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Was wäre Weihnachten ohne die Liebe?
Als ihre Tante Ruby für längere Zeit in eine Reha-Klinik kommt, zieht Joy kurzerhand in das winterliche Dorf Crystal Falls, um auf der Farm der alten Dame die vielen Tiere zu versorgen. Dort trifft sie auf Ben, der Ruby jedes Jahr hilft, alles für die Adventszeit und das weihnachtliche Dorffest zu dekorieren. Die beiden bekommen sich unentwegt in die Haare - und Joy ist es gar nicht recht, dass sich dieser unwirsche Kerl ständig auf der Farm aufhält! Doch dann spürt sie, wie ihr Herz in Bens Gegenwart immer ein bisschen schneller schlägt ...
Eine weihnachtliche Liebesgeschichte für kalte Winterabende - so süß wie gebrannte Mandeln und so wärmend wie ein heißes Glas Winterpunsch.
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Seitenzahl: 492
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Über dieses Buch
Grußwort des Verlags
Titel
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Danksagung
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
Was wäre Weihnachten ohne die Liebe?
Als ihre Tante Ruby für längere Zeit in eine Reha-Klinik kommt, zieht Joy kurzerhand in das winterliche Dorf Crystal Falls, um auf der Farm der alten Dame die vielen Tiere zu versorgen. Dort trifft sie auf Ben, der Ruby jedes Jahr hilft, alles für die Adventszeit und das weihnachtliche Dorffest zu dekorieren. Die beiden bekommen sich unentwegt in die Haare – und Joy ist es gar nicht recht, dass sich dieser unwirsche Kerl ständig auf der Farm aufhält! Doch dann spürt sie, wie ihr Herz in Bens Gegenwart immer ein bisschen schneller schlägt ...
Eine weihnachtliche Liebesgeschichte für kalte Winterabende – so süß wie gebrannte Mandeln und so wärmend wie ein heißes Glas Winterpunsch.
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NANCY NAIGLE
Weihnachtsherzenim Schneegestöber
Aus dem Amerikanischenvon Ulrike Gerstner
Für meine Mutter, weil sie das beste Vorbild ist und mir ständig vermittelt, was wirklich wichtig ist an Weihnachten: nicht die Geschenke und das Spielzeug.Danke, Mom, für die jahrelangen Familientreffen, die selbst gebastelten Geschenke, die Traditionen und dafür, dass wir in dieser Zeit der Freude, der Hoffnung und der Liebe die Batterien wieder auffüllen konnten.
Frohe Weihnachten!
Wie ist es möglich, dass zwei so unglaublich kleine Kinder es schaffen, meine gut kontrollierte Fokusgruppe in Sekundenschnelle in Aufruhr zu versetzen?
»So, jetzt sind wir alle wieder still und beruhigen uns.«
Joy Holbrook hielt ihre Stimme gleichmäßig, aber ihr Magen war verknotet. Sie kam sich heute Morgen eher wie eine Lehrerin vor und nicht wie jemand, der in der Marktforschung arbeitete. Und die Tatsache, dass bei MacDonald-Webber jedem Job ein kitschiger Namen verpasst wurde, half der ganzen Sache auch nicht unbedingt. Ihre leitende Position in Sachen »Alles rund um Weihnachten« war mit »Rudolphs-Rotrock-Banden-Oberwichtel« benannt worden. Würde man das jemals in ihren Lebenslauf schreiben, wäre sie ziemlich aufgeschmissen.
Doch trotz der lächerlichen Bezeichnung war dieser Job ein Aufstieg und brachte deutlich mehr Geld ein als ihre vorherige Stelle bei dem spießigen, altmodischen Konkurrenten.
Aber abgesehen von dem albernen Titel ging es wie immer im Leben um Abstimmung, wobei diese Sitzung anfing, ganz oben auf der Liste der Herausforderungen zu stehen. Hoffentlich ihre letzte Abstimmung, wenn sie die Beförderung zur Leiterin der Fokusgruppen erhielt.
Das ungezogene kleine Mädchen drehte eine Pirouette und tippte mit ihrer pummeligen Hand auf den Kopf eines der anderen Kinder, als würde sie eine Schwanensee-Version von Der-Plumpsack-geht-um spielen. Ihr Bruder schnappte sich einen Schokoriegel vom Tisch und rannte damit so schnell durch den Raum, dass seine Turnschuhe auf dem Boden quietschten.
»Jetzt«, wies Joy an und richtete ihren Blick auf die beiden flachsblonden Terrorzwerge. »Bitte. Setzt euch.« Wenn der Wetterkanal wieder nach Namen für Tropenstürme suchte, hätte Joy zwei im Angebot.
Lola und Richard.
Auch bekannt als die Kinder der Chefin.
Lola verdrehte die Augen, als ihr Bruder über den Fußboden rutschte und sich dann mit einem dumpfen Knall auf einen der Stühle fallen ließ. Sie zögerte, aber schließlich folgte sie Richards Beispiel und setzte sich mit einem Schnauben hin.
Joys Inneres summte, als ob sich tausend wütende Bienen in ihr niedergelassen hätten. Sie leitete wichtige Fokusgruppen und nicht den Babysitterdienst des Unternehmens.
Wie konnte Margie mir das schon wieder antun? Atme. Lächle. Nur noch ein paar Fragen, und wir sind fertig.
Joy zog die letzten Punkte durch, ohne den Kindern auch nur eine Sekunde Zeit zu geben, vom Plan abzuweichen. Nachdem sie zum letzten Mal die erhobenen Hände gezählt hatte, war sie fertig.
»Das habt ihr super gemacht!« Sie applaudierte den Kindern, und diese stimmten fröhlich ein. »Danke, dass ihr heute mit mir geteilt habt.«
Joy hob den Deckel einer in Silberfolie eingewickelten Schachtel, die als Herzstück des Tisches gedient hatte, und enthüllte einen geheimen Vorrat an Schokoriegeln. Freudenschreie erfüllten den Raum, als die meisten Kinder in die Schachtel griffen. Es war wenig überraschend, dass Richard in beiden Händen Schokoriegel hielt und sich sogar einen weiteren in seine Tasche stopfte.
»Meine Mutter sagt, dass Schokoriegel dick machen«, piepste ein kleines rothaariges Mädchen.
Von allen Kindern am Tisch sah sie jedoch so aus, als hätte sie einen Schokoriegel am nötigsten. Das kleine Mädchen mit den erdbeerblonden Locken, die ihr, ähnlich wie bei Joy, wild in die Stirn fielen, war das artigste Kind in der Gruppe gewesen.
»Vielleicht möchte dein Daddy einen«, flüsterte Joy.
Die blauen Augen des Mädchens glänzten. »Danke!« Sie presste ihre Finger an die Lippen und überlegte offensichtlich, welchen sie wählen sollte.
Die meisten Kinder hatten ihre Leckereien bereits ausgepackt und vertilgten sie genüsslich.
Joy übertrug die letzten Daten in den Moderationsleitfaden und gab dann Renee ein Zeichen, die Kleinen zurück zu ihren Eltern zu bringen.
»Ihr könnt jetzt mit mir kommen«, sagte Renee von der Tür aus.
Stühle schabten über den gefliesten Fußboden, es klang wie eine verstimmte Tuba, gefolgt vom Knistern von Schokoriegelpapier, als die Kinder im Zuckerrausch zur Tür huschten.
Renee nickte mit dem Kopf in Richtung Lola und Richard. »Tut mir leid«, sagte sie zu Joy, als sie die Kinder aus dem Zimmer führte.
Joy schüttelte den Kopf. Die arme Renee. Ihr kastanienbraunes Haar, das normalerweise lang über ihren Rücken hing, hatte sie zu einem Knoten geschlungen, in dem ihr Bleistift steckte – ein Zeichen dafür, dass Renee gestresst war. O Mann, Joy wusste, wie sich das anfühlte.
Ihr Kiefer schmerzte, weil sie die Zähne so fest zusammengebissen hatte. Sie stapelte ihre Sachen und versuchte, nicht die Fassung zu verlieren, falls sich noch jemand im Beobachtungsraum aufhielt, wo ihr Team die Daten der Sitzung gesammelt hatte.
Ihr Blick auf das Doppelglas zeigte ihr das Spiegelbild einer professionell aussehenden Frau in Anzug und High Heels, aber unter dieser Maske aus Gelassenheit fühlte sie sich bereit, ihrer Chefin wegen eines weiteren Beinahe-Malheurs, das ihre Ergebnisse fast ruiniert hätte, zu verprügeln. War Margie wirklich so ahnungslos, oder hatte sie vor, sie zu sabotieren? Joy begann sich das wirklich zu fragen.
Wenige Augenblicke später stürmte Renee zurück in den Raum. »Ich habe versucht, Margie zu sagen, dass wir schon alle eingecheckt haben. Sie wollte einfach kein Nein hören.« Sie flüsterte diese Worte, während sie zur Spiegelwand blickte, dann holte sie eine Rolle Papiertücher und eine Sprühflasche aus einem Schrank neben dem Tisch. »Als ich mich nicht gerührt habe, hat sie sie einfach selbst mit in die Fokusgruppe genommen!«
Das Testen von Weihnachtsverpackungen für den landesweit führenden Süßwarenhersteller und einen der größten Kunden von MacDonald-Webber, war normalerweise schnell erledigt, aber das Team von Joy war auf ein paar Herausforderungen gestoßen. Nicht, weil es ein Problem mit den Verpackungen gab. Dieses Mal war es eher ein internes Problem. Ein Margie-Problem.
»Es ist nicht deine Schuld.« Joy drehte dem Spiegel den Rücken zu. »Ich weiß, wie aufdringlich Margie sein kann. Und ihre Kinder sind außer Kontrolle. Ich bin das einfach nicht gewohnt. An Tagen wie diesen bin ich froh, dass ich keine Kinder habe.« Sie zog eine Grimasse, als sie merkte, wie harsch das klang. »Nichts für ungut.«
»Schon okay. Meine Mädchen würden sich nie so aufführen. Zumindest nicht in der Öffentlichkeit.« Renee lachte. »Alle Kinder drehen ab und zu ein bisschen auf. Aber selbst in ihren schlimmsten Momenten sind sie das Beste, was einem im Leben passieren kann.«
»Ich werde mich wohl auf dein Wort verlassen müssen«, erwiderte Joy. Nachdem sie im letzten Jahr alle Marktforschungsanalysen von Rudolphs-Rotrock-Bande für die Zielgruppe der unter Zwölfjährigen geleitet hatte, konnte sie sich nicht vorstellen, sich für das Dasein als Mutter zu entscheiden.
Renee versprühte Putzmittel auf der Oberfläche des schokoladenverschmierten Tisches.
Der Geruch des Reinigers vertrieb den zuckrigen Duft in der Luft. Joy zog eine Armlänge Papiertücher von der Rolle. Mit dem ganzen Elan einer Rubbellos-Spielerin schrubbte Joy die letzten Überreste des harten Morgens weg.
»Wenigstens ist jetzt alles fertig. Komm, verschwinden wir von hier.« Joy schnappte sich ihre Unterlagen und ging zur Tür hinaus, Renee direkt hinter ihr.
Joy hielt so lange ihr Temperament im Zaum, bis sie und Renee in den Aufzug stiegen und die Türen sich schlossen. »Margie hat vielleicht Nerven.« Joy drückte die Unterlagen an ihre Brust. »Wenn sie letzte Woche nicht schon das Gleiche getan hätte, wären wir schon längst fertig gewesen. Was ist denn los mit ihr?«
»Sie hat einfach null Ahnung. Gerüchten zufolge ist sie die Schwägerin von einem der Webbers«, sagte Renee und lehnte sich gegen die Aufzugswand.
Wenigstens das würde einen Sinn ergeben.
»Ich habe versucht, ihr höflich zu erklären, dass sie die Forschung gefährdet, als es das letzte Mal passiert ist. Sie hat es entweder nicht verstanden, oder es war ihr schlichtweg egal. Ich bin mir nicht sicher, was schlimmer ist.« Joy würde sich nicht derart bei jedem auslassen, aber Renee und sie hatten sich im letzten Jahr angefreundet. »Wir haben jetzt endlich alle demografischen Aspekte für diesen Test abgedeckt. Wir liefern trotz Margies Einmischung pünktlich und im Rahmen des Budgets.«
»Ich hatte so Sorge, dass ihre Gören es ruinieren.«
Joy hatte diese Sorge geteilt. »Danach haben wir uns einen ausgiebigen Lunch verdient. Was sagst du dazu?«
»Ich bin so was von dabei.« Renee zog den Bleistift aus ihrem Haar und seufzte.
Die Aufzugtüren öffneten sich im elften Stockwerk. Von hier aus konnte man das Herz von D.C. sehen. MacDonald-Webber hatte Büros und Konferenzräume auf drei Etagen dieses Gebäudes, das sich im Geschäftsviertel der Hauptstadt befand. Als Joy die Sonic Group im schönen North Virginia verließ, um zu MacDonald-Webber zu gehen, war es für sie das Schwerste, ihr Büro mit der malerischen Aussicht aufzugeben.
Renee folgte Joy durch das Labyrinth aus mit Trennwänden abgeschirmten Arbeitsplätzen.
Joy legte ihre Dokumente auf den Schreibtisch in ihrer Kabine. Die Einkaufsliste für Weihnachten, die sie erst gestern während der Telefonkonferenzen angefangen hatte, war mit roten und grünen Weihnachtskritzeleien übersät. Sie riss die Liste vom Notizblock und zeigte sie Renee.
»Wenigstens sieht meine Weihnachtsliste festlich aus, auch wenn ich mich nicht so fühle«, sagte Joy. »Es sind nur noch ein paar Wochen bis Weihnachten, und ich habe noch nicht mal mit dem Einkaufen begonnen.«
»Berufsrisiko«, erwiderte Renee. »Man kann sich eingepackte Geschenke, neue Weihnachtsprodukte und Weihnachtsmänner, die in allen Farben des Regenbogens gekleidet sind, nur eine bestimmte Zeit lang ansehen, um in Feststimmung zu bleiben.«
Joy verstaute die Liste in ihrer Handtasche. Ihr Weihnachtsspirit schwächelte definitiv. »Seit fast sechzehn Monaten konzentriere ich mich im Dienste der Marktforschung auf diesen rot-grünen Feiertag.« Sie ließ sich in ihren Stuhl fallen und versuchte, die Nachwirkungen von Lolas und Richards überraschendem Erscheinen zu verdrängen. »Ungefähr sechs Monate zu lang, um bei Verstand zu bleiben«, schob sie mit einem Seufzer hinterher. »Wir sollten besser das Thema wechseln.«
»In Ordnung. Eine Freundin von mir hat gerade einen Job bei der Sonic Group angenommen. Hast du da nicht früher gearbeitet?«
»Ja. Fünf Jahre lang.« Joy vermisste immer noch ihr Büro mit dem Blick auf das üppige, grüne North Virginia.
»Ihr gefällt es richtig gut dort. Ihre Büroräume klingen fantastisch«, sagte Renee und zog die Augenbraue nach oben.
»Stimmt, aber sie bekommen nicht die hochkarätige Arbeit, wie wir hier. Es ist ein Kompromiss.« Hoffentlich ein guter.
Joy hatte die Vorstellungsgespräche für die neue Leitungsstelle bei MacDonald-Webber erfolgreich absolviert. Sie sah bereits die große rote Schleife an der Tür des freien Büros gegenüber – das mit dem Blick auf die Straße und dem Zugang zu einer eigenen Außenterrasse. Sie konnte es schon vor ihrem inneren Auge sehen ...
JOY HOLBROOK
Leiterin der Fokusgruppen
Ihr Name in Druckbuchstaben auf der Milchglastür. Und das Beste daran: Ihr Kalender wäre voll von Kampagnen, die sie managen würde, und nicht nur von Aufträgen, die auf die Feiertage ausgerichtet waren. Dann konnte sie auch das blöde »Rudolphs-Rotrock-Bande« von ihren Visitenkarten streichen. Das wäre in der Tat ein fröhliches Weihnachtsfest.
»Ich denke, wir müssen die Dinge nehmen, wie sie kommen. Richtige Wände wären allerdings schön«, warf Renee ein und lehnte sich an die Kante von Joys Schreibtisch.
»Klopf, klopf.« Margie Stokes' Stimme war schon unter normalen Umständen ein wenig zu laut, aber aus irgendeinem Grund ließ es Joy mit den Zähnen knirschen, wenn sie dieses gesangliche »Klopf, klopf« machte.
Joy und Renee tauschten kurz einen Blick aus.
»Was führt dich hierher?« Joy zwang sich zu einem Lächeln, um ihre Wut zu verbergen, bis sie einen höflichen Weg gefunden hatte, das leidige Thema anzusprechen, dass Margie ihre Kinder wieder in Joys Fokusgruppe abgesetzt hatte.
»Die kleine Fokusgruppe heute Morgen war im Nu vorbei. Richard und Lola hatten so viel Spaß. War es nicht ein perfekter Zufall, dass sie bei mir waren?«
Was für eine günstige Gelegenheit, was?!
»Na ja, Margie, eigentlich hatten wir die Teilnehmenden für diese Sitzung bereits rekrutiert. Es war durchaus ein kleines Problem.«
Über Margies Gesicht huschte ein Anflug von Verärgerung. »Was machen schon ein paar zusätzliche Meinungen? Das ist doch völlig in Ordnung.«
Joy biss sich auf die Zunge. Wenn sie jetzt loslegte, würde das niemandem helfen. Vielleicht war das Beste an der möglichen Beförderung gar nicht das Büro mit Aussicht, sondern die Tatsache, dass sie Margie nicht mehr unterstellt sein würde.
Margie zupfte an ihrer hellrosa Anzugjacke. Die an Chanel erinnernden Ketten und Perlen, die die Taschen schmückten, mochten an einem Mädchen in den Zwanzigern niedlich aussehen, aber an der mittelalten Margie wirkten sie wie ein gescheiterter Versuch, mit der jüngeren Generation mitzuhalten.
Margie fächerte eine Handvoll rot und grün glänzender Eintrittskarten auf. »Ich wusste, dass ihr die Weihnachtsaufführung von Richard und Lola übernächste Woche nicht verpassen wollt. Ich habe euch die besten Karten reserviert – direkt neben mir.«
Margie nahm solche Dinge fast wie ein Hai in Angriff. Sie schwamm leise heran. Sie lauert auf ihre Beute. Und da die Plätze direkt neben ihr waren, konnte man nicht einmal nicht auftauchen. Das Einzige, was Hai-Margie dabei fehlte, war die unheilvolle musikalische Untermalung.
Renee kniff die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Ich werde mal besser diese Berichte holen.«
»Aber willst du nicht ...?« Margie wirbelte herum und schob sich zwischen Renee und den Ausgang der Kabine.
»O nein. Ich habe familiäre Verpflichtungen. Um diese Jahreszeit ist immer so viel los«, erwiderte Renee und zwängte sich zwischen Margie und der Kabinenwand hindurch.
»Ich komme später wieder, Joy.«
Und da saß Joy nun. Gefangen.
»Meine Lola ist die Hauptdarstellerin.« Margie wedelte mit den Eintrittskarten herum, als ob sie den Eintritt zum National Symphony Orchestra im Kennedy Center berechtigen würden. Aber sie waren für die Weihnachtsaufführung ihrer Kinder, und Joy hatte null Interesse daran. Sie hatte heute Morgen genug von Margies anstrengenden Marotten erlebt, um ein ganzes Jahr damit zu füllen.
»Du musst so stolz sein.« Bilder von Richard, der wie ein zuckersüchtiger Rambo mit verschmierter Schokolade auf seinen Wangen herumrannte, flammten in Joys Kopf auf.
Margie plapperte weiter. »Ich musste die neue Lehrerin praktisch dazu zwingen, Lola die Hauptrolle zu geben. Um Himmels willen, diese Frau wollte sie als Baum mitmachen lassen. Kannst du dir das vorstellen? Meine Lola. Wie sie dort steht, in Sackleinen eingewickelt, als ein Holzstamm, der Filzblätter hält. Ganz sicher nicht, Ma'am.« Sie rollte mit den Augen und stieß einen Atemzug aus, der ihre vor Haarspray steifen Strähnen nach oben drückte, woraufhin sie völlig krumm und schief wieder zurückschnellten.
Margies irritierendes Augenrollen – ähnlich wie bei Lola – nagte an Joys geistiger Gesundheit.
»Es ist so viel los ...«
Margie verengte ihre Augen. »Es ist eine Spendensammelaktion.« Ihre Worte waren knapp, fast schroff, dann setzte Margie ein zu strahlendes Lächeln auf. »Es ist die richtige Jahreszeit dafür, du weißt schon. Ich trage dich ein, dass du zwei Tickets kaufen willst. Sie kosten nur hundert pro Stück. Ich wusste, ich kann mich auf dich verlassen.«
Ich Glückspilz. »Großartig.«
Joy bereute zutiefst, dass sie jemals so getan hatte, als sei sie von Margies Kindern beeindruckt, um eine gemeinsame Basis mit ihrer Chefin zu finden. Es war nicht so, dass Joy Kinder nicht mochte. Aber sie war ein Einzelkind und hatte wenig bis gar nichts über die »unter Zwölfjährigen« gewusst, bevor sie den gefürchteten Rudolphs-Rotrock-Bande-Auftrag bekommen hatte. Ihre Mom hatte immer gesagt, dass sich Lügen nie auszahlten, und Richard und Lola, die Joy den letzten Nerv raubten, gaben den Worten ihrer Mutter mehr als recht.
Margie zählte zwei Tickets ab, aber kurz bevor sie sie aushändigte, schnippte sie mit den Fingern. »Das hätte ich fast vergessen. Du musst mich bei meinem Meeting bei Wetherton's heute Nachmittag vertreten.«
Joys Kehle wurde trocken. »Bei Wetherton's? Mit der Geschäftsleitung?«
Letztes Jahr hatte sie die Santa @ W-Veranstaltung geleitet und war nur zu einem einzigen Treffen im Flagshipstore eingeladen worden. Dies war eine große Sache – ihre Chance, vor dem größten Kunden von MacDonald-Webber zu glänzen. Hoffnung erfüllte ihr hämmerndes Herz.
»Ja. Nur ein kurzes Update. Nichts Ausgefallenes. Ich kann nicht mitkommen, ich muss Lola zur Probe bringen.«
Vielleicht macht Karma das Debakel von heute Morgen wieder gut.
»Natürlich springe ich gerne für dich ein. Um wie viel Uhr?«
»Du musst dich beeilen. Sie wollten mich um ein Uhr dort sehen.« Sie drehte ihr Handgelenk und sah auf ihre Uhr. »Ich wollte es vorhin schon erwähnen.«
Joy hätte mit der Energie, die sie gerade durchströmte, wahrscheinlich mit einem einzigen Satz dorthin gelangen können.
Ist es möglich, dass das eine Art Test ist, ehe die endgültige Entscheidung über die Beförderung getroffen wird?
»Ich kümmere mich darum. Ich habe alles hier vorliegen.«
»Großartig. Ich wusste, dass du es hinkriegst.« Margie reichte Joy die Tickets.
Der Kauf der Eintrittskarten war jetzt etwas leichter zu ertragen. »Ich würde es um nichts in der Welt verpassen wollen.«
Noch eine Lüge. Was wohl die Strafe für diese Lüge sein wird?
Ben Andrews parkte seinen dunkelblauen Allrad-Pick-up vor Mars Hardware in der Main Street. Aus den benachbarten Geschäften ertönten Weihnachtslieder in einem unregelmäßigen, aber hübschen Rhythmus, wenn die Kunden die Türen öffneten und wieder schlossen. Dem geschäftigen Treiben nach zu urteilen, boomte das Geschäft in Crystal Falls.
Ben schlug die Heckklappe seines Trucks auf und holte die Gerüstleiter von der Ladefläche. Er hievte sie sich über die Schulter und nahm sich die Zeit, das Schaufenster von Mars Hardware zu betrachten, das gestern noch leer gewesen war.
Jason, der Besitzer des Eisenwarenladens, war heute Morgen schon tüchtig gewesen. Es bot sich eine winterliche Szene dar, mit einem Schneemann aus Zwanzig-Liter-Farbeimern und blauen Zapfhähnen als Augen, der die behandschuhte Hand eines Schneekindes hielt, das aus Farbdosen mit einem umgedrehten roten Eimer als Hut gebastelt worden war. Frau Schneemann stand neben einem Weihnachtsbaum, als würde sie ihn schmücken, während sie den Jungs beim Spielen in der verschneiten Umgebung zusah.
Der Baum war derselbe, den Jason im letzten Jahr gestaltet hatte: Aus handgeschmiedeten Muttern, Schrauben und allerlei glänzendem Schnickschnack hatte er vierundzwanzig Girlanden – jede um die eins achtzig lang – aus Eisenwaren gebastelt, die zu einem metallisch glänzenden Baum drapiert waren. Eine riesige Schleife aus Trockenbauklebeband, die chromfarben besprüht war, zierte die Spitze.
Ben rückte näher an die Scheibe heran und versuchte herauszufinden, womit Jason den verschneiten Untergrund unter dem Schneemann hergestellt hatte.
Ist das Popcorn? Okay, kein essbares Popcorn. Deckenspray zum Auffrischen von alten Spritzputz-Decken. Genial. Es sieht wirklich wie Schnee aus, und wahrscheinlich braucht man nicht mal zwei Tüten, um das ganze Fenster vollzukriegen. Und das für gerade mal zwanzig Dollar.
Es war zwar nicht ganz so originell wie Jasons Halloween-Ausstellung. Damals hatte er eine Reihe von verschiedenen Besenarten an Draht aufgehängt und mit dem Schriftzug »Von Hexenhand empfohlen« versehen. Der Schriftzug wiederum bestand aus einer Reihe von Nägeln und Stiften, die in ein Stück langes Stück Holz gehämmert waren. Aber die Winterszene war trotzdem ziemlich cool.
Die Glocken an der Haustür bimmelten, als Ben eintrat.
Jason schob sich sein langes Haar hinters Ohr und nickte Ben zu, während er einem alten Mann mit Elmer-Fudd-Ohrenklappenhut einen Schlüssel fräste. »Hey, bin gleich bei dir.«
»Lass dir Zeit.«
Ben lief auf den Tresen zu, während die Leiter bei jedem Schritt gegen den Fußboden klapperte. Jason und er waren nicht verwandt, aber es gab eine Zeit, in der die beiden so viel zusammen unternommen hatten, dass die Leute dachten, die beiden großen, dunkelhaarigen, blauäugigen Jungs seien Brüder.
Ben atmete den vertrauten Geruch von Düngersäcken ein, die vom Sommer übrig geblieben waren. Zusammen mit dem öligen Metallgeruch der Schlüsselfräsmaschine und dem harzigen Duft von frisch geschnittenem Holz betörte dieser Geruch seine Sinne. Dieser Eisenwarenladen weckte immer erfreuliche Erinnerungen.
Jason und er hatten als Teenager hier hart gearbeitet und Fähigkeiten erlernt, die man in der Schule einfach nicht beigebracht bekam.
»Gute Arbeit mit dem Schaufenster«, sagte Ben.
»Danke. Bist du denn schon mit dem Dekorieren fertig?« Jason setzte eine durchsichtige Schutzbrille ab und fertigte die letzten Schnitte bei dem Schlüssel.
»Im Krankenhaus? Ja, so ziemlich. Bei mir zu Hause habe ich noch nicht angefangen, dafür brauche ich dieses Teil dann aber auch nicht.« Ben schob die Leiter zurück an die Stelle, von wo Jason sie gestern entnommen hatte, und schlenderte zum Tresen hinüber. Nachdem der Kunde mit seinen Schlüsseln gegangen war, sagte Ben: »Aber die Leiter hat beim Aufstellen des Baumes im Krankenhaus wunderbar funktioniert. Danke.«
»Kein Problem.«
»Die Mädchen hatten eine Strategie ausgetüftelt, bei dem eines auf der Leiter stand und Lichterketten aufhängte, während das andere sie um den Baum legte. Das hat eine Menge Zeit gespart. Dann haben sie den Vorgang mit dem Eimer voller Schmuck wiederholt. Ich muss zugeben, es sah so aus, als hätten sie Spaß dabei. Ich war ein bisschen neidisch.«
»Na ja, es gibt bestimmt sehr viel Schlimmeres, was man von Leuten verlangen kann, als Weihnachtsdekoration aufzuhängen. Das ist doch allemal besser als Schreibtischarbeit.«
»Stimmt. Sie waren so schnell mit dem Baum fertig, dass wir auch noch den frischen Kiefernkranz aufstellen konnten. Danke, dass du das mit deinem Rabatt bestellt hast. Die Lobby riecht jetzt großartig.«
Jason kassierte einen weiteren Kunden ab und lehnte sich dann auf den Tresen. »Kein Problem. Ich konnte dieses Jahr zwar nicht helfen, aber ich bin froh, dich wenigstens mit dem Material zu unterstützen. Diese Gerüstleiter waren die besten zwanzig Dollar, die ich je auf einer Auktion ausgegeben habe.«
Jason und er, die seit der Junior High befreundet waren, hatten mit den älteren Männern von Mars Hardware schon oft die Farm- und Geräteauktionen besucht. Ben hatte erst nicht ganz verstanden, wie solche Auktionen liefen. Einmal hatte er einen Stapel Eichen-Schnittholz gekauft. Er hatte sich Splitter in beiden Händen zugezogen und dank der hohen Luftfeuchtigkeit, die in North Carolina herrschte, ordentlich geschwitzt beim Transport. Doch das hatte ihm eine harte Lektion über das richtige Verhalten auf einer Auktion erteilt.
Im Gegensatz zu Bens Vater, der sein ganzes Leben lang mit Zahlenkolonnen zu tun hatte und kein großer Naturbursche war, war Jasons Vater Landwirt, und seinem Großvater gehörte dieser Eisenwarenladen. Sie hatten Ben wie einen Sohn behandelt und ihm alle handwerklichen Fähigkeiten beigebracht, die er besaß.
»Brauchst du noch Hilfe, um das Krankenhauses an diesem Wochenende weiter zu dekorieren?«
Ben schüttelte den Kopf. »Nein. Ist alles weitergegeben worden. Die Jungs von der Feuerwache Neun haben sich bereit erklärt, die Gebäudebeleuchtung mit dem neuen Leiterwagen aufzuhängen. Mom hat Folienspenden besorgt, um alle Türen in der Kinderstation einzupacken. Ihre Freunde vom Seniorenkreis werden das am Montag erledigen. Und Ashley leitet in diesem Jahr die Jury des Carolina's Best Flour Extreme Gingerbread Bake-offs.« Das war der alljährliche Backwettbewerb, in dem das extravaganteste Pfefferkuchenhaus gekürt wurde.
»Ich habe heute Morgen den Artikel im Crystal Falls Courier gesehen, in dem alle Teilnehmer angekündigt wurden. Ich wette, deine Mutter hat sich gefreut, dass du dieses Jahr nicht in der Jury sitzt, damit du ihr wieder beim Backen unter die Arme greifen kannst.«
»Ja, das letzte Mal, als ich ihr dabei geholfen habe, hat sie gewonnen.«
»Das war ja auch wenig überraschend. Diese abgefahrene Lebkuchenvilla mit dem Weihnachtsmann und seinen Rentieren, die über die dreistöckigen Häuser fliegen, war einfach umwerfend. Ich werde nie vergessen, wie du aufgetaucht bist, um eine neue Bohrmaschine und Dübel zu kaufen, weil du einen Kuchen backen wolltest. Ich wollte dir schon deine Mitgliedskarte für den Echte-Männer-Club abnehmen.«
»Das war ein cooler Kuchen. Warte, bis du das diesjährige Kunstwerk siehst. Ich habe letzten Monat bei einem Nachlassverkauf einen alten Plattenspieler gefunden und will das Teil für unsere Einreichung verwenden. Mit einer Zeitschaltuhr. Zur vollen Stunde, jede Stunde. Wie die Fütterungszeit im Zoo.«
»Du bist verrückt, aber ich habe keinen Zweifel, dass es etwas Großartiges wird. Ich komme mit den Kindern. Dann können wir es uns angucken und ich meine Stimme für dich abgeben«, erwiderte Jason.
»Versprich mir deine Stimme nicht, bis du nicht alles gesehen hast. Das Thema ist ›Weihnachten auf dem Land‹. Es könnte das beste Jahr bisher werden.«
Jason zuckte mit den Schultern. »Ich frage mich ehrlich, woher du die Zeit nimmst.«
»Single zu sein, schadet dabei nicht.« Jason hatte alle Hände voll zu tun mit einer Frau und den drei Kindern unter sechs Jahren. Andererseits wäre es auch nicht schlecht, ab und zu jemanden zu haben, der ihm auch zur Hand ginge. Wenn die Kinder älter waren, würde Ben derjenige sein, der sich wünschte, er hätte all diese kleinen praktischen Helfer. »Ich habe beinah Angst, es zuzugeben, aber mein Leben läuft erstaunlich glatt.«
»Sag das nicht zu laut. Das bringt Unglück, und am Ende stürzt alles zusammen und geht in Flammen auf.«
Ben klopfte vorsichtshalber dreimal auf die massive Holztheke. »Okay, ich nehme es zurück.«
»Bringst du dieses Wochenende die Lichter an deinem Haus an?«
»Da könnte ich tatsächlich Hilfe gebrauchen. Dafür braucht es zwei Personen, das ist sicher.«
Bens historisches dreistöckiges Haus wies filigrane Zierelemente auf, die er über zwei Jahre lang repariert und wofür er sogar neue Teile nachgebaut hatte, um den Originalen zu entsprechen. Sein Haus war einst als eines der prunkvollsten Häuser in drei Countys bekannt gewesen. Eines Tages würde es wieder in seinem alten Glanz erstrahlen. Leider hatte das Haus den größten Teil seines Charmes verloren, als es jahrelang leer stand und dem Verfall anheimgegeben war.
»Es dauert den ganzen Tag, um so viele Lichter anzubringen. Das ist eine Menge Arbeit, dafür, dass dieses schillernde Schauspiel nur weniger als einen Monat leuchten darf.«
»Na ja, aber du hast das recht, damit zu prahlen.«
»Okay, das auch.« Den ganzen Monat über Familien vorbeifahren zu sehen und zu wissen, dass die Kinder sich mit großen Augen ehrfürchtig an die Fensterscheiben des Autos pressten, war die Mühe auf jeden Fall wert. »Ich beschwere mich nicht wirklich. Du weißt, wie sehr ich Weihnachten liebe.«
»Mehr als jeder andere, den ich kenne. Wenn wir früh anfangen, können wir vielleicht morgen schon komplett damit fertig werden, und dann kannst du mir am Sonntag helfen, das Haus der alten Lady Watson trockenzulegen.«
»Klar doch.«
Ben hatte fast vergessen, dass die arme Witwe im letzten Monat beim Braten von Hähnchen versehentlich die Hälfte ihrer Küche abgebrannt hatte. Sie konnte sich die Reparatur nicht leisten, und so hatten sich die Bewohner zusammengetan, um das Geld für das Material aufzubringen. Jason und Ben hatten ihre Arbeit umsonst angeboten, um ihr Haus noch vor Weihnachten wieder in Schuss zu bringen.
»Wenn wir am Sonntag um sieben anfangen, können wir fertig sein, bevor Football anfängt. Ich habe ein paar Leute, die am Montag zum Ausfugen kommen können«, sagte Jason.
»Als ob du an einem Wochenende um sieben Uhr aufstehen würdest. Wem willst du was vormachen? Aber die Panthers spielen gegen die Steelers. Dann lass uns doch am besten die Sachen in meinen Truck packen, wenn ich schon mal hier bin. Auf diese Weise kann ich garantieren, dass wenigstens einer von uns früh aufsteht.«
»Willst du irgendwas andeuten?«
»Dein früh und mein früh liegen in zwei verschiedenen Zeitzonen.« Ben folgte Jason in den hinteren Teil des Ladens. Jason hatte bereits eine Schubkarre voll mit Waren für das Watson-Projekt vorbereitet.
»Ich bin nun mal eine Nachteule. Deshalb mache ich den Laden halb zehn auf und nicht schon um sieben, wie Gramps es früher getan hat«, erklärte Jason. »Ich mache halt später auf, wenn mehr Leute Zeit haben, vorbeizukommen.« Er hob einen Finger an seine Schläfe. »Man muss heutzutage smarter arbeiten.«
»Oder du willst einfach nicht früh aufstehen.«
»Stimmt. Vor allem, als Gramps nicht mehr reinkam und ich nicht in der Lage war, ihn zu ersetzen. Es scheint, dass ich jedes Jahr neue Wege finden muss, um mit weniger mehr zu erreichen.«
»Wem sagst du das? Mein Personal im Krankenhaus hat sich im Vergleich zum letzten Jahr halbiert. Ich meine, das hat schon Sinn – die Verwaltung ist in einem Krankenhaus nicht annähernd so wichtig –, aber es war keinesfalls einfach. Ich dachte, wir könnten viele Dinge auch mithilfe von Freiwilligen erledigen, aber jeder ist überall ausgelastet. Es ist eine ständige Herausforderung.«
»Wenigstens hast du einen Weg gefunden, das Krankenhaus hier in Crystal Falls zu erhalten. So wie sie dort eine Zeit lang geredet haben, hatte ich schon Angst, dass sie es für immer schließen würden. Sechzig Meilen zu fahren, nur um genäht zu werden, wäre echt zu verrückt gewesen.«
»Darüber habe ich mir auch Sorgen gemacht.« Ben spürte noch immer die Nachwirkungen dieser Tortur. Es war keine leichte Aufgabe gewesen, einen Weg zu finden, um die Dinge für alle Beteiligten zu regeln.
»Andererseits, wenn das passiert wäre, könnten wir beide jetzt zusammen Häuser renovieren und verkaufen und hätten drei Monate Urlaub im Jahr.«
Bevor Jason vor fünf Jahren den Eisenwarenladen seines Großvaters geerbt hatte, hatten er und Ben in ihrer Freizeit ein halbes Dutzend Häuser neu hergerichtet. Jeder von ihnen hatte genug Geld verdient, um Häuser zu kaufen und sie selbst zu renovieren, und das mit kaum einer Hypothek.
Diese Zeiten waren vorbei. Dad hatte darauf bestanden, dass Ben aufs College ging, und da er das Zahlentalent seines Dads geerbt hatte, war ihm der Abschluss in Finanz- und Rechnungswesen quasi zugeflogen. Dann war er zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit dem richtigen Abschluss, als die Stelle in der Buchhaltung am Bridgewater Regional Hospital frei wurde. Er nahm den Job an und stieg schnell auf.
Jason schob die Karre vor den Laden, ein Rad wackelte und klapperte dabei wie ein alter Güterzug. Ben hielt die Eingangstür auf und half Jason dann, einen Luftkompressor, Bohrer, Kisten mit Trockenbauschrauben, ein Paar Stützen für Trockenbauwände und andere Materialien in das Heck seines Trucks zu laden.
Ben kletterte in seinen Wagen und lenkte ihn dann vom Bordstein weg. In der kurzen Zeit, in der er im Laden gewesen war, hatte der Friseurladen bereits den blauen Streifen seiner sich drehenden Friseurstange in Rot und Grün gehüllt, und im Schaufenster funkelte ein Weihnachtsbaum mit Scheren und silbernen Kämmen, die von den Ästen hingen.
Die Hebebühne der Stadt war am Straßenrand geparkt. Zwei Männer mit Schutzhelmen und orangefarbenen Sicherheitswesten befestigten eine Flagge mit »Merry Christmas« an einem Laternenpfahl. Zwischen zwei anderen Masten entlang der Straße spannten sich beleuchtete Schneeflocken. Wenn in Crystal Falls jemals so große Schneeflocken fielen, würde die Stadt sicher unpassierbar sein. Aber das war heute nicht zu erwarten, denn mit fünfzehn Grad war es für die Jahreszeit ungewöhnlich warm.
Diese Stadt hatte eine Art, Dinge aufzubauschen. Selbst der Name der Stadt war eine Übertreibung, denn die »Wasserfälle« waren nicht mehr als schlichte Stromschnellen am Fluss.
Da es der erste Donnerstag im Dezember war, war es nicht verwunderlich, dass alle Händler auf dem fünf Blocks umfassenden Stadtplatz damit beschäftigt waren, für Weihnachten zu schmücken. Es handelte sich vielleicht um kein offizielles Gesetz, aber eines, an das sich jeder hielt. Es machte Ben nichts aus, allen bei der Durchführung zu helfen, schließlich war Weihnachten sein Lieblingsfest.
In dem Jahr, als er an Heiligabend einen der Heiligen Drei Könige in der Kirche gespielt hatte, war er nachts mit dem glockenklaren Geräusch von Hufen auf dem Dach belohnt worden. Er hatte im Bett gelegen und sich nicht getraut, die Augen zu öffnen, obwohl er sich sehnlichst gewünscht hatte, Santa selbst zu sehen.
Selbst jetzt spürte er noch die Aufregung, die er als Junge in jener Nacht empfunden hatte. Er hatte so still wie möglich dagelegen und gehofft, dass Santa nicht merkte, dass er wach war, und sein Herz klopfte so schnell und heftig, dass er sicher war, dass der fröhliche alte Mann es bemerken würde.
Jahre später hatte sein Dad die Leiter gehalten, während Ben auf das Dach kletterte und mit einem Wanderschuh über die Dachrinne stapfte, um den Nachbarskindern eine magische Nacht zu bescheren. Denn ihr eigener Vater war beim Militär und in ein Land geschickt worden, von dem sie noch nie gehört hatten.
Wenn man eines über Crystal Falls sagen konnte, dann, dass Traditionen eine große Bedeutung hatten. Ein Einheimischer konnte das Datum anhand der Aktivitäten und Veranstaltungen erraten. Jeder Feiertag im Jahr war klar definiert. Keine Überschneidungen. Ganz im Gegenteil. Halloween würde nicht mit Thanksgiving kollidieren, und es würde gewiss kein einziger roter oder grüner Fleck auftauchen, bis am ersten Dezember alle Überbleibsel der anderen Feste entsorgt waren.
Nur ein Mal hatte jemand mit dieser Tradition gebrochen. Ein neuer Händler. Vor zwei Jahren. Doch die Einheimischen hatten ihn schnell eines Besseren belehrt. Natürlich auf nette Weise, indem sie ihm halfen, die Dekoration abzubauen, aber auch, sie im Dezember wieder aufzustellen.
Altmodisch? Vielleicht. Aber die Traditionen waren es, die Crystal Falls zu etwas Besonderem machten. Ben hatte nie daran gezweifelt, dass er eines Tages in dieser Stadt leben und seine Familie gründen würde.
Joy warf die Eintrittskarten für Margies Kinderweihnachtsaufführung auf ihren Schreibtisch. Zweihundert waren ein kleiner Preis, wenn es dabei half, ihren Traumjob zu bekommen. Abgesehen von Margie war MacDonald-Webber ein großartiger Arbeitsplatz, und Joy mochte es, für all jene Daten verantwortlich zu sein, die es ihr ermöglichten, Markt- und Verkaufstrends zu verfolgen und vorherzusagen.
Ein aufgeregtes Kribbeln durchströmte sie, als sie ihre Sachen zusammensuchte. Sie konnte es kaum erwarten, heute Nachmittag bei Wetherton's ein Update zu geben. Es stimmte zwar, dass diese Firmenbosse sich nicht die Bohne für Korrelationskoeffizienten und andere Statistiken interessierten, aber ihnen gefiel es sehr, wenn Joy die Bedeutung all dessen in einfaches Englisch übersetzte. Und das wiederum zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht.
Mit ihrer neu angepassten Einstellung konzentrierte sie sich auf ihren Kunden. Wetherton's verdiente ihr Bestes, und sie würden ihr Bestes bekommen.
Joy hatte die neuesten Statistiken ihres Projektplans zusammen mit ihrem Laptop in ihrer Ledertasche verstaut und war bereit zu gehen, als Renee ihren Kopf in Joys Kabine steckte.
»Ah, die Luft ist rein«, sagte Renee.
»Leider hast du nichts dazu beigetragen«, sagte Joy in einem neckenden Ton.
»Bereit für den ausgiebigen Lunch?« Renee rückte ihre Handtasche zurecht.
»Es gibt eine Planänderung.«
Renee ließ die Schultern hängen.
»Es ist nur ein kleiner Umweg. Erster Halt, Wetherton's, um Margie bei einem Meeting zu vertreten.«
Renees Gesicht hellte sich auf. »Das ist ja großartig!«
»Ich weiß.« Joy tätschelte ihre Tasche. Diese Art von Last-Minute-Gelegenheit war genau der Grund, warum sie so versessen darauf war, dass alle Daten und Analysen immer in berichtsfertigem Zustand waren. »Außerdem sind die Änderungen an meinem Kleid für die Gala fertig. Ich kann es abholen, während ich dort bin. Das Timing hätte wirklich nicht perfekter sein können.«
Renee richtete sich zu ihren vollen eins siebzig – in flachen Schuhen – auf. »Du hast ein Kleid bei Wetherton's gekauft und es mir nicht erzählt?«
Joy bedauerte fast, es erwähnt zu haben. »Ich hoffe, das Weihnachtsgeld reicht dafür. Das ist mein Geschenk an mich selbst. Das Treffen sollte nicht lange dauern. Dann können wir zu Mittag essen, wie wir es geplant hatten.«
»Bitte sag mir, dass wir Zeit haben, Kleider anzuprobieren, während wir dort sind.«
Joy stand auf, sie fühlte sich immer klein neben Renee, selbst auf ihren hohen Absätzen. »Du wirst genug Zeit haben, während ich in dem Meeting bin.«
»Perfekt. Wenn ich nur etwas von dort mitnehmen könnte. Bei Wetherton's ist sogar der reine Schaufensterbummel ein Genuss. Das möchte ich auf keinen Fall verpassen«, erklärte Renee.
»Dann lass uns gehen«, sagte Joy. »Wenn ich mit der Geschäftsleitung fertig bin, treffe ich dich im vierten Stock.«
Joy hielt mit ihrem roten Prius direkt am Bordstein, um Renee vor dem Haupteingang von Wetherton's abzusetzen. Die imposante Kalksteinarchitektur des achtstöckigen Gebäudes stand seit den 1940er-Jahren an dieser stark befahrenen Ecke und bildete immer noch einen beeindruckenden Kontrast zu den modernen Gebäuden in der Umgebung. »Ich treffe dich, sobald ich fertig bin.«
»Nimm dir so viel Zeit, wie du willst. Ich bin sowieso im Himmel.« Renee stieg aus dem Auto aus und ging hinein.
Joy lenkte ihren Wagen zur Ostseite des Gebäudes. Sie benutzte ihren Kurzzeitparkausweis, zog ihn an der Schranke durch und parkte dann in der Nähe des privaten Aufzugs zum Verwaltungsbereich des Gebäudes.
Es gab nicht mehr viele eigenständige Geschäfte dieser Größe, aber Wetherton's war auch nicht irgendein Geschäft. Es warb mit einem Einkaufserlebnis der Spitzenklasse und lieferte das auch. Vom Pförtner über die Aufzugsassistenten bis hin zu den hoch qualifizierten Verkäufern, die jeden Kunden mit Namen begrüßten, wenn er schon einmal dort eingekauft hatte, bot Wetherton's ein einmaliges Erlebnis.
Joy fuhr mit dem Aufzug nach oben und trat dann durch die verzierten Holzflügeltüren in die Chefetage. Die opulente Umgebung von Wetherton's Flagship Store verursachte bei ihr immer eine Gänsehaut. Es war, als würde man in eine andere Zeit eintauchen, und der Termin heute war mehr als wichtig für Joy.
Weihnachtslieder erfüllten die Luft, und ein geschmückter Baum mit einem Engel auf der Spitze füllte eine ganze Ecke des Wartebereichs. Wetherton's war stolz auf die Dekoration in allen seinen Geschäften. Kein noch so großer Druck von außen hatte die Weihnachtstraditionen verändert.
Poppy Wethertons Einfluss, ganz sicher.
Nachdem Poppy die Leitung von ihrem Vater, dem Gründer des Unternehmens, übernommen hatte, hatte sich unter ihrer Führung das gehobene Einzelhandelsgeschäft schon bald als der beste Ort zum Einkaufen etabliert. Es war Poppy egal, ob sie jemanden mit ihren Überzeugungen oder Traditionen vor den Kopf stieß. Und dass sie sich nicht entschuldigte, schien das Ganze irgendwie akzeptabler zu machen. Joy bewunderte die furchtlose Geschäftsfrau für ihre enormen Leistungen.
Joy rieb sich die Hände und versuchte, etwas von ihrer nervösen Energie abzubauen. Sie hatte schon Hunderte Male solche Vorträge gehalten, aber nun stand sie vor den Besten der Besten bei Wetherton's. Termine mit Kundenkontakt wie dieser waren ihre Chance, zu glänzen. Sie hatte hart gearbeitet, damit dieses Projekt perfekt war. Ihr Herz raste, wenn sie nur an die Möglichkeit dachte, Poppy Wetherton etwas zu präsentieren.
Der Vizepräsident für Marketing empfing Joy an der Rezeption und begleitete sie zum Besprechungsraum. Er war um die eins achtzig groß, und seine selbst im Dezember gebräunte Haut zeugte von Wochenenden, die er mit anderen Dingen verbrachte, als über einen Laptop zu kauern. Wahrscheinlich Segeln oder irgendein anderer luxuriöser Zeitvertreib.
Joy sehnte den Tag herbei, an dem sie eine Position innehaben würde, die ihr ein wenig mehr Ausgewogenheit zwischen Arbeit und Privatleben bieten würde, aber im Moment konzentrierte sie sich nur auf ihre Karriere.
Der Marketing-Vizepräsident öffnete die Tür zum Konferenzraum und hielt sie ihr auf. Sie setzten sich, und er kam gleich zur Sache. »Unsere zweite jährliche Veranstaltung ›Santa at W‹ ist bereits seit über einem Monat ausverkauft. Dank der Erkenntnisse, die wir aus Marktforschung gewonnen haben, die MacDonald-Webber im letzten Jahr durchgeführt hat, sind wir für einen noch größeren Erfolg in diesem Jahr gerüstet. Joy Holbrook ist hier, um uns ein Update zu geben.«
Joy beobachtete die Gesichter der anwesenden Führungsetage und holte tief Luft, als sie Blickkontakt mit der zierlichen Frau aufnahm, die am Kopfende des Tisches saß. Poppy Wetherton. »Danke.« Joy ignorierte ihren schlingernden Magen und stürzte sich auf die Daten. All die flatternden Schmetterlinge begannen sich zu beruhigen, als sie die nächsten wichtigen Meilensteine des Plans skizzierte. »Mein Team hat die Anrufe abgeschlossen, um die richtige repräsentative Stichprobe für unsere Post-Event-Fokusgruppe zu finden.«
Sie warf einen Blick auf Poppy Wetherton. Deren hochgestecktes weißes Haar mochte an jedem anderen streng aussehen, aber sie wirkte trotz ihres Alters jugendlich und lebendig. Niemand schien genau zu wissen, wie alt Poppy war, und selbst wenn sie so nahe bei der Frau stand, konnte Joy es nicht mit Sicherheit sagen.
»Die Großzügigkeit von Miss Wetherton hat es uns dieses Jahr sicherlich leichter gemacht. Es ist eine schwierige Zeit für die Rekrutierung, aber die Eltern waren hocherfreut über die Möglichkeit, den exklusiven Rabatt von zwanzig Prozent zu erhalten, wenn ihre Kinder an der Studie teilnehmen.«
Poppy nickte Joy zu.
Joy hielt inne, nicht um des Effekts willen, obwohl es sicherlich so aussah, sondern weil ein Nicken von Poppy wie ein Sturmwind unter Joys Flügeln war. Dies könnte der beste Tag meiner Karriere sein.
Joy fuhr mit dem Update fort und nahm mit jeder Person im Raum Augenkontakt auf. Das hier. Das ist es, was ich tun möchte: Einfluss nehmen auf große Unternehmen und mit führenden Persönlichkeiten interagieren. Ich will nicht vor Kindern mit Schokoriegeln herumwedeln.
»Wir haben die Fragen überarbeitet und werden uns bemühen, die Sitzung der Fokusgruppe von Anfang bis Ende auf maximal fünfzehn Minuten zu beschränken. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Daten etwas unzuverlässig werden, wenn sie länger als zweiundzwanzig Minuten dauert, weil wir dann die Aufmerksamkeit der Kinder verlieren. Wir beschaffen die Informationen, die Sie brauchen, und machen es gleichzeitig zu einer unterhaltsamen und spannenden Veranstaltung für Ihre Kunden.«
»Vielleicht sollten wir versuchen, unsere Mitarbeiterbesprechungen auf zweiundzwanzig Minuten zu beschränken«, scherzte der Marketing-Vize.
Höfliches Gelächter erfüllte den Raum.
Die Führungsetage schien mit dem Lagebericht zufrieden zu sein, und diejenigen, die im letzten Jahr nicht dabei gewesen waren, warteten gespannt, wie sich die Veranstaltung entwickeln würde.
In der Hoffnung, dass sie ihre Präsentation gut hinbekommen hatte, schüttelte Joy dem Team die Hand und ging dann zur Tür.
»Joy?«, ergriff Poppy Wetherton das Wort und hob ihr Kinn.
»Ja, Ma'am.« Joys Magen sank. Vielleicht habe ich es nicht ordentlich genug gemacht. Warum sollte Poppy mich zur Seite rufen? Sie ging eine mentale Checkliste durch und hoffte, dass sie kein wichtiges Detail vergessen hatte. »Was kann ich für Sie tun?«
»Darf ich Sie einen Moment sprechen?«
Joys Hände zitterten. »Ja, Ma'am.« Sie ergriff ihre Tasche, um sich daran festzuhalten. »Natürlich.« Sie folgte Poppy an den Rand des Konferenzraums, während die anderen hinausströmten.
»Ich habe Sie beobachtet.« Poppy legte ihren Kopf leicht schief. »Sie haben bei unserer Veranstaltung ›Santa at W‹ im letzten Jahr hervorragende Arbeit geleistet, und ich bewundere Ihr Engagement für dieses Projekt. Ich bin sehr beeindruckt von dem, was Sie im letzten Jahr für uns getan haben. Ihre Ideen und Innovationen haben mein Team dazu gebracht, noch härter zu arbeiten. Sie haben alle meine Erwartungen übertroffen, um die diesjährige Veranstaltung noch besser zu machen. Das gefällt mir.«
Kam da noch ein »Aber«? Joy schwieg für zwei Sekunden, aber nein. Sie ist beeindruckt!
»Vielen Dank.« Joy hoffte, dass die Worte tatsächlich herauskamen. Sie war so überwältigt von dem Kompliment, dass sie den Blick abwandte, um sich zu vergewissern, dass sie sich wirklich noch in Wethertons Besprechungsraum befand. Das passiert gerade wirklich.
Poppy hielt ihr einen gold glänzenden Umschlag mit einem silbernen W darauf hin. »Von mir, aber öffnen Sie ihn nicht vor Weihnachten.« Die alte Frau zwinkerte ihr verschmitzt zu.
Joy zögerte, denn sie war besorgt über die strengen Richtlinien, die es den Mitarbeitern von MacDonald-Webber untersagten, Geschenke von Kunden anzunehmen. Trotzdem wollte sie unbedingt wissen, was in dem Umschlag war. »Was ist –«
»Ich weiß, was Sie denken. Aber nein. Das ist nichts Geschäftliches. Es ist etwas Persönliches. Sagen Sie einfach danke, Liebes.«
»Danke.« Wäre es jemand anderes gewesen, hätte Joy sich verpflichtet gefühlt, abzulehnen. Aber das hier war Poppy Wetherton! Und wie sie selbst gesagt hatte, war es etwas Persönliches. Selbst die Aufnahme in die Weihnachtskartenliste von jemandem wie Poppy war schon ein Geschenk für sich.
»Gut. Und jetzt bringen Sie weiterhin Energie und Ideen in mein Team.« Poppy legte sanft eine Hand auf Joys Arm. »Wenn Sie jemals eine Stelle hier bei Wetherton's haben wollen, kommen Sie zu mir, und reden Sie persönlich mit mir.«
Poppys Vertrauensbeweis war besser als alles, was in dem hübschen Umschlag stand, den Joy gerade in ihre Tasche gesteckt hatte. Sie versuchte, den Kloß in ihrem Hals runterzuschlucken. »Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viel mir das bedeutet, wenn es von Ihnen kommt.«
»Sie erinnern mich an mich selbst vor etwa hundert Jahren.« Poppy lächelte und ging sicheren Schritts davon, auf Absätzen, die höher waren als die von Joy.
Anstatt den Aufzug zu nehmen, machte sich Joy auf den Weg zur Treppe. Eine aufgekratzte Sekunde lang wünschte sie sich, sie wäre mutig genug, ihren Hintern auf das glänzende Messinggeländer zu setzen und mit einem Schrei hinunterzurutschen. Sie war so aufgeregt!
Sobald sie aus dem Treppenhaus in den Laden trat, ertönte die Melodie von »Silver Bells«. Die Version von Bing Crosby war immer Moms Lieblingslied gewesen. Ein überwältigendes Gefühl von Stolz, gemischt mit Nostalgie, erfüllte Joy.
Sie blinzelte Tränen zurück, als sie durch die Regale mit den edelsteinfarbenen Kleidern zu einem schönen weißen Schreibtisch ging, der eine Antiquität aus der Jahrhundertwende zu sein schien und bis auf die einfache Registrierkasse, die nur wenig Platz einnahm, leer war. Wie aus dem Nichts tauchte eine Verkäuferin auf. »Wie kann ich Ihnen heute helfen?«
»Ich bin hier, um mein Kleid anzuprobieren«, sagte Joy. »Der Nachname ist Holbrook.«
Ohne in einem Protokoll nachzuschauen, antwortete die hochgewachsene, modelmäßige Platinblondine. »Ja, Ma'am. Wir haben es für Sie zur Anprobe bereit. Hier entlang.«
Joy folgte ihr. »Oh, und ich treffe mich mit einer Kollegin. Ihr Name ist Renee. Wenn sie nach mir sucht, würden Sie ihr sagen, wo sie mich finden kann?«
»Sie ist gerade in der Kamee-Umkleidekabine und probiert ein paar Kleider an.«
Die Verkäuferin führte Joy durch den geräumigen Salon, der mit gepolsterten Sofas ausgestattet war, auf denen die Ws von Wetherton weiß-auf-weiß eingewebt waren und die von silbernen Beistelltischen flankiert wurden. Champagnerkübel waren wie Skulpturen im Raum verteilt.
»Champagner?«, fragte die Mitarbeiterin.
Fast hätte Joy abgelehnt. Es war zwar erst kurz nach Mittag, aber heute war ein guter Tag zum Feiern, also antwortete sie mit einem einfachen »Danke«.
Mit einer Kristallflöte Champagner in der Hand wurde Joy in die Fleur-de-Lis-Umkleidekabine geführt, wo ihr Kleid auf einem glitzernden Bügel hing, der aussah, als sei er mit Swarovski-Kristallen besetzt. Ihr Herz klopfte wie an dem Tag, als sie das Kleid zum ersten Mal gesehen hatte.
Sie hatte sich vor einem Meeting die Zeit vertrieben und war durch Wetherton's geschlendert, ohne Absicht, etwas zu kaufen, als sie das smaragdgrüne Kleid erblickte. Die Farbe war satt, der Schnitt elegant und schlicht. Und als sie es heute wiedersah, überkam sie das gleiche ehrfürchtige Gefühl, als wäre es das schönste Kleid, das ihr je untergekommen war.
Joy stieg aus ihren Schuhen, dann aus ihrem tiefblauen Hosenanzug und drapierte die Hose über einen gepolsterten Bügel. Sie kratzte mit ihrem manikürten Nagel über einen Fleck auf der Hüfte ihrer Hose. Ist das etwa Schokolade? Sie trat näher an den Spiegel. Gott sei Dank war da nichts in ihrem Gesicht. Wie vielen Leuten in der Besprechung ist denn wohl aufgefallen, dass ich einen Fleck auf meiner Hose hatte?
Aber selbst wenn es jemand bemerkt hätte, hatte es die wichtigste Person im Raum dennoch nicht davon abgehalten, ihr ein Kompliment zu machen. Ein Hauch von Aufregung durchfuhr sie erneut, als Poppys Worte in ihrem Kopf wieder aufploppten. Dann drehte sie sich von der Hose weg und musterte bewundernd das Kleid, das dort hing.
Joy griff nach dem exquisiten Stoff. Das luftige Material glitt zwischen ihren Fingern hindurch, leicht wie Schnee. Und die durchscheinenden Perlen glimmerten unter dem hellen Licht der Umkleidekabine. Es kam nicht oft vor, dass sie sich etwas so Gewagtes gönnte, aber bei diesem Kleid hatte sie nicht widerstehen können.
Die Schuhe, die sie dazu gekauft hatte, waren ordentlich auf dem Boden unter dem Kleid aufgestellt. Riemchensandalen, die aussahen, als wären sie passend zu ihrem Kleid angefertigt worden. Sie waren ebenso bequem wie auch teuer.
Joy schlüpfte behutsam in das Kleid und zog den Reißverschluss zu. Ihr Herz tanzte, als sie sich im Spiegel betrachtete. Der schlichte Ausschnitt des Kleides enthüllte nichts, war aber dennoch auf eine raffinierte Weise verführerisch.
Ein vorsichtiges Klopfen ertönte an der Tür. »Wie geht es uns hier?«
»Sie können gern reinkommen.«
Die Verkäuferin trat ein und half Joy, den Reißverschluss am Rücken zu schließen. »Wunderschön. Die Farbe betont Ihre grünen Augen. Nicht jeder kann diese Grünnuance tragen.« Sie verband den kleinen Haken am oberen Ende des Reißverschlusses mit der Öse und zupfte dann an ein paar Stellen. »Es sitzt sehr schön. Wie finden Sie es?«
Joy strich mit den Fingern über den Stoff. Sie hatte sich Sorgen gemacht, dass zu viel hastig vertilgtes Junkfood zum Lunch seit der Anprobe vor zwei Wochen sich bemerkbar gemacht haben könnte. »Noch hübscher als in meiner Erinnerung.«
Sie drehte sich um und betrachtete sich in den schräg gehängten Spiegeln an der Wand. »Ich finde es ganz zauberhaft, dass das Oberteil so edel verziert ist.« Sie hob das Rockteil an, das weich fiel. »Und der Rest ist so angenehm unaufdringlich.«
Die Verkäuferin trat aus der Umkleidekabine und winkte Joy zu sich. »Kommen Sie raus.«
Joy trat in den Hauptsalon hinaus. Renee stand auf einem Podest in der Mitte des Raumes in einem kurzen, schimmernden schwarzen Kleid, das ihre nicht enden wollenden Beine zur Schau stellte.
Renees Gesichtsausdruck im Spiegel ließ Joy erröten.
»Du siehst atemberaubend aus«, sagte Renee, drehte sich um und sah sie an. »Ich glaube, ich muss zurückgehen und mir noch etwas Ähnliches suchen.« Sie stieg von der Plattform herunter und wirkte ein wenig ernüchtert. »Du siehst wunderschön und klug und gewandt aus. Und selbst wenn du von Kopf bis Fuß verhüllt bist, bist du sexy.«
»Sei nicht albern, dein Kleid steht dir großartig«, sagte Joy. »Du siehst toll aus. Ich könnte so was nie tragen.«
»Wir haben einfach unterschiedliche Stile, aber dein Kleid ist perfekt für die Gala. Ich bin so froh, dass du dieses Jahr gehen darfst.«
Joy konnte es kaum erwarten, an der Weihnachtsgala von MacDonald-Webber teilzunehmen, zu der alte, neue und potenzielle Kunden eingeladen waren. Die Veranstaltung hatte einen so guten Ruf, dass sie oft das Zünglein an der Waage war, das beeindruckende Unternehmen dazu veranlasste, MacDonald-Webber der Konkurrenz vorzuziehen.
»In diesem Jahr habe ich den Zeitplan für die Forschungsgruppen festgelegt und dafür gesorgt, dass er nicht mit der Gala kollidiert«, erklärte Joy. »Letztes Jahr habe ich Daten von Dutzenden zuckerberauschten Kindern gesammelt, die auf Santa gewartet haben. Währenddessen haben alle anderen einen superschicken Abend verbracht und fröhlich mit Kunden gefeiert. Das war echt ein mieser Deal.«
»Ich erinnere mich.« Renee schüttelte den Kopf. »Ich war so froh, dass mein Job bei dir erst in der folgenden Woche anfing. Wenn ich die Gala hätte verpassen müssen, wäre ich am Boden zerstört gewesen. Das ist einer der größten Vorteile, bei uns zu arbeiten.«
Joy zwirbelte eine lose Haarsträhne, die ihr über die Schulter gefallen war. Renees Kleiderauswahl – so kurz und eher kokett – gab Joy das Gefühl, fast overdressed zu sein. »Glaubst du, dass dieses Kleid zu schick für die Gala ist?«
»Nein. Es ist elegant und feminin«, erwiderte Renee. »Das bist absolut du.«
Joy erkannte sich im Spiegel kaum wieder. »Das Mieder erinnert mich an meinen Lieblingsweihnachtsschmuck, als ich ein Kind war.« Deswegen hat es mich überhaupt erst zu diesem Kleid hingezogen. »Es war so eine zarte Glaskugel mit fein geschliffenen Details, die je nach Blickwinkel die Farbe gewechselt haben – von Türkis zu tiefem Smaragdgrün.« Der Stoff fühlte sich seidig auf ihrer Haut an. »Genau wie das hier.«
»Das klingt schön«, sagte Renee. »Wir hatten immer einen Mottobaum. Der wurde mit jeder Menge Bänder geschmückt, immer in einer Farbe. Ich durfte nie mithelfen. Weihnachten war für meine Mutter immer nur eine weitere Geschäftsparty.«
»Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das ist, beim Baumschmücken nicht zu helfen. Als ich ein Kind war, war das fast so spannend wie der Weihnachtsmorgen selbst. Ich bin allerdings überzeugt, dass euer Weihnachtsbaum trotzdem sehr hübsch war.«
»Ja, er war auf eine Gucken-aber-nicht-anfassen-Weise perfekt, man hätte ihn locker in einer Zeitschrift abbilden können. Glaub mir. Das war kein Spaß.«
»Unser Baum war im Vergleich dazu wahrscheinlich ein heilloses Durcheinander, aber wir haben ihn gerne gemeinsam geschmückt. Mom liebte die Feiertage.« Joys Kehle fühlte sich trocken an. Sie vermisste ihre Mutter mehr als alles andere.
»Mit ihr zusammen den richtigen Platz für diese besondere Kugel am Weihnachtsbaum auszusuchen ist eine meiner schönsten Erinnerungen.« Joy war sich nicht sicher, was nach dem Tod ihrer Mutter mit all den Kisten voller Familienschmuck passiert war, aber es war auch egal. Seitdem hatte sie sich nicht mehr die Mühe gemacht, einen Baum zu holen. Weihnachten ohne Mom war einfach nicht dasselbe.
Die Verkäuferin schenkte Joy und Renee noch mehr Champagner nach.
»Nimmst du Todd mit zur Gala?«, erkundigte sich Renee.
»Todd?« Joy war überrascht, seinen Namen zu hören. »Nein, er gehört mittlerweile eher in die Kategorie ›Ex-Freund‹. Wenn es denn überhaupt so etwas wie eine Beziehung gewesen wäre.«
»Du hast ihn zwar schon lange nicht mehr erwähnt, aber ich wusste nicht, dass es zwischen euch aus ist. Tut mir leid.«
»Nein, ist schon okay. Das hat nie wirklich irgendwohin geführt. Er ist noch mehr mit seiner Arbeit verheiratet als ich. Wer hätte gedacht, dass das möglich ist?«
Aber sie würde lügen, wenn sie behauptete, dass sie ihre gemeinsamen zehnminütigen Plaudereien spätnachts nicht vermisste. Sich jemandem – ach, verflixt, irgendjemandem – verbunden zu fühlen, bedeutete ihr mehr, als ihr bewusst war. Aber wenn Joy ihre Ziele bis zu ihrem dreißigsten Geburtstag nächstes Jahr erreichen wollte, musste ihr Job oberste Priorität haben.
»Es ist schwierig, etwas zu beenden, wenn es nie richtig angefangen hat.«
»Er schien sowieso nie wirklich dein Typ zu sein. Er war immer so aalglatt.« Renee trank ihr Glas Champagner aus.
»Warum hast du nichts gesagt?«
»Das hätte ich getan, wenn ich bemerkt hätte, dass es dir ernster mit ihm wird. Aber ich dachte mir schon, du würdest hinter die Fassade schauen. Wie auch immer, das ist jetzt nicht wichtig. Sag schon! Wie ist das Meeting gelaufen?«
»Unglaublich.«
»Ich wusste es, und wenn du zur Leiterin befördert wirst, kann Margie ihre Kinder nicht mehr bei dir abliefern.« Renee verdrehte die Augen. »Und wenn du dein neues Team zusammenstellst, denk bitte daran, dass ich mit dieser Verrückten weiter zusammenarbeiten muss.« Renee presste die Hände aneinander. »Das würdest du mir doch nicht antun, oder?«
»Du meinst, so wie du mich vorhin zurückgelassen hast, als Margie mir die Tickets für die Weihnachtsaufführung ihrer Kinder aufgedrängt hat?«
Renee hob die Hand zum Mund. »Ich habe dich echt hängen lassen. Aber ich musste es tun. Ich konnte auf keinen Fall zulassen, dass sie mir ein schlechtes Gewissen macht, damit ich Karten kaufe. Außerdem bin ich nicht so nett wie du. Ich wäre gefeuert worden, weil ich sie wegen der Sache mit ihren Kindern angemotzt hätte.«
»Hat mich zweihundert Dollar gekostet«, sagte Joy.
»Mit der Gehaltserhöhung, die mit der Beförderung einhergeht, holst du das wieder raus.«
»Diese Beförderung ist noch nicht sicher.«
»Alle sagen, dass du die beste Kandidatin bist. Ich glaube, das Vorstellungsgespräch war reine Formalität.« Renee stellte ihr leeres Glas auf einen Beistelltisch in der Nähe.
»Ich hoffe, dass du recht hast. Ich drück die Daumen. Okay, aber ich ziehe mich besser um, damit wir wieder an die Arbeit gehen können. Es ist jetzt nicht die Zeit, um nachlässig zu wirken.« Joy ging in die Fleur-de-Lis-Kabine, um sich umzuziehen.
Zurück in ihrer Geschäftskleidung, schaute sich Renee eine Auslage mit Schals in Weihnachtsmustern an, während Joy ihre Änderungsrechnung beglich.
Joys Telefon klingelte. Sie warf einen Blick auf die unbekannte Nummer und stellte den eingehenden Anruf schnell auf stumm, während sie den Kassenbon unterschrieb. Gerade als Joy die durchsichtige Plastiktüte mit den Kleidern von der Verkäuferin entgegennahm, ertönte wieder die Melodie, die einen Anruf signalisierte. »Da ist jemand aber hartnäckig. Ich gehe da besser ran. Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
»Gern geschehen, Ms Holbrook.«
Joy nahm den Anruf entgegen.
»Joy, Liebes, hier ist die Freundin deiner Tante Ruby. Shirley.«
Joys Gedanken rasten, als sie sich hundert schreckliche Situationen ausmalte. »Ja. Ist alles in Ordnung?« Joy drückte das Kleid eng an sich.
»Ruby ist gestürzt und hat sich den Fuß gebrochen. Ihr Knöchel ... nun, ich weiß nicht genau, was es ist, aber es hört sich nicht gut an. Sie haben deine Tante gerade operiert. Ich dachte, ich rufe besser an und sage dir Bescheid.« Shirleys Worte waren hastig und leise. Joy stellte sich vor, wie die ältere Dame im Wartezimmer des Krankenhauses telefonierte.
Als die Neuigkeit vollständig bei ihr angekommen war, fühlte sich Joys Körper schwach an. Sie ging hinüber zu einer gepolsterten Bank und setzte sich.
»Ist alles in Ordnung?«, flüsterte Renee mit besorgtem Blick.
Joy hielt einen Finger hoch. »Weiß man, wie sie gefallen ist? War es ein Unfall, oder hat sie aus irgendeinem Grund das Gleichgewicht verloren?«
»Ich kann es nicht genau sagen. Ruby war ziemlich durcheinander und nicht ganz bei sich. Ich bin mir nicht ganz sicher, was passiert ist oder wie lange sie schon verletzt da draußen lag, als ich sie fand. Sie sagte, ich solle dich nicht stören, aber ...«
Joy schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin froh, dass du nicht auf sie gehört hast und mich angerufen hast, um mir Bescheid zu sagen. In welchem Krankenhaus ist sie?« Als sie die Antwort gehört hatte, beendete Sie den Anruf und stand einfach nur da. Es war ihr fast unmöglich zu atmen. »Es geht um meine Tante.«
»Ruby?«
Joy presste das Handy an ihre Brust. »Sie haben sie mit dem Krankenwagen ins Bridgewater Regional Hospital in Crystal Falls gebracht.«
»Ist es etwas Ernstes?« Renee trat näher heran.
»Das hätte ich zuerst nicht gedacht. Sie hat sich den Knöchel gebrochen, aber man operiert sie sofort. Das ist doch immer etwas Ernstes, oder? Besonders für jemanden, der siebzig ist.«
Die Ereignisse an diesem Tag hatten ihre Gefühle wie ein Pendel hin- und hergeschwungen – von schrecklich zu wunderbar. Sie hatte sich wie eine Prinzessin gefühlt, und nun drohte Unheil. Wenn jemals das Risiko eines Herzinfarkts für sie bestanden hätte, dann hätte der heutige Tag sie mit Sicherheit umgebracht.