Weihnachtszauber in Hopewell & Das Weihnachtswunder von Pleasant Sands - Nancy Naigle - E-Book
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Weihnachtszauber in Hopewell & Das Weihnachtswunder von Pleasant Sands E-Book

Nancy Naigle

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Beschreibung

Weihnachten, Winter und die Liebe - Zwei Weihnachtsromane in einem ebook!

WEIHNACHTSZAUBER IN HOPEWELL

Zusammen mit ihrer kleinen Tochter RayAnne kehrt Sydney während der Weihnachtszeit in ihre beschauliche Heimatstadt Hopewell zurück, um dort neu anzufangen. Sie ziehen in das alte Farmhaus, das einst Sydneys Großeltern gehörte, und die junge Mutter findet bald darauf einen Job in ihrem ehemaligen Lieblingsbuchladen.

Mac, Geschichtslehrer und Baseball Coach an der örtlichen Highschool, liebt den Weihnachtszauber und wünscht, sein Sohn täte dies auch. Als er Sydney kennenlernt, entwickelt sich langsam eine Freundschaft zwischen ihnen, und er will alles dafür tun, dass sie und RayAnne ein wunderbares Weihnachtsfest haben. Doch ausgerechnet dann sorgt Sydneys Exmann für Chaos. RayAnne läuft daraufhin weg - und gefährdet so die zarten Bande, die sich zwischen Sydney und Mac entwickelt haben.

DAS WEIHNACHTSWUNDER VON PLEASANT SANDS

Angela Carson führt in dritter Generation den kleinen Weihnachtsladen "Heart of Christmas" in der beschaulichen Kleinstadt Pleasant Sands. Doch kurz vor Weihnachten wird ihre Welt auf den Kopf gestellt: Der attraktive Geoff Paisley eröffnet dort eine Filiale seiner großen Ladenkette "Christmas Galore". Angelas Laden droht das Aus. In ihrer Not wendet sie sich in der "Dear Santa"-App direkt an den Weihnachtsmann und hofft auf ein kleines Weihnachtswunder - nicht wissend, dass sich hinter "Santa" Geoff verbirgt ...

Geoff Paisley hat seiner kranken Mutter versprochen, alle "Dear Santa"-Briefe an ihrer Stelle zu beantworten. Angelas Briefe berühren ihn tief - wie kann er von den Briefen der Frau, die ihm im echten Leben den letzten Nerv raubt, nur so fasziniert sein? Werden die Beiden ihren Kleinkrieg begraben und die Magie von Weihnachten auch in ihr Herz lassen?

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.

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Seitenzahl: 941

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Nancy Naigle
Weihnachtszauber in Hopewell & Das Weihnachtswunder von Pleasant Sands

Digitale Erstausgabe - Sammelband

beHEARTBEAT in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 - 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Covergestaltung: Tanja Østlyngen unter Verwendung von Motiven © smcfeeters/shutterstock; © pikselstock/shutterstock; Andrew Mayovskyy/shutterstock; © Romanova Ekaterina/shutterstock; © Nomad_Soul/shutterstock.com; Cara-Foto/shutterstock.com; smileus/shutterstock.com; zuzha/shutterstock.com; Africa Studio/shutterstock.com; Twin Design/shutterstock.com; © Lorenz Timm/shutterstock.com; Loradora/shutterstock.com; anatolypareev/shutterstock.com; yingko/shutterstock.com; Albert Pego/shutterstock.com; James Kirkikis/shutterstock.com; Bogdan Sonjachnyj/shutterstock.com; debra millet/shutterstock.com

ISBN 978-3-7517-5971-7

Über die Autorin

Die USA-Today-Bestsellerautorin Nancy Naigle schreibt Kleinstadt-Liebesgeschichten mit ganz viel Herz. Sie lebt in North Carolina und verbringt ihre Freizeit mit dem Schreiben von romantischen Liebesromanen, dem Sammeln von Antiquitäten und macht hin und wieder gerne auch mal einen Wellnesstag.

Über das Buch

Weihnachten, Winter und die Liebe - Zwei Weihnachtsromane in einem ebook!

WEIHNACHTSZAUBER IN HOPEWELL

Zusammen mit ihrer kleinen Tochter RayAnne kehrt Sydney während der Weihnachtszeit in ihre beschauliche Heimatstadt Hopewell zurück, um dort neu anzufangen. Sie ziehen in das alte Farmhaus, das einst Sydneys Großeltern gehörte, und die junge Mutter findet bald darauf einen Job in ihrem ehemaligen Lieblingsbuchladen.

Mac, Geschichtslehrer und Baseball Coach an der örtlichen Highschool, liebt den Weihnachtszauber und wünscht, sein Sohn täte dies auch. Als er Sydney kennenlernt, entwickelt sich langsam eine Freundschaft zwischen ihnen, und er will alles dafür tun, dass sie und RayAnne ein wunderbares Weihnachtsfest haben. Doch ausgerechnet dann sorgt Sydneys Exmann für Chaos. RayAnne läuft daraufhin weg - und gefährdet so die zarten Bande, die sich zwischen Sydney und Mac entwickelt haben.

DAS WEIHNACHTSWUNDER VON PLEASANT SANDS

Angela Carson führt in dritter Generation den kleinen Weihnachtsladen "Heart of Christmas" in der beschaulichen Kleinstadt Pleasant Sands. Doch kurz vor Weihnachten wird ihre Welt auf den Kopf gestellt: Der attraktive Geoff Paisley eröffnet dort eine Filiale seiner großen Ladenkette "Christmas Galore". Angelas Laden droht das Aus. In ihrer Not wendet sie sich in der "Dear Santa"-App direkt an den Weihnachtsmann und hofft auf ein kleines Weihnachtswunder - nicht wissend, dass sich hinter "Santa" Geoff verbirgt ...

Geoff Paisley hat seiner kranken Mutter versprochen, alle "Dear Santa"-Briefe an ihrer Stelle zu beantworten. Angelas Briefe berühren ihn tief - wie kann er von den Briefen der Frau, die ihm im echten Leben den letzten Nerv raubt, nur so fasziniert sein? Werden die Beiden ihren Kleinkrieg begraben und die Magie von Weihnachten auch in ihr Herz lassen?

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Weihnachtszauber in Hopewell & Das Weihnachtswunder von Pleasant Sands

Cover

Titel

Impressum

Über die Autorin

Über das Buch

Inhalt

Weihnachtszauber in Hopewell

Cover

Titel

Widmung

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Kapitel einundzwanzig

Kapitel zweiundzwanzig

Kapitel dreiundzwanzig

Kapitel vierundzwanzig

Danksagung

Das Weihnachtswunder von Pleasent Sands

Cover

Weitere Titel der Autorin

Titel

Motto

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Kapitel einundzwanzig

Kapitel zweiundzwanzig

Kapitel dreiundzwanzig

Kapitel vierundzwanzig

Kapitel fünfundzwanzig

Kapitel sechsundzwanzig

Kapitel siebenundzwanzig

Kapitel achtundzwanzig

Kapitel neunundzwanzig

Kapitel dreißig

Kapitel einunddreißig

Kapitel zweiunddreißig

Kapitel dreiunddreißig

Kapitel vierunddreißig

Kapitel fünfunddreißig

Epilog

Danksagung

Guide

Start Reading

Contents

NANCY NAIGLE

Weihnachtszauber in Hopewell

Aus dem Amerikanischen von Michael Krug

Pam Murray gewidmet, für ihre Ermutigung und Unterstützung im Lauf der Jahre

Kapitel eins

S ydney Ragsdale lenkte den Wagen in die Haltebucht vor der Grundschule und drehte sich mit einem aufmunternden Lächeln zu ihrer Tochter um. »Hab einen tollen Tag, RayAnne.«

»Es ist ein Schultag, Ma.«

Das Augenverdrehen war neu. Angefangen hatte es vergangene Woche, als sie hergezogen waren. Sydney hoffte, es würde so schnell wieder verschwinden, wie es eingesetzt hatte. Auch wenn sie das als ärgerlich empfand, das schwere Seufzen ihrer Tochter versetzte ihr einen Stich ins Herz. Die Scheidung war für sie beide hart gewesen.

Sydneys Großeltern hatten ihr nach ihrem Tod das alte Farmhaus in Hopewell hinterlassen, einen Ort voll glücklicher Erinnerungen. Und beim Umzug hatte er sich wie ein Rettungsboot in einem aufgewühlten Meer angefühlt. Ein Neuanfang für RayAnne und sie.

Leider fand ihre Tochter die Idee, aus Atlanta ins winzige Nest Hopewell in North Carolina zu ziehen – noch dazu Ende November, nachdem das Schuljahr bereits begonnen hatte –, schlimmer als die Scheidung selbst.

Aber der Umzug war ein notwendiger Schritt für Sydneys Selbstschutz gewesen. Es war nicht einfach, ein Leben neu aufzubauen, wenn man den Großteil davon verheiratet gewesen war. Sie hatte gebetet, die Übersiedelung nach Hopewell würde zu einem großen Mutter-Tochter-Abenteuer für sie beide werden. Bisher jedoch traf das überhaupt nicht zu.

Der Umgang mit einer trotzigen Zehnjährigen erwies sich als schwierig. Da war es sogar einfacher gewesen, einen anständigen Job zu finden. Sydney hatte die Hoffnung darauf schon fast aufgegeben, als der Anruf von Peabody’s ganze drei Monate nach ihrem Bewerbungsgespräch gekommen war. Die Chancen hatten von Anfang an schlecht gestanden, aber die Marketing-Agentur war vom alten Farmhaus aus schnell zu erreichen, deshalb hatte Sydney sich um die Stelle bemüht. Das Jobangebot an sich war ein Segen, nur hätte es zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können. Die Schule hatte bereits begonnen, und die Feiertage standen beinahe vor der Tür.

Sydney beobachtete, wie sich ihre Tochter schwerfällig zur Grundschule von Hopewell schleppte. In Atlanta war RayAnne so glücklich gewesen, dass sie vom Auto ins Klassenzimmer praktisch getänzelt war.

Sydneys Magen krampfte sich zusammen. Sie wünschte, ihre Ehe mit Jon wäre nicht in die Brüche gegangen und sie könnten immer noch eine kleine, glückliche Familie sein. Allerdings war das eine große Lüge gewesen. Tränen benetzten die Fassung von Sydneys Sonnenbrille. Sie war sogar zu müde, um sie wegzuwischen. Stattdessen atmete sie nur tief und langsam durch, um nicht die Fassung zu verlieren.

War der Umzug nach Hopewell ein Fehler?

War es ein nötiger Schritt gewesen, um ihre Unabhängigkeit zurückzuerlangen? Oder war das bloß ein Vorwand dafür, geflüchtet zu sein?

Ein Auto hupte hinter ihr. Sie winkte entschuldigend und setzte sich in der langen Haltebucht in Bewegung.

Als sie vom Parkplatz rollte, klickten durch ihre Gedanken die Bilder der glücklichen Mutter-Tochter-Momente, die sie sich in dieser beschaulichen kleinen Stadt ausgemalt hatte. Gelächter. Liebe. Bleibende Erinnerungen.

Als sie hinaus auf die Straße bog, blickte sie in den Innenspiegel und erkannte sich darin kaum wieder. Sie schüttelte die Stirnfransen auf und zog das Gummiband aus den Haaren, löste den unordentlichen Dutt. »Warum lasse ich zu, dass mir Jon so unter die Haut geht?«, sagte sie laut zu sich selbst. Sie starrte sich an. Die Antwort war einfach. Scheidungen taten weh. Sie war gebrochen. Verwundet. Seine Untreue hatte sie auf eine Weise zerrissen, die vielleicht niemals heilen würde. Und an manchen Tagen, Tagen wie diesem, kam sie eben nicht besser damit zurecht.

Sie fuhr zum nächsten Block, lenkte den Wagen auf den Parkplatz des Supermarktes und erklärte: »Ich habe mehr drauf.« Sydney schaltete den Motor ab und durchforstete die Mittelkonsole nach einem Zettel und einem Stift.

»Das muss aufhören.« Das mussten auch die Selbstgespräche, doch im Augenblick hatte Sydney nichts anderes. Morgen. Sie würde morgen mit den Selbstgesprächen aufhören.

Statt zum Haus zurückzukehren und sich in Selbstmitleid zu suhlen, würde sie einen Plan schmieden. Das hatte sie früher immer getan, um sicherzustellen, dass Jon und sie seine Ziele erreichten. Warum ging sie mit ihrem eigenen Leben anders um?

Sie tippte mit dem Stift gegen das Lenkrad, dann beugte sie sich vor und begann zu schreiben.

Schritt eins: Job besorgen. Abgehakt.

Schritt zwei: abhauen. Gut. Ich hab’s raus aus Atlanta geschafft. Abgehakt!

Es schadete nie, einen Plan mit ein paar einfachen, erreichbaren oder sogar bereits erledigten Aufgaben zu beginnen, um die Dinge ins Rollen zu bringen. Deshalb setzte Sydney für gewöhnlich den Punkt »Bett machen« ganz oben auf die Liste der Hausarbeiten.

Schritt drei: unter die Leute mischen und neue Bekanntschaften schließen.

Schritt vier: Selbstvertrauen zurückerlangen.

Schritt fünf: allmählich in Feiertagsstimmung kommen.

Und zu guter Letzt: die Scheidung von Jon abschließen, nicht zurückschauen und nie wieder alles auf einen Mann setzen.

Nachdem Jon noch Monate nach ihrer Trennung die finanzielle Kontrolle über sie gehabt hatte, war es ihr erst durch das großzügige Jobangebot von Peabody’s gelungen, nach Hopewell zu ziehen und auf eigenen Beinen zu stehen. Befreit von Jons Zugriff.

RayAnne von allem wegzureißen, was sie kannte, war eine unheimlich schwierige Entscheidung gewesen. Aber sie musste ein Vorbild für ihre Tochter sein und ihr zeigen, dass man auch dann mit Anmut, Stärke und Unabhängigkeit reagieren konnte, wenn einem das Leben abgrundtief schlechte Karten austeilte.

Fest entschlossen, diesen Tag zu einem Wendepunkt zu machen, fuhr sie das kurze Stück zur Hauptstraße und suchte sich einen Parkplatz.

Dann stieg sie aus dem Wagen und atmete tief die frische Luft ein. Als sie die Hauptstraße entlangging, herrschte Ruhe. Die Einkaufszeile erstreckte sich nur über zwei kurze Häuserblocks, es sei denn, man zählte die Villa mit, die sich dazwischen befand. Obwohl sie kein Wohnhaus mehr gewesen war, solange sich Sydney zurückerinnern konnte. Früher war darin ein Buchladen namens Book-Bea untergebracht gewesen. Ihr Lieblingsort in der Stadt, als sie ein kleines Mädchen gewesen war.

Bei der Erinnerung an das Book-Bea lächelte sie. Die längste Zeit war sie als Kind aus dem Wort Bea auf dem Schild im Garten vor dem Geschäft nicht schlau geworden. Sie hatte es für eine Falschschreibung von Bär gehalten. Erst als sie sich schließlich bei ihrer Großmutter danach erkundigt hatte, war ihr erklärt worden, dass es sich um einen Namen handelte. Der Buchladen war nach der Besitzerin benannt worden, Bea Marion.

Sydney schaute nach links und rechts, bevor sie die Straße überquerte, obwohl es bei dem leichten Verkehr im Ort kaum nötig gewesen wäre.

Das dicke Holzschild war ähnlich sandgestrahlt worden wie die Schilder an den schicken Strandhäusern entlang der Outer Banks. Den Hintergrund bildete ein perfektes kobaltblaues Oval, genau wie sie es in Erinnerung hatte. Der Name des Ladens, BOOK - BEA , hob sich dreidimensional davon ab. Daneben prangte ein Stapel bunter Bücher, an dem ein kleiner, dicker Bär lehnte. Der Gesamteindruck wirkte heute noch so einladend wie vor zwanzig Jahren.

Sydney schoss mit dem Handy ein Foto davon. Ein Schild mit der Aufschrift GEÖFFNET hing hinter dem Fenster der Eingangstür.

Es gibt den Laden immer noch! , dachte Sydney aufgeregt.

Sie verstaute das Telefon wieder in der Handtasche, als sie zwischen den makellos gestutzten Buchsbaumhecken zu beiden Seiten des Weges zur Eingangstür des Book-Bea schlenderte. Die Hecken verliehen dem Laden etwas Würdevolles. Der Winter hielt allmählich Einzug, aber das Gras auf der anderen Seite wuchs immer noch üppig und grün. Am liebsten hätte Sydney die Schuhe abgestreift und wäre barfuß an diesem für die Jahreszeit ungewöhnlich warmen Tag darübergelaufen.

Sie geriet in Versuchung, sich ein Taschenbuch zu kaufen, sich auf die Wiese zu legen und den Tag mit Lesen zu verbringen. Allerdings musste sie sparsam haushalten, bis sie am ersten Arbeitstag des nächsten Jahres ihren Job antreten würde. Aber sich nur ein wenig umzusehen konnte ja nicht schaden.

Liebe Erinnerungen an Ausflüge mit ihren Großeltern zu dem Buchladen tauchten aus ihrem Gedächtnis auf. Sie hatte unzählige Stunden zwischen den Regalen verbracht und sich in all die Geschichten vertieft. Die Entscheidungen, welches Buch sie kaufen sollten, waren immer zugleich qualvoll und aufregend gewesen.

Sydney erklomm die Stufen des riesigen alten Gebäudes aus der Zeit der vorigen Jahrhundertwende. Die breite, basilikumgrün lackierte Veranda mit dem glänzend weißen Holzgeländer verlieh dem Ort ein südliches Flair. Schaukelstühle in verschiedenen Farben wippten in einer sanften Brise. Bei dem Anblick fiel es schwer zu glauben, dass es nicht mehr allzu lange bis Weihnachten war.

Sydney hatte so sehr gehofft, dieses Jahr zusammen mit RayAnne weiße Weihnachten feiern zu können. Für ihre Tochter wäre es das erste Mal gewesen, aber es sah leider nicht danach aus. Sydney ließ ihre Träume von Schnee hinter sich, als sie die Insektenschutztür aufschob. Beim Eintreten schlug ihr ein Schwall kühler klimatisierter Luft entgegen.

Ihre Schritte hallten über den uralten Holzboden, als sie auf die Bücherregale zusteuerte. Als kleines Mädchen hatte sie hier Trost gefunden. Bücher waren immer ihr Rettungsanker gewesen. Sie hatte nie das Vertrauen verloren, dass ihr ein gutes Buch Freude bescheren, ihre Ängste vertreiben und ihr Kraft verleihen konnte. In Sydney regte sich dieselbe Faszination wie vor so langer Zeit. An dem Ort roch es immer noch nach warmen Keksen. Als hätte sich nie etwas verändert.

»Guten Morgen«, drang eine etwas zittrige Stimme durch den Raum.

Sydney schwenkte nach rechts. Vor dem Panoramafenster stand immer noch die hohe Ladentheke aus Holz. Eine knochige Hand winkte in der Luft, sah beinahe körperlos aus wie ein Halloween-Requisit.

Kann Miss Bea wirklich immer noch hier arbeiten? , fragte sich Sydney staunend. Sie hat stets hinter der Ladentheke gesessen, wo man sie kaum sehen konnte, wenn man nicht ganz genau hingeschaut hat.

»Hi.« Sydney ging auf die Theke zu, um ihre Neugier zu befriedigen. »Wie geht es Ihnen?«

»Fabelhaft, Liebes. Immer fabelhaft. Was anderes kommt nicht infrage.«

Sydneys Wangen spannten sich, als sie lächelte. Das hat Miss Bea immer gesagt.

Die Frau stand auf und kam um die Theke herum.

Die hochgewachsene Erscheinung war unverwechselbar. Ja, sie war älter – und wesentlich dünner, als Sydney sie in Erinnerung hatte. Aber das charakteristische rote Haar und die künstlerische Aufmachung entsprachen zu hundert Prozent Miss Bea. Um ihren Hals hing eine lindgrüne Lesebrille an einer bunten Perlenkette. Ihre lange schwarze Jacke, ein bisschen wie der Staubmantel eines Cowboys aus früheren Zeiten, reichte ihr anmutig bis zu den Knien.

»Herzlich willkommen, Liebes. Suchen Sie nach etwas Speziellem?«

Erinnerungen? Einen sicheren Ort, um wieder auf die Beine zu kommen? , ging es Sydney durch den Kopf.

Aber das schienen kaum geeignete Antworten auf Beas Frage zu sein. »Ich brauche ein gutes Buch, das mich eine Weile in eine andere Welt entführt.«

»Ah, dann sind Sie am richtigen Ort. Das bietet Book-Bea seit vielen Jahren. Ich habe alle Bestseller und auch einige der bestgehüteten Geheimtipps.« Bea hob die Brille an, setzte sie auf und musterte Sydney. »Ich wollte gerade fragen, ob Sie auf der Durchreise sind, aber Sie kommen mir so bekannt vor.«

Sydney lachte. »Mir wird immer wieder gesagt, dass ich nach meiner Großmutter komme. Ich bin die Enkelin von Carmen und Bret Rockford.«

»Ja. Genau.« Bea schnippte mit den Fingern, dann stemmte sie die Hände in die Hüften. »Ich erinnere mich an dich. Zöpfe und immerzu aufgeschlagene Knie.«

»Damals war ich so tollpatschig. Da bin ich rausgewachsen.«

»Gott sei Dank. Ich dachte mir früher immer, wir sollten dich vielleicht in Luftpolsterfolie packen.«

Sydney konnte sich daran erinnern, dass Miss Bea den Vorschlag in dem Sommer gemacht hatte, als Sydney vom Rad gefallen war und sich beide Knie blutig geschürft hatte.

»Ach ja, die selige Carmen«, meinte Bea, während sie Sydneys Züge betrachtete. »Du kommst wirklich nach ihr. Sie war eine so bezaubernde Frau. Deine Großeltern werden hier in der Gegend schmerzlich vermisst.«

»Ich heiße mittlerweile Sydney Ragsdale.« Sie streckte Bea die Hand entgegen. »Ich bin in ihr altes Haus drüben in der Green Needles Lane gezogen.«

»Ich hatte schon gehört, dass dort jemand einzieht. Freut mich sehr, dass du es bist. Das Haus hat viel zu lange leer gestanden.«

»Ich weiß. Nach ihrem Tod wollte ich es immer als Feriendomizil nutzen, aber mein Ehemann schien nie zu wissen, wie man mal Pause macht.«

»Also, das ist für niemanden gut. Was hat seine Einstellung geändert?«

»Es hat keine Änderung seiner Einstellung gegeben.«

»Dann vermute ich mal, er ist weg vom Fenster.« Bea machte »Ts, ts, ts« und spähte dabei über den Rand ihrer Brille, bevor sie die Sehhilfe auf ihren üppigen Busen fallen ließ.

»Ja, Ma’am. Aber so was von weg vom Fenster.«

»Tja, dann verstauen wir die Geschichte mal in einem der Bücherregale ganz hinten«, schlug Bea scherzhaft vor.

»So jung, wie seine neue Angebetete ist, müssten wir ein Plätzchen in der Abteilung mit Kinderbüchern suchen.«

»Autsch. Keine Ahnung, was manchmal in Männer fährt. Ich schwöre, irgendwann werden manche einfach verrückt.« Bea fuhr mit der Hand durch die Luft. »Einfach abschreiben. Um so einen ist es nicht schade.«

Sydney wünschte, es wäre so leicht.

»Sieh dich in aller Ruhe um. Gib Bescheid, wenn ich dir helfen soll, etwas Gutes zu finden.« Damit ging Bea zurück hinter die Ladentheke und ließ sich auf einem gepolsterten grünen Lehnsessel nieder. »Und bleib aus der Kinderabteilung weg, dort gibt’s nichts Gutes mehr für dich. Wenn du verstehst, was ich meine.«

Sie meint Jon , begriff Sydney. Lustig.

Der Rest des Ortes schien kleiner zu sein, als Sydney ihn in Erinnerung hatte, aber Beas Laden fühlte sich immer noch genauso groß und magisch wie früher an. Die große antike Registrierkasse, die schon alt gewirkt hatte, als Sydney zehn gewesen war, beherrschte auch heute noch die Theke, genauso Ehrfurcht gebietend wie damals. Das aufwendige Messinggehäuse musste vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts stammen, schimmerte aber nach wie vor auf Hochglanz poliert. Die glänzenden runden Tasten thronten wie bei einer altmodischen Schreibmaschine auf einem Metallgestänge und erforderten vermutlich einiges an Kraft, um sie zu drücken. Insgesamt wirkte die alte Maschine so robust, solide. Sicher. Und darin lag Schönheit.

Der Geruch von Büchern, Wissen und alter Tinte existierte vielleicht nur in Sydneys Vorstellungskraft, dennoch wirkte er auf sie wie eine Art Glückshormon. Dass sie durch ein jüngeres Modell ersetzt worden war, fühlte sich plötzlich nicht mehr wie eine Beleidigung, sondern wie pure Idiotie seitens Jon an. Wenn sie das nächste Mal darüber in Selbstmitleid zerfloss, würde sie sich vor Augen halten, wie erstaunlich in die Jahre gekommene Dinge immer noch sein konnten. Und auch sie konnte altern und doch besonders, einzigartig bleiben. Abgesehen davon war sie mit etwas über dreißig noch nicht so alt, auch wenn Jon ihr das Gefühl vermittelt hatte.

Sydney schlenderte auf die Bücherregale zu. Dicke Teppiche kleideten die stärker besuchten Bereiche aus. An manchen Stellen fühlten sie sich weich unter ihren Füßen an, während die Kunden etlicher Jahre sie an anderen Stellen bis zum Hartholzboden abgewetzt hatten.

»Ich sehe mich nur ein wenig um, wenn das in Ordnung ist«, kündigte Sydney an.

»Nur zu. Bei Book-Bea gibt es keine Hektik.«

Nach einer Runde durch die Gänge konnte Sydney der Versuchung nicht widerstehen, einige Bücher mitzunehmen. Schließlich steuerte sie zur Registrierkasse und legte ihre Beute als ordentlichen Stapel daneben ab. »Ich erinnere mich noch gut an die Ausflüge in den Ort mit Oma. Hat jedes Mal Stunden gedauert, alle Besorgungen zu erledigen, trotzdem hat sie immer Zeit dafür gefunden, mich ein Buch aussuchen zu lassen. Für mich war das der Höhepunkt des Tages.«

»Was für eine schöne Erinnerung!«

»Ja, ist es wirklich.« Sydney wurde ein wenig schwindlig von dem nostalgischen Anflug, und sie stützte sich an der Theke ab. »Wenn wir die Straße entlanggegangen sind, hat sie meine Hand gehalten. Damals kam mir Hopewell wie ein großer, umtriebiger Ort vor. Oma hat immer an derselben Stelle vor Lucky’s Diner geparkt. Mir ist aufgefallen, dass es das Lokal nicht mehr gibt.«

»Das alte Diner ist schon seit Jahren weg. Lucky ist gestorben. Anscheinend hat er das Glück mit ins Grab genommen, denn nichts, was seither in dem Haus untergebracht war, hat Gewinn abgeworfen.«

»Jammerschade. Ich erinnere mich noch an Luckys Sandwiches mit gerösteten grünen Tomaten.«

»Die waren wirklich köstlich. Aber man kann hier in der Gegend immer noch gut essen. Daran hat sich nichts geändert.«

Im Augenblick hätte Sydney eines dieser leckeren Sandwiches gut vertragen können. »Ich weiß noch, dass mir Hopewell damals so viel größer erschien. Jetzt habe ich den Eindruck, ich könnte zweimal zu Fuß durch die gesamte Ortschaft gehen und wäre noch vor Mittag fertig.«

»Hopewell hat sich kaum verändert, abgesehen von der neuen Tankstelle und dem Fastfood-Restaurant an der Autobahnausfahrt. Andererseits: Wie alt warst du damals? Zehn oder zwölf?«

»Ja. Ich schätze, mit zehn kommt einem alles irgendwie größer vor.«

»Wahrscheinlich. Aber es ist wirklich so, dass Hopewell im Sommer größer wirkt, wenn sich die Leute wieder rauswagen und auf den Straßen mehr los ist.« Lächelnd und mit schief gelegtem Kopf fügte sie hinzu: »Doch bewahre dir diese Kindheitserinnerungen.«

»Mach ich. Sie sind toll.« Die Hardcover-Ausgaben von Nancy Drew mit dem goldenen Buchrücken reihten sich immer noch auf der langen Ablage in ihrem alten Zimmer. Sydney verspürte beinahe dieselbe Erregung wie damals, als Opa und Oma mit ihr regelmäßig hierhergekommen waren und ihr ein neues Buch gekauft hatten – manchmal sogar zwei. Danach hatte sie sich die kostbaren Geschenke während der Fahrt nach Hause immer an die Brust gedrückt und kaum dem Drang widerstehen können, bereits im Auto zu lesen, obwohl ihr davon jedes Mal schlecht wurde.

»Und was führt dich, abgesehen von einem lausigen Ehemann, zurück hierher nach Hopewell?«

»Ich muss mir ein eigenes Leben aufbauen, und da ich das Haus hier hatte, erschien es mir sinnvoll. Bis vor Kurzem hat mich Jon immer noch kontrolliert, während er selbst sich bereits eine völlig neue Existenz geschaffen hat. Das muss endlich aufhören.« Es laut auszusprechen fühlte sich ein wenig ermutigend an, motivierend. »Ich hoffe nur, meine zehnjährige Tochter findet sich hier zurecht.«

»Das wird sie. Du hast Hopewell in dem Alter geliebt. Sie wird auch erkennen, was den Ort zu etwas so Besonderem macht. Und sie wird Freundschaften schließen.«

»Hoffentlich. Im Augenblick ist sie nicht allzu gut auf mich zu sprechen.«

»Du musst sie mal mitbringen. Am Samstagvormittag veranstalten wir einen Kinderbuchklub. Wenn sie nur eine halb so große Leseratte ist, wie du es damals warst, wird ihr das gefallen.«

»RayAnne liest leidenschaftlich gern. Danke, Miss Bea. Das mache ich«, versprach Sydney und schob ihre Bücher über die Theke.

»Nenn mich doch einfach Bea, Liebes. Und auf das Sie können wir auch verzichten.« Sie gab den Kauf in die Registrierkasse ein. »Falls ich irgendwas tun kann, um dir beim Eingewöhnen in der Gemeinde zu helfen, sag einfach Bescheid. Ich kenne jeden im Ort.«

Sydney stützte die Ellbogen auf die hohe Theke. »Ich bräuchte etwas zu tun, bis ich am ersten Werktag im nächsten Jahr meinen neuen Job antrete.«

»Wirklich? Was genau machst du denn?«

Jon hatte nie gewollt, dass sie arbeitete, deshalb fiel die Liste ihrer Beschäftigungen in ihrem Lebenslauf spartanisch aus.

»Na ja …« Sydney fehlten ein wenig die Worte. »Ich bin zwar immer nur Ehefrau und Mutter gewesen, aber ich habe einen Abschluss in Betriebswirtschaft. Für meinen Ex-Mann hab ich Grafiken gemacht, allerdings alles als Freiberuflerin. Durch meine Arbeit hat er einige seiner größten Aufträge bekommen, also bin ich darin wohl recht gut.«

»Die Pflichten einer Ehefrau und Mutter werden hoffnungslos unterbewertet. Budgets, Zeitpläne, Kreativität, Projektplanung und Geduld. Ich würde sagen, jeder gute Geschäftsführer braucht von alldem reichlich.« Beas Miene wirkte aufrichtig.

Sydney sorgte sich trotz der zehnjährigen Erfahrung in dieser Rolle, dass sie der Aufgabe nicht gewachsen sein könnte, RayAnne durch all die Veränderungen großzuziehen und in Vollzeit zu arbeiten. Aber sie durfte nicht wieder in diese düstere, besorgniserregende Denkweise zurückverfallen.

»Man muss alle möglichen Fähigkeiten besitzen, um die Anforderungen zu bewältigen, die an eine Mutter gestellt werden. Dann musst du wohl die neue Mitarbeiterin drüben bei Peabody’s sein.«

»Ganz recht. Woher weißt du das?«

Beas verhaltenes Lächeln weitete sich zu einem breiten Grinsen aus. »Das Schöne daran, diesen Buchladen zu besitzen, ist, dass man immer auf dem neuesten Stand ist, was sich im Ort so tut. Die Leute, denen Peabody’s gehört, kaufen hier ein. Ist eine nette Familie. Ich habe gehört, sie machen das Marketing für ein neues Filmstudio und für ein Schuhunternehmen. Läuft wirklich gut für sie. In einer Ortschaft wie dieser sind das große Neuigkeiten. Es sind anständige Leute. Wird dir gefallen, für sie zu arbeiten.«

»Danke. Jetzt brauche ich nur noch eine Beschäftigung, um die Vorweihnachtszeit und die Feiertage zu überstehen, ohne durchzudrehen, dann ist alles gut. Meine Tochter reist nämlich ab, sobald die Schulferien beginnen, und verbringt Weihnachten bei ihrem Vater. Ohne sie wird es echt still sein.«

»Weißt du …« Bea tippte sich mit einem Finger an die Lippen. »Ich könnte hier ein bisschen Hilfe gebrauchen.«

Sydney wusste, dass ihr Gesicht wahrscheinlich strahlte wie ein hell erleuchteter Halloween-Kürbis. Hoffentlich nicht wie ein total alberner, sondern wie ein angenehm lächelnder.

»Freu dich lieber nicht zu sehr. Die Bezahlung ist mies, zu tun ist ein bisschen von allem, und es ist nur für die Zeit bis Weihnachten. Aber ich kann als Bonus kostenlose Bücher dazupacken. Wenn du interessiert bist.«

»Wirklich?« Sydney konnte ein wenig zusätzliches Geld gut gebrauchen. Zwar musste sie nicht jeden Cent dreimal umdrehen, dennoch war sie entschlossen, vorsichtig mit ihrem Budget umzugehen. Auf keinen Fall würde sie Jon um Geld bitten, selbst dann nicht, wenn sie morgens, mittags und abends Cornflakes essen müssten, um über die Runden zu kommen.

»Ja. Das wäre mir eine große Hilfe.«

»Ich mach’s«, willigte Sydney spontan ein. »Natürlich mach ich’s.«

Am liebsten hätte sie ein Freudentänzchen hingelegt. Ihr erschien sogar angebracht, mit Bea eine Polka aufs Parkett zu zaubern, doch sie hielt die Füße still. »Vielen, vielen Dank! Ich werde dich nicht enttäuschen.«

Die unzähligen Reihen der Bücherregale vermittelten ein Gefühl von Ordnung, das Sydney angesichts des jüngsten Chaos in ihrem Leben als willkommen empfand. Und wie in diesen Bücherregalen trotz der verschiedenen Größen, Stärken und Farben der Buchrücken überhaupt Ordnung herrschen konnte, fand Sydney interessant. Ja, hier würde sie vielleicht Anregungen finden, wie sie ein wenig Ordnung in ihr eigenes Haus bringen könnte.

»Wann kannst du anfangen?«, erkundigte sich Bea.

»Wie wär’s mit sofort? Ich muss RayAnne erst um drei von der Schule abholen.«

»Hervorragend.« Bea zeigte links neben den Kassenbereich. Dort stapelten sich Kartons mit der Aufschrift WEIHNACHTEN neben einem künstlichen Baum, an dessen Ästen sich Staub angesammelt hatte. »Ich muss anfangen, den Laden zu schmücken, aber in letzter Zeit macht mir die Arthritis schwer zu schaffen. Vielleicht können wir damit beginnen.«

»Das kann ich auf jeden Fall«, beteuerte Sydney. Dann jedoch verspürte sie einen Anflug von Mutlosigkeit, als ihr klar wurde, dass sie in ihrem Leben noch keine einzige Lichterkette aufgehängt hatte. Nicht weil sie es nicht konnte, sondern weil in ihrer Kindheit ihrem Vater diese Ehre zugefallen war, und nach der Heirat hatte sich Jon stets darum gekümmert. Tja, dann wurde es höchste Zeit.

Bea beugte sich vor und flüsterte: »Wenigstens war ich so schlau, nach dem Ende der Feiertage letztes Jahr draußen die gesamte Beleuchtung aufgehängt zu lassen. Also brauchen wir nur den Schalter zu drücken, und schon werden die Passanten denken, wir hätten bärenstark gearbeitet.« Bea zwinkerte Sydney schelmisch zu. »Bärenstark. Bär. Bea. Kapiert?«

»Ja, ich verstehe schon.« Sydney lachte. Ein bisschen zu ausgelassen, denn ihr rutschte dabei ein äußerst undamenhaftes Prusten heraus. Aber es fühlte sich befreiend an, über etwas Albernes zu lachen.

Ja, hier zu arbeiten, und sei es nur für wenige Wochen, würde ihr guttun. Außerdem hatte sie ohnehin nicht vorgehabt, zu Hause Weihnachtsschmuck aufzuhängen. RayAnne würde ja bald fort sein und die gesamten Weihnachtsferien bei ihrem Vater verbringen.

»Ich freue mich so, in der Vorweihnachtszeit bei dir auszuhelfen«, sagte Sydney.

Beas Lächeln wurde breiter. Schmale Lippenstiftlinien tänzelten in den Fältchen um ihre Lippen. Sie klatschte in die Hände, die sie sich anschließend aufs Herz drückte. »Danke, Liebes. Die Anordnung im Laden kennst du ja schon; die hat sich nie geändert, seit ich ihn eröffnet habe. Gleich unter der Treppe befinden sich ein Waschraum und ein Lagerbereich. Und da hinten ist ein kleines Büro.« Sie griff in die Registrierkasse und holte einen Schlüssel mit einem Anhänger in Form eines kleinen Bären aus Emaille heraus. »Hier ist ein Schlüssel, falls du ihn mal brauchst. Das wird ein wirklich guter Ausklang des Jahres.«

Sydney stellte ihre Handtasche auf die Theke. Schritt fünf auf ihrer Liste sah vor, in Feiertagsstimmung zu kommen, und damit schien der perfekte Grundstein dafür gelegt zu sein. »Ich sollte noch einiges schaffen können, bevor ich RayAnne abholen muss. Wollen wir anfangen?«

Bea kam um die Theke herum und zog Sydney in eine Umarmung. »Ich hatte schon so ein Gefühl, dass heute noch etwas Besonderes passieren würde. Es ist wirklich so schön, dich wiederzusehen, Sydney.«

Sydneys Stimmung besserte sich. Was sie an diesem Tag erreicht hatte, verdrängte die Anspannung und die Sorgen mit friedvoller Erleichterung. Und Beas Umarmung half dabei mehr, als sie je geahnt hätte. Die alte Frau roch nach Pfefferminzbonbons und süßen Plätzchen, und ihre Umarmung vermittelte eine Herzlichkeit, die Sydney nicht mehr zuteilgeworden war, seit sie ihre Großmutter zuletzt gesehen hatte. »Ich bin richtig froh, dass wir uns heute über den Weg gelaufen sind. Das habe ich gebraucht«, gestand sie Bea.

Die alte Frau trat einen Schritt zurück und ergriff Sydneys Hand. »Vielleicht haben wir uns heute gegenseitig gebraucht.« Sie führte Sydney in den vorderen Bereich des Ladens. »Normalerweise schmücke ich dieses Schaufenster für die Weihnachtszeit, aber ich bin nicht mehr so beweglich wie früher. Könntest du dir wohl etwas dafür einfallen lassen? Die Leute im Ort verlassen sich auf unseren festlichen Schmuck, weil wir ja eine Station beim großen Weihnachtssingen sind.«

»Weihnachtssingen?«

»Oh ja! Jeder Händler sponsert ein Lied. Das Weihnachtssingen in Hopewell ist ziemlich beliebt. Sogar Leute aus Nachbarbezirken machen mit. Die Sänger beginnen vor einem beliebigen Laden. Jedes Geschäft verteilt eine Seite mit einem anderen Lied, und wir spielen die Musik dazu in Dauerschleife. Am Ende der Nacht hat jeder Teilnehmer das ganze Weihnachtsliederbuch als Souvenir.«

»Das klingt lustig.«

»Ja, ist es auch.«

»Wie werden die Lieder ausgesucht?«

»Wir wählen sie nicht selbst aus. Der Bürgermeister teilt sie willkürlich am Tag nach Thanksgiving zu. Die Liedblätter bekommen wir von der Gemeinde. Sie werden uns zugestellt, wenn das Ereignis näher rückt. Mein Lied ist dieses Jahr O Tannenbaum .«

Sydney bemühte sich, weiter fröhlich zu lächeln, aber der staubige alte Weihnachtsbaum, den sie neben der Theke gesehen hatte, eignete sich dafür gar nicht. Zumindest nicht als Hauptattraktion für das Schaufenster, um das Lied zu repräsentieren. Sie würde sich schnell etwas einfallen lassen müssen. Hoffentlich wirkte das Lächeln zuversichtlich, mit dem sie ihre Bedenken überspielte. »Ich werde mir für das Schaufenster einen innovativen Blickfang überlegen, der zu dem Lied passt.«

Bea lächelte milde. »Wir werden mit dem auskommen müssen, was wir hier haben. Ich fürchte, ich habe dieses Jahr kein Budget für zusätzlichen Weihnachtsschmuck.«

»Mach dir darüber keine Gedanken. Ich weiß genau das Richtige.« Sydney ließ den Blick durch den Raum wandern und hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie das Weihnachtslied thematisch umsetzen könnte, doch sie hatte nicht vor, sich schon in der ersten Stunde in Beas Laden eine Niederlage einzugestehen. »Und ich glaube, wir haben alles hier, was wir dafür brauchen. Mit einer Ausnahme.«

»Und das wäre?«

»Ich bringe RayAnne nach der Schule her, damit sie mir helfen kann.«

»Sie soll sich dafür ein paar Bücher aussuchen.«

»Darüber wird sie sich wahnsinnig freuen. Danke.«

Von einem Windspiel tönten fröhliche, wenn auch gedämpfte Laute durch den Laden. Sydney folgte dem Geräusch zu einer Reihe von Messingröhrchen, die von einer Libelle aus Holz über der Registrierkasse hingen. Eine dünne Angelschnur verlief von dem Windspiel knapp unterhalb der Kassettendecke bis hinüber zur Eingangstür. Schlau. Und wesentlich angenehmer als der elektrische Türalarm in so vielen anderen Läden.

Der Paketbote einer Zustellfirma rollte einen Handwagen mit zwei Kartons herein. »Guten Morgen, Miss Bea. Hab zwei Päckchen für Sie. Ist ’ne Weile her. Ich dachte schon, Sie wären mir mit einem anderen Auslieferer untreu geworden.«

Bea kicherte wie ein koketter Teenager. »Sie wissen doch, das würde ich nie tun. Ich habe bloß in letzter Zeit nicht viel bestellt, aber vor den Feiertagen geht es nicht ohne eine letzte Lieferung Weihnachtsbücher.«

»Wissen Sie, ich werde noch vorbeikommen, um ein paar dieser Weihnachtsromane für meine Holde zu besorgen. Sie zählt darauf, dass sie welche unter dem Baum finden wird.«

»Und ich hab das Geschenkpapier und die Schleife schon für Sie vorbereitet.« Verschmitzt zwinkerte Bea ihm zu.

Er stellte die Kartons neben der Theke ab. »Einen schönen Tag wünsche ich noch.«

Sydney griff nach einer Schere auf der Ladentheke. »Ist es in Ordnung, wenn ich jetzt erst mal die Kartons auspacke und die Bücher für die Kundschaft in die Regale sortiere? An der Dekoration arbeite ich nach Ladenschluss. Das gibt weniger Durcheinander für die Kunden.«

»Macht dir das nichts aus?«

»Überhaupt nicht. Außerdem wird die Dekoration ja ein lustiges Mutter-Tochter-Projekt.« Sydney packte die Kartons aus und stapelte die Bücher entlang der Theke. Dabei fiel ihr ein kleiner Tisch mit Tintenrollern und anderen Spontankaufartikeln ins Auge. Diese Waren passten direkt neben der Registrierkasse auf die Ladentheke.

Es dauerte nicht lange, sie in einer ansprechenden Anordnung an der Kasse zu platzieren. Danach wandte Sydney sich der Präsentation der Weihnachtsbücher zu. Die Hochglanz-Cover sahen eigentlich auch ohne zusätzlichen Schmuck hübsch genug aus, aber vielleicht würde ihr noch etwas Festliches einfallen, sobald RayAnne und sie sich überlegt hätten, wie sie das Schaufenster gestalten wollten.

Sydney sah auf die Uhr. Wie konnte die Zeit nur so verfliegen? »Bea, ich muss los und RayAnne abholen. Wir kommen später wieder und arbeiten an der Dekoration.«

»Danke, Sydney. Nimm den Schlüssel mit. Und keine Eile. Falls ich nicht mehr hier bin, fühl dich ganz wie zu Hause.«

Plötzlich hatte Sydney mit Tränen zu kämpfen. So viel hatte sich seit diesem Morgen getan. »Vielen Dank, Bea, dass du mir vertraust und mir die Chance gibst, festen Boden unter die Füße zu bekommen, bevor ich meinen neuen Job antrete. Genau das habe ich gebraucht. Wie kann ich dir je genug danken?«

»Jetzt sei nicht albern. Es war dir vorherbestimmt, heute hierherzukommen. Vertrau deinem Weg, Liebes. Er wird dich dorthin führen, wo du sein sollst.«

»Das hoffe ich. Denn ich kann dir sagen, während des vergangenen Jahres war der Weg kein angenehmer.«

Bea nickte. »Ich merk’s dir an. Aus deinen Augen sprechen Sorgen. Eines Tages, wenn du bereit bist, setzen wir uns zusammen und reden darüber. Aber so viel will ich dir jetzt schon sagen: Deine Sorgen werden vergehen, und du wirst sehen, dass etwas Besseres vor dir liegt. Jemand Besseres, wenn ich aussprechen darf, was ich mir wirklich denke.«

Und hatte sie das nicht gerade getan? Ausgesprochen, was sie in Wirklichkeit sagen wollte? Wenigstens hatte sie nicht diese Floskel von wegen »eine Tür schließt sich, eine andere öffnet sich« benutzt. Sydney hatte nicht vor, so bald durch irgendjemandes Tür zu gehen, falls überhaupt je wieder. »Ich werde froh sein, wenn die Sorgen der Vergangenheit angehören, aber ich suche nicht nach einem neuen Partner. Ich hab für mich beschlossen, dass ich allein am besten bedient bin. Kein Kummer. Keine Lügen. Keine Probleme.«

Bea grinste nur. »Sicher, Liebes.«

Also war Bea eine hoffnungslose Romantikerin. Sie konnte glauben, was sie wollte. Sydney jedenfalls war davon überzeugt, dass es RayAnne kein bisschen schaden würde zu sehen, dass eine Frau keinen Mann brauchte und dass man für die Dinge, die man wollte, arbeiten musste.

»Morgen wirst du durch eine Weihnachtswunderwelt laufen.« Sydney nahm ihre Handtasche und fühlte sich ungefähr zehn Zentimeter größer, als sie durch die Tür hinaustrat. Unterwegs lächelte sie jeden Baum und jede weiße Wattewolke am Himmel an. Mit den Fingern um den Riemen ihrer Schultertasche wartete sie an der Ampel darauf, die Straße überqueren zu können.

Als sie zu ihrem Auto ging, warf sie einen genaueren Blick auf die anderen Schaufenster entlang der Hauptstraße. Ihr Konkurrenzdenken schaltete bereits einen Gang höher.

Sie holte tief Luft, dann blies sie all die negative Energie aus, ließ sie emporsteigen wie eine Seifenblase und im Wind davontreiben. Wie es in einem der Ratgeber stand, die sie heruntergeladen hatte, um sich zu informieren, wie man den Stress einer Scheidung bewältigen konnte.

Dieser tiefe Atemzug war der erste, der sich anfühlte, als könnte er vielleicht tatsächlich eine positive Wirkung haben. Gott sei Dank, denn so ziemlich alles andere hatte sie bereits versucht.

Sydney ging an dem Fahrradladen mit dem witzigen Namen Wheelies vorbei. Das glänzende Modell im Schaufenster erregte ihre Aufmerksamkeit. Es wäre schon ziemlich geprasst. Wahrscheinlich unklug in ihrer Lage. Aber mehr als ein aufwendiges Geschenk konnte sie sich nicht leisten, also sollte es ein gutes werden. Zehn Minuten später verließ sie das Wheelies , und der Besitzer hängte ein Schild mit der Aufschrift VERKAUFT an den Lenker von RayAnnes Weihnachtsgeschenk. Sydney hatte ihrer Tochter gesagt, sie würden Weihnachten feiern, wenn sie von ihrem Vater zurückkäme. Was noch in weiter Ferne zu liegen schien.

Sydney fragte sich, ob das aufwendige Geschenk im Vergleich zu Jons schickem Ausflug nicht jämmerlich wirken würde. Kostspielige Geschenke waren Jons Sprache der Liebe. So war es immer gewesen, und zweifellos würde er sich nach allem, was sich ereignet hatte, dieses Jahr noch mehr aus dem Fenster lehnen als sonst.

Nebenan ließ ihr die Keksdose , eine Bäckerei mit einem Schaufenster voll von allen möglichen süßen Leckereien, das Wasser im Mund zusammenlaufen. Als sie das Geschäft betrat, umfingen sie die Aromen von Zucker, Glasur und etwas leicht Erdnussigem. Kaum hatte sich ihr Blick darauf geheftet, wusste sie haargenau, was sie bestellen wollte.

»Drei Erdnussbutterkekse, bitte.«

»Hab sie eben erst aus dem Ofen geholt. Sind wahrscheinlich noch warm«, verriet der Mann hinter der Theke.

»Viel besser geht es ja kaum.« Während Sydney darauf wartete, dass die Kekse für sie eingepackt wurden, drehte sie sich um und betrachtete das Schaufenster der Bäckerei. Den meisten Platz nahm ein dreistöckiges Lebkuchenhaus ein. Zudem hingen an breiten weißen Satinbändern wie Schneeflocken geformte Kekse von oben herab, jedes mit glänzender weißer Glasur und diesen kleinen silbrigen Zuckerkügelchen verziert. Die Auslage wirkte schlicht und elegant.

Weniger ist mehr , dachte Sydney.

Der Mann hinter der Theke hielt ihr eine Tüte aus weißem Wachspapier entgegen. Sydney bezahlte für die Kekse, verließ die Bäckerei und hielt kurz an, um ein schnelles Foto des Schaufensters als Inspiration zu schießen, bevor sie zum Auto ging.

Auf dem Weg zur Schule hoffte Sydney, die Kekse würden vielleicht dazu beitragen, dass ihre Tochter zu ihrem normalerweise sonnigen Gemüt zurückfand. Ihr kleines Papa-Mädchen gab nämlich ihr die Schuld daran, dass Jon sie verlassen hatte. RayAnne war wütend. Und verletzt. Und an manchen Tagen fragte sich Sydney unwillkürlich, wie viel davon wirklich ihre Schuld war. Wenn sie nur …

Rasch bremste sie sich. Das würde sie sich nicht mehr antun. Sie war eine gute Ehefrau gewesen, verdammt noch mal. Die Scheidung war nicht ihre Schuld – ein Grund mehr, ihr Leben zu ordnen und nach vorn zu schauen.

In dem Versuch, die schwere Last ihrer Sorgen ein wenig abzuschwächen, schob sie die Hand in die Tüte mit den Keksen.

An der Ampel genehmigte sie sich einen Bissen.

Es gab wirklich nicht viel, wogegen hausgemachte Erdnussbutterkekse nicht halfen. Zumindest vorübergehend.

Kapitel zwei

M ac drehte der Tafel den Rücken zu und sah seine Schüler an. So kurz vor den Weihnachtsferien gestaltete es sich nahezu unmöglich, ihre Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten. Er konnte ihnen keinen Vorwurf daraus machen. Mac freute sich ja selbst schon auf die Ferien, also war er vom vorgesehenen Lehrplan abgewichen. »Unser Thema diese Woche ist die Geschichte des National Christmas Tree in Washington.«

Die Jugendlichen im Klassenraum johlten und jubelten. Nicht weil sie so begeistert von dem Thema waren, sondern weil sie es für einfach hielten, das wusste Mac. Es störte ihn nicht. Er würde ihnen helfen, in Weihnachtsstimmung zu kommen.

»Macht bitte mal jemand das Licht aus, ich habe heute für euch eine Dokumentation.«

»Sie sind der Beste, Mr MacAlee!«, rief Bubba Monroe aus der hintersten Reihe, sprang auf und lief los, um den Lichtschalter zu bedienen.

»Es wird trotzdem abgefragt. Also passt gut auf und macht euch Notizen. Weiß jemand, wann das Weiße Haus den ersten Weihnachtsbaum hatte?«

Durch seine Größe hatte Mac keine Mühe, den Raum zu beherrschen, und dass er zugleich der Baseball-Coach war, schadete da auch nicht. Er verlangte viel, aber diese Kinder hatten hart gearbeitet und sich eine Pause verdient.

»1492«, rief jemand aus einer der hinteren Reihen.

»Äh, nein. In dem Jahr ist Kolumbus über das blaue Meer gesegelt. Begonnen hat es 1923 mit Präsident Calvin Coolidge und einer fünfzehn Meter hohen Tanne. In dem Film erfahrt ihr alles über die Traditionen und darüber, wie sie sich im Lauf der Jahre verändert haben.«

Mac drückte am Videobedienfeld die Wiedergabetaste. »Bubba, Licht aus, bitte.«

Im Raum wurde es dunkel, dann ertönten die Geräusche bimmelnder Schlittenglocken und eine tiefe, volltönende Sprecherstimme. Mac setzte sich hinter den Lehrertisch, um seinen Kalender und seine Erledigungsliste durchzusehen.

Das Video lief bis wenige Minuten vor Unterrichtsende. Mac ließ die Lichter einschalten und stellte sich vor die Klasse. Er rieb sich die Hände und fragte: »Hat jemand etwas Neues erfahren?«

Alle Schüler nickten.

»Gut. Dann zu euren Hausaufgaben.«

Ein kollektives Stöhnen ging durchs Klassenzimmer.

Mac verkniff sich ein Schmunzeln. »Jeder von euch macht sich auf die Suche nach etwas Wissenswertem über Weihnachten aus der Zeit vor 1920.«

Die Glocke läutete, und Schulbücher wurden mit einem Lärm wie Donnerhall zugeklappt.

»Morgen berichtet ihr über das, was ihr herausgefunden habt. Enttäuscht mich nicht.«

Als die Kinder zur Tür stürmten, rückte Mac die Tische zurecht, zog die Jalousien auf, spulte die gewöhnliche Routine zum Ende seines Arbeitstags ab.

Sein Sohn Seth besuchte die Mittelschule, die sechzig Minuten nach dem Unterricht seiner Highschool-Klasse endete. Somit blieb Mac eine Stunde für Erledigungen.

Mit zwölf Jahren war Seth nicht begeistert davon, mit seinem Vater zur Schule und wieder nach Hause zu fahren. Aber seit Genna sie verlassen hatte, verspürte Mac das Bedürfnis, so präsent wie möglich zu sein, und diese kurzen Fahrten garantierten gemeinsame Zeit, bevor sich Seth seinen Aktivitäten nach der Schule widmete.

Mac schloss die Tür des Klassenzimmers hinter sich ab und betrat den verwaisten Flur.

»Einen wundervollen Nachmittag noch, Mac.«

Er erkannte die Stimme seiner Kollegin auf Anhieb. Mac hätte nicht einmal hinsehen müssen. Dennoch tat er es aus Höflichkeit, dann hob er die Hand. »Schönen Feierabend, Miranda.« Sie besaß die Gabe, immer dann aufzutauchen, wenn er allein war. Er hatte gehofft, sie mit dem Winken und der Tatsache abzuschrecken, dass er nicht langsamer wurde, aber sie verfiel doch tatsächlich in Laufschritt, um ihn einzuholen.

»Einige von uns treffen sich heute Abend auf ein paar Drinks im Billy Goat Grill . Kommst du auch?«

»Nein.« Er steckte die Hände in die Jackentaschen. »Kann nicht. Hab schon Pläne.«

Miranda ließ die Schultern hängen. »Ach, komm schon. Du unternimmst nie was nur zum Spaß. Engagiere einen Babysitter.«

Sie war ja süß, wäre aber selbst dann nicht sein Typ gewesen, wenn er nach jemandem gesucht hätte. Was nicht der Fall war. »Danke. Vielleicht nächstes Mal.«

»Das sagst du immer.« Sie zog einen Schmollmund, und selbst damit war sie hübsch. Doch das Letzte, was Mac brauchen konnte, war eine Frau, die ihn ablenkte. Er musste einen Sohn großziehen, und er hatte bereits bewiesen, dass eine Ehe mit ihm nicht funktionierte. Mac hatte nicht die Absicht, sich noch einmal in diese Lage zu bringen, ganz gleich, wie schwer es für einen Alleinerziehenden sein mochte.

»Danke für die Einladung. Ich muss jetzt los und Seth abholen.« Damit wandte er sich ab und steuerte schnurstracks auf die Tür zu.

»Falls du’s dir anders überlegst, weißt du ja, wo wir sind«, rief sie ihm nach. »Und falls du eine Babysitterin brauchst, kann ich dir die Nummer meiner Nachbarin geben.«

Mac nickte ihr noch kurz zu, bevor sich die Tür hinter ihm schloss.

Er hoffte, Miranda würde ihm nicht auf den Parkplatz folgen. Letztes Mal hatte sie ihn im Lehrerzimmer dermaßen in die Enge getrieben, dass er schon gedacht hatte, er müsste sie von sich stoßen, um zu entkommen.

Kurz darauf stieg er in seinen Dodge Pick-up. Ein schneller Blick in den Innenspiegel bestätigte, dass die Luft rein war.

Mac startete den Motor, fuhr das kurze Stück zur Mittelschule und parkte wie jeden Nachmittag auf dem hintersten Platz der Parkfläche. Ein Kompromiss, den er mit Seth geschlossen hatte, um dessen Image nicht zu schaden. Image? Mit zwölf? Mac konnte sich nicht erinnern, dass er sich in dem Alter den Kopf über solche Dinge zerbrochen hätte. Er hatte das Gefühl, je älter Seth wurde, desto uncooler fand ihn der Junge.

Als die Reihe der gelben Schulbusse vom Parkplatz rollte, kam Seth um die Ecke des Gebäudes, die Daumen unter die Riemen seines Rucksacks gehakt. Er war dieses Jahr so schnell gewachsen, dass er kein Fleisch auf die Rippen bekommen konnte. Seth war groß und schlaksig, wie Mac es in dem Alter gewesen war. Mittlerweile verstand Mac, warum seine Mutter ständig Essen in ihn hatte reinstopfen wollen, als er ein Teenager gewesen war. Manchmal fürchtete Mac, die Leute könnten denken, dass Seth zu Hause nicht genug auf den Teller bekam. Mit dem schlanken Körperbau endete Seths Ähnlichkeit mit Mac allerdings auch schon. Der Junge besaß das sandblonde Haar und die grünen Augen seiner Mutter, außerdem war er mit einem Teint geschlagen, den die Sonne schon mit dem geringsten Kuss verbrannte.

Seth und Mac nickten einander wie Männer zu und brummten einen Gruß, als Seth einstieg, sich auf den Sitz plumpsen ließ und einen seiner blauen Puma-Turnschuhe auf das Armaturenbrett hievte.

Mac bedachte ihn mit dem Blick , und Seth stellte den Fuß zurück auf den Boden.

Manchmal war es angenehm, etwas mit einer simplen Geste oder einem Brummen vermitteln zu können.

»Hungrig?«, fragte Mac.

»Am Verhungern.«

Mac zog eine Augenbraue hoch.

Seth verdrehte die Augen. »Schon gut. Ich bin nicht am Verhungern. Aber ja. Hungrig bin ich schon. Burger zum Mitnehmen?«

Mac nickte und fuhr los. Während der Baseball-Saison arbeitete er abends oft. In der Vorweihnachtszeit hatte er einen besonderen Job. Ein Geheimnis, von dem Seth nichts wusste. Dasselbe Geheimnis wie in dem Jahr, in dem Genna mit Seth schwanger gewesen war. An den Abenden, an denen er arbeitete, besorgten sie sich auf dem Weg nach Hause etwas zu essen, es sei denn, Seth hatte keinen Hunger. In dem Fall ließ er den Jungen einfach mit der Babysitterin die Schränke plündern, während er selbst außer Haus war.

»Das Übliche?«, erkundigte sich Mac, als er den Drive-in-Schalter ansteuerte.

Sein Sohn nickte.

Zwanzig Minuten später befanden sie sich vor ihrem Haus. Seth hatte bereits den Großteil seiner Pommes frites verschlungen, doch Mac konnte es ihm nicht übel nehmen. Im Wagen roch es nach salzigen Fritten und frisch gegrillten Burgern. Sie gingen hinein und aßen an der Kücheninsel.

»Hausaufgaben?«, fragte Mac.

»Nö.« Seth schob sich die langen Stirnfransen, die er wie ein Skater trug, aus dem Gesicht. »Wir haben ja schon fast Weihnachtsferien. Die Lehrer sind gerade cool drauf.«

Mac hoffte, seine Schüler würden ihren Eltern abends das Gleiche von ihm erzählen.

RayAnne winkte einer Gruppe von Mädchen vor der Schule zum Abschied zu.

Also hat sie bereits Freundinnen gefunden. Vielleicht hat sie sich umsonst Sorgen gemacht , dachte Sydney.

RayAnne öffnete die Autotür und warf ihren Rucksack auf den Boden, bevor sie sich wortlos auf den Beifahrersitz plumpsen ließ. Nicht unbedingt die Begrüßung, die sich Sydney von ihrer kleinen Tochter erhofft hatte, die gerade noch fröhlich den Schulkameradinnen zugewinkt hatte.

»Wie war die Schule?«

»Okay.« RayAnne starrte durchs Fenster hinaus.

»Nur okay?«

»Schule eben. Ohne Freundinnen. Was dachtest du denn, wie es sein würde?«

»Oh Mann, was bist du heute für ein Wonneproppen.« Sofort wünschte Sydney, sie hätte den Gedanken für sich behalten, und bemühte sich, an ihrem Lächeln festzuhalten. Was mit zusammengebissenen Zähnen gar nicht so einfach war. Ich bin hier die Erwachsene. »Ich hab gesehen, dass du neue Freundinnen gefunden hast. Das finde ich aufregend.«

»Ich kenne sie doch nicht mal richtig.«

»Aber es ist ein Anfang. Die Leute hier sind nett, oder?«

»Keine Ahnung.«

Wenn alles andere fehlschlägt, lösen Erdnussbutterkekse jedes Problem. »Ich hab dir was mitgebracht.«

RayAnne schaute nicht mal hin. Und hatte sie gerade die Augen verdreht? Sydney hatte gedacht, das würde frühestens kommen, wenn sie ein pubertierender Teenager wurde.

Sie lehnte sich zurück, schnappte sich die Tüte von der Bäckerei hinter dem Sitz und legte sie RayAnne auf den Schoß.

Ihre Tochter blickte auf die weiße Papiertüte hinab, bevor sie zu Sydney schaute.

»Sind deine Lieblingskekse«, verriet Sydney mit einem strahlenden Lächeln.

RayAnne hob die Tüte an. Als das Mädchen sie öffnete, erfüllte das Aroma von Erdnussbutter den Wagen. RayAnne konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, obwohl sie es sichtlich versuchte, und Sydney schrieb insgeheim einen Punkt für das Mama-Team gut.

Ihre Tochter holte einen Keks aus der Tüte und biss hinein. »Oh … mein … Gott. Die sind ja irre gut.«

»Gern geschehen.«

»Danke, Ma.«

Und da war wieder das süße Mädchen, das sie großgezogen hatte. »Ich hab noch eine Überraschung für dich.«

Kurz hörte RayAnne zu kauen auf und wirkte, als suchte sie die Windschutzscheibe nach einem Hinweis ab.

Sydney tätschelte ihr Bein.

»Papa?«, fragte RayAnne hoffnungsvoll. »Er mag Erdnussbutterkekse genauso gern wie ich, und da ist noch einer in der Tüte.«

»Nein, Schatz.« Sydney drückte ihre Hand. Für Jon Kekse zu kaufen wäre so ziemlich das Letzte, was sie tun würde. »Es hat nichts mit deinem Vater zu tun. Es ist eine Überraschung für uns . Eine lustige.«

»Dann hoffe ich, sie ist besser als der Umzug ins dämliche Hopewell.« RayAnnes abfälliges Schnauben traf Sydney wie ein Schlag.

Eins … zwei … drei … , zählte Sydney in Gedanken. Sie ist bloß aufgebracht. Das meint sie nicht persönlich. »Weißt du, für mich ist das auch nicht leicht.«

»Ja, Mama.«

Aber RayAnnes Antwort hatte sich deprimiert angehört, und das war beinahe schlimmer als ein trotziger Tobsuchtsanfall. Wie konnte es sein, dass Jon die Ehe für beendet erklärt hatte und trotzdem Sydney den Schwarzen Peter zugeschoben bekam? »Wir fahren an einen Ort, den ich in deinem Alter uneingeschränkt geliebt habe.«

»Und den gibt’s nach so langer Zeit immer noch?«

»He, so lange ist das auch wieder nicht her.«

»Nur ungefähr eine Million Jahre.« Aber ihre Tochter lächelte.

»Höchstens eine halbe Million.«

RayAnne holte den anderen Keks aus der Tüte und aß ihn genüsslich, während sie die Hauptstraße entlangfuhren.

Sydney parkte am letzten Häuserblock parallel zur Straße und stieg aus. »Komm. Ist nur noch ein kleines Stück zu Fuß, und glaub mir, das wird dir gefallen.«

»Irgendwie zweifle ich ja dran.« Widerwillig stieg RayAnne aus. Sie hätte sich selbst dann nicht langsamer bewegen können, wenn sie einen Rollator benutzt hätte … rückwärts.

Überall an den Straßenschildern der Kreuzungen blühten in Pflanzkästen aus Holz Winterblumen in einer Fülle von Farben. Stiefmütterchen quollen über den Rand, und orange Blumen mit dunkelvioletten Kronblättern schmiegten sich an genauso orange, rosa und gelbe. Und wenngleich das Arrangement so gar nichts Weihnachtliches an sich hatte, passte es unter der großen grünen, am Laternenmast montierten Weihnachtsbaumillustration genau ins Bild.

Sydney war fest entschlossen, RayAnne kein Urteil fällen zu lassen, bis sie im Book-Bea waren und angefangen hatten.

Sie überquerten die Elm Street, und Sydney blieb vor dem Gehweg stehen, der zu Beas Buchgeschäft führte. »Da sind wir.«

RayAnne hielt auch im Gehen inne. »Ein Buchladen? Echt jetzt, Ma?«

»Komm. Wir schmücken das Schaufenster für Miss Bea. Das wird uns in Weihnachtsstimmung bringen.«

»Können wir nicht einfach unser eigenes Haus schmücken?«

»Darüber haben wir doch schon gesprochen«, gab Sydney zurück. »Da du die Feiertage bei deinem Vater verbringst, macht es keinen Sinn, nur für mich einen Baum zu kaufen und sich all die Mühe zu geben.«

»Aber wirst du ohne Baum nicht traurig sein? Du liebst Weihnachten doch.«

»Ich komme schon klar. Mach dir um mich keine Sorgen. Was ich wirklich liebe, mein Schatz, bist du.« Sie tippte ihrer Tochter auf die Nase. »Bitte lass uns das machen. Es wäre etwas Schönes für Miss Bea, ich helfe in der Vorweihnachtszeit bei ihr aus. Und außerdem haben wir immer Spaß dabei, wenn wir zusammen dekorieren. Das ist eine Tradition.«

»Aber es ist nicht unsere Tradition. Papa sollte herkommen, oder wir könnten beide zu ihm fahren. Dann hätten wir unsere Tradition.«

»Das wäre eher unangenehm, wenn die neue Freundin deines Vaters dabei wäre, findest du nicht?«

»Du könntest ja in einem Hotel wohnen. Sie würde verschwinden, wenn sie sieht, was für eine tolle Familie wir zusammen sind.«

»Das wird nicht passieren. Den Gedanken musst du dir aus dem Kopf schlagen.«

»Du hättest Spaß beim Skifahren mit uns. Weißt du noch, wie wir …«

»RayAnne …« Sydney spürte, wie Ärger in ihr aufstieg. Sie hatte es satt, sich an all die Dinge zu erinnern, die nie wieder sein würden. Schließlich holte sie tief Luft und bemühte sich, ihrer Stimme einen festen Klang zu verleihen. »Ich weiß, du wünschst dir, die Dinge würden sich ändern, aber dein Vater hat seine Entscheidung getroffen. Er schaut in die Zukunft. Mein Leben ändert er dadurch mit, doch nicht deines.«

»Das ist nicht fair. Du solltest nicht aufgeben. Du bist hübscher als sie. Du musst es versuchen.«

»Ach, Liebes, es geht nicht darum, wer hübscher ist.« Brachte eine Scheidung eigentlich je irgendetwas Gutes mit sich? Denn man schien sich andauernd neu aufstellen und anpassen zu müssen, damit nicht alles in sich zusammenstürzte. »Es ist kompliziert. Ich erwarte nicht, dass du das verstehst. Verdammt, ich versteh’s ja selbst nicht wirklich.«

»Das ist dumm.«

»Tja, weißt du was? Du hast recht, aber wir müssen uns damit abfinden, Kleines.« Sydney schlang den Arm um die Schultern ihrer Tochter. Das süße kleine Mädchen, das Jon und sie sich so sehr gewünscht hatten. Nur hätte sie nie gedacht, dass sie das Kind mal allein großziehen müsste. »Jetzt komm. Tu mir den Gefallen. Wir werden uns dadurch beide besser fühlen.«

»Das glaub ich nicht.«

»Na schön, dann gönn wenigstens deiner eine halbe Million Jahre alten Mutter, dass sie sich besser fühlt, okay?«

»Okay.«

»Prima.« Sie ergriff RayAnnes Hand. »Miss Bea besitzt diesen Buchladen schon, seit ich ein kleines Mädchen war. Ich hab es früher geliebt hierherzukommen. Es ist ein wundervolles altes Haus, und sie ist eine entzückende alte Dame. Sie braucht unsere Hilfe. Wir werden für sie den Laden herausputzen, wie er noch nie zuvor herausgeputzt worden ist!«

»Na schön«, gab sich RayAnne geschlagen.

»Ich wusste, dass dir die Idee gefallen würde.« Hand in Hand schlenderten Sydney und RayAnne zum Eingang des Book-Bea . »Wir sind wieder da!«, rief Sydney, als sie die Tür aufschob.

»Hier drüben, Mädels.« Bea stellte eine Teetasse mit goldenem Rand auf die Theke. »Du musst RayAnne sein.«

»Ja, Ma’am.«

»Wie schön, dich kennenzulernen!« Sie ergriff RayAnnes Hände. »Was bist du doch für eine wunderschöne junge Dame!« Die alte Frau schaute zu Sydney, dann zurück zu RayAnne. »Ich sehe die Ähnlichkeit. Ihr zwei könntet fast Schwestern sein.«

RayAnne lachte nervös. »Danke.«

»Ich weiß eure Hilfe so sehr zu schätzen. Tatsächlich ist die Dekoration schon überfällig. So ungern ich es zugebe, ich bin nicht mehr die Jüngste.«

»Mama und ich sind ein gutes Team. Wir verwandeln das Schaufenster in eine Weihnachtswunderwelt.«

»Ihr zwei kommt mir wie Engel vor, die geschickt worden sind, um mir zu helfen.«

»Ich bin gern ein hilfreicher Engel«, sagte RayAnne.

»Sydney, hättest du was dagegen, wenn ich nach Hause gehe, während ihr zwei am Schaufenster arbeitet? Ich glaube, ich schließe heute ein bisschen früher.«

»Macht uns überhaupt nichts aus. Aber ich kann mich auch um Kunden kümmern, die reinkommen, während wir hier sind.«

»Ehrlich?«

»Natürlich. Wäre uns ein Vergnügen.«

»Aber ihr tut doch schon so viel.«

»Jetzt sei nicht albern. Wir leben uns gerade erst hier ein. Wird schön für uns, ein Mutter-Tochter-Projekt zu haben und gleichzeitig ein paar neue Nachbarn kennenzulernen.«

»Tja, wenn das so ist, dann lasse ich euch einfach mal machen. Hast du deinen Schlüssel dabei?«

»Ja, hab ich. Wir schließen alles ab, wenn wir gehen.«

Bea trat langsam den Weg zur Tür an, dann blieb sie noch einmal stehen. »RayAnne, hat dir deine Mama vom Weihnachtssingen erzählt?«

»Nein, Ma’am.«

»Frag sie danach. Ich finde, ihr solltet kommen. Macht wirklich eine Menge Spaß. Ach ja, und bei jeder Station gibt es eine kleine Nascherei. Zum Beispiel heiße Schokolade, Plätzchen oder Bonbons. Und Gesang. Es werden jede Menge Weihnachtslieder gesungen.« Bea zeigte mit einem Finger in Sydneys Richtung. »Erzähl ihr alles darüber.«

»Ich singe gern. Mama, können wir hingehen?«

»Natürlich, wenn du dann nicht schon weg bist, um die Ferien bei deinem Papa zu verbringen. Wir sehen im Kalender nach.«

RayAnne hüpfte begeistert auf der Stelle. »Und Miss Bea, falls ich da bin, können wir Ihnen auch an dem Abend helfen.«

»Das wäre ganz wundervoll. Wir werden alle eine tolle Zeit haben. Das Weihnachtssingen in Hopewell ist wirklich magisch.« Beas Augen strahlten. »Mein verstorbener Ehemann hat die Tradition begonnen. Er hatte eine so wunderbare Stimme. Tief und volltönend wie eine Kirchenorgel. Wenn er Stille Nacht gesungen hat, sind alle verstummt und haben andächtig gelauscht. Fährt mir immer noch mitten ins Herz, wenn ich daran zurückdenke.« Sie schloss die Augen und hob die Hand ans Herz, als könnte sie ihn in diesem Augenblick singen hören.

Sydney schaute zu RayAnne, die nickte und nach der Hand ihrer Mutter griff.

»Er fehlt mir immer noch. Vor allem zu Weihnachten.«

»Wann ist er gestorben?«, fragte Sydney.

»Vor einundzwanzig Jahren.«

»Das ist aber schon echt lange her«, meinte RayAnne.

»Ja, Liebes, ist es, doch das Herz vergisst nicht so schnell.« Tränen traten in Beas Augen. »Weißt du, Sydney, du solltest wegen eines Menschen, der Vertrauen oder Ehrlichkeit ausnutzt, nicht deine Fähigkeit infrage stellen, zu lieben oder geliebt zu werden. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Arbeitet nicht zu lange, Mädels.«

Sydney ließ sich Beas Rat durch den Kopf gehen. Aber die alte Dame wusste nicht, wie es sich anfühlte, wenn einem das Herz zerrissen wurde. Das genügte ein einziges Mal.

Sydney beobachtete, wie Bea zu ihrem Auto ging, dann wandte sie sich im verwaisten Laden RayAnne zu und legte einen Cheerleader-Sprung hin. »Also gut, bist du bereit?«

»Ma. Du bist keine Cheerleaderin mehr.«

Und verflixt, ihre Tochter hatte sich doch tatsächlich umgesehen, als wäre es ihr entsetzlich peinlich gewesen, wenn jemand sie beobachtet hätte. »Jetzt sei kein Spielverderber. Wir haben bald Weihnachten! Wir können so viel Spaß haben, wie wir wollen.« Sie fasste RayAnne an den Handgelenken, lehnte sich zurück und begann mit Seitwärtsschritten, bis sie sich so schnell im Kreis drehten, dass die Bücherregale wie ein buntes Kaleidoskop an ihnen vorbeiwirbelten. »Weißt du noch, wie wir das früher immer gemacht haben?«

Lachend wie zwei Schulmädchen bremsten sie schließlich japsend und kichernd ab und ließen sich zu Boden plumpsen. »Du bist verrückt, Ma!«

»Wir brauchen mehr solchen Spaß, Kleines. Findest du nicht auch?«

Halb außer Atem rappelte sich Sydney vom Boden auf und ging hinüber zu dem Stapel staubiger Kartons.

»Sind das die Schachteln mit dem Schmuck?«, sagte RayAnne. »Sieht nicht nach besonders viel aus.«

Sydney schnitt eine kleine Grimasse. »Ja, und ein Teil davon ist ziemlich alt. Wir werden wohl kreativ werden müssen.«

»Na ja, Miss Bea ist ja auch schon ziemlich alt. Ich bin froh, dass wir ihr helfen können.« RayAnne ging hinüber zu den Kartons und fuhr mit den Fingern über den Weihnachtsbaum. »Ma, der ist irgendwie klebrig.«

»Ich weiß. Vielleicht können wir ihn putzen.« Sydney zupfte einige Tücher aus einem Karton auf der Theke. »Probier mal, was du ausrichten kannst.«

RayAnne arbeitete gute dreißig Minuten an dem Baum, während Sydney den Schmuck auspackte und die schönsten Sachen für das Schaufenster beiseitelegte.

Schließlich ging Sydney zur Eingangstür, drehte das Schild daran auf GESCHLOSSEN um und sperrte ab. »Wie geht’s voran, Kleines?«

RayAnne rieb mit dem Tuch über die staubigen Nadeln und bemühte sich, den Schmutz davon abzuwischen. »Nicht so gut. Schau.«

Sydney sah genauer hin, dann stöhnte sie. »Meinst du, die Leute würden glauben, das ist Schnee?«

»Nö«, antwortete RayAnne. »Nicht mal mit einem Schild, das behauptet, es wäre Schnee.« Ein zweiter Anlauf mit etwas Glasreiniger erzielte auch kein besseres Ergebnis. »Das ist eine Katastrophe, Ma.«

»Ich hab eine Idee«, sagte Sydney. »Ich bin heute an einem Hinweisschild vorbeigekommen, auf dem stand, dass an einem Ort namens ›Weihnachtsdorf‹ Weihnachtsbäume verkauft werden. Lass uns mal hinfahren und nachsehen, was ein echter Baum kostet.«

Kapitel drei

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