Afraja - König von Lappland - Theodor Mügge - E-Book

Afraja - König von Lappland E-Book

Theodor Mügge

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Beschreibung

Eine romantische Erzählung aus dem hohen Norden wo die Samen und Lappen zuhause sind.

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Afraja – König von Lappland

Theodor Mügge

Inhalt:

Theodor Mügge – Biografie und Bibliografie

Afraja – König von Lappland

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Afraja – König von Lappland, T. Mügge

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849632243

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Theodor Mügge – Biografie und Bibliografie

Roman- und Reiseschriftsteller, geb. 8. Nov. 1806 in Berlin, gest. daselbst 18. Febr. 1861, war zuerst Kaufmann, dann kurze Zeit Soldat, studierte darauf seit 1826 in seiner Vaterstadt Naturwissenschaften, Geschichte und Philosophie und widmete sich schließlich ganz der Literatur, indem er zugleich Mitarbeiter an mehreren politischen Journalen wurde. 1848 war er an der Gründung der Berliner »Nationalzeitung« beteiligt, deren Feuilleton er eine Zeitlang redigierte. Am bekanntesten machte er sich durch seine zahlreichen Romane und Novellen, die sich durchgängig durch Reichtum der Erfindung, durchdachte Behandlung des Stoffes und leichte und gefällige Darstellung auszeichnen. Wir erwähnen als die vorzüglichsten: »Der Chevalier« (Leipz. 1835); »Die Vendéerin« (Berl. 1837); »Toussaint« (Stuttg. 1840); »Der Vogt von Sylt« (Berl. 1851); »Der Majoratsherr« (das. 1853); »Afraja« (Frankf. 1854); »Erich Randal« (das. 1856); »Der Prophet« (Leipz. 1860) und die letzte Novellensammlung: »Leben und Lieben in Norwegen« (Frankf. 1858). Wie die Romane mit dem Hintergrund nordischen Lebens Mügges beste poetische Leistungen waren, so ragten auch unter seinen Reisebildern die Schilderungen aus dem Norden, wie: »Skizzen aus dem Norden« (Hannov. 1844, 2 Bde.), »Streifzüge in Schleswig-Holstein« (Frankf. 1846, 2 Bde.) und »Nordisches Bilderbuch. Reisebilder« (das. 1858; 3. Aufl., Bresl. 1862), hervor. Gesammelt erschienen seine Romane in 33 Bänden (Berl. 1862–67, teilweise in neuen Auflagen).

Afraja – König von Lappland

Erstes Kapitel

Der Eintritt in eine neue Welt

Hoch nach dem Norden Europas sollt ihr mir dieses Mal folgen. – Welche Welt des Schreckens und des Schweigens liegt hier verborgen! Unter welchen Schauern erzittert das Herz des einsamen Wanderers, wenn er durch diese öden Fjorde und Sunde irrt, wo sich das Meer zwischen düsteren, schneegekrönten Felsen in ungangbare Klüfte und Höhlen verliert. Welch banges Staunen begleitet ihn, wenn sein Schiff durch diese Unermeßlichkeit von Klippen, gigantischen Blöcken und schwarzen granitenen Mauern dahingleitet, die einen mehrere hundert Meilen langen, furchtbaren Felsgürtel um die Küsten Norwegens schlingen.

Zwar sind auch jene schrecklichen Einöden von menschlichen Wesen bewohnt, doch nur spärlich sind sie darüber ausgestreut. Auf Felsen und über Sümpfe müssen sie umherziehen, ewig wandernd mit dem wandernden Renntier, das sie nährt. Nur in Buchten und Spalten am Meeresufer können sie einsam und getrennt wohnen und den Fischen nachstellen, unter tausend Ängsten und Mühen. Dort am Ufer wohnt auch der Kaufmann und der Fischer von nordländischem Geschlecht, und neben ihnen haben sich Quäner und Lappen angesiedelt. Über ihnen aber auf den schneeigen Alpen treibt der Waldlappe seine Milchkühe mit zackigen Geweihen, und wenn er den Wolf und den Bär jagt, donnert der Knall seiner Büchse aus den düsteren Meeresbuchten wider. Und immer wilder und einsamer wird es, je weiter das Schiff nordwärts dringt. Auf viele Meilen kein Haus, kein Feuerplatz, kein Segel, das uns entgegeneilt, kein Boot mit Angeln und Netzen. Seehunde wälzen sich spielend vor dem Schiffe her, der Walfisch spritzt seinen Wasserstrahl in die Lüfte; Möwenschwärme stürzen aufziehende Heringsscharen. Taucher und Alken springen schreiend von den Klippen; über die schaumigen Wogen flattert der Eidervogel, und hoch oben in den reinen scharfen Lüften umkreist ein Adlerpaar sein Felsennest. –

Es sind nun mehr als zweihundert Jahre vorübergegangen, als an einem trüben Märzmorgen ein großes Fahrzeug durch diese wunderbaren Felsengewinde steuerte. Das Schiff war eine Nordlandsjacht der stärksten Art, wie sie noch heute vom äußersten Kap herunter nach Bergen fahren, dorthin ihre Fische und ihren Tran bringen und nach der Heimat, vollgepackt mit allem möglichen Lebensbedarf, zurückkehren. Aus der Mitte des Fahrzeugs ragte der stumpfe Mast auf; vorn lief der Bug zu merkwürdiger Höhe, hinten stand ein Kajütenhaus, wo an starken Pfosten und Eisenringen die Ecke des gewaltigen Segels befestigt war, unter dessen Druck die Jacht rauschend die Wogen durchschnitt. Als der Tag höher heraufstieg, lichteten sich die kalten Nebel und endlich lief ein matter, schnell wieder ersterbender Sonnenglanz über die hohen Gletscher. Windstöße stürzten von den Felsen nieder, hoben die Spitzen der Wellen ab und zerstäubten diese in Regenschauern, während die Jacht schwerfällig zur Seite geneigt unter den Schlägen zitterte, die sie unaufhörlich empfing.

Am Steuer des Schiffes stand ein junger Mann, der mit seinen hellen blauen Augen die Riffe und Klippen beobachtete, durch welche sich die Jacht hindurchwand. Seine nervigen Hände lagen fest auf dem Ruder, und mit der Miene der Unbesorgtheit und frohen Erwartung leitete er das große Fahrzeug mit solcher Kraft und Geschicklichkeit, daß es, gleichsam seinen Meister anerkennend, ihm auf Wort und Wink zu gehorchen schien. Von Zeit zu Zeit forschte der junge Steuermann in die Ferne hinaus, wobei sein kühngeschnittenes Gesicht, um das die langen Haare unter dem schwarzen Glanzhut flatterten, den Ausdruck freudiger Erwartung zeigte. Dieses frohe Gefühl schien ihn endlich zu einem munteren Liedchen zu begeistern, doch wurde er in dieser Beschäftigung bald wieder durch das öffnen der Kajütentür gestört, aus deren Rahmen ein andrer Bewohner der Jacht hervortrat. Nur wenige Jahre älter als der Steuermann, zeigte sich der neue Ankömmling doch ganz verschieden in seinem Wesen und Äußeren von diesem. Statt der dunklen Fischerjacke und des Südwesters trug er einen feinen, vielknöpfigen Rock. Sein Haar war nach hinten gekämmt und mit einem Band gebunden; schlank und groß von Wuchs, sah er aus wie ein Mann, dem feinere Form und Weltsitte zur Gewohnheit geworden sind.

Das war der junge Herr Henrik von Sture, der Sprößling eines edlen Hauses, dessen Besitztum von den Vorfahren so ziemlich am Hof zu Kopenhagen verpraßt worden war. Sein Vater, Kammerherr des Königs Christian VI., starb in Schulden, und hier fuhr nun sein Sohn, der Kammerjunker und Gardeoffizier, nach manchem bösen Tag durch das wilde Polarmeer auf der Jacht eines Kaufmanns, der tief in den Klippen an den Grenzen Finmarkens wohnte, und dessen Sohn und Erbe, Gustav Helgestad, dort am Steuer stand. Das Schiff war von Trondheim ausgefahren, um Salz und Lebensbedarf auf die Lofoten zu bringen, wo der große Fischfang im vollen Gange war, und hatte den jungen Baron als Passagier mitgenommen. Dieser trug in seiner Tasche einen Schenkungsbrief des Königs über einen weiten Landstrich, tief in die unermeßliche Wüste reichend, die den Norden Europas ausmacht, wo niemand Herr ist und niemand Knecht.

Es war ein ziemlich trüber Blick, mit dem Henrik von Sture die nackten Felsen und das brandende Meer betrachtete, als er hinaustrat. Die nassen Nebel flogen so wild über ihn hin und schlugen in Tropfen an Gesicht und Kleider nieder, daß er schaudernd seinen Rock fest zuknöpfte; dann nickte er seinem Reisegefährten am Steuer zu, der ihm den Morgengruß entgegenrief, und dann, als der Junker näher herankam, munter plauderte.

»Nun«, sagte er mit einem stolzen, fragenden Blick, »was sagst du nun, ist es nicht prächtig hierzulande? Sieh dort links, da siehst du tief in den Grimmfjord und kannst die ungeheuern Jökuln erblicken, die in Eispyramiden weit hinab fast bis ins Meer laufen. Wenn Morgensonnenschein darauf funkelt, sind sie ganz wie geschmolzenes Silber anzuschauen. Dort geht's in den Salten hinein, und hier, jenseits der niederen Felsen, wirst du bald den Vestfjord entdecken. Den Vestfjord! Hörst du, Mann, den großen Fjord mit seinen Fischen. Hurra! Was sagst du? Hast du je so Schönes gesehen?«

»Närrischer Gustav!« rief Henrik spöttisch lächelnd, »tust du doch, als führen wir gradezu ins Paradies hinein, als wären diese traurigen, schneebedeckten Felsen von Mandelbäumen umblüht, dieses eisige, stürmische Meer von lauen Südwinden umfächelt, während ich in Wirklichkeit nichts als Schrecken, nichts als Nacht, Nebel, Sturm, Fels und wütende See erblicke!«

»Wenn es dir so wenig hier gefällt«, erwiderte Gustav, »so hättest du bleiben sollen, wo du warst!«

Im nächsten Augenblick reute den jungen Steuermann sein trotziges Wort, denn aus dem melancholischen Schweigen des Junkers und der Art, wie er die Hände über seine Stirn deckte, konnte man wohl ermessen, wie schwer ihm der Entschluß geworden war, sein Glück in diesen Einöden zu suchen.

»Du mußt dir keine zu trüben Gedanken machen«, fuhr deshalb Gustav freundlich fort. »Wenn der Sommer kommt, reift die Gerste auch in Tromsö; Blumen blühen in den Gärten, und auf den Fjelden steht die Moosbeere viele Meilen weit wie Purpur und Scharlach. Du mußt das Land nur kennen und lieben lernen, wo du wohnen willst. Ich möchte es mit keinem in der Welt vertauschen, denn es gibt kein schöneres, kein besseres auf Erden.«

Er sprach noch, da brach die Sonne siegreich durch die dichten Wolkenschichten und glänzte wie mit einem Zauberschlag über zahllose Felsen, Buchten, Klippen und Inseln. Der Vestfjord tat sich auf vor den erstaunten Blicken des dänischen Junkers und zeigte Land und Meer in ihrer ganzen wunderbaren Pracht und Herrlichkeit. Auf der einen Seite lag die Küste Norwegens mit schneegekrönten Scheiteln; Salten daran hingelagert mit seinen Felsennadeln, die unerklimmbar glatt in den Himmel steigen, mit seinen Gletschern, seinen Schluchten und Abgründen, halb in Nacht gehüllt. Auf der andern Seite, durch den Vestfjord sechs Meilen breit getrennt, zog eine Kette von düsteren Eilanden weit in den Ozean hinaus und bildete einen granitenen Wall, an dem die fürchterlichen Wogen des Weltmeeres seit Jahrtausenden zerschellen. Unzählige senkrechte Spitzen ragten aus dem Inselgewirr auf, alle schwarz, verwittert und zerrissen; ihre Häupter waren in langflatternde Wolkenschleier gehüllt, und aus den schimmernden Schneelagern sahen die blauen Wunderaugen der Jökuln auf die schäumenden Fluten des Fjords herab.

»Siehst du nun, wie schön es ist?« rief Gustav voll freudigen Stolzes. »Das sind die Lofoten! Auf zwanzig Meilen kannst du über Land und Meer blicken! Sieh, wie die Brandung in Silbersäulen an allen Klippen aufspringt, und nun schau ihn an, diesen ungeheuern Kreis von Felsen, die noch niemand gemessen hat, auf denen keines Menschen Fuß haften kann, wo nur der Adler hinaufsteigt, der Seerabe, der Falk und die Möwe. Und oben ist der Himmel blau und ruhig, die Luft ist so frisch und scharf und weckt alle Kräfte. Ist es nicht schön hier, ist es nicht erhaben und unermeßlich?«

»Ja, es ist schön, unendlich schön!« sagte Henrik Sture, hingerissen von der wunderbaren Majestät dieser Natur.

»Und nun schau dort die vielen schwarzen Punkte auf den Wellen«, fiel Gustav ein. »Das sind die Boote der Fischer. Dreitausend Boote mit zwanzigtausend wackeren Männern, und in der Bucht von Vagöe erkennst du schon die Wimpel und Masten der Jachten, die Eigentum der Kaufleute sind. Wir werden meinen Vater dort finden, er hat für zwanzig Boote zu sorgen. Sicher wird er dir gefallen und dir gern dienen, so weit er es vermag.«

»Ich habe, wie du weißt, einen Brief an ihn vom Gouverneur General Münter in Trondheim,« sagte der Junker.

»Pah, du bist uns willkommen, wie du bist«, versetzte Gustav; »am Lyngenfjord, wo unser Haus steht, fragt man wenig nach dem Schreiben deines Generals. Was mir an dir gefällt, Henrik Sture, ist, daß du ein Wort zu sprechen weißt, und daß dein Arm schnell zur Hilfe bereit ist, wo es not tut, das liebt man bei uns und darum will ich dein Freund sein.« Er nahm die Hand vom Steuer, und sie nach dem Junker ausstreckend, faßte er dessen Rechte mit derbem Druck; doch auch dieser erwiderte den Gruß mit gleicher Stärke. Verlassen in einer fremden Welt, tat ihm die rauhe Herzlichkeit seines neuen Freundes viel wohler, als die höflichen Worte der Teilnahme, die er vordem so oft gehört hatte.

Indes die Unterhaltung zwischen beiden Freunden vertraulich fortging, verfolgte die Jacht eilends ihren Weg und näherte sich rasch den Fischplätzen auf der anderen Seite des Fjords. Die kleinen schwarzen Punkte, die auf den Wellen schwammen, wurden nach und nach größer und zeigten sich endlich als große sechsrudrige Boote, in denen eine emsige Tätigkeit herrschte. Tausendstimmiges Geschrei drang über die brausenden Wogen, unaufhörlich wurden Netze und Angeln gehoben und wieder versenkt, blitzschnell eilten die Jollen nach dem Strand und wieder in die See hinaus, und dies alles vereinte sich zu einem so farbigen Bild, daß es seinen Eindruck auf den Fremdling nicht verfehlte, der nach und nach ein fast unwiderstehliches Verlangen fühlte, sich in dies bunte Gewühl zu stürzen. Sein gewecktes warmes Interesse ließ ihn vergessen, daß trotz des Sonnenscheins eiskalte Luftströme über das Meer fegten, und daß hier in der Polarzone binnen weniger Minuten der wildeste Wintersturm hereinbrechen und Boote und Menschen vernichten konnte. Jetzt sah er nur das frohe Schauspiel, sah die flatternden bunten Fahnen, die bewimpelten Häuser und Hütten am Strand, und jauchzend wie ein echter Nordlandfischer stimmte er in die allgemeine Lust ein, als er die Netze heben sah, wo in jeder Masche ein Kabeljau steckte. Er schwenkte seinen Hut, wie sie es alle taten, als die Jacht, welche auf ihrem Bug den Namen: »die schöne Ilda von Örenäes« trug, zwischen den Fischern hinfuhr, umringt von hundert Booten, die ihr freudiges Willkommen zuriefen, um die Klippen bog und dem Hafenplatz in der Bucht zusteuerte, wo sie zwischen einer Anzahl größerer und kleinerer Jachten, Briggs und Schoner Anker warf.

Gustav hatte jetzt alle Hände voll zu tun, so daß sein Passagier sich für längere Zeit selbst überlassen blieb. Der Junker benutzte diese Frist, um vom Hinterdeck des Schiffes aus das Treiben des Fischfanges in seinen Einzelheiten zu beobachten.

Am Ausgang der Bucht, rund um ein nacktes Felseneiland, ging es am lebhaftesten zu. Fünf- bis sechshundert Boote, mit drei- bis viertausend Fischern besetzt, waren hier mit dem Fang des Kabeljaus beschäftigt. Unaufhörlich warfen sie die Stellnetze aus und zogen andere unter lautem Gesang und Freudenruf herauf, denn alle waren überschwer an Fischen und mußten behutsam gehoben und die Gefangenen ausgemascht werden, damit die Fäden nicht rissen. An vielen anderen Orten wurden ungeheure Taue, an welchen mehr als tausend Angeln saßen, ins Wasser gelassen, denn damals war der Fang mit der Angel noch mehr üblich, als es jetzt der Fall ist. Dann eilten die Fischer mit ihren gefüllten Booten in die Bucht, aus der viele rote Steinklippen aufragten. Dorthin wurden die Fische gebracht, von bluttriefenden Händen gepackt und auf die Ausweidetische geschleudert. Scharfe Messer rissen ihren Leib auf, ein Griff der Finger nahm ihnen die Eingeweide, ein zweiter Schnitt, und der Kopf flog in eine Tonne, die tranige Leber in eine andere, und in der nächsten Minute hing, was einen Augenblick früher ein lebendes Geschöpf gewesen war, zerspalten und schwankend auf der Trockenstange. Mit ungeheurer Geschwindigkeit verrichteten die Männer ihr mörderisches Geschäft; gierig suchten sie nach den größten und stärksten Opfern, übten an ihnen ihr Henkeramt mit doppelter Lust und spotteten der Leiden und heftigen Schläge der unglücklichen stummen Verdammten. Sture fühlte bald einen Widerwillen gegen diese Schlächterei. Er wandte seine Augen davon ab und sagte vor sich hin: »Es ist ein entsetzliches, feiges Morden, ich mag es nicht länger ansehen. Deshalb also ziehen zwanzigtausend Menschen auf diese nackten Klippen, darum jauchzen und jubeln sie wie besessen, und trotzen den Stürmen des Polarmeeres? Welch rohes, fürchterliches Volk! Doch nein«, setzte er sogleich hinzu, »in Einem tue ich ihnen Unrecht; sicher würden sie diese unwirtlichen Klippen meiden und in ihren vier Wänden daheim bleiben, wenn die Not sie nicht hierher zwänge. Und ist es denn bei mir selbst anders? Auch mich drängt der Kampf ums Dasein, der Trieb der Selbsterhaltung in diese Welt voll Eis und Schnee!« sprach er leiser. »Aber Fische mag ich nicht fangen, verwünscht sei dies blutige Geschäft!«

In diesem Augenblick wurde sein Gedankengang durch einen leichten Schlag unterbrochen, den er auf seiner Schulter fühlte. Er drehte sich schnell um und fand sich Gustav Helgestad gegenüber, der ihm mit kräftiger Stimme zurief: »Bist du schon wieder trübe gestimmt? Ich begreife das nicht bei dem lustigen Schauspiel ringsumher. Ich selbst bin so froh, als gehörten mir alle Fische im Vestfjord. Meine Schwester Ilda ist mit meinem Vater gekommen. Schau, dort in dem Boot sitzen sie.« Er zog Henrik Sture mit sich fort, denn eben lief das Boot an die Schiffsseite heran, an der eine Strickleiter hinabhing. Ein starker Mann im blauen, grobtuchenen Rock war einem Mädchen mit reichen, dunkelblonden Haarflechten behilflich, das Boot zu verlassen.

»Greif nach der Leiter, Ilda«, rief der Alte.

Im nächsten Augenblick stand das Mädchen auf der untersten Sprosse und langsam, aber sicher emporklimmend, streckte sie dem Bruder die Hand entgegen, der ihr vollends auf das Verdeck hinaufhalf. »Nun, da hast du mich«, rief sie ihm freundlich zu, »freust dich nicht, mich auch am Vestfjord zu finden, Gustav?«

»Nun, halb und halb hatte ich darauf gerechnet, daß der Vater dich mitbringen würde«, antwortete er zärtlich. »Gottes Friede sei mit dir, Ilda! Hast eine glückliche Reise gehabt?«

»Eine gute – und du auch, Bruder?«

»Alles gut und recht, Ilda. Wie ich sehe, ist der Fang in vollem Gange?«

»Er ist wunderbar reich, Gustav. Alle Gerüste hängen voll. Gestern war ein Tag, wie er selten vorkommt; alle Leute sagen es. Fette, große Fische, daß die Netze rissen; es ist eine Lust, Gustav, ich kann mich nicht satt sehen.« Hier sah sie sich um, und den Fremden erblickend, wurde ihr lachendes Gesicht plötzlich ernsthafter. Es war ein großes, starkes Mädchen, der echte Typus des Nordlandes, und sah ihrem Bruder sehr ähnlich; beide zeigten die gleichen wohlgestalteten Züge, die gleiche feste, breite Stirn und hellblitzende Augen darunter. Henrik Sture konnte ein Lächeln gutmütigen Spottes kaum unterdrücken, als er die Jungfrau in ihrer derben Kleidung ansah und sich erinnerte, mit welcher Ruhmredigkeit Gustav ihm diese Schwester gepriesen hatte, deren Schönheit zu Ehren sogar die Jacht den Namen der »schönen Ilda von Örenäes« annehmen mußte.

»Eine nordische Schönheit, geboren unter Walfischen, Kabeljauen und Renntieren, kann allerdings ein wenig von unserem Geschmack abweichen«, sagte er sich leise, »doch diese hier in ihren rindsledernen Schuhen, in ihrer Pelzjacke und Lederschürze, die weißen wollenen Handschuhe über die starken, wenn auch wohlgebildeten Finger gezogen, sieht doch gar zu bärenhaft, polarmäßig aus.«

Während dieses Selbstgespräches hatte Gustav seiner Schwester etwas zugeflüstert, nun sagte er laut: »Ich habe einen Freund mitgebracht, Ilda, der bei uns wohnen will. Hier steht Henrik Sture. Reich ihm die Hand, Schwester.«

Einen ernst prüfenden Blick aus den hellen Augen ließ das Mädchen über den Fremdling gleiten, ehe sie der Aufforderung des Bruders folgte und die Hand bot; dann aber fügte sie dem stummen Gruß mit gelassener Freundlichkeit die Worte hinzu: »Sei willkommen hier zu Lande, Herr. Gottes Friede soll mit dir sein.«

»Vielen Dank für den schönen Wunsch, Jungfrau Ilda«, erwiderte Henrik Sture, höflich das Haupt neigend.

Sie wendete sich zu ihrem Vater, dem Gustav soeben herzlich die Hände schüttelte. »Bist wieder da, Junge?« rief der Kaufmann aus den Fjorden. »Nun, bist willkommen! Alles recht an Bord?«

»Alles recht, Vater«, versetzte der Sohn selbstbewußt, »wirst zufrieden sein.«

Der Alte nickte beifällig.

»Nuh«, schmunzelte er, diesen Ausdruck des Wohlbehagens gebrauchend, den man so oft in Norwegen hört, »bist ein fixer Bursch, Gustav, und hast eine gedeihliche Hand. Ist's nicht so? Aber sieh da –«, der Kaufmann unterbrach sich und wendete das lange, lederfarbene, harte Gesicht halb zu Sture hin, indem er ihn mit einem messenden, schlauen Blick betrachtete. »Hast einen Passagier mitgebracht, Gustav. Ist jemand, der sich die Gegend hier ansehen, oder wohl gar bei uns bleiben will. Ist's nicht so?«

»Ich glaube ja, Vater.«

»Nuh«, grunzte der Alte wieder, und um seinen Mund zuckte ein Lachen, das sich schnell verlor. Er ging auf Sture zu und streckte seine rauhe Faust aus. »Seid willkommen auf den Lofoten, Herr«, sprach er, »bringt gutes Wetter mit. Hätten's schon früher brauchen können; ist aber auch so gut. Kommt gerade zum Schluß eines wunderbar glücklichen Fanges zurecht, wie er lange Jahre nicht gewesen.«

»Ich preise mich vor allem glücklich, daß ich Sie hier finde«, entgegnete Sture verbindlich, »da ich Ihres Rates und Ihrer Hilfe bedürftig bin. Ich komme hierher, mein Glück zu suchen, und habe einen Brief von Trondheim mitgebracht, der Ihnen Näheres über mich sagen wird.«

»Nuh«, rief der Alte, »gönne jedem sein Glück. Konnte mir schon denken, was Ihr im Sinne habt. Seid nicht der erste, der von Dänemark herübergeflogen kommt und meint, es wachse Gold auf den lappischen Fjelden, brauche nur zuzufassen, um es einzustecken. Ist aber nichts damit, werdet es inne werden. Weiche Hände und Füße passen wenig hierher, und habe manchen untergehen sehen, der die harte Arbeit nicht vertragen konnte.«

Der Blick, den er bei seinen letzten Worten auf den jungen Dänen warf, war mit einem Anflug von Warnung und Mitleid gemischt, den Sture wohl verstand. Dann nahm Niels Helgestad das Schreiben, brach es auf und lehnte sich lesend an das Bollwerk, indem er von Zeit zu Zeit bald nach seinem Gast an Bord, bald nach den Fischplätzen hinübersah. Endlich ballte er das Papier zusammen und dasselbe einsteckend sagte er:

»Weiß jetzt alles, was Ihr wollt; hab's schon ohne den beschriebenen Zettel gewußt. Was ein Mann tun kann, seinem Mitmenschen zu helfen, soll redlich geschehen. Was denkt Ihr jetzt anzufangen, Herr Sture?«

»Ich möchte wohl vor allem dem Amtmann in Tromsö meinen Schenkungsbrief vorlegen, um dann das Land aufzusuchen, welches mir die Gnade des Königs bewilligt hat.«

»Ganz schön«, versetzte der Alte spottend. »Wenn nun aber der Amtmann wirklich gesagt hat: Dort drüben liegen die Fjelden, Herr Sture; belieben Sie hinzugehen und sich nach Wunsch auszusuchen! – Was gedenken Sie dann weiter zu tun?«

»Nun«, sagte Sture verlegen, »ich meine, den fruchtbarsten Boden herauszufinden, dürfte nicht zu schwer sein.«

»Fruchtbarer Boden!« schrie der Kaufmann lachend. »Der Himmel segne Euch, Herr! Wer hat Euch hier von fruchtbarem Boden etwas vorgefabelt? Gedenkt Ihr, hier Scheunen zu bauen und Weizen und Gerste einzuernten? Nein, damit ist's nichts«, fuhr er ruhiger fort, als er die Beschämung seines Gastes sah, »Ihr kennt die Wüste nicht, die hinter den Felsen dort liegt. Dennoch aber kann eines klugen Mannes Auge mit Hilfe Eures Gnadenbriefes ein Stück Erde herausfinden, das seine silbernen Früchte trägt.«

Musternd betrachtete er den Fremdling eine kleine Weile, dann sagte er in fragendem Tone: »Bringt Ihr Geld mit ins Land?«

»Ich bin nicht ganz ohne Mittel«, entgegnete der Junker.

»Nuh«, sagte der Kaufmann trocken, »viel wird's nicht sein, denn hättet Ihr Geld, so säßet Ihr ruhig zu Haus und tätet Euch gleich Euren Standesgenossen gütlich. Also gerade heraus: Wieviel Geld habt Ihr mitgebracht?«

»Tausend Species und etwas darüber«, versetzte der junge Edelmann errötend und unwillig zögernd.

»Tausend Species«, wiederholte Niels Helgestad und setzte nach kurzem Überlegen hinzu:

»Das wäre für den Anfang genug, wenn Ihr auf meinen Rat hören wollt, Herr Sture.«

»Nichts Lieberes kann mir begegnen, als Eures Rates teilhaftig zu werden«, erwiderte dieser.

»Wer hier leben und Geld erwerben will«, sprach der Kaufmann bedächtig, indem er sich auf dem Rand des Bollwerkes zurechtsetzte, »der muß Handel treiben, sonst wird's nichts mit ihm. Mit Ihrem Gnadenbrief hat es Zeit, jetzt aber kommt es darauf an, den ersten guten Wurf zu tun, und dazu ist die richtige Stunde eben da. Wer wollte hier leben, wenn nicht das Meer wäre mit seinen Fischen? Das Meer aber ist unerschöpflich, Herr Sture. In jedem Jahr zur Märzzeit schwimmen die Kabeljaue in den Vestfjord hinein, um zu laichen, und wie viele auch immer gefangen und aufgezehrt werden, sie kommen doch wieder, und was die Hauptsache ist, werden niemals weniger. Wissen Sie, wieviel in diesem Jahr binnen vier Wochen gefangen worden sind? Mehr als fünfzehn Millionen. Alle Gerüste hängen zum Brechen voll; alle Jachten liegen voll Salzfische und voll Lebern. Der Tran wird billig werden, Herr Sture, der Fisch ist für einen halben Species die Vog zu haben; eine Vog aber sind volle sechsunddreißig Pfund. Was sagen Sie dazu?«

»Ich verstehe vom Fischhandel nichts«, sagte Sture, »und kann mich deshalb schwerlich darauf einlassen. Wer wird mir diese auch verkaufen, wenn der Gewinn daran so bedeutend ist?« setzte er hinzu, als er bemerkte, wie sich das Gesicht des Kaufmanns bei seinen ersten Worten verfinsterte.

»Ihr redet allerdings, wie Ihr's versteht«, versetzte dieser. »Wißt aber, daß eben jetzt der Fisch billig zu kaufen ist, denn ein jeder läßt etwas von dem reichen Fang ab, wenn er bar Geld sieht. Kennt das Land nicht, Herr, wißt nicht, was Sitte und Brauch ist. Ist alles Tauschhandel hier, Geld ist selten. Der Fischer, der Nordmann und Quäner wie der Lappe, alle borgen vom Kaufmann, der das ganze Jahr über gibt, was sie brauchen. Sie liefern ihm dafür, was in ihre Netze läuft. Der Kaufmann borgt aber auch von den Handelsherren in Bergen, schickt diesen die Jachten voll Stockfisch, Salzfisch und Tran. Alle die Menschen hier, die Sie fischen sehen, stehen im Dienst und im Schuldbuch der Kaufleute an der Küste. Jeder Fisch wird bezahlt und abgerechnet, sowie er auf der Stange hängt; kommt er dann nach Bergen, ist er dreimal soviel wert, oder sechsmal soviel, wie es kommt – verstanden, Herr?«

Sture stand zögernd und bedenklich. »Da der Fang so reich ausgefallen ist«, erwiderte er endlich, »könnte, denke ich, kein übermäßiger Gewinn bei der Spekulation erzielt werden. Man vermag in Bergen alle eingehenden Bestellungen leicht zu erledigen; trotzdem werden bei dem Überfluß alle Magazine überfüllt bleiben, wodurch naturgemäß die Preise sinken müssen.«

Zum ersten Mal seit ihrer Bekanntschaft ließ der Kaufmann einen wohlgefälligen Blick über die Gestalt des jungen Edelmannes laufen. »Hätte diese Einsicht für ein Handelsgeschäft nicht vermutet«, sprach er kopfnickend, »ist etwas Seltenes bei Euresgleichen, Herr; kennt aber dennoch die Sache nicht, kann ganz anders kommen, als Ihr es wähnt. Haben heute den heiligen Gertrudentag, ist nicht gut, wenn die Sonne da scheint. Kommt wildes Wetter danach, so sicher, wie die Ebbe nach der Flut kommt. Nun seht, die Fische dort auf den Klippen an den Gerüsten bleiben so bis zum Monat Juni hängen, während wir alle nach Haus fahren, Tran pressen und ihn nach Bergen liefern. Kommen dann die Jachten im Junimonat von dort zurück, so geht es gleich hierher, um den Fang einzuladen: doch mancher findet dabei statt des erhofften Gewinnes nur bittere Täuschung, und mancher wird es bereuen, daß er seine Stangen nicht höher baute. Ist ein sorgloses leichtsinniges Volk, das Fischervolk, denkt nicht an das, was kommen kann, scheut Arbeit und Mühe. Bis in den Mai hinein sind wir hier vor Schneewehen nicht sicher, die oft Gerüste und Fische unter sich begraben, wenn die Stangen sich nicht widerstandsfähig genug erweisen. Fahren dann die Fischer an und wollen ihr Eigentum bergen, so finden sie nur Würmer und faulendes Fleisch. Müssen den geträumten Gewinn in die See werfen, und kommen dann selbst in Not und Kummer. Ist öfter schon so gewesen, Herr Sture, und kann auch wieder so werden.«

Ein listiges Lachen spielte um seinen Mund, und in das Herz des dänischen Junkers kam ein plötzliches Verlangen und Vertrauen zu dem Fischhandel. Er sah nach den beiden Kindern des Kaufmanns hinüber, die in der Nähe standen und jedes Wort der Unterhaltung vernommen haben mußten. Das Mädchen schaute ihn mit einem gleichgültigen Blick an, der nicht erkennen ließ, ob sie ein Interesse an der Verhandlung nehme oder nicht; Gustav dagegen nickte ihm aufmunternd zu, und auf seinem Antlitz war der Ausdruck eines gewissen Erstaunens sichtbar, das er über die vertrauliche und offene Rede seines Vaters zu empfinden schien.

Eine ihm selbst unerklärliche plötzliche Entschlossenheit kam über Henrik Sture, obwohl er wußte, daß sein letztes Eigentum auf dem Spiel stand. »Gut«, sagte er, »ich will den Handel wagen; freilich hege ich dabei die Hoffnung, daß Sie mir bei Abschluß des Kaufes behilflich sind.«

»Dürft auf Niels Helgestad rechnen«, versetzte dieser und faßte fest des Junkers Hand. »Ist also abgemacht zwischen uns, und Mannes Wort ein Wort, wie es in Norwegen Sitte ist. Wurde mir heute von verschiedenen Seiten ein großes Quantum Fische angeboten, schlug es aber ab, da ich genug an dem habe, was meine eigenen Boote fingen. Nun jedoch will ich mich danach umsehen, und denke einen guten Handel zu machen. Ole«, rief er über das Bollwerk der Jacht hinaus, »halte dich bereit mit dem Boot, und leg an, mein Junge. Ihr, Herr, bleibt an Bord bei meinen Kindern, bis ich zurückkomme, und du Gustav, trag auf, was du in der Schiffskammer hast. Ilda wird dir zur Hand gehen, und ich selbst sende sogleich ein Gericht frischer Fische.«

Mit diesen Worten stieg er die Leiter hinunter, und als das Boot abstieß, konnte man an der Miene des Insassen erkennen, in welch guter Laune er war.

Zweites Kapitel

Das erste Handelsgeschäft

Auch Gustav Helgestad zeigte sich in fröhlicher Stimmung, als er nach der Abfahrt seines Vaters zu seinem Gast trat.

»Freund Henrik«, sagte er, »jetzt, da mein Vater deine Sache in die Hand genommen hat, ist sie wohlgeborgen. Er geht sonst seinen eigenen Weg und schaut wenig nach rechts und links, was andre treiben. Doch du mußt ihm gefallen haben, und deshalb nimmt er deine Sorgen auf seine Schultern, die breit genug sind, die neue Last mitzutragen. Sei also fröhlich und guter Dinge, Henrik Sture, und laß uns zum Essen gehen, das meine Schwester Ilda indes bereitet. Ja, meine Schwester«, rief er, »das ist ein Mädchen, die steht fest auf ihren Füßen und hält den Kopf stolz im Nacken. Du sollst mit ihr tanzen heut drüben in Ostvagöe, denn heute Abend ist Ball im Gaardhaus. Da wirst du erfahren, wie flink sie sich dreht.«

Als sie in die Kajüte traten, war Ilda bereits mit den Vorbereitungen zum Mahl beschäftigt. Obgleich sie sich nur langsam und bedächtig bewegte, ging ihr doch alles flink von der Hand, und sicher und ohne je zu schwanken, schritt sie in dem sich auf den unruhigen Wellen wiegenden Schiff auf und ab, indem sie Gerät hereinbrachte und überhaupt Ordnung in dem beschränkten Raum schuf.

Endlich war der Tisch bereit, auf welchem eines der Nationalgerichte, eine Grützsuppe mit Backpflaumen und Salzheringen, aufgetragen wurde. Gustavs Gesicht verklärte sich. »Das ist recht, Schwester«, rief er ihr zu, »daß du uns das Leibgericht zum Willkommen vorsetzt. Da wollen wir tapfer mithalten, Freund Henrik, lang zu, denn auch du wirst hungrig sein.«

Dies traf bei dem jungen Edelmann nun allerdings zu, doch hielt ihn ein inneres Grausen von der süßen Suppe mit der salzigen Zutat zurück, und nur die Rücksicht auf seine Wirte überwältigte seinen Widerwillen, so daß er den Löffel ergriff und in die Schüssel tauchte. Ehe er ihn jedoch zum Munde führen konnte, wurde sein Arm durch Ildas Hand zurückgehalten, die ihn ernst anschaute und ebenso ernst sprach: »Ehe wir die Speise genießen, dürfen wir das Gebet nicht vergessen.«

»Ist in Ordnung, Ilda, laßt uns beten«, entgegnete Gustav und setzte wie entschuldigend hinzu: »Hab's ganz vergessen, war eben zu lange von Haus fort und immer unter dem wüsten Schiffsvolk.«

Als Ilda das Tischgebet gesprochen hatte, wandte sich Gustav zu Henrik: »Du mußt wissen«, sagte er, »daß meine Schwester eine fromme Jungfrau ist, die von keiner Kirchfahrt zurückbleibt, mag das Wetter noch so bös sein. Es ist aber kein Spaß, zur Winterzeit über den Fjord zwei Meilen zur Kirche zu fahren und im offenen Boot, wenn es stürmt und Eis treibt. Mancher Mann riegelt da seine Tür zu, schürt das Feuer auf dem Herd an, und indem er sich mit seiner Bibel behilft, läßt er in der entfernten Kirche den Pastor für sich allein predigen. Dafür allerdings kommen zuweilen die Lappen von den Fjelden herunter, hören die Predigt an und verstehen in ihrer Dummheit kein Wort davon.«

»Du urteilst falsch und ungerecht, Gustav«, sagte Ilda.

»Nun, laß gut sein«, meinte der Bruder lachend, »ich weiß schon, was du sagen willst. Ich will dir klar machen, Henrik, was Ilda meint. Wir haben hier einen Pastor im Lande, Klaus Hornemann heißt er, der hat es sich in den Kopf gesetzt, das heidnische Finnenvolk, die Renntierhirten und Fjeldlappen, welche auf- und abziehen in der unvermeßlichen Wildnis, zu bekehren und zu taufen. Meine Schwester hilft ihm getreulich bei der harten Arbeit und hat den Vater so lange gebeten, bis er es erlaubte, daß die Tochter eines alten, verwitterten Burschen, der Tausende von Renntieren besitzt und unter seinem Volk als eine Art Fürst und Weiser gilt, ja sogar als ein Schwarzkünstler und Hexenmeister bekannt ist, in unser Haus kommen durfte. Der alte Afraja hat es ungern genug getan; schnitt Gesichter wie ein Wolf in der Schlinge, denn sie haben meist eine so große Abneigung gegen uns, wie die Weiber vor den Spinnen, und es kostete eine ansehnliche Portion Tabak, auch Branntwein und harte Drohungen dazu, ehe er das Mädchen herabziehen ließ. Jetzt haben wir sie im Hause, und Ilda hat sie zahm gemacht, hat sie stricken und lesen gelehrt und ihr allerlei Künste beigebracht. Du wirst sie sehen, Henrik Sture, es ist ein anstelliges Mädchen, die eine Sache begreift, und das können sie meist alle, denn Gott hat ihr Volk nicht ohne Verstand gelassen. Weil nun aber das Mädchen die sonstigen Fehler ihrer Nation abgelegt hat, weil sie weder diebisch, noch faul, noch schmutzig ist, sondern gut und freundlich, meint Ilda, die Landsleute ihrer Pflegeschwester seien ebenso geartet und bildungsfähig, und wirft mir vor, ich höhne mit Unrecht dieses Lappenvolk, das kein Nordmann anrührt, sondern den Fuß nimmt und es von sich stößt.«

»Die Lehre des Heilandes ist die Liebe«, sagt Ilda, und ihre Augen glänzten hell. »Deshalb sollst du deinen Nächsten, wo du ihn findest, als deinen Bruder achten und ihm die Hand reichen.«

»Der Lappe ist weder mein Nächster, noch mein Bruder«, rief Gustav ärgerlich, »er ist ein schmutziges Tier, oder noch schlimmer als das!«

»Du sollst dich schämen, Bruder!« sprach Ilda in strafendem Ton. »Du sprichst gerade so ohne Nachdenken, wie sie alle. – Aber«, fuhr sie fort und ihre Miene wurde weniger streng, »während wir hier plaudern, vergeht die Zeit, und unserem Gast scheint aller Hunger vergangen zu sein, er läßt die Suppe kalt werden.«

Der Junker hatte den Löffel niedergelegt, denn das Gericht wollte seinem Geschmack auf keine Weise zusagen.

Gustav lachte laut auf, als er den Ausdruck des Abscheus bemerkte, der auf Stures Gesicht lag. »Ihr wißt nicht, was gut schmeckt, ihr Dänen« sagte er. »Das ist ein schönes altnordisches Gericht, wonach jeder Nordmann sich sehnt, wenn er es nicht hat.«

»Nun«, versetzte Henrik trocken, »ich beneide dich und deine Landsleute nicht darum, wünsche euch vielmehr jederzeit eine volle Schüssel davon; mich, als Dänen, mußt du aber entschuldigen, wenn ich aufhöre.«

»Wer sein Vaterland verläßt und zu einem fremden Volk kommt, um bei ihm zu wohnen, muß Sitte und Gebrauch, Speise und Getränk annehmen, wie er es findet«, erwiderte Ilda. »Du tust nicht recht, Herr, wenn du unter uns ein andrer sein willst als wir selbst.«

Das war offenbar ein Verweis, wie ihn der junge Edelmann nicht gewöhnt sein mochte, doch begleitete das strafende Wort ein so freundliches, sonniges Lächeln, daß Sture, er wußte selbst nicht wie, den Löffel wieder in seiner Hand fühlte, und nicht eher hörte er nun wieder auf, denselben zu gebrauchen, bis sein Teller völlig geleert war.

Das laute Gelächter der Geschwister, als er sich dann von dieser Arbeit aufrichtete wie ein Held, der einen schweren Sieg erfochten hat, weckte seine eigene Lustigkeit. Er stimmte fröhlich mit ein, antwortete auf das spottende Lob und fand, daß die Tochter des Kaufmanns aus den Fjorden ihm weit größeres Vertrauen schenkte als vorher.

Die Stimmung beim Mahl – auf dem Tisch prangten jetzt auch Fleisch und Fisch – wurde die heiterste, als Gustav eine Flasche alten Madeira aus dem Verschlag holte. Es wurde angestoßen auf das Willkommen im Lande, auf gutes Glück und Gedeihen, auf stete Freundschaft und endlich auch darauf, daß Henrik Sture sein Haus in der Nähe des Lyngenfjord bauen und als guter Nachbar sein Leben lang gesegnet und in Frieden darin wohnen möge.

»Gib acht«, rief Gustav, »es wird dir gefallen, ehe du es denkst, und hast du einmal diese Felsen und wilden Wasser liebgewonnen, so gibt es auch nichts auf der Welt, was dich wieder davon losreißen kann. Ich habe es selbst gesehen, daß Männer zu uns kamen, die im ersten Jahr nahe daran waren, sich das Leben zu nehmen, weil sie es inmitten dieser Einöden nicht auszuhalten vermeinten. Bald aber wurden sie wieder froh, und endlich fanden sie es schön, daß nichts sie bestimmen konnte, in ihr Vaterland zurückzukehren, obwohl sie Geld und Gut genug dazu besaßen.«

Sture blickte vor sich hin. Ihm dünkte es unbegreiflich, daß es Menschen geben sollte, die freiwillig in dieser Felsenwüste blieben, wenn ein gütiges Geschick es ihnen gestattete, mildere Luft zu atmen und unter Eichen und Buchen zu wandeln.

»Das ist seltsam«, murmelte er, »sehr seltsam!«

»Ich finde es natürlich«, antwortete ihm das Mädchen. »Die Männer, welche kamen, waren fremd und verlassen. Einsamkeit und Entbehrungen bedrückten ihr Gemüt. Nach und nach erwarben sie Freunde, ihr Wohlstand mehrte sich, sie fühlten den Segen der Arbeit und fanden Frieden und Ruhe in ihrer Familie. Du, Henrik Sture, kommst freilich aus einer Welt der Zerstreuungen und Vergnügungen, und darum mag dich der Gedanke an die Einsamkeit, die dich hier erwartet, doppelt drücken. Denn einsam, sehr einsam ist es in der Wildnis, das ist wahr! Bei uns hast du nichts als dein Haus, und Wochen und Monde können vergehen, ehe ein fremder Fuß deine Schwelle betritt. In deinem Hause mußt du daher all dein Glück finden, das dir auf Erden gegeben ist.«

Damit stand sie auf, doch nicht, ohne daß ihre Augen mit einem sanften und freundlichen Glanze auf den Fremdling gerichtet gewesen wären, und rief: »Da kommt der Vater zurück, ich höre ihn rufen. Sein Boot liegt schon an der Leiter.« Und so war es wirklich, denn nach einigen Augenblicken schallten die schweren Schritte des Kaufmanns auf dem Deck und kamen dann die Treppe herunter.

»Nuh«, rief er beim Eintreten, »sehe, habt reinen Tisch gemacht, Kinder; schadet aber nichts, nehme auch mit den Überbleibseln fürlieb. Gustav, stell eine neue Flasche auf den Tisch, und du, Mädchen, tisch auf, was du noch hast. Denn von all dem Sprechen und Handeln spüre ich einen rechtschaffenen Appetit. Ja, ja, Herr Sture, ist nichts ohne Mühe in der Welt.« Er nahm seinen Teerhut ab, zog einen Sessel an den Tisch und strich sein gelbgraues, langsträhniges Haar mit beiden Händen aus dem faltigen Gesicht. – Einige Minuten saß er still, als wolle er erst genau bedenken, was er rede, dann richtete er den Kopf auf und sagte zu Sture: »Ist also abgemacht der Handel. Habe zweitausend Vog guten Fisch für Euch aussuchen und trocken hängen lassen, macht tausend Speciestaler bar zu zahlen auf heutigen Tag in der sechsten Abendstunde dort drüben in Ostvagöe.«

»Gut«, entgegnete Sture, »das Geld soll bereit sein.«

»Alles recht«, rief der Kaufmann freundlich, »gebt mir mit diesem vollen Glas Bescheid, und laßt Euch den Handel nicht gereuen. Habt Ihr Glück, so könnt Ihr das Fünf- und Sechsfache dabei verdienen, habt Ihr kein Glück, werdet Ihr, wie ich glaube, wenigstens nichts verlieren. Es ist ein alter, erprobter Satz: Beim Handel überlegen und dann wagen. So ist's. Und nun noch einmal, stoßt an auf ein gedeihliches erstes Geschäft!«

Sture tat der Aufforderung des Kaufmanns Genüge und fragte ihn dann, was er ihm riete, in diesem Jahr weiter zu beginnen.

»Will's Euch sagen, wie ich darüber denke«, antwortete Helgestad mit wohlwollender Miene. »Wißt, daß mein Haus am Lyngenfjord steht. Ist eine feine Stelle; denn drei Märkte im Jahr werden nahebei abgehalten, und ist auch sonst viel Zulauf und Verkehr von Fischern, Quänern und Fjeldlappen. Ist aber auch ein Gewirr von Sunden dort, schießen ein Dutzend von Strahlen zusammen gegen die Lappmarken hin, und liegt manches gesegnete Plätzchen da noch wüst und leer. Weiß einen von allen darunter, wo ein tüchtiger Mann sein Haus aufrichten kann und reichlich sein Fortkommen finden wird.«

»Und dort soll ich mich ansiedeln?« fragte Sture.

»Denke so«, sagte der Alte. »Werdet am Lyngenfjord bei mir wohnen, bis Euer Haus aufgebaut ist; kaufen dann Boote und Fischerzeug samt einer Jacht für die Bergen-Fahrten, denn müßt Euch selbst holen, was in den Kramladen paßt.«

Eine dunkle Röte überzog Stures Gesicht. »Einen Kramladen soll ich halten?« rief er halb lachend, halb entsetzt vor dem Gedanken. »Einen Kramladen für Lappen und Quäner?«

»Sicher müßt Ihr das«, versetzte der Kaufmann kaltblütig, »oder denkt Ihr etwa als Kammerjunker hier zu leben! Sind manche hier, die hunderttausend Species im Kasten haben, aber dennoch einen Kramladen offen halten.«

»Aber, wenn ich auch wollte«, entschuldigte sich Sture, »zum Bauen und Einrichten gehört Geld, viel Geld – wo soll ich es herbekommen?«

»Zeigt mir einmal Euren Schenkungsbrief«, sagte Helgestad, und nachdem Sture, etwas verwundert über das plötzliche Verlangen, die Urkunde des Königs hervorgeholt hatte, las der Kaufmann sie mit größter Aufmerksamkeit durch und schien Wort für Wort förmlich zu studieren. Das Papier dann seinem Eigentümer zurückgebend, sagte er mit zufriedenem Kopfnicken: »Alles recht. Habt einen Freund im Lyngenfjord, soll Euch nichts fehlen, was Ihr braucht. Habe Geld und Waren genug, Euch einzurichten, wie es not tut. Müßt dann freilich auf eigenen Füßen stehen. Seid Ihr ein tüchtiger Mann, wie ich glaube, werdet Ihr Eure Sache so gut zu wenden wissen, daß Ihr bei keinem Fall aufs Gesicht zu liegen kommt; seid Ihr's nicht, so ist es Eure Schuld, wenn andere die Äpfel essen, die für Euch gebraten waren.«

Nach diesen Worten stand er auf, und seine große Uhr hervorziehend fuhr er fort: »Es ist jetzt Zeit, daß wir aufbrechen, wenn wir unser Geschäft im Gaard von Ostvagöe noch abmachen wollen, ehe der Tanz beginnt. Holt also Euer Geld heraus, Herr Sture, und kommt in die Jolle. Gustav und Ilda werden uns im anderen Boote folgen.«

Unter den Händen zweier stämmiger Fischer flog die Jolle an den Klippenrand, wo drei Nordmänner anscheinend wartend standen, die das Fahrzeug festhielten und über das Geröll zogen.

Eine hölzerne Treppe führte auf die Felsen, wo der Gaard von Ostvagöe, ein rot angestrichenes Balkenhaus mit kleinen Fenstern, stand. Aus dem Vorderraum wand sich ein schmaler Weg zwischen Fässern, Netzen, Angeln und Fischbeinen in ein großes Gemach, das als Gaststube und Tanzsaal zugleich diente. Hier angelangt, machte Helgestad den dänischen Junker mit den drei Verkäufern bekannt, die ihm gefolgt waren und nun am selben Tisch mit ihm Platz nahmen.

»Habt hier drei von den besten Männern aus Nordland, ist ihr Wort so fest wie Stahl und Eisen. Also zur Sache. Kaufte Euch von Olaf Gödwad achthundert Vog Fische, von Henrik Nielsen sechshundert, von Gullik Stefenson sechshundert, sind im ganzen zweitausend, nach meiner Wahl ausgesucht und mir für Euch überwiesen. Schlagt ein, Herr Sture, seht her, halten Euch die Hände hin, und jetzt nehmt Euren Beutel, und zahlt hier auf den Tisch, hat mancher blanker Species schon auf ihm gelegen.«