Weltgeschichte für junge Leserinnen - Kerstin Lücker - E-Book

Weltgeschichte für junge Leserinnen E-Book

Kerstin Lücker

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Beschreibung

Es ist höchste Zeit, die Weltgeschichte zu ergänzen: um all ihre vergessenen Heldinnen. Jenseits der üblichen Klischees - die schöne Kleopatra, die grausame Lucrezia Borgia, die mutige Jeanne dArc - erzählt dieses Buch von Frauen, die Geschichte machten und die trotzdem kaum jemand kennt: von Sitt-al-Mulk, die in den WIrren des Streits zwischen Schiiten und Sunniten das Amt des Kalifen von Kairo übernahm. Von Malintzin, ohne deren Hilfe die Spanier Mexiko nicht erobert hätten. Von Wu-Zetian, die als »chinesischer Kaiser« dazu beitrug, den Buddhismus in China zu verbreiten. Und von Ada Lovelace, die das erste Computerprogramm schrieb und damit nicht nur das digitale Zeitalter einläutete, sondern auch Fragen zur künstlichen Intelligenz stellte.

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INHALT

» Über die Autorinnen

» Über das Buch

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» Impressum

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» www.keinundaber.ch

ÜBER DIE AUTORINNEN

Kerstin Lücker und Ute Daenschel haben Musikwissenschaft, Philosophie, Geschichte, Germanistik und Slawistik studiert. Als sie ihre Doktorarbeiten schrieben, saßen sie viele Stunden und Tage nebeneinander. Dabei tauschten sie gelegentlich ihre Computer und stellten fest, dass man im Text des anderen freier und unbeschwerter herumschreiben kann. Deshalb wurde Ute Daenschels Idee, eine Geschichte der Welt für junge Leserinnen zu erzählen, von Kerstin Lücker verwirklicht. Aus dem Buch wurde ein Forschungsprojekt, denn über Frauen in der Weltgeschichte wird noch nicht lange nachgedacht. Von da an ging es hin und her, die eine schrieb, die andere korrigierte, und so webten sie gemeinsam den Text dieses Buches.

ÜBER DAS BUCH

Wussten Sie, dass die Neuzeit nicht nur mit Leonardo und Luther, sondern auch mit Christine de Pizan und Isabella von Kastilien begann? Es ist höchste Zeit, die Weltgeschichte zu ergänzen: um all ihre vergessenen Heldinnen. Jenseits der üblichen Klischees – die schöne Kleopatra, die grausame Lucrezia Borgia, die mutige Jeanne d’Arc – erzählt dieses Buch von Frauen, die Geschichte machten und die trotzdem kaum jemand kennt: von Sitt-al-Mulk, die in den Wirren des Streits zwischen Schiiten und Sunniten das Amt des Kalifen von Kairo übernahm. Von Malintzin, ohne deren Hilfe die Spanier Mexiko nicht erobert hätten. Von Wu-Zetian, die als »chinesischer Kaiser« dazu beitrug, den Buddhismus in China zu verbreiten. Und von Ada Lovelace, die das erste Computerprogramm schrieb und damit nicht nur das digitale Zeitalter einläutete, sondern auch Fragen zur künstlichen Intelligenz stellte.

»Ein neues Lieblingsbuch zum Vorlesen, Selberlesen und Verschenken.«

Bettina Striebel, Redaktionsleiterin »Dein SPIEGEL«

»Nette Frauen kommen in den Himmel, interessante ins Geschichtsbuch.«

Linda Hüetlin, Illustratorin

Der Anfang

Eine Weltgeschichte muss mit »vielleicht« beginnen.

Vor etwa 4,6 Milliarden Jahren: Die Erde entsteht durch den Urknall. Vielleicht.Vielleicht begann alles Leben auf der Erde mit einem Knall – dem Urknall. Vielleicht war am Anfang alles wüst und leer. Dann entwickelten sich aus winzigen Einzellern riesige Dinosaurier. Irgendwo erhob sich ein Affe auf zwei Beine und begann, Werkzeug zu benutzen. Irgendwo entstand der erste Mensch. Vielleicht.

Vielleicht spielte sich aber auch alles ganz anders ab. Oder es spielte sich ähnlich ab, aber eben nicht genau so. Man muss häufig »vielleicht« sagen, wenn man über Geschichte spricht, über das, was vergangen ist. Weil es vieles gibt, was wir nicht wissen. Die meisten Tatsachen, von denen wir annehmen, dass sie wahr sind – sogar die, die in den Schulbüchern stehen –, sind eigentlich nur Vermutungen.

Meistens gibt es jedoch gute Gründe für unsere Schlussfolgerungen. Denn die Vergangenheit hat Spuren hinterlassen, und wir finden überall Hinweise. Manche sind unscheinbar und undeutlich. Ein Stein, dessen Kanten scharf sind wie Messer. Hat jemand ihn absichtlich so zurechtgehauen? Oder ist er aus einem Felsen gebrochen?

Andere Zeichen sind nur scheinbar leicht zu verstehen. Ein Buch, in dem jemand Jahr für Jahr notiert hat, was geschehen ist; eine Zeitung oder ein Brief: Stecken bestimmte Interessen und Absichten in der Darstellung der Ereignisse? Wurde der Schreiber oder die Schreiberin von jemandem bezahlt, der besonders heldenhaft in Erinnerung bleiben wollte? Oder war ein Buch gar nicht als Darstellung tatsächlicher Ereignisse gedacht, sondern als lehrreiche Erzählung? Wollte der Verfasser eines Briefes jemanden anschwärzen, weil er ihn nicht mochte? Plötzlich scheint vieles nicht mehr ganz so klar.

Es gibt einen Haufen Indizien, einzelne Beweisstücke, die zusammengetragen und sorgfältig untersucht werden müssen. Erst jetzt werden Schlussfolgerungen gezogen und Theorien aufgestellt. Dann werden diese Theorien überarbeitet, und immer wieder mal passiert es, dass sie sogar ganz verworfen werden, obwohl sie vollkommen schlüssig schienen.

Die Historikerinnen und Historiker, die die Geschichte aufschreiben, müssen sich durch dieses verwirrende Geflecht kämpfen, um die Wahrheit herauszufinden. Sie müssen entscheiden, welchen Zeugen sie vertrauen und welche Beweise sie für glaubwürdig halten. Daraus entsteht ein Urteil. Ihre mühsame Puzzlearbeit macht aus dem »vielleicht« ein »wahrscheinlich«.

Ein Puzzle, in dem viele Teile fehlen

Historiker arbeiten unaufhörlich an ihrem Puzzle, obwohl sie genau wissen, dass sie nie alle Teile in den Händen halten werden. Man mag das frustrierend finden oder spannend: Ständig treibt sie die Hoffnung, dass sie genügend Teile zusammenbekommen, um sich ein Bild von der Vergangenheit machen zu können. Leider fehlen im Puzzle der Weltgeschichte, so, wie wir es kennen, an vielen Stellen ausgerechnet jene Teile, die etwas über die Frauen verraten. Dafür gibt es verschiedene Gründe.

Wenn wir Weltgeschichte erzählen, konzentrieren wir uns auf das Außergewöhnliche, auf Ereignisse, die die Welt verändert haben. Wir konzentrieren uns auf Kriege und die Gründung von Staaten, auf neue Religionen und technische Erfindungen. Dafür aber waren überwiegend Männer zuständig, die Frauen dagegen kümmerten sich um den Haushalt, die Küche, die Kinder. Und da dies für lange Zeit und mehr oder weniger überall auf der Welt so war, hatten die Männer weitaus bessere Möglichkeiten, berühmt zu werden und sich in die Geschichtsbücher einzuschreiben.

Doch das ist nicht alles. Denn durch die gesamte Geschichte hindurch haben Frauen die Grenzen des ihnen zugedachten Bereichs immer wieder durchbrochen; sie haben getan, was sie für richtig hielten und wozu sie begabt waren: Sie regierten und kämpften in Kriegen, waren Philosophinnen, Schriftstellerinnen, Komponistinnen oder Ärztinnen und bewiesen ihre Fähigkeiten, wenn sich ihnen die Gelegenheit dazu bot. Es hat mehr bedeutende Frauen gegeben, als man denkt, nur fehlt es oft an Informationen über sie. Und das liegt daran, dass die Menschen es als nicht richtig empfanden, wenn Frauen außergewöhnliche Dinge taten. Es widersprach ihrer Vorstellung von der Ordnung der Welt: Für das Außergewöhnliche waren die Männer zuständig, für den Haushalt die Frauen. Deshalb passierte es immer wieder, dass jene Männer, die die Ereignisse ihrer Zeit dokumentierten, den Beitrag der Frauen einfach leugneten. Das begann schon im alten Ägypten, wo man den Namen der Pharaonin Hatschepsut nach ihrem Tod aus den Steinen in den Pyramiden wieder herausmeißelte. Oder in der Mongolei, dort fand ein Historiker Pergamente aus dem 13. Jahrhundert, die an der Stelle, wo die Geschichte der Frauen dokumentiert ist, einfach abgeschnitten wurden. Oder nehmen wir die Römer: In den fast 1000 Jahren ihrer Geschichte tauchen nur sehr, sehr wenige Frauen auf. Ob das daran liegt, dass sie nachträglich aus der Erinnerung gelöscht wurden, oder aber, was wahrscheinlicher ist, dass diese Gesellschaft von Kriegern den Frauen einfach kaum Möglichkeiten bot, sich hervorzutun – wir wissen jedenfalls viel zu wenig über römische Frauen, und von dem, was wir wissen, ist nur wenig wirklich interessant.

Wagte eine Frau es doch einmal, in die Geschichte einzugreifen, wurde sie oft in einem besonders schlechten Licht dargestellt. Man beschrieb sie als intrigant und grausam, als unehrlich und böse. In der ganzen Welt verfolgten Chronisten damit ein ähnliches Ziel: Sie versuchten mit allen Mitteln, zu belegen, dass eine Frau, die sich einmischte, Unheil brachte.

Leider ging die Strategie der Männer, die Erinnerung an die Frauen auszulöschen, durchaus auf. Von berühmten Schriftstellerinnen wissen wir oft nur noch, dass sie berühmt waren, ihre Texte sind verschwunden; während man die Schriften ihrer männlichen Kollegen wieder und wieder abschrieb und bis heute aufbewahrte. Es gibt Briefwechsel, von denen nur der Teil des männlichen Schreibers noch vorhanden ist, während die Beiträge seiner weiblichen Korrespondentin absichtlich vernichtet wurden oder aus Unachtsamkeit verloren gingen. So legte sich im Laufe der Geschichte das Vergessen wie ein Schleier über das Leben und Wirken der Frauen. Andererseits haben in den letzten Jahrzehnten Historiker auf der ganzen Welt damit begonnen, nach noch vorhandenen Spuren zu suchen, sodass wir heute viel mehr wissen als vor 50 oder 100 Jahren. Durch ihre Arbeit bekommt der Schleier, der unsere Sicht auf die Frauen in der Geschichte verdeckt, allmählich Risse.

Wenn wir im vorliegenden Buch erneut das Puzzle der Weltgeschichte legen, werden wir die vielen Männer, die Bedeutendes zur Geschichte beigetragen haben, nicht aussortieren, denn das ergäbe ja wieder nur ein einseitiges Bild. Wir können die Vergangenheit nicht umschreiben. Deshalb werden wir kein neues Puzzle mit völlig anderen Teilen legen, sondern versuchen, das schon bekannte Puzzle um einige fehlende Teile zu ergänzen.

Die Frage, ob es mehr Männer oder mehr Frauen waren, die die Welt wirklich verändert haben, lässt sich nicht so leicht beantworten. Sicher aber ist die Zahl der Frauen, von denen wir wissen, nicht sehr groß. Dieses ungleiche Verhältnis spiegelt sich in unserem Puzzle wider.

Wir wollen nicht nur von Frauen und wir können nicht von allen starken, klugen und mutigen Frauen erzählen, auch wenn sie – oft trotz widriger Umstände – großartige Denkerinnen, Künstlerinnen, Herrscherinnen oder Ähnliches waren. Denn dann würde am Ende eine »Weltgeschichte der Frauen« herauskommen. Das wäre sicherlich auch interessant, aber es wäre wieder eine Spezialgeschichte; die Frauen wären nicht ganz selbstverständlich Teil jener Weltgeschichte, die uns alle gleichermaßen angeht.

Vor der Geschichte

Lucy und Ötzi

Die Erde ist ungefähr 4,6 Milliarden Jahre alt. Wie die Kontinente sich formiert haben, die Meere, Berge, Wälder, Flüsse und Seen, und wie schließlich die ersten Lebewesen entstanden sind – darüber gibt es Vermutungen. Zum Beispiel die, dass es irgendwann einen Anfang gab, der Urknall genannt wird, obwohl da mit Sicherheit nichts explodiert ist. Gemeint ist mit dem Urknall der Moment, in dem das Sonnensystem und die Planeten noch nicht das waren, was sie heute sind. Dieser Anfang soll sehr lange her sein, Milliarden von Jahren, und das Universum aus Materie, Raum und Zeit soll sich damals noch in einem einzigen, dichten Punkt konzentriert und von da an allmählich ausgebreitet haben. Dann, viel später, führten verschiedene Zufälle dazu, dass auf der Erde Wasser entstand und sich aus wenigen Zellen die ersten kleinen Lebewesen bildeten. Aus ihnen erwuchs eine immer größer werdende Vielfalt von Fischen im Wasser und Tieren auf dem Land.

Vor etwa 200.000 Jahren: Der Homo sapiens erscheint.Über das Alter des Menschen gibt es ganz unterschiedliche Ansichten. Manche sagen, diese Lebewesen mit dem aufrechten Gang, die auf die Jagd nach Tieren gingen und lernten, wie man Feuer macht, gebe es seit ungefähr zwei oder drei Millionen Jahren. Andere sagen, Menschen, die einigermaßen vergleichbar mit uns heute sind, den Homo sapiens gebe es erst seit ungefähr 200.000 Jahren. Das ist schon ein großer Unterschied. Und es sind alles schwindelerregende Zahlen. Die Geschichte, über die wir wirklich einiges wissen, ist da vergleichsweise kurz. Etwa 5000 Jahre. Fast nur ein Wimpernschlag, wenn man sie mit der Lebenszeit des Planeten Erde vergleicht.

In Afrika fanden Forscher einmal fast 50 Knochen, die offenbar zu ein und demselben Skelett gehörten. Die meisten glauben, es handelte sich um eine Frau, aber sicher ist das nicht. Ihr Alter wird auf ungefähr 3,2 Millionen Jahre geschätzt. Als die Forscher das Skelett untersuchten, hörten sie gerade den Song Lucy in the Sky with Diamonds von den Beatles. Deshalb tauften sie es Lucy. Die Gelenke an den Oberschenkelknochen zeigen Spuren der Abnutzung, die darauf hinweisen, dass Lucy aufrecht auf zwei Beinen gehen konnte. Das war vor drei Millionen Jahren noch keine Selbstverständlichkeit. Denn zu Lucys Zeiten lag das Auftreten des Homo sapiens noch in weiter Ferne.

Vor etwa 3,2 Millionen Jahren: Der Vormensch »Lucy« lebt auf der Erde.Es dauerte lange, bis der moderne Mensch, der Homo sapiens, sich all die Fähigkeiten aneignete, die ihn heute so überlegen aussehen lassen. Bis er zum ersten Mal Feuer machte, um sich zu wärmen oder Fleisch darin zu braten. Oder aus Steinen die ersten Werkzeuge herstellte. Das vereinfachte die Jagd, aber auch die Zubereitung von Essen. Später kamen die ersten Behausungen aus Holz hinzu. Und dann gelang der nächste, riesige Schritt: Man entdeckte das Kupfer und fand heraus, dass es sich zur Herstellung von Metallwerkzeugen eignet. Sie waren viel besser als die unhandlichen Steinwerkzeuge. Auf das Kupfer folgten Metalle wie Eisen und Bronze. Nach ihnen sind die Eisenzeit und die Bronzezeit benannt.

Vor ca. 5250 Jahren: Der »Ötzi« stirbt in den Ötztaler Alpen.Aus dem Kupfer konnte man allerdings nicht nur Werkzeuge herstellen. Vor gar nicht langer Zeit, Anfang der 1990er-Jahre, entdeckte ein Ehepaar auf seiner Wanderung in den Ötztaler Alpen eine Leiche. Sie war gefriergetrocknet, und als die herbeigerufenen Polizisten sie mit schwerem Werkzeug befreiten, brachen sie der Leiche aus Versehen die Hüfte. Im gerichtsmedizinischen Institut in Innsbruck stellte man bald fest, dass der Mord, der sich hier offenbar ereignet hatte, schon mindestens 100 Jahre zurückliegen musste. Da es unwahrscheinlich war, den Mörder nach so langer Zeit lebend zu finden, steckte man die Leiche in einen Sack, um sie zu beerdigen. Erst im letzten Moment zog man einen Spezialisten hinzu, der sich mit sehr, sehr alten Funden auskannte. Er sollte die Leiche genauer untersuchen. Der Spezialist fand heraus, dass die Gerichtsmedizin sich bei der Feststellung des Alters grob verschätzt hatte. Denn der Tod hatte den Mann in den Alpen vor mehr als 5000 Jahren ereilt.

Bald begann man, die Leiche nach ihrem Fundort »Ötzi« zu nennen. Er gehört zu den berühmtesten Funden der Jungsteinzeit. Das Eis des Gletschers hatte für seine Gefriertrocknung gesorgt und ihn als Mumie konserviert. Und da es nicht viele 5000 Jahre alte Leichen gibt, die sich so wunderbar erhalten haben, wird er seit seiner Entdeckung gründlich untersucht. In seiner Schulter fand man eine Pfeilspitze, und auch wenn nicht sicher ist, ob er an dieser Verletzung gestorben ist – ob er anschließend auf den Hinterkopf fiel oder ob sein Angreifer ihm nachträglich noch eins über den Schädel zog –, so ist zumindest sicher, dass dieser Pfeil von hinten auf ihn abgeschossen wurde. Außerdem fand man ein Kupferbeil und einen Dolch bei der Leiche. Aus Metall konnte man eben auch hervorragende Waffen schmieden.

Der Mann jagt, die Frau schwatzt

Vor ca. 2,6 Millionen Jahren: Die Menschen stellen Steinwerkzeuge her. Die Steinzeit beginnt.Lange Zeit stellte man sich das Leben der Menschen in der Steinzeit ungefähr so vor, wie es bei uns vor 50 oder 100 Jahren zuging. Natürlich gab es in der Vor- und Frühgeschichte noch keine Häuser, Straßen und Städte, aber das, so glaubte man, hinderte die Menschen nicht daran, die Arbeit untereinander so aufzuteilen, wie es vor gar nicht langer Zeit noch üblich war: Der Mann sorgt für den Lebensunterhalt, die Frau steht zu Hause am Herd und kocht. Deshalb begegnet man in vielen Museen und in Schulbüchern Abbildungen, in denen Männer auf der Jagd zu sehen sind. Sie lauern großen und kleinen Tieren auf, um sie zu erlegen und zum Essen nach Hause zu bringen. Währenddessen sitzen die Frauen in einer Höhle oder einem Zelt um ein Feuer, wo sie eine Handarbeit verrichten oder in einem großen Topf rühren, der über der Feuerstelle hängt.

Manche Menschen argumentieren, dass die Frauen, weil sie damals viel zusammensaßen, geschwätzig geworden seien, während die Männer sich bei der Jagd auf nichts anderes als ihre Beute konzentrierten. Und dass sich an der Geschwätzigkeit der Frauen und der Konzentrationsfähigkeit der Männer seither nichts geändert habe. Sie sagen, trotz all der Fortschritte, die wir in Tausenden von Jahren gemacht haben, verhalten wir uns immer noch so wie die Urmenschen. Doch diese Erklärungen sind nicht besonders klug. Niemand kann beweisen, dass das Leben vor 50- oder 100000 Jahren genauso geregelt war wie heute. Denn die Fundstücke verraten eigentlich nicht viel.

Einmal fand man Vasen, auf denen Menschen in langen Gewändern abgebildet sind. Die Gewänder haben eine dreieckige Form, sie sehen wie Röcke aus. Klar, dachte man sich, auf der Vase sind Frauen dargestellt. Dann aber entdeckte man dieselben Gewänder an gemalten Figuren, die eindeutig Bärte tragen. Es waren Männer, die Röcke anhatten. Die Archäologen begannen, genauer hinzuschauen, und fanden immer mehr Dinge, die zu der Aufteilung »Der Mann jagt, die Frau schwatzt« nicht recht passen: Zum Beispiel fand man Frauen, die mit Werkzeugen und Waffen, und Männer, die mit Perlen und Spinnrocken begraben wurden. Ist es da nicht wahrscheinlich, dass Frauen die Waffen schon zu Lebzeiten trugen – und sie auch einsetzten? Und dass es Männer gab, die sich der Stoffproduktion widmeten, obwohl wir das Spinnen von Garn und das Weben von Tuch als typisch weibliche Aufgaben kennen?

Die große Mutter

Vor ca. 29.500 Jahren: Die Venus von Willendorf, eine von vielen Frauenstatuetten der Altsteinzeit, entsteht.Zu den Funden, mit deren Hilfe wir uns ein Bild von der Steinzeit machen können, gehören auch Höhlenmalereien und kleine Figuren aus Kalkstein, aus Mammut-Elfenbein oder aus Lehm und Ton. Schon damals hatten die Menschen herausgefunden, wie man Keramik brennt. Eine dieser Figuren ist die Venus von Willendorf, die nach ihrem Fundort benannt wurde, dem kleinen Ort Willendorf in Österreich. Sie ist eine elf Zentimeter hohe Figur aus Kalkstein, die eine recht dicke Frau darstellt. Als man die ersten Statuetten dieser Art fand, nannte man sie Venusfigurinen, nach der römischen Göttin der Liebe. Heute spricht man eher von Frauenstatuetten, weil die Bezeichnung Venus doch in die Irre zu führen schien, denn mit der römischen Göttin haben die kleinen Figurinen nicht viel gemein. Verblüffend aber für die Forscher war die Tatsache, dass man in ganz Europa, von Frankreich bis nach Russland und sogar Sibirien, Statuetten fand, die der Venus von Willendorf erstaunlich ähnlich sehen. Schnell zog man daraus den Schluss, es müsse sich bei den Figuren um die Darstellungen von Göttinnen handeln und sie seien ein Beleg dafür, dass die Menschen in dem riesigen Raum zwischen Frankreich und Sibirien alle dieselben religiösen Vorstellungen hatten. Da der – zugegebenermaßen dicke – Bauch der Statuetten leicht auf eine Schwangerschaft schließen ließ, erklärte man weiter, es sei doch ganz logisch, dass die Menschen, als sie noch ganz in der Natur lebten, eine weibliche Gottheit anbeteten. Denn es war ja die Frau, die das Leben aus ihrem Körper hervorbrachte, so wie die Erde, die alles Leben aus sich hervorbrachte und den Menschen damit ihre Nahrung lieferte.

Man sah also eine enge Verbindung zwischen der Frau und der Erde bzw. der Natur, die deshalb als »Mutter Erde« oder »Mutter Natur« in unsere Sprache einging, und die Frauenstatuetten, so dachte man, konnten nichts anders darstellen als Göttinnen der Fruchtbarkeit. Doch die Venus von Willendorf und ihre Zeitgenossinnen sind an die 30.000 Jahre alt, und deshalb sind solche Deutungen äußerst gewagt. Wie zum Beispiel ist es zu erklären, dass man in Dolní Věstonice eine Venus fand, deren Gesichtszüge zu dem Gesicht einer in der Nähe begrabenen Frauenleiche passen? Könnte das bedeuten, dass die Menschen damals nicht nur Göttinnen, sondern auch lebende Personen abbildeten?

Ganz egal, ob es sich um jagende Männer, schwatzende Frauen oder lebenspendende Göttinnen handelt: Über frühe Formen der Gesellschaft wissen wir nichts. Es gibt keine eindeutigen »Beweise«, und so sehr wir uns wünschen, das Verhältnis zwischen Mann und Frau, zwischen Alt und Jung in der vor- und frühgeschichtlichen Gesellschaft zu beschreiben – wir können es nicht. Ein Museum in der Schweiz zeigte einmal ein Schaubild von einem jungen Mädchen aus der Vor- und Frühgeschichte, das einen Hasen erlegt. Warum auch nicht? Vielleicht gingen Mädchen vor 5- oder 10.000 Jahren auf Hasenjagd.

Die neolithische Revolution

Es dauerte mehrere 1000 Jahre, bis die Jäger und Sammler sesshaft wurden, sich feste Behausungen bauten, das Land bewirtschafteten und Städte gründeten. Manche sagen, dieser Prozess, die sogenannte neolithische Revolution, war die größte Veränderung der Menschheitsgeschichte. Im Verlauf der neolithischen Revolution hörten die Menschen auf, als Jäger und Sammler in kleinen Gruppen zu leben. Sie fingen an, Weizen, Reis und Hirse anzupflanzen und sich an festen Orten niederzulassen. Bald konnten sie genug Getreide auf Vorrat anbauen, um auch schlechte Jahre zu überstehen. Dadurch waren sie nicht mehr so abhängig vom Wetter und den Launen der Natur. Sie bauten Häuser und sogar große Paläste, stellten Gegenstände aus allen möglichen Materialien her und trieben Handel miteinander.

Vor etwa 5000 Jahren: Die Menschen werden sesshaft, erste Städte entstehen.Vor etwa 5000 Jahren entstanden an einigen Orten der Welt die ersten Städte, in denen die Menschen ihr Zusammenleben ziemlich gut organisierten. Es waren sehr hoch entwickelte Gesellschaften, das ist der Grund, warum wir sie »Hochkulturen« nennen. Wir wissen nicht, warum die ersten Hochkulturen ausgerechnet in bestimmten Regionen auftauchten – in Indien und Ägypten zum Beispiel. Als die berühmten, riesigen Pyramiden gebaut wurden, wanderte der Ötzi in Nordeuropa noch mit primitiven Waffen durch die Alpen. Und in Nord- und Südamerika dauerte es sogar beinahe 2000 Jahre länger, bis die Menschen ihre Höhlen verließen.

Etwa 3100 v. Chr.: Die Sumerer erfinden die Keilschrift.Die komplizierte Organisation in den Städten machte eine weitere Erfindung notwendig: die Schrift. Zu Beginn ahnten die Menschen vielleicht nicht, wie sehr die Schrift ihr Leben verändern würde. Denn sie war nicht nur praktisch, um alltägliche Dinge wie die Verteilung von Getreide zu organisieren. Sie erlaubte es auch, mit Personen zu kommunizieren, die sich an weit entfernten Orten befanden. »Wenn du das Geld schickst, lege auch etwas Wolle dazu. Hier in der Stadt ist Wolle teuer«, schrieb eine assyrische Geschäftsfrau an ihren Mann, der auf Handelsreisen ist. Das war vor ungefähr 4000 Jahren.

Da die Schrift nicht nur räumliche Entfernungen, sondern auch die Zeit überwindet, können wir den Brief der assyrischen Geschäftsfrau heute noch lesen. Geschriebenes kann Jahrhunderte überdauern, und so traten irgendwann die ersten Geschichtsschreiber auf den Plan, Menschen, die das, was sie erlebten, bewusst für die Nachwelt dokumentierten. Und weil ihre Texte ein viel klareres Bild liefern, als es Tonscherben und Mauerreste vermögen, endet hier die Zeit, die wir Vor- oder Frühgeschichte nennen. Mit der Schrift beginnt für uns die Weltgeschichte.

In Mesopotamien:Sumerer und Babylonier

Erster!

Es ist nicht dasselbe, ob man als erster Mensch den Mond betreten hat oder als zweiter oder dritter. Der erste kommt in die Geschichtsbücher. Seinen Namen merken wir uns. Er hieß Neil Armstrong und war Amerikaner. Der erste Mensch, der überhaupt je den Weltraum betreten hat, war ein Russe namens Juri Gagarin. Und als erster raumfahrender Hund wurde die russische Hündin Laika berühmt. Es gab überhaupt viele Russen unter denen, die als Erstes ins Weltall flogen – wie die erste Frau, Valentina Tereschkowa. Ihre Reise war etwas Besonderes, denn lange Zeit machten Frauen solche Dinge höchst selten. Es waren Männer, die in den Krieg zogen. Die Politiker wurden. Fußball spielten. Oder eben in den Weltraum flogen. Aber warum ist das eigentlich so, und wann hat das angefangen?

Wenn wir Geschichte erzählen, dann interessiert uns meistens, wann und wo etwas zum ersten Mal passiert ist. Und wenn wir Weltgeschichte erzählen, sind besonders jene Ereignisse wichtig, die die Welt zu dem gemacht haben, was sie heute ist. Deshalb sind die Römer interessant, weil sie Gesetze formuliert haben, die für uns heute noch gelten. Oder die Chinesen, weil sie das Papier und das Schießpulver erfanden, und diese Erfindungen haben die Welt verändert.

Wenn sich das Leben der Menschen grundsätzlich veränderte, waren daran fast immer neue Erfindungen beteiligt. Auch die Astronauten benötigten für ihre Raumfahrten ins All Geräte, die kompliziert und astronomisch teuer sind. Eine Reise zum Mond gehörte lange in das Reich der Fantasie, und es hat grob geschätzt 5000 Jahre gedauert, bis die Menschen in der Lage waren, diese verrückte Idee in die Tat umzusetzen. Valentina Tereschkowa, Neil Armstrong und Juri Gagarin waren die Ersten, die unseren Planeten aus großer Entfernung betrachten konnten. Sie schauten vom Mond auf die Erde. Heute schicken wir Satelliten in den Orbit, mit denen wir sogar kleine Details wie Straßen und Häuser fotografieren können. Der Blick von außen auf die Erde ist ganz selbstverständlich geworden.

Von Sternen und Göttern

Am anderen Ende der Weltgeschichte, vor ungefähr 5000 Jahren, verhielt es sich genau umgekehrt. Die Menschen schauten in den Himmel und beobachteten die Sterne. Sie stellten fest, dass die Planeten regelmäßig in immer gleichen Formationen am Himmel auftauchten. Und darüber wunderten sie sich. Offenbar gab es nicht nur auf der Erde, sondern auch am Himmel eine bestimmte Ordnung. Wo aber Ordnung ist, musste da nicht auch jemand sein, der sie schafft? Wie ist es möglich, dass die Sonne in stets exakter Regelmäßigkeit auf- und untergeht, dass die Jahreszeiten kommen und gehen, dass Lebewesen entstehen und wieder vergehen? Muss es nicht für all dies einen Grund geben, etwas, das diese Ordnung bewirkt? Mit anderen Worten: Was ist es, das die Welt zusammenhält?

Auf all diese Fragen suchten und fanden die Menschen eine Antwort, die zugleich einfach und kompliziert war. Einfach lautete sie: Gott. Gott ist es, der die Welt geschaffen hat und der sie zusammenhält. Doch damit wird es nun kompliziert. Denn wer oder was ist Gott? Handelt es sich um ein Wesen? Und ist Gott männlich oder weiblich? Gibt es womöglich viele solcher Wesen, die für unterschiedliche Dinge zuständig sind? Oder soll man sich etwas Abstraktes vorstellen, so etwas wie das »Nichts« oder das »Unendliche«? Sicher ist, dass sich die Menschen seit jeher Götter vorstellten, die ihre Geschicke bestimmten. Jedes Volk hatte andere Namen für sie.

In der Vorzeit glaubten die Menschen, die Natur selbst sei von Göttern bewohnt Sie vermuteten in jedem Baum oder Fluss ein solches Wesen, das magische Kräfte besaß: Ein zorniger Wettergott schleuderte Blitz und Donner. Wenn der Gott des Meeres sich ärgerte, türmten sich die Ozeane zu hohen Wellen auf. Und wenn die unsichtbaren Mächte auf Rache sannen, schickten sie eine Flutkatastrophe.

Die Menschen glaubten, es gebe einen Weg, das, was im Himmel passierte, zu beeinflussen: Dieser Weg führte über die Götter. Man beschenkte sie und kommunizierte in Gebeten und Liedern mit ihnen, und aus diesen Ritualen und Kulthandlungen entstanden die Religionen.

Die Sternendeuter

Die Völker in Mesopotamien sahen in ihren Königen und Königinnen unsterbliche Wesen, die nach ihrem Tod als Götter weiterlebten. Vielleicht steckte dahinter auch ein geschickter Trick der Herrscher, die sich wie Götter verehren ließen, um ihr Volk gefügig zu machen. Jedenfalls wurden sie nach ihrem Tod reich beschenkt, damit sie für ihre unsichtbare Existenz im Jenseits gerüstet waren. In der Grabstätte von Königin Puabi fand man einen Umhang aus mehr als 1600 Perlen, eine Kopfbedeckung aus knapp acht Metern Goldband und andere wertvolle Schätze. Und da eine Königin auch in der Welt der Götter nicht ohne Dienerinnen sein sollte, wurden mehr als zehn Sklavinnen getötet und mit ihr begraben, ebenso wie ein Wagen mitsamt der beiden eingespannten Ochsen.

Etwa 3100 v. Chr.: Die Sumerer gründen die ersten Stadtstaaten.Puabi war eine Königin der Sumerer. Dieses Volk lebte in einem Land, das die Griechen Mesopotamien nannten, was übersetzt »zwischen den Flüssen« bedeutet, denn das Land lag zwischen dem Euphrat und dem Tigris. Die Sumerer bauten ein raffiniertes System von Kanälen, mit dessen Hilfe sie große Flächen Land bewässern konnten. Sie gründeten die Städte Uruk und Ur, errichteten für ihre Götter Tempel und nutzten diese als Ort, um die reiche Ernte zu verteilen. Und da sie sich irgendwie einen Überblick über Ausgaben und Einnahmen verschaffen mussten, erfanden sie die Keilschrift, Schriftzeichen aus lauter Dreiecken und Strichen, die sie in Tafeln aus weichem Ton ritzten.

Um 1850 v. Chr.: Das Gilgamesch-Epos entsteht.Um den immer gleichen Fluss der Tage und Nächte einzuteilen, erfanden die Sumerer die Woche mit ihren sieben Tagen. Sie entwickelten ein Rezept für Bier und vertrieben sich lange Stunden mit Brettspielen. Oder mit Geschichten. Von den Sumerern haben wir die älteste erhaltene Erzählung der Welt: das Gilgamesch-Epos. Eigentlich ist es eine Sammlung von vielen einzelnen Geschichten. Solche Geschichten waren wichtig, um eine Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft herzustellen.

Über die Stadt Ur wachte der Mondgott Nanna, und über Uruk An, der Gott des Himmels. Ihnen zu Ehren bauten die Sumerer hohe Türme, die eine ungewöhnliche Form besaßen: Von ihrem Fuß türmten sich Stufen in mehreren Terrassen aufwärts, und erst ganz oben auf dem Turm befand sich der Tempel.

Der Schutz der Götter konnte nicht verhindern, dass die sumerische Kultur irgendwann versank. Das dauerte lange, und in der Zwischenzeit war es einige Male schon anderen Königen gelungen, das Gebiet Mesopotamiens unter ihre Herrschaft zu bringen. Einer von ihnen, König Sargon, verheiratete seine Tochter Enheduanna mit dem Mondgott Nanna. Damit machte er sie zur Hohepriesterin von Ur. Das war nicht unüblich, die Herrscher setzten ihre Töchter gerne als Hohepriesterinnen ein, um so ihre Macht zu stärken. Enheduanna war gebildet, und es gehörte zu ihren Aufgaben als Priesterin, Hymnen zu verfassen, die im Tempel zur Verehrung der Götter vorgetragen wurden. Doch Enheduanna zeigte ein ungewöhnliches Selbstbewusstsein. Offenbar fand sie Gefallen am Schreiben, und so begann sie, auch von ganz persönlichen Dingen, von Schmerz und Leid, von menschlichen Verfehlungen und von ihrem Verhältnis zu den Göttern zu berichten. Und obwohl das überhaupt nicht üblich war, setzte sie unter viele Schriftstücke ihren eigenen Namen. Um 2270 v. Chr.: Die sumerische Hohepriesterin Enheduanna verfasst religiöse Texte.»Ich war die Hohepriesterin, ich, Enheduanna« – diese Botschaft schien ihr mindestens ebenso wichtig wie die Verehrung der Götter. Vielleicht war sie nicht zu Unrecht eine selbstbewusste Persönlichkeit – auch wenn sie nicht ahnen konnte, dass sie einmal die erste Autorin der Weltgeschichte sein würde. Zumindest sind ihre Texte die ältesten, die wir heute noch lesen können.

Von Recht und Gesetz

1792 v. Chr.: König Hammurabi besteigt den Thron des Altbabylonischen Reichs. Er lässt Gesetze in Stein meißeln.Auf die Sumerer folgten die Babylonier, und sie waren es auch, die genau protokollierten, wie sich die Sterne bewegten. Sie gaben den Sternbildern ihre Namen – »Großer Wagen«, »Waage«, »Löwe«, »Schütze« usw. Die Babylonier waren überzeugt, dass man aus den Bewegungen der Planeten die Zukunft ablesen kann. Damit begründeten sie die Astrologie, die besagt: Das, was oben im Himmel passiert, hat etwas mit uns hier unten zu tun. Die Bewegungen der Sterne über uns beeinflussen unser Schicksal.

Vor mehr als 3000 Jahren: Die Gesetze der Assyrer verlangen von ehrbaren Frauen, einen Schleier zu tragen. Er ist das älteste sichtbare Zeichen dafür, dass Frauen und Männer unterschiedlich behandelt werden.Bei all ihren Himmelsbetrachtungen vergaßen die Babylonier nicht, sich um das zu kümmern, was auf der Erde geschah. Einer ihrer Könige, er hieß Hammurabi, ließ die Gesetze aufschreiben, die das Zusammenleben der Menschen regelten. »Auge um Auge, Zahn um Zahn«; solche Regeln ließ Hammurabi in Steine meißeln, um sie in den Innenhöfen der Tempel aufzustellen. Auf diese Weise hatte jeder freien Zugang zu den Gesetzen und konnte sich daran halten. Da war zum Beispiel zu lesen: »Wenn die Schwester eines Gottes eine Gaststätte eröffnet oder eine Gaststätte betritt, um etwas zu trinken, dann soll diese Frau verbrannt werden.« Die »Schwester eines Gottes« war vermutlich eine Frau, die ein religiöses Amt innehatte. Offenbar erforderte es eine so wichtige Aufgabe, dass man sich streng zurückhielt und seine Zeit nicht in Gasthäusern verplemperte.

Schon vor mehr als 3000 Jahren hatte ein Stück Stoff seinen ersten Auftritt in der Weltgeschichte; ein Stück Stoff, über das bis heute viel gestritten wird: der Schleier. Die Gesetze der Assyrer schrieben den Frauen vor, ihr Gesicht in der Öffentlichkeit zu verhüllen. Der Schleier durfte nur von Ehefrauen und Müttern getragen werden, er sollte sie schützen und den Männern anzeigen, dass es sich um ehrbare Frauen handelte. Sklavinnen und Dienerinnen hingegen war das Tragen des Schleiers unter Strafe verboten. Sie galten nicht als ehrbare Frauen, und ihr unbedeckter Kopf zeigte einem Mann an, dass er sie ungestraft belästigen konnte.

Anstatt eines Gesetzes, das den Männern verbot, eine Frau zu belästigen, verlangte das assyrische Recht von einem Teil der Frauen, sich zu schützen, während es den übrigen, den »Nicht-Ehrbaren«, diesen Schutz untersagte. Für Männer gab es solche Regeln nicht.

Der Schleier ist das älteste sichtbare Zeichen dafür, dass viele Gesellschaften Frauen und Männer unterschiedlich behandeln. Und das bedeutete in der Folge oft: Die Frauen wurden schlechter behandelt.

Von Mesopotamien nach Ägypten:Das Reich am Nil

Der Nil misst die Zeit

Wer an Geschichte denkt, dem fällt vielleicht als Erstes die Chronologie ein. Sie wird meist als Linie abgebildet, auf der die Zeit von links nach rechts verläuft. Wer Geschichte erzählt, hat es jedoch nicht ganz so leicht. Denn häufig passieren an verschiedenen Orten gleichzeitig wichtige Dinge, sodass man eigentlich unendlich viele parallele Linien zeichnen müsste, und zwischen ihnen unendlich viele Quer- und Diagonalverbindungen. Da wir die Weltgeschichte nicht in Form von Linien und Punkten malen, sondern erzählen wollen, müssen wir zwischen den Orten hin und her springen und in der Zeit vor und zurück.

An mehreren Orten der Welt, in Mesopotamien, Indien, Ägypten und China, ereigneten sich ungefähr zur gleichen Zeit mehrere Anfänge der Geschichte. Das passierte immer an Flüssen. In ihrer Umgebung war das Land besonders fruchtbar, sodass man Nahrungsmittel wie Getreide und Hirse anbauen konnte. Bald begannen die Menschen, die fließenden Gewässer auch als Wasserstraßen zu benutzen, denn ihre langen Haupt- und Nebenadern eigneten sich hervorragend, um alle möglichen Waren und vor allem schwere Dinge zu transportieren, zum Beispiel große Steine, die man für den Bau von Häusern und Palästen benötigte.

In der Nachbarschaft der Sumerer, Babylonier und Assyrer, deren Reiche zwischen Euphrat und Tigris auf- und wieder untergingen, befand sich Ägypten, ein Land, das eine unvorstellbar lange Geschichte erlebte. Auch seine Anfänge liegen mehr als 5000 Jahre zurück, doch anders als die meisten anderen überdauerte das ägyptische Reich mehr als 3000 Jahre, ohne sich dabei allzu sehr zu verändern.

In Ägypten brachte der fast 7000 Kilometer lange Nil alles im Land zum Erblühen. Die Menschen verehrten ihn wie einen Gott. Sie sangen:

Sei gegrüßt, Nil, hervorgegangen aus der Erde, gekommen, um Ägypten am Leben zu erhalten!

Wenn der Nil über seine Ufer trat, verwandelte er das Land in einen schwarzen Schlammboden, der besonders furchtbar war. Die Ägypter nannten es Kemet, das bedeutet »schwarzes Land«. Dort, wo das Wasser des Nils nicht hinkam, begann das »rote Land«, die Wüste, sie hieß Descheret.

Der Nil bewies auf eindrucksvolle Weise, dass in der Natur eine höhere, von Göttern bestimmte Ordnung wirken musste. Er trat nämlich haargenau alle 365 Tage über die Ufer, und als die Ägypter das merkten, errechneten sie einen Kalender, indem sie diese 365 Tage in zwölf Monde mit je 30 Tagen aufteilten. Das war ungefähr die Zeit, die von einem Vollmond zum nächsten verging. Damit blieben nach den zwölf Monaten noch fünf Tage übrig, die man zwischen die zwölf Monate schob, um hohe Feste zu Ehren jener Götter zu feiern, die für die Ordnung verantwortlich waren. So hatten die Ägypter mit der Hilfe des Nils und des Mondes das Jahr berechnet und einen Kalender erfunden, der fast genauso präzise war wie unser Kalender heute.

Jenseitshäuser

Um 2700 v. Chr.: In Ägypten werden die ersten Pyramiden gebaut.Vielleicht können wir das alte Ägypten am besten verstehen, wenn wir es durch seine Pyramiden und Grabkammern betreten. Die Ägypter waren nämlich überzeugt, dass der Mensch, wenn er starb, nicht aufhörte zu existieren, sondern lediglich die Schwelle zum Jenseits überschritt. Für das Leben nach dem Tod aber benötigte er ein Haus. Ein Jenseitshaus. Und da die Ägypter dem Leben nach dem Tod weit mehr Bedeutung beimaßen als dem kurzen Dasein auf der Erde, legten sie allergrößte Sorgfalt in die Ausstattung ihrer Jenseitshäuser.

Schon die Räumlichkeiten der Gräber waren ansehnlich, mit langen Fluren und Vorratskammern, in denen Speisen und Getränke, vor allem Bier und Wein, aufbewahrt wurden, aber auch allerlei Haushaltsgerät. Andere Räume waren mit Möbeln eingerichtet, und wer es sich leisten konnte, der nahm nicht nur Kleidung mit auf die Reise, sondern auch Schmuck, Silber- und Goldschätze. Sogenannte Uschebtis, kleine Figurinen aus Holz, Stein oder Keramik, gehörten in jedes Grab. Sie verkörperten Helfer, die dem Toten im Jenseits alle schweren Arbeiten abnehmen sollten.

Für ihr Leben im Jenseits brauchten die Menschen einen Körper, weshalb ihre Leichen einbalsamiert und in Leinen gewickelt in den Sarg gelegt wurden. Auf diese Weise konservierten sie ihre Toten, und es entstanden die berühmten Mumien. Zuvor wurden allerdings die inneren Organe entnommen und in speziellen Gefäßen aufbewahrt. Denn die Ägypter glaubten, es sei das Herz, mit dem der Mensch dachte und fühlte. Das Gehirn hingegen galt als unbrauchbare Masse. Es wurde nach dem Tod durch die Nase gezogen und weggeworfen.

Die Wände im Inneren der Pyramiden waren mit allerlei Darstellungen geschmückt, mit Bildern von Jagdszenen oder von feierlichen Zeremonien, in denen der Pharao und seine Priester den Göttern huldigten. Andere zeigen große Feste, bei denen Priesterinnen als Tänzerinnen und Sängerinnen auftraten. Und dann sind da natürlich die Texte mit den Hieroglyphen, die die Ägypter in Steine und weichen Ton ritzten. Sie haben sich im warmen, trockenen Klima Ägyptens und der Geborgenheit der Gräber wunderbar erhalten.

Die verwinkelten Grabkammern sind für uns wie Spiegelbilder: All die Alltagsgegenstände, die der Verstorbene nach dem Tod brauchte, der Schmuck, die Schätze und die zahlreichen Vasen und Tongefäße geben Auskunft darüber, wie die Menschen damals gelebt haben.

Im Diesseits

Bevor sie ihr Leben nach dem Tod antraten, waren die meisten Ägypter Bauern. Doch wir könnten kaum von einer Hochkultur sprechen, hätte es nicht auch Steinmetze und Schiffbauer, Schreiner, Maler und Goldschmiede gegeben. Einer der angesehensten Berufe war der des Schreibers.

Die Schreiber führten lange Listen über die Ernte und die Waren, die es zu verteilen galt, verfassten Hymnen und Gebete zur Verehrung der Götter, dokumentierten das Leben des Königs und schrieben Rechte und Gesetze auf, die für ein friedliches Zusammenleben der Menschen sorgten. Denn auch wenn die Ägypter glaubten, das Leben nach dem Tod sei der eigentliche Höhepunkt ihrer Existenz: Das Leben im Diesseits dauerte lange genug, um nach eigenen Regeln zu verlangen.

Als der griechische Geschichtsschreiber Herodot Ägypten bereiste, berichtete er seinen Landsleuten erstaunt von einer verkehrten Welt:

Ihre Sitten und Bräuche sind fast gänzlich umgekehrt wie die aller anderen Völker. So gehen die ägyptischen Frauen auf den Markt und treiben Handel, während die Männer zu Hause bleiben und weben.

5. Jh. v. Chr.: Der Grieche Herodot bereist Ägypten und wundert sich.Herodot zeigte sich überrascht darüber, wie die Frauen in Ägypten behandelt wurden. Er staunte, weil er auf den Straßen in den Städten Frauen sah, die allen möglichen Berufen nachgingen. Tatsächlich gestanden die ägyptischen Gesetze den Frauen Rechte zu, die man damals bei anderen Völkern nicht kannte. Frauen durften eigene Geschäfte treiben, sie durften Land besitzen und verkaufen, und auch wenn sie heirateten, durften sie alles behalten, was sie von ihren Eltern erbten. Gab es einen Rechtsstreit, so traten Frauen genau wie Männer als Zeuginnen auf, und ebenso konnten sie sich selbst vor Gericht vertreten.

Bei all dem darf man nicht übersehen, dass es im Alltag auch in Ägypten oft so zuging wie bei anderen Völkern. Die Männer gingen arbeiten, die Frauen blieben zu Hause, vor allem dann, wenn sie Mütter waren. Denn die Mutterschaft betrachteten die Ägypter als ein Wunder, und die Geburt von Kindern gehörte zu den bedeutendsten Ereignissen des Lebens. Das lag auch daran, dass jeder Mensch unbedingt Nachkommen brauchte, die ihn versorgten, wenn er sich auf den Weg ins Jenseits begab: in das Reich der Unsterblichen.

Unter Göttern

Wer sich nach dem Tod in seiner Grabkammer zur Ruhe legte, der war den Göttern besonders nahe. Und was konnte es Wichtigeres geben!

Die Götter durchdrangen die ganze Welt. Den Ägyptern war alles heilig, und alles, was sie sahen, fühlten, schmeckten und hörten, hatte einen göttlichen Ursprung. Atum, den Schöpfergott, hatte die Welt aus dem Nicht-Sein, dem Ur-Ozean erschaffen. Und Maat, die göttliche Ordnung, sorgte im Universum und auf der Welt für Harmonie. Die Welt war nicht fest und unveränderlich, sondern vom Wandel bestimmt. Doch das bedeutete auch, dass Maat, die Ordnung, stets von Isfet, dem Chaos, bedroht war.

Wenn die Götter sich in der Welt zeigten, nahmen sie die unterschiedlichsten Gestalten an. Da war die Erde, die in Ägypten nicht als »Mutter Erde« galt, sondern ein männlicher Gott war, der den Namen Geb trug. Insofern hatte Herodot mit seinem Eindruck von der verkehrten Welt gar nicht so unrecht. Die Gegenspielerin des Erdgottes Geb war der Himmel, die Göttin Nut. Von ihr glaubte man, sie beuge sich über die Erde, und am Abend verschlucke sie die Sonne, sodass Finsternis eintrat, und am Morgen spucke sie den Feuerball wieder aus. Manche Götter zeigten sich in Tiergestalt oder als Mischung zwischen Mensch und Tier, wie Thot, der den Kopf eines Ibis-Vogels hatte. Die Göttin, die den Frauen bei der Geburt ihrer Kinder beistand, hieß Ipet, sie war eine Nilpferdkuh und wurde oft schwanger abgebildet.

Unter Königen

Der Pharao war Gott und Mensch zugleich, und auch seine Frau, die königliche Gemahlin, war eine göttliche Gesandte. Die Ägypter nannten sie die »Hand Gottes«. Die Pharaonen hatten die Verantwortung für die göttliche Ordnung, und damit diese erhalten blieb, sollte das Königspaar eine heilige Familie bilden und einen Sohn als Nachfolger zeugen. Manchmal blieben die Kinder jedoch aus, oder sie wurden krank und starben früh. Wieder andere waren noch Säuglinge, als der Pharao verstarb, zu klein, um sich schon um die Maat zu kümmern.

Auf diese Weise gelangte Königin Hatschepsut auf den Thron. Als der Pharao starb, war sein Nachfolger noch ein Kind, und so übernahm sie als »große Gemahlin« des verstorbenen Königs die Regierung. Über Hatschepsut wird viel diskutiert, denn zwei Jahre später gelang es ihr, nicht nur als Stellvertreterin für ein noch unmündiges Kind zu regieren, sondern selbst den Thron zu besteigen, also die Rolle des männlichen Königs zu übernehmen. Um ihren Anspruch zu unterstreichen, legte sie einen künstlichen Bart an und trat als Mann auf. Um 1470 v. Chr.: Hatschepsut wird Pharao von Ägypten.Doch anders als manche vermuteten, schien es Hatschepsut nicht einfach nur um ihre Macht zu gehen. Sie hätte den Thronfolger leicht beseitigen können. Stattdessen aber ließ sie ihm die bestmögliche Erziehung angedeihen und bereitete ihn so gut auf sein Amt vor, dass er später zu einem außergewöhnlichen Herrscher wurde. Doch auch Hatschepsut selbst regierte erfolgreich; sie knüpfte Handelsbeziehungen mit den Nachbarländern, vermehrte den Wohlstand des Landes und ließ überall im Land prächtige Bauwerke errichten. Eines von ihnen war ihr eigener Totentempel. Er scheint in mehreren Ebenen aus der Felswand herauszuwachsen. Dadurch unterschied sich dieses Grab von den viel bekannteren Pyramiden, die zu Hatschepsuts Zeit schon aus der Mode gekommen waren.

Obwohl Hatschepsut gut regierte, waren sich die Ägypter nach ihrem Tod nicht einig, ob sie die Ordnung nicht schon allein deshalb gefährdet hatte, weil sie nicht an der Seite des Throns, sondern darauf Platz genommen hatte. Die Diskussion dauerte offenbar an, und 100 Jahre nach ihrem Tod wandte sich ausgerechnet eine Frau gegen Hatschepsut. Teje, die Gemahlin des Königs Amenophis III., sorgte dafür, dass das Andenken der Pharaonin zerstört wurde, indem sie Hatschepsuts Bild und ihren Namen von den Mauern der Tempel entfernen ließ.

1351 v. Chr.: Echnaton und Nofretete übernehmen die Herrschaft in Ägypten. Sie gründen eine neue Religion.Welche Ironie, dass Tejes Sohn sich noch viel schwerwiegender gegen die Götter verging als die Pharaonin Hatschepsut. Tejes Sohn Amenophis IV. tat etwas völlig Verrücktes. Anstatt, wie es seine Aufgabe war, für die Maat zu sorgen und die Götter bei guter Stimmung zu halten, ließ Amenophis IV. alle Götter verbieten. Er erklärte, es gebe nur einen einzigen Gott, den Sonnengott Aton, auf ihn wollte er seine eigene, neue Religion gründen. Sich selbst erklärte Amenophis als Pharao zum Sohn des einzigen Gottes Aton. Er nannte sich Echnaton, was »Diener des Aton« bedeutet.

Dass Echnaton eine neue Religion erfand, mag harmlos klingen, doch es war ein Akt der Gewalt. Er sandte Steinmetze durch das Land, mit dem Auftrag, alle Götternamen aus Tempeln und Obelisken herauszumeißeln. Für viele Ägypter war dies eine mutwillige Zerstörung all dessen, was ihnen heilig war und was ihnen in ihrem Leben Halt und Orientierung gab. Es gab Unruhen im ganzen Land, doch Echnaton, davon ungerührt, ließ eine neue Schrift entwickeln und eine neue Hauptstadt bauen, in der allein dem Sonnengott gehuldigt werden sollte.

Es ist ein ungelöstes Rätsel, warum Echnaton alles bekämpfte, was sich in Ägypten bewährt hatte, warum er die bunte Götterwelt auslöschte und durch den einen Gott Aton ersetzte.

Es war nicht das einzige Rätsel, das den selbsternannten Sonnenkönig umgab. Vielleicht wäre seine Regierungszeit als verrückte Episode in Vergessenheit geraten, hätte nicht Echnatons Frau seiner Herrschaft eine besondere Strahlkraft verliehen. Ihr Name war Nofretete, das bedeutet übersetzt »die Schöne ist gekommen«. Sie hielt sich eng an der Seite ihres Mannes, der sie zur Tochter des Sonnengottes Aton erklärte. Im neuen Kult hatte sie eine wichtige Funktion, denn sie allein war es, die den Menschen Zugang zu Aton verschaffen konnte. Echnaton und Nofretete zeigten sich als strahlendes Königspaar, und manche Abbildungen erwecken sogar den Eindruck, dass Nofretete auf dem Thron sitzt und Echnaton an ihrer Seite, dort, wo normalerweise die Frau des Pharaos Platz nimmt.

Auf einmal aber verstarb Nofretete überraschend, möglicherweise durch einen Wagenunfall, denn ihre Mumie zeigt schwere Verletzungen an Gesicht und Brust. Es herrschte lange Verwirrung darüber, ob sie wirklich tot oder nur verschwunden war, womit sie den Rätseln ihrer Zeit ein weiteres hinzufügte. Mit ihr aber verschwand auch der Zauber, der das Königspaar umgab.

Echnaton hatte versucht, mit Gewalt eine Religion einzuführen, in der es nur einen einzigen Gott gab. Sein Sohn Tutanchamun kehrte zu den alten Göttern zurück. Das Land wurde wieder stabil. Der neue Pharao verließ Echnatons Stadt; sein Palast zerfiel unter der ägyptischen Sonne zu Staub. Die Menschen bemühten sich, die Regierungszeit seines Vaters so schnell wie möglich zu vergessen. Das ägyptische Reich überdauerte noch weitere 2000 Jahre.

Nofretete aber, die Schöne, war gekommen um zu bleiben. Mehr als 3000 Jahre nach ihrem Tod gruben Archäologen eine Büste der Königin aus, die seither in einem Berliner Museum bewundert werden kann.

Von Ägypten nach Indien:Der Anfang der Geschichte am Indus

Harappa und Mohenjo-Daro

Das Gebiet, in dem sich Sumerer, Babylonier, Juden, Ägypter und viele andere Völker tummelten, ist auf der Weltkarte betrachtet ziemlich klein. Wenn man sich von Mesopotamien aus ein wenig nach Osten bewegt, am Persischen Golf vorbei, kommt man an einen Fluss, den Indus, der heute wie ein Eingangstor am Rand des Landes liegt, das nach ihm benannt ist: Indien. Hier, am Indus, fand man Überreste einer Hochkultur, die in etwa so alt ist wie die der Sumerer.

Über die Größe dieser Hochkultur, die man nach einer ihrer Städte auch Harappa-Kultur nennt, ist nur wenig bekannt. Vermutlich erstreckte sie sich über ein größeres Gebiet als alle anderen frühen Hochkulturen, und vielleicht stammen sogar die ältesten Schriftstücke von hier. Vielleicht, denn es gibt noch viel zu deuten und zu erklären.

2600–1900 v. Chr.: Die Harappa-Kultur am Indus beeindruckt mit technischen Erfindungen.In Indien herrscht ein besonderes Klima: Einmal im Jahr regnet es drei Monate lang ununterbrochen. In den übrigen Monaten ist es weitgehend trocken. Dieser Monsunregen erforderte es, das Wasser zu kanalisieren und zu speichern, damit die angebauten Nahrungsmittel nicht in der Trockenperiode verdorrten oder während der Regenzeit überschwemmt wurden. Deshalb bauten die Bewohner des Indus-Tals Wasserspeicher, Kanäle und Wasserleitungen, die noch heute Ingenieure und Architekten in Staunen versetzen. In den beiden bekanntesten Städten, Harappa und Mohenjo-Daro, waren die Häuser sogar mit Bädern und einer Toilette mit Spülung ausgestattet. Nach dem Untergang dieser Kultur sollte es fast 4000 Jahre dauern, bis in Europa wieder jemand auf die Idee kam, Toiletten mit einer Wasserspülung zu bauen. Und so ähnlich wie das System der Wasserkanäle, der Leitungen und Speicher waren auch die Städte in einem rechtwinkligen Gitternetz angelegt, das man nach den Himmelsrichtungen ausrichtete. Harappa und Mohenjo-Daro bestanden aus lauter Quadraten, die beiden Städte müssen ähnlich wie ein Schachbrett ausgesehen haben.

Etwa 2500 v. Chr.: »Das tanzende Mädchen von Mohenjo-Daro« wird gefertigt, eine 10,5 cm hohe Bronze-Statuette.Aus der Harappa-Zeit sind kleine Terrakotta-Figuren erhalten, Abbildungen von Frauen, die oft mit einem reichen Hals- und Kopfschmuck dargestellt sind. In Mohenjo-Daro fand man sogar eine kleine Statuette aus Bronze. Sie zeigt ein junges Mädchen, doch es ist nicht genau zu erkennen, was dieses Mädchen macht. Vielleicht handelt es sich um eine Tänzerin.

Nach etwa 800 Jahren ging die Harappa-Kultur unter. Die meisten Forscher glauben, eine Naturkatastrophe sei daran schuld gewesen. Ein Erdrutsch könnte den Fluss gestaut und der Indus könnte das Gebiet überschwemmt haben. Vielleicht sind die Städte einfach im Schlamm versunken. Andere glauben hingegen, ein Nomadenvolk, das ungefähr zur selben Zeit aus der zentralasiatischen Steppe nach Indien einwanderte, habe die Siedlungen der Einwohner zerstört.

Die Herkunft dieses Volkes ist ein wenig rätselhaft: Man nennt sie Arier, und während ein Teil von ihnen nach Indien zog und sich dort niederließ, eroberte der andere Teil später das Gebiet Mesopotamiens und gründete das Persische Großreich.

Zwischen 2400 und 1500 v. Chr.: Arier wandern in das Indus-Tal ein.Die ältesten Induskulturen haben, anders als die Sumerer und Ägypter, keine heute lesbaren Texte hinterlassen. Deshalb wissen wir nur sehr wenig über sie. Mit der Einwanderung der Arier veränderte sich das Leben in Indien. Die eindrucksvollen Bauten und Wasseranlagen der Harappa-Zeit verschwanden, und mit ihnen vieles, was zu dieser Kultur gehörte, einschließlich ihrer Schrift. Doch nicht alles ging verloren; die Sitten und Gebräuche der Einheimischen verschmolzen mit der Kultur der Arier, und daraus formte sich eine neue indische Gesellschaft.

Das Kastensystem

Geschichte beginnt in dem Augenblick, in dem die Menschen das Leben als Jäger und Sammler aufgaben, Land bewirtschafteten und die Schrift erfanden. Und das passierte in einigen weit entfernten Gegenden der Welt nahezu gleichzeitig. Man hätte sich gut vorstellen können, dass eine geniale Erfindung wie die Schrift nur an einem Ort entsteht und sich von dort aus überallhin verbreitet. Aber so war es nicht. Einige Ideen, wie die Schrift oder die Götter, kamen an vielen Orten unabhängig voneinander in die Welt.

Schon bei den Sumerern und den Ägyptern zeigte sich, dass die Unterschiede zwischen den Menschen größer wurden: Manche waren für bestimmte Aufgaben besser geeignet als andere; dadurch wurden sie reicher und hatten am Ende meistens auch mehr zu sagen. Die Gesellschaft zerfiel in Schichten, angefangen bei der untersten, niedrigen Bevölkerungsgruppe, die wenig Geld und Einfluss hatte – das waren die Bauern. Dann kamen solche, die etwas mehr Rechte und Möglichkeiten hatten – wie Händler, Handwerker und Gelehrte. Und an der Spitze der Macht stand meist ein einziger Herrscher, ein Fürst oder König, umgeben von einem kleinen Kreis mächtiger Berater und Vertrauter. Die Frage, ob diese Ordnung gerecht war, stellte sich lange Zeit nicht, weil die Menschen glaubten, sie sei von den Göttern eingerichtet worden.

Die indische Gesellschaft teilte sich in sogenannte Kasten. Sie waren nicht gleichwertig, sondern bildeten eine Rangordnung von der höchsten bis nur niedrigsten Kaste. An oberster Stelle standen die Brahmanen, so nannte man die Priester, die für alle Belange der Religion zuständig waren. Ihnen folgten weitere Kasten, wie die der Bauern, Handwerker, Händler und anderer Berufe.

Das Besondere am Kastensystem waren seine strengen Regeln. Die Kaste, der man angehörte, konnte eine Familie über Generationen nicht verlassen. Männer sollten die Berufe ihrer Väter ausüben und Ehen durften nur zwischen Angehörigen derselben Kaste geschlossen werden. Wenn also der Vater Krieger war, so mussten auch die Söhne Krieger werden und die Frauen allesamt Mütter, Töchter und Ehefrauen von Kriegern. Sogar auf das Essen bezogen sich die Regeln. Sie verboten es, Mahlzeiten zu sich zu nehmen, wenn sie von Personen einer anderen Kaste zubereitet worden waren.

Es gab Menschen, die keiner Kaste angehörten. Man nannte sie die »Unberührbaren«, die Parias, weil sie nur die niedrigsten und schmutzigsten Arbeiten verrichteten. Wer sie berührte, so hieß es, mache sich selbst unrein, deshalb war man strikt darauf bedacht, sich von ihnen fernzuhalten. Die Parias waren von allem ausgeschlossen.

Vielleicht kann man das Kastensystem nur verstehen, wenn man eine Vorstellung davon hat, wie die Bewohner Indiens sich selbst und ihr Leben auf der Welt betrachteten. Denn der Mensch war zwar auf der Erde in das strenge Kastensystem eingebunden, doch er sah sich auch als Teil einer höheren Ordnung, die das ganze Universum umfasste. Das Universum, so sagt es die indische Lehre, ist durchdrungen vom ewigen Kreislauf der Natur, und alle Lebewesen, die ganze Pflanzen-, Tier- und Menschenwelt, sind Teil dieses ewigen Kreislaufs, den man sich wie ein großes Ein- und Ausatmen vorstellt. In diesem Kreislauf endet das Leben nicht mit dem Tod. Was im einen Moment vergeht, das wird im nächsten wiedergeboren. Alles Leben durchläuft das Rad der Wiedergeburt.

Wer ein Dasein in Armut fristet, den tröstet vielleicht die Aussicht, das nächste Leben in der Gestalt eines anderen Wesens zu bestreiten. Man starb als Bauer oder Priester und trat als Schmetterling oder Katze erneut in den Kreislauf des Lebens ein.

Vom Atmen

Etwa 1500 v. Chr.: Die Veden entstehen, die ältesten heiligen Texte Indiens.Auch in Indien suchte man die Antwort auf die Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält, bei den Göttern. Die ältesten heiligen Texte, die von der indischen Götterwelt berichten, heißen Veden. Sie sind in Sanskrit geschrieben, einer Sprache, die die Arier nach Indien mitbrachten, und sie sind Teil der indischen Religion, die wir Hinduismus nennen.

Die Welt der indischen Götter ist bunt und vielfältig. Die ältesten Veden erzählen von Indra, dem Kriegsgott, der jedes Jahr einen Drachen tötet. Dadurch, so heißt es, werden alle Wasser befreit und der Monsun ausgelöst. Sie erzählen vom Gott Shiva, der mehrere Arme hat, und von Vater Himmel und Mutter Erde, die durch einen Stier und eine Kuh dargestellt werden. Deshalb sind diese Tiere den Anhängern des Hinduismus heilig.

Lange Zeit wurden die Texte der Veden nicht aufgeschrieben. Es handelte sich um geheimes Wissen, das nur in Form von Gesängen weitergegeben werden konnte. Die Verfasser der Veden waren in den Augen der Inder gottgleiche Wesen. Als Gelehrte oder Weise lag es in ihrer Verantwortung, das Wissen der Veden zu bewahren. Die meisten von ihnen waren Männer, Brahmanen, doch unter ihnen gab es auch Seherinnen, Brahmavadinis genannt.

Seit dem 8. Jh. v. Chr.: Die Upanishaden entstehen.Die indischen Gelehrten beschäftigte besonders die Frage nach dem Atman, dem Atem, denn die Inder glaubten, dass der Atem den Menschen mit dem Göttlichen verbindet. In alten indischen Texten, den Upanishaden, wird eine Technik beschrieben, die es dem einzelnen Menschen erlauben soll, sich mit der Weltseele zu verbinden. Dazu ist es notwendig, zu meditieren, was nichts anderes bedeutet, als still dazusitzen und sich auf die Atmung zu konzentrieren. Der Meditation wird eine heilsame Wirkung zugeschrieben. Fast so alt wie die Meditation sind die indischen Yoga-Übungen, bei denen das Atmen und Sitzen durch komplizierte Verrenkungen des Körpers ergänzt werden. All dies erfordert absolute Ruhe, und so wendeten die Brahmanen sich von der Welt ab. Sie ließen alles stehen und liegen, zogen sich einsam in die Wälder zurück und verbrachten den Tag damit, zu meditieren. Doch was versprachen sie sich von der Vereinigung mit dem göttlichen Atem des Brahma? Schwer zu sagen. Womöglich Weisheit und Erkenntnis. Vielleicht hofften sie aber auch, dem Rad der Wiedergeburt zu entkommen, wenn sie ihr Dasein allein dem Göttlichen widmeten.

Von Indien nach China:Die Shang und die Zhou

Ein Mädchen ist nicht gut

Um 1250 v. Chr.: Die ältesten chinesischen Schriftzeichen werden in die Knochen von Tieren eingeritzt.Ungefähr zu der Zeit, als die Babylonier in Mesopotamien die Sterne beobachteten und in Indien die Harappa-Kultur schon ihrem Untergang entgegenging, ereignete sich in China ein weiterer Anfang der Geschichte. Das war etwa 1800 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Auch hier entstand eine Hochkultur, von der wir, etwa fünf Jahrhunderte später, erste schriftliche Zeugnisse besitzen.

Über die Entdeckung der ältesten chinesischen Schriftzeichen wird eine verrückte Anekdote erzählt: Vor etwas mehr als 100 Jahren erkrankte der Rektor der Universität Peking. Er bestellte sich Drachenknochen aus der Apotheke, um aus ihnen eine Medizin zuzubereiten. Gerade dabei, die kleinen Knöchelchen zu einem Pulver zu zerreiben, entdeckte er darauf winzige Schriftzeichen. Und welch ein Zufall, der Rektor war ausgerechnet ein Spezialist für alte Schriften. Natürlich handelte es sich bei den Knochen in Wirklichkeit nicht um die Gebeine von Drachen, sondern um gewöhnliche Tierknochen, zum Beispiel die Schulterblätter von Rindern. Sie wurden von Bauern auf den umgepflügten Feldern aufgelesen und als Drachenknochen verkauft. Aber die Schriftzeichen waren echt. Und sie waren sehr alt.

Forscher folgten der Spur der Knochen und begannen dort, wo die Bauern sie aufgesammelt hatten, zu graben. Und da trat nun Unglaubliches zutage: riesige Stadtmauern und die Fundamente von Palästen, Gräber, von denen manche die Größe von zwei Wohnzimmern hatten, und in den Gräbern Schmuck, Waffen und zahlreiche Kunstgegenstände. Durch einen Zufall hatte man eine der ältesten Kulturen Chinas entdeckt!

13. Jh. v. Chr.: Die Familie der Shang herrscht in China.Die Shang – so hieß die Familie, nach der diese Hochkultur benannt ist – ritzten ihre kleinen Schriftzeichen in Bronzegefäße, in die Brustpanzer von Schildkröten und die Schulterblätter von Rindern. Das hatte einen besonderen Grund. Die Materialien dienten nicht als Schriftstücke oder Briefpapier, sondern wurden für die Kommunikation mit den Göttern verwendet. Die Shang führten Rituale durch, bei denen sie die Tierknochen mit einem erhitzten Stab durchbohrten. So entstanden Risse, aus denen sie alle möglichen Antworten auf ihre Fragen an die Götter herauslasen.

Bei den Göttern, mit denen die Shang Zwiesprache hielten, handelte es sich meist um ihre verstorbenen Vorfahren. Sie glaubten sich umgeben von den Geistern ihrer Toten, die überall in ihr Leben eingriffen. Deshalb pflegten sie enge Verbindungen zu ihren Ahnen. Und offenbar schien es ihnen notwendig, mit den Inschriften auf den Knochen die Umstände ihrer Rituale haargenau zu dokumentieren. Da ist zum Beispiel zu lesen »Die Dame Hao wird gebären – es wird vielleicht nicht gut. 31 Tage später gebar sie, und es war nicht gut: Es war ein Mädchen.«

Es gibt kaum ein Thema, über das die Shang ihre Götter nicht befragten: Wird die Ernte reich ausfallen? Wird es regnen? Ist es günstig, gegen die Nachbarn in die Schlacht zu ziehen? Wie zuverlässig die Antworten der Knochen waren, wissen wir natürlich nicht. Dafür aber enthält die Inschrift die Information, dass es unter den Shang offenbar nicht als Glücksfall galt, ein Mädchen zur Welt zu bringen.

Das Ende der Shang

Die Dame Hao, die einst bedauerlicherweise nur ein Mädchen geboren hatte, war die Gemahlin eines Königs. Entsprechend reich stattete man ihr Grab aus, in dem Hunderte Schnitzereien, Schmuck und Kunstgegenstände aus Bronze lagen, aber auch 755 Stücke aus Jade. Sogar Waffen gab man Frau Hao mit auf ihre letzte Reise. Das könnte bedeuten, dass man sie als militärische Führerin gegen die Feinde der Shang aussandte.

China, so wie wir es heute kennen, gab es zur Zeit der Shang noch nicht. Denn das Gebiet, in dem sich später das chinesische Reich herausbildete, ist riesig, es umfasst ganz unterschiedliche Landschaften und viele verschiedene Klimazonen. Dort hatten sich mehrere kleine Fürstentümer entwickelt, in denen man verschiedene Sprachen sprach, und auch die Sitten waren nicht dieselben.

Das Gebiet eines Herrschers war damals so groß und mächtig wie die Familie, die zu ihm gehörte. Wer nach Macht strebte, versuchte daher, seine Familie zu vergrößern. Das ging am besten durch Heirat. König Wu Ding soll 64 Frauen gehabt haben. Auf diese Weise gehörten 64 Familien zu seinem Clan, die wiederum durch Eheschließungen mit weiteren Familien verbunden sein konnten.

Um 1050 v. Chr.: Die Zhou lösen die Shang als Herrscher ab. Über den Untergang der Shang wird eine Legende erzählt, eine Geschichte, die möglicherweise einen wahren Kern hat, sich aber mit großer Wahrscheinlichkeit nicht so zugetragen hat. Bei einem Feldzug gegen ein fremdes Volk soll der letzte Herrscher der Shang die Braut Da Ji geraubt haben. Das war damals nicht unüblich. Wenn ein Clan wie die Shang besonders stark war, konnte der Anführer sich nehmen, wonach ihn verlangte. Diese Braut aber, so heißt es, habe den König dazu verführt, sich liederlich zu benehmen. Gemeinsam sollen sie getrunken und gefeiert und dabei ungeheuerliche Grausamkeiten an Gefangenen begangen haben. Ein benachbarter König, so erzählt es die Legende, nutzte das schlechte Benehmen der beiden als Vorwand, um die Shang anzugreifen und ihrer Herrschaft ein Ende zu setzen. So kam nach den Shang eine neue Familie an die Macht: die Zhou.

Das Mandat des Himmels

Anders als die Shang orakelten die Zhou nicht mit Tierknochen, sondern benutzten dazu das I Ging, das Buch der Wandlungen. Darin waren 64 Zeichen aus unterbrochenen und durchgehenden Linien notiert. Indem man nun diese Zeichen mithilfe von Stäbchen zusammenlegte, konnte man das Ergebnis im I Ging nachschlagen und so Antworten über die Zukunft daraus ablesen. Dieses Buch gibt es noch heute, wer will, kann es also ausprobieren.

Die Zhou verwendeten die Schrift nicht mehr nur dazu, mit ihren Göttern zu kommunizieren, sondern kamen auf die naheliegende Idee, sich untereinander zu schreiben. Auch ihr Verhältnis zu den Göttern änderte sich. An die Stelle der Geister von Verstorbenen trat der Himmel, er wurde zum obersten Gott. Ihre Herrschaft betrachteten die Zhou als ein »Mandat« des Himmels, als ein Amt, das ihnen von einer höheren Macht verliehen worden war. Daraus leiteten sie ab, es sei die Pflicht eines jeden Herrschers, sich besonders tugendhaft zu verhalten. Andernfalls verwirkte er sein Recht zu herrschen.