Wege des Schicksals - Elisa Rimpach - E-Book
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Wege des Schicksals E-Book

Elisa Rimpach

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Beschreibung

Zwei Schwestern stellen sich den Herausforderungen in der Ferne Afrikas
Die historische Familiensaga zu Beginn des 20. Jahrhunderts geht bewegend weiter!

Tanga, 1906: Nachdem Elsa nun schon mehrere Jahre in der Kolonie Deutsch-Ostafrika lebt, folgt ihr schließlich ihre Schwester Isolde nach. Deren Mission ist es, die bahnbrechenden Forschungen von Robert Koch zur Schlafkrankheit fotografisch zu dokumentieren. Doch was sie dabei entdeckt, erschüttert nicht nur ihre Überzeugungen, sondern lässt sie an den Grenzen der Wissenschaft zweifeln. Auch Elsa hat es alles andere als leicht, denn ein Nervenzusammenbruch zwingt sie in ein abgelegenes Sanatorium und ihre Plantage steht kurz vor dem Konkurs. Zwischen Intrigen, Sabotagen und Tragödien versuchen sich die Schwestern allen Widrigkeiten zum Trotz durchzusetzen. Wird es ihnen gelingen, ihren Herzen zu folgen und eine gemeinsame Zukunft aufzubauen?

Weitere Titel dieser Reihe
Glanz der Zukunft (ISBN: 9783987786198)
Schatten der Freiheit (ISBN: 9783987786099)

Erste Leser:innenstimmen
„Durchweg mitreißender Roman, der Geschichte, Abenteuer, Liebe und die Schönheit Ostafrikas auf beeindruckende Weise vereint!“
„Die Mischung aus historischem Hintergrund, authentischen Charakteren und unerwarteten Wendungen macht dieses Buch zu einem unvergesslichen Leseerlebnis."
„Packend und voller Emotionen!“
„Eine bewegende Geschichte, die nicht nur die Kolonialzeit reflektiert, sondern auch die Kraft der Frauen und ihre Fähigkeit, selbst in den schwierigsten Zeiten zu triumphieren.“

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 399

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Über dieses E-Book

Tanga, 1906: Nachdem Elsa nun schon mehrere Jahre in der Kolonie Deutsch-Ostafrika lebt, folgt ihr schließlich ihre Schwester Isolde nach. Deren Mission ist es, die bahnbrechenden Forschungen von Robert Koch zur Schlafkrankheit fotografisch zu dokumentieren. Doch was sie dabei entdeckt, erschüttert nicht nur ihre Überzeugungen, sondern lässt sie an den Grenzen der Wissenschaft zweifeln. Auch Elsa hat es alles andere als leicht, denn ein Nervenzusammenbruch zwingt sie in ein abgelegenes Sanatorium und ihre Plantage steht kurz vor dem Konkurs. Zwischen Intrigen, Sabotagen und Tragödien versuchen sich die Schwestern allen Widrigkeiten zum Trotz durchzusetzen. Wird es ihnen gelingen, ihren Herzen zu folgen und eine gemeinsame Zukunft aufzubauen?

Impressum

Erstausgabe Januar 2024

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-854-3 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98778-838-3

Covergestaltung: Anne Gebhardt unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © 22January, © Aastels shutterstock.com: © Praew stock arcangel.com: © Mary Wethey Lektorat: The Write Spirit

E-Book-Version 04.09.2024, 09:42:04.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Wege des Schicksals

Kapitel 1

Tanga, Kolonie Deutsch-Ostafrika, 2. Juni 1906

Isolde legte eine Hand an die Stirn, um ihre Augen vor dem grellen Licht zu schützen. Die Sonne stand beinahe senkrecht am wolkenlosen Himmel und auf den sanft gekräuselten Wellen in der Bucht von Tanga blitzten und funkelten abertausende Reflexionen ihrer Strahlen. Die Markgraf, ein Dampfer der Deutsch-Ostafrika-Linie, pflügte durch die ruhigen Gewässer auf den Anlegekai zu. An den Geländern des Oberdecks hatten sich die Fahrgäste versammelt, um der willkommenen Abwechslung einer Hafeneinfahrt beizuwohnen. Sie waren zuvor zwei Tage auf See gewesen, nachdem sie zuletzt in Mombasa angelegt hatten. In Tanga selbst würden nur wenige Passagiere das Schiff verlassen, wie Isolde in Gesprächen mit Mitreisenden erfahren hatte. Die meisten wollten in Dar-es-Salam aussteigen oder bis zur Endstation Kapstadt auf der Markgraf bleiben.

Die Stadt kam immer näher und Isolde konnte erste Gebäude unterscheiden. Tanga lag auf einer kleinen Anhöhe, an deren Fuß sich die Kaianlagen und die Warenhäuser befanden, in denen die Produkte der Kolonie auf ihre Ausfuhr warteten. Der Rand der Erhebung war gesäumt von Bauten in demselben Kolonialstil, den sie bereits von ihren Reisen nach Indien her kannte. Zwei- oder dreistöckige Häuser mit umlaufenden Balkonen, weiß gestrichen und von Palmen eingerahmt.

Das Schiff näherte sich der Mole. Ein Pfiff erklang und die Kraft der Maschinen im Innern des Dampfers schien nachzulassen. Ein Dutzend Matrosen stellte sich an der Backbordseite auf, um den Arbeitern an der Anlegestelle die Taue zuzuwerfen, mit denen die Markgraf befestigt werden würde.

„Aufregend, so eine Ankunft, nicht wahr?“, hörte sie eine Stimme neben sich sagen, in der sie einen leichten englischen Akzent erkannte.

Sie wandte sich dem Sprecher zu, dessen Alter sie auf Anfang Dreißig schätzte. Ein dünner Schnurrbart lag wie ein Strich über seinen vollen Lippen. In sein rechtes Auge hatte er ein Monokel geklemmt, das die Pupille dahinter unnatürlich vergrößerte. Er trug einen kakifarbenen Tropenanzug.

„Wenn ich richtig mitgezählt habe, ist das die zwölfte Ankunft, seitdem wir Neapel verlassen haben. Seit dem ersten Anlegemanöver in Malta hat der Reiz des Neuen für mich doch stark an Faszination verloren“, erwiderte Isolde.

Der Engländer schmunzelte. „Werden Sie in Tanga aussteigen?“

„Ja. Ich kann es kaum erwarten, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.“

„Was bringt sie nach Deutsch-Ostafrika?“

Isolde zögerte einen Augenblick. Ihre Reisen in die entlegensten Regionen der Welt hatten sie gelehrt, zurückhaltend zu sein mit Menschen, die sie nicht kannte. Aber der Engländer machte nicht den Eindruck eines Mannes, dem sie besser mit Vorsicht begegnen sollte.

„Ich bin geschäftlich hier“, sagte sie und ergänzte dann: „Zum Teil jedenfalls. Einen privaten Anlass für meine Reise gibt es auch. Meine Schwester lebt in Wilhelmstal. Wir haben uns seit sechs Jahren nicht mehr gesehen und ich freue mich darauf, sie zu besuchen.“

„Wilhelmstal? Das liegt in den Usambara-Bergen, wenn ich mich nicht irre?“

„Ja, Elsa und ihr Mann betreiben eine Kautschuk-Plantage dort.“

Der Engländer legte seinen Kopf schief. Kam es ihr nur so vor oder war sein Interesse bei dem Wort „Kautschuk“ erwacht? Ehe er weiter in sie dringen konnte, fragte sie: „Und Sie? Was führt Sie nach Tanga, Herr …?“

Er schlug sich auf die Stirn. „Oh, verzeihen Sie, ich habe mich gar nicht vorgestellt. Barker. Benjamin Barker ist mein Name.“ Er streckte ihr eine Hand entgegen, die sie kurz ergriff. Sein Händedruck war fest, seine Haut kühl. „Ich reise im Auftrag der East-Africa-Plantation-Company, um das Potenzial Deutsch-Ostafrikas für den Anbau von Kulturpflanzen zu erkunden.“

Isolde runzelte die Stirn. „Müssten Sie da nicht schon Erfahrungen aus Britisch-Ostafrika haben?“

Er lachte. „Ja und nein. Die klimatischen Verhältnisse sind durchaus vergleichbar, aber eine wichtigere Rolle spielt die Bodenbeschaffenheit. Und die ist von Ort zu Ort verschieden.“

Das Schiff hatte inzwischen beinahe den Anleger erreicht. Isolde konnte bereits die Arbeiter am Kai erkennen, die darauf warteten, dass ihnen die Matrosen die Taue zuwarfen.

„Darf ich Ihren Namen auch erfahren?“, fragte Barker.

„Isolde Hartmann“, erwiderte sie.

„Sie hatten erwähnt, dass Sie auch aus geschäftlichen Gründen nach Tanga reisen würden. Welche Geschäfte betreiben Sie denn?“

„Ich bin Fotografin. Reisefotografin, um genauer zu sein. Ich war schon in China, Indien und Südamerika. Dies ist meine erste Begegnung mit dem afrikanischen Kontinent und ich freue mich schon sehr darauf, Land und Leute kennenzulernen.“

Sie sah in Barkers Gesichtsausdruck, dass sein Interesse an ihrer Person zugenommen hatte.

„Und Sie haben alle diese Reisen alleine gewagt?“

Sie schüttelte den Kopf. „Meine erste Expedition nach China habe ich im Rahmen eines archäologischen Forschungsprojekts unternommen. Aber in Indien und Südamerika war ich alleine, ja.“

„Erstaunlich, ganz erstaunlich.“

Isoldes Augen verengten sich. „Warum? Kann eine Frau nicht auf eigene Faust reisen?“

Er hob abwehrend die Hände. „Nein, so habe ich das nicht gemeint. Ich kann da immer nur von mir ausgehen, und für mich ist es eine große Überwindung, alleine unterwegs zu sein.“

Isolde lächelte. „Ich bin gerne alleine.“

Das Schiff bewegte sich inzwischen nur noch langsam vorwärts. Es glitt lautlos neben den Kai.

„Wohin werden Sie von Tanga aus reisen? An den Kilimandscharo? Ich hoffe nicht, dass Sie im Aufstandsgebiet im Süden zu tun haben. Dort gibt es noch immer Kampfhandlungen, wie man hört.“

Wieder überlegte Isolde, ob sie dem Engländer vertrauen konnte, aber den Zweck ihrer Reise mitzuteilen, konnte nicht schaden. „Ich bin nicht vollständig unabhängig“, sagte sie. „Dieses Mal bin ich im Auftrag einer Zeitschrift unterwegs – der Gartenlaube.“

„Das klingt nicht so, als ob Sie als Kriegsberichterstatterin im Einsatz wären. Sollen Sie die Leser mit Fotografien von Elefanten und Baobab-Bäumen beglücken?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich soll Dr. Koch bei seiner Arbeit fotografieren.“

„Den Nobelpreisträger?“

„Ja. Er befindet sich gerade auf einer Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit. Nach der Auszeichnung mit dem Nobelpreis für Physiologie genießt er daheim im Reich einen einsamen Heldenstatus und deswegen hat mich die Redaktion der Gartenlaube um exklusive Bilder seiner Tätigkeit vor Ort gebeten. Ich hoffe, ihn noch in Tanga anzutreffen, er müsste hier vor zwei Wochen eingetroffen sein.“

Das Schiff kam mit einem Ruck zum Stillstand. Isolde hielt sich mit einer Hand am Geländer fest. Auf dem Kai wuselten die Anlegemannschaften wie Ameisen umher. An der Seite des Dampfers wurde die Gangway heruntergelassen.

„Wo werden Sie absteigen?“, fragte Barker.

„Im Hotel Kaiserhof“, erwiderte Isolde.

„Nun, dann werden wir uns da wohl noch ein oder zwei Mal über den Weg laufen. Ich muss mich leider empfehlen, da ich dafür sorgen muss, dass nicht nur ich, sondern auch mein Gepäck das Schiff verlässt.“

Er reichte ihr die Hand. „Es hat mich sehr gefreut“, sagte er.

„Ganz meinerseits“, erwiderte Isolde.

Sie wandte sich um und hielt Ausschau nach dem Steward. Dieser wartete am Beginn der Gangway, eine lange Liste in der einen, einen Bleistift in der anderen Hand.

„Fräulein Hartmann“, sagte er, und in seinem dichten Bart erschien ein Grinsen.

„Herr Winzigmann“, erwiderte sie und lächelte ihm freundlich zu. „Nun müssen wir uns leider voneinander verabschieden.“

„Ich habe veranlasst, dass Ihr Koffer in das Hotel Kaiserhof gebracht wird. Soll ich Ihnen noch einen Wagen organisieren?“

„Nein, danke. Nach zwei Wochen auf schwankenden Brettern bin ich dankbar dafür, ein paar Schritte auf festem Grund gehen zu können.“

Sie schüttelten sich die Hände und Isolde betrat die Gangway. Vor ihr war ein großer, breitschultriger Mann darum bemüht, das Gleichgewicht zu halten. Sie wartete, bis er den Kai erreicht hatte, und eilte dann die Treppen hinab. Wie auch in anderen Hafenstädten erwartete sie eine Kakofonie aus Rufen, Maschinengeräuschen und dem Wiehern von Pferden. Es roch nach schwerem Öl und nicht mehr frischem Fisch. Isolde sah sich um. In dem Gewusel konnte sie zahllose Gesichter ausmachen, teils von Europäern, teils von Indern, aber in der Mehrzahl von Afrikanern. Letztere waren damit beschäftigt, die Ladung der Markgraf, die mit einem Kran an Land gehievt wurde, in zwei Schuppen zu räumen, wo die Zollbehörden die Waren begutachten würden.

Sie ging weiter in Richtung Kaiende. Die Anhöhe, auf der die Stadt lag, war zwar nur etwa zwanzig Meter hoch, aber der Abhang war sehr steil. Eine Straße führte in einer Serpentine nach oben. Hier waren bereits mehrere Pferdegespanne unterwegs. Isolde lehnte zwei Angebote von Rikschafahrern ab und begann mit dem Aufstieg.

Sie kam rasch ins Schwitzen, aber das fühlte sich großartig an. Auf dem Schiff hatte ihr die Bewegung gefehlt. Nun genoss sie es, ihre Beine zu benutzen, zu spüren, wie die Muskeln arbeiteten, wie ihre Füße fest und kräftig voranschritten. Sie überholte ein Lastgespann, und nach wenigen Minuten hatte sie die Anhöhe erklommen. Sie befand sich nun in einer langen Straße, die gesäumt war von den weiß getünchten Gebäuden, die sie bereits vom Schiff aus gesehen hatte. Ein Passant, gekleidet in einen blütenweißen Tropenanzug, schien ihren fragenden Blick richtig zu deuten.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er.

Isolde bat ihn darum, ihr zu erklären, wie sie zum Hotel Kaiserhof gelangen könnte. Er deutete auf ein stattliches Gebäude, nur etwa hundert Meter in nördlicher Richtung. Es war ein zweistöckiger Bau, gekrönt von einem hohen Dach. Zur Seeseite hin waren großzügige Balkone angebaut worden. Vor dem Eingang warteten mehrere Kutschen.

Sie ging hinein und genoss die Kühle, die in dem Foyer herrschte. Rechts und links führten Treppen in die oberen Stockwerke. Vor ihr stand ein untersetzter Mann in einem kakifarbenen Anzug hinter einem Tresen.

„Guten Tag“, sagte er. „Sind Sie das Fräulein Hartmann?“

Isolde nickte.

„Sehr erfreut. Mein Name ist Mascher, Paul Mascher. Ich bin der Besitzer des Hotels. Sie hatten ja bereits gekabelt. Ihr Zimmer ist bereit. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?“

Er führte sie in den ersten Stock hinauf und einen langen Gang entlang.

„Das hier ist das Bad“, sagte er und öffnete eine Tür, die den Blick frei gab auf ein weiß gekacheltes Bad mit einer Badewanne, einem Plumpsklo und zwei Waschbecken.

„Und das hier ist Ihr Zimmer“, sagte er und öffnete eine weitere Tür.

Der Raum war sauber und ordentlich eingerichtet. Durch die offenstehende Balkontür wehte eine frische Brise, die das Moskitonetz, mit der das große Bett verhängt war, wie ein Segel aufblähte.

„Wie lange gedenken Sie zu bleiben?“, fragte Mascher.

„Das hängt davon ab, ob sich Doktor Koch noch in der Stadt befindet“, erwiderte Isolde.

Der Hoteldirektor sah sie mit einem bedauernden Blick an.

„Oh, es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, aber der Herr Doktor ist bereits vor zwei Wochen zur Forschungsstation in Amani aufgebrochen.“

Isolde spürte, wie die Enttäuschung über sie hinweg wusch.

„Nun gut“, sagte sie. „Dann wird mein Aufenthalt hier wohl eher kurz ausfallen.“

„Möchten Sie etwas essen?“, fragte Mascher. „Wir bieten zu jeder Tageszeit warme Speisen.“

Isolde schüttelte den Kopf. „Ich bin noch nicht hungrig, danke. Aber etwas zu trinken wäre mir ganz genehm.“

Der Direktor bat sie, ihn zu begleiten. Er führte sie zu einer Bar im Erdgeschoss des Hotels. Sie nahm an einem der freien Tische Platz, und gleich darauf stand eine dampfende Tasse Tee vor ihr. Der Blick ging weit über die Bucht von Tanga hinaus. Sie lehnte sich zurück und beobachtete die unzähligen kleinen Segelschiffe, die den im Verhältnis dazu riesigen Dampfer umschwirrten wie Fruchtfliegen einen faulen Apfel.

Ihr Blick fiel auf einen stattlichen Mann, zwei Tische weiter. Er hatte ein Glas Bier vor sich stehen und las. Isoldes Neugier war sofort geweckt. Bücher waren ihre Welt, und eine ihrer hartnäckigsten Angewohnheiten war es, in Erfahrung zu bringen, was andere Leute lasen. Offenbar spürte der Mann ihren Blick auf sich ruhen. Er sah auf.

„Entschuldigen Sie bitte meine Neugier, aber was für ein Buch haben Sie da?“, fragte Isolde.

„Da gibt es nichts zu entschuldigen“, erwiderte der Mann. „Ich lese die Erinnerungen der Frau von Prince. Ihr Mann Tom von Prince betreibt eine Plantage in den Usambara-Bergen.“

„Ich kenne diese Memoiren“, sagte Isolde in einem eher kühlen Ton.

„Sie scheinen Sie nicht gerade gefesselt zu haben?“

„Ich fand sie wenig informativ und voll europäischer Ressentiments.“

„Europäische Ressentiments? Sind wir Europäer nicht dazu verdammt, mit unserer Sichtweise an Land und Leute heranzutreten?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, es ist unsere Aufgabe, Land und Leute unvoreingenommen kennenzulernen.“

„Das scheint mir viel verlangt.“

„Ich liebe Herausforderungen.“

Er lachte. „Mein Name ist übrigens Wilhelm von Nehring.“

„Isolde Hartmann. Was bringt Sie in die Kolonie?“

„Die Jagd. Und das Abenteuer.“

Isolde schmunzelte. „Nun, da haben wir ja etwas gemeinsam. Wohin werden Sie reisen?“

„In die Usambara-Berge und dann weiter in Richtung Kilimandscharo und zum Victoria-See. Und Sie?“

Isolde überlegte. Sollte sie Koch sofort folgen? Oder doch lieber einen Abstecher zu Elsa unternehmen?

„Ich denke, ich werde zunächst nach Wilhelmstal reisen und meine Schwester besuchen.“

Von Nehring nickte.

„Nun, da werde ich mich auch hinwenden. Wollen wir uns zusammentun?“

Kapitel 2

Mombo, 4. Juni 1906

Die Lokomotive ließ einen schrillen Pfiff ertönen. Das Quietschen der Bremsen stellte die Haare an Isoldes Nacken auf und riss sie unvermittelt aus der Betrachtung der eindrucksvollen, mit grünem Regenwald bewachsenen Berge, die seit mehreren Stunden zu ihrer Rechten aufragten.

„Wir sind da“, sagte von Nehring. Er deutete auf ein einstöckiges Ziegelgebäude, an dem ein Schild angebracht worden war, auf dem Bahnhof Mombo stand. Er erhob sich und Isolde tat es ihm nach. Sie stiegen aus dem Waggon der zweiten Klasse, in dem nur Europäer und Hunde zugelassen waren, und gelangten auf einen staubigen Bahnsteig. Wie Isolde dem Führer durch Tanganital entnommen hatte, den sie in Tanga vor ihrer Abreise erworben hatte, war Mombo die vorläufige Endstation der Usambara-Bahn. Ein Weiterbau der Strecke bis nach Moshi am Fuß des Kilimandscharo war geplant, der Reichstag hatte die dafür notwendigen Gelder aber noch nicht genehmigt.

Von Nehring winkte vier der bereitstehenden einheimischen Träger zu sich und bedeutete ihnen, Isoldes Koffer und seine Taschen zu transportieren. Isolde holte ihre Kamera aus dem Futteral und fotografierte die Szene. Dann folgte sie dem Großwildjäger in das Ziegelgebäude. Im Inneren war es stickig, es roch nach Schweiß und Pfeifentabak. Ein Mann in einer Eisenbahneruniform kam ihnen entgegen. Er stellte sich als Werner Schreiber vor.

„Ich bin der hiesige Postbeamte. Sie haben wegen der Pferde telegrafiert?“

Von Nehring nickte.

„Wird Ihre Frau Gemahlin auch reiten? Wir haben keine Kutsche zur Verfügung.“

„Ich bin nicht seine Frau Gemahlin“, erwiderte Isolde, ehe der Großwildjäger zu Wort kam. „Und ja, ich werde reiten. Gerne auch im Herrensattel.“

Der Postbeamte musterte sie mit einem abschätzigen Blick, enthielt sich aber eines Kommentars. Er führte sie zu einer Koppel, an der zwei Pferde und mehrere Maultiere angebunden waren. Auf seinen Wink hin begannen die Träger, den Lasttieren das Gepäck aufzuladen, während ein einheimischer Stallbursche einen schweren Sattel herbeischleppte und sich abmühte, diesen dem ersten der beiden Pferde anzupassen.

„Und Sie wollen wirklich im Herrensitz reiten?“, fragte von Nehring.

Isolde lächelte. „Ich habe ganz Argentinien im Herrensitz durchquert, dann werde ich wohl auch die zwanzig Meilen bis Wilhelmstal auf diese Art reiten können.“

Sie trat zu dem Stallburschen und schob ihn sanft beiseite. Mit geübten Handgriffen befestigte sie den Sattel und wandte sich dem Reittier zu. Sie legte eine Hand auf seine Nüstern und sprach in beruhigenden Worten zu ihm. Dann schwang sie sich auf und trabte eine Runde über den Vorplatz. Sie spürte von Nehrings anerkennenden Blick auf sich ebenso wie das missfällige Starren des Postbeamten. Der Großwildjäger bestieg sein Pferd ebenfalls. Der Stallbursche reichte ihm die Leine, mit der die beiden Maultiere angebunden waren. Er befestigte sie an seinem Sattel und sah Isolde erwartungsvoll an. Sie beugte sich zu dem Jungen hinunter und drückte ihm eine Münze in die Hand. Dann schnalzte sie mit der Zunge und ihr Hengst trabte los.

Der gut vierstündige Ritt nach Wilhelmstal, dem Sitz des kaiserlichen Bezirksamtes und Hauptort der deutschen Siedlungen in den Usambara-Bergen war so spektakulär, wie Isolde es sich nur wünschen konnte. Zunächst durchquerten sie das flache Tal, doch schon bald stieg die Straße an, führte in zahlreichen Kurven durch den Regenwald an den Berghängen höher und höher hinauf. Wenn sie zurückblickte, sah sie den Lauf des Pangani immer tiefer unter sich, die weite Ebene, die bis zum Horizont reichte.

Mehrmals hielten sie an, damit Isolde Fotografien anfertigen konnte. Auf von Nehrings Versuche, Konversation zu treiben, antwortete sie nur knapp, zu sehr war sie mit Schauen beschäftigt. All die Eindrücke, all die Farben. Isolde war glücklich, sie fühlte den Rausch des Wunders. Alles, was immer sie sich als Mädchen erträumt hatte, wurde nun wahr. Wieder einmal.

Viel zu schnell erreichten sie das Hochplateau, auf dem sich Wilhelmstal befand. Die Siedlung lag in einem Talkessel, umgeben von grünen Hügeln, an denen sich die landwirtschaftlichen Betriebe angesiedelt hatten. Zweiundzwanzig Pflanzungen zählte der Führer auf. Und eine davon, die Plantage Müllerau, wurde von Elsa und ihrem Mann bewirtschaftet.

Sie ritten vorbei an niedrigen Hütten, passierten zwei herrschaftlich wirkende Bauten, in denen Isolde ein Postamt und die Forstverwaltung erkannte, und hielten schließlich vor einem zweistöckigen Gebäude, das ein mit Hotel zum kleinen Leutnant beschriebenes Schild als den örtlichen Gasthof auswies.

Als ob sie erwartet worden wären, kam ihnen ein kleiner, sonnengebräunter Mann entgegen. Die Spitzen seines enormen schwarzen Schnurrbarts hüpften aufgeregt auf und ab und in den vor Gel glänzenden, nach hinten gekämmten Haaren spiegelte sich die sinkende Sonne.

„Guten Tag, guten Tag!“, sagte er, und in seiner Stimme schwang ein Akzent mit, der Isolde kurz zusammenzucken ließ. Genau so hatte der Hoteldirektor in Venedig gesprochen, in dem Palazzo, in dem Emily, Isoldes große Liebe, nach ihrem Zusammenbruch jene unheilvolle Diagnose erhalten hatte, die sie das Leben gekostet hatte.

„Mein Name ist Georgio Zuganatto“, fuhr der Mann fort und Isolde schüttelte die quälenden Erinnerungen ab. „Ich bin der Direktor dieses kleinen, aber feinen Hotels.“

Von Nehring schwang sich von seinem Pferd und wollte Isolde zur Hand gehen, doch ehe er sie erreicht hatte, stand sie schon auf dem Boden.

„Wir benötigen zwei Zimmer“, sagte der Großwildjäger.

Zuganatto nickte. „Gerne, wenn Sie mir bitte folgen wollen.“

Er winkte mehreren, im Schatten einer Palme wartenden Jungen zu, die sich offenbar um die Pferde kümmern sollten.

„Wie weit ist es bis zur Plantage Müllerau?“, fragte Isolde.

Zuganatto runzelte die Stirn. „Nun, etwa drei Meilen in nordwestlicher Richtung“, sagte er.

„Gut“, erwiderte Isolde, setzte den Fuß in den Steigbügel und schwang sich wieder in den Sattel. „Lassen Sie bitte das Gepäck in mein Zimmer bringen. Ich habe noch etwas zu erledigen.“

Sie nickte von Nehring zu, wendete ihr Pferd und trabte davon. Als sie die letzten Häuser der Siedlung hinter sich gelassen hatte, fand sie sich auf einem schmalen Weg wieder, der zwischen den dicht stehenden Bäumen hindurchführte. Sie kam nicht so rasch voran, wie sie es erhofft hatte. Immer wieder musste sie absteigen und ihr Pferd über breite Wurzeln führen, die in den tiefen Furchen wucherten, welche die Räder zahlloser Karren in den Pfad gegraben hatten. Sie passierte eine Abzweigung, von der aus ein Weg zu einer Ansammlung von mit Palmenblättern gedeckten Hütten führte. Das musste ein Einheimischen-Dorf sein. Zwei Kinder spielten im Unterholz. Als sie Isolde sahen, rannten sie davon und riefen dabei „Mzungu! Mzungu!“ Sie erwog, in dem Dorf nach dem Weg zu fragen, entschied sich dann aber doch dafür, dem Pfad zu folgen, den Zuganatto ihr gewiesen hatte.

Nach einer weiteren Stunde beschlich Isolde immer mehr die Furcht, dass sie sich verirrt haben könnte, als plötzlich ein Schild am Wegesrand aufragte, auf dem die Worte Plantage Müllerau. Inh. Werner Müller geschrieben standen.

Sie atmete tief durch, ihr Herz schlug rasend schnell in ihrer Brust. Gleich würde sie ihre Schwester wiedersehen. Und sie würde ihre Nichte kennenlernen. Brünnhilde hatte sie das Kind genannt, das acht Monate nach ihrer Abreise nach Deutsch-Ostafrika geboren worden war. Ein Name, der so typisch für Elsa war, dass Isolde bei dem Gedanken daran schmunzelte. Sie trieb ihr Pferd zur Eile an und trabte durch das offenstehende Tor.

Der Weg führte zwischen Reihen von Kautschukbäumchen entlang. Isolde hatte in Brasilien riesige Gummiplantagen besucht und im Vergleich dazu erschienen die wenigen Pflänzchen mickrig. Zudem sahen sie ungesund aus. Das Blattwerk war dürr, wirkte teilweise vertrocknet. Und die Stämme wiesen zahlreiche Kerben auf.

In der Ferne sah sie ein Gebäude. Als sie näherkam, erkannte sie, dass es sich um das Wohnhaus der Plantage handeln musste. Sie hatte bislang nur blütenweiß gestrichene Häuser im Kolonialstil gesehen. Dieses war wohl auch einmal weiß gewesen, inzwischen war der Lack aber an vielen Stellen abgeblättert und das darunterlegende Holz schimmerte grau hindurch. Zu beiden Seiten des Wohngebäudes erstreckten sich niedrige Schuppen, die noch heruntergekommener wirkten. Isolde hielt ihr Pferd an und sah sich um. Nirgendwo war eine Menschenseele zu sehen. Und es war still. Nur das Rauschen des Windes war zu hören, der durch das Blattwerk der Kautschukbäumchen strich. Isolde widerstand dem Impuls umzukehren. Die Szenerie hatte etwas Beängstigendes. Sie fürchtete nicht um ihr Leben, schließlich hatte sie auf ihren Reisen schon ganz anderen Gefahren getrotzt. Aber sie machte sich Sorgen um Elsa. Was war hier los? Irgendetwas stimmte nicht.

Isolde überwand ihren Widerwillen und ritt auf das Hauptgebäude zu. Dort stieg sie ab und band ihr Pferd an eine der groben Säulen, die das Vordach über dem Eingang stützten. Die Tür war nur angelehnt. Sie knarrte in den Angeln, als Isolde eintrat. Im Innern des Hauses war es düster. Sie fand sich in einem Flur wieder, von dem aus eine Treppe ins Obergeschoss führte. Ein mit einem Bastteppich verhängter Durchgang lag direkt gegenüber. Sie schob den Vorhang beiseite und betrat eine Art Salon. Hier standen mehrere Sessel um einen niedrigen Tisch. An der Wand war ein Fell aufgehängt worden, das sie einem Wildschwein zugeordnet hätte. Daneben prangte eine Schrotflinte.

Auf einem Kanapee unter dem Fell lag eine schlafende Gestalt. Ein neues Geräusch überlagerte nun das Rauschen des Windes. Es war ein leises Schnarchen. Isolde trat näher und als sie die Person erkannte, die dort schlief, zuckte sie zurück. Werner Müller war kaum wiederzuerkennen. Ein verfilzter, dünner Vollbart war auf den früher so penibel glattrasierten Wangen gewachsen. Die Augenlider waren geschlossen, die Haut dunkel, beinahe schwarz. Auf der Stirn standen dicke Schweißtropfen. Ob ihr Schwager an Malaria litt?

Da fiel Isoldes Blick auf eine leere Flasche, die neben dem Kanapee umgestürzt auf dem Boden lag. Sie hob sie auf und führte sie an ihre Nase. Der scharfe Geruch nach billigem Branntwein war unverkennbar. Sie stellte das Gefäß wieder hin und berührte Müller sanft an der Schulter. Nichts geschah. Sie drückte fester, schüttelte ihn. Er grunzte und wälzte sich zur Seite. Isolde spürte, wie eine Welle der Wut in ihr aufwallte. Sie ging zurück in den Flur und durch die Tür neben der Treppe. Wie sie richtig vermutet hatte, fand sie sich dort in einer Küche wieder. Auf dem Boden stand ein Eimer. Durch ein Fenster konnte sie einen Brunnen erkennen, der hinter dem Haus gegraben worden war. Sie trat hinaus, füllte den Eimer und kehrte damit in den Salon zurück. Müllers Schnarchen war lauter geworden.

Isolde hob das Gefäß und leerte den Inhalt über den Kopf ihres Schwagers. Die Wirkung war enorm. Müller riss die Augen weit auf. Er prustete, schnappte nach Luft und ruderte dabei wild mit den Armen, wobei er Zeter und Mordio schrie. Dann wurde ihm offenbar bewusst, dass er nicht alleine war.

„Wer … wer sind Sie?“, stammelte er. „Was wollen Sie hier?“

„Ich suche nach Elsa“, erwiderte Isolde kühl. „Meiner Schwester.“

Müllers Augen weiteten sich. „Fräulein Hartmann. Wie kommen Sie hierher?“

„Mit dem Schiff, dem Zug und dem Pferd. Wo ist Elsa?“

Sie konnte nicht verhindern, dass ihr Ton schärfer wurde, aber der Anblick des desolaten Zustands ihres Schwagers hatte Isoldes brennende Sorgen um ihre Schwester weiter angefacht.

„Meine Frau befindet sich aktuell nicht auf Müllerau“, erwiderte er.

„Und wo ist sie dann?“

Er schluckte. „In Wugiri.“

Isolde kniff die Augen zusammen. „Wugiri? Wo ist das?“

„Etwa 50 Meilen von hier. In den östlichen Usambara-Bergen. Es ist ein Sanatorium.“

Isolde spürte, wie eine eiskalte Hand an ihre Kehle griff. „Ein Sanatorium? Hat sie sich mit Malaria infiziert? Oder mit –“

Ihre Stimme brach ab. Sie konnte das Wort nicht aussprechen, zu furchtbar war die Erinnerung an das Leiden ihrer geliebten Emily.

Müller schüttelte den Kopf. „Sergeant Lüdecke, der Sanitäter des örtlichen Regiments, war der Ansicht, dass meine Frau unter einem besonders schweren Fall von Neurasthenie leidet.“

Isolde spürte, wie eine zentnerschwere Last von ihr abfiel. Eine Neurasthenie war eine schlimme Erkrankung, ohne Frage. Erschöpfung, Ermüdung, Kopfschmerzen und eine quälende Melancholie plagten die Patientinnen und die behandelnden Ärzte konnten keine körperlichen Ursachen erkennen. Aber die Krankheit würde Elsa nicht das Leben kosten.

„Wie lange ist Elsa schon in diesem Sanatorium?“

Müller fuhr sich mit der Zunge über die rissigen Lippen. „Seit vier Monaten.“ Er sah zu Boden.

Isolde widerstand dem Drang, ihn zu fragen, warum seine Plantage in einem derart jämmerlichen Zustand war. Sie konnte es sich denken.

„Fräulein Hartmann“, sagte Müller und seine Augen suchten Isoldes Blick. Er sah sie eindringlich an. „Elsa hört nicht mehr auf mich. Ich möchte, dass sie zurückkehrt. Aber sie hat meine Briefe nicht beantwortet. Vielleicht ist es eine glückliche Fügung des Schicksals, dass Sie zu uns gekommen sind. Ihren Worten wird meine Frau sich nicht verschließen. Gehen Sie nach Wugiri. Reden Sie mit ihr. Sie muss zu mir zurückkehren.“

Isolde schüttelte den Kopf. „Ich muss dringend nach Amani weiterreisen. Und ich bin ohnehin schon spät dran. Wenn Wugiri in den östlichen Usambara-Bergen liegt, ist das genau in der entgegengesetzten Richtung meines Ziels.“

Müller hob flehend die Hände. „Ich bitte Sie. Im Namen Ihrer Schwester. Und im Namen ihrer Nichte. Reden Sie mit Elsa!“

Isolde schluckte. Was sollte sie tun?

Kapitel 3

Korogwe, 9. Juni 1906

Isolde sah dem Zug hinterher, der pfeifend und dampfend wie der Drache Fafner, den sie bei ihrem letzten Besuch in München bei einer Aufführung des „Siegfried“ gesehen hatte, Korogwe in Richtung Tanga verließ. Sie ging auf die kleine Bahnstation zu, den Rucksack aus Leintuch, den ihr Herr Zuganatto geliehen hatte, auf den Schultern. Der Wirt, der gleichzeitig einen florierenden Speditionsbetrieb unterhielt, hatte veranlasst, dass ihr Gepäck direkt nach Amani gebracht wurde. So trug Isolde nur das Notwendigste bei sich. Wechselwäsche, Strümpfe, zwei Blusen, einen Rock und ihre Kamera.

Der Bahnhofsvorsteher kam ihr entgegen, ein kleiner, runder Mann, dessen knallrotes Gesicht voller glänzender Schweißperlen hing. Er stellte sich ihr als Postbeamter Blaschke vor.

„Wenn Sie zum Lienhardt’schen Sanatorium wollen, müssen Sie leider bis morgen warten. Ich habe kein Reittier und keine Träger mehr zu vermieten.“

Isolde winkte ab. „Ich habe gehört, dass sich der Weg auch zu Fuß gehen lässt. Und da ich zuletzt sehr viel Zeit sitzend verbracht habe, freue ich mich sehr über eine kleine Wanderung.“

Die Augen des Mannes weiteten sich. „Sie wollen alleine aufbrechen? Und was, wenn Sie sich verlaufen?“

Isolde zuckte mit den Achseln. „Das Risiko nehme ich gerne auf mich. Können Sie mir eine Wegbeschreibung geben?“

„Nun, es gibt drei Möglichkeiten. Am bequemsten und auch am längsten ist die Fahrstraße nach Ambalungu. Sie werden auf dieser etwa sechs Stunden unterwegs sein. Kürzer ist die neue Straße, die sich noch im Bau befindet. Kutschen können die Trasse noch nicht bewältigen, aber zu Fuß gelangen Sie in vier Stunden nach Wugiri.“

„Sie hatten von drei Möglichkeiten gesprochen?“

Er kratzte sich am Kopf. „Na ja, es gibt noch einen Pfad, der von der neuen Trasse abzweigt. Der ist sehr steil und mühsam.“

„Wie lange wäre ich auf diesem unterwegs.“

Der Postbeamte musterte sie von oben nach unten. „Zwei bis drei Stunden.“

Isolde lächelte ihm freundlich zu. „Prima, den nehme ich.“

Blaschke schien rasch zu erkennen, dass er die Reisende nicht von ihrer Absicht abbringen würde, und so beschrieb er ihr den Weg und gab ihr einen frisch gefüllten Wasserschlauch mit. Isolde warf sich ihren Rucksack über die Schultern und nahm den Schlauch in die Hände. Dann brach sie auf.

Es war brütend heiß. Der Weg führte sie zunächst aus dem Dorf hinaus an einer Agavenpflanzung vorbei. Die Sisalpflanzen standen in streng geometrisch geordneten Reihen, die aussahen, als ob sie mit einem Lineal gezogen worden wären. Sie ließ den Blick über die Felder streifen, konnte jedoch keinen einzigen Arbeiter entdecken. Die Pflanzungen reichten bis zum Rand des Urwalds, der die vor ihr in den Himmel ragenden Usambara-Berge bedeckte. Nach einer guten halben Stunde Marsch stieg die Straße langsam an. Blaschke hatte ihr gesagt, dass diese für Automobile ausgerichtet war und deshalb nur eine moderate Steigung aufwies.

Nach einer weiteren halben Stunde hatte sie den Punkt erreicht, an dem die Abkürzung von der Fahrstraße abzweigte. Der Postbeamte hatte nicht übertrieben. Der Anstieg war sehr steil, der Pfad schmal und schlüpfrig und an mehreren Stellen musste Isolde ihre Hände benutzen und klettern. Aber sie störte sich nicht daran. Schließlich hatte sie in Südamerika einen über 5000 Meter hohen Vulkan bestiegen. Sie machte großzügig Gebrauch von dem Wasser in dem Schlauch, und als sie nach einer halben Stunde auf einem kleinen Sattel rastete, sah sie einen pyramidenförmigen Berg vor sich. Das musste der Gansserberg sein, den Blaschke ihr als Orientierungspunkt beschrieben hatte. An dem ihr zugewandten Abhang sah sie mehrere weiß getünchte Gebäude, das Lienhardt’sche Sanatorium.

Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und ging weiter. Um sie herum wurde der Regenwald wieder dichter. Lianen hingen von den dunkelgrün belaubten Bäumen. Im Wald waren seltsame Geräusche zu hören. War das nicht das Lachen eines Affen? Isolde machte sich kurz Gedanken darüber, ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, ein Gewehr mit sich zu führen, verwarf diese aber gleich wieder. Zwar hatte sie gelernt, mit Schusswaffen umzugehen, aber bislang war sie nie in die Verlegenheit gekommen, eine Büchse abfeuern zu müssen.

Sie bog um eine Ecke und sah nun das Sanatorium direkt vor sich. Ein nicht allzu tiefes Tal, durch das ein schmaler Bachlauf floss, trennte sie vom gegenüberliegenden Hang. Sie zählte insgesamt sechs eingeschossige weiße Gebäude mit roten Dächern, die sich auf zwei Hügelgruppen verteilten. Vorsichtig folgte sie dem rutschigen Pfad auf den Grund des Tales. Der Bach rauschte dort fröhlich vor sich hin. Große, flache Steine waren in kleinen Abständen in das Bachbett gelegt worden und bildeten eine Furt, durch die man bei niedrigem Wasserstand trockenen Fußes ans andere Ufer gelangen konnte.

Isolde hielt inne. Auf dem mittleren Stein saß ein kleines Mädchen. Es trug ein Stück Brot bei sich, von dem es immer wieder Bröckchen abbrach und diese ins Wasser warf. Dort hatten sich schon ein gutes Dutzend Fische versammelt, die dicht an dicht gedrängt, die offenen Münder über die Wasseroberfläche gereckt, versuchten, einen Happen zu erhaschen.

„Nicht drängeln“, sagte das Kind mit einer hohen, zugleich aber sehr ernst klingenden Stimme. „Es ist genug für euch alle da.“

Isolde stand ganz still. Sie wollte den Zauber dieser Szene nicht zerstören, auch wenn sie wusste, dass sie sich über kurz oder lang bemerkbar machen musste, wenn sie den Bach überqueren wollte. Das Mädchen sah in ihre Richtung und erstarrte. Sie ließ das Stück Brot fallen und stieß einen schrillen Schrei aus. Isolde hob die Hand. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“

Das Mädchen sah Isolde mit großen Augen an. „Wo kommen Sie her? Sind Sie durch den Dschungel gewandert?“

Isolde nickte. „Ja, ich komme zu Fuß von Korogwe und möchte zum Sanatorium.“

Die Körperhaltung des Mädchens entspannte sich. Auf ihrem runden Gesicht erschien ein kleines Lächeln. „Da sind Sie aber einen weiten Weg gegangen. Sie sind sicher müde.“

„Ich könnte schon noch ein bisschen weiterwandern. Aber ich bin auch froh, wenn ich angekommen bin. Wohnst du im Sanatorium?“, fragte Isolde.

Das Mädchen hob das Brot auf und warf es im Ganzen ins Wasser. Die Fischtraube schwenkte daraufhin um und es entbrannte ein hitziger Kampf um die besten Stücke.

„Ja, meine Mutter ist dort.

Isolde spürte, wie ihr Herz ein wenig schneller zu schlagen begann.

„Ist deine Mutter krank?“, fragte sie.

Das Mädchen machte ein trübsinniges Gesicht. „Ich weiß nicht. Fieber hat sie keines. Sie muss auch nicht husten oder spucken. Aber sie ist immer müde. Und sie lacht nicht mehr.“

„Das ist traurig“, sagte Isolde, der mit einem Mal ein dicker Kloß im Hals steckte. „Hilft deiner Mutter denn die Behandlung im Sanatorium?“

Das Mädchen zuckte mit den Achseln. „Ich weiß nicht. Sie hat jedenfalls hier noch kein einziges Mal gelacht. Soll ich Ihnen den Weg zeigen?“

Isolde nickte. Das Kind setzte mit flinken Sprüngen auf das andere Ufer über und sie folgte ihr, leichtfüßig auf den Steinen balancierend.

„Gut machen Sie das“, lobte sie das Mädchen. „Ich war mal mit Schwester Pauline hier, das ist die Krankenpflegerin. Sie ist ausgerutscht und ins Wasser gefallen. Ich musste lachen und da hat sie mir eine Ohrfeige gegeben.“

Das Mädchen rieb sich die rechte Wange. Isolde schmunzelte. Ihr Verdacht erhärtete sich. Sie traten aus dem Urwald und sahen vor sich eine steil ansteigende Wiese, die sich bis zu den beiden Hügeln erstreckte, auf denen die Gebäude des Sanatoriums lagen. Das Mädchen zeigte auf die Gebäudegruppe zu ihrer Rechten und sagte: „Ganz oben ist das Casino, darunter die Verwaltung und daneben das Kurhaus. Da gibt es viele Zimmer. Meine Mutter und ich wohnen aber in einer eigenen Hütte neben dem Arzthaus.“

Sie zeigte auf den Hügel auf der linken Seite. Ein mit rotem Kies bestreuter Weg führte auf die Gebäude zu.

„Wie heißt du denn eigentlich?“, fragte Isolde das Mädchen, auch wenn sie sich sicher war, die Antwort bereits zu kennen.

„Hilde. Das ist die Kurzform von Brünnhilde. Als ich noch ganz klein war, konnte ich das nicht aussprechen. Deshalb hat meine Mutter mich immer Hilde genannt. Ich finde das auch schöner. Und wie heißen Sie?“

„Isolde.“

Das Mädchen musterte sie neugierig. „Meine Mutter hat eine Schwester, die heißt Isolde. Ich habe sie noch nie gesehen. Sie wohnt im Königreich Bayern. Das ist sehr weit weg.“

Hilde machte große Augen und nickte, um den Ernst ihrer Worte zu unterstreichen.

„Ich weiß“, erwiderte Isolde. „Da war ich auch schon.“

„Ui, das ist ja toll“, rief das Mädchen und klatschte in die Hände. „Sie müssen mir erzählen, wie es da so ist. Ich will auch einmal in das Königreich Bayern reisen, aber meine Mutter sagt, dass ich dafür erwachsen sein muss. Dabei bin ich doch schon groß. Ich bin nämlich fünf Jahre alt.“

Sie hatten inzwischen einen Punkt erreicht, an dem der Weg sich in zwei Pfade teilte, die auf die beiden Hügel zuliefen.

„Ich muss nach links. Zu meiner Mutter“, sagte Hilde.

„Darf ich dich begleiten?“

Das Mädchen zögerte. „Ich weiß nicht, ob meiner Mutter das recht ist. Sie schläft viel.“

„Wenn Sie schläft, gehe ich gleich wieder, versprochen.“

Hilde lächelte. „Gut, dann kommen Sie mit.“

Sie stiegen die letzten Meter zu dem linken der beiden Einzelgästehäuser empor. Das Gebäude musste aus zwei Wohnungen bestehen, da es zwei getrennte Eingänge und zwei Veranden gab. Auf der linken Veranda war eine Hängematte gespannt, in der eine weißbekleidete Gestalt lag.

Hilde öffnete die Tür und bat Isolde herein. Sie betraten einen kleinen Salon, in dessen Ecke sich ein Kamin befand, in dem Feuerholz aufgeschichtet war. Ein Durchgang führte in ein Schlafzimmer, ein anderer auf die Terrasse hinaus. Das Mädchen ging auf Zehenspitzen zu der Hängematte und sah eine ganze Weile lang die darin liegende Gestalt an. Schließlich sagte sie leise: „Mama.“

Nichts geschah. Hilde wiederholte die Anrede und wieder reagierte die Schlafende nicht. Nun streckte das Mädchen ihren kleinen, dicken Zeigefinger aus und stupste die Frau in der Hängematte an. Diese gab ein Stöhnen von sich und wälzte sich herum.

„Was ist denn los?“, murmelte sie, ohne die Augen zu öffnen.

„Mama, wir haben Besuch.“

Die Frau gab einen unwilligen Laut von sich. „Sag Herrn Wilde, dass ich ihn nicht empfangen mag. Ich habe Kopfschmerzen. Oder nein, sag ihm, dass mich ein Frauenleiden im Griff hat, dann lässt er mich ganz bestimmt in Ruhe.“

„Aber es ist gar nicht Herr Wilde“, sagte Hilde.

Nun öffnete die Frau erstmals die Augen. „Wer dann?“

„Ich bin es, Elsa“, sagte Isolde und trat vor.

Ihre Schwester richtete sich abrupt auf. Isolde sah das Unheil kommen, konnte es aber nicht verhindern. Die Hängematte schwang nach rechts, Elsa bekam Übergewicht und fiel krachend auf den Dielenboden der Veranda.

„Hast du dir wehgetan?“, fragte Isolde. Sie kniete sich neben ihre Schwester, die sich langsam aufrappelte, Tränen in den Augen.

Elsa antwortete ihr nicht mit Worten. Sie umarmte Isolde und drückte sie fest an sich.

„Du bist es wirklich“, flüsterte sie. Isolde spürte, wie ihre Ohren von Elsas Tränen benetzt wurden. Sie erinnerte sich an frühere Gelegenheiten, als das geschehen war. Als sie ihr gestanden hatte, dass sie ein Kind von Eugen von Lampeck erwartete. Oder als sie sich wiedergesehen hatten, nachdem beide die wichtigsten Menschen in ihrem Leben verloren hatten. Doch damals waren es Tränen der Angst und der Verzweiflung gewesen. Heute dagegen waren es Freudentränen.

Die beiden Schwestern hielten sich eine ganze Weile im Arm. Dann lösten sie sich voneinander. Isoldes Blick fiel auf Hilde, die scheu danebenstand und mit großen Augen bei etwas zusah, das sie sich nicht erklären konnte.

„Liebe Hilde“, sagte Isolde und streckte dem Mädchen eine Hand entgegen. „Du hast mir vorhin erzählt, dass du eine Tante hast, die Isolde heißt. Das stimmt. Ich weiß es ganz sicher, denn ich bin deine Tante Isolde.“

Nun klappte auch Hildes Mund auf. Sie nahm Isoldes Hand und ließ zu, dass diese sie zu sich und Elsa heranzog. Die drei umarmten sich erneut, ehe sie sich endgültig voneinander lösten.

„Aber wie kommst du hierher?“, fragte Elsa, als sie endlich ihre Fassung wiedergefunden hatte.

„Mit dem Schiff, dem Zug und auf meinen Füßen“, sagte Isolde und grinste. „Das ist jedenfalls die Kurzfassung. Wenn du die ausführliche Version hören willst, musst du bitte dafür sorgen, dass ich etwas zu essen bekomme. Ich habe einen Bärenhunger.“

Kapitel 4

Wugiri, 9. Juni 1906

„Ah, das hat gutgetan.“

Isolde lehnte sich zurück und schmeckte dem letzten Bissen Mango nach. Der süße und zugleich auch ein wenig herbe Geschmack kitzelte ihren Rachen. Sie ließ den Blick über die eindrucksvolle Landschaft schweifen, die sie umgab. Im Licht der rasch untergehenden Sonne verblasste die weite Savannenlandschaft zum Horizont hin in sanften Blau- und Lilatönen. Die Berge, die sich in westlicher und östlicher Richtung erhoben, ragten beinahe schwarz in den wolkenlosen Abendhimmel auf. Im nahe gelegenen Dorf brannten Feuer und sie konnte Menschen dazwischen umhergehen sehen.

Sie sah zu Elsa hin, die Hilde eine Locke aus dem Gesicht strich. Das Mädchen war eingeschlafen und schnarchte leise vor sich hin. Während des Abendessens hatte sie sich nicht satthören können an den Geschichten aus fernen Ländern, die Isolde ihr erzählte. Sie hatte eine erkleckliche Menge an Abenteuern erlebt und als sie ihrer Nichte davon berichtet hatte, hatte sie die kleine Isolde vor sich gesehen, wie sie die Nase in einem dicken Schmöker von Expeditionen in unbekannte Länder geträumt hatte.

„Deine Tochter ist ein wunderbarer Mensch“, sagte Isolde. Sie nahm einen Schluck von dem Weißwein. Der Grauburgunder aus dem Badischen hatte auf verschlungenen Wegen nach Wugiri gefunden. Isolde war immer wieder verblüfft, wenn sie in der Ferne Dinge entdeckte, die sie von zu Hause kannte.

„Ja, das ist sie. Es steckt viel von … von Moritz in ihr“, erwiderte Elsa mit leiser Stimme. „Es ist seltsam. Ich habe seinen Namen so lange nicht mehr ausgesprochen. Und es fällt mir nach wie vor schwer, es in Hildes Gegenwart zu tun.“

„Sie glaubt, dass Müller ihr Vater ist?“

„Ja, und vor ihrem 21. Geburtstag werde ich ihr auch nicht die Wahrheit sagen. Ich will nicht, dass Eugens Vater mir noch ein Kind nimmt. Das würde ich nicht überleben.

„Geht Müller gut mit Hilde um?“

Elsa legte den Kopf schief und sog ihre Unterlippe ein. Dann nickte sie. „Ja. Ich kann in dieser Hinsicht nichts Schlechtes über ihn sagen. Er hat Hilde von Geburt an angenommen, hat immer dafür gesorgt, dass es ihr an nichts mangelte. Einmal, als sie hohes Fieber hatte, hat er sie nach Wilhelmstal getragen. Im strömenden Regen. Er kümmert sich um Hilde, so wie er sich wohl um sein eigenes Kind sorgen würde.“

„Ich kann mir diesen stocksteifen Preußen nicht als einen Vater vorstellen“, erwiderte Isolde.

Elsa nickte. „Ich bin froh, dass ich keinen Sohn geboren habe. In Werners Denken ist ein weibliches Wesen schützenswert. Einen Jungen hätte er von klein auf zu einem Mann erziehen wollen. Zu einem preußischen Soldaten. Gelobt sei, was hart macht. Du kennst das.“

Isolde nickte. „Und wie geht Müller mit dir um?“

Elsa schluckte. Sie griff nach ihrem Glas und Isolde sah, dass die Hand ihrer Schwester ein wenig zitterte.

„Es ist … schwierig“, begann sie und sah dann sofort zu Hilde hinüber, die jedoch weiterhin selig schlief. „Er ist schwierig.“

Isolde nickte. „Wie lange trinkt er schon?“

Elsa sah sie mit großen Augen an. „Woher weißt du das?“

„Als ich zu eurer Plantage gekommen bin, lag er auf dem Sofa im Salon und hat seinen Rausch ausgeschlafen. Auf dem Boden stand eine leere Flasche Branntwein.“

Elsa seufzte. „Dann hat meine oder besser gesagt unsere Abwesenheit also keine Besserung bewirkt.“

„War das deine Absicht? Bist du deswegen nach Wugiri gegangen? Um Müller zum Nachdenken zu bewegen?“

Elsa schüttelte den Kopf. „Nein, deswegen bin ich nicht hierhergekommen.“

„Warum dann?“

Elsa seufzte noch einmal. „Die letzten Jahre waren sehr schwierig für mich. Als ich München verlassen habe, war ich eine gebrochene, gebrandmarkte Frau an der Seite eines stolzen, aber nicht allzu lebenstüchtigen Mannes. Zunächst schien Müller kein großes Interesse an mir zu haben und dafür war ich ihm dankbar. Wir sind mit dem Zug nach Genua gefahren und haben uns dort nach Tanga eingeschifft. Während der zweiwöchigen Seereise war ich ständig seekrank. Das mag natürlich auch an der Schwangerschaft gelegen haben, aber es hat auch nicht dazu beigetragen, dass sich Werner mit mir beschäftigt hätte. Er hat sich viel lieber mit anderen Passagieren im Clubraum getroffen und politisiert. Das kann er gut. Und das macht er gerne. Ich bin alleine in meiner Kajüte gelegen und habe um mein ungeborenes Kind gebangt.“

Sie strich ihrer Tochter eine Strähne aus dem Gesicht.

„Wäre es dir lieber gewesen, wenn Müller als aufmerksamer, treu sorgender Ehemann nicht von deiner Seite gewichen wäre?“

Elsa zuckte mit den Achseln. „Ich schätze, dass Werner es gar nicht richtig anstellen konnte. Er ist nicht Moritz. Nicht einmal im Ansatz. Es wird nie wieder einen Mann geben, der sein wird wie er. Ich denke, Werner hat das rasch erkannt. Er verstellt sich nicht, er versucht nicht, jemand anderer zu sein. Aber genau das ist das Problem. Er ist, wie er ist.“

„Wie ging es weiter?“

„Nun, als wir in Tanga an Land gegangen sind, haben wir im Haus eines seiner ehemaligen Arbeitskollegen von der Usambara-Bahn übernachtet. Ich hatte mich auf ein weiches Hotelbett gefreut, aber Werner wollte nicht unnötig Geld ausgeben. Das hat sich fortgesetzt. Auf der Zugfahrt nach Korogwe hat er die ganze Zeit darüber gewettert, dass er gezwungen war, die zweite Klasse zu bezahlen, weil er nicht mit Farbigen zusammen in der dritten Klasse reisen durfte. Dabei war es ihm andererseits ganz recht, dass er nicht bei Afrikanern sitzen musste.

Damals ging die Bahnlinie nur bis Korogwe und dort hat er zwei Maultiere gemietet. Eines für mich, eines für das Gepäck. Ich bin mir vorgekommen wie die Jungfrau Maria auf dem Weg nach Betlehem.“

Isolde konnte sich ein Lachen nicht verkneifen und Elsa stimmte mit ein. Sie wurde allerdings gleich wieder ernst.

„Leider war die Plantage, der Werner den hochtrabenden Namen Müllerau gegeben hatte, dann auch nur ein besserer Stall. Der Vorbesitzer hatte sich in einem Anfall von Schwermut im Lagerschuppen erhängt und die Wilhelmstaler mieden den Ort, weil es hieß, dass es dort spuke. Ich kann das nicht bestätigen. Mir ist um Mitternacht nie ein Erhängter in meinem Schlafzimmer erschienen. Diese Gerüchte führten jedoch dazu, dass Werner den Grund und Boden günstig erwerben konnte. Es war schon immer sein Traum gewesen, eine eigene Scholle Landes zu bewirtschaften, auf dem sein Geschlecht sprießen und gedeihen könnte, frei und unabhängig.“

„Aber mit dem eigenen Geschlecht wurde es wohl nichts, oder?“, fragte Isolde, die mit banger Erwartung Elsas Erzählung verfolgte.

Ihre Schwester schüttelte den Kopf. „Hilde hat mir bei ihrer Geburt zwei schwere Tage bereitet. Wir hatten eine einheimische Hebamme aus einem benachbarten Dorf kommen lassen, weil wir den Geburtstermin geheim halten wollten. Das Kind lag verkehrt herum. Die Hebamme konnte sie aber drehen. Trotzdem habe ich viel Blut verloren und wäre beinahe gestorben. Im Wochenbett habe ich mir dann noch ein böses Fieber eingefangen, das mich erneut an den Rand des Grabes gebracht hat. Aber ich wollte leben und so habe ich mich durchgebissen. Hilde war es wert. Sie ist ein Stück von Moritz, das weiterlebt. Nun, jedenfalls vermute ich, dass die Schwierigkeiten bei ihrer Geburt dazu geführt haben, dass ich keine weiteren Kinder empfangen kann.“

Sie wandte den Blick von Isolde ab und sah in die Dunkelheit, die sich vor der Veranda breitmachte. Ihre Wangen röteten sich, als sie fortfuhr: „Wir haben es versucht. Du kannst dir sicher vorstellen, dass es keine angenehme Erfahrung für mich war, Werner ein Eheweib zu sein. Wenigstens hat er keine ausgeprägten Bedürfnisse. Und mit der Zeit hat er mich dann ganz in Ruhe gelassen. Das mag daran gelegen haben, dass seine Besuche nicht das gewünschte Ergebnis gezeigt haben. Und natürlich hat dann wohl irgendwann auch der Alkohol seinen Tribut gefordert. Wie auch immer, ein gemeinsames Kind blieb uns vorenthalten. Vielleicht war das aber auch besser so.“

„Warum?“

Elsa holte tief Luft. „Nachdem ich mich von Hildes Geburt erholt hatte, habe ich miterleben müssen, wie ungeeignet Müller zum Führen einer Plantage war. Wir haben damals noch Kaffee angebaut. Die Pflanzen hatte der Vorbesitzer ausgesät. Doch die Ernte blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Der Boden war nicht geeignet für die Kaffeepflanzung. Das haben wir erst nach zwei Jahren erfahren und in dieser Zeit war das Kapital, das Müller in seinen Betrieb eingebracht hatte, beinahe aufgebraucht.

Also habe ich meine letzten Ersparnisse zusammengekratzt und Werner dazu überredet, in Kautschukbäumchen zu investieren. Ich hatte davon in Der Pflanzer gelesen, einer Beilage der Usambara-Post. Das Wenigste von dem, was drinsteht, habe ich wirklich verstanden. Aber dass mit Kautschuk mehr Gewinn möglich wäre als mit Kaffee, hat mir Hoffnung gegeben. Wir haben vor drei Jahren knapp zweitausend Kautschukbäumchen gepflanzt. Und heuer sollte die erste Ernte möglich sein. Das wäre auch bitternötig, denn unsere Mittel sind nahezu erschöpft.