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Was macht dieser Kerl in ihrer Wohnung? Amanda ist fassungslos. Da besucht sie, wenn auch nur widerwillig, über Weihnachten ihren Vater und dann hat der ihre Wohnung an seinen Skilehrer Phil vermietet. Ausgerechnet an diesen arroganten Schnösel. Als ob das nicht genug wäre, kommt gleich der nächste Hammer. Ihr Vater will die Lodge verkaufen, und damit Amandas Kindheit, sein Lebenswerk und die Erinnerungen an Amandas verstorbene Mutter. Um den Verkauf zu verhindern, geht Amanda eine Allianz mit Phil ein und stellt fest, dass der allein erziehende Vater gar nicht so schlimm ist, wie es der erste Eindruck glauben machte. Ganz im Gegenteil, sie entwickelt starke Gefühle für ihn, die nicht unerwidert bleiben. Gemeinsam hecken sie Pläne aus, wie sie den Immobilienmakler vergraulen und ihrem Vater den Verkauf ausreden können. Bevor ihre Pläne Früchte tragen, taucht Phils Exfrau auf und wirbelt ihre zarten Liebesbande gründlich durcheinander. Dann verschwindet auch noch Phils Sohn im eisigen Schneesturm. Können die beiden allen Widrigkeiten trotzen und Lodge, Liebe und sein Leben retten?
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Sandra Pulletz
Über das Buch:
Was macht dieser Kerl in ihrer Wohnung? Amanda ist fassungslos. Da besucht sie, wenn auch nur widerwillig, über Weihnachten ihren Vater und dann hat der ihre Wohnung an seinen Skilehrer Phil vermietet. Ausgerechnet an diesen arroganten Schnösel.
Als ob das nicht genug wäre, kommt gleich der nächste Hammer. Ihr Vater will die Lodge verkaufen, und damit Amandas Kindheit, sein Lebenswerk und die Erinnerungen an Amandas verstorbene Mutter.
Um den Verkauf zu verhindern, geht Amanda eine Allianz mit Phil ein und stellt fest, dass der allein erziehende Vater gar nicht so schlimm ist, wie es der erste Eindruck glauben machte. Ganz im Gegenteil, sie entwickelt starke Gefühle für ihn, die nicht unerwidert bleiben.
Gemeinsam hecken sie Pläne aus, wie sie den Immobilienmakler vergraulen und ihrem Vater den Verkauf ausreden können. Bevor ihre Pläne Früchte tragen, taucht Phils Exfrau auf und wirbelt ihre zarten Liebesbande gründlich durcheinander. Dann verschwindet auch noch Phils Sohn im eisigen Schneesturm. Können die beiden allen Widrigkeiten trotzen und Lodge, Liebe und sein Leben retten?
Die Autorin:
Sandra Pulletz lebt und schreibt in der Steiermark (Österreich). Die Autorin liebt romantische Settings und schreibt hauptsächlich humorvolle Liebesromane. Ein Happy-End ist in jeder Geschichte garantiert!
Wenn Sandra nicht gerade am Schreiben ist, experimentiert sie mit Gewürzen und Kräutern in der Küche, malt oder zeichnet gerne.
Sandra Pulletz
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
August © 2025 Empire-Verlag
Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer
Ansprechpartner: Thomas Seidl
Carolin Wenner
https://www.die-zeilenschleiferei.de/
Korrektorat: Heidemarie Rabe
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Cover: Chris Gilcher
https://buchcoverdesign.de/
Illustrationen: Adobe Stock ID 438771716, Adobe Stock ID 281923508, Adobe Stock ID 130423688
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Amanda
Für Amanda war der vierte Dezember dieses Jahr ein rabenschwarzer Tag. Am liebsten hätte sie sich in der Fotoagentur krankgemeldet, damit sie nicht zum Rockefeller Center musste.
Für die meisten, die sie kannte, wäre dieser Tag ein richtiggehendes Highlight gewesen. Nicht jeder bekam die Chance, bei der feierlichen Erstbeleuchtung des riesigen Weihnachtsbaumes dabei zu sein. Doch Amanda mochte Weihnachten nicht mehr. Außerdem hasste sie große Menschenmengen. Zwei gute Gründe, um nicht zur Erleuchtungszeremonie zu gehen. Leider hatte sie sich nicht drücken können. Jeder Fotograf der Big Apple Focus war an diesem Tag zu einem Job eingeteilt. Für Amanda blieb die Eröffnung des Weihnachtsbaumes übrig. Obwohl sie zu tauschen versucht hatte, war ihr das nicht gelungen. Nun gut, würde sie sich eben dieser schweren Aufgabe stellen.
Um halb sieben erreichte sie den Platz. Die Feier der Tree Lighting Ceremony hatte bereits begonnen. Zum Glück konnte sie sich mit ihrem Presseausweis überall durchschleusen.
Amanda war dick eingepackt und trug eine Mütze und Handschuhe. Heute war es durchweg sonnig, aber ein Schneesturm war gestern über die Stadt gefegt, der zwar nur kurz währte, es jedoch in sich hatte. Amanda hatte sich gerade noch rechtzeitig in ein Café retten können und dort die Zeit ausgesessen.
Zunächst verschaffte sie sich einen Überblick. Der Platz rundherum war mit einer riesigen Menge an Zuschauern gefüllt. Auf der Eisbahn war eine Bühne montiert, auf der den Abend über zahlreiche Stars aus der Unterhaltungswelt auftraten. Unter anderem würde auch Bonny O. spielen. Die famose Sängerin feierte überall in den USA großen Erfolg.
Natürlich war reichlich Dekoration und prächtiger weihnachtlicher Blumenschmuck aufgestellt.
Amanda wollte sich nicht lange vor der Bühne aufhalten. Sie hatte den Auftrag, Prominente und wichtige Persönlichkeiten zu fotografieren. Die besten Bilder sollte sie an diverse Tageszeitungen weiterleiten, die bei Big Apple Focus gebucht hatten. Sogar der ein oder andere Millionär sollte als Gast dabei sein. Wie so überreiche Leute ihr Leben führten, das konnte sie sich nicht so recht vorstellen.
Auf jeden Fall hielten sich die Stars nicht draußen in der Kälte auf, sondern bewunderten das Spektakel bei einer der berühmten Eröffnungspartys, die rundherum in den Restaurants stattfanden. Dafür waren sie bereit, sich in Unkosten zu stürzen. Soweit Amanda wusste, kostete ein Ticket ab fünfhundert Dollar aufwärts. Nach oben hin schien es kein Limit zu geben. Der blanke Wahnsinn! Zumindest für eine Normalsterbliche wie sie es war. Für Millionäre war das natürlich ein Pappenstiel. Die Plätze waren jedes Jahr heiß begehrt.
Amanda stellte sich direkt vor die Showbühne. Dahinter befand sich der weltberühmte Christbaum. Die legendäre Feier war in vollem Gange. Sie nutzte die Gelegenheit, einige Schnappschüsse zu knipsen. Die beiden Moderatoren kündigten den nächsten Akt an und kurz darauf erklangen die Töne eines berühmten Weihnachtsliedes. Amanda erwischte sich dabei, wie sie einige Zeilen mitsang.
»Love from your holy lips shines clear,
As the dawn of salvation draws near …«
Ihre Mom hatte dieses Lied geliebt und immer mit ihr an Weihnachten gesungen. Für einen Moment wurde Amanda wehmütig, wischte die Erinnerungen aber schnell beiseite. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um sentimental zu werden. Sie fotografierte die begeisterten Zuschauer. Die Stimmung beflügelte sie.
Doch dieses Gefühl verebbte ruckartig. Ihre Kamera zeigte einen niedrigen Akkustand an. Das konnte nicht sein! Immerhin hatte sie ihn noch im Büro aufgeladen. Wie eine Irre kramte sie in ihrer Fototasche, die sie um die Schulter trug. Wo zur Hölle war der Ersatzakku? »Halleluja«, atmete sie erleichtert auf, als sie ihn fand. Geübt wechselte sie den Akku und stellte schockiert fest, dass dieser auch fast leer war. »Das gibt‘s ja nicht!« Sie hatte kaum fotografiert. Blieb noch die Möglichkeit, dass das Ladegerät kaputt war oder die Steckdose, an die sie es angesteckt hatte. »So ein Scheiß«, fluchte sie, was ihr prompt strenge Blicke einbrachte. »Äh, nicht die Show … Ich … Ich …« Sie klang furchtbar verzweifelt. »Der Akku ist leer!« Wie sollte sie ihren Auftrag erfüllen? Ihr Boss würde ihr die Hölle heiß machen, wenn sie ohne Fotos zurückkehrte.
»Brauchst du Hilfe?« Eine überaus schlanke, fast schon burschikos aussehende junge Frau, die in derben Schuhen und einem dunkelgrünen Parka steckte, wandte sich ihr zu.
»Wenn du zufällig einen Akku für meine Kamera hast«, setzte Amanda ironisch an.
»Das zwar nicht, aber ich habe zwei Powerbanks in meiner Tasche.« Sie grinste breit.
Amanda konnte ihr Glück kaum fassen. »Darf ich mal kurz Strom daraus ziehen? Ich will nur überprüfen, ob mein Akkulader kaputt ist.«
»Natürlich!« Schon hielt ihr die Frau eine Powerbank hin.
Amanda testete ihr Ladegerät aus. Zum Glück funktionierte es. Also war wohl die Steckdose im Büro kaputt. »Yeah! Ich bin so gut wie gerettet. Dankeschön!«
»Keine Ursache. Du kannst ruhig noch ein wenig Strom daraus ziehen, falls nötig.« Die Frau zog sich die rosa-lila gestreifte Wollmütze tiefer ins Gesicht.
»Vielleicht ein paar Minuten? Ich muss bald ins Rockefeller Center und dort weiterfotografieren. Aber das dürfte kein Problem sein, dort kann ich den Akku zwischendurch bestimmt laden.«
»Super! Machst du das beruflich?«
»Yep. Bestimmt denkst du jetzt, dass ich nicht professionell bin, wenn ich ohne volle Akkus hier antanze.« Amanda verzog ihren Mund.
»Quatsch! Bei jedem kann mal etwas schiefgehen. Gut, wenn du auf jemanden wie mich triffst. Ich habe für fast alle Probleme eine Lösung.«
»Das ist ja cool!« Anerkennend nickte Amanda ihrem Gegenüber zu. Der jungen Frau mangelte es nicht an Selbstbewusstsein. Fast schon beneidenswert. »Wie heißt du?«
»Alice Springword. Ich hasse meinen Nachnamen, also sag einfach nur Alice zu mir.«
»Okay, freut mich, Alice! Ich bin Amanda Johnson.« Sie schenkte ihr ein warmes Lächeln. Gemeinsam verfolgten sie die nächste Performance.
Amanda blickte auf den Akkustand, der etwas angestiegen war. »So, ich glaube, der Akku reicht für mindestens hundert Bilder. Ich danke dir.« Amanda zog das Kabel aus der Powerbank und steckte den Akku in ihren Fotoapparat. »Darf ich zum Abschluss noch ein Foto von dir machen?«
»Von mir? Ein Fahndungsfoto etwa?« Stirnrunzelnd blickte Alice sie an.
»Ein Dankesbild. Ich sammle schöne Momente«, antwortete Amanda ehrlich. »Und interessante Menschen.«
»Hoffentlich wirklich nur auf dem Foto.« Ein Grinsen zog sich über Alice‘ Gesicht.
»Natürlich«, erwiderte Amanda hastig.
»Tja, dann gerne.« Noch immer grinste sie, was Amanda ausnutzte und ein Bild knipste.
»Ich danke dir herzlich. Sowohl für die Fotoerlaubnis als auch für deine Hilfe.«
»Keine Ursache. Viel Erfolg bei deinem Auftrag.«
»Danke. Dir viel Spaß bei der Show. Bye!« Amanda zog weiter. Sie hatte nicht beabsichtigt, so lange vor der Bühne auszuharren. Mittlerweile war ihr kalt geworden. Wie gut, dass sie ins Innere des Rockefeller Center musste und sich dort aufwärmen konnte.
Erste Station war der dritte Stock. Sie wies sich aus und wurde eingelassen. Hier fotografierte sie viele Promis, die bei einem Live-Jazz-Event zusammenkamen. Ihren zweiten Akku konnte sie in der Zwischenzeit laden. An der Bar fanden sich etliche Leute und genossen den ein oder anderen Cocktail. Amanda erspähte einige Promis. Glücklicherweise hatte sie im Voraus eine Kartei mit den geladenen Gästenamen bekommen, sodass sie vorher hatte recherchieren können. Alles und jeden kannte sie schließlich auch nicht. Das war jedoch nicht schlimm. Sie bemühte sich, von jedem Gast eine Handvoll Bilder zu knipsen. Der Barkeeper lud sie sogar zu einem Glas Prosecco ein. Einige Minuten verweilte Amanda an der Bar und genoss die feierliche Atmosphäre, ehe es weiterging.
Ihr nächster Halt war das fünfundsechzigste Stockwerk. Höhenangst sollte man besser nicht haben, denn das Event fand drinnen als auch draußen statt.
Im Rainbow Room, einem privaten Veranstaltungsraum, war einiges los. Der Raum war festlich eingerichtet. Die warmen Farben in Gold und Mint sowie in Rosa als auch Silber und die klassischen Weißtöne verliehen ihm eine gewisse Eleganz. Amanda war beeindruckt. Am besten gefielen ihr die wie Diamanten funkelnden Kronleuchter, die sie glauben ließen, sie wäre in einem Palast. Darunter befand sich eine gut besuchte Tanzfläche. Rund um die Fensterfronten waren edel aussehende Tische und Stühle platziert und festlich dekoriert. Mit den aufwendigen Verzierungen und Details erinnerte das Design der Möbel an Kyle Koma. Sie hätte einen Besen gegessen, wenn die Möbel nicht von ihm waren. Immerhin hatte sie ihn und seine Werke bei einer Reportage kennengelernt. Er war berühmt für seinen exquisiten Stil, vor allem für die aufwendigen Verzierungen und Details seiner Werkstücke. Die Feier Veranstaltung war komplett ausgebucht. Kein Wunder, denn die Feier war überaus beliebt, was zum Großteil daran lag, dass man eine atemberaubende Aussicht auf das Christmas Lighting hatte. Amanda legte los und lichtete die Gäste ab. Unter ihnen befand sich auch ein Millionär, der zugegeben ziemlich attraktiv aussah. Miles Mcilroy. Ob er vergeben war? Amanda musste über sich selbst lachen. Was für ein seltsamer Gedanke. Sie hatte überhaupt kein Interesse an irgendwelchen schnöseligen Typen! Aber wenn ihr Traummann plötzlich auftauchte, würde sie bestimmt nicht Nein sagen. Vermutlich gab es den berühmten Deckel auf dem Topf gar nicht. Zumindest nicht für sie. In den siebenundzwanzig Jahren, in denen sie auf dieser Erde wandelte, hatte sie ihn jedenfalls noch nicht gefunden. Eines war für Amanda klar: Wenn sie je wieder eine Beziehung einging, dann musste es eine mindestens so große Liebe sein wie die ihrer Eltern. Ihre Mutter und ihr Vater waren ein glückliches Paar gewesen und hatten so viel im Leben erreicht. Ein Kloß bildete sich in Amandas Hals. Wieso musste ihre Mutter dieses Leben so früh verlassen? Ein tiefer Schmerz breitete sich in ihrer Mitte aus. Jetzt war kein guter Zeitpunkt, um daran zu denken. Doch wie jedes Jahr um diese Zeit fehlte ihr ihre Mutter ganz besonders. Das war auch der Grund, weshalb sie Weihnachten nicht mehr mochte. Genug jetzt! Sie musste arbeiten und möglichst viele Prominente ablichten. Zwischendurch lief ihr die ein oder andere ausdrucksstarke Persönlichkeit vor die Linse. Sie musste die Leute erst um Erlaubnis bitten, ehe sie sie im Großformat ablichtete. Ihr nächstes Ziel war die hübsche Kellnerin namens Ivy, die sich zunächst zierte. »Ich möchte nicht aus irgendeinem Zeitungsblatt herausschauen.«
»Nein, keine Sorge. Beruflich fotografiere ich zwar im Auftrag von Big Apple Focus die wichtigen und prominenten Leute. Aber ich fotografiere auch privat, da liebe ich es, besondere Menschen vor die Linse zu holen. Keine gestellten Porträts, sondern so wie sie im Alltag sind.«
»Na, von mir aus.«
Amanda folgte ihr unauffällig und knipste einige Bilder von ihr. Die junge Frau sah überwältigend aus. Das lange dunkle Haar glänzte seidig im Licht der Kronleuchter. Am auffälligsten waren ihre mandelförmigen Augen, die intensiv funkelten und dabei eine ganze Palette an Grün- und Blautönen präsentierten. Die Kellnerin, Ivy, könnte durchaus als Model arbeiten. Nicht nur Amanda fand die junge Frau attraktiv. Zahlreiche Männer guckten der Bedienung nach. So etwas passierte ihr nie!
Phil
»Dad, hast du meine blaue Mütze gesehen?«, rief Timothy vom Flur aus in die Küche.
»Nope. Nimm einfach die rote. Die liegt in der ersten Lade der Kommode.« Phil stand vor dem Herd und briet Eier und Speck. Sein Sohn trat in die Küche. Er drehte sich zu ihm um.
»Ach, die will ich nicht. Letztens hat Andrew mich deshalb Santa Claus genannt.«
»Ist doch lieb gemeint.« Phil schenkte Timothy ein aufmunterndes Lächeln.
»Nein! So wirke ich wie eine fürchterlich alte, runzlige Kindermärchenfigur.«
»Wieso das denn?« Er legte den Kopf schief. »Santa ist keine Märchenfigur, sondern der allwissende Weihnachtsmann. Und sooo alt und runzlig ist er auch nicht.«
»Daaad«, mahnte Timothy ihn langgezogen. »Ich bin keine fünf mehr, sondern zehn. An Santa Claus glaube ich nicht mehr.«
»So? Und wer bringt dann die Geschenke?« Er hatte Mühe, ein Schmunzeln zu unterdrücken.
»Na, du!«, kam es wie aus der Pistole geschossen. »Und Mom … also vielleicht.« Er brach ab und presste die Lippen zusammen.
Phils Magen zog sich zusammen. An Michelle, seine Ex-Frau, wollte er überhaupt nicht denken. Sie war, was das Elterndasein anbelangte, die reinste Enttäuschung. Phil war froh, dass er sich vor sechs Jahren von ihr getrennt hatte. Hoffentlich meldete sich Michelle dieses Jahr wenigstens zu Weihnachten bei ihrem Sohn. Im letzten Jahr hatte sie weder daran noch an Timothys Geburtstag gedacht. Auch ohne Anlass hatte sie nichts von sich hören lassen, was beschämend war.
Phil entschied sich für einen radikalen Themenwechsel. »Komm frühstücken. Du musst in die Schule.«
»Okay.« Ein kleines Murren war dabei, aber Timothy setzte sich brav an den Esstisch vor dem Küchenbereich.
Phil richtete an und ließ sich ebenfalls auf einem Stuhl nieder. »Was gibt es sonst so Neues?«
Timothy zuckte mit den Schultern. »Nichts. Ich habe mein Tierbuch ausgelesen.«
»Da warst du fleißig. Wenn du willst, können wir am späteren Nachmittag noch in die Bibliothek gehen und du kannst dir ein neues Buch leihen.«
Endlich hellte sich die Miene seines Sohnes auf. »Das wäre super! Es gibt noch so viel, was ich anschauen und lesen will!«
Timothy war eine richtige Leseratte. Am liebsten mochte er Tier- und Natursachbücher mit vielen Abbildungen. Davon konnte er nicht genug kriegen.
»Gehst du jetzt Skifahren?«, fragte er.
»Yep. Ich hab eine kleine Gruppe, die die Piste runtersausen will.«
»Sind viele neue Gäste in der Lodge angekommen?«
»Genau. Bald sind alle zwölf Zimmer ausgebucht.«
»Ist gut. Ich will auch mal wieder mit dir Skifahren.«
»Vielleicht am Wochenende.« Er stupste seinem Sohn auf die Nasenspitze und goss ihnen beiden ein Glas Orangensaft ein.
Eine gute Stunde später versammelte Phil seine Skitruppe auf der Piste. Heute hatte er angeblich keine Anfänger dabei. Trotzdem wollte er sichergehen. »Zuerst will ich mir einmal ansehen, was ihr draufhabt. Deshalb steigen wir dort oben im ersten Drittel der Liftstrecke aus. Seht ihr den Ausstieg?« Er zeigte darauf. So manch einer nickte, andere schüttelten den Kopf. »Bei dem blauen Hütchen!«
»Ah!«
»Yep!«
»Okay.«
Nun dürften es alle entdeckt haben und es konnte losgehen. Bevor Phil mit Leuten, die er noch nie Skifahren gesehen hatte, die Piste runtersauste, machte er sich jedes Mal ein Bild von ihrem Können. Alles andere wäre unprofessionell. Abgesehen von einer schwarzen Piste gab es zwar nur blaue Pisten auf dieser Seite des Berges. Dennoch wollte er nicht riskieren, dass er einen Anfänger mit hinaufbrachte, der sich nicht mehr hinunter traute. Außerdem hatte er es zu oft erlebt, wie sich Menschen selbst überschätzten und für geübte Skifahrer hielten. Die Piste waren sie jedoch im Pflug hinuntergefahren, da sie keine Routine hatten.
Aber bei der kleinen Gruppe von fünf Leuten, die er heute betreuen sollte, hatte er ein ziemlich gutes Gefühl. Dieses wurde bestätigt, als alle bei der erwähnten Markierung aus dem Lift stiegen. Und das auch noch unfallfrei.
Mit einem Lächeln im Gesicht erklärte Phil, wie sie weiter verfahren würden. Zunächst fuhr er einige Meter den Hang hinunter und ließ dann jeden einzelnen Skifahrer ein paar Schwünge hinlegen. Diese prüfte er genau, um das jeweilige Können einzuschätzen.
Als alles so weit klappte, Phil sich ein Bild gemacht hatte und mit dem Ergebnis zufrieden war, fuhren sie den Hang hinab, um gleich danach mit dem Schlepplift ganz nach oben zu gelangen. Hier hatte man die Auswahl aus mehreren Pisten.
»Fahren wir nach Mystic Woods runter?«, wollte ein ganz besonders sportlicher Teilnehmer wissen.
»Nein, wir bleiben auf unserer Seite des Berges. Die schwierigeren und herausfordernden Pisten, die in den Nachbarort auf der anderen Seite des Berges führten, klingen für Urlauber meist durchaus interessanter. Doch dieses Gebiet ist so überlaufen, dass ich es vorziehe, auf dieser Seite zu fahren.«
»Schade.«
»Wir haben dafür den Vorteil, direkt von der Lodge auf die Skipiste zu gelangen. Außerdem ist die Lage schöner, direkt auf dem Hang und von Schnee umgeben. Einfach zauberhaft.«
Nachdem Phil seinen Arbeitstag nach mehreren Gruppen beendet hatte und alle die Skiausrüstungen im Nebengebäude abgestellt hatten, ging es ins Warme. Beim Betreten der Lodge empfing Phil der behagliche Komfort des Kamins und dessen Wärme. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee und von deftigem Essen wehte ihm um die Nase. Sofort fühlte es sich für ihn wie Nachhausekommen an. Er entspannte sich augenblicklich. Gut gelaunt schaute er sich in der Empfangshalle um, von der aus die Touristen, mit denen er bis eben noch unterwegs gewesen war, sich in verschiedene Richtungen verteilten. Manche gingen direkt in den Speisebereich, andere noch einmal auf ihr Zimmer, um sich frisch zu machen. Zwei gingen in zügigen Schritten zu den Toiletten im hinteren Teil der Lobby.
In diesem Moment stürmte sein Sohn auf ihn zu. »Dad!« Ein Strahlen lag auf seinem Gesicht.
Phil breitete die Arme aus und drückte Timothy an sich. »Hi, mein Sweetie! Du bist ja schon da! Wie war dein Tag?«
»Gut! In der Freizeitstunde durfte ich mit Randy und Brady auf dem Schulhof Bob fahren. Der Hügel ist ziemlich niedrig, also sind wir an die fünfzigmal hochgelaufen. Stell dir vor, Randy fliegt über Weihnachten ins Disneyland und Brady macht mit seinen Eltern einen Badeurlaub!«
»Das ist ja toll!« Phil schlug einen freudigen Ton an, aber er wusste, was gleich kommen würde.
»Können wir nicht auch einmal in den Ferien etwas Aufregendes machen?« Sein Sohn schaute ihn bittend an.
Sofort wurde Phils Herz schwer. »Du weißt doch, dass die Ferien die Hauptsaison hier ausmachen. Da kommen immer viele Gäste, die Skifahren wollen.«
»Mhm, ist klar. Und im Sommer gehst du mit den Gästen wandern und hast auch kaum Zeit.« Er senkte den Kopf.
»Wir werden uns trotzdem eine schöne Zeit machen, okay?« Phil hob Timothys Kinn an, sodass er ihm in die Augen schauen konnte.
Zögerlich nickte er. »Yep.«
Phil strich ihm über sein hellbraunes Haar. »Ich hab dich lieb.«
»Ich dich auch, Dad.« Er drückte sich an ihn.
»Na, wen haben wir denn da? Meine zwei Lieblings-Guys!« Phils Boss William gesellte sich zu ihnen und musterte sie beide. »Beeilt euch, sonst wird das Essen kalt!« William bedeutete ihnen ihm zu folgen.
»Stell dir vor, ich war heute Bobfahren!«, plapperte Timothy freudig los und erzählte William von seinem Tag.
Wie jeden Abend saßen Phil und Timothy an demselben Tisch. Es war ein schöner Platz, etwas abseits des Trubels, vor der breiten Fensterfront, die auf die Terrasse führte. Im Sommer konnte man draußen frühstücken, jetzt im Winter konnte man den Schnee betrachten und dabei schön vor sich hinträumen. Die meisten Gäste scharten sich um das Buffet, das auf der anderen Seite des Raumes aufgebaut war.
Timothy holte sich eine zweite Portion Pulled Pork. »Yummie!«
»Livia hat sich wieder einmal selbst übertroffen! Was würden wir nur ohne sie tun?« Phil spießte ein Stückchen Fleisch auf die Gabel.
»Selbst kochen«, antwortete Timothy achselzuckend.
Phil lachte. »Stimmt. Aber wenn ich so lange arbeite, könnte es ziemlich knapp werden bis zur Essenszeit. Da bin ich froh, dass William uns die Möglichkeit bietet, so viele Mahlzeiten, wie wir wollen, hier in der Lodge einzunehmen.«
Sein Sohn grinste breit. »Ich bin auch froh. So komme ich zu einem Dessert.« Er leckte sich über die Lippen und schaufelte sich eine Portion Fleisch in den Mund.
»Heute gibt es übrigens Brownies, die hat Ruby gebacken.«
»Lecker!«, sagte Timothy mit vollem Mund und kaute superschnell. »Was machen wir am Wochenende?«
Sogleich erstarrte Phil. Das Fleisch in seinem Mund wurde wie bröseliger Beton. Schnell nahm er einen Schluck Wasser und spülte alles hinunter. Die paar Sekunden Bedenkzeit brauchte er dringend. Wie sollte er seinem Sohn erklären, dass er zu wenig Zeit für einen Ausflug hatte?
»Fahren wir nach Stowe zu der Tierfarm? Du hast es versprochen!«, bohrte Timothy nach.
»Das … das müssen wir leider verschieben.«
»Schon wieder?« Timothy sank in sich zusammen.
Phils Herz brach. Er konnte es schlecht aushalten, seinen Sohn so enttäuscht zu sehen. »Wir … könnten in die Stadt. Das Weihnachtsspektakel startet an diesem Wochenende. Ich muss nur am Samstag- und Sonntagvormittag einen Kurs geben. Die restliche Zeit gehört dir.«
Timothy hob seinen Blick. »Okay. Gehen wir jetzt noch in die Bücherei?«
»Klar!«, beeilte sich Phil zu antworten. Insgeheim dankte er für das Verständnis seines Sohnes. Bald musste er jedoch für ein paar besondere Erlebnisse sorgen. Timothys Freunde hatten Eltern, die sich viel für ihre Kinder einfallen ließen und ständig auf Achse waren. Er hingegen hatte oft Mühe, Kind und Beruf unter einen Hut zu bringen. Besonders, wenn er an schulfreien Tagen oder an den Wochenenden arbeitsmäßig eingeteilt war. Zwar kümmerte sich dannWilliam oft um ihn, aber richtig tolle Ausflüge, um etwas Neues zu erkunden, hatten sie bisher auch nicht gemacht.
Nachdem sich die beiden einen großen Brownie gegönnt hatten, gingen sie in ihre Wohnung, die direkt an die Holly Hideaway Lodge angebaut war und die man über einen Flur der Lodge erreichen konnte.
Phil zog sich nach dem langen Skitag um und Timothy las in der Zwischenzeit eines seiner geborgten Bücher. Als Phil fertig war, starteten sie los zur Bücherei, die sich unten in der Stadt befand. Praktischerweise hatte sie jeden Mittwoch längere Öffnungszeiten.
Sie konnten direkt davor parken. Während Timothy in die Bibliothek stürmte, ließ Phil den Blick über das Städtchen Miracle Hill schweifen, das eine ruhige und idyllische Stimmung verbreitete. Viele Lichterketten schmückten Häuser wie Geschäfte und brachten die festlich dekorierten Schaufenster noch mehr zur Geltung. Ein paar Schneeflocken fielen vom Himmel herab und legten sich auf die Dächer und Wege. Fast schon romantisch. Ach was! Er musste über seinen albernen Gedanken lachen. Es war ein ganz normaler Winterabend in Vermont.
Er folgte Timothy in die Bibliothek.
Timothy brauchte eine gefühlte Ewigkeit, um alle Schätze zusammenzutragen, die er ausborgen wollte.
»Sweetie, du weißt schon, dass wir jeden Mittwoch hierherfahren können? Das geht sogar nach dem Basketballtraining, das du oft besuchst. Du musst nicht auf einmal so einen Berg Bücher ausleihen.« Phil lächelte belustigt.
»Ja, dann ist aber nicht mehr so viel Zeit. Gut, dass heute die Stunde ausgefallen ist und ich länger stöbern kann. Ich muss eine Präsentation in Biologie vorbereiten, dazu brauche ich ein paar Infos.« Timothy nickte mit dem Kinn auf die Bücher.
»Ist gut, ich sage ja schon nichts mehr.« Es war schön, dass sein Sohn nicht nur am Handy oder vor dem Fernseher hing so wie viele andere Kinder, die er kannte. Er half seinem Sohn beim Tragen. Nachdem sie alles im Auto verstaut hatten, schlug Phil vor, noch ein paar Schritte bis zum Stadtplatz zu gehen. Die Bücherei lag unweit der Ortsmitte, welche das Herzstück von Miracle Hill war. Hier fanden sich historische Gebäude, Geschäfte und Cafés, die zum Verweilen einluden.
»Hast du gesehen, dass die Weihnachtslichter schon angebracht sind?«, rief Timothy verzückt aus.
»Yep!« Auch Phil blickte sich staunend um. Ein weihnachtliches Gefühl überkam ihn. Vor einigen Jahren hatte er gemeinsam mit Michelle weihnachtliche Spaziergänge unternommen. Damals lebten sie zu dritt in Chicago und waren eine glückliche Familie. Zumindest dachte Phil das eine ganze Zeit lang, bis er draufkam, was für ein Mensch Michelle wirklich war.
Schnell verschob er seine Erinnerungen in abgelegene Gehirnareale, wo sie ein wenig verstauben konnten.
Phil räusperte sich. »Möchtest du eine Zuckerwatte?«
»Nö. Lieber mag ich noch ein bisschen lesen.« Timothy zog an seiner Hand und steuerte Richtung Auto. Es war an der Zeit, zum Auto zurückzugehen und zur Lodge zu fahren.
Eine halbe Stunde später kam Timothy aus dem Bad. »Gute Nacht, Dad.«
»Schlaf schön!« Phil drückte seinen Sohn fest an sich und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. »Ich schaue später noch einmal nach dir.«
»Okay. Ich lese ohnehin noch ein bisschen«, erwiderte Timothy vergnügt und eilte in sein Zimmer.
Phil räumte auf, setzte sich danach auf das Sofa und schaltete den Fernseher ein. Gerade lief die Live-Übertragung des Christmas Lighting in New York. Die Kamera schwenkte über die Menschenmassen, die sich vor dem Rockefeller Center versammelt hatten. Phil gruselte es ein wenig. Er konnte sich nicht vorstellen, sich dort unter die Leute zu mischen und stundenlang an Ort und Stelle auszuharren, um das Spektakel des Christbaumerleuchtens zu erleben. Klar bot man den Zuschauern eine gute Show, das musste er zugeben. Zahlreiche Promis traten vor die Linse. Nur noch wenige Minuten bis zum Programmhöhepunkt. Er würde Timothy zu sich holen und stand auf. In Timothys Zimmer brannte noch Licht, doch er war über dem Buch eingeschlafen. Sachte zog Phil ihm das Buch aus den Händen und strich über Timothys Kopf. Anschließend knipste er das Nachtlicht aus und ging zurück ins Wohnzimmer. Genau in diesem Moment gingen im Fernseher die Lichter am Weihnachtsbaum an. Tosender Applaus des Publikums war zu vernehmen. Phil setzte sich und verfolgte den Rest des Events. Zwischendurch wurden Zusammenschnitte des Abends gezeigt und einige Stars interviewt. Darunter auch ein Millionär, der Phil recht wenig interessierte. Seine Aufmerksamkeit schweifte von dem Kerl ab und blieb auf einer engelhaften Frau mit langem blondem Haar im Hintergrund kleben, die leider nur leicht verschwommen zu sehen war. Ihr Aussehen faszinierte ihn so sehr, dass er zu neugierig wurde, um wen es sich dabei handelte. Vermutlich war sie kein Promisternchen, denn sie fotografierte andere Besucher.
Die Einblendung wechselte und das Fernsehbild zeigte wieder den beleuchteten Weihnachtsbaum. Schade. Phil blieb noch lange vor dem Bildschirm sitzen in der Hoffnung, der blonde Engel würde noch einmal … doch dies war leider nicht mehr der Fall. Mit leichter Enttäuschung schaltete er das Gerät ab, als die Live-Übertragung beendet war. Eine bleierne Müdigkeit überfiel ihn. Er gähnte laut und machte sich bettfertig. Morgen stand ein langer Arbeitstag an.
Amanda
»Amanda, Süße! Gehst du nach der Arbeit mit uns zum Rockefeller Center, den Weihnachtsbaum bewundern? Wir haben den alle noch nicht im Real Life gesehen dieses Jahr, nur auf deinen Fotos! Dabei steht er schon ein paar Tage. Du kannst uns doch eine Führung geben! Anschließend wollen wir noch im Bryant Park Eislaufen gehen. Natürlich gibt es dazwischen auch einen Happen zu essen. Nur wo, darüber sind Marc, Lisa und ich uns noch nicht einig. Deshalb darfst du wählen!« Sheyla kicherte und schaute Amanda abwartend an. »Ich liebe Weihnachten in New York!«
In Amanda zog sich alles zusammen und ihr Nacken spannte. Ihre Arbeitskollegin Sheyla hatte gerade mehrere Reizwörter benutzt, die sie nicht aushielt. Zum Beispiel Weihnachtsbaum und Weihnachten. »Sorry, ich werde nicht mitkommen. Ich muss noch … Weihnachtskarten schreiben. Das steht ganz oben auf meiner Agenda.« Natürlich war das gelogen. Sie würde höchstens ihrem Papa eine Karte nach Vermont schicken. Amanda hasste die Weihnachtszeit von Jahr zu Jahr mehr. Sie konnte mit dem ganzen Glitzer-Klimbim nichts anfangen. Es fiel ihr schon schwer, ins Hudson Yards zu gehen, wo ihr nächster Auftrag stattfand. Bestimmt war die komplette Mall übermäßig dekoriert.
»Mensch, Amanda! Was soll das? Geht es dir nicht gut? Du hast dich schon die letzten Tage gedrückt, als wir fortgehen wollten!« Sheyla warf ihr einen enttäuschten Blick zu. »Überhaupt bist du seit Thanksgiving gereizter als sonst.«
Das war Amanda nicht entgangen, schließlich startete die Weihnachtssaison direkt danach. Entschuldigend hob sie die Schultern. »Du weißt ja, im Dezember ist immer die Hölle los. Ich habe gleich noch einen wichtigen Termin in der Mall.« Sie stand von ihrem Drehstuhl auf, schnappte sich ihre schwere Fototasche und verabschiedete sich von ihrer Kollegin.
»Zur Weihnachtsfeier morgen kommst du hoffentlich!«, rief diese ihr hinterher.
»Klar!« Aber auch nur, weil es wenig weihnachtlich zuging und es jede Menge zu essen und zu trinken geben würde.
Hastig verließ sie den modernen Bürokomplex, in dem sich die Fotoagentur Big Apple Focus befand, und überlegte gleich, welchen Weg sie einschlagen sollte. Hier, mitten in New York, war sie von weihnachtswütigen Shoppern und Verkäufern umzingelt. Die Route über die berühmte Kaufhauskette Macy‘s würde sie meiden. Für andere war es ein Weihnachtsparadies, das mit üppig dekorierten Schaufenstern begann und mit einem Santa-Land aufhörte, wo man seine Wünsche dem Weihnachtsmann mitteilen konnte. Deshalb machte Amanda einen Umweg und bog beim Empire State Building nach links in die 5th Avenue ab. Bald hatte sie ihr Ziel erreicht.
Nun stand sie vor den Hudson Yards. Schon von außen betrachtet lief Amanda eine Gänsehaut den Rücken hinab. Vor der Mall war alles beleuchtet, sämtliche Bäume waren mit Lichterketten ausgestattet und auch andere Lichterarrangements leuchteten hell. Es war noch nicht einmal richtig finster. Was für eine Stromverschwendung! Unter der Weihnachtsdeko befanden sich mehrere Heißluftballons. Was auch immer die mit Weihnachten zu tun hatten. Oder waren die dafür gedacht, um von der Funkelwelt wegfliegen zu können? Zumindest gedanklich, so wie Amanda es sich gerade wünschte. Egal, die Ballons brachten Abwechslung in die ansonsten typische Glitzerwelt. Sogar The Vessel war beleuchtet, obwohl er geschlossen war. Zu viele Selbstmörder hatten sich in letzter Zeit von der sechsundvierzig Meter hohen Besucherattraktion in den Tod fallen lassen.
Amanda fand die Schließung schade. Sie mochte das Kunstwerk und war schon öfter die Wendeltreppe hochgestiegen, die etwa 2.500 Stufen und viele Terrassen umfasste. Das Kunstwerk erinnerte sie an eine Art Bienenstock. Die Sicht über den Hudson River auf die Skyline von Manhattan war dort oben einmalig. Einmal hatte sie sogar eine Verabredung auf einer der Terrassen gehabt, aus der sich eine kurzzeitige Beziehung entwickelte. Cliff und sie hatten ein Glas Sekt getrunken, sich unterhalten und den Sonnenuntergang beobachtet. Eigentlich war er ein netter Kerl gewesen, aber die Tatsache, dass sowohl er als auch Amanda geschäftlich ziemlich oft verreisen mussten, hatte sieauseinandergebracht. Das hätte eine Beziehung nicht mitgemacht. So ließen sie es nach wenigen Wochen bleiben. Seither war Amanda allein, und das schon eine ziemlich lange Zeit. Rund zwei Jahre. Traummann? Fehlanzeige!
Sie seufzte tief. In Wahrheit kam sie doch ziemlich gut allein klar.
Jetzt musste sie sich sputen, sonst tauchte sie zu spät zum Fotoshooting auf.
Beim Betreten der Mall musste sie schlucken. Natürlich funkelte es auch hier drinnen überall. Dass in weniger als drei Wochen Weihnachten war, konnte man nicht leugnen. Bunte Lichterketten waren in der ganzen Eingangshalle montiert, die übertrieben blinkten. Riesige Plüscheisbären saßen auf Watte und waren vor unechten Tannenbäumen, die mit Kunstschnee besprüht waren, platziert. Amanda mochte gar nicht genau hinsehen. Sie verzog sich zur Rolltreppe und fuhr damit in den ersten Stock.
Das Shooting sollte in einem Dessous-Geschäft stattfinden. Eine hübsche Ecke, etwas abgeschirmt vom restlichen Laden, war weihnachtlich gestaltet. Ein luxuriöses rotes Samtsofa und viele Goldelemente drumherum waren der Blickfang. Im Hintergrund standen drei Weihnachtsbäume, die über und über mit goldenem Schmuck behängt waren. Auf dem Boden war goldener Stoff in reichem Faltenwurf ausgelegt, der sich wellenartig formte. Als Hintergrundkulisse dienten neben den Bäumen noch Weihnachtssterne in verschiedenen Größen. Eine externe Firma war mit der Beleuchtung beauftragt worden. Die zwei muskelbepackten Kerle, die herumschwirrten, kannte sie sogar, da sie schon einige Male mit ihnen zusammengearbeitet hatte. Ryan und Mick hießen sie. Sie grüßten sich knapp und besprachen die wichtigsten Punkte des Tages.
Amanda warf einen Blick zur Seite. Eine Angestellte aus dem Laden »Sensual Secrets« stöckelte heran und schob eine riesige Kiste mit Accessoires herbei.
Einige Meter entfernt ertönte lautes Gelächter. Hinter einer Trennwand befanden sich die Umkleide und die Schminkecke für die Models, die Amanda heute fotografieren sollte.
»Miss Johnson?« Eine Frau mit energisch rauer Stimme trat soeben auf sie zu und musterte sie über ihre filigrane Brille hinweg.
»Äh … ja?« Die Erscheinung schüchterte sie ein. Ihr Gegenüber sah zwar mit den blonden Ringellocken, die ihr herzförmiges Gesicht einrahmten, fast wie eine Heilige aus, aber der Tonfall und die Mimik gehörten eher zu einem Teufel. Auch das giftgrüne enganliegende Kostüm passte eher in die Hölle als in den Himmel.
»Sie sind eine Minute zu spät!«, tadelte die Frau.
»Oh … tut mir echt leid«, stammelte Amanda und hatte Mühe, nicht loszulachen. Eine Minute! Das war doch albern. Aber mit dieser Dame war nicht zu spaßen.
»Ich bin Mrs. Kingston und somit für heute Ihr Boss! Nur dass wir die Fronten gleich geklärt haben. Meine Models tragen feinste Unterwäsche von Sensual Secrets und ich möchte, dass Sie Ihr Bestes geben und sowohl die Mädchen als auch die Produkte wie Goldschätze ablichten. Haben wir uns verstanden?« Ihr Gesichtsausdruck wurde drohend ernst.
»Natürlich.« Schnell nickte Amanda. Sie wollte hinzufügen, dass sie immer ihr Bestes gab, sie ließ es jedoch bleiben. Manchmal wünschte sie sich, ihr eigener Boss zu sein. Dann könnte sie sich aussuchen, welche Aufträge sie annahm und welche nicht.
Mrs. Kingston klatschte in die Hände. »Los, los! Ich bezahle Sie nicht fürs dumm Rumstehen!« Sie machte aufscheuchende Bewegungen.
Es war ohnehin besser, sich von dieser Frau zu entfernen. Sie verbreitete nicht unbedingt positive Vibes. Hoffentlich wuselte diese Lady während des Shootings nicht dauernd um sie herum. Das konnte Amanda gar nicht gebrauchen.
Wie auf Kommando ließen sich die Models blicken und steuerten auf die Weihnachtskulisse zu. Sofort blieben auch einige Kunden stehen und betrachteten das Spektakel. Amanda schluckte. Die Mädchen sahen so was von verdammt gut aus und ziemlich sexy. Ihre ewig langen Beine, die noch dazu in gefährlich hohen High Heels steckten, wirkten grazil und elegant. Dazu ein Hauch von Stoff, der ihre Weiblichkeit betonte.
Im Hintergrund ertönten Pfiffe. Amanda wunderte es nicht, denn sie selbst war von den Models ziemlich beeindruckt und zugegeben ein klein wenig neidisch auf den krassen Auftritt. Aber jetzt musste sie sich zusammenreißen. Volle Konzentration auf ihren Job. Wie immer.
Das Fotoshooting dauerte fast fünf Stunden. Danach war Amanda erschöpft. Wie gut, dass sie Feierabend hatte. Die Jungs der Beleuchtungsgruppe hatten zusammengeräumt und alles in ihren Wagen gepackt. „Bye, bis zum nächsten Mal!“, rief ihr Ryan zu. Mick wartete draußen auf ihn.
Mit ihrem Equipment um die Schulter machte sie sich auf den Weg. Im Eingangsbereich der Mall erspähte sie einen rundlichen Mann in Samtanzug mit Weihnachtsmütze und Rauschebart. Santa Claus! Auch das noch. Sie musste direkt an ihm vorbei. Hoffentlich sprach er sie nicht an. Kaum schlich sie sich an seinem Rücken vorbei, drehte er sich um.
»Halt, junge Dame! Wieso so eilig?«
Eigentlich wollte Amanda ihn ignorieren, aber ihre Füße stoppten automatisch.
Fragend blickte sie in das Gesicht des pausbackigen Mannes, der sie mit seinen blauen Augen über die halbrunde Brille hinweg musterte. Ein ganz heimeliges Gefühl durchrauschte sie.
»Ich bin zu groß, um an den Weihnachtsmann zu glauben.«
Er verzog den Mund zu einem gutmütigen Grinsen. »So? Das denkst du wirklich?«
»Ja!« Schließlich war sie keine fünf mehr.
»Wie du meinst, nicht wahr? Ich möchte dir einen Ratschlag mitgeben. Die Vergangenheit ruft nach dir. Hör auf dein Herz und fahr über Weihnachten nach Hause.«
»Auf gar keinen Fall!« Was redete dieser Santa da? Bestimmt erzählte er jedem so einen Mist. Ganz sicher würde sie nicht nach Vermont fahren.
»Doch, doch!« Ihr Gegenüber bedachte sie mit einem wissenden Lächeln, was Amanda gänzlich irritierte. »Du wirst in Vermont gebraucht.«
»W-was?« Dieser Santa konnte unmöglich wissen, woher sie stammte. Hatte sie vorhin laut gedacht? Oder konnte er Gedankenlesen? Jedenfalls wurde er Amanda unheimlich. Sie ließ den Santa stehen und hastete ohne einen Abschied aus der Mall. Sie hatte eine Wohnung in der Nähe ihres Büros gefunden. Das war überaus praktisch, da sie sich so eine lange Anfahrt sparte. Es waren nur wenige Quadratmeter, aber immerhin sparte sie Geld und Zeit. Bei der Fotoagentur verdiente sie nicht schlecht, jedoch waren die Mieten in New York horrend hoch. Manchmal vermisste sie ihre alte Wohnung im Anbau der Holly Hideaway Lodge in Vermont. Und ihren Vater. Und natürlich ihre Mutter, die auf dem Friedhof von Miracle Hill lag. Amanda seufzte traurig und wischte die Gedanken beiseite. Seltsam, dass sie um diese Jahreszeit immer ganz besonders wehmütig war, während alle anderen richtiggehend aufblühten und ihre gute Laune versprühten. Doch seit das Schicksal ihre Familie auseinandergerissen hatte, konnte sie an Weihnachten und Feiern nicht mehr denken. Ein schwerer Druck legte sich auf ihren Brustkorb und sie war froh, in Bewegung zu sein, damit dieser sich wieder löste.
Den Abend verbrachte sie mit einer Schachtel gebratenen Nudeln vom Chinesen ums Eck vor dem Fernseher. Die etwas trostlose Szene passte zu Amandas Gemütszustand.
Am nächsten Abend fand die Büro-Weihnachtsfeier statt. Tagsüber hatte Amanda nur ein kleines Fotoshooting. Sie hatte keine Lust auf ein Kinder-Weihnachtsmann-Gedudel, wo schreiende und rotzende Kinder herumliefen, die dem Weihnachtsmann ihre Wünsche mitteilen wollten. Das Weihnachtsthema belastete sie schon genug. Außerdem verwirrte sie die Santa-Claus-Begegnung.
Sie machte sich fertig und ging zum Central Park, wo ihr Auftrag stattfand. Ein Teil der Eisfläche war gesperrt, um die Eislaufgruppe eines Vereins in Szene zu setzen und abzulichten. Die Läufer drehten kunstvolle Pirouetten und vollführten Serien von schnellen, einbeinigen Drehungen. Twizzles, wurden diese Figuren genannt, erklärte ihr ihr Auftraggeber. Auch Hebefiguren im Paarlauf wurden dargeboten. Es war für Amanda ein Leichtes, gute Bilder zu schießen. Ruck zuck waren die Fotos im Kasten und Amanda holte sich an einem Stand einen Hot Dog mit viel Kraut und Zwiebel. Beim Essen schaute sie sich um. Die grüne Oase von New York war ziemlich schön und bot einiges an Aktivitäten. Von Joggen über Eislaufen und sogar Skifahren war vieles möglich, wenn die Wetterlage stimmte. Aktuell tat sie das jedenfalls nicht. Das bisschen Schnee, das bei dem kurzen Schneesturm letztens gefallen war, war zum Großteil geschmolzen. Nur an schattigen Stellen lag noch ein wenig davon. Gut so! Natürlich war dies alles kein Vergleich zu ihrem Heimatort in Vermont, wo im Winter ein regelrechtes Schneetreiben herrschte. Und die Leute waren in New York auch anders, unfreundlicher und viel extremer, was Kitsch anbelangte. Der wahre Wert von Familienzusammenhalt fehlte. Jeder war nur auf seinen eigenen Kram bedacht. Manchmal fragte sich Amanda, ob sie mit ihrer Flucht aus Miracle Hill das Richtige gemacht hatte. Aber meistens war sie mit ihrer Entscheidung zufrieden, sich in New York niedergelassen zu haben. Wer liebte diese Stadt denn nicht? Hier gab es Glanz, Glamour und Stars. Und Amanda hatte das Glück, dass sie viele davon traf, denn ihre Fotoagentur war in der Stadt bekannt und beliebt und wurde oft gebucht. Ja, sie hatte es richtig gut erwischt!
Ihr Handy vibrierte. Ein flüchtiger Blick auf das Display ließ sie erstarren. »Dad«, murmelte sie vor sich hin und steckte das Telefon schnell zurück in ihre Jackentasche. Für ihn hatte sie gerade keine Nerven. Bestimmt wollte er sie überzeugen, über die Feiertage nach Vermont zu kommen. Das würde sie ganz bestimmt nicht tun! Der Schmerz war zu groß. Viel eher dachte sie daran, einen Urlaub in der Karibik zu buchen. Bei der Restplatzbörse ergatterte man oft ziemlich gute Schnäppchen.