere geworden. Vielleicht stärker. Und das ohne ihn.

„Natürlich, Signorina Rocci. Im Wesentlichen hat Ihr Vater den Großteil seines Besitzes und seine Firma Signor Ferranti hinterlassen.“

Marco betrachtete ihr blasses Gesicht und wartete auf ihre Reaktion. Auf den Schock, auf die Erkenntnis, wie viel sie verloren hatte. Auf irgendetwas!

Aber da kam nichts.

Sierra nickte nur. „Den Großteil?“, hakte sie ruhig nach. „Aber nicht alles?“

Bei ihrer Frage spürte Marco, wie eine kalte Wut in ihm erwachte. Eine Wut, von der er eigentlich geglaubt hatte, sie seit Jahren überwunden zu haben. Wollte sie jetzt anfangen zu feilschen? Sie hatte ihre Familie und ihren Verlobten verlassen, trotz der verzweifelten Appelle ihrer Eltern sieben Jahre lang nichts von sich hören lassen und wollte trotzdem noch wissen, wie viel sie bekommen würde?

„Nein, nicht alles, Signorina Rocci“, erwiderte di Santis verlegen. „Ihr Vater hinterließ Ihnen einiges vom Schmuck Ihrer Mutter, die Erbstücke aus ihrer Familie.“