Der Vogt von Sylt (Historischer Roman) - Theodor Mügge - E-Book

Der Vogt von Sylt (Historischer Roman) E-Book

Theodor Mügge

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Beschreibung

Dieses eBook: "Der Vogt von Sylt (Historischer Roman)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Theodor Mügge, eigentlich Friedrich Theodor Leberecht Mücke (1802-1861) war ein deutscher Schriftsteller und Verfasser von Abenteuerromanen. Wie die Romane mit dem Hintergrund des nordischen Lebens Mügges beste poetische Leistungen waren, so ragten auch unter seinen Reisebildern die Schilderungen aus dem Norden besonders hervor, und bei glücklicher Auffassung der geographischen und ethnographischen Eigentümlichkeiten der durchstreiften Länder werden darin auch die politischen Verhältnisse mit Sachkenntnis besprochen. Aus dem Buch: "Die Menschen, welche vorübergingen, grüßten ihn zum öfteren, namentlich thaten es die Armen, denen er gut bekannt sein mußte. Er war ein Mann von vielleicht vierzig Jahren, aber er mußte sehr krank gewesen sein, denn er sah viel älter aus. Sein Gesicht war gelb und hager, sein Auge matt und langsam, sein großer Körper gebeugt und zusammengezogen; dennoch aber lag ein Ausdruck von Schönheit und Stärke in seiner breiten hohen Stirn und sein halb ergrautes Haar, das in ungemeiner Fülle bis auf den Nacken niederfiel, machte seinen Anblick noch fremdartiger und auffallender."

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Theodor Mügge

Der Vogt von Sylt (Historischer Roman)

e-artnow, 2015 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-4619-2

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.

Erstes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Auf der roten Klippe vor der Elbe, die man Helgoland nennt, stand im Spätsommer des Jahres 1825 ein junger Mann auf einem der westlichsten Vorsprünge, um den roten Sonnenball ins Meer sinken zu sehen.

Damals war Helgoland noch nicht der Zielpunkt der Meerspazierfahrten des reichen Hamburgs, es war noch nicht im Ruf als Seebad, zu welchem Dampfschiffe aus der Elbe und Weser fast täglich die feine Welt des deutschen Binnenlandes führen. Die armen Fischer und Lotsen von Helgoland waren noch kein Gegenstand für die deutsche Romantik geworden, ja nicht einmal ein ordentliches Seebad war eingerichtet, sondern nur spärlich kam eine kleine Anzahl Gäste herüber, die meist kurze Zeit verweilten und zu Haus dann von der roten Klippe und ihren Bewohnern, von der stürmischen Seefahrt, der seltsamen Düne und den wunderbaren Höhlen und Pfeilern der Insel abenteuerliche Beschreibungen machten.

Der Tag war heiter; über die tiefe Bläue des Himmels spannten sich da und dort krause und langgezogene Windstreifen aus, am fernen Rande des Horizonts lagerte eine zackige dunkle Wolkenmasse, und in der Tiefe rollte das bewegte Meer schaumsprühend über kahle rote Felsenlager, die es in seinem ewigen Wogentanze glatt gewaschen hatte.

Lange Zeit überblickte der junge Mann Meer und Land. Er stand wohl hundert Fuß hoch auf dem letzten Stein der Klippe, unter sich den Abgrund, über welchem der Felsen hing, nichts vor sich als die endlose Wasserwüste. Dürftige Erdtoffelfelder und einige große Schafe mit schwarzen Köpfen, die auf den Grasplätzen festgebunden waren, zeigten sich ihm, wenn er rückwärts sah. – Aus der Mitte der Insel stieg der Leuchtturm auf, von dessen Spitze eine Fahne mit den englischen Farben flatterte. Er warf einen finsteren Blick zu ihr empor und wendete sich ab, indem er sich auf eine grüne Stelle am Rande niedersetzte und den Arm auf einen großen Stein gelegt, den Kopf in seine Hand gestützt, die fernen Segel und die sinkende Sonne verfolgte.

In dieser einsamen und wilden Umgebung, überglänzt von dem roten Lichte, war die Gestalt des jungen Mannes wohl geeignet, ein vermehrtes Interesse zu erwecken. – Sein athletischer Körper hatte nichts von der plumpen Festigkeit und Derbheit, die Seeleuten eigen ist, und doch trug er einen dunkelblauen kurzen Seerock mit Hornknöpfen. Weite grauzwilchene Beinkleider, Halbstiefel, die fest an seine Füße gebunden waren, ein buntes seidenes Tuch, das lose seinen Hals umschlang, ein Hemdkragen, der weit darüber hinfiel und ein Hut mit niedrigem Kopf und breiter Krämpe, der neben ihm lag, das alles konnte einem jungen Schiffer oder Lotsen gehören, der in träger Ruhe hier auf den nächsten Sturm wartet.

Aber die schlanken, beweglichen Formen und noch weit mehr das stolze, unruhige Gesicht widersprachen dieser Annahme. Braunes Haar fiel ihm in reichen Ringen auf Stirn und Nacken, große blaue Augen blickten feurig in die Ferne. Es war ein Bild der üppigsten Jugendkraft, alles an ihm war wohl gemacht; stark, fest und kühn trug es den Stempel der Vollkommenheit. Wie er auf dem Steine lag, der Wind mit seinem Haar spielte, die Sonne ihn in rote Schimmer hüllte, konnte man glauben, einer jener alten Seekönige sei wieder aufgewacht, die einst aus Klippen und Inselbuchten über die Meere schwärmten und denen kein Sterblicher widerstehen konnte.

Es ist wohl möglich, daß die beiden Personen, welche in diesem Augenblick in der Nähe des jungen Mannes erschienen, etwas Ähnliches gedacht haben. Sie waren auf dem schmalen Pfade an der Südseite des Felsens langsam herbeigekommen. Eine junge Dame, deren Kopf in einem Helgoländer Hut von schwarzem Glanztaffet verborgen war, schritt voran, in einiger Entfernung folgte ein alter Herr, der sich auf seinen Stock stützte. – Plötzlich stand die Dame still, denn kaum zehn Schritt von dem Liegenden bemerkte sie ihn erst hinter der Senkung des Klippenrandes und neugierig forschend musterte sie den Fremdling, dessen Gesicht ihr abgewandt war.

»Was giebt es da, Lina?« rief der alte Herr, der ihr Stillstehen bemerkte. In demselben Augenblick wandte sich bei dem Schall der Stimme der junge Mann um und mit einer leichten Bewegung war er auf seinen Füßen.

»Ich habe Sie erschreckt,« sagte er, sich verbeugend.

»Keineswegs,« erwiderte die Dame errötend, »aber wir haben Sie in Ihren Betrachtungen gestört.«

»Meine Betrachtungen,« sprach er lächelnd, »sind schwerlich so ernster Art, um eine solche Störung nicht gern zuzulassen. Ich bin hier heraufgekommen, um Alltägliches zu sehen: das Sinken der Sonne, das Meer mit seinen ewigen Wellen, und hatte höchstens ein paar Fragen an den Himmel zu thun, der plötzlich in ganz anderer Weise mir geantwortet hat.«

»Darf ich wissen,« sagte die Dame, ihn freundlich anblickend, »welche Fragen Sie dem Himmel zu stellen hatten?«

»Ich fragte ihn, was für Wetter er mir zunächst schenken würde.«

»Und was hat er geantwortet?«

»O! er hat mir jedenfalls das schönste in Aussicht gestellt.«

Mit einer gewissen Verwirrung, die genügend andeutete, daß die Antwort sie hervorgerufen, aber mit einem kalten und messenden Blick wandte sich die Dame zu ihrem Begleiter um, der jetzt nahe bei ihr war. – »Hier ist ein Herr, lieber Vater,« sagte sie, »der uns für morgen zu unserer Reise das beste Wetter verspricht.«

Der alte Herr zog den Hut und musterte scharf den Fremden, der sich verbeugte. – »Nun,« sagte er, »Sie scheinen ein Seemann zu sein, und aus solchem Munde hat ein Urteil über Wind und Wetter Gewicht. Glauben Sie, daß das Meer ruhig sein wird?«

»Ich glaube wenigstens nicht, daß es morgen allzu böse bläst. Die Wand dort im Westen und die Windstreifen über uns deuten jedoch an, daß es leicht etwas unruhiger hergehen kann als heut.«

»Und doch verkündigen Sie gutes Wetter?« rief der alte Herr.

»Gutes Wetter nach meinem Geschmack,« erwiderte der junge Mann. »Ich liebe es nicht, wenn die Segel schlaff an den Masten hängen. Es geht dem Meere so wie dem Leben. Dem einen gefällt das ruhige, stille Dahingleiten, dem anderen der Sturm, der auf seinen Flügeln ihn davonführt.«

»Zum Schiffbruch,« sagte der alte Herr, ironisch lachend.

»Man kann Schiffbruch leiden im stillsten Wasser,« erwiderte der junge Mann, »oder in idyllischer Ruhe mitten im Sumpf stecken bleiben und umkommen.«

»Geh zurück, Lina,« rief der alte Herr, als das Fräulein einige Schritt gegen den Rand der Klippe that. »Es ist unsicher dort, der rote Thon bröckelt ab. Dies ganze Paradies mit seinen Erdtoffeln und Hammeln wird in einigen hundert Jahren von Wellen und Stürmen verschlungen sein.«

»So werden wir es schwerlich erleben,« erwiderte das Fräulein scherzend.

»Und was du nicht zu erleben glaubst, ficht dich nicht an. – Das heißt gesprochen, wie eine echte Tochter Evas.«

»Oder wie ein Minister der auswärtigen Angelegenheiten eines absoluten Königs,« fiel der junge Mann ein.

Die Dame lachte lebhaft auf, der alte Herr aber machte ein abweisend ernsthaftes Gesicht, und musterte den Sprecher nochmals von Kopf zu Fuß.

»Wenn Sie Mut haben,« sagte dieser zu dem Fräulein, »und mir die Hand geben wollen, so können Sie dreist auf den äußersten Rand der Klippe treten. Ihr Vater hat recht, es ist ein falscher Boden, falsch wie Glück und Größe des Volks, das hier einst wohnte, oder wie Glück und Freiheit aller Völker. Aber an dieser Stelle ist der Felsen fest; die Säule reicht fast bis hinunter ans Meer, das eben mit der Flutwelle in die Kluft stürzt, die es unten eingewühlt hat. Fühlen Sie, wie der Boden zittert? Die Geister der Vernichtung sind geschäftig, Hamlets alter Maulwurf wühlt überall. Doch, was will das sagen. Die Spanne Zeit, die uns gegeben ist, sollte eigentlich keine Furcht vor der Möglichkeit einer Abkürzung aufkommen lassen.«

Er hatte dem Fräulein die Hand geboten, die sie annahm und sich willig bis auf den äußersten Stein führen ließ. Da standen sie beide dicht an dem senkrechten Abgrund und hinter ihnen hielt der alte Herr den Atem an und stampfte nur leise mit dem Stocke auf den Boden, aus Furcht, sein Schelten und seine Heftigkeit könnten ein Unglück herbeiführen. Der schöne stolze Mann mit dem kühnen Gesicht streckte den Arm aus und wies auf die abgeschliffenen Felsenlager, welche auf eine halbe Meile weit in mächtigen Riffen um die rote Klippe liegen. »Sie fragen mich,« sagte er, »was ich mit dem Vergleich über die Nichtigkeit der Größe und des Glücks des Volkes meine, das einst hier wohnte? Sehen Sie diese Insel, die einst so groß war, daß fünfzig Dörfer darauf standen. Nichts ist von ihr geblieben, als dieser kleine tief unterwaschene Berg, der langsam zusammenstürzen und verschwinden wird. Dort hinter uns aber, weit am ganzen Saume des Horizonts der deutschen Küste, hat vor wenigen hundert Jahren noch ein freies und edles Volk gelebt. Sein Land ist von den Fluten verschlungen worden, seine Freiheit ist verloren gegangen, sein Glück und seine Größe lebt nur noch in Sagen und Liedern. Die Reste seiner Kinder aber halten treu und fest an dem mütterlichen Boden; sie kämpfen einen unsäglich furchtbaren Kampf um jede Spanne breit, und selbst diese arme Klippe, auf der nichts wachsen und gedeihen kann, die der Sturm kahl fegt und der Wellenstaub überfliegt, wird immer noch von ihnen festgehalten, bis der letzte Stein zusammenbricht.«

»Wo liegt Deutschland?« fragte das Fräulein.

»Dort,« erwiderte er. »Von den achtunddreißig Vaterländern ist nichts zu sehen als Nebel; hier aber,« fügte er lachend hinzu, indem er nach dem Leuchtturm mit der Fahne zurückblickte, »wandeln wir in der Freiheitssonne Alt-Englands.«

»Schmachvoll genug,« sagte die Dame stolz.

»Empfinden Sie das?« rief er lebhaft.

»Wie sollte ich es nicht empfinden,« erwiderte sie. »Diese Insel gehörte einst zu uns; man hat sie uns entrissen. Ein fremdes Volk hat seine Fahne hier aufgepflanzt. Dies hochmütige unersättliche England, das Völker unterdrückt und beraubt, so weit die Sonne reicht, ist immer Gegenstand meines Abscheus gewesen. Könnten sie hinauf und das goldene Licht da oben herunterholen, sie würden es zollweis und pfundweis allen Völkern verkaufen und einen kostbaren Handelsartikel daraus machen.«

»Aber das Licht der Freiheit leuchtet überall,« rief er mit einem warmen Blick auf seine schöne Gefährtin, »und Gott sei Dank, daß kein Arm hinaufreicht in den ewigen Himmel, um es zu besteuern.«

»Ist es nicht wohlthuend,« fuhr er dann fort, »hier auf dem letzten Fuß deutscher Erde zu stehen, und alles Leid zu vergessen! Sonne, Luft und Meer atmen Freiheit, sie gehören allen, kein Herr hat Macht über sie, keiner kann sie absperren. Ein Gotteswehen der Liebe geht durch die ganze Natur, dahin reicht kein Haß und keine Verfolgung. Dort liegt das stolze England. Wer mag ein Volk hassen, das so kräftig und so freiheitsmutig ist? Die Völker sind geschaffen wie die Menschen, um glücklich zu sein und sich zu lieben. Haß den Tyrannen und Fluch der Knechtschaft! Wenn ich den Sonnenball so feurig, rein und liebeheiß ins Meer sinken sehe, überkommt es mich wie die Ahnung der Seligkeit. Wie erhaben, wie göttlich ist es! Und hier, wo die Menschen fern sind mit ihrem kleinlichen Streben, mit ihrem Ehrgeiz, ihrer Eitelkeit und dem Ameisengewimmel ihrer selbstsüchtigen Triebe, hier ist der schönste Punkt weit und breit, wo man vergessen kann, daß der Staub sein Recht fordert.«

Während er sprach, halb für sich, die Arme gekreuzt, die stolze Stirn emporgehoben und wenig zu beachten schien, daß er nicht allein sei, sank die Sonne und färbte Himmel, Meer und Felsen mit wunderbaren Tinten. Die glühende Röte verlief sich im rosigen Schatten, die schwellenden Wogen brannten und glühten, die Wolken tauchten sich in Duft und schwebten leuchtend über den Horizont. Die Blicke flogen in die tiefen Klüfte der Unendlichkeit des Weltalls und überall fanden sich Licht und Leben.

»O! das ist schön, das ist namenlos schön!« rief die Dame endlich, »noch nie habe ich es so empfunden wie jetzt.«

Der alte Herr hatte sich auf den Stein gesetzt und seine goldene Dose zwischen den Fingern gedreht. – »Es ist in Wahrheit ein prachtvolles Feuerwerk,« sagte er; »man könnte glauben, daß Gottesleugner dadurch besser bekehrt würden, wie durch Missionspredigten. Aber komm jetzt, Lina, wir müssen zurück. Die Sonne fällt schnell hinter den schwarzen Vorhang, rasch wird das Schauspiel zu Ende sein.«

Als das Fräulein bei ihm war, sagte er halblaut und in dänischer Sprache: »Wer ist denn der Mensch da eigentlich, der so lächerlich phantasiert?«

»Ich weiß es nicht,« erwiderte sie.

»Ein Seemann ist er nicht,« fuhr er fort, »dazu spricht er zu anständig.«

»Mein Herr,« sagte er zu dem jungen Manne, »wir sind Ihnen sehr verbunden für die Ehre Ihrer Unterhaltung. Der Zufall hat uns hier zusammengeführt, wir sind ihm dankbar dafür; damit wir aber eine bleibende Erinnerung an diese Stunde haben, erlauben Sie mir, Ihnen meinen Namen zu nennen. Ich bin der Staatsrat Baron Hammersteen, und dies meine Tochter Karoline.«

»Und ich,« sagte der junge Mann lächelnd, indem er sich verbeugte, »bin ein Friese von der Insel Sylt, meines Standes Rechtsanwalt, mein Name ist Jens Lornsen.«

»Jens Lornsen!« rief der Baron freundlich. »Also ein Friese von der Insel Sylt, das freut mich mehr, wie Sie denken. Ich vermutete einen Deutschen und finde einen Landsmann.«

»Ich habe nie gehört,« erwiderte Jens, den Kopf hoch aufhebend, »daß unter den Friesen im Norden oder auf den Inseln sich eine Familie Hammersteen befunden hätte.«

»So ist es auch nicht gemeint,« sagte der alte Herr. »Wir sind eigentlich in Fühnen angesessen, allein ich besitze ein Gut in Schleswig, gehöre zur Ritterschaft des Herzogtums und mache deswegen meine Landsmannschaft geltend. Lange habe ich dort gelebt, meine Tochter wurde da geboren, auch bin ich öfter in den Marschen und einmal sogar auf den Inseln gewesen. Ich erinnere mich, einen alten Schiffskapitän und Ratsherrn gesehen zu haben, der Lornsen hieß, einen ehrenhaften, verständigen Mann, der viel galt bei seinen Landsleuten.«

»Das ist mein Vater,« gab Jens zur Antwort.

»Und Sie haben es anders gemacht, wie er und vermutlich alle Ihre Vorfahren. Sind nicht zur See gegangen, sondern haben studiert?«

»Das Studieren ist freilich ziemlich ungewöhnlich auf unseren Inseln,« versetzte der junge Mann, »die ihre jungen Leute wie Möwen, sobald sie flügge geworden sind, aufs blaue Wasser hinausschicken; indessen bin ich doch nicht das einzige Beispiel, daß ein Friese auch in die Schule gehen und allerlei gelehrte Künste lernen kann.«

»Es ist ein anstelliger Stamm, zu allem geschickt,« rief der alte Herr, »aber das Meer ist doch sein Element. Die Holländer und Hamburger wissen, was friesische Kapitäne und Steuerleute bedeuten und unsere besten Matrosen in der Flotte kommen immer von den Inseln, obwohl am Sunde und in den Belten es an tüchtigen Seeleuten auch nicht mangelt.«

»Waren Sie nie in Kopenhagen?«

»Nein.« sagte Jens,

»Wo haben Sie denn studiert?«

»In Kiel und Jena.«

»Warum auf einer deutschen Universität?«

»Weil ich ein Deutscher bin.«

»Ja so,« sagte der Baron lächelnd. »Da fällt mir eben ein, von einem Friesen gehört zu haben, der in der deutschen Burschenschaft zu Jena eine Rolle spielte.«

»Wenn er Lornsen hieß, werde ich es wohl sein,« erwiderte Jens lächelnd.

»Die Regierung in Kopenhagen wurde aufmerksam auf ihn gemacht,« fuhr der Baron fort, »als auf einen besonders fähigen jungen Mann, der aber verderblichen Schwärmereien nachginge. Ich hatte damals im Auswärtigen Amte Geschäfte und Vortrag. Eine Untersuchung wurde gefördert; der König jedoch stimmte mir bei und sprach in seiner einfachen Weise: Jugendstreiche – heiße Köpfe. Werden sich abkühlen und vernünftiger werden ohne Prozesse und Gefängnisse. – Die Friesen sind gute, treue Unterthanen; dummes Zeug der ganze Plunder. Werft ihn ins Feuer.«

»Daran hat der König sehr recht gethan,« sagte Lornsen, in das Gelächter des Fräuleins einstimmend.

»Und was sind Sie jetzt, Herr Lornsen?« fragte der Baron.

»Advokat ohne Prozesse,« versetzte Jens.

»Sonst wären Sie wahrscheinlich nicht hier, um den Sonnenuntergang auf Helgoland zu sehen und philosophische Betrachtungen darüber zu machen. Wir hätten die Ehre Ihrer Bekanntschaft entbehrt.«

»Ich muß zugeben, daß Geschäftslosigkeit mich dazu trieb, mit einer kleinen Schlupp, die meinem Vater gehört, die Fahrt von Sylt hierher gemacht zu haben.«

»Das Seemannsblut will seinen Ausweg haben,« lachte der Baron. »Wann wollen Sie zurück?«

»Morgen, wenn es sein kann,« erwiderte Lornsen, einen Blick auf den Himmel werfend.

»Sie scheinen aber daran zu zweifeln,« fiel das Fräulein ein, das bisher still dem Gespräch zugehört hatte.

»Ich sehe die gelbroten krausen Wolken über uns hinfliegen und sonderbare Gesichter machen.«

»Das würde mir sehr unlieb sein,« rief der alte Herr. »Ich habe schon ein paar Tage zugegeben und keine Zeit, länger zu warten.«

»Haben Sie eine Schlupp gemietet?« fragte Jens.

»Es ist nichts da als die schmutzigen, jämmerlichen, offenen Fischerboote. Ich erwarte heut noch von Husum einen bedeckten Kutter, der mich hinüber bringen soll.«

»Wenn er heut nicht kommt, wird er es morgen schwerlich wagen,« sagte der Advokat. »Was wollen Sie dann thun?«

»Dann wird nichts übrig bleiben, als mit einem Lotsen Accord zu machen und unser Heil zu versuchen.«

»Sie werden geprellt werden, sobald man sieht, daß Sie fort wollen oder müssen,« fiel Jens ein, indem er still stand und nochmals Wolkenzug und Meer betrachtete. »Der Wind wird weiter nördlich gehen, und dann werden sie es allerdings wagen, mit Ihnen auszulaufen, weil sie sicher sind, die Insel wieder zu erreichen. Nach zwei Stunden, wenn das Boot halb voll Wasser ist, die Spritzwellen darüber hinfliegen und Sie naß und mürbe genug geworden sind, wird die Mannschaft umlegen und Ihnen die Unmöglichkeit erklären, weiter fortzukommen. Sie werden gern zu allem Ja sagen, und am Abend werden Sie, wie ich hoffe und wünsche, wiederum hier zwischen Erdtoffelfeldern und Hammeln umherspazieren.«

So leicht und launig er seine Prophezeiung machte, so verfinsterte sich dennoch das Gesicht des alten Herrn. »Zum Henker!« rief er, »das sind schlechte Aussichten. Wenn es aber irgend möglich ist, will ich fort von diesem verdammten, langweiligen Felsen.«

»Glauben Sie, Herr Lornsen, daß Gefahr dabei ist?« fragte das Fräulein, vertrauensvoll zu ihm aufblickend.

»Nein,« erwiderte er. »Ein Fischerboot hält selbst einen harten Sturm aus, und diese Männer verstehen ihr Handwerk. – Dennoch will ich nicht sagen,« fuhr er fort, »daß keine Gefahr dabei wäre. Es schlagen jährlich Boote um. Viele Witwen klagen hier um ihre Männer, viele Kinder suchen den Vater, der niemals wiederkehren will. Es kommt darauf an, welche Hand das Steuer führt und welches Glück das scharfe Auge begleitet.«

»Ein wenig Gefahr wird uns nicht abschrecken,« rief das Fräulein, »und einen Steuermann, der unser Vertrauen besitzt, werden wir zu finden suchen.«

»Haben Sie Vertrauen zu mir?« fragte Jens.

Sie sah ihn freundlich lächelnd an. »Ein Friese von der Insel Sylt, der Sohn eines berühmten Kapitäns, muß Vertrauen erwecken,« erwiderte sie.

»So will ich Ihnen einen Vorschlag machen,« fuhr er fort. »Wenn Ihr Kutter aus Husum nicht kommt, und ich vermute es fast, denn es hat ziemlich stark aus Südwest geweht, dann biete ich Ihnen mein eigenes kleines Fahrzeug an. Wenn es mir möglich scheint, morgen See zu halten, führe ich Sie nach Husum hinüber; was ein Mann dafür thun kann, soll gewiß geschehen.«

»Ich glaube, daß ich in meines Vaters Namen Ihr Anerbieten annehmen kann,« sagte das Fräulein, und indem sie sich zu dem Baron wandte, fügte sie hinzu: »Wenn wir nicht denken müssen, daß die Last, welche Sie sich aufbürden, uns zu große Verpflichtungen auferlegt.«

»Es ist in der That ein Dienst, den ich nicht vergelten, also nicht annehmen kann,« rief der alte Herr sichtlich erfreut und mit der Absicht, ihn anzunehmen, in allen seinen Mienen.

Jens ließ sich dadurch nicht irre machen. – »Ich hoffe,« sagte er, »daß, wenn wir um sechs Uhr abfahren können, wir um zwei oder drei Uhr nachmittags in Husum sind. Der Umweg ist für mich gering; es macht mir Freude, wenn ich Ihnen meine Dienste bieten kann. Schlagen Sie diese ab, so versprechen Sie mir wenigstens, die Fahrt im offenen Boote nicht zu wagen, ehe Sie meinen Rat gehört haben.«

»Herzlichen Dank, mein junger Freund,« erwiderte der Baron. »Lina hat recht, Sie haben etwas in Ihrem Wesen, was Vertrauen und Überzeugung erweckt und mir sagt, daß Sie ein Advokat sind, der seine Prozesse glücklich zu Ende führt. So lassen Sie uns denn sehen, wie der Prozeß mit Wellen und Wind abläuft. Um sechs Uhr wollen wir bereit sein, und früher oder später giebt sich wohl die Gelegenheit, wo ich wieder dienen kann.«

So war das Übereinkommen geschlossen. Der Baron schüttelte ihm die Hand und eben gingen sie an dem Leuchtturm vorüber, wo der Lampenkranz angezündet wurde, der sein glänzendes, warnendes Licht in die finster fallende Nacht schickte.

»Ich habe gehört, was Sie von der englischen Flagge da oben sagten,« sprach der Baron, »auch mir ist es ein Stich ins Herz, sie hier zu sehen. Helgoland ist wichtiger, wie man denkt. Während des Krieges hatten die Engländer oft ganze Flotten hier, sie beherrschten die Elbe und Weser und türmten ungeheuere Warenvorräte aller Art auf, die eingeschmuggelt wurden, trotz aller Wachsamkeit der Franzosen. – Das war die goldene Zeit für diese Fischer, über welche die sieben fetten Kühe des Königs Pharaonis kamen, nach denen dann freilich die mageren gekommen sind. – Es geht den Leuten jetzt schlecht, denn sie sollen Fische fangen und arbeiten, das schmeckt ihnen nicht. Die Hamburger haben das Fahrwasser verbessert, ihre Feuerschiffe weit hinausgelegt, Seebacken ausgeworfen, genaue Karten zeichnen lassen; so werden die Schiffbrüche immer seltener, und Lotsen von Helgoland nimmt kaum ein Schiffer noch, zumal die kühnen Seeleute von Blankenese und Glückstadt ihnen den Rang ablaufen. – Die Schiffe halten sich möglichst entfernt von der gefährlichen Insel, sie kennen die unverschämten Prellereien ihrer Bewohner zu gut, die nichts im Sinne haben, als Strandgut erobern und lächerliche Forderungen zu machen. Aber es geschieht ihnen recht. An die alten Zeiten denken sie nicht mehr; von Treue und Anhänglichkeit wissen sie nichts. Sie danken Gott, daß sie Engländer geworden sind und aus der alten Tyrannei erlöst wurden. Das gab mir einer zur Antwort, der hier zum Rate gehört und den ich gestern über die Verhältnisse befragte.«

»Es ist kein Wunder,« erwiderte Lornsen, »denn die Vaterlandsliebe ist nie in ihnen geweckt worden. Die Vögte haben sie hart behandelt, die alte Freiheit ist verloren gegangen; die meisten wissen kaum mehr, zu welchem Volke sie eigentlich zählen.«

»Nach Ihrer Meinung doch jedenfalls zum deutschen Volke,« sagte der Baron.

»Ich glaube nicht, daß es überhaupt eine andere Meinung geben kann,« sprach Lornsen mit erhöhtem Tone.

»Nun immerhin,« fuhr der alte Herr fort. »Zum deutschen Volke oder deutschen Stamme mag man sich rechnen, hier sowohl wie in Schleswig, nur nicht zum Deutschen Reiche, zu Deutschland schlechtweg. Das ist eine Frage von anderer Bedeutung.«

Der Advokat aus Schleswig schwieg, aber der Unmut färbte seine Stirn; er schien nur mit Mühe eine Antwort zurückzuhalten.

»Ich sehe wohl, Herr Lornsen,« sprach der Baron, »daß Sie nicht so ganz meiner Meinung sind. Es würde mich auch gewundert haben; denn ich weiß, daß die jungen Herren in Schleswig zum allergrößten Teil für ihr deutsches Vaterland schwärmen und von einem dänischen Gesamtstaat nichts wissen wollen, zu dem sie doch seit vier Jahrhunderten beinahe gehören und sich wohl dabei befinden.«

»Gott weiß es, wie wohl wir uns befinden,« versetzte Jens.

»Wir wollen nicht streiten über Dinge, die wir nicht entscheiden können,« rief der alte Herr, »aber mit eurer Deutschtümelei und eurem Geschrei nach dem deutschen Vaterlande ist es nichts. Was hättet ihr denn davon, wenn ihr den buntscheckigen Haufen vermehrtet? Ist es denn so erfreulich, ein Deutscher zu sein?«

»Als Deutscher,« sagte Lornsen ruhig, »fühle ich mich als Mitglied eines großen Volkes. Ich bin durch Geburt, Sprache und Sitten, durch Denken und Empfinden daran und an sein Schicksal gekettet. Sein Leid ist mein Leid, seine Vergangenheit ist meine Vergangenheit, seine Zukunft ist meine Zukunft. Alles was in Deutschland geschieht, geht uns an, was aus Dänemark kommt, geht fremd an uns hin, denn es kommt von Fremden, die unsere Herren geworden sind, die uns nicht lieben und die wir nicht lieben können. Wir sind die Heloten, die Wasser und Holz in die Küchen tragen, damit am Sunde die Bratspieße sich drehen,« fuhr er fort. – »Ich weiß, daß Jahrhunderte uns zu dem gemacht haben, was wir sind, aber ich kenne auch die Rechte meines Volkes und seltsamerweise stehen sie in alten verbrieften Urkunden und vergilbten Pergamenten, auf welche die Staatskünstler unserer Zeit mehr geben als auf Volkswillen und lebendiges Recht der Gegenwart.«

»Lieber junger Freund,« erwiderte Baron Hammersteen mit einem spöttischen Seitenblick, »ich merke wohl, wo es bei Ihnen steckt, und denke, weiter mit Ihnen zu reden, sobald es sich paßt. Sie haben einen klaren Blick und wie ich denke, auch einen klaren Geist, Nur das eine sage ich Ihnen jetzt: alle die alten Pergamente sind wertloser Plunder, wenn man die Macht nicht hat, sie geltend zu machen. Ein kluger Mann wird sich nicht damit abgeben, um so weniger, wenn neue Pergamente und Rechte jenen entgegentreten. Ein kluger Mann wird seine Kräfte nicht vergeuden, um Buchstaben zu deuteln und zu drehen, er wird um sich schauen, die Verhältnisse erwägen und den Stier nie bei den Hörnern fassen wollen. Doch da sind wir bei unserem hölzernen Palast. Also morgen um sechs Uhr, Herr Lornsen; Sie sollen uns pünktlich an der Thür finden. Lina wird Ihnen beweisen, daß gutes dänisches Blut in ihren Adern ist. Von Seekrankheit weiß sie nichts, und wenn es das Meer nicht allzu arg macht, fahren wir unter dem Schutze des heiligen Olaf sicher davon.«

Nach einigen scherzenden Abschiedsworten empfahl sich Lornsen. »Ich wollte,« sagte er halblaut, »daß diese Dänen mir nicht in den Weg gekommen wären. Doch was hilft es. Es ist ein Ritterdienst für ein schönes Mädchen. Sie soll in ihren Gesellschaften erzählen, daß Jens Lornsen, der starrköpfige friesische Bauer, so glatt und galant sein kann, als wäre er in Kopenhagen geboren.«

Zweites Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Am nächsten Morgen schaukelte dicht unter der Klippe eine zierliche Schlupp, die sich möglichst nahe ans Land gelegt hatte. Zwei rasche junge Seeleute waren geschäftig, das große Gaffelsegel zu kürzen, die Klüver aufzurollen und das Tauwerk in Ordnung zu bringen. Der Himmel war mit Wolken bedeckt, die schnell ihren Flug gen Südost fortsetzten, bald brach Sonnenschein zwischen ihren Spalten hervor, bald wieder verschwand er unter den dunklen Massen.

Die Flut drang mit Macht durch den schmalen Meeresarm, der die Insel von der Düne trennt und wälzte mächtige Wogen herein, die donnernd ihren Schwall an das Felsenufer schickten und am Pfahlwerk aufstäubten. – Eine Menge müßiger Fischer und Lotsen standen dort in der gewöhnlichen Trägheit beisammen, die dem Seevolk eigentümlich ist, so lange es zum Handanlegen weder Gelegenheit noch Gewinn sieht. – Alte und junge Leute aus kurzen Pfeifen rauchend, die Reste eines Dinges auf den Köpfen, das eingedrückt, verbogen, ohne Krempen und zerrissen, von ihnen Hut genannt wurde, in ungeheueren Wasserstiefeln und grauen weiten Zwillichhosen, plauderten gemeinsam, indem sie die Arbeiten auf der Schlupp und den Himmel betrachteten.

Dann und wann kam mehr Leben in diese Gesellen, wenn unter dem dumpfen Rollen der Brandung eine der höchsten Wogen weit über die Pfählung flog und die neugierigsten mit einem Sprühregen schwerer Tropfen zurückscheuchte. Ein allgemeines Gelächter begleitete ihre Flucht, die so eilig war, als sei die Durchnässung ihnen so unangenehm, wie den ehrsamen Spießbürgern des Binnenlandes.

Endlich kam ein Mann, dem das Haar zu grauen begann und dessen Gesicht Redlichkeit und Verstand ausdrückte. Er richtete seine klugen Augen auf die Schlupp und sagte dann mit einer gewissen warnenden Betonung: »Will denn Jens Lornsen wirklich diesen Morgen fort?«

»Ja, Andersen Simens, er will fort, du siehst es.« erwiderte ein alter Mann.

Der andere schüttelte den Kopf. »Habt ihr nichts dazu gesagt?« fragte er weiter.

»Wir haben mit ihm gesprochen,« war die Antwort, »aber er meint, die Schlupp hält es aus.«

In diesem Augenblick kam Lornsen mit dem Staatsrat und seiner Tochter die Treppe herunter, die von der Höhe des Felsens an den unteren Strand, den einzigen Landungsplatz, führt, und näherte sich nach wenigen Minuten der Stelle. – Zwei Männer trugen das Gepäck der Reisenden, die munter und guter Dinge waren. Das Fräulein lachte über ihres Vaters Stoßseufzer wegen der zahllosen spitzen Steine und des fauligen Geruchs, den die Haufen Seetang verbreiten, welche die Wellen ausgeworfen hatten, ohne daß einer der vielen müßigen Schelme, die hier umherlungerten, wie er sagte, es der Mühe wert hielt, etwas zur Verbesserung des Weges zu thun. Jens trug den Mantel der Dame samt ihrer Kappe von schwarzem Wachstaffet über dem Arm und stimmte in ihre Fröhlichkeit ein, während seine Augen Segel und Tauwerk der Schlupp musterten und nichts seiner Aufmerksamkeit zu entgehen schien.

»Bringt die Jolle heran,« rief er den beiden Männern zu, die, als sie ihn erblickten und seinen Befehl hörten, sogleich in das kleine Boot sprangen. Plötzlich aber fühlte er sich am Arm ergriffen und sah, daß es Andersen Simens war.

»Guten Morgen und Lebewohl zu gleicher Zeit, mein wackerer Freund,« sprach er, »Ich war gewiß, dich hier zu finden.«

Er redete in friesischer Sprache, die keine Unterschiede der dritten Person kennt. »Jens Uve,« erwiderte der Freund, seine Hand fest haltend, »du sollst uns heut nicht verlassen. Siehst du dort unten die schwarzen Hände des Himmels und vor dir die weißen Köpfe in der See?«

»Ich sehe alles,« rief Jens unbesorgt lachend; »ich sehe was vorgeht über mir und neben mir, weiß auch, was ich unter mir habe.«

»Ein wackeres Schiffchen, dicht und drall, Hanf und Leinen in bester Ordnung, Ballast unten und jeder Kloben fest. Aber Menschenkräften und Menschenwerk ist ein Ziel gesetzt, darüber hinaus kommen beide nicht; auch dem besten kann es zu viel werden.«

»Höre, Andersen,« fiel der junge Mann lebhaft ein, »du weißt gewiß, daß ich nicht die geringste Lust habe, mich von Haien auffressen zu lassen, aber ebensowenig habe ich Lust, deine Klagetöne anzuhören, als läge im Hause eine Leiche und die Klageweiber säßen auf der Schwelle. So gut es auch gemeint ist, ich sage dir, ich will heut abend in Sylt an meines Vaters Herd sitzen und das erste Glas auf dein Wohl leeren.«

»Wärst du ein anderer, der du bist,« sprach Andersen, ohne sich irre machen zu lassen und auf den lustigen Ton einzugehen, »wärst du ein tollköpfiger Junge, der heraus will, um den hungrigen Wolf kennen zu lernen, der ihm die weißen Zähne zeigt, so würde ich sagen: ›Fahre hin und sieh zu, daß er dich nicht beißt.‹ Aber deines Vaters Sohn hat mehr zu verlieren als sein armseliges Leben. Auf dir ruhen die Blicke deines Volkes, die Hoffnungen deiner Freunde. Du Hast viel zu verantworten, Jens Uve, wenn du nicht, wie ein Mann, klug überlegst, ehe du handelst.«

»Nun, bei allen Geistern und Hexen, die jemals über Wiesen und Deiche um Mitternacht tanzten,« rief Jens lachend, »was soll ein kluger Mann nicht alles thun. – Sieh den alten Herrn dort, Andersen, er hat mir gestern gesagt, was klug sei, aber daß ich hier bleiben soll, davon sagte er nichts, und er ist ein Staatsmann, ein Baron und ein Däne, drei Dinge, die sich zu den weisesten in der ganzen Welt zählen. Seinetwegen und wohl mehr noch des schönen Mädchens wegen, die so viel Mut wie der beste Mann hat, will ich's wagen und wenn der Wind aus meiner Mutter Schürze bliese.«

Währenddessen war die Jolle ans Land gerudert und hatte das Gepäck der beiden Reisenden aufgenommen. Der Baron bezahlte die Träger und hatte ihnen sicher reichlich gegeben, denn sie machten frohe Gesichter.

»So sind wir denn zu Ihren Diensten,« rief er dem jungen Manne zu, »und haben, Gott sei Dank! hier nichts weiter zu schaffen.«

»Wenn du es nicht um deiner selbst wegen thust,« sagte Andersen mit lauter Stimme und in deutscher Sprache, »so thue es dieser beiden Leute wegen.«

»Was ist es denn?« fragte der alte Herr, »Meinen Sie, daß wir nicht hinüber können?«

»Hinüber!« versetzte Andersen, mit einem schwermütigen Ausdruck in seinem milden Gesicht; »o ja, es ist möglich – hinüber kommen wir alle, früher oder später.«

»Glauben Sie, daß wirkliche Gefahr dabei ist?« fragte der Baron, die Gesichter der Umstehenden betrachtend.

»Das ist kein Wetter, um hinauszugehen,« fuhr der alte Seemann fort, »wenn es die Nacht über heftig geweht hat und der Wind nach Norden umsetzen will.«

»Wenn die Schlupp nicht sicher ist,« sagte der Baron, »oder vielleicht – verzeihen Sie, Herr Lornsen – auf der Insel sich ein Mann findet, der uns besser nach Husum zu führen vermag, so will ich gern Vorschläge hören.«

»Das nicht,« erwiderte Andersen, »Die Schlupp ist so sicher, wie sie sein kann, und wenn es einen Mann giebt, dem ich mein Leben anvertrauen möchte, so ist es Jens Lornsen. Aber alles hat seine Zeit und sein Ende.«

Der Baron war bedenklich geworden. Er sah die Fischer an, die mit ihren mageren Körpern und harten Gesichtern einen Halbkreis um ihn bildeten, dann den hastigen Zug der Wolken, das Boot und das dumpfe Stöhnen der Brandung, die es hoch aufhob und wieder nieder warf; endlich Jens, der mit untergeschlagenen Armen ruhig vor sich hin auf die Schlupp blickte und seine Tochter, welche Muscheln aufhob und die langen Fäden des Seetangs untersuchte.

»Was sagen Sie, Herr Lornsen?« rief er endlich.

»Ich sage, daß dieser wackere Mann, mein Freund Andersen, nicht so ganz unrecht hat, wenn er uns schwere Fahrt prophezeit. Die See geht hoch und kann leicht noch höher gehen. Wie die Sache aber jetzt steht, scheint mir eigentliche Gefahr nicht vorhanden. Wollen Sie besser Wetter abwarten, so ist wohl möglich, daß es schon morgen kommt, möglich aber auch, daß es lange anhält und ärger wird.«

»Das heißt also, Sie werden jedenfalls den Versuch wagen?«

»Ich denke, daß ich es wagen kann,« erwiderte Lornsen mit ruhiger Sicherheit.

»Entscheide du, Lina,« rief der alte Herr seiner Tochter zu.

Die Dame warf die Muschel fort, welche sie betrachtete und sagte lächelnd: »Da unser Kapitän guten Mutes ist, warum sollten wir ihn verlieren? Keinem besseren Mann kann man sich anvertrauen, sagte der wackere Herr dort. – Ich bin gewiß, daß eine wirkliche Gefahr uns nicht droht, denn wenn sie drohte, würden wir alle hier bleiben. Ein wahrhaft mutiger Mann wagt nichts, was er nicht zu bestehen glaubt.«

Lornsen ließ die Arme sinken. Die kalte Ruhe seines Gesichts belebte sich in einem Ausdruck der Freude. – Ohne ein Wort zu sagen, trug er sie über die nassen Steine in das Boot, einen Augenblick später saß auch der alte Herr darin. Dann drückte er dem Freunde die Hand, der noch immer ermahnende Worte sprach und nun stieß er rasch von dem Steine ab und die Jolle flog über die Brandungswellen.

»Reef doppelt und beschlag deinen Stag!« schrie ihm der Seemann nach. Jens nickte. In derselben Minute war er am Bord der Schlupp und half seinen Gästen die kleine Treppe hinauf.

»Hier erst,« sprach er, »danke ich Ihnen nochmals für Ihr Vertrauen. Was dies kleine Schiff an Bequemlichkeiten bieten kann, ist zu Ihrem Befehl. Es ist wenig genug, aber ich hoffe noch immer, daß unsere Reise kurz sein wird.«

Mit diesen Worten führte er sie in die Kajüte hinab, die geräumiger war, als man vermuten durfte. – Zwei Betten waren zu beiden Seiten in die Schiffswände eingelassen und vor jedem lief ein breites Polster hin. Ein Tischchen stand an der Hinterwand, neben ihm zwei große Lehnsessel; darüber hing ein Spiegel in Goldrahmen. Ein bunter Teppich bedeckte den Boden. Das Holzwerk war mit blankem braunen Öllack gestrichen, ein kleiner Eisenofen mit glänzendem Messinggitter hatte seinen Platz zwischen den Betten, die Wandschränke über diesen enthielten Porzellan, Glas und allerlei Vorräte. Ein Schiffsbarometer, ein Sextant und einige andere Instrumente lagen in der Nähe der Thür, der ganze Raum war in der That behaglich, friesisch sauber und von oben durch ein breites vergittertes Glasfenster beleuchtet, zugleich auch so hoch, daß selbst die mächtige Gestalt Jens Lornsens eben nur die Decke erreichte.

»Ei!« rief der alte Herr sich umschauend, »das sieht besser aus, als ich dachte. Hier läßt sich ein kleiner Sturm schon überdauern. Das ist ein so schmuckes Seeboot, wie ich selbst keines am Sunde gesehen habe.«

»Das beste daran ist,« erwiderte Lornsen, »daß es fest und tüchtig ist, und dem Steuer gehorcht, wie es soll. In solcher seelenlosen Maschine wohnt dennoch ein Geist, Herr Staatsrat,« fuhr er lächelnd fort, indem er aus einem der blanken Wandschränke eine Flasche und drei Gläser nahm. »Ein Schiff ist wie ein Volk, eine träge Masse, so lange es auf windstillem Wasser liegt. Es ist ein Stück Holz, an welchem jeder nach Belieben umherarbeiten mag, und sicher sein kann, daß es zu allen Schlägen und Stößen schweigt, oder höchstens mit einem dumpfen Seufzer antwortet. Wenn es aber hinaus soll in Woge und Sturm, da zeigt sich seine Kraft und sein inneres Leben. Ist es verrottet und zerfetzt, sind Masten und Taue mürbe, seine Planken verfault und sein Segelwerk vernachlässigt, dann wehe den schlechten Schiffern. Das Schiff wird sich nicht regieren lassen, es wird dem Steuer nicht gehorchen und das Ende wird ein Schiffbruch sein.«

»Bei dem das Schiff aber eben auch in Stücke zerbricht,« sagte der Baron, mit dem Kopfe nickend.

»Es kann wohl so sein,« sprach Jens ernsthaft, »aber um so mehr wehe über die, welche es dahin kommen lassen und dem Schiffe, dem sie Leben und Wohlfahrt danken, sein Recht verweigern und ihm Verderben bereiten.«

»Und was kredenzen Sie uns hier?« fragte der Baron lächelnd, als Jens ihm und dem Fräulein volle Gläser reichte. – »Sollen wir auf das Wohl der Volks- oder der Schiffsrechte trinken?«

»Ich heiße Sie an Bord willkommen,« erwiderte der junge Mann. »Möge unsere Reise so glücklich sein, wie Schleswigs alte Rechte wohlbegründet sind, und mögen beide alle Hindernisse siegreich überwinden.«

Der alte Herr stieß freundlich sich verbeugend an; die junge Dame aber hielt seinen Arm fest und sagte lebhaft: »Auf das gute alte Recht laß uns trinken mit Herrn Lornsen. Möge unsere Reise so glücklich sein, wie Schleswig glücklich war, als es Südjütland hieß und an der Eider der deutsche Grenzstein stand.«

»Sie sehen wohl, Herr Lornsen,« rief der alte Herr, »daß wir am besten thun, um allen Widerspruch zu beseitigen, einfach auf eine glückliche Reise zu trinken und auf das Wohl unseres jungen Kapitäns, der so vortrefflichen alten Madeira an Bord hat.«

Jens ließ es schweigend geschehen, und als der Höflichkeit genug gethan war, band er seinen Hut fest, knöpfte seine Jacke zu und stieg aufs Verdeck hinauf, wo der Anker soeben gehoben war und über ihn hinweg die Schlupp an der Düne hinrauschte.

Vom Lande riefen die Fischer ein lustiges Hurra, der Baron aber schüttelte unten verdrießlich den Kopf und sagte ärgerlich, in einen der Sessel sinkend: »Der Mensch ist ein schlimmerer Phantast als ich glaubte! ich wollte, wir hätten uns nicht mit ihm eingelassen,«

»Wir konnten keinen besseren Mann kennen lernen,« erwiderte die Tochter, »Er ist überlegt, verständig, auch finde ich ihn sehr höflich und aufrichtig.«

»Verdammt aufrichtig!« murmelte der alte Herr. »Aber warum trankst du seinen albernen Trinkspruch nicht? Es ist ja einerlei, wie ein Ding lautet.«

»Nein,« fiel sie ein. »Nicht einen Augenblick soll er glauben, daß wir seinen Behauptungen beistimmen oder uns fügen. Er muß wissen, daß wir Dänen sind, und er wird es sich merken für künftige Fälle,« fügte sie lächelnd hinzu.

»Hoho!« rief der Baron, indem er eilig die Flasche und sein Glas auf dem Tisch festhielt, denn plötzlich legte die Schlupp sich tief auf die Seite. – Die beiden anderen Gläser stürzten um, die Scherben klirrten am Boden. – »Das ist ein böser Anfang, vielleicht eine Warnung.«

»Die von Bedeutung sein kann,« sagte sie spottend, »und doch sehr natürlich ist.«

In diesem Augenblick wurde die Thür der Kajüte von außen geschlossen, und einem heftigen Schlagen und Klatschen der Segel folgte ein zweiter Stoß, der das kleine Fahrzeug noch tiefer hinabdrückte.

»Was giebt es denn?« rief der Baron, »Warum sperrt man uns ein und was soll ich mit Flasche und Glas anfangen?« Jens steckte den Kopf zur Thür herein. Mit einem Blick sah er, was geschehen war, und indem er rasch die Scherben aufhob und beseitigte, nahm er Flasche und Glas und setzte sie in die festen Ringe, wo sie nicht fallen konnten. – »Sie werden am besten thun,« sagte er dann, »wenn Sie sich legen. Wir sind sogleich an der Dünenspitze und haben dann das Wetter zu bestehen.«

»Am liebsten wäre es mir, auf das Deck zu steigen,« sagte der alte Herr.

»Das ist kein Aufenthalt für Sie,« erwiderte der junge Mann höflich, aber entschieden. »Die Schlupp hat keinen hohen Bord, ihre Gaffel geht tief nach unten, überdies aber wird bald ein Regen von Spritzwasser und Wellenschaum darüber hinfliegen.«

»Das sind üble Aussichten,« rief der Baron, »aber hören Sie, Herr Lornsen, könnten wir nicht dennoch –«

»Sie können nichts,« fiel Lornsen ein, »als sich einige Stunden lang ruhig und still verhalten, und wenn es Ihnen möglich ist, schlafen, bis wir die Dünen von St. Peter hinter uns haben.«

Ein rauher Schrei auf dem Deck bewirkte, daß Lornsen rasch aus der Kajüte sprang. – »Wie der Wind heult,« rief der alte Herr, »das ist eine liebliche Schlafmusik. Was machst du denn, Lina? – Es kommt mir vor, als hatten wir besser gethan, auf dem verwünschten Felsen zu bleiben.«

Die junge Dame hatte Lornsens Rat befolgt und eines der Betten zum Lager benutzt. Sie lud ihren Vater ein, ihrem Beispiele zu folgen, aber der Baron zögerte. – »Es wird hoffentlich so arg nicht werden,« sagte er. »Die Stühle sind festgebunden, der Tisch ist angeschraubt, und wenn ich hier sitzen bleibe, kann ich zuweilen aufstehen, und Hilfe leisten, wo es nötig ist.«

Aber in der nächsten Minute schon ward er inne, daß Aufstehen und Hilfe leisten ganz außer seiner Macht war. – Eine ungeheuere Gewalt hob plötzlich die kleine Schlupp im Fluge auf und schien sie in die Wolken führen zu wollen, dann aber stürzte sie pfeilschnell wieder hinunter und fiel in einen unermeßlichen Abgrund. – Der alte Herr rutschte von dem Stuhl auf den Teppich nieder und hielt sich mit beiden Händen an der Armlehne fest. Er hatte sich ziemlich wehe gethan und stieß einen Seufzer aus, indem er sich aufzuheben versuchte; ehe er jedoch damit fertig war, flog die Schlupp von neuem empor. Ein fürchterlicher Schlag schmetterte an ihre Planken; eine Welle fiel dumpf und schwer darüber hin. Das Schiff bäumte und schüttelte sich, seine Nähte ächzten und knarrten, und mit dem losgerissenen Stuhl rollte der Baron wie ein Ball über den Boden fort.

»Kommt mir zu Hilfe!« schrie er kläglich, als er sich hin und her geworfen fühlte, ohne sich selbst helfen zu können. »Ich werde krank, ich kann nicht in die Höhe.« – Das Fräulein reichte ihm die Hand aus dem Bett und unterstützte ihn. Mit größter Mühe und in stetem Fallen ergriff er endlich den Rand des Sofas und nach einigen vergeblichen Anstrengungen gelang es ihm, sein Lager zu erreichen.

»Es ist eine Narrheit gewesen, in solchem Wetter zu fahren,« rief er ärgerlich und erschöpft, »und es wird immer toller und fürchterlicher. – Ich sehe nichts mehr, ich weiß nichts mehr. Gott steh uns bei! – Herr Lornsen, Jens Lornsen! Kehren Sie um, zurück nach Helgoland. Der verwünschte Wagehals ist imstande, uns ersaufen zu lassen, aus bloßer Eitelkeit, weil er nicht umkehren will. Er thut es aus Rache und Hohn. Er haßt uns, weil wir seine verrückte Gesinnung nicht haben, weil wir Dänen sind. – Himmlischer Vater! sei uns gnädig. – Es läuft Wasser herein von oben, wir gehen unter, in unseren Sünden kommen wir um. – Jens Lornsen! Es ist ein Tier. Alle diese Friesen und Schleswiger sind zähe, eigensinnig, deutsche Tiere, die nicht sehen und nicht hören, keine Vernunft annehmen, und alles ertrotzen wollen mit ihren rohen Fäusten. Er sieht und hört nicht. – Sie lachen oben, die verdammten Burschen. Ist es möglich, sie lachen, sie verspotten uns! – Ich will hinauf, Lina, ich kann den Kopf nicht aufheben, welch fürchterlicher Zustand! – Nur dies eine Mal erbarme dich, Herr, ich will nie wieder so dumm sein und zu Wasser gehen. Entsetzlich! entsetzlich!«

Hier wurde der alte Mann von einem heftigen Anfall der Seekrankheit unterbrochen, und in der nächstfolgenden Zeit war es ihm unmöglich, den Mund anders zu öffnen als zu schweren Seufzern und Stöhnen. Lina hatte ihm keine Antwort gegeben, sie glaubte am besten zu thun, ein tiefes Schweigen zu befolgen. Nach einiger Zeit wurde oben über die Fensterwölbung ein Teertuch geworfen. Lina fand dies sehr erklärlich und vernünftig. Denn durch die Fugen der Scheiben drang das Wasser ein und durch den Druck der Sturzwellen konnte leicht eine Beschädigung entstehen. – Nun aber herrschte völlige Dunkelheit in dem kleinen Raume, und ließ der Phantasie des jungen Mädchens freies Spiel. Sie lag mit wachen Sinnen und hörte auf jeden Ton, der durch das Brausen des Wetters herunterscholl. – Die wilden und unregelmäßigen Bewegungen des Schiffes ließen auf zunehmende Schwere des Wetters schließen. Fürchterliche Stöße schüttelten die Schlupp immer schneller und gewaltsamer, das Pfeifen und Heulen des Windes schien zu wachsen, das Krachen und Knarren der Planken und des Holzwerkes immer wehklagender zu werden. Zuweilen war es ihr, als läge ein Sterbender an ihrer Seite, dann wieder klang es wie Hohnlachen und grauenvolles Ächzen, aber mitten durch diese Töne und Stimmen, die so unheilvoll bange, ewig lange Stunden füllten, hörte sie oben die tiefen markigen Kommandoworte Jens Lornsens, welche eine wunderbare Beruhigung auf sie übten.

Sie konnte lächeln, wenn die Schlupp unter den Schlägen, die sie jeden Augenblick erhielt, zitterte und still zu stehen schien; sie streckte die Arme aus, wenn sie aufwärts gerissen wurde und mit donnerähnlichem Krachen dann in den Wogenschwall niederschoß. – Wieder und immer wieder hörte sie seine ruhige, gebietende Stimme und mit fest geschlossenen Augen konnte sie ihn sehen, wie er am Steuer stand, als sei er aus Erz geformt, wie sein männlich-stolzes Gesicht hinaus sah in die Wasserwüste, wie der kochende Gischt von seinem Haar niedertropfte, und wie er dazu lachte und sein unerschrockener Blick den Himmel durchforschte. Es kam ihr vor, als sähe er zuweilen niederwärts zu ihr hin und nickte ihr tröstend zu,

Plötzlich aber fuhr sie auf und stützte sich auf den Arm, – Jens Lornsens Stimme war heftig geworden, seine Befehle folgten schnell und wurden mit großer Gewalt gegeben; der Ruf seiner Matrosen antwortete in fast ängstlich klingender Weise.

Sie hörten die Segel schlagen, das Schiff schien weniger zu schwanken. Plötzlich aber folgte ein Pfeifen und Brausen in der Luft, der krachende Fall eines schweren Körpers schmetterte über ihrem Kopf auf dem Deck, das zusammenzubrechen schien, und diesem Falle folgte ein wildes Geschrei, das Unglück und Verderben ankündigte.

Mit einem raschen Sprunge war das junge Mädchen mitten im Raume, und ohne sich zu bedenken, eilte sie auf die Thür los, erreichte diese glücklich und drückte mit aller Kraft das Schloß auf.

Ein Strom kalter und feuchter Luft brach mit dem düsteren Lichte des Tages herein. Sie stieg einige Stufen der Treppe hinauf und warf ihre Blicke nicht ohne Schrecken auf Himmel, Schiff und Meer, auf den Kampf der Elemente, die auf diesem unermeßlichen Tummelplatz sich mit wütendem Gebrüll anfielen.

Aller Sonnenschein war ausgelöscht, der letzte blaue Streif verschwunden. Ungeheuere Wolken, schwarz und zackig übereinander geworfen, lagen in einer langen Linie gewitterhaft ausgestreckt über dem nordwestlichen Horizont. Ein fahles Licht drang darunter hervor, zitterte über die düsteren Massen, die losgerissen von der schwarzen Wand in rasender Eile vorüberflogen und verlor sich in die Schleier von Dunst und Nebel, welche bis aufs Meer sich herabsenkten. – Ein stoßweises heulendes Wehen des Sturmes trieb die Wellen zu schaumbedeckten Bergen auf und ließ den erstarrten Blick durch ebenso tiefe, schreckliche Thäler irren, die mit einer gärenden, gelbgrünen Masse gefüllt waren. – Nichts war zu sehen als diese flutenden, schäumenden Köpfe, deren weiße Kämme sich grimmig sträubten, die kämpfend sich aufbäumten und verschlangen, um sich wieder zu gebären und mit doppelter Wut und Gewalt über alles hinzustürzen, was sie erreichen konnten.

Im nächsten Augenblick aber richtete das junge Mädchen ihr erschrockenes Gesicht auf das Deck des Schiffes, wo sie sogleich erkannte, was die Ursache des Geschreies und der Verwirrung gewesen sei. – Der Topp der Schlupp war von einem Windstoße gebrochen, die große Spiere war hinunter aufs Deck geschleudert und hatte den Schlag verursacht, den sie gehört hatte. – Lornsen mit einem der Matrosen war in voller Arbeit aufzuräumen und eben beschäftigt, das große Segel noch mehr zu kürzen. – Der zweite Mann stand am Steuer. Die fragenden Worte, welche Lina an ihn richtete, verhallten in dem Brausen des Windes, in dem Pfeifen und Wimmern des Takelwerks. Der Mann warf einen ernsten durchdringenden Blick auf sie und sah dann wieder hinaus auf den Wellentanz und auf seine Arbeit am Steuer, das unter seinen nervigen Händen ruckte. – Unter seiner Kappe von ölgetränktem Segeltuch flatterten die nassen, langen blondroten Haare. Schaum und Wasser trieften von seiner Teerjacke, dann und wann wischte er mit der harten, braunen Hand die salzige Flut aus Augen und Bart und rollte mit unerschütterlichem Gleichmut den Kautabak aus einer Backe in die andere.

Die Schlupp war in Wolken von Wasserstaub gehüllt. So oft sie niederrauschte in die Tiefe, flogen von ihren Bugen unzählige Tropfen auf, aber mehr wie einmal waren es ganze Wasserströme, die über das Deck hinstürzten und wieder abflossen. – Der Mantel von dichtem Kamelott und der Helgoländer Hut von Wachstaffet bewahrten das junge Mädchen ebensowohl ziemlich gut vor der Nässe wie ihre geschützte Stellung dicht hinter dem Kajütenhause auf der Treppe. Als ihr Auge sich an den schwarzen Himmel, an das Heulen des Sturmes und an den schrecklichen Blick auf die Herde der schäumenden Ungeheuer gewöhnt hatte, kehrte ein Lächeln in ihr Gesicht zurück. – Die unerschrockenen Männer, welche das Schiff leiteten, fürchteten nichts; der Schaden konnte kein bedeutender sein, in wenigen Minuten war er ganz beseitigt und vor ihren Augen kniete Lornsen dort, so ruhig arbeitend und so heiter um sich schauend, als sei er gänzlich unbesorgt.