Weihnachtsabend - Theodor Mügge - E-Book
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Theodor Mügge

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Beschreibung

Theodor Mügges Buch 'Weihnachtsabend' nimmt den Leser mit auf eine literarische Reise, die die Feierlichkeiten und Emotionen eines traditionellen Weihnachtsabends einfängt. Der Autor präsentiert eine reichhaltige Darstellung von Charakteren und Schauplätzen, die mit einer subtilen poetischen Sprache und einem warmen Erzählstil zum Leben erweckt werden. Das Buch gehört zur romantischen Literatur des 19. Jahrhunderts, die sich durch emotionale Tiefe und eine sorgfältige Beschreibung der menschlichen Natur auszeichnet. Mügge zeichnet ein Bild von Familie, Zusammengehörigkeit und dem Geist der Weihnachtszeit, das den Leser in die festliche Atmosphäre eintauchen lässt. Theodor Mügge, selbst ein bekannter Schriftsteller seiner Zeit, schöpft aus seiner eigenen Erfahrung und Liebe zum Weihnachtsfest, um ein Werk zu schaffen, das die Leser berührt und fasziniert. Sein Talent für die Darstellung menschlicher Gefühle und Beziehungen spiegelt sich in jedem Detail des Buches wider, von den Dialogen bis hin zu den Beschreibungen der Umgebung. 'Weihnachtsabend' ist das Werk eines Autors, der sein Handwerk versteht und es meisterhaft beherrscht. Für jeden, der auf der Suche nach einem literarischen Werk ist, das die besondere Atmosphäre und Bedeutung des Weihnachtsabends einfängt, ist 'Weihnachtsabend' von Theodor Mügge ein absolutes Muss. Dieses Buch ist eine herzerwärmende Erzählung, die den Geist der Weihnachtszeit hervorragend einfängt und den Leser in eine Welt voller Liebe, Tradition und Gemeinschaft entführt.

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Theodor Mügge

Weihnachtsabend

Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
EAN 4064066109394

Inhaltsverzeichnis

Cover
Titelblatt
Text
"

Es begab sich an einem kalten und stürmischen Dezemberabende des vergangenen Jahres, daß tief im untersten Grunde eines mächtigen fünfstöckigen Hauses, welches im comfortabelsten Theile der Stadt, dicht an der schönsten und vornehmsten Straße steht, ein fleißiges junges Ehepaar emsig arbeitend beisammen saß, als es beinahe Mitternacht schlagen wollte. Dies fleißige Pärchen gehörte zu der bedeutenden Zahl moderner Troglodyten in den großen Tummelplätzen der menschlichen Gesellschaft, die ihre Parias nicht allein fünf oder sechs halsbrechende Treppen hoch in Dachwinkeln und Bodenkammern unterbringt, sondern sie auch tief in den Schoß der mütterlichen Erde hinabsteigen läßt, um allda zwischen feuchten, dumpfigen Mauern zu versuchen, was Hunger und Fieber ihnen anzuthun vermögen.

So übel jedoch sah es in der Kellerwohnung nicht aus, in welcher die beiden Arbeiter saßen. Es war ein ziemlich großes, grün angestrichenes Zimmer, dessen Decke sich tonnenartig wölbte; auch lag es nicht gar tief unter der Oberfläche der Straße. Denn die Fenster waren gut erreichbar, hatten helle große Scheiben und waren von außen mit dichten Läden geschlossen. Es war ganz sichtlich ein noch ziemlich neues Haus und über diesem kleinen tiefen Raume lag ein Schimmer jenes wohlthuenden Geistes der Ordnung und Sauberkeit, der auch mit Armuth zu versöhnen weiß.

Wenige Geräthe waren in dem Zimmer. Ein breites Bett stand an der langen Wandseite, eine Kommode, über welcher ein kleiner Spiegel hing, befand sich ihr gegenüber. Im Hintergrunde glänzte die blanke Front eines Spindes und neben ihm hatte ein andres mit Glasscheiben Platz genommen. Mitten in dem Gemach aber stand ein Tisch und zwischen Fenster und Ofen ein zweiter ganz niedriger, an welchem die beiden Personen saßen.

Es war warm, reinlich und behaglich in dieser unterirdischen Wohnung. Die obere Hälfte des Zimmers lag in schweigender Nacht und Stille, die untere Hälfte war voll Licht und Rührigkeit. Die kleine Lampe hatte einen breiten Schirm; ihre Strahlen fielen auf eine Glaskugel und durch diese mit scharfem Glanz auf die Arbeit des fleißigen Mannes, der mit großer Behendigkeit an einem feinen Stiefel nähte. Es war ein noch ziemlich junger Mann, der hier mit aufgestreiftem Hemd und weißer Arbeitsschürze hinter der Glaskugel saß. Sein langes, glänzend schwarzes Haar fiel über eine hohe und gewölbte Stirn, ein listiges und lustiges Lachen lag auf seinen Lippen, und wenn er aufblickte und seiner Gefährtin bei dieser nächtlichen Arbeit dann und wann ein paar ermunternde Worte sagte, zeigte er zwei Reihen so prächtiger weißer Zähne, wie sie je schwarzes Brod tapfer zermalmt haben.

Die Frau ihm gegenüber war ebenfalls jung und rüstig. Ihre braunen Flechten legten sich an ein gesundes Gesicht mit starken, vollen Zügen und hellen Augen, die entschlossen um sich schauten. Sie sah wie Eine aus, die zu arbeiten weiß und Hände wie Mund auf dem rechten Fleck hat. Während sie mit dem Einfassen einiger Schuhe sich beschäftigte, die vor ihr standen, trat sie dann und wann mit dem Fuß auf den Läufer einer Wiege, welche an ihrer Seite stand, sobald der kleine Schläfer darin sich bewegte. Der rumpelnde Ton der Wiege unterbrach dann die tiefe Stille und wurde abgelöst durch das Heulen des Windes, der an den Fensterläden rasselte, oder durch den dumpfen bebenden Ton rasch rollender Wagen, die auf der großen Straße vorüberfuhren und die Grundmauern des Gebäudes erschütterten.

Nach einer geraumen Zeit sagte die Frau gähnend: Höre auf, Anton, es muß beinahe Mitternacht sein.

Der Schuhmacher warf einen schnellen Blick auf die schwarzwalder Uhr in der Wandecke. Alleweil punkt halb erst, liebste Guste, gab er zur Antwort, aber bist müde geworden den lieben langen Tag.

Na, es geht noch so, erwiederte sie; bei dem schlechten Geschäft wird man so müde eben nicht.

Schlechte Zeiten! brummte der Mann halb laut, werden aber auch darüber fort kommen.

Die Frau seufzte vor sich hin. Man mag es machen wie man will, sagte sie, es ist kein Vorwärtskommen.

An Fleiß fehlts nicht, murmelte er leise.

An meinem Willen auch nicht, setzte sie hinzu.

Bist gut, rief er die Hand freundlich ausstreckend, es wird sich schon machen. Jung sind wir, arbeiten wollen wir, zur Noth geht’s noch, und alleweil mag kommen was da will, manchem ehrlichen Kerl geht’s wohl noch schlechter. Die Frau erwiderte sein Lächeln, sagte aber dann mit einem besonders scharfen Blick: Ich meine nur, Anton, es könnte besser gehen, wenn Du nur wolltest.

Hörst wie der Wind pfeift? fragte er. Es ist ein schandbares Wetter draußen und um nichts danke ich alleweil dem lieben Gott mehr, als daß ich kein Wetterhahn geworden bin.

Ah! geh’ doch mit Deinen Possen, antwortete sie gereizt, ich weiß schon, was es bedeuten soll.

Na, meinte er lachend aufschauend, ich sitze hier warm, lasse den Wind fahren wohin er will, und wenn es mich kränkt im Herzen, seh’ ich Dich an und die Wiege da, so wird’s wieder gut.

Wenn Du uns beide ansiehst, Anton, sagte die Frau, müßte es Dir doch einfallen, daß es gut wäre für uns Alle, wenn Du es machtest, wie es so Viele gemacht haben.

Ihre letzten Worte verloren sich unter dem erschütternden Rollen mehrerer Wagen, die schnell hintereinander vorüberfuhren.

Sakerment! rief der Schuhmacher, was ist das heut für Spektakel. Wir wohnen doch hier um die Ecke und bekommen den Lärm erst aus zweiter Hand, aber es ist als ob die Steine sich bewegten.

Die Herrschaften fahren nach Haus, erwiederte die Frau.

Hole sie der Henker! brummte Anton vor sich hin. Was ist denn eigentlich heute los bei Geheimraths?

Es ist ein Ball oder so etwas, sagte sie. In allen Zimmern brannten die Kronen als ich vorüberging und gefährlich viel Wagen und Menschen standen vor dem Hause.

Dazu haben sie immer Zeit und Geld, meinte der Schuhmacher mit einer gewissen zornigen Betonung.

Du würdest es auch nicht besser machen, wenn Du Geheimrath oder Baron wärst, fiel sie ein.

Hast vielleicht Recht, Guste, sagte er lachend, alleweil ist blos schade darum, daß ich es nicht bin. Aber wenn ich es wäre, würde ich doch meinen Mitmenschen das Leben nicht saurer machen, wie es schon ist; würde mich hüten, es so zu machen, wie sie es mir anthun. Ließe Jeden denken und meinen und glauben was er Lust hat und thäte mich blos darum bekümmern, macht der Anton Mertens mir gute Stiefeln und Schuhe, so ist er mir recht. Mehr kann ich nicht von ihm verlangen.

Ja, wenn Du auch so denkst, rief die Frau, andere Leute sind nun einmal nicht anders; ihre Gründe haben sie auch und mit dem Kopf durch die Wand ist noch Keiner gekommen. Man sieht es ja, wie Viele untergehen oder wenn sie klug sind bei Zeiten zu Kreuze kriechen; wer aber nichts hat und doch nicht klug sein will, der muß nicht Andere anklagen.

Anton antwortete nicht. Er warf seine langen Haare von der Stirn zurück, schüttelte den Kopf dabei und arbeitete eifrig weiter.

Ich habe es Dir nicht gesagt, fuhr seine Frau fort, aber gestern begegnete ich der Frau Geheimräthin und Fräulein Elise auf der Straße. Nun, wie geht’s Auguste? fragte sie, als ich bei ihr vorüber ging und grüßte. Nicht zum allerbesten, sagte ich. Ist Jemand bei Euch krank? fragte sie. Gott sei Dank! gesund sind wir Alle, sagte ich, aber das Geschäft geht schlecht, wir haben viele Kunden verloren; dazu ist mein Kind jetzt unruhig von wegen der Zähne, helfen kann ich Anton auch nicht so viel, wie ich möchte, denn Wirthschaft und Hausstand verlangen Ordnung und nehmen mehr Zeit fort, wie man denkt. So haben wir denn mancherlei Sorgen, obwohl es an Fleiß nicht mangelt. Da seid Ihr selbst schuld, gab sie zur Antwort. Lieber Gott, ich bin gewiß nicht schuld, sagte ich. Nein, Du nicht, sagte sie, Du bist immer vernünftig gewesen, aber Dein Mann taugt nichts.

Donnerwetter! rief Anton ärgerlich lachend, indem er mit seinem Stiefel aufklopfte. Das sagte die alte Hexe Dir ins Gesicht?

Bsch! winkte Guste, wecke das Kind nicht auf.

Er ist fleißig und ordentlich, sagte ich, ich kann nicht über ihn klagen.

Aber er hat keinen Glauben und keine Gesinnung, rief sie so laut, daß ich mich schämte, und das muß ein Mann haben, mit dem man sich einlassen soll.

Als ob ich mich mit ihr einlassen wollte, rief der Schuhmacher.

Liebe, gnädige Frau Geheimräthin, sagte ich, Anton macht seine Arbeit doch gewiß gut und immer sind Sie uns gewogen gewesen, und haben viel für uns gethan.

Aber ich habe nur Undank davon gehabt, fuhr sie auf. Der Geheimrath hat Deinen Mann erziehen lassen, wie sein Vater starb, der es auch wohl verdient hat, daß man sich um das Kind kümmerte, denn er war zwanzig Jahre lang ein treuer Diener. Wir haben Anton in die Schule geschickt, haben ihn in die Lehre gebracht, ihn unterstützt, wo es nöthig war, und aus meinem Hause hat er Dich geheirathet. Was ich damals gethan habe, will ich nicht weiter erwähnen, aber der Geheimrath lieh Euch obenein zweihundert Thaler zu Eurem Geschäft, und wie wir nur konnten, sorgten wir, daß Ihr Kunden bekamt. Für alle diese Güte habt Ihr oder Dein Mann, uns schlecht vergolten. Er hat im vorigen Jahre alle die Tollheiten und Dummheiten mitgemacht.

Ach, gnädige Frau, sagte ich, das haben ja so Viele damals gethan, die weit mehr bedeuten, wie er.

Das war recht, Guste! rief der Schuhmacher jubelnd, hast ihr Eins drauf gegeben wie sich’s schickt. Ich habe den Geheimrath selbst reden hören damals, als wäre er dunkelroth bis in die Nieren. Eine dreifarbige Kokarde hatte er am Hut, dreimal so groß wie meine; auf die Wache ist er gezogen, obwohl er es gar nicht nöthig hatte, und was ich damals zu ihm sagte, war ihm noch lange nicht links genug.

Sie mochte es auch wohl merken, daß es ein Stich sein sollte, fuhr die Frau fort, denn sie sah mich groß an, aber ich machte ein unschuldiges, betrübtes Gesicht. Höre, sagte sie, an vergangenen Dingen läßt sich nichts ändern, was geschehen ist, ist geschehen, aber jetzt, wo die Vernunft wiederkehrt, ist es doppelte Sünde und Schande, noch zu den Unvernünftigen zu gehören. Und das sage Deinem Mann und thue dazu, wie eine Frau, die weiß, was Recht ist. Er soll Einsehen haben, es ist die höchste Zeit. Wir haben ihm seit längerer Zeit unsere Arbeit entzogen, und das aus gutem Grunde. Ebenso haben es unsere Freunde gethan, und jeder rechtliche Mensch wird es thun. — Man giebt Denen nur Arbeit und Verdienst, die sich als rechtschaffene Leute erweisen, es nicht mit den Rotten der Elenden halten, die alle Ordnung vernichten, alle Pfeiler der menschlichen Gesellschaft umstürzen wollen.

Daß dich die Pest! murmelte Anton. — Die verfluchten Aristokraten!

Ach du mein Gott! gnädigste Frau Geheimräthin, sagte ich, Anton ist ein ruhiger, bescheidener Mann.

Er hat sich geweigert, in den patriotischen konservativen Verein zu treten, gab sie zur Antwort, obwohl ich es ihm dreimal gesagt habe. Auch Elise hat es ihm wiederholt gesagt, nicht wahr, Elise?

Das Fräulein sah mich stolz an und sagte dann: halte Dich nicht weiter auf, Mutter, wir müssen weiter. Herr Anton Mertens hat mir geantwortet, er könne sein Gewissen doch nicht verkaufen; so mögen denn seine Gesinnungsgenossen für dies zarte Gewissen sorgen.

Die ist von der rechten Sorte, rief Anton.

Nun geh, sagte die Geheimeräthin, fuhr die Erzählerin fort. Ich habe immer noch Mitleid mit Euch. Schicke Deinen Mann in den Verein, und wenn er sich aufrichtig bekehrt, so wollen wir sehen was zu thun ist. Sonst aber glaube mir, Auguste, es sollte mir leid um Dich thun, aber es kommt noch schlimmer. Die zweihundert Thaler fordert mein Mann zurück; es hat schon geschehen sollen und kann morgen so kommen. Stürzt Euch nicht muthwillig in’s Elend.

Die hartherzigen, erbärmlichen Menschen! schrie Anton wild. Die wollen Christen sein?

Aber Du kannst es doch auch thun, sagte die Frau. Warum willst Du ihnen denn den Gefallen nicht erzeigen? Du gehst in den Verein, da sind viele vornehme und reiche Leute. Sie drücken Dir die Hände, klopfen Dir auf die Schulter, loben Dich, trinken sogar mit Dir und bezahlen es obenein, und Du hast nichts dafür zu schaffen, als zuzuhören, was sie sagen. Du weißt doch, was uns neulich erst Dein Freund Peschke davon erzählte, der doch auch hingegangen ist.

Was ist denn da los? rief der Schuhmacher, indem er seine Arbeit sinken ließ und aufhorchte.

Ein dumpfer Lärm mehrerer Stimmen drang von der großen Straße herüber. Gleich darauf erscholl ein wildes Geschrei, dem ein scharfes, schnell wiederholtes Pfeifen folgte.

Es müssen welche arretirt werden sollen, sagte Anton aufspringend.

Vielleicht sind es Spitzbuben, fiel die Frau ein.

Hörst Du nichts? Es kam mir vor, als ob Gewehre klirrten.

Daß Du hier bleibst, Anton, sagte sie bittend und befehlend, indem sie die Hände nach ihm ausstreckte.

In diesem Augenblicke fiel ein Schuß. — Allmächtiger Gott! sie schießen, schrie sie auf. Du rührst Dich nicht, Anton. Sie hielt ihn am Aermel fest und faßte mit der andern Hand nach der Wiege, wo das Kind weinend aufgewacht war.

Laß mich los; sagte er, ich will bloß an der Kellerthür hören, was los ist. Nicht einen Schritt gehe ich weiter.

Mit einer raschen Bewegung war er frei, und ohne weiter auf das Rufen seiner Frau zu hören, sprang er durch den dunklen Raum, wo er seine Waaren feil hielt, die Treppe hinauf, schob den Riegel von der Thür und öffnete vorsichtig in demselben Augenblick, wo ein athemloser Mensch in diese Oeffnung und in seine Arme stürzte.

Um ein Haar wäre Anton mit seiner Last rückwärts übergeschlagen, aber er hielt sich an dem Ringe der Thür fest, die dadurch sogleich wieder zuschlug. So stand er einige Minuten lang, während draußen viele Männer wild schreiend vorübereilten. Dann schob er leise die Riegel wieder vor und flüsterte dem Flüchtling ein paar Worte zu, die ohne Antwort blieben. Dieser lag mit den Armen um Antons Nacken, der Kopf hing über dessen Schulter; er faßte ihn mit aller Kraft um den Leib und trug ihn die Stufen hinunter.

Komm mit Licht, Guste, rief er mit gedämpfter Stimme. Die Thür that sich auf, Lampenschein fiel herein, aber mit einem Schrei prallte die Frau zurück; sie sah in ein mit Blutstreifen überzogenes, todtblasses Gesicht.

Schweig still! rief Anton seiner Frau zu, indem er den leblosen Körper von der Schulter in seine Arme gleiten ließ. Nicht einen Laut gieb von Dir und stülpe den Deckel auf die Lampe, damit sie draußen den Lichtschein nicht sehen.

Ist er denn ganz todt? fragte sie erschrocken. Wo ist er hergekommen und warum hast Du ihn hier hereingeschleppt? Was sollen wir jetzt mit ihm anfangen? Und wenn es herauskommt, brocken sie Dir eine Suppe ein. Am Ende ist es ein Räuber, ein Spitzbube, ein Mörder, ein Bösewicht, der Schandthaten begangen hat. Ach, mein Gott! wie läuft das Blut von ihm. Nur nicht auf’s Bett, leg’ ihn hierher auf die Decke, wir wollen das alte Lederkissen unterschieben. Ich wollte, Du hättest Deine Füße verstaucht, ehe Du die Treppen heraufgekommen wärst. Aber so bist Du; in Alles mußt Du Dich mischen, überall Deine Nase haben, nur nicht da, wo Du sie haben sollst.

Geduldig und ohne ein Wort zu erwiedern ließ Anton seine Frau weiter keifen. Er mochte wohl fühlen, daß sie nicht so ganz Unrecht hatte, dennoch aber wußte er gewiß, daß ihr Mitleid endlich über ihre Besorgniß und ihren Aerger siegen würde.

Er lief ja alleweil grades Weges in den Keller und in meine Arme hinein, sagte er aufathmend, als er den Leblosen auf die Decke und auf das Lederkissen gelegt hatte. Es war eine Schickung, Guste, daß ich eben die Thür aufmachen mußte, wie er jählings um die Ecke sprang, und eher wollt’ ich meinen Hals zuschnüren lassen, ehe ich den Konstablern etwa zugerufen hätte: hier ist er, da habt Ihr ihn! Pfui Teufel! das wirst Du doch nicht von mir erwarten.

So, antwortete Frau Mertens, das soll ich erwarten? aber was sollen wir denn nun anfangen? Und wenn er todt ist oder wenn es ein Mörder ist?

Bring’ Wasser her, rief der Schuhmacher entschlossen. Hier liegt er nun einmal, und annehmen müssen wir uns seiner, was da auch kommen mag. Ein Räuber oder Mörder wird er nicht sein, sieh doch her, was er für feine Hände hat. Ein schmales, schlankes Bürschchen ist es, wohl guter Leute Kind, das durch einen Zufall Streit bekommen mit den Himmel-Sakermentern, sich nicht mißhandeln lassen wollte und das sie dann unmenschlich behandelt haben. Man weiß ja, wie sie es machen. Bring’ Wasser her, Frau, so rasch Du kannst. Ich glaube, er lebt, eben zuckte er mit den Armen. Gieb den Schwamm da und setze die Lampe auf den Schemel. Jetzt halt ihm den Kopf in die Höhe, oder wart’, ich will es thun.

Er kniete an der Seite nieder und hob den Kopf des Liegenden empor. Dieser hielt in der einen Hand krampfhaft den Hut fest, den er getragen hatte, und machte damit eine plötzliche heftige Bewegung, indem er zugleich einen tiefen Seufzer ausstieß. —

Es mag ihm wohl wehe thun, dem armen Schelm, murmelte Anton, und doch bin ich so vorsichtig, wie ich sein kann. Er schob seinen Finger behutsam unter das blutgetränkte Haar, unterstützte mit der anderen Hand den Rücken und suchte den Körper ein wenig aufzurichten und auf die Seite zu wenden.

Aber schon nach einigen Augenblicken hielt er erstaunt inne. Ein Knoten oder eine Flechte schien sich aufzulösen und eine Fülle langen, dunklen Haars fiel auf das Lederkissen herunter. Alle Wetter! rief Anton halblaut, was ist das? Es ist ein Weib oder ein Mädchen, so wahr ich lebe.

Bei dieser Entdeckung erneute sich der Zorn seiner Frau. Eine schöne Wirthschaft ist das, sagte sie. Ein liederliches Weibsbild, die sich Nachts in Männerkleidern umhertreibt, Gott weiß woher kommt, aufgegriffen werden soll, wie es sich gehört, die schleppt er mir hierher und da liegt sie nun in ihren Sünden. Wirf sie hinaus und laß sie liegen, sie werden schon kommen und sie abholen. Wirf sie hinaus, sag ich Dir, oder ich laufe auf die Straße und schreie nach Hülfe.

Das wirst Du bleiben lassen, Guste, antwortete der unerschütterliche Mann, indem er von seinen Knien zu seiner erzürnten Ehehälfte aufsah. Er hatte den Schwamm in dem Wasser ausgedrückt und fuhr damit leise über Gesicht und Stirn seines Schützlings. So schlecht bist Du nicht, fuhr er dabei fort, daß es Dein Ernst sein könnte von mir zu fordern, ich sollte dies Weib, wer sie auch sein mag, in Nacht und Eis auf die Straße werfen. Element ja! wenn’s wahr wäre, rief er, stärker den Schwamm drückend, ich könnte Dich nicht mehr ansehen. Aber wenn ich es thun wollte, Du würdest sie wieder hereinholen. Todt ist sie nicht, jetzt athmet sie ja, und da hat sie den Schlag auf den Kopf bekommen. Es ist eine lange blutige Schramme, muß ein Säbelhieb sein, aber viel hat es nicht auf sich, wenn es weiter nichts ist. Die Betäubung ist das meiste, Angst und Schreck obenein. Bald wird sie wieder munter sein wie ein Fisch und ehe es irgend ein Mensch gewahr wird, kann sie gehen und sehen, was sich weiter mit ihr zuträgt.

Eine zuckende Bewegung der Unbekannten endete seine Ermahnungen. Sie schlug die Augen einen Augenblick auf und schloß sie wieder; ein paar unverständliche Laute kamen über ihre Lippen und endeten mit einem dumpfen Stöhnen.

Das Wasser macht ihr Schmerzen, flüsterte der gutmüthige Schuhmacher, und sieh mal da, Guste, was es für ein feines, blasses Gesicht ist. Die sieht nicht aus wie Eine, die einen schlechten Lebenswandel führt.

Ein ordentliches, anständiges Mädchen thut das nicht, sagte die Frau, noch immer grollend. Du bildest Dir wohl am Ende ein, einen Tugendspiegel Nachts um 12 Uhr in Rock und Hosen aufgefangen zu haben. — Bei alle dem aber beugte sie sich zu der Leidenden nieder, horchte auf ihr leises schnelles Athmen und unterstützte, ohne ein Wort weiter zu sprechen, die Bemühungen ihres Mannes, dem sie endlich den Schwamm fortnahm und die Waschung selbst verrichtete.

Hole ein reines Tuch aus der Kommode, sagte sie nach einer kleinen Weile, wir müssen es zusammenlegen und einen feuchten Umschlag machen.

Anton sprang auf und brachte, was er fand.

Ach, bewahre Gott, rief Guste, das ist ja ein baumwollenes. Rechts in der Ecke liegen die beiden feinen Leinentücher, die mir Fräulein Elise zur Hochzeit geschenkt hat.

Die willst Du nehmen? fragte Anton erstaunt. Wirst das Blut nicht wieder herauskriegen.

Ich habe nichts anderes, was paßt, sagte sie ärgerlich. Warum hast Du uns das Unglück in’s Haus gebracht.

Anton machte ein Gesicht als wollte er lachen, aber er unterdrückte es zur rechten Zeit und nach wenigen Minuten lag eine Kompresse auf der langen Schnittwunde, die eine zerrissene Oberfläche zeigte, dann wurde das zweite Tuch vorsichtig darüber gebunden und nun sagte Guste: hole rasch den großen Lederstuhl herein, das ist der einzige Platz, wo man sie niedersetzen und wo sie den Kopf anlehnen kann.

Auch dieser Befehl wurde auf der Stelle vollzogen. Der Schuhmacher trug aus seinem Laden den Stuhl herein, auf welchem er seinen Kunden Maß zu nehmen pflegte. Es war ein bequemer Sessel mit Armen und hoher Lehne. Vorsichtig faßte er den Körper unter den Schultern, die Frau trug ihn an den Beinen und nach einer Minute war das Werk vollbracht. Die kleine Lampe brannte wieder unter dem dichten Schirm, das tiefe Schweigen kehrte zurück, die beiden barmherzigen Samariter aber standen ängstlich und ungewiß vor der Unbekannten, die noch immer nicht erwachen wollte.

Das jugendliche und einnehmende Gesicht lag vorn über, der Brust zugeneigt, die sich dann und wann in kurzen heftigen Schlägen hob. Die Arme fielen schlaff auf die Lehnen des Stuhls, über welche die weißen, schmalen Hände herabhingen.

Gearbeitet hat die nicht, murmelte Anton seiner Frau zu.

Es ist mir so, als hätte ich sie schon früher gesehen, flüsterte diese zurück, aber ich weiß nicht, wo es gewesen ist. Sie lüftete den Deckel der Lampe ein wenig und plötzlich fiel ein hell zuckender Lichtstrahl auf den ruhenden Kopf. Es war ein schönes Oval mit hochgewölbter Stirn. Kühn geformte Augenbrauen liefen darunter hin, und lange Wimpern, welche die geschlossenen Augen bedeckten, bildeten einen schwarzen Schatten, der seltsam auf der bläulichen Blässe des Gesichts ruhte. Im Verein mit den festgeschlossenen schmalen Lippen und der Nase, die wie bei einem Todten scharf und blutlos hervortrat, schien es wirklich, als sei das Leben aus dieser Hülle entflohen, wenn nicht die einzelnen krampfhaften Bewegungen dagegen gezeugt hätten.

Und jetzt als das blendende Licht ihre Augen berührte, thaten sich diese rasch auf und sandten einen wirren fragenden und befremdeten Blick umher. Dann umklammerte die linke Hand die Lehne des Stuhls, der Kopf richtete sich von der Brust empor und mit größerer Gewalt als sich vermuthen ließ, rief die Kranke: Was ist mit mir vorgegangen? Wo bin ich? Wer seid ihr? Mein Gott, was ist das?! Sie fuhr mit der Hand an ihren Kopf, fühlte das Tuch und ihr nasses Haar und als kehre ihr in diesem Augenblick die volle Erinnerung zurück, stieß sie einen Schrei des Entsetzens aus, indem sie von dem Stuhle sich aufrichtete und ihre Umgebungen anstarrte.

Beruhigen Sie sich, sagte Anton, ihren Arm fassend, und verhalten Sie sich still. Sie sind nicht im Gefängniß, nicht unter den Konstablern und dergleichen, sondern alleweil bei ordentlichen Leuten, die sich Ihrer angenommen haben, so weit es geschehen konnte.

Weil es so hat sein sollen, Mamsell, oder wer Sie sind, fuhr Frau Mertens fort, als die Fremde sich wieder niedersetzte. Weil es so hat sein sollen, denn eine Fügung ist es jedenfalls, daß Anton eben die Thür aufmachte, wie Sie ihm in die Arme sprangen, aber allemal geschieht das nicht, und sonderbar genug ist es auch, daß Damen um Mitternacht in Mannskleidern sich blutige Köpfe auf offener Straße schlagen lassen.

Na, wer weiß denn, was es für Gründe hat, sagte Anton ihr zuwinkend. Man kann zu allerlei Schaden kommen, man weiß selbst nicht wie, und heut zu Tage steht die Welt auf dem Kopf, es geschehen Geschichten, wie man sie nie erlebt hat. Mags also sein, wie es will, soviel ist gewiß, daß es für diesmal keine Gefahr mehr hat. Draußen ist Alles ruhig geworden, denn nachdem sie in allen Winkeln umhergeschnüffelt haben und geflucht haben wie sich’s gehört, sind sie abgezogen, und hier können Sie nun so lange bleiben bis Sie auf den Beinen fort können.

Das heißt spätestens bis es Tag wird, fiel Guste wiederum ein. Jeder muß am besten wissen, was er zu thun hat und ob er sich bei Tage sehen lassen darf.

Ich danke Ihnen von Herzen für die Güte, welche Sie mir erwiesen haben, sagte die Fremde mit mattem und sanftem Ton, indem sie die Hand von ihrem Gesicht nahm. Ich hoffe in einer halben Stunde schon mich fortbegeben zu können, und nehme es Ihnen nicht übel, wenn Sie Mißtrauen gegen mich hegen. Die Verkleidung, in welcher Sie mich finden, betrifft eine Angelegenheit, welche für Sie kein Interesse haben kann. Durch einen Zufall gerieth mein Begleiter mit einem Polizeisoldaten in Wortwechsel. Der brutale Mensch wollte ihn verhaften, er schleuderte ihn von sich, es kamen zwei andere herbei, die sofort Gewalt brauchten.

Siehst Du wohl, Guste, rief Anton frohlockend, da haben wir die Geschichte, wie ich dachte.

Sie zogen ihre Säbel und in dem Bemühen, uns zu schützen, in der Verwirrung und Bestürzung, empfing ich einen harten Schlag und wurde von meinem Begleiter getrennt, der sich fortgesetzt vertheidigte. Plötzlich fiel ein Schuß, ich floh, verlor die Besinnung und weiß nichts weiter.

Und wer sind Sie denn? Wo ist Ihre Wohnung? fragte die Frau, halb nur gläubig, wie es schien.

Das, Madame, erwiderte die Fremde, muß ich Ihnen verschweigen, aber ich werde Ihnen dankbar sein, gewiß, ich werde dankbar sein, — wenn auch nicht sogleich, fuhr sie fort, denn im Augenblick besitze ich nichts, was ich für Ihre große Güte und Freundlichkeit Ihnen bieten könnte.

Der Ton ihrer Stimme und die Art, wie sie dies sagte, hatte eben so viel Herzliches wie Bestimmtes. — Wir haben nichts um Lohn gethan, erwiderte der Schuhmacher großmüthig. Bleiben Sie hier, bis es hell wird, wir wollen schon mit einander auskommen.

Nein, nein! ich darf nicht bleiben, versetzte die Fremde aufstehend, und von heftiger Unruhe erfüllt, die ihr Gesicht röthete, setzte sie mit größerer Lebhaftigkeit hinzu: Ich fühle mich wohl, und kann nicht länger zögern. Man wird sehr besorgt um mich sein. Oeffnen Sie die Thür und seien Sie überzeugt, daß ich nicht vergessen werde, was mir hier geschehen ist. Leben Sie wohl, Madame, leben Sie wohl! — Sorgen Sie nicht, es geht mit mir, es geht recht gut, ich fühle mich kräftig genug.

Nach einigen Minuten kam Anton lachend zurück. — Fort ist sie, sagte er. Es ist rabenfinster und eben schlägt es Eins. Wie ein Schatten schlüpfte sie an den Häusern hin und verschwand. Die Hand hat sie mir gedrückt, die war so klein und fein und warm. Es muß was Vornehmes sein, Guste.

Aber die Tücher, rief die Frau plötzlich erschreckend. Wo sind die Tücher?

Ja, die hat sie wahrhaftig alle beide mitgenommen.

Das Ehepaar sah sich stumm an. Die sind fort auf Nimmerwiedersehen, rief die junge Frau endlich voller Aerger. Das haben wir für unsere Dummheit, oder für Deine Dummheit vielmehr, denn Du bist an Allem schuld. Es dauerte lange, ehe Anton den Sturm besänftigen konnte.

Die glänzende Wohnung des Geheimeraths Wilkau zeigte am folgenden Morgen deutlich genug die Spuren des Festes, welches am Abend vorher hier gefeiert wurde; allein mit dem ersten Licht des Tages waren fleißige Hände geschäftig, die gewohnte Sauberkeit und Ordnung wieder herzustellen. Drei oder vier rüstige Frauen und Mägde, ein Bedienter mit bedenklich rother Nase und eine Wirthschafterin von gereiftem Alter, die mit leiser Stimme Befehle und handgreifliche Püffe in aller Stille austheilte, liefen auf Socken durch die Zimmer, räumten die Geschirre fort, setzten Stühle und Geräthe an Ort und Stelle, lüfteten und wischten, fegten und bohnten die Fußböden und säuberten jeden Fleck, dem sich beikommen ließ, bis nach einigen Stunden Alles so stattlich, prunkend und nobel aussah, als je vorher.

Endlich wurden die Oefen geheizt, die Fenster geschlossen, die Vorhänge niedergelassen, und wenn die Wirthschafterin bisher mit aller Strenge darauf gehalten hatte, daß kein Gepolter und Gelärm entstand, so kehrte nun die tiefste Stille in diese schönen, dämmernden Räume zurück, in denen das Geräusch des Lebens auf der Straße lange Stunden träumerisch wiederhallte.

Zehn Uhr war vorüber, als eine Flügelthür geöffnet wurde und eine junge Dame, fröstelnd in einen Morgenmantel gewickelt, hereintrat. Die Thür blieb offen stehen und zeigte einen Ecksalon mit Decken belegt; auf der Mitte des großen Tisches waren alle Vorbereitungen zum nahen Frühstück getroffen.

Dem Fräulein folgte eine Zofe, welche dienstfertig und geschmeidig die Vorhänge in dem Wohnzimmer aufzog und eine lustige Bemerkung machte, daß die Sonne schon bis auf die Straße gelangt sei.

Ist meine Mutter aufgestanden? fragte das Fräulein.

So eben aufgestanden, sagte das Mädchen. Auch der Herr Geheimerath waren schon munter. Friedrich mußte Erkundigung einziehen wegen des Skandals vor unserm Hause.

Nun, was ist es denn gewesen? fragte Fräulein Elise gähnend.

Ein paar Vagabonden, erwiederte die Kammerjungfer, die sich lange schon umhertrieben und an unserer Thür Posto gefaßt hatten. Wahrscheinlich hatten sie die Absicht, sich einzuschleichen und wenn Alles zu Ende war, unser Silberzeug näher zu besehen. — Die Schutzmänner nahmen sie ins Gebet, da schoß der eine Kerl eine Pistole ab, und richtig sind sie davongekommen.

Wie? davongekommen?

Es ist merkwürdig, sagte das Mädchen lachend. Der Eine ist verschwunden, wie ein Gespenst. Der Andere lief mitten durch Alle, die ihn halten wollten und schlug mit seiner Pistole Einen noch an den Kopf, daß er das Aufstehen vergaß. Ein Dutzend waren hinter ihm her, die Kirchstraße hinunter, wo er mit einem Satz über die Kirchhofmauer sprang. — Da standen sie nun wieder und besannen sich, denn nachspringen wollte und konnte Keiner. Endlich halfen sie sich hinüber, aber stundenlang haben sie mit Licht jeden Winkel untersucht und nichts gefunden.

Das Fräulein verließ ihre geschwätzige Dienerin, denn sie hörte die Stimmen ihrer Eltern im Nebenzimmer. — Der Geheimerath saß schon am Kaffeetisch, die Zeitung in der Hand, seine Gattin versenkte sich so eben an der andern Seite in den bequemen Polsterstuhl.

Der lange, hagere Herr, leicht ergrautes Haar um seine hohe Stirn, sein eckiges Gesicht mit hervortretender gerader Nase voll scharf ausgeprägter bureaukratisch stolzer Züge, bildete einen grellen Gegensatz zu seiner wohlbeleibten Frau, deren vollwangiges Antlitz einige kupferfleckige Stellen enthielt.

Nach der ersten Begrüßung trat ein Schweigen ein, während Elise Theil am Frühstück nahm, der Geheimrath weiter las und das Klappen der Tassen allein die Stille unterbrach.

Wird Gravenstein heut Vormittag kommen? fragte die Dame endlich, nachdem sie einige halblaute Worte an ihre Tochter gerichtet hatte.

Er hat es versprochen, erwiederte diese.

Nun, und? sagte sie mit einem lächelnden Blick, der Elisen erröthen machte.

Ich glaube beinahe, daß Du Recht hast, flüsterte diese.

Die Geheimeräthin lachte auf. — Du glaubst es beinahe, rief sie, wir haben nichts dagegen, Kind. Unsere Ansichten kennst Du. Gravenstein ist ein herrlicher Mensch, und Du weißt, was seine verstorbene Mutter, meine gute Cousine Clara, immer gewünscht hat. Deßwegen ist er gekommen, er hat uns überrascht.

Der Geheimrath legte die Zeitung auf den Tisch und mischte sich in’s Gespräch, als seine Tochter eine Antwort gab, die ihm nicht ganz zu gefallen schien.

Wenn Gravenstein nur gekommen ist, sagte Elise, weil seine Mutter es begehrte, würde ich mich doch sehr besinnen, meine Zukunft davon abhängig zu machen.

Possen, sprach der Geheimrath. Alfred ist viel zu selbstständig und starrsinnig, wie wir wissen, um etwas so wichtiges zu thun, wenn er es nicht aus Ueberzeugung thun will.

Aus wahrer Herzensneigung, fiel die Dame ein.

Meinetwegen, sagte ihr Gemahl, aber das kann ich Euch versichern, daß er nicht auf Wunsch der Verewigten gekommen ist, sondern weil ich ihn darum ersucht habe.

Du?! riefen Mutter und Tochter zu gleicher Zeit.

Ich, erwiederte der Geheimrath lächelnd, weil ich mit ihm eine für ihn wichtige Angelegenheit zu besprechen habe.

Welche Angelegenheit, Papa?

Vor der Hand ist das nichts für Euch, sagte Wilkau; übrigens ist es eine Geld- und Geschäftssache. — Alfred kam gestern eben noch zur rechten Zeit, um an dem Balle Theil zu nehmen. Heut Vormittag aber wird er nicht allein Dich, sondern auch mich besuchen. — Ich habe mit Vergnügen gesehen, daß er sich mit alter Freundschaft bei uns gefallen und mit Dir viel getanzt hat.

Er war der schönste Tänzer auf dem Balle, rief die Geheimräthin.

Nun, was das anbelangt, Mutter, erwiederte Elise spöttisch, so ließe sich wohl Manches dagegen einwenden.