Welt der Kobolde - Karin Klasen - E-Book

Welt der Kobolde E-Book

Karin Klasen

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Beschreibung

Welt der Kobolde ist ein gewaltfreies Kinder- und Jugendbuch, das auch Erwachsenen gefällt. Lesungen in der Schule zeigen das. Die Protagonisten Nasefried und Ohrefried stapfen durch alle Geschichten. Sie reisen mit ihrem Cousin, dem Gedankenspringer Bennfried, in viele Länder dieser Erde, erleben Tiere, von denen sie zuvor vom Lehrerfried gehört haben. Und immer gelangen sie am Schluss ihrer Abenteuer zurück in die Gemeinschaft ihres Zuhauses, und damit an den Essenstisch der Kobold-Omi. Hunger auf Blaubeerkuchen haben sie nämlich immer!

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Seitenzahl: 289

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhaltsübersicht

Vorwort

Abenteurer aus Überzeugung

Die Wilden vom Bärensee

Rabenvögel

Kobold-Omis Garten

Saftige Früchtchen

Die kleine Nebelprinzessin

Krippeninsel im Schneeflockenwald

Ein Wichtel auf der Suche

Igelerwachen

Ein zu Beginn unzufriedenes Birkenkind

Feuerrotes Gemüse

Schnupfi der Nasenbär und Kobi Nimmersatt

Emilia

Sprudelndes Leben

Abenteuersprung in den Kongo

Ein ganz besonderes Paar Schuhe

Elfchen oder Zwölfchen

Flamme und Flämmchen

Ein Zauberschal

Sinak und seine wölfische Rasselbande

Dazulernen

Ab ins Möckili: Kopfüber in eine andere Welt

Flugangst

Ganz und gar keine Langweiler

Geheimnisvolle Moorwelt

Lügen haben kurze Beine

Nebelsonne im Schattenwald

Wuseltag bei Kobold-Omi

Wo Träume Wirklichkeit werden

Gewusst wie

Zuviel oder zu wenig?

Der Wunsch einer kleinen Birke

Mächenhafte Stimmung im Buchenwald

Auf der Suche nach dem verborgenen Land

Winterland

Tschüss!

Vorwort zur Koboldwelt-Trilogie

Meine Kobolde sind die meist zufriedenen und zugleich neugierigen Bewohner Koboldends. Sie haben Regeln, die sie selbstverständlich einhalten. Zum Beispiel die anderen ausreden lassen, damit sie auch verstehen können, was die meinen, oder Händewaschen! Naja, Letzteres klappt nicht immer.

Hauptakteure sind wie eh und je die beiden Freunde Nasefried und Ohrefried. Dann gibt es die Kobold-Omi, die Littlefrieds, Minikobis, den Doktorfried, Braufried und den neunmalklugen Lehrerfried, um nur ein paar von ihnen zu nennen. Außerdem bekommen sie in unregelmäßigen Abständen Besuch von ihrem Cousin, dem Abenteuerspringer Bennfried. Mit ihm hat es etwas Besonderes auf sich. Er beherrscht nämlich die Kunst des Gedankenspringens! Wann immer es den Koboldendlern möglich ist, begleiten sie ihn auf einer seiner Reisen. Obwohl Kobolde eher klein sind, sie lediglich bis zur Sitzfläche eines Stuhles reichen, stecken sie voller Abenteuerlust. Sie waren schon auf Island, wo sie Vulkane und herrliche Pferde bestaunen konnten, im Grand-Canyon, Grönland, Afrika und in der Antarktis, um nur einige ihrer Ziele zu nennen. Sie haben Tiere kennengelernt, von denen sie nicht einmal wussten, dass es sie gibt.

Manchmal sind die Freunde auch im Koboldwald unterwegs oder auf dem Kringel-See, der nicht überläuft und von dem Ohrefried ursprünglich annahm, er könne auf ihm über den Rand der Welt hinausfahren. Seit geraumer Zeit haben sie auch ein geheimes Versteck – das Möckili! In ihm erzählen sie sich gegenseitig Geschichten, die mehr oder weniger wahr sind.

Und wenn einer aus ihrer Mitte für immer einschläft, halten alle umso fester zusammen. Als sich Ohrefried (Kapitel fünfundfünfzig, Band I) von einem seiner besten Freunde, dem alten Schneiderfried, verabschieden muss und gar nicht weiß, wie er das anstellen soll, zieht er sich zunächst in sein Baumhaus zurück. Dort singt er mit Nasefried lauthals des Schneiderfrieds Lieblingslied von der schnellen Nadel, damit der Wind es zu ihm tragen kann. Währenddessen hat er sich sein lachendes Gesicht vorgestellt und wie er sich darüber freut, eben nicht vergessen zu werden!

Lassen Sie sich also entführen in die Trilogie meiner „Welt der Kobolde“, „Welt der Kobolde – Neue Abenteuer und „Welt der Kobolde – Abenteurer aus Überzeugung“.

Am besten machen Sie es als Leser dieser Bücher so, wie die Kobolde: Das Leben genießen und ab und zu mal gedankenverreisen! Augen schließen und – wusch – kann ein jeder unterwegs sein nach Irgendwo!

Gute Unterhaltung.

Abenteurer aus Überzeugung

Viel hat sich nicht verändert in Koboldend, dem kleinen Ort im Land der Kobolde. Noch immer backt der Bäckerfried Brötchen und Kuchen, werkelt der Schmiedfried in seiner Scheune herum, näht der Schneiderfried alles, was die Kobolde so brauchen. Der Doktorfried verarztet seine Patienten, der Imkerfried schafft frischen Honig herbei und ja, der Braufried süppelt noch immer gern an seinem frisch gebrauten Bier. Wie eh und je frühstückt die Koboldjugend bei der Kobold-Omi. Jeder kennt jeden und nimmt sich Zeit für ein Schwätzchen. Egal, ob nun auf der Wichtigstraße, dem Treppenweg oder auf dem Dorfplatz, etwas zu erzählen gibt es schließlich immer. Und so herrscht schon am frühen Morgen reges Treiben. Die beiden Freunde Nasefried und Ohrefried aber, müssen sich erst einmal den Schlaf aus den Augen reiben. In der vergangenen Nacht haben sie nämlich lange wach gelegen und überlegt, was sie gern einmal unternehmen wollen. „Wir könnten zur Abwechslung all unsere Gedanken einfach mal abschalten“, schlägt Ohrefried dem Freund vor, „du weißt ja, ich hab immer mal wieder Lust zum Nix-Tun.“

„Du bist wohl verrückt, Kumpel. Gibst mit deiner blöden Idee keine Ruhe“, witzelt Nasefried nicht wirklich begeistert. „Ich würde lieber gedankenverreisen. Wir waren schon lange nicht mehr mit Bennfried unterwegs.“

„Auja, das machen wir. Du hast wie immer die besten Ideen. Ich bin freiwillig für die Blaubeer-Pfannkuchen-Beschaffung zuständig. Wenn welche fehlen, backt uns die Kobold-Omi einfach noch einen Stapel. So ist sie halt“, weiß Ohrefried. Zufrieden mit dieser Einteilung lehnt er sich zurück und dreht Däumchen vor seinem leicht dicklichen Bauch. „Die schmecken absolut einzigartig“, bekräftigt er seinen Vorschlag. Währenddessen schickt Nasefried Cousin Bennfried eine gedankliche Nachricht: Bitte so bald wie möglich hier eintreffen. Wir möchten mit dir verreisen! Um dem Gedränge am Frühstückstisch zu entgehen, beginnen die beiden Freunde schon mal ihre Siebensachen zu packen, wie warme, sowie dünne Pullover und natürlich reichlich Proviant. Den stibitzen sie aus Kobold-Omis Speisekammer. Logisch, dass sie ihr das gleich sagen werden, aber eingepackt ist schon mal eingepackt. Als die Kobold-Wuselei in der Küche nachlässt, essen sie rasch ihr Brötchen und was sonst noch so auf dem Tisch liegengeblieben ist. Dann erzählen sie der Omi von ihrem Streifzug durch die Speisekammer und weihen sie in ihren Reiseplan ein. Nun erst, machen sie sich auf den Weg zur Schule. Als sie unter der großen Kastanie angekommen sind, legt Nasefried die Stirn in Falten. „Schade“, murmelt er, „Bennfried kann erst morgen kommen, weil er noch in Skandinavien ist.“

„Wo soll’n das sein? Weiß der überhaupt, wo er sich da herumtreibt?“, mosert Ohrefried.

„Ich denke schon, Freund. Lass uns gleich den Lehrerfried danach fragen.“

„Morjen!“, begrüßt er freundlich und mit einem Augenzwinkern seine zum Teil noch müden Schüler. Dann schickt er sich an, kompliziert aussehende Rechenaufgaben an die Tafel zu schreiben. Ein Seufzen geht durch alle Bänke. Obwohl er ja mit dem Rücken zur Klasse steht, kann er sich die ratlosen Gesichter seiner Lern-Kandidaten gut vorstellen. Mit einem Schmunzeln dreht er sich um und findet seine Vermutung bestätigt. Seinem gutmütigen Herz und dem klugen Lehrer-Verstand haben es seine Schüler zu verdanken, dass er sie fragt: „Na schön, gehen wir es heute anders herum an. Was möchtet ihr, dass wir tun sollen?“

„Wir?“

„Ja, ihr. Wenn ihr wisst, was ihr nicht wollt, solltet ihr zumindest eine Ahnung davon haben, was ihr stattdessen möchtet, oder?“ Der schlaue Nasefried weiß es sofort: „Bennfried ist zurzeit in Skandinavien. Kannst du uns davon erzählen? Ich überlege, warum er wohl dort ist.“

„Hm“, macht der Lehrerfried, während er sich nachdenklich über seinen Bart streicht, „vielleicht will er die Braunbären Schwedens besuchen.“ Bevor einer etwas entgegnen kann, gelingt es ihm zu ergänzen: „Das ist eines der Länder Skandinaviens.“

„Ach so, ich dachte schon, du hättest dich vertan“, gesteht Ohrefried. „Meinst du mit Braunbären, richtige Bären? Mach Dinger, die gibt es dort?“, schiebt er gleich eine Antwort auf seine Frage hinterher. „Aber ja“, freut sich der Lehrer über das plötzliche Interesse am Unterricht – geht doch! Er freut sich, dass er wieder einmal den Nagel auf den Kopf getroffen hat. „Welche Arten kennt ihr denn?“, will er wissen.

„Eisbären“, platzt Littlefried Acht in die Klasse. Der lernt es wohl nie mit dem Finger aufzuzeigen. „Die haben wir vor nicht allzu langer Zeit in Grönland besucht.“

„Ich hab mal von Grizzly-Bären gelesen“, sagt Nasefried. „Brombeeren und Himbeeren“, werfen zwei Minikobis ein, die sich, anstatt brav in den Kobigarten zu gehen, einfach in eine der freien Schulbänke gemogelt haben. Die Größeren biegen sich vor Lachen. „Wir reden hier von richtigen Bären, klar ihr Knirpse? Welche, die brummen und so laut schnauben können, dass euch die Ohren wackeln würden.“ Beeindruckt halten die Minis ihre Klappe. „Also“, unterbricht der Lehrerfried die Diskussion und hält eines seiner schlauen Bücher in die Höhe. „Skandinavien ist eine Halbinsel, seht ihr?“ Alle Augen suchen und finden das Land, das von der Seite irgendwie aussieht, als sei es ein Tier, das kopfüber in die Tiefe springt. „Wohin es wohl will?“, neckt Ohrefried die Kleineren.

„Keine Ahnung, aber es wird’s schon wissen“, kommt die Antwort. „Die Idee ist gar nicht so schlecht“, meint der Lehrer, „das Vorderbein und der Bauch könnten demnach Schweden darstellen, der Rücken Norwegen und das Hinterbein einen Teil Finnlands. An seinem Popo, um bei eurem Beispiel zu bleiben, ist die skandinavische Halbinsel mit Russland verbunden. Tiefe Meeresarme, Fjorde genannt, zerschneiden Norwegens Küsten. Überall gibt es wald- und seenreiche Gebiete. Im Winter ist es im Norden sehr kalt. Eisregen und Schneestürme sind an der Tagesordnung. Unzählige Felsbrock-Findlinge von der Größe unseres Schulhauses liegen herum. Wilde Flüsse haben sich tief in ihr Bett gewühlt. Auch Dänemark, die Insel Island und die Faröer Inseln gehören zu Skandinavien.“ Gerade als der Lehrerfried Luft holt um weitere geografische Daten zu vermitteln, unterbrechen ihn die Littlefrieds: „Erzähl uns lieber etwas über die Bären.“

„Na schön. Kodiak-Bären sind die Riesen unter den Braunbären. Sie sind die mächtigsten Land-Raubtiere und leben, wie ihr Name schon verrät, auf der Insel Kodiak, sowie auf einigen Eilanden vor der Küste Südalaskas. Braunbären sind Säugetiere, super Schwimmer und Allesfresser. Sie mögen Fleisch, Fische, Vögel, Wurzeln, Insekten, Beeren und lieben Honig.“

„Können die den riechen?“

„Ja, sie haben einen ausgezeichneten Geruchssinn. Ihr Sehen ist dagegen eher mittelprächtig.“

„Solala würde Bennfried dazu sagen“, grinst Ohrefried.

„So ein Bienennest hoch oben im Baum“, berichtet der Lehrerfried weiter, „zieht die braunen Gesellen magisch an. Als gute Kletterer erklimmen die kleinen und heranwachsenden Halbstarken mit Leichtigkeit die begehrte Schleckerei. Ausgewachsene Tiere sind zu schwer, die meisten Äste würden sie nicht tragen können. Also warten sie ab, bis etwas Süßes für sie abfällt, damit auch für sie das Schlemmen losgehen kann. Die meisten Erwachsenen der muskelbepackten Einzelgänger leben in Russland und Nordamerika.“

„Komm auf den Punkt, Lehrerfried, und erzähl uns von dem Land, in dem Bennfried gerade unterwegs ist.“

„Gut“, sagt der klug, blättert ein paar Seiten seines schlauen Buches um und hält eine Zeichnung der Tiere hoch. „So sehen sie aus.“

Neugierig betrachten seine Schüler die abgebildeten Zottel, denen sie leicht ihre Kraft ansehen können. Auf kurzen, kräftigen Beinen sind sie unterwegs. Sie haben große Tatzen mit langen Krallen, die sie nicht einziehen können.“

„Die drehen ihre Fußspitzen ganz schön nach innen“, lacht Ohrefried, „wenn ich das mache, gibt’s was hinter die Löffel. Dabei würd‘ ich so oft stolpern, bis meine Knie blutig verkrustet wären.“

„Guckt euch mal ihre runden, gefütterten Ohren an“, ruft ein Littlefried dazwischen. „Bestimmt, damit die im Winter nicht einfrieren.“ Der Lehrerfried unterdrückt seinen Lacher, der ihm aus der Kehle hopsen will und holt tief Luft: „Auf allen Vieren können Bären blitzschnell rennen. Wittern sie Gefahr, richten sie sich auf, stellen sich auf die Hinterbeine, heben die vorderen Pranken und kommen so auf ihre Gegner zu.“ Seine Zuhörer sind beeindruckt. „Eine Bärenmutter“, sagt er, „ist sehr gefährlich, wenn sie annimmt, dass ihre Jungen bedroht werden.“

„Das sind unsere Kobold-Mamas auch. Wehe, ein Fremder kommt einem Minikobi zu nah. Da ist was los!“, lacht Ohrefried und alle pflichten ihm bei.

„Halten Braunbären eigentlich Winterschlaf?“, möchte Nasefried wissen. „Wenn der Wind aus dem Norden weht“, bekommt er zur Antwort, „ziehen sich die Bären in ihre zuvor gemütlich ausgepolsterten Fels- oder Erdhöhlen zurück. Die meisten halten gut genährt ihren Winterschlaf, manche ruhen in den Wintermonaten nur ausgiebig. Während dieser Zeit zehren sie von der dicken Speckschicht, die sie sich im Herbst angefuttert haben. Nach der Bärenhochzeit im Sommer davor, bringt die Bärin dort ein bis drei meerschweinchengroße Junge zur Welt. Vier Monate werden sie von der Mutter gesäugt. Bei ihrer Geburt noch nackt, wächst ihnen rasch ein dichtes Fell. Es geht hoch her, wenn die Kleinen zum ersten Mal mit der Mama die Höhle verlassen dürfen. Bis sie selbstständig sind, was nach zwei bis drei Jahren der Fall ist, tapsen sie auf Schritt und Tritt hinter ihr her. Während dieser Ausflüge sind sie nicht zu bremsen. Möglichst schnell müssen sie die Regeln der Wildnis erlernen und wer Freund oder Feind ist. Das ist eine gewaltige Menge an Wissen. Auch das Jagen erfordert viel Übung und Konzentration. Daher weichen die Kleinen kaum von der Seite ihrer Mutter. Es dauert eine ganze Weile, bis die neugierigen Jungen alles verstehen und lernen können, aber dann, sage ich euch, geht es rund im Wald. Hat ihre Ausdauer zuvor noch zu wünschen übrig gelassen, so erkunden sie später ungestört immer größere Gebiete. Dann erst, suchen sie sich ein eigens Revier. Außer in den Wintermonaten sind Bären zu allen Jahreszeiten und bei jedem Wetter, bei Tag und Nacht unterwegs.“ Der Lehrerfried macht eine kurze Sprechpause, sucht nach neuen Worten, als Ohrefried ihn unvermittelt und gerade heraus auffordert: „Du hast dir eigentlich eine Freistunde verdient, Lehrerfried. Findest du nicht auch? Schau, heute ist Freitag, das passt doch prima.“

„Tja“, entgegnet der Lehrer, „das wäre echt schön, aber dann müsstet ihr ja auch schon nach Hause gehen. Würde euch das denn gefallen?“ Nur mit Mühe kann er sich ein Schmunzeln verkneifen. „Ooch, das machen wir gern für dich“, gibt das Cleverle zurück, „und für uns auch. Da kennen wir nix!“ Der Lehrerfried hat schon oft erlebt, wie günstig sich sein Entgegenkommen auf die Schüler und ihren Lerneifer ausgewirkt hat. Daher willigt er gern ein: „Abmarsch, ihr Schlaumeier, macht was aus eurer schulfreien Zeit.“ Damit meint er, dass diese ja nicht lernfrei bleiben muss. Und genau das wissen und respektieren seine Schüler. Natürlich sind sie im Nu verschwunden. Außer Rand und Band geht es jetzt zum Mittagessen. Mit viel Glück wird Bennfried gleich bei ihnen eintreffen. Das wäre eine Gaudi!

Die Wilden vom Bärensee

Nach dem Mittagessen laufen die Reisevorbereitungen auf Hochtouren. Bennfried ist zwar immer noch nicht eingetroffen, aber das nächste Abenteuer soll so rasch wie möglich beginnen können. Sobald er da ist, wird es in Koboldend rundgehen. Die Littlefrieds hingegen, sind in Spiellaune, ständig in Bewegung und für jeden Unfug zu haben. Seit geraumer Zeit spielen sie schon Fang-den-Kobold. Ohrefrieds Rucksack ist längst prall gefüllt. Zufrieden döst er nun, was ja bekanntlich zu seinen Lieblingsbeschäftigungen zählt, unter einem der Apfelbäume auf der Wiese hinter dem Haus. Auf den Feldern sprießt das Getreide und in den Gärten reift das Gemüse. Stolz tragen die Bäume ihre Früchte. Da ertönt eine wohlbekannte Stimme: „Zeit aufzubrechen, Freunde!“

„Bennfried!“, jubelt jeder, der den Gedankenspringer gehört hat und flitzt, wie bei jedem seiner Besuche, hin zu ihm. „Kommst gerade im rechten Augenblick. Später wäre blöd gewesen.“

„Wohin soll es denn heute gehen, Kobolde?“, fragt er gespannt. „Nach da, von wo du gerade zurückgekommen bist“, fliegt ihm die Antwort zu.

„Ihr wollt nach Schweden?“

„Ja, genauer gesagt, möchten wir die braunen Bären beobachten“, ruft Littlefried Eins in die reisefreudige Gesellschaft. Bennfried lacht: „Macht euch aber darauf gefasst, dass sie voller Überraschungen stecken. Die größeren wissen gar nicht wohin sie mit ihrer Kraft sollen. Wir dürfen ihnen also nicht zu nahe kommen.“

„Was tun wir, wenn’s mal brenzlig wird“, will der siebte Littlefried ein bisschen kleinlaut wissen. „Abtauchen und neu anschleichen“, überlegt der nächste der Kurzen. „Wirklich, Freunde, diese super neugierigen Tiere bahnen sich gut getarnt und mutig ihren Weg, um ganz nach Bärenmanier plötzlich vor einem aufzutauchen. Ich hab’s erlebt und sage euch, dass sie nur schwer zu überlisten sind. Nur wenn es mir gelingt uns schnell genug davonzudenken, ist alles okay.“

„Dann ist ja alles gut und wir können los“, stöhnt Nasefried genervt, „lasst uns endlich mit dem Wind ein Stück in die Welt ziehen.“ Alle wissen, was zu tun ist. Im Kreis aufstellen, einander die Hände reichen, Augen schließen und – wusch – sind sie unterwegs. Aus der Vogelperspektive können sie sehen, dass sich ein paar Wolken zwischen den Bergen verfangen haben. Nur kurz geben die flauschig aussehenden Gebilde den Blick auf ihre Gipfel frei. Zwei von ihnen türmen sich mächtig auf. „Sie sind das Tor zur Wildnis“, erklärt Bennfried, „dahinter, weit abgelegen, wo Land und Himmel aufeinander treffen, liegt das Tal der Bären. Ganz schön einsame Gegend, was?“ Die Reisenden sehen Felsen, Wasser und Bäume, soweit sie gucken können. „Platz ist ja hier genug“, findet der achte Littlefried.

„Ich nenne das hier eher öde“, unkt Ohrefried, weil er schon eine Pause einlegen will. Dafür knufft ihn Nasefried freundschaftlich in die Seite. „Miesmacher.“ Noch einmal schütteln Winde die Gedankenreisenden ordentlich durch und schon sind sie da. Vorsichtig landet Bennfried mit seiner Truppe auf der Erde. Es ist heiß und schwül. Jeder Schritt fällt ihnen schwer. „Nicht mosern“, rät Nasefried in weiser Voraussicht, „anderswo ist’s auch nicht besser.“ Um sie bei Laune zu halten, legen sie die erste Pause ein. Hurtig macht sich Ohrefried über seine Essensrationen her. Unbeeindruckt vom Tumult, den die anderen machen, lässt er sich eine weitere Butterstulle schmecken. „Gibt Schmackes“, betont er, „mit denen mach ich kurzen Prozess, wenn sie uns an den Kragen wollen.“ Dann geht es weiter. Nach ein paar Schlenkern führt ein Pfad in den Wald. Die Stimmung ist gut, und die Reisenden kämpfen sich mit wachsamen Augen zwischen dichten Lianen hindurch. Hier zwischen den Bäumen ist die Erde feucht und glitschig. Jeder einzelne der wagemutigen Bärensucher reißt sich zusammen und gibt Gas, um möglichst rasch zum Bärensee zu gelangen. „Ganz schön geländegängig“, lobt Bennfried geschickt. Mit einem Mal hören sie eigenartige Laute. „Das sind Bären“, weiß ihr Reiseführer, „ihre Höhle muss ganz in der Nähe sein.“ Tatsächlich, gut versteckt im dichten Gestrüpp, liegt eine Bärenhöhle. „Kobolde“, warnt er noch einmal seine Gefährten, „ihr müsst so lautlos sein, wie der Uhu während seines Fluges, sonst habe ich allen Grund mir Sorgen um euch zu machen.“

„Versprochen“, flüstern alle und staunen. Drei niedliche Bärenkinder verführen sie näher zu kommen. „Guckt euch das an“, flüstert Nasefried, „die Jungs sind fit drauf. Für sie beginnt bestimmt jetzt eine aufregende Zeit.“

„Die gleichen sich, wie ein Ei dem anderen“, meint einer der Kurzen. „Ne, das meinst’e bloß“, antwortet ihm ein anderer. „Eines von den dreien ist ein Mädchen“, korrigiert Bennfried.

„Ganz schön munter“, bemerkt Ohrefried, „aber Schwanenhälse ham die nicht gerade.“ Da ertönt ein bedrohliches, tiefes Brummen hinter ihnen. Knackende Zweige lassen ihnen kurzerhand die Haare zu Berge stehen. Sofort handelt Bennfried und denkt die gesamte Truppe auf einen der Bäume. Schon ist die Bärin am Bau angekommen und versucht zu erschnüffeln, wer es gewagt hat in die Nähe ihrer Jungen zu kommen. Sicherheitshalber zieht Ohrefried den Riemen seines Rucksackes fester. „Versuch dein Glück woanders, Zottel“, mosert er. Unterdessen tollen die bärigen Fellbälle ungestüm um ihrer Mutter. Zum täglichen Spielen hat sie einfach immer Zeit. Vergnügt wälzen sich alle auf dem weichen Waldboden. Das steht quasi auf dem Tagesprogramm. Es scheint als halten die Geschwister fest zusammen. Mutter Bär ist sichtlich zufrieden, denn ihre Jungen haben sich schon prächtig entwickelt. Auf ihr Zeichen setzen sie sich jetzt brav in Bewegung und trotten hinter ihr her. „Bisschen schwerfällig auf den Beinen, wie?“, flachst Nasefried, „hin und wieder stolpern sie über ihre eigenen Füße.“ Die Bärchen müssen lernen, was sie fressen dürfen und was nicht. Klar, dass die Mama sie stets im Auge behält. Und was es nicht alles zu erschnuppern gibt. Überall lauern fremde Gerüche, die darauf warten entdeckt zu werden. Lauter erste Male! Hier im Wald finden sie reichlich Nahrung. Im Augenblick sind es die leckeren Maden unter der Rinde eines abgestorbenen Baumes, die sie magisch anlocken. Eines der Jungen versucht einem anderen etwas aus dem kleinen Maul zu stibitzen. Das lässt das aber nicht auf sich sitzen und zieht dem Dieb eins über. Selbst ist der Bär, alles geklärt. „Ein bisschen mehr, da geb ich ihm recht, kann nie schaden“, meint Ohrefried. Mit jeder Woche werden die Kleinen selbstständiger. Es steht viel auf dem Spiel, denn bis zum Ende des Herbstes müssen sie genügend Speck für den Winterschlaf auf den Rippen haben. Die Bärin ist eine wahre Expertin und zeigt ihnen, wo die besten Futterstellen und die süßesten Naschereien zu finden sind. Sie selbst zerbeißt mühelos die Knochen eines erlegten Tieres, aber die Jugendlichen müssen erst einmal klein anfangen. Jeden Tag werden sie an Gewicht zulegen. So ein paar Beeren zum Nachtisch sind allemal mit von der Partie. Ohne etwas Süßes, soweit kommt’s noch. Schnell hat die kleine Truppe den Dreh raus, jede einzelne der süßen Früchtchen von ihren Ästchen zu zupfen. Innerhalb weniger Minuten haben sie den Strauch leergefuttert. „Ganz schön gefräßig“, beschwert sich Ohrefried, der schließlich auch welche naschen wollte, „dumm gelaufen.“

„Die Luft ist rein, Freunde, wir können wieder auf die untere Etage zurückkehren“, sagt Bennfried und denkt alle wohlbehalten auf eine kleine Lichtung. Hier machen sie Rast. Flink räubern sie ein paar Leckerbissen aus ihren Rucksack-Vorräten und legen sich anschließend ins weiche Moos. Ohrefried ärgert sich über die vielen Ameisen, die an seinen Beinen nach oben krabbeln wollen und auch über die Bienen, die hier irgendwo ihr Nest haben müssen. „Ausgerechnet“, brabbelt er, „ich kann unmöglich für ein Leben in der Wildnis bestimmt sein.“ Die anderen kichern verhalten, schließlich wollen sie ihn nicht zusätzlich ärgern. Eine Stunde später hören die Bärensucher, die sich nähernden und mittlerweile bekannten Stimmen der Bärenfamilie. Also nix wie flugs auf einen der Baumriesen. Schon sind die zotteligen Vorwitznasen da. Immer zu einem Spielchen aufgelegt.

Auf ihren dicht behaarten Rücken rollen sie herum und strampeln mit den Beinen. „Die sind bestimmt völlig harmlos“, meint Littlefried Fünf.

„Hast du eine Ahnung, nimm dich lieber vor ihnen in Acht“, rät Bennfried, „auch die Kleinen da unten können blitzschnell zupacken. Die sind nicht wählerisch, die würden sogar dich verspeisen.“

„Dödel! Die schleichen sich doch nicht an wie Räuber. Guck doch wie niedlich sie sind.“ Der fünfte Littlefried ist nach wie vor davon überzeugt, dass die Brummbären süße Schmusetiere sind. „Auf den müssen wir besonders gut aufpassen“, flüstert der Gedankenspringer Nasefried zu. „Dieser Littlefried weiß noch nicht, dass er schief gewickelt ist.“ Der hat verstanden und hält den Daumen hoch. Einer für alle, alle für einen, ist doch klar! Unterdessen döst die Bärin als wäre sie mit sich und der Welt zufrieden, vor sich hin. Plötzlich richtet sie sich auf, ruft die widerspenstigen Knirpse und macht sie auf ein eigenartiges Gebilde im Nachbarbaum aufmerksam, in das unentwegt Bienen hinein- und wieder hinausfliegen. Wieder ertönt ihr tiefes Brummen. Sie weiß genau, dass sie durch ihr Körpergewicht nicht mehr in der Lage ist dort hinauf zu klettern. Daher schickt sie die Kleinen auf die nicht ungefährliche Mission, lernen müssen sie das ja eh irgendwann. Zunächst unbekümmert, stecken die Jungen heldenhaft die zahlreichen Stiche ein, wenn sie in ihre empfindlichen Nasen gepikt werden. Aber für zuckersüßen, goldgelben Honig lohnt es sich allemal diese schmerzhaften Erfahrungen einzustecken, hat ihnen die Mama verraten. Früher oder später, das wissen sie genau, werden sie reichlich Beute machen. Wenn nicht heute, dann halt morgen. Im Moment scheinen sie irgendetwas falsch zu machen, denn Mama Bär ist sauer.

Anscheinend ahnen sie was los ist und bleiben sicherheitshalber einfach im Geäst hocken. Da sie aber bärenmüde sind, purzeln sie wenig später als dicke braune Kugeln zu Boden. Nichtsdestotrotz macht sich die zottelige Familie auf den Weg zum See. Dort angekommen, nutzen alle Mitglieder die Gelegenheit ein ausgiebiges Bad zu nehmen. Sofort stürzen sich die Kleinen ins nasse Getümmel. Außerdem kühlt das Wasser ihre angepikten Nasen. „Seid bloß nicht wasserscheu“, scheint die Mama zu brummen, „ich dulde keine Katzenwäsche.“ All ihre Jungen im Auge zu behalten ist nicht gerade leicht, sind sie doch eine wilde Mischung aus Übermut und naja, ein bisschen Großspurigkeit. Schnell ist der Waschgang beendet. „Ist wie bei uns zu Haus“, murmelt Ohrefried. Nach dem Bad vagabundieren die Zottel zu einer Stelle im Wald, an der viele vom Sturm umgeknickte Bäume liegen. Zwischen ihnen, besonders unter deren Rinde, finden sie so manchen Leckerbissen, wie saftige Maden und Raupen. Sie können sich gar keinen Reim darauf machen, doch ihr Appetit will kein Ende nehmen. Erst nach einer Weile setzen sie ihre Wanderung fort. Stolz durchstreifen sie an Bärenmamas Seite immer größere Gebiete. Ja, als sie noch klein waren, haben sie sich beim leisesten fremden Geräusch im Schutz des dichten Unterholzes verborgen, aber mittlerweile, pah! Heute, zum Beispiel, sind sie schon seit der Morgendämmerung auf der Suche nach Nahrung, unterwegs. Als Tiere der Nacht kommen sie auch im Dunkeln gut zurecht. Mühelos legen sie viele Kilometer zurück und das an einem Stück! Voller Tatendrang, genießen sie ihre Spiele im Bärenparadies und die Freiheit auf vier Tatzen. Noch wissen sie nicht viel vom Ernst des Lebens. Wilde Verfolgungsjagden und witzige Versteckspiele dürfen noch Vorrang haben. Ab und zu zupfen sie sich Beeren von Sträuchern und knabbern ein paar Pilze. Notfalls graben sie nach etwas Saftigem, Krabbeligem. Ihnen wird einfach nie langweilig. Die Wald-Speisekammer hat rund um die Uhr geöffnet. Sich auf leisen Sohlen heranzuschleichen ist ihre Devise. Davon machen sie reichlich Gebrauch, besonders die erwachsenen Tiere, wenn sie einen Elch oder ein Rentier erbeuten wollen. Plötzlich, wie auf ein geheimes Kommando, verschwindet die bärige Familie zwischen den Bäumen. „Die sind einfach pappsatt und hundemüde“, sagt Bennfried. „So schnell sehen wir die nicht wieder.“

„Apropos“, meint Ohrefried, „ ich brauche auch mal was zwischen meine Zähne.“

„Okay, wir legen eine Pause ein“, meinen auch alle anderen. „Die Bärenkinder haben alle Blaubeeren gefressen“, jammert Ohrefried bestürzt.

„Was ist los? Reg dich ab, Kumpel.“

„Aber Nasefried, das ist doch unfair von denen.“

„Na, komm, dafür mögen die begeisterten Kletterer lieber Honig, statt Blaubeer-Pfannkuchen.“

„Wenigstens etwas. So bleibt mehr für mich“, strahlt der hungrige Ohrefried und unterdrückt einen kräftigen Gähner. Wie aus dem Nichts haben sich unterdessen regenschwere Wolken über den Reisenden breit gemacht. Windstöße lassen die Bäume mit den Armen winken, als wollten sie den Kobolden mitteilen, dass sie sich in Sicherheit bringen sollen. „Wie nett von denen“, meint der erste Littlefried. Die Bärensucher fackeln nicht lange, bilden einen Kreis, reichen einander die Hände, schließen ihre Augen und – wusch – sind sie auf dem Weg nach Hause. Dort angekommen, findet noch schnell eine harmlose Rangelei auf dem Dorfplatz statt, dann haben alle dasselbe Ziel. Wenig später sitzen sie gemütlich um Kobold-Omis Küchentisch und erzählen von ihren Erlebnissen, bis dem einen oder anderen Littlefried die Augenlider zufallen. Nacheinander verkrümeln sie sich in ihre Betten und ziehen die Decken über ihre Köpfe. Dieses Mal verschwinden sie nirgends anders als im Land der Träume.

Rabenvögel

Im ganzen Koboldland regnet es wie aus Kübeln. Daher ist es kalt geworden, beinahe Kühlschrankkalt. Vor Langeweile randalieren ein paar der Kurzen herum und nerven damit die anderen. Der Holzfried nämlich, will ihnen gerade etwas über Rabenvögel erzählen.

Klingt nicht gerade spannend, ist aber immer noch besser, als zu versauern. Besonnen lässt die Kobold-Omi eine Dose mit frisch zubereiteten Honigbonbons herumgehen, und die können einfach alles versöhnen. Sogar Regenwetter und kleine Randalierer! Als alle einen Sitzplatz haben und der Holzfried sich konzentriert hat, legt er los: „Stellt euch vor, wie über den verschneiten, wie frisch getünchten Bergen, ein Schwarm Krähenvögel streicht. Geschickt nutzen sie die Thermik und gleiten invasionsgleich darüber hinweg. Es sind Dohlen, die kleineren Verwandten, der stets in vornehmem Schwarz auftauchenden Raben. Langsam gleiten sie tiefer, sammeln sich im Wiesenschlaraffenland und schlagen sich ihre hungrigen Mägen voll. Deutlich leuchten ihre gelben Schnäbel und die hummerroten Füße. Lebhafte Diskussionen finden statt. Lautes Krächzen, heftige Kopfbewegungen und Flügelschlagen festigen den Zusammenhalt der Gemeinschaft.“

„Die machen das ähnlich wie wir“, findet Littlefried Eins, „bloß ohne Honigbonbons.“ Ein bisschen irritiert sucht der Erzähler nach Worten. Wo war er doch gleich stehengeblieben? Da fällt es ihm wieder ein: „Durch die dunkle Stirn und das schimmernd graue Köpfchen, in dem blau-graue Augen blitzen, sehen Dohlen hübscher aus, als ihre Vettern, die Saatkrähen. Deren graues Gesicht mit den gräulichen Schnäbeln, lassen sie alt und ein wenig tattrig aussehen. Aber auch sie tragen das stattlich-schwarze Gefieder ihrer Großfamilie. Sobald alle gesättigt sind, steigen die Flugkünstler auf und gleiten als dunkle Schatten unter dichten Wolkenpaketen dahin. Sie überqueren mächtige Wasserstraßen, die sich durch die Lande schlängeln, und lassen das von Wind und Wetter gepeitschte Land weit unter sich. Wenn der nächste gefiederter Trupp zu ihnen stößt, ziehen sie gemeinsam in Richtung Stadt. Viele der Vögel, so auch die Nebelkrähen, die leicht an ihren dunklen Schnäbeln und Beinen zu erkennen sind, überwintern gern unter schützenden Hausdächern, oder in den Nischen des Glockenturms vom Schulhaus. Dort sind sie vor Fressfeinden gut geschützt. Angenehm ist ihnen auch, dass die Temperaturen innerhalb der Häuserfronten nicht so weit absinken. Im Nu haben sie einen sicheren Ort gefunden, an dem es sich gut leben lässt. Sorglos sind beinahe alle Flugkünstler zu Verfolgungs-Spielchen aufgelegt. Einige der Heißsporne werfen sich gegenseitig während ihres rasanten Fluges Beutestücke zu. Wenn es der Einfachheit dient, da sind sich alle einig, lebt es sich auch gut, wenn sie viele der Abfälle rückstandslos verwerten können. Nichts ist praktischer und einfacher, als in gut gefüllten Abfalleimern nach etwas Fressbarem zu suchen.“

„Bäh, wie können die nur?“ regt sich einer der Minikobis auf, aber diesmal sabbelt der Holzfried einfach weiter: „ Wenn einer der Leckerbissen zu verlockend duftet, bestehlen sie sich gegenseitig und das hemmungslos. Ist der Dieb auf frischer Tat ertappt, tut er als wüsste er von nichts und tippelt, das Diebesgut längst aufgefuttert, vollkommen unbeteiligt umher. Fehlt bloß noch, dass er seinen Kopf in den Nacken legt und ein Liedchen pfeift.

Sind die klirrend kalten Nächte vorüber, lösen warme Frühlingstage den Winter ab. Endlich werden die Tage heller und länger. Es kommt aber vor, dass der Wind von Norden noch einmal dunkle Wolken heran weht, deren lange Finger gierig nach dem Himmelsblau greifen. Wenige Augenblicke später können sie sich zu einer bedrohlichen Wolkenfaust ballen, um sich nach wenigen Minuten sintflutartig ihrer nassen Fracht zu entledigen.“ Mit einem Grinsen im Gesicht erzählt Holzfried weiter. Er freut sich über die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Zuhörer. „Dann, auf einmal, wie aus dem Nichts“, sagt er, „sind sie da. Schimmernde, pechschwarze Edelsteine, die im Verband unter dem schweren Wolkengebräu fliegen. Wind und Regen dreschen auf sie ein – reißen ihr Krächzen in Stücke. Dennoch setzen die starken Tiere unbeirrt ihren Weg fort. Diese mächtigen, mit 1,30 Meter Flügelspannweite dahin jagenden Wolkenkrieger sind Kolkraben, die Könige aller Rabenvögel! Sie sind keine Zugvögel. Zwar widersprechen ihre lauten Schreie der Tatsache, dass sie zu den Singvögeln zählen, dennoch sind sie mit einer Körperlänge von bis zu fünfundsechzig Zentimetern die größten weltweit! Wohin werden die schwarzen Phantome wohl steuern, und welch abenteuerliche Etappe mögen sie hinter sich haben? Einem riesigen gefiederten Fächer gleich, wischt die Schar unter dem aufklarenden Himmel dahin und entschwindet am Horizont.

Am folgenden Tag tanzt ein schneeweißes Wolkenballett vor dem königlichen Blau des Himmels. Das leise Singen der Baumwipfel, die sich im Frühlingswind wiegen, wird vom Geschrei der großen Tiere übertönt. Während sie über dem Wald kreisen und ihre Warnrufe gegen jeden Eindringling in ihrem Luftraum ausstoßen, beobachten die wissbegierigen Allesfresser aufmerksam alle Bewegungen ihrer Beutetiere. Zu ihnen zählen Mäuse, Insekten, Würmer und sogar Jungvögel. Hin und wieder, wenn es nichts Besseres gibt, entscheiden sie sich für vegetarische Kost, wie zum Beispiel Beeren. Selbst Aas, also tote Tiere, verschmähen sie nicht. Finden sie mehr zu Fressen als sie vertilgen können, werden die Leckerbissen, ganz nach Rabenmanier, sorgsam vergraben. Anschließend steigen sie auf, finden in die Thermik und reiten mit dem Wind. Wenn der Mond weit entfernt und doch zum Greifen nah am Himmel steht, erscheinen die cleveren schwarzen Flieger wie Scherenschnitte.

Am nächsten Morgen übergießt die aufgehende Sonne die Spitzen der Berge mit ihren Strahlen. Davor kreisen, wie von Geisterhand bewegt, viele flatterhafte Schatten. Langsam schweben sie tiefer und verschwinden im Wald. Hungrig knacken sie blitzschnell umher krabbelnde Käfer. Die haben sicher angenommen sie seien in ihren glänzenden Rüstungen in Sicherheit. Da haben sie sich, wenn auch nur einmal, gewaltig geirrt. Die verwegenen gefiederten Gauner futtern sich Energie an, denn es wird Zeit ihre Horste zu bauen. Mühsam verarbeiten sie das herbeigeschleppte Baumaterial zu einem sicheren, stabilen Rabenhorst. Obwohl sie einander argwöhnisch beobachten, wird das eine oder andere Ästchen von den unaufmerksameren Baumeistern stibitzt. Wenn im April, nach einundzwanzig Tagen, die Küken geschlüpft sind, bleiben sie noch fünfundvierzig Tage gemütlich im sicheren Nest. In dieser Zeit betteln leuchtend-rote Rabenkinder-Schnabelschlünde nach Futter und ihre fürsorglichen Rabenmütter sorgen dafür, dass die nächste Generation der cleveren Luftakrobaten gut genährt wird! Schließlich wollen alle so schnell wie möglich fliegen, fliegen, fliegen.“

Damit endet der Erzähler und genehmigt sich einen Becher heißen Kakao. Den hat die Kobold-Omi immer parat, weil sie weiß, wie gern er ihn trinkt. Noch sind die Kurzen mit Denken und Lutschen beschäftigt, aber gleich, das ist klar, wird das Tohuwabohu wieder von Neuem losgehen.

Kobold-Omis Garten

Nachdem es in Koboldend tagelang geregnet hat, haben die Bauernfriede gestern gegen Abend Strohhalme vom Vorjahr unter die Erde ihrer Äcker gepflügt, und die schimmern heute in der Morgensonne wie flüssiger Honig. „Kaum zu glauben, wie träge du bist“, tadelt Nasefried seinen Freund, der müde neben ihm her schlurft. Außer den beiden ist kein anderer Kobold unterwegs. Die Kleinen schlafen und die Erwachsenen sind bei der Arbeit. „Ich mag keine Wanderung unternehmen“, jammert Ohrefried. „Am besten bleiben wir ein bisschen hier, okay?“

„Na, gut“, gibt sich Nasefried geschlagen, „wenigstens etwas.“ Eine Weile gucken sie sich in Kobold-Omis großem Garten um, in dem ein harmonisches Miteinander der unterschiedlichen Pflanzen herrscht. Es gibt Möhren, Kohlrabi, Lauch, Wirsing, Kartoffeln und andere gesunde Sachen.

Aber auch viele Blumensorten, so wie die großen Sonnenblumen, die dort scheinbar um die Wette wachsen. Die Kobold-Omi ist stolz darauf, dass die Blütenscheiben der strahlend gelben Sonnenrosen, wie sie auch genannt werden, so groß sind, wie ihr größter Essteller. Gegen Ende des Sommers werden die Samen reif sein. Aus den hübschen, helldunkel gestreiften Körnern wird nach der Ernte Sonnenblumenöl gepresst. Dabei wird der Omi natürlich der starke Schmiedfried helfen. So weit käme es noch, dass sie das alles alleine machen müsste. Einen Teil des Öles wird sie mit einer ordentlichen Portion Fett vermengen, damit die Vögel im Winter auch vom Gartenreichtum abbekommen und etwas zum Knabbern haben. Eine gute Handvoll Samen behält Kobold-Omi dann zurück, um sie im April des kommenden Jahres aussäen zu können. Auf diese Weise wachsen die Kinder der Kinder der Samen in ihrem Garten.

„Was hast du gesagt?“, fragt Nasefried seinen Freund.

„Ich? Nix.“

„Du nuschelst so leise.“

„Ich hab dir doch gesagt, dass ich das nicht gewesen bin.“

„Na, wer denn sonst?“

„Weiß ich doch nicht.“

Ein paar Schritte von einer besonders großen Sonnenblume entfernt, dort, wo der Boden trockener ist, fühlt sich ein stattlicher Lavendelstrauch wohl. Und der zieht jetzt die Aufmerksamkeit der beiden auf sich. Irgendwie, finden sie,