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Die zweite Staffel der phänomenalen Kultshow WATCH ME SCREAM startet! Zehn völlig unterschiedliche Spieler werden dafür in einem verlassenen Hotel-Resort auf einer paradiesischen Insel einquartiert. Maja, eine der Spielerinnen, weiß noch nicht, dass sie auf die volle Wucht der Geisterwelt treffen wird! Ruhelose Seelen mit Mordlust werden sie verfolgen, ebenso ein geheimnisvoller junger Mann. Paranormale Ereignisse treiben sie nahe an einen Nervenzusammenbruch. Kann die junge Abiturientin Maja dem Ganzen standhalten? Welche wahnsinnigen Forderungen stellt dieser Schlangengott-Priester an die Spielerin und warum hat er sie dafür ausgesucht?
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Seitenzahl: 492
Veröffentlichungsjahr: 2024
G. A. Rothhausen wurde 1967 in Mönchengladbach geboren. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder. In ihrer Freizeit reist sie gerne, liest natürlich viel, spielt gerne Escape-Games und schaut sich gerne Dokus über das alte Ägypten sowie über Schatzsucher und Abenteurer in aller Welt an.
2023 veröffentlichte sie ihren ersten Mystery Thriller WATCH ME SCREAM und fesselte damit auf Anhieb viele Mystery Fans. Ein Spin-0ff zu ihrem Debüt-Roman schrieb sie im gleichen Jahr, CREEPY CHECK-IN, in dem die Geschichte von Julia, dem Liebling der Leser, weitererzählt wird. In 2024 erscheint nun WATCH ME SCREAM – LOUDER und entführt alle begeisterten Fans in die zweite Staffel dieser packenden Mystery Show.
„Menschen sind die beste Show der Welt. Und du zahlst nicht einmal für die Eintrittskarte.“
- Charles Bukowski
G. A. Rothhausen
WATCH ME SCREAM - LOUDER
Mystery Thriller
I
ch spürte die Sonne auf meiner Haut brennen und schmeckte das Salz auf meinen Lippen. Mein Herz hämmerte gegen meine Brust und nahm mir fast meinen Atem. So viele unterschiedliche Geräusche drangen an mein Ohr, Menschen sprachen in verschiedenen Sprachen miteinander, ich verstand nicht alles.
Unsicher stand ich hier, mit verbundenen Augen, so unfassbar aufgeregt! Es würde gleich losgehen, mein Abenteuer würde nun beginnen, meine Atmung wurde immer schneller …
Dann geschah es, unvermittelt sprach mich Maggie an und nahm mir die Augenbinde ab. Maggie war eine Assistentin, ich hatte sie in Deutschland kennengelernt, beim Casting.
Atemberaubend! Ich musste etwas blinzeln, aber ich sah sie sofort … eine Insel, ein traumhafter Sandstrand, dahinter dichtes Grün, ein Gebirge in der Ferne. Das Meer davor war so unglaublich blau … aber in unterschiedlichsten Tönen … es war blau wie ein Türkis, dann so tief dunkelblau und schließlich so strahlend blau wie der Himmel, den ich nun ansah. Nur eine winzige Wolke zog langsam vorbei.
„Na, ist das ein Anblick?“, fragte mich Maggie lächelnd. Sie schaute etwas in ihren Akten durch und sprach in ein Head-Set.
Ich konnte mich nicht sattsehen an diesen Farben um mich herum. Meine Aufregung wuchs ins Unermessliche, ich atmete tief ein, roch die Meeresluft. Wahnsinn … ich war hier, hatte es wirklich geschafft!
Meine Mutter hatte mich für verrückt erklärt, als ich ihr erzählte, dass ich mich bewerben wollte bei WATCH ME SCREAM-LOUDER!
Egal … gerade volljährig geworden stand für mich fest, da will ich mitmachen! Vor zwei Jahren hatte ich mit meiner großen Schwester immer WATCH ME SCREAM auf dem Laptop angesehen, heimlich, meine Mutter wollte es nicht. Aber ich war sofort infiziert von dieser Show, den Mitspielern, den ganzen paranormalen Dingen, die dort passiert waren, damals, in der Irrenanstalt! Meine Schwester Anna war total begeistert gewesen von Senna, hatte ihr den Gewinn gegönnt, während ich voll hinter Julia stand und traurig war, dass sie nicht die Siegerin geworden war.
Durch eine Naturkatastrophe, die das Set verwüstete, und einen anschließenden Streit der Geldgeber für diese Show hatte sich ein zweiter Teil erst jetzt wieder realisieren lassen können. Ich war dem Aufruf zum Casting sofort gefolgt, ohne lange nachzudenken.
Anna hatte gekreischt vor Freude, als ich die Zusage erhielt, meine Mutter guckte nur skeptisch und hatte einen tiefen Seufzer losgelassen.
Für mich ging ein Traum in Erfüllung. Mein Abi war geschafft, eine echte Idee, was ich nun machen wollte, hatte ich noch nicht. Und nun war ich hier! Es war so geil … ich fühlte mich jetzt schon wie eine Gewinnerin!
Wir, die Spieler dieser Show, waren in Deutschland zu unendlich vielen Foto-Shootings gebracht worden, fürs Fernsehen, für die Presse, aber immer einzeln, nie waren wir uns begegnet. Man sagte uns auch nicht wohin es ging, nur, dass es heiß werden würde, den Wintermantel, den man inzwischen bei uns brauchte, könnten wir zu Hause lassen.
Ein Arzt hatte uns untersucht, wir erhielten mehrere Impfungen … aber auch einen winzig kleinen Micro-Chip, implantiert im Oberschenkel. Natürlich mussten wir dem zustimmen, schriftlich.
Dann erhielten wir ein Datum, an dem wir uns bereithalten sollten. Dunkle Limousinen holten uns zu Hause ab, das war so cool!
Als ich einstieg, kam ich mir vor wie ein Promi und ich sah neugierige Blicke der Nachbarn durch die Fenster ringsherum. Ich grinste und winkte ihnen, winkte auch Anna und meiner Mutter, warf ihnen noch eine Kusshand zu. Dann startete der Wagen.
Er hatte mich zum Flughafen gefahren. Dort hatte mich Maggie in Empfang genommen und bis ans Flugzeug eskortiert. Bevor ich einsteigen durfte, bekam ich meine Augenbinde mit der Anweisung, dass nur Maggie sie wieder abnehmen durfte.
Der Flug dauerte viele, sehr viele Stunden. Irgendwann rüttelte mich ein Mann an der Schulter und sagte zu mir, dass er mich jetzt zum Hafen fahren würde. Ich nickte, ließ mich vorsichtig von ihm aus dem Flieger führen und ins nächste Fahrzeug setzen.
Wir fuhren ungefähr eine halbe Stunde und keiner sprach mit mir. Ich war so aufgeregt … aber auch ziemlich müde vom Flug.
Dann, endlich, stoppte der Wagen, ich hörte Maggies vertraute Stimme neben mir, nachdem ich ausgestiegen war. „Hallo Maja! Nun geht es bald los, bald siehst du wieder Tageslicht! Nicht erschrecken, wir besteigen nun ein Schiff, es geht aufs Meer!“
Ich grinste, ich musste wie ein Honigkuchenpferd gegrinst haben, so freute ich mich auf dieses Abenteuer! Es geht aufs Meer, dachte ich so bei mir … Cool!
Und nun stand ich hier, sah diese wundervolle Insel zum ersten Mal vor mir und schaute nun überglücklich Maggie an. „Wahnsinn! Wie schön es hier aussieht!“, schwärmte ich.
Die rothaarige Assistentin der Produktion lachte mich an. „Mal sehen, ob deine Meinung lange so bleibt! Also, die kleinen Boote bringen euch alle jetzt rüber zur Insel und dort nimmt euch das Kamerateam in Empfang. Hast du deine Reisetasche? Gut … ah, da kommt dein Boot schon!“
Ich blickte über die Reeling des Schiffes und erst jetzt sah ich, dass neun weitere Schiffe immer im gleichen Abstand zueinander um die Insel herum vor Anker lagen. An jedem Schiff legte nun, fast zeitgleich, ein kleines Boot an und ich sah undeutlich, wie Menschen in diese Boote stiegen.
Und auch ich stieg hinab mit meiner Tasche, setzte mich auf einen kleinen Sitz und nickte aufgeregt dem Kapitän zu, der dann auch sofort losfuhr.
Meine langen blonden Haare flogen durcheinander, ich zog das Haargummi, welches ich am Handgelenk trug, ab und band mir einen Zopf damit. Ich sah rüber zu dem Boot zu meiner rechten Seite und erkannte darin einen jungen Mann mit strohblonden lockigen Haaren. Er sah auch herüber zu mir, schien zu grinsen.
Alle Boote strebten auf einen Punkt zu. Neugierig versuchte ich, mehr zu sehen von der Insel. Ich traute mich aber nicht, aufzustehen, weil dieser kleine Kahn auf und nieder hüpfte auf den Wellen, immer wieder wurde ich nass und mein Kapitän lachte dann fröhlich.
Ich schaute ins Meer … mein Gott, wie klar war das Wasser, herrlich! Man konnte Fische darin sehen, Muscheln, Korallen! Dann näherten wir uns dem Strand.
Ein langer Steg führte ins Meer und am Ende, am Strand, sah ich eine Menschenmenge stehen. Das mussten die Kameraleute sein … so viele?
Ein Junge von zirka 16 Jahren half mir, aus dem Boot auf den Steg zu kommen. Ich bedankte mich. Andere verließen ebenfalls ihre Boote, die sie hierher gebracht hatten. Vorsichtig, noch scheu, sahen wir uns gegenseitig an, nickten uns nur zu, sagten kein Wort.
Zehn Leute waren wir, alle bereit für ein Abenteuer. Vom Ende des Steges rief man uns zu, dass wir nun zusammen auf den Strand kommen sollten. Es ging los … hörte ich das Meeresrauschen oder rauschte es so in meinem Kopf? Mein Herz hämmerte immer wilder, ich hielt es kaum noch aus vor Spannung. Eine junge Frau, gerade erst aus ihrem kleinen Beiboot gestiegen, lief neben mir her.
Sie trug ihr Haar sehr kurz, hatte ziemlich helle Haut und weil sie ein Top mit Trägern trug, sah ich sofort ihr Tattoo auf der Schulter, eine Schlange.
„Na“, sagte sie an mich gewandt, „Alles klar? Ist das heiß hier, was? Hoffentlich wohnen wir irgendwo mit Klimaanlage!“
Ich lachte. „Meinst du wirklich? Das glaube ich nicht!“, sagte ich dann.
Sie stellte sich gerade als Tanja vor, als wir zum ersten Mal die Insel betraten. Kameramänner empfingen uns, liefen sofort um uns herum, hielten wirklich alles mit ihren Geräten fest. Ich kam mir bedrängt vor.
Puh … dachte ich kurz. Am liebsten hätte ich mich nun in den weißen weichen Sand gelegt und zuerst einmal ausgeruht. Aber da sah ich ihn … Oliver, der Moderator dieser Show!
Er war schon damals ein sehr bunter und schräger Vogel gewesen und auch hier stach er sofort heraus! Er tanzte uns barfuß entgegen, trug eine knallgelbe Bermuda-Shorts und ein kunterbuntes Hemd dazu.
Schließlich blieb er bei uns stehen, sah uns alle strahlend an, drehte sich dann zu einer Kamera um und begann seine Moderation.
„Hallo meine lieben Zuschauer zu Hause! Hallo an alle Fans von WMS, von WATCH ME SCREAM! Hallo Welt … Wir sind wieder da! WATCH ME SCREAM ist zurück und diesmal noch gemeiner, noch härter, es wird grausam, es wird schaurig, es geht um viel, viel Geld!! Willkommen bei … WATCH ME SCREAM – LOUDER!!“
Er fiel theatralisch auf seine Knie in den weißen Sand, hatte seine Arme weit ausgestreckt. Eine ältere Frau hinter den Kameraleuten winkte uns, wir sollten uns ihm von hinten nähern. Als wir fast bei ihm waren, erhob er sich, drehte sich zu uns um, lächelte breit und ich sah seine schneeweißen Zähne.
„Meine lieben Spieler, ihr tollen Kandidaten, ihr werdet nun diese aufregende Insel beziehen! Für 20 Tage wird sie euer zu Hause sein … ihr werdet in ein leer stehendes Hotel Resort einziehen, nicht weit weg von hier. Ihr müsst nur ungefähr drei Kilometer durch diesen Dschungel, folgt der ehemaligen Straße und schon seid ihr dort!“
Oliver drehte sich wieder zur Kamera. „Liebe Fans da draußen … Ihr fragt euch, wo sind diese tapferen Leute hier? Nun, so ganz genau sagen wir euch dies natürlich nicht …Wir sind auf einer Insel mit langer Geschichte, aber nun ist sie schon einige Zeit verlassen und die Natur erobert sie sich zurück! Unsere Kandidaten werden ein Hotel beziehen, dass 1980 eröffnet wurde, aber schon 1999 wieder seine Pforten verschloss, verschließen musste … es gab einfach zu viele Unfälle, es gab Vorkommnisse mit Haien und Überfälle hier am Strand! Und dann noch diese … ach nein, das verraten wir noch nicht!“ Er grinste diabolisch in die Kamera.
Ich zuckte zusammen und hörte einiges Gemurmel um mich herum. Hatte unser Moderator „Haie“ gesagt? Hatte er von Überfällen gesprochen? Und was hatte er da absichtlich nicht ausgesprochen?
Oliver drehte sich zu uns um, immer noch grinsend. „Habe ich euch Angst gemacht? Das wollte ich nicht!! Ich würde sagen, ihr macht euch nun auf den Weg in euer Hotel, lernt euch gegenseitig kennen und beschnuppert euren neuen Wohnort! Ich werde mich später wieder bei euch melden!“
Er schnippte mit seinen Fingern und einige Leute setzten sich aus der Gruppe bei den Kameramännern in Bewegung, kamen auf uns zu. Sie hielten Gegenstände in den Händen, die sie uns nun übergaben.
„Das hätte ich fast vergessen!“, rief Oliver und schlug sich mit der Hand an die Stirn. „Ihr bekommt nun eure Mikrofone, hängt sie euch um und tragt sie immer! Euch werden nun auch die Handys übergeben … ihr könnt damit nicht anrufen und nichts schreiben … wir sagen euch zu gegebener Zeit, was ihr damit machen könnt! Und ihr bekommt eine Kette mit einem Anhänger … tragt sie immer, unbedingt, denn ihr werdet sie ab und an gebrauchen müssen! Wann und wofür, sagen wir euch nicht! Findet es heraus!“
Er lachte laut und böse, drehte sich wieder zur Kamera. „Es geht los! WATCH ME SCREAM - LOUDER beginnt in diesem Augenblick!“
Sofort nahmen alle Kameraleute ihre Geräte herunter, drehten sich um und steuerten den Steg an, gingen zurück zu den Booten, mit denen wir gekommen waren. Unser Moderator folgte ihnen.
Ich hatte mir das Mikrofon umgehängt, wie alle anderen, und das Handy mit dem Gürtel um meine Hüfte geschnürt. Nun sah ich die Kette an, kühl lag der Metallanhänger in meiner Hand.
An einem Lederband war ein silberfarbener ovaler Anhänger, darauf eine Gravur. Ich erkannte eine Schlange, die sich um etwas herum schlängelte. Der Anhänger sah geheimnisvoll aus, fand ich. Ich hängte ihn mir um meinen Hals.
„Also dann, gehen wir los?“, sagte ein Mann, so um die 40, er hatte eine tiefe, angenehme Stimme. „Mein Name ist übrigens Ekrem, kommt, lasst uns aus der Sonne rausgehen!“
Er hatte recht, wir hatten die ganze Zeit im Sonnenlicht gestanden, zum Glück hatten wir uns alle an Bord der großen Schiffe noch eingeschmiert mit Sonnencreme.
Ich sah noch einmal auf das endlose Meer, die Wellen, die an den Strand spülten, dann beeilte ich mich, den anderen zu folgen, die schon losgegangen waren.
Der Strand war nicht breit, sehr schnell waren wir unter den ersten Palmen und kamen bei der ehemaligen Straße an, die von hier zum Hotel führen würde. Hier war es etwas kühler, aber nur etwas … zuerst sah ich nur Palmen, wenig später wurde es dichter, immer grüner, Gebüsch war rechts und links von dem Weg und ich glaubte, Orchideen zu sehen. Es war so entsetzlich warm …
„Ich schwitze!“, meckerte eine Frau mit gelocktem Haar vor mir. Sie schien mir nicht sehr motiviert.
Ein junger Mann neben ihr lachte glucksend. Er hatte schöne braune Augen, die waren mir schon am Strand aufgefallen.
„Wenn das das einzige Problem ist!“, erwiderte eine etwas burschikos wirkende Frau, etwa mein Alter. Sie hatte langes, glattes Haar, ein wunderschönes Braun.
Ein Mann drehte sich um, während wir weitergingen, er war auch jung. „Fangt ihr jetzt schon an zu meckern?“, fragte er mit genervtem Unterton. Er hatte dunkles Haar, dunkle Augen, mir fiel eine Narbe an der Unterlippe auf. Auch seine schwarz lackierten Fingernägel hatte ich sofort bemerkt. Er hatte einen Blick … ich konnte ihn schlecht beschreiben … einen düsteren Blick irgendwie.
Zwei weitere Frauen, etwas molliger, tuschelten miteinander und hielten sich weiter abseits von uns.
Es dauerte eigentlich gar nicht lange, da rief der Typ, der sich als Ekrem vorgestellt hatte, von vorne ganz laut: „Da ist es! Ich sehe das Hotel!“
Ich drängte mich an der Burschikosen vorbei und blickte aufgeregt in den lichter werdenden Urwald. Die Straße, hier war sie kaum noch zu erkennen, mehr ahnte man, wo sie einmal gewesen war … aber sie führte geradewegs auf ein zweistöckiges Gebäude zu.
Es schien einmal ganz in beige gestrichen gewesen zu sein, hier und da sah man den Anstrich noch. Unsere Gruppe blieb kurz stehen, verschnaufte, sah sich um.
Irgendwie sah alles unwirklich aus, meinte ich. Ich hörte Vögel kreischen und andere seltsame, fremde Laute, vermutlich von Tieren. Die Sonne schien ein wenig durch das Blätterdach über uns.
„Was ist? Gehen wir rein? Das scheint es ja wohl zu sein, unser Hotel!“, trieb der mit den schwarzen Nägeln uns an.
Durch zwei große Flügeltüren aus Holz betraten wir das Innere des Gebäudes. Es war dunkel hier drin.
„Ach du Scheiße!“, entfuhr es der Burschikosen. „Wie sieht das denn hier aus? Und wie das stinkt … die hätten mal durchwischen können …!“
Es roch wirklich nicht angenehm. Ekrem betrat die ehemalige Lobby, stieß ein paar Fensterläden auf, damit Licht die Szenerie etwas erhellte. Er hustete, weil er einigen Staub aufgewirbelt hatte.
Ich blickte mich um. An der rechten Seite hatte man damals wohl eingecheckt, an der Wand hinter dem Desk sah ich genau zehn Schlüssel hängen, sie glänzten golden. Links sah ich ein paar Stühle stehen, ein verblichenes Sofa, einige runde Tische, alles im Rattan-Style. Geradeaus ging es durch zwei schmutzige Glastüren in einen anderen Raum.
Hier hinein ging unsere Gruppe nun. Es wurde heller, denn hier waren viele Fenster eingebaut, sie waren nicht gerade sauber, aber es fiel wenigstens Licht in diesen Speisesaal, der er wohl einmal gewesen war.
Es standen nur noch wenige originale Tische und Stühle herum. Aber in der Mitte war ein großer sauberer Tisch mit zehn sauberen Stühlen … anscheinend für uns, vorbereitet.
„Wow!“, kam der erfreute Ausruf von Ekrem aus einem kleinen Nebenraum, der sich als unsere Küche herausstellte. Ich drängte mich nach vorne, warf einen neugierigen Blick hinein. Die Küche war neu, es gab einen Herd, einen riesigen Kühlschrank, eine Mikrowelle, ich sah Regale mit Tellern, Töpfen und allem, was man in der Küche so brauchte.
„Perfekt!“, entfuhr es mir freudig.
„Wenn man nichts Besseres gewöhnt ist …!“, murmelte der düstere Typ und ging zurück in den Speisesaal, setzte sich an den großen Tisch. „So, was ist jetzt? Wie geht es weiter?“, fragte er genervt.
Ich mochte ihn nicht, das stand mal so was von fest! Er schien ein richtiger Stinkstiefel zu sein.
Aber in diesem Moment erhellte sich ein Monitor, der mir vorher gar nicht aufgefallen war, an der rechten Wand. Oliver war zu sehen. Er stand auf einem der Schiffe, grinste spitzbübisch in die Kamera.
„Meine lieben Hotelgäste! Ihr habt ganz gezielt eure Küche gefunden und den Speisesaal, super! Der Kühlschrank ist gefüllt, solltet ihr Nachschub brauchen sind genügend Vorräte hier an Bord und wir beliefern euch dann! Sollte es zu einem ärztlichen Notfall kommen … ein Schiff hier hat eine Krankenstation, ganz modern ausgestattet! Sollte sich einer von euch verlaufen … euer Mikro-Chip im Oberschenkel hat GPS, wir werden euch also finden! Ihr seht, wir sind gut zu euch!“
Er machte eine kurze Pause, redete dann weiter. „In der Lobby, an der Anmeldung, hängen eure Zimmerschlüssel, auf jedem Schlüssel steht der dazugehörige Name. Die Zimmer befinden sich rechts und links in den Nebengebäuden und sind natürlich für euch neu hergerichtet worden, aber nur eure Zimmer! Ihr dürft sie nun beziehen!“ Der Monitor wurde wieder schwarz.
Ich schaute auf meine neue Armbanduhr am Handgelenk. Wir hatten jeder eine Uhr bekommen, von einem Sponsor der Show, jede hatte eine andere Farbe. Meine war grün, ein dunkles Grün, und zeigte mir an, dass es 14.45 Uhr war.
Meine Gruppe hatte sich in die Lobby begeben, Ekrem händigte uns die Schlüssel aus und bei dieser Gelegenheit erfuhren wir auch die Namen unserer Mitspieler.
„Maja … wer ist Maja? Du wohnst in Zimmer 11, im Nebengebäude I“, sagte Ekrem ruhig, sah mich aufgeregt winken und gab mir den Zimmerschlüssel.
Auf den Namen Hendrik hörte der strohblonde Mann, er wohnte auch im Gebäude I, Zimmer 16.
Als nächstes bekam die Blonde mit dem Schlangentattoo ihren Schlüssel ausgehändigt. Sie hieß Tanja und wohnte im Gebäude II, ihre Zimmernummer war 20.
Ekrem lachte. „Oh, das hier ist meiner! Gebäude II, ich wohne im Zimmer mit meiner Glückszahl, der 22!“
Die restlichen Spieler bekamen ihre Schlüssel, ich hörte den Namen Anja, die mit dem lockigen Haar, sie wohnte mit in meinem Gebäude. Mark hieß der mit den hübschen braunen Augen … toll … er wohnte auch auf meiner Etage! Die Burschikose war Nadja, Gott sei Dank zog sie ins andere Nebengebäude. Dafür kam Marvin mit den schwarzen Fingernägeln leider ins Gebäude I. Monika und Heidi, die immer zusammenstanden und tuschelten, gingen gemeinsam ins andere Nebenhaus.
„Ok“, sagte Ekrem und räusperte sich, „Ich würde mal sagen, wir beziehen unsere Zimmer und danach treffen wir uns wieder hier, oder?“ Er schaute erwartungsvoll in die Runde.
„Bist du jetzt unser Anführer, oder was?“, hatte Marvin wieder sofort etwas zu bemängeln, drehte sich aber direkt um und steuerte den Ausgang an.
„Was für Probleme hat dieser Typ?“, fragte Nadja irritiert und wandte sich danach Ekrem zu. „Klar, das machen wir so! Ab ins Zimmer und danach zurück … hoffentlich ist das Bett bequem!“
Ich musste die ganze Zeit über grinsen. Die Ersten wollten sich wohl schon positionieren und ihre Duftmarke setzen … meinetwegen. Ich nahm meine Reisetasche und folgte den anderen zum Ausgang.
Vor dem Hauptgebäude teilten wir uns dann auf. Nebengebäude I lag links davon, Gebäude II rechts. Die Häuser hatten ein Erdgeschoss und eine erste Etage. Eine Treppe an der Außenseite führte nach oben, überall lag Unrat auf den Stufen und Grünzeug wucherte in den Fugen.
Am Ende der Treppe, auf der Rückseite der Gebäude, führte eine Art langer Außenflur zu den Zimmertüren. Von diesem Flur aus, auf mich wirkte er wie ein superlanger Balkon, sah ich nun, was hinter den Gebäuden lag.
Ich erblickte zwei Pools. Der eine war zu meiner Überraschung gefüllt, supersauber und sah verlockend aus bei dieser Hitze … der andere war leer, schmutzig, ich entdeckte einen abgerissenen Ast darin liegen und sah einen Vogel dort sitzen, der mich interessiert anschaute.
Zimmer 11, mein Zimmer, lag vor mir. Nervös steckte ich den Schlüssel ins Schloss und die Türe sprang auf. Ich trat ein und war sofort übergücklich! Hey, es hatte alles, was ich für diese Show brauchte, es gab ein Bett auf der linken Seite und einen Kleiderschrank dahinter. Es gab einen Tisch mit einem Sessel am Fenster auf der Kopfseite und rechts sah ich eine Kommode neben der Tür ins Bad. Hier gab es ein Klo, eine Dusche und ein Waschbecken. Perfekt!
Ich drehte mich einmal im Kreis, versuchte eine Kamera zu entdecken … aber ich sah keine. Sie mussten tatsächlich winzig klein und gut versteckt sein.
„Hey, kommst du mit runter in den Speisesaal? Ich habe Durst und außerdem wollten wir uns ja dort wieder treffen!“ Hendrik, der einige Zimmer weiter wohnte, stand plötzlich in der offenen Zimmertüre und sprach mich an.
„Ja, klar!“, antwortete ich sofort, denn auch ich war durstig.
In der Lobby trafen wir auf Ekrem und Nadja, die sich schon mit Wasserflaschen versorgt hatten und auf einen alten gerahmten Lageplan des Hotels auf dieser Insel schauten. Er hing an der Wand bei den Rattan-Möbeln. Interessiert trat ich näher.
„Die Beschriftung ist in englischer und französischer Sprache, siehst du?“, fragte mich Ekrem und deutete auf einige Wörter auf diesem Plan. „Sieht aus, als ob das eine einigermaßen große Insel ist. Schau mal hier … Hai-Bucht … Zum Glück weit vom Hotel weg. Oder hier … Piratenwrack … klingt irre aufregend, oder?“
Ich nickte stumm und sah mir den Plan genauer an. Unser Hotel war mit einem X gekennzeichnet und lag ganz im Süden der Insel. Im Norden schien ein kleineres Gebirge zu sein, ich las was von einem Wasserfall mit See … wow! Östlich davon lag im Meer wohl tatsächlich ein Piratenwrack … ein echtes? Oder ob sie dort ein Schiff als Touristenattraktion damals versenkt hatten? Die Hai-Bucht lag im Westen. Dort war auch noch etwas anderes eingezeichnet, im Landesinneren, aber genau dort war ein tiefbrauner Fleck und machte das Gedruckte unlesbar.
Die Lobby füllte sich, alle Spieler waren anwesend. Hendrik verteilte Getränke an uns, während wir in den Speisesaal gingen und uns an den riesigen Tisch setzten.
Ich schaute auf meine Armbanduhr ... es war inzwischen 15.30 Uhr. In dieser Sekunde erhellte sich der Monitor an der Wand und Oliver erschien wieder, unser Moderator.
„Hallo, meine Hübschen! Wie gefallen euch eure Zimmer? Alles ok dort? Super … dann erzähle ich euch nun noch einige Dinge von dieser Insel hier, eurem neuen Zuhause!“
„Ja!“, hatte ich freudig aufgeschrien und alle anderen sahen mich entgeistert an. Nein, Hendrik nicht, er grinste mich an. Ich fand ihn irgendwie sympathisch.
Oliver lachte und zwinkerte uns zu. „Ok … also … Eure Insel liegt weit weg vom Festland. Schon früh wurde sie von Nachfahren der Sklaven, die einst hierher entführt wurden, bevölkert. Sie hatten eine kleine Siedlung, ganz in der Nähe vom Wasserfall, den ihr bestimmt noch kennenlernen werdet! Der Frieden hier wurde etwas beeinträchtigt, als eine Strafkolonie im Westen gebaut wurde und Schwerverbrecher hierher verlegt wurden. Um 1920 wurde dieses Lager aber aufgegeben und geschlossen, seitdem wird es vom Dschungel überwuchert. Das Hotel Resort, das ihr bewohnt, wurde 1980 eröffnet, aber schon 1999 wieder geschlossen. Warum? Nun, es gab einige unerklärliche Unfälle beim Wasserfall … dazu kamen ein paar Vorfälle mit Haien … irgendwann begannen dann auch noch Überfälle auf die Touristen am Strand … bald war das Hotel nur noch halb belegt. Als es dann wirklich unrentabel wurde, schloss man es. Der Besitzer fand keinen Käufer dafür und seit dem liegt es hier verlassen, denn es gibt auch keine Bewohner mehr auf der Insel, der letzte starb 2001. Und nun seid ihr hier!“
Er machte eine Pause, wechselte seine Position auf dem Schiff, man konnte im Hintergrund nun die Insel sehen.
„Die ehemaligen Bewohner“, fuhr unser Moderator fort, „nannten ihre Heimat übrigens Schlangeninsel! Nein … nicht nur, weil es hier so viele Schlangen gibt … sondern, weil es hier so eine Art Voodoo-Kult gab, die Einwohner verehrten einen Schlangengott … ich glaube, sein Name ist Zimballoh!“
„Ach wie cool!“, rief Tanja erfreut aus, die auf ihr Schlangen-Tattoo auf der Schulter zeigte. „Das passt ja wie die Faust aufs Auge!“
Wir lachten alle. Nein, nicht alle … Marvin blieb ernst, sein seltsamer Blick machte mich unruhig, ein unangenehmer Typ …
Oliver lachte auch, dann wies er uns an, still zu sein. „Gut, meine Lieben … beschnuppert euch heute noch gegenseitig, ruht euch aus, springt in den Pool, aber geht rechtzeitig schlafen! Wir wecken euch früh und ab morgen geht es los für euch! Es gibt 500.000 € für den Gewinner, es gibt zusätzlich in mehreren Spielen und Aufgaben jeweils 10.000 € zu erspielen und es gibt einen Bonus jedes Mal dann, wenn eurer Account, den wir für euch auf einer Plattform angelegt haben, eine bestimmte Follower-Marke knackt! Klingt das nicht toll? Also, ihr Zuschauer da draußen in Deutschland, in der ganzen Welt … ran an die Computer, folgt euren Favoriten! Jeden Abend gibt es eine Sondersendung und Zusammenfassung des Tages im Fernseher und es werden einige Gäste zu uns eingeflogen! Jaaa … aber ich verrate noch nicht, welche! Und es wird eine tolle Überraschung geben!“ Er zwinkerte in die Kamera.
Damit verschwand Oliver vom Bildschirm und alle sprachen wild und aufgeregt durcheinander. Wow, es gab so viel Geld zu gewinnen und zu erspielen! Super, hoffentlich hätte auch ich das Glück, etwas davon zu ergattern, ich brauchte dringend Geld für den Führerschein.
Wie eine wilde Party-Meute hatten wir danach den Pool gestürmt, der hinter dem Speisesaal lag. Herrlich, das tat so gut, sich darin abzukühlen!
Als wir hungrig wurden, zogen wir uns um und kochten zusammen in der kleinen Küche. Es war angenehm harmonisch, sogar Marvin lachte hier und da mal …
Aber bald wurden wir müde, wahrscheinlich machte uns die Zeitumstellung zu schaffen. Es war gerade einmal 20.20 Uhr, als ich mich ins Bett legte, aber ich schlief sofort ein.
Aber mein Schlaf war unruhig, ich sah unheimliche Dinge … Dinge, für die ich keine Erklärung hatte. Oh Gott, es fing doch wohl nicht schon wieder an? So lange war es nicht mehr passiert … würde es hier auf dieser Insel wieder beginnen? Ich hoffte nicht, denn dieses Geheimnis hatte ich bisher so gut gehütet, es sollte nicht hier in aller Öffentlichkeit enthüllt werden!
S
cheiße, was war das denn? Ich wurde von Getrommel geweckt. Ich blinzelte verschlafen in diesen fremden Raum … wo war ich? Ach ja! Ich war Kandidat in dieser Show, ich war auf der Insel, schlief in diesem Hotel! Aber wo kam dieses Trommeln her?
Ich versuchte, die Quelle dieses Geräusches zu finden … da, eine Lautsprecher-Box oben an der Wand über dem Kleiderschrank, daraus kam dieses Getrommel, das nun plötzlich und unvermittelt aufhörte.
Ich schaute mich um, rieb meine Augen und versuchte mein langes Haar zu ordnen. „Ich bin wach!“, sagte ich noch schlaftrunken, aber ich wusste ja, man konnte mich bereits jetzt sehen. Ob Anna zu Hause jetzt gerade zusah?
Müde stolperte ich zum Bad, ich musste mal … anschließend sprang ich unter die Dusche. In das Handtuch eingewickelt ging ich ins Zimmer zurück und zerrte eine kurze Hose und ein Top aus meiner Tasche. Ich war gestern so müde gewesen, ich hatte noch nicht einmal mehr meine Klamotten in den Schrank gelegt. Irgendwo musste doch meine Unterwäsche sein? Ordentlich gepackt hatte ich nun wirklich nicht …
Angezogen und gekämmt verließ ich mein Zimmer, trat auf den Außenflur. Die Sonne schien schon heiß, es war gerade einmal 8.00 Uhr. Ich hörte Vögel kreischen und ich sah Ekrem bereits im Pool seinen Bahnen ziehen. So früh? Ok, er hatte eine sportliche Figur, schien wirklich fit zu sein, vielleicht brauchte er sowas.
„Ich war schon vor ihm Schwimmen!“, hörte ich die Stimme von Hendrik plötzlich neben mir. „Ich bin Sportlehrer in einer Grundschule, ich muss mich fithalten!“
Er war groß, mindestens 1,80 m, ich musste zu ihm hochgucken. Die Augen unter seinen strohblonden Haaren, die irgendwie immer ungekämmt aussahen, waren hellblau.
„Echt, du bist Lehrer?“, fragte ich neugierig nach.
Er nickte. „Ja, für Sport und Mathe … ist das schlimm? Magst du Lehrer nicht?“
Wir stiegen die Treppe hinab und gingen zum Speisesaal.
„Keine Ahnung … Nein, ich habe nichts gegen Lehrer! Ich hätte dich aber nicht für einen gehalten!“ Warum sagte ich das? Wie sollte ein Lehrer denn aussehen, fragte ich mich gerade selber.
„Du bist Lehrer?!?“, fragte Marvin entsetzt nach, der schon mit einem Müsli am großen Tisch saß und aß. „Oh Scheiße, ich habe all meine Lehrer gehasst! Ihr kommt euch immer so oberschlau vor … das kotzt mich echt an. Bist du auch so ein Mister Ich-weiß-alles?“
Wieso war er immer so aggressiv? Ich holte mir eine Banane aus der Küche, setzte mich auch an den Tisch.
Marvin kaute genüsslich, dabei grinste er abfällig. Er hatte eine kleine Narbe an der Unterlippe, bestimmt hatte er sie bei einer Rangelei zurück behalten. Nun schaute er mich an und seine dunklen Augen verengten sich mit einem Mal. „Ist was? Warum guckst du so?“, machte er mich herablassend an.
„Mach mal halblang!“, giftete Hendrik zurück.
Die beiden Männer maßen sich mit Blicken, aber keiner sagte ein weiteres Wort.
Nach und nach erschienen alle anderen und frühstückten oder tranken Kaffee oder Tee. Einige erschienen mir noch recht müde zu sein.
Ekrem war fröhlich, erzählte viel und auch interessant. Aber auch da musste Marvin seinen Senf dazugeben.
„Ey, man, ich kenne dich! Du bist doch dieser Influencer, oder? Ja, klar, ich hab schon was von dir gesehen … immer an den tollsten Orten dieser Welt, immer durchtrainiert und oberkörperfrei. Wie alt bist du eigentlich? 40? 45? Ja, echt, 45? Wieso bist du nicht verheiratet?“ Marvin war sehr neugierig.
Ekrem machte sich gerade einen Smoothie, sah den Fragenden ernst an. „Ich habe die richtige Frau noch nicht gefunden … ist das schlimm?“
Marvin lachte bitterböse. „Bist wohl so einer, der sich irgendwann so ein junges Ding nimmt und denkt, die liebt dich dann, wenn du alt und reich bist!“
Nadja setzte sich neben Marvin und sah ihn provozierend an. „Junge, was stimmt nicht mit dir? Wieso willst du hier nur anecken? Ist das vielleicht deine Masche hier in der Show?“
Marvin fiel der Löffel fast aus seiner Hand, sein Blick wurde noch finsterer. „Lass mich bloß in Ruhe!“, zischte er Nadja zu. „Ich werde dich fertigmachen, du fliegst hier als Erste raus!“
Nadja strich ihre langen Haare zurück, grinste ihn an. „Versuche es!“, erwiderte sie leise.
Ich war etwas erschrocken darüber, wie aufgeheizt die Stimmung jetzt am Anfang schon war. Langsam schlenderte ich mit meiner Milch, die ich mir gerade eingegossen hatte, zu einem der schmutzigen Fenster und blickte seufzend nach draußen in den grünen Dschungel.
Da! Da war doch jemand gewesen! Ich schaute verwirrt zu den anderen, dann wieder hinaus. Ich war mir sicher, dass dort hinten bei den Büschen ein menschlicher Arm zu sehen gewesen war! Hm, ein Arbeiter von der Produktion? Eigentlich hatten sie gesagt, dass wir alleine hier wären … es sei denn, sie brächten Vorräte hierher oder ein Arzt müsste zu uns kommen. Seltsam. …
Ich wollte mich umdrehen und den anderen davon erzählen, da kam Oliver mir zuvor. Er erschien auf dem Monitor und winkte uns fröhlich grinsend zu.
„Hallo liebe Bewohner des Hotels! Na, bei euch brodelt es, kann das sein? Beruhigt euch, wir sind doch noch ganz am Anfang! Zwei Dinge für heute: 1. Die Beiden, die heute Abend die wenigsten Follower haben, ziehen bereits wieder aus!“
Einige hielten die Luft an. So schnell konnte es schon zu Ende sein?
Oliver sprach weiter „2. Ihr braucht etwas Beschäftigung! In zwei Teams werdet ihr die Insel erkunden dürfen … also gutes Schuhwerk anziehen! Ein Team erkundet den Osten der Insel, das andere Team den Westen! Also, ran an den Speck! Zieht euch um, nehmt Trinkflaschen mit und dann brecht auf! Viel Spaß!“
Mit diesen Worten wurde der Bildschirm wieder schwarz.
Ekrem klatschte freudig in die Hände. „Dann wollen wir mal! Umziehen und dann treffen wir uns in der Lobby, teilen uns in Teams auf und gehen los!“
Wir spurteten los … Ich lief in mein Zimmer, warf meine Flip-Flops in die Ecke und schlüpfte in meine Turnschuhe. Mein Top tauschte ich gegen ein Shirt mit kurzen Ärmeln. Schnell legte ich noch Sonnencreme in meinen mitgebrachten Rucksack und ein Fischerhütchen. Gehetzt schaute ich mich um … hatte ich etwas vergessen?
Plötzlich setzten die Kopfschmerzen ein. Ich schloss für einen Moment meine Augen, alles drehte sich. Nein, bitte, nicht jetzt! Ich sah Bilder, wie kurze Momentaufnahmen, aber ich wusste sie nicht einzuordnen. Warum jetzt? Warum fing es hier wieder an?
Ich hörte Rufe von draußen, meine Mitspieler. Tief atmete ich ein und aus, dann öffnete ich wieder meine Augen und ging raus auf den Außenflur. „Ich komme schon!“, rief ich hinunter.
Die ganze Truppe stand schon unten, neben den Pools, und wartete auf mich.
Als ich bei ihnen ankam, reichte Hendrik mir lächelnd eine Wasserflasche. Dankbar nahm ich sie an und verstaute sie im Rucksack.
„Wir müssen zwei Teams bilden“, begann Ekrem schließlich. „Kriegen wir das hin?“
Wir sortierten uns, wechselten wieder, aber endlich hatten wir es geschafft. Wir einigten uns darauf, dass die Leute, die ein Nebengebäude zusammen bewohnten auch ein Team bildeten. So war ich zusammen im Team mit Hendrik, Anja, Mark und Marvin.
Wir bekamen den Westen der Insel zugeteilt. Es wurde sich verabschiedet, dann brachen wir auf … inzwischen war es 10.00 Uhr geworden.
Unser Team beschloss, den Strand zu suchen und ihm dann zu folgen. Also gingen wir los in westliche Richtung und kämpften uns durch den dichten Dschungel. Es war heiß, ich schwitzte und dauernd schlugen mir irgendwelche Äste ins Gesicht. Mücken kreisten um mich herum und ich wurde langsam durstig.
Dann endlich lichtete sich der Wald, nur noch wenige Palmen standen schließlich im Sand und dann waren wir am Strand angekommen. Eine kühle Brise, die vom Meer herüber wehte, erfrischte mich und ich atmete tief die Meeresluft ein.
„Guckt mal, die Schiffe da drüben!“, meinte Mark und wies mit ausgestrecktem Arm auf die türkisblaue See.
Ja, dort ankerten drei Schiffe der Produktion, in einiger Entfernung, dort hin zu schwimmen schien unmöglich.
„Gehen wir weiter!“, forderte Marvin ungehalten und wir fünf brachen auf.
Anja hatte ihre Schuhe ausgezogen und lief barfuß durch den kühlen, nassen Sand. Ich tat es ihr gleich und wir grinsten uns dabei an.
„Hat was von Urlaub.“, sagte sie nachdenklich. „Ich hatte schon ewig keinen Urlaub mehr. Weißt du, ich bin geschieden, Mutter von zwei Kindern, es ist nicht ganz einfach …“
Ich nickte, aber was verstand ich schon davon? Ich war gerade 18, hatte keinen Freund, ja … und Geld verdiente ich selbst auch noch nicht.
„Da vorne müssen wir rechts rein“, sagte ich laut zu den anderen.
Marvin drehte sich zu mir um, sah mich fragend an. „Wieso? Was ist da? Und wieso weißt du das dann?“
Ja? Wieso wusste ich das … das fragte ich mich gerade selbst. Ich glaubte, rot zu werden, fühlte die skeptischen Blicke der anderen auf meinem Gesicht.
„Also … ich glaube … ich weiß nicht …“stammelte und stotterte ich hilflos herum, strich mir die langen Haare dabei aus dem Gesicht.
Hendrik ging los, schaute uns an und lachte. „Na kommt, gehen wir wieder in den Dschungel und sehen mal nach, was da ist!“
Wir gingen zusammen an ein paar Palmen vorbei, dann hinein in wieder dichter werdenden Urwald. Wir scheuchten einen Papageien auf und Anja zeigte nervös auf eine mittelgroße Echse.
Mein Kopf dröhnte und schmerzte … warum nur, warum jetzt und hier? Bestimmt schon vier Jahre war es nicht mehr passiert und nun ging es wieder los. Ich grübelte und wollte eines auf jeden Fall nicht … dass die Anderen merkten, was mit mir los war …
Marvin und Hendrik kämpften sich vorne durch dichtes Gestrüpp, als plötzlich Mark aufschrie und nach links zeigte. „Guckt mal da! Diese Ruinen dort! Sind das Ruinen? Was war auf dem Plan in der Lobby hier im Westen eingezeichnet gewesen?“
Wir schauten alle gespannt auf die im Dschungel halb überwachsenen Gebäude, die man jetzt erkennen konnte.
„Das muss die Strafkolonie sein! Wie cool ist das denn!?“, rief Marvin begeistert aus. Er preschte voran, kämpfte sich durch die Bäume und die hohen Farne durch und spornte uns an, mitzukommen.
Anja kam nicht so schnell hinterher, stolperte, verfing sich in einer Art Liane und fiel der Länge nach auf den Boden. Sie schrie auf vor Schmerzen.
Kurz blieb Marvin stehen, schaute zu ihr, dann ging er unbeirrt weiter.
Ich bückte mich zu Anja hinunter, half ihr wieder auf die Füße. „Alles ok?“, fragte ich sie besorgt.
Sie wischte sich eine Träne vom mit Erde beschmierten Gesicht. „Mein Fuß tut weh … So ein Mist!“
So humpelte sie nun hinter mir her. Ich guckte nach vorne, suchte die Jungs. Marvin war verschwunden, wohl in den Ruinen schon unterwegs. Hendrik und Mark standen an der Mauer eines Gebäudes und warteten auf uns.
Als ich bei den beiden ankam, sah mich Hendrik grinsend an. „Du hast einen tollen Orientierungssinn! Dass du das so genau wusstest, dass wir hier abbiegen mussten, um das Lager hier zu finden. Respekt!“
Ich nickte stumm. … wenn er wüsste!
Mein Magen knurrte. Es war bereits Mittag, zeigte die Uhr. Ich nahm einen Schluck aus meiner Wasserflasche, sah mir die Umgebung an. Wir standen an einer grauen Mauer, halb war sie eingefallen. Hinter der Mauer schienen Gebäude zu sein, einige wenige Dächer konnte ich erkennen, allesamt überwuchert.
„Kommt, gehen wir das Lager erkunden!“, forderte Hendrik uns auf. „Marvin ist natürlich schon alleine losgegangen. Anja … wird es gehen?“
Er ging zu ihr hin, sah auf ihren geschwollenen Knöchel.
„Ich setzte mich ein paar Minuten hier auf die Mauerreste“, erklärte Anja, während sie ihren Schuh auszog. „Geht ihr mal alles ansehen, ich warte hier auf euch!“
Erst wollten wir sie nicht alleine zurücklassen, aber sie bestand darauf. Also gingen wir los.
Ich fühlte mich wie eine Entdeckerin … Nach ein paar wenigen Schritten stand ich auf einem zentralen Platz. Ich sah Käfer herumlaufen auf dem Boden, überall wuchs etwas durch Steinplatten, die hier verlegt waren. Während ich mich im Kreis drehte, sah ich überall Häuser aus Stein um mich herum, die meisten hatten winzige Fenster, darin verrostete Gitterstäbe. Die wenigsten Türen hingen noch in ihren Angeln … Überall sah ich Unrat liegen, aber auch Zeugnisse aus alter Zeit … einen hölzernen Eimer ohne Griff … mehrere rostige Schaufeln an einer Wand.
Ein Gebäude interessierte mich mehr als die anderen, ich beschloss, dort hinein zu gehen. Es lag etwas abseits von den anderen, hatte eine vergitterte Türe, die laut und nervtötend quietschte, als ich sie aufdrückte.
Mit angehaltenem Atem betrat ich den kleinen, eigentlich winzigen Raum, der sehr dunkel war. Mein Kopf fing an zu schmerzen … Mir war, als würde ich Worte hören, ein Gemurmel … Beschwörungsformeln? Ich schloss kurz die Augen, atmete tief und ruhig, versuchte, mich zu konzentrieren. Eine Schlange … vor meinem inneren Auge sah ich eine Schlange, sie tanzte, wand sich und jemand murmelte dabei diese Worte, die ich nicht verstand … Ich öffnete meine Augen wieder.
Ich ging zielgerichtet auf die rechte Wand in dieser Gefängniszelle zu und da sah ich sie! Eine Schlange, eingeritzt in das Mauerwerk!
„Was ist da?“
Erschrocken fuhr ich herum und sah den Fragensteller, Marvin. Er stand da mit seinem finsteren Blick und sah mich starr an.
„Nichts!“, fuhr ich ihn wütend an. Wieso hatte er sich so angeschlichen?
Er kam näher, sah sich ebenfalls die Wand an und entdeckte auch die eingeritzte Schlange, er fuhr mit seinen Fingern darüber. „Die habe ich nun schon auf einigen Wänden hier im Lager gesehen! … hatte Oliver nicht was von einem Schlangengott erzählt?“
„Kann schon sein“, murmelte ich verdrossen und verließ diese Zelle, schaute mir die nächste an, die gleich daneben war. Sie war genauso winzig, aber hier stand ein hölzernes Etagenbett. Eigentlich nur noch das Gestell eines Bettes, das Holz verrottete langsam. Die Enge hier war bedrückend, ich sah nicht einmal ein Klo.
Marvin war mir gefolgt. „Was meinst du wohl, wie die sich hier drin gefühlt haben? Erzählst du es mir?“ Er lachte und zog die vergitterte Zellentür zu, so dass ich nun eingesperrt war.
Entsetzt sah ich auf das Schloss, es hatte so ein Schnappgeräusch gemacht! Ich versuchte, die Türe zu öffnen, aber vergebens!
Marvin guckte mich verwirrt an, begann nun selber an dem Griff zu rütteln. „Shit!“, stieß er leise aus.
„Mist! Scheiße! Warum hast du das gemacht, du Idiot?“ schrie ich ihn an.
Er sah mich wütend durch die Gitterstäbe an. „Hätte ich das wissen können? Woher sollte ich wissen, dass die verdammten Schlösser noch funktionieren?“
Ich fluchte und begann zu schwitzen wie verrückt. „Geh und suche nach einem Schlüssel!“, wies ich Marvin schroff an.
Er lachte auf. „Wo denn bitte? Hast du einen Schreibtisch, einen Schrank gesehen?“
Es stimmte, zumindest in diesem kleinen Gebäude waren keine Möbel mehr.
Marvin rüttelte wie ein Irrer an der Türe, dann hielt er inne und begann laut zu sprechen. „Hey, Produktion! Hier ist ein Notfall eingetreten, könnt ihr Maja da raus holen? Gebt mal Nachricht, was passieren soll!“
Tatsächlich begann das Handy an seinem Gürtel zu vibrieren. Hektisch nahm er es ab und ging ran. „Ja? Ich verstehe … Euer ernst … Kann doch nicht wahr sein …ja, ich sage es ihr!“
Betreten sah er mich an. „Es ist so … sie haben keine Schlüssel für die Zellen hier. Ich soll jetzt die anderen holen und dann gehe ich mit ihnen Werkzeug besorgen … Allerdings muss ich das im Hotel suchen!“
Ich schluckte schwer. „Was? Ihr lasst mich dann alleine hier?“
Er zuckte mit seinen Schultern. „Ich suche schnell die anderen, ich beeile mich!“
Dann verschwand er!
Er ließ mich hier in dieser winzigen Zelle und ich sah ihn nicht mehr. Ich lief panisch zu dem kleinen vergitterten Fenster und versuchte, ihn irgendwo zu entdecken … nichts! Ich musste trinken! Meine zittrigen Finger nahmen die Wasserflasche aus meinem Rucksack und ich nahm einen Schluck daraus.
Da! Ich hörte ein leises Flüstern an meinem linken Ohr! Eine Gänsehaut lief über meinen Körper. Was war das? Eine Sinnestäuschung? Schweiß tropfte mir von meiner Stirn, ich wischte ihn mit der Hand weg, sah mich ängstlich um. Da hörte ich es wieder … kam es aus der Mauer? Ich schloss meine Augen, versuchte nicht hinzuhören.
Wo blieb Marvin mit den anderen? Wie lange war er schon fort? Ich sah auf meine Armbanduhr … 15.00 Uhr. Wann war er gegangen? Unruhe machte sich in mir breit, ich musste raus hier!
Und dann hörte ich die Stimmen von den Jungs, Gott sei Dank!
Hendrik kam zuerst ins Gebäude, gefolgt von Mark und Marvin. Ungläubig sahen sie mich alle an.
„Hey, wie geht es dir?“, fragte Hendrik fürsorglich und sah mich besorgt an.
Das Handy an Marvins Gürtel vibrierte und er las sofort die Nachricht, die er empfing. „Also“, sagte er anschließend zu uns, „Mark und ich gehen zum Hotel für das Werkzeug, Hendrik wartet hier bei Maja! Wir sollen sofort aufbrechen!“
Damit zog er Mark am Arm und verschwand aus meinem Sichtfeld.
„Wo ist Anja?“, fragte ich irritiert. „Wo habt ihr sie gelassen?“
Hendrik setzte seinen Rucksack ab, sah das Schloss genauer an und erklärte dabei: „Ihr Knöchel schwoll immer mehr an. Mark und ich bekamen Bescheid, wir sollten sie zum Strand bringen. Sie konnte nicht mehr auftreten, darum trug ich sie. Dort kam dann ein Boot, das sie abholte. Sie wird nun in der Krankenstation untersucht, ob sie weiter teilnehmen kann!“
„Oh“, sagte ich und lehnte meinen Kopf an die Gitterstäbe.
Hendrik setzte sich auf den Steinfußboden. „Setz dich, ruhe dich aus, du bist bestimmt nervös. Aber das wird jetzt dauern … die müssen zum Hotel den ganzen Weg zurück, müssen Werkzeug finden und dann wieder hierher!“
Ich sah ihn an, setzte mich auch auf den Fußboden an der Gittertüre. „Was denkst du? Zwei Stunden?“
Er nickte. „Mindestens!“
Wir tranken beide etwas Wasser. Ich hätte heulen können … Wenigstens hörte ich dieses geheimnisvolle Flüstern nicht mehr. „Woher kommst du?“
Hendrik sah mich ernst an, räusperte sich kurz. „Düsseldorf … ich komme aus Düsseldorf. Dort bin ich auch geboren. Und du?“
„Ich komme aus Aachen. Das ist ja nicht weit weg! Warst du schon einmal in Aachen?“ fragte ich neugierig.
Er nickte. „Ja, öfters. Im Dom und zu Weihnachten auf dem Weihnachtsmarkt, Printen kaufen. Aber eher damals … als ich noch verlobt war. Inzwischen bin ich Single … frag bitte nicht danach, ich möchte nicht über die Trennung sprechen!“
Er schien mir bei diesen Worten etwas nervös zu sein und … lispelte er jetzt?
„Schon gut, ich frage nichts!“, entgegnete ich ihm beruhigend. In mir kam wieder so eine Unruhe auf, ich erhob mich, tigerte durch die winzige Zelle, blieb schließlich wieder bei der Türe stehen und sah nochmal das Schloss an.
Die Schatten die an der Wand in meiner Zelle waren, wurden langsam länger … würde hier bald die Sonne untergehen?
Doch da fiel mir etwas auf … „Hendrik, sieh einmal, bitte! Sieht dieser Teil am Schloss nicht neu aus? Dieser Schlitz hier … den meine ich … siehst du das?“
Er erhob sich träge, sah dann zuerst mich an, dann das Schloss. „Hm, ja … du hast recht! Dieser Teil unterscheidet sich von dem Rest der Türe. Moment mal! Dieser Schlitz hier …“ Hendrik sprach nicht zu Ende, sondern zog die Lederkette mit dem Anhänger vom Hals und sah mich mit glühenden Augen lächelnd an. „Das wäre verrückt, oder? Ich versuche es!“
Damit steckte er das Ende des ovalen Anhängers in den Schlitz am Türschloss. Er rüttelte daran, zog den Anhänger heraus, drückte ihn wieder hinein … nichts. Entmutigt sah er mich an.
„Ich versuche es auf meiner Seite!“, rief ich aufgeregt, riss ihm seinen Anhänger aus der Hand und versuchte es auf meiner Seite der Türe.
Und siehe da! Mit einem kleinen kaum hörbaren Geräusch sprang die Gittertüre auf und ich blickte Hendrik ungläubig an. Ich war wieder frei! Ungeduldig riss ich die Türe auf und fiel Hendrik erleichtert und jubelnd um den Hals.
„Wir haben es geschafft!“, schrie ich regelrecht, „Lass uns schnell zurückgehen!“
„Moment“, dämpfte Hendrik aber meine Freude. „Wir können doch nicht einfach gehen. Mark und Marvin wissen nicht, dass du befreit bist und kommen doch bestimmt zurück! Was, wenn wir aneinander vorbei laufen?“
Ich seufzte, doch in dem Augenblick vibrierte mein Handy und ich sah eine Nachricht für mich.
„Hendrik, hier steht, wir sollen zurück gehen. Die anderen werden benachrichtigt!“ Ich sah ihn erfreut an. „Los, lass uns aufbrechen, ich habe inzwischen solchen Hunger!“
Er nickte und wir liefen aus diesem blöden Gebäude hinaus und verließen den Platz wieder an der eingefallenen Mauer. Hier aber waren wir uns uneinig, in welche Richtung wir losgehen sollten.
„Wir müssen zuerst geradeaus!“, meinte Hendrik.
Ich schüttelte energisch meinen Kopf und war anderer Meinung. „Nein, wir sind doch eindeutig von dort rechts gekommen!“
Das Sonnenlicht, das durch die Bäume fiel, ließ die Umgebung anders aussehen als noch vor ein paar Stunden. Ich war unsicher, hatte Hendrik vielleicht doch recht? Schließlich war er ja auch vorhin zum Strand zurückgegangen mit Anja und Mark. Also vertraute ich auf ihn und wir gingen los.
Wir waren etwa fünf Minuten unterwegs, als Hendrik plötzlich stehen blieb. „Hast du das gehört?“, fragte er mich und sah mich irritiert an.
Keuchend blieb ich stehen. „Was meinst du? Die Papageien?“
Er schüttelte seinen Kopf mit den strohblonden Haaren. „Nein, nicht die Tiere … das Trommeln meine ich!“
Überrascht sah ich ihn an. „Nein?!“, antwortete ich, aber im nächsten Moment hörte auch ich es! Da waren Trommeln zu hören, ganz deutlich.
„Ich denke, es gibt keine Einwohner mehr hier?“, bemerkte Hendrik und sah mich fragend an.
Ich zuckte mit den Schultern. Und plötzlich fing es dann wieder an … Mein Kopf schien zu platzen, von Schmerz gepeinigt schloss ich die Augen und stöhnte auf.
Hendrik kam zu mir gesprungen, berührte mich am Arm. „Hey, was ist mit dir? Was hast du?“
Mit verzerrtem Gesicht öffnete ich meine Augen wieder. „Wir müssen weg hier!“, stieß ich hervor, drehte mich um und ging weiter. Da waren wieder diese Bilder in meinem Kopf … Ich sah Feuer, diese Schlange, ich sah einen Mann und ich sah ihn um ein Huhn herum tanzen …
Ich blieb wieder stehen, hielt mich an einem Baum fest.
„Du hast doch irgendetwas?“ Hendrik stand wieder bei mir, sah mich beunruhigt an. „Komm weiter, wir sollten uns beeilen, bevor es dunkel wird! Wir müssen fast am Strand sein!“ Seine Stimme klang streng und er zog mich sofort mit sich.
Nach wenigen Schritten kamen wir dann auch an Palmen an, dann an den weichen Sand. Ich sog die Meeresluft tief ein, fühlte die erfrischende Kühle. Die Sonne stand tief, bald würde sie im Meer versinken.
„Komm, nicht stehenbleiben, lass uns in dem Tempo weitergehen!“, trieb Hendrik mich an.
Ich versuchte, mit ihm Schritt zu halten, meine Füße schmerzten langsam und ich bekam Seitenstiche, er war so verdammt schnell unterwegs!
Und dann sahen wir sie! Unsere Mitspieler standen versammelt am Strand und erwarteten uns rufend und winkend. Ich kam mehr fallend als gehend an, irgendwie drehte sich plötzlich alles.
„Ihr Kreislauf macht schlapp!“, war das letzte, was ich hörte, dann wurde alles dunkel um mich herum.
Ich spürte eine Hand über meine Wange streicheln. Verwundert öffnete ich blinzelnd meine Augen. Ich lag im Bett, im Bett in diesem Hotel auf der Schlangeninsel. Langsam kam ich zu mir, Tanja saß an meinem Bett, sah mich lächelnd an.
„Na, wieder unter den Lebenden?“, fragte sie sanft.
„Was ist passiert?“, fragte ich schwach. Ich erhob mich, setzte mich noch schwankend im Bett auf.
„Du bist am Strand zusammengebrochen, als ihr zurückgekommen seid, du und Hendrik! Das war wohl alles etwas viel für dich heute, was? Wie fühlst du dich jetzt? Geht es?“, Tanja sah besorgt aus.
Ich nickte. „Ja, alles in Ordnung, ich bin hungrig … wie spät ist es inzwischen?“
Es war 18.00 Uhr und schon dunkel draußen, als ich mit meiner Mitspielerin mein Zimmer verließ und in den Speisesaal hineinging. Alle waren versammelt hier und sahen mich interessiert an. Ich hob den Daumen und grinste, ging in die Küche und schmierte mir ein paar Brote.
Erst danach setzte ich mich zu den anderen und beantwortete die ganzen Fragen, wie der Tag aus meiner Sicht abgelaufen war. Dabei erfuhr ich, dass das andere Team den Wasserfall gefunden hatte an diesem See und dort baden war.
Na toll, deren Tag war eindeutig chilliger gewesen, dachte ich so bei mir.
Plötzlich erschien Oliver auf dem Monitor und grinste uns an. Er saß auf dem roten Sofa auf einem der Schiffe in einem schneeweißen Anzug und begrüßte uns mit einem Cocktail in der Hand.
„Hallo meine Lieben! Ein Teil von euch sieht ziemlich fertig aus, andere total relaxt … woran liegt es? Nein … das haben wir natürlich alles gesehen! Wir beobachten euch, Deutschland beobachtet euch! Leute, die Landschaft, das Licht hier, das ist alles so herrlich! Darum werden wir uns ab morgen immer um 15.00 Uhr versammeln und dann werdet ihr live zu mir ins Schiff geschaltet! Unsere TV-Zuschauer zu Hause können die Aufzeichnung dann abends sehen! Na, wie toll ist das denn? Aber einige werden morgen schon nicht mehr dabei sein … ja, guckt ruhig so entsetzt! Ich hatte angekündigt, dass die beiden, die am wenigsten Follower haben, bereits heute abreisen!“
Er legte eine Pause ein, sog am Strohhalm in seinem Cocktail, sprach dann honigsüß weiter. „Heidi, Monika … sorry, ihr habt leider nicht genug Follower bekommen, ihr seid raus! Gleich wird euch ein Matrose abholen und wieder auf euer Schiff begleiten.“
Ich sah zu den beiden Frauen hinüber. Wirklich entsetzt waren sie nicht, wie immer saßen sie wieder zusammen und tuschelten. Schade, wirklich kennengelernt hatte ich beide nicht.
Oliver legte nach: „Ihr habt bestimmt gemerkt, dass Anja noch nicht zurück ist. Nun, sie hat einen Bänderriss und kann leider auch nicht mehr am Spiel um soooo viel Geld mitmachen!“
Oh, ich bemerkte erst jetzt, dass sie fehlte.
„Nun, damit seid ihr noch sieben!“, sprach Oliver weiter und die Kamera zeigte nun nur noch sein Gesicht. „Einer wird uns morgen noch verlassen und denjenigen wählen die Fans da draußen. Ab jetzt können sie anrufen und voten, die Nummer dafür wird eingeblendet. Geht früh schlafen, morgen wartet die erste Aufgabe auf euch! Und vergesst nicht, um 15.00 Uhr ist Treffpunkt hier und dann geht der Nächste!“
Mit diesen Worten verschwand unser Moderator und wir sahen uns alle stumm an. Ganz schön heftig, dachte ich. Aber ich freute mich auch, denn ich war schließlich noch hier, durfte weiter mitspielen!
Ekrem erhob sich. „Leute, ich ziehe mich zurück, ich gehe früh zu Bett, ich möchte fit sein morgen!“
Er verabschiedete sich noch von Heidi und Monika, die jetzt packen gingen, dann war er fort.
Ich fühlte mich schwach und leer, hatte irgendwie keinen Bock auf Unterhaltung und verabschiedete mich auch von den zwei Frauen. Danach ging ich in mein Zimmer, packte nun meine Klamotten in den Schrank und die Kommode und legte mich dann mit einem Buch ins Bett.
Oh Gott, ich langweilte die Zuschauer gerade bestimmt zu Tode! Es war mir egal …
I
ch erwachte mit Kopfschmerzen, das Buch, das ich gestern Abend gelesen hatte, lag auf dem Boden, eine Seite war nun geknickt. Noch müde wischte ich mir etwas Sabber vom Mund.
Die Sonne schien durch das Fenster. Wie spät war es denn schon? In diesem Moment ertönte wieder dieses Getrommel in dem Lautsprecher, anscheinend war das nun unser täglicher Weckruf. Ich sah auf meinen Wecker, es war 6.00 Uhr.
Gähnend erhob ich mich, fluchte über meine hämmernden Kopfschmerzen, ging ins Bad und duschte mich. Im Spiegelbild sah ich, dass ich grauenhaft aussah! Die Haare strähnig, Ringe unter den Augen. Na, ich hätte bestimmt nicht so viele Fans wie damals Julia oder Senna, dachte ich genervt.
Wenig später saß ich wieder einigermaßen ansehnlich mit den anderen am Tisch im Speisesaal. Ich aß Müsli und trank einen Zitronentee.
Tanja saß mir gegenüber, sah mich lächelnd an. „Alles wieder ok? Das gestern Abend war schon heftig, als du da kollabiert bist!“ Sie biss in einen Apfel, sah mich fragend an.
Ich nickte nur und beobachtete sie weiter. Sie war auffällig geschminkt, sie trug pinken Lidschatten und ebensolchen Lipgloss. Das ließ ihre helle Haut noch weißer erscheinen, irgendwie. Die kurzen blonden Haare umrahmten ihr rundes Gesicht.
Mein Blick fiel auf ihr Tattoo auf der Schulter, die Schlange. Das Kriechtier war in grün gehalten, ein paar rote Flecken gab es auf ihrem Körper.
Ekrem sah als erster, dass der Monitor sich im Speisesaal erhellte. Wir wandten uns dem Gerät zu und sahen Olivers Grinsen.
Er saß auf dem Schiff, wir sahen den makellos blauen Himmel. Unser Moderator trug ein knallrotes Hemd zu einer grünen Shorts. „Einen wunderschönen guten Morgen, ihr wunderbaren Menschen!“ Oliver setzte sich auf, sah geradeaus in die Kamera. „Viele Zuschauer haben uns gestern kontaktiert, Maja, wir sollen dir gute Besserung wünschen!“
Ich war freudig überrascht. „Danke!“, sagte ich beeindruckt.
Oliver winkte ab. „Gern geschehen … aber nun zu den wichtigen Dingen heute Morgen!“ Er setzte sich weiter nach vorn, stützte die Ellenbogen auf seinen Knien ab. „Wir wollen heute mal langsam Fahrt aufnehmen und etwas mehr Aktion sehen … also eurerseits! Ab jetzt sofort könnt ihr das gesamte Gebiet des Hotel-Resorts begehen, euch alle Räume ansehen! Und eines verrate ich euch noch: Seid vorsichtig! An diesem Lostplace haben vor ein paar Jahren ein paar zugedröhnte Hippies unbefugt ihren Urlaub verbracht … Zehn Leute gingen auf die Insel, Neun verließen sie wieder! Der eine junge Mann wurde nicht mehr gefunden … keine Ahnung was mit ihm geschah, also passt auf, wo ihr hintretet!“
Mark sah mich mit großen Augen an. War er etwa so ein Angsthase?
„Gut!“, verabschiedete sich Oliver schließlich, „Geht nun los und vergesst nicht: Um 15.00 Uhr ist euer Live Auftritt und die Schaltung zu mir aufs Schiff. Und … ich werde eine Überraschung für euch haben! Eigentlich zwei Überraschungen!“
„Oh cool, Überraschungen liebe ich!“, rief Nadja ausgelassen, als der Monitor wieder schwarz wurde und wir uns alle von unseren Stühlen erhoben.
„Ok … gehen wir dann jetzt los? Und wo fangen wir an? Hier im Haupthaus?“, meldete sich Marvin zu Wort. Er erschien wieder einmal ziemlich genervt zu sein … Warum war er hier, wenn ihn alles so nervte?
Wir räumten noch unser Frühstücksgeschirr fort, dann machten wir uns auf den Weg in die Lobby. Während ich neben Tanja den anderen hinterherging, bemerkte ich einen Schatten über die Wand huschen. Erschreckt drehte ich mich um, ließ meinen Blick durch die Halle schweifen.
„Was ist?“, fragte Tanja ziemlich laut. Die anderen drehten sich zu uns um, sahen mich fragend an.
„Da war ein Schatten!“, sagte ich unsicher geworden und strich nervös eine Haarsträhne hinter mein rechtes Ohr.
Nadja stand bei Ekrem und Hendrik und fing an zu lachen. „Ein Schatten? Wie unheimlich! Hier ist überall Sonnenlicht, dann gibt es auch Schatten … und überhaupt? Willst du hier auf Julia machen und Geister sehen?“
Ihr Grinsen machte mich wütend. „Idiot!“, flüsterte ich.
Keiner nahm mich ernst, sie gingen weiter in die Lobby, steuerten den Aufzug an. Ekrem drückte auf den Knopf, aber es geschah nichts.
Marvin stöhnte auf. „Hast du jetzt echt gedacht, wir können hier gemütlich nach oben fahren oder in den Keller? Man, das hier ist Jahrzehnte schon ohne Strom und die machen bestimmt nicht ausgerechnet den Aufzug fit, damit wir es bequemer haben!“
Ekrem sah ihn stumm an, sagte aber nichts.
„Hier geht’s zum Treppenhaus, kommt schon! Es geht ja sowieso nur eine Etage hoch und ein Stockwerk runter“, rief uns Hendrik zu, der weitergegangen war und eine alte Tür geöffnet hatte, an der die Farbe total abgeblättert war.
Alle beeilten sich, dorthin zu kommen. Ich fühlte mich unwohl, irgendwie hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Nicht von den Kameras … von einem Menschen.
„Zuerst nach oben!“, befahl Marvin und betrat zuerst die Treppen, die hoch führten. Überall lag Schmutz herum, abgebröckelte Farbe, Papierschnipsel. Oben angekommen ging ein kurzer Flur mit Zimmern nach links, einer nach rechts ab. Wir alle liefen los und öffneten Türen, sahen in die Zimmer.
Es war aufregend, auch ich steuerte eine Zimmertüre an und öffnete sie. Ich musste etwas drücken, sie ließ sich nicht so einfach aufmachen. Neugierig lugte ich in das Zimmer, betrat es schließlich.
Ein paar zerrissene Vorhänge hingen am Fenster, verdunkelten diesen Raum etwas. Es roch unangenehm, nebenan hörte ich Tanja quietschen, sie hatte wohl eine Spinne entdeckt …