Weil ein Schwein nicht immer Glück bringt - Rosemarie Eichinger - E-Book

Weil ein Schwein nicht immer Glück bringt E-Book

Rosemarie Eichinger

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Beschreibung

Daniel soll auf Penelope, das Hausschwein einer Nachbarin, aufpassen. Als er Penelope nur kurz im Hof des Wohnblocks allein lässt, wird sie entführt. Völlig schamlos erpresst Herr Malz, der Hausmeister, Daniel und seine Freunde: Wenn sie das Schwein lebend wiedersehen wollen, müssen sie für verschiedenste Bewohner der Anlage Arbeiten ausführen. Und das sind lauter Dinge, die eigentlich Herr Malz machen sollte. Zähneknirschend fügen sich die Kinder in ihr Schicksal und lernen einige ihrer schrulligen Nachbarn besser kennen – was, genau genommen, auch wieder ganz lustig ist. Am Ende schaltet sich Daniels Mutter ein und die glaubt an ausgleichende Gerechtigkeit: So kommen die Kinder auch noch auf ihre Rechnung, und Herr Malz muss eine Aufgabe übernehmen, die ihm gar nicht behagt.

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Seitenzahl: 142

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Rosemarie Eichinger

Weil ein Schwein nicht immerGlück bringt

Rosemarie Eichingerzog für ihr Geschichtestudium vor 20 Jahren nach Wien, wo sie immer noch lebt. Mit dem Schreiben begann sie erst nach dem Studium.Die Spezialisierung auf Kinder- und Jugendliteratur ergab sich dann einfach so. Sie bekam für ihre Arbeit verschiedene Auszeichnungen und Stipendien (u.a. Schreibzeit-Jugendbuch-Wettbewerb, Mira-Lobe-Stipendium 2009), nach und nach folgten die ersten Publikationen.

Bei Jungbrunnen sind folgende Titel lieferbar: Essen Tote Erdbeerkuchen?(2013, ausgezeichnet mit dem Österreichischen Kinder- undJugendbuchpreis),Wasserbomben und Dosenbrot (2015)

ISBN 978-3-7026-5905-9eISBN: 978-3-7026-5906-61. Auflage 2016

Einbandgestaltung: Martin Krammer© Copyright 2016 by Verlag Jungbrunnen WienAlle Rechte vorbehalten

Rosemarie Eichinger

Weil ein Schwein nicht immerGlück bringt

Mit Illustrationen von Martin Krammer

Jungbrunnen

Sieh auf Seite 127 nach, wenn dir ein Wort nicht vertraut ist.

Eins führt zum anderen

Jeden Tag pünktlich um 5 Uhr 45 morgens öffnet sich die Eingangstür von Block zwei einen Spaltbreit. Mehr braucht es auch nicht. Konrad ist klein und vor allem schlank. Er trippelt die vier Stufen hinunter und hinterlässt seine erste Pfütze des Tages. Danach streckt er seine Nase in die kühle Morgenluft und macht sich auf seinen täglichen Rundgang.

Schnüffelnd trabt er quer über den Hof, gemächlich und aufmerksam, genau zwischen Block eins auf der rechten und Block zwei auf der linken Seite. Beim Spielplatz hebt er neuerlich sein linkes Hinterbein und markiert den Pfosten des Eingangstores. Am Zaun entlang geht er weiter bis zur Bank. Just, wo die Mütter immer ihre Körbe oder Taschen abstellen, hinterlässt er die dritte Duftmarke des Tages. Danach trippelt er schräg links, in einer geraden Linie zum Eingangstor von Block eins. Dort pinkelt er genau in die Mitte der untersten Stufe, wie mit einem Maßband ausgemessen.

Weiter geht’s, an der Hausmauer entlang, vorbei an der Schmalseite von Block zwei, wo sich der zweite Hof öffnet. Konrad reckt die Schnauze in die Luft und schaut sich um. Er biegt ab, markiert die Ecke von Block eins, überquert die Wiese, setzt noch eine Duftmarke an der Doppelbank samt Tisch, wo er kurz verweilt, weil es so penetrant nach Marder riecht. Bei der hinteren Grenze der Anlage verschwindet er in den Sträuchern.

Ausgiebig buddelt er in der Erde, wie es sich für einen Dackel gehört. Er ist ein Jagdhund und wird dieses elende Mardervieh irgendwann stellen. Bis dahin steckt er seine lange Schnauze in diverse Mauselöcher. Gefangen hat er noch nie etwas, aber auf geben kommt für einen Dackel nicht in Frage. Er ist schließlich nicht so ein Weichei von Mops. Er suhlt sich noch genüsslich in den Überresten einer halb verwesten Nacktschnecke. Falls ihm der blöde Pudel aus Block drei begegnet, kann Parfum nicht schaden.

Hinter der Fußballwiese taucht er wieder aus dem Gestrüpp auf. Die Stange des linken Tores muss gewässert werden, dann geht er schnurgerade hinüber zur Stange des rechten Tores. Das kann Konrad ewig machen. Was das Pinkeln betrifft, macht ihm niemand was vor. Der kopfsteingepflasterte Weg führt ihn hinüber zu Block drei. Der wird mit einer Pfütze bei den Forsythien an der hinteren Ecke und ebenfalls mit einer vor dem Eingangstor bedacht.

Schließlich hält er geradewegs auf sein Zuhause zu. Einmal kurz gebellt und schon eine Minute später öffnet sich die Tür. Wieder einen Spaltbreit. Genug, dass er durchschlüpfen kann.

So geht das jeden Tag. Und es wäre eigentlich kein Problem, wenn da nicht auch sein Häufchen wäre. Diesmal hat er es beim Elterntisch hinterlassen und das löst unweigerlich eine Kettenreaktion aus: Zuerst regen sich die Schober und die Klenk fürchterlich auf, weil der Spielplatz und die Wiese das reinste Minenfeld seien und ihre kleinen Engel mittendrin. Die treten nämlich zielstrebig in jeden Haufen zwischen Haustür und Spielplatz. Dann müssen die Mütter die Profilsohlen der sündteuren, gesunden Kinderschuhe mit Zahnstochern säubern. Und sie haben, weiß Gott, Besseres zu tun.

Deswegen wird dann der Malz fuchsteufelswild, weil er der Hausmeister ist und von den aufgebrachten Frauen herausgeläutet wird. Und wenn er etwas gar nicht leiden kann, dann ist es, herausgeläutet zu werden. Schließlich hat er, weiß Gott, ebenfalls Besseres zu tun. Was das ist, verrät er nicht, weil er sich nicht vor jedem rechtfertigen kann, sonst würde er mit dem Rechtfertigen ja gar nicht mehr fertig. Also fängt er sich so etwas gar nicht erst an.

Im Grunde sind ihm die Hundehaufen nämlich egal, solange er nichts damit zu tun hat. Überhaupt ist ihm ja alles egal, solange er nichts damit zu tun hat. Weil er in der Anlage aber irgendwie mit allem was zu tun hat, wenn die Leute mit jedem Mist zu ihm kommen, ist es der reinste Teufelskreis. Und da Hunde schon schlimm genug sind, Schweine aber noch viel schlimmer, gerät Daniel mitten hinein in diesen Teufelskreis.

Daniel Mayer besitzt nämlich neuerdings ein Schwein, ein Minischwein namens Penelope. Obwohl streng genommen gar nicht er es besitzt, sondern die alte Frau Leitner. Die hat sich den Oberschenkelhals gebrochen, was Daniel komisch findet, weil er gar nicht gewusst hat, dass auch Oberschenkel Hälse haben können. Auf jeden Fall muss man da ins Krankenhaus und anschließend in ein Rehazentrum, wo Schweine nicht erlaubt sind. Obwohl Penelope stubenrein und ausgesprochen adrett ist. Deshalb hat die alte Frau Leitner Daniel kurzerhand zum Schweinehirten ernannt, weil sie fast auf ihn draufgefallen wäre, als es passiert ist. Und wo er schon einmal da war, hat es sich irgendwie aufgedrängt.

Da man einer alten Frau mit gebrochenem Bein keinen Wunsch abschlägt und Daniel ohnehin schon immer ein Haustier haben wollte, hat er ja gesagt. Und auch wenn sein Vater ganz rot und seine Mutter ganz weiß im Gesicht geworden sind, haben sie letztendlich widerwillig zugestimmt, sonst hätten sie es nämlich der alten Frau Leitner beibringen müssen, höchstpersönlich am Krankenbett, wo so ein alter Mensch gleich noch viel kleiner und verschrumpelter ausschaut als er eh schon ist.

Frau Leitner hat Penelope auch Penelope genannt, weil sie die griechische Mythologie so liebt. Gerade Odysseus hat es ihr angetan. Ein richtiger Held. Sie wäre ja für ihr Leben gern gereist. Daraus ist aber nie was geworden, also hat sie zumindest Penelope nach Odysseus’ Frau benannt. Daniels Vater nennt Penelope aber nur „das blöde Schwein“, seine Mutter „das Tier“, der Hausmeister „das Mistvieh“, Frau Schinkel, die Nachbarin, nur „oh mein Gott“, wobei sie sich mit der rechten Hand ans Herz fasst, sich mit der linken die Augen zuhält und den Kopf schüttelt. Wegen des Niveaus in der Anlage, weil es sinkt und sinkt und es so etwas früher nicht gegeben hätte.

Die meisten Bewohner ignorieren Penelope jedoch. Nicht zuletzt deshalb, weil die alte Frau Leitner ihr geliebtes Schwein in selbst genähte Mäntelchen gesteckt, ihm selbst gehäkelte Hütchen aufgesetzt und mit ihm die Neuigkeiten des Tages erörtert hat. Irgendwie traurig, fanden die Leute, so alt, allein und wunderlich. Und wenn man etwas traurig findet, ist das ziemlich unbehaglich. Da schaut man am besten weg, möglichst in die andere Richtung.

Im Laufe der letzten Jahre hat man sich an das Schwein gewöhnt. Wie an den abblätternden Putz der Fassade oder die herausstehenden Holzsplitter an den Bänken. Froh ist man nicht, aber andererseits geht es einen ja auch nichts an.

So kam Daniel zu einem Schwein, zumindest vorübergehend. Sein Freund Christoph findet es toll. Er selbst hat nur zwei Riesenkakerlaken, Madagaskar-Fauchschaben genau genommen, fast zehn Zentimeter lang. Sein Vater fand das originell, weil solche Tiere bestimmt keiner hat. Aus gutem Grund, findet Christoph. Er hasst die Geräusche, die sie machen. Insekten sind nicht sein Ding, weil sie einfach eklig sind. Umso mehr, wenn sie wie Mutanten ausschauen. Die dünnen Beinchen kratzen über den Boden und die Scheiben des Terrariums, als würde man mit einem Nagel über eine Schiefertafel fahren. Viel zu bieten haben sie sonst nicht. Sie sind Insekten und machen langweiliges Insektenzeug.

Johanna hätte einen Ameisenigel vorgezogen, weil Eier legende Säugetiere etwas Besonderes sind und ein Schwein nur ein Schwein ist. Ihrer Schwester Sophie ist das egal. Die hat es nicht so mit Tieren, nachdem sie so ziemlich auf alles allergisch ist, was ein Fell hat, auch wenn Penelope Borsten hat. Bis jetzt musste sie aber noch nicht niesen und die Augen sind auch trocken geblieben.

Auf jeden Fall ist Penelope seit fast zwei Wochen in Daniels Obhut und auch seine drei Freunde haben sich an das kleine Schwein gewöhnt. Das Borstenvieh gehört jetzt gewissermaßen zur Familie. Deshalb gibt es auch so etwas wie Sippenhaft. Das heißt, alle werden bestraft, wenn einer was falsch macht. In diesem Fall ist es eine, nämlich das Schwein.

Penelope wühlt für ihr Leben gern in der Wiese herum, sodass es im Hof von Erdhaufen nur so wimmelt. Daraufhin beschweren sich die Leute beim Malz, obwohl für den Garten der Gärtner zuständig ist. Das regt den Hausmeister auf, weil er es ganz allgemein hasst, belästigt zu werden und ganz besonders mit Beschwerden, die ihn im Grunde nichts angehen. Also macht er alle zur Schnecke, sogar das Schwein, und wer braucht das schon?

Gegen die alte Leitner hat der Malz ja nichts unternehmen können. Einerseits, weil sie schon ewig und drei Tage in diesem Haus wohnt, also schon hier gewohnt hat, als er selbst noch in die Windeln gemacht hat, wie sie ihm so oft mitgeteilt hat und andererseits, weil sie ihn an seine Oma erinnert, die ihm diesen Spruch auch bei jeder Gelegenheit unter die Nase gerieben hat. Vor seiner Oma, Gott hab sie selig, hatte der Malz zeitlebens Angst, was er natürlich niemandem sagen würde, weil er hier schließlich eine Autoritätsperson ist.

Der gebrochene Oberschenkelhals der alten Frau ist eine regelrechte Erleichterung für den Hausmeister. Und die Kinder sind ihm sowieso schon die längste Zeit ein Dorn im Auge. Aus Prinzip, weil Kinder von Natur aus unheimlich nervtötend sind. Mit ihren quietschigen Heliumstimmen und den dreckigen Schuhen, mit denen sie ins Haus stürmen, das er dann wieder wischen darf. Das sind doch Kinder, hört er dann, was so viel heißt wie: ist denen doch schnurzpiepegal und er kann ihnen die kleinen Kinderbuckel hinunterrutschen.

Also führt eins zum anderen. Das Schicksal nimmt seinen Lauf, wie man so schön sagt. Weil Schweine doch nicht immer nur Glück bringen und ein paar Tage Ferien schneller vermiest sind als man glaubt. Und alles nur, weil Daniel so dringend aufs Klo muss.

Wenn so ein Schwein muss, dann muss es

Daniel hat nun die Verantwortung für ein Lebewesen. Frau Leitners Oberschenkelhals wird schließlich irgendwann wieder heil sein und dann will sie ihre Penelope gesund und munter wieder in Empfang nehmen. Dafür muss Daniel sorgen. Er traut sich das zu, weil er schließlich schon elf ist, ein Alter, in dem man so etwas problemlos hinbekommt. Ein Kinderspiel. Penelope macht es ihm ja auch nicht gerade schwer, reinlich und nett wie sie ist.

Und wer weiß, was am Ende dabei herauskommt? Wenn er beweist, wie gut er sich um ein Tier kümmern kann, bekommt er womöglich doch noch ein eigenes. Wie ein Probelauf ist das. Seine Eltern können sich daran gewöhnen, dass ein Tier im Haus ist. Wenn sie rein gar keine Arbeit damit haben, weil Daniel alles im Griff hat, werden sie einsehen, dass es kein richtiges Argument mehr gegen ein Haustier gibt. Es muss ja kein Schwein sein. Eine Katze täte es auch oder ein Hamster. Egal, Hauptsache, vier Pfoten und ein Fell. Richtig zuversichtlich geht Daniel in den Tag, ohne die geringste Vorahnung, was da auf ihn zukommt.

Natürlich sind seine Eltern skeptisch, was Penelope betrifft. Sie sind ja immer skeptisch, wenn irgendetwas Ungewöhnliches passiert und ein Schwein als neuer Mitbewohner ist definitiv etwas Ungewöhnliches.

„Jetzt, wo das eine Schwein draußen ist, zieht das andere ein“, hat Daniels Vater gesagt.

Mit dem einen Schwein ist Daniels Bruder Leon gemeint. Der ließ nämlich immer alles herumliegen. Schulsachen, Schmutzwäsche, Geschirr, Müll und was sich sonst so zum Herumliegenlassen eignet.

„Dass du dir das ja nicht abschaust“, hat seine Mutter oft zu Daniel gesagt, wenn sie hinter dem großen Sohn hergeräumt hat. Leise geschimpft hat sie auch dabei. Jetzt ist Leon Student und lässt in einer Studentenwohnung alles herumliegen. Und Daniel hat es sich nicht abgeschaut. So gesehen hätte er sich durchaus ein Haustier verdient. Die Zeit ist reif. Er kann es spüren.

Gut gelaunt füllt er Penelopes Futternapf. Er pfeift und vermanscht alles miteinander. Haferflocken, vermischt mit den Resten des gestrigen Gemüseauflaufs mit Paprika, Zucchini und Auberginen. Schlimmer geht es wohl kaum.

Das ist überhaupt das Beste an einem Schwein, findet Daniel. Es verputzt genüsslich grunzend alles, was er nicht essen mag. Er muss also kein zweites Mal lustlos in diversen Aufläufen oder Eintöpfen herumstochern.

„Wenigstens jemand, der meine Kochkünste schätzt“, stellt seine Mutter dann immer fest.

Und so, wie sie Penelope dabei anschaut, glaubt Daniel fast, dass sie tatsächlich froh darüber ist. Kurz hat er dann ein schlechtes Gewissen, aber nur kurz. Wenn sie nämlich will, dass man ihre Kochkünste mehr schätzt, muss sie öfter Pizza machen oder ein knuspriges Brathuhn anstelle von Gemüseauflauf oder Karfiollaibchen.

An diesem Morgen ist es nicht anders. Penelope schmatzt und frisst den Napf leer. Im nächsten Moment steht sie schon an der Tür, den Rüssel dagegengedrückt wie angedockt.

„Sie will raus“, stellt Daniels Mutter fest.

„Gleich“, sagt Daniel. „Ich möchte auch frühstücken.“

„Danach“, bestimmt seine Mutter. „Sie scheint es eilig zu haben. Wir wollen doch nichts riskieren. Wenn sie muss, dann muss sie.“

Daniel seufzt, aber er fügt sich. Natürlich könnte Penelope aufs Katzenklo, allerdings ist Daniels Mutter kein Fan davon. Er auch nicht, wenn er ehrlich ist, weil es nämlich nicht gerade nach Rosen duftet. Und er will sein Glück ja auch nicht herausfordern.

„Na komm“, sagt er deshalb und legt Penelope ihr Geschirr an. Mit hellblauen Rüschen, die abstehen wie ein Ballettröckchen. Ziemlich peinlich, aber da muss er durch. Das kleine Schwein geht dafür brav an der Leine. Frau Leitner hat es gut erzogen, das muss er der alten Dame lassen.

Viel los ist nicht im Hof. Daniel wird weitgehend ignoriert. Nur der Müttertisch ist gut besetzt. Von dort wirft man ihm auch prompt mahnende Blicke zu. Nur nicht näher kommen heißt das, vor allem wegen des Chaos, das Penelope jedes Mal auslöst. Kleine Kinder lieben nämlich kleine Schweine. Sie laufen zusammen, wollen sie streicheln und knuddeln, und wenn Penelope wieder weg ist, wollen sie auch so etwas. Genau so etwas! Dann geht die Schreierei los, weil ihre Mütter ihnen genau so etwas niemals schenken werden. In null Komma nichts fließen die Tränen und die Mütter knirschen mit den Zähnen.

Also biegt Daniel ab in den nächsten Hof, nach hinten zu den Büschen. Dort stört sich niemand daran, wenn Penelope ausgiebig den Boden umgräbt. Sie hat gerade ihren Rüssel tief in die lockere Erde gesteckt, da verspürt Daniel plötzlich diesen Druck in der Blase. Es ging ja alles so schnell. Seine Mutter hat ihn regelrecht hinausgeworfen. Da kam er gar nicht mehr dazu, vorher aufs Klo zu gehen.

Das ist ein Problem, weil er jetzt unglaublich dringend muss, und in die Büsche will er sich nicht schlagen. Mit Insekten und dem ganzen Viehzeug hat er es nicht so. Sehen könnte ihn auch jemand. Der macht dann am Ende noch ein Foto und das landet dann im Netz. Weil ja heute alles im Netz landet, Privatsphäre gleich null. Behauptet zumindest der Plöch, sein Klassenvorstand. Ganz verrückt macht er seine Schüler mit allen möglichen Verschwörungstheorien. Nicht Gott sieht alles, was sie tun, sondern Google.

Seither leidet seine Klasse unter mittlerem Verfolgungswahn. Das hält sie wenigstens davon ab, peinliche Bilder zu posten, die dann in Windeseile die Runde machen. Und das Netz vergisst ja bekanntlich nie. In achtzig Jahren sind die Bilder dann immer noch da und immer noch peinlich.

Der Druck auf der Blase wird aber nicht kleiner. Daniel schaut sich um, zappelt herum und zerrt schließlich an Penelopes Leine. Und obwohl sie prinzipiell ein sehr umgängliches kleines Schwein ist, hat sie im Moment absolut keine Lust, ihren Rüssel schon wieder aus der Erde zu ziehen. Sie sträubt sich, weil sie gerade erst zu wühlen begonnen hat. Mit allen vier Beinen stemmt Penelope sich dagegen und quiekt auch noch schrill und ohrenbetäubend.

„Na gut“, sagt Daniel. „Dann musst du eben kurz allein hier bleiben.“ Er schlingt die Leine um einen dicken Ast und läuft los. Das ist sicher kein Problem, sagt er sich. Wer interessiert sich schon für so ein kleines Schwein?

Der Tag beginnt eigentlich gar nicht so schlecht

Erich Malz steigt die Stufen hinauf, öffnet die Tür und tritt auf das Flachdach von Block zwei in die blendende Sonne. Er blickt auf seine Armbanduhr, ein Wunderwerk der modernen Technik, wasser- und stoßfest, inklusive Kalender und Kompass. Die hat er beim Pokern gewonnen. Von seinem Freund Herbert. So ist er auch an seinen Toaster gekommen und an ein Waffeleisen, das er allerdings kaum benutzt. Pokern ist eine feine Sache. Außer, man verliert, dann ist es Mist. Erich Malz verliert zwar ziemlich oft, spielt aber trotzdem weiter, weil man ja nie wissen kann.