Wendepunkte und andere Schicksale - Robin Hut - E-Book

Wendepunkte und andere Schicksale E-Book

Robin Hut

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Beschreibung

Dreizehn Kurzgeschichten beschreiben das mehr oder minder wahre Leben auf ideenreiche Art und Weise: Schicksalhafte Erlebnisse, fundamentale Erkenntnisse, überraschende Wendungen, familiäre Beziehungen, kriminelle Machenschaften, süße Rachepläne und erotische Begegnungen. Eben, wie das Leben so spielt. Denn in jedem Leben gibt es Augenblicke, in denen sich Alternativen auftun, gewollt oder auch nicht. Meist gibt es die Möglichkeit, sich für eine Alternative zu entscheiden. Manchmal jedoch zwingen einen äußere Umstände dazu eine der Alternativen zu ergreifen. Oder es tut sich eine Chance auf, aber das Schicksal verhindert es, dies nutzen zu können. Dies sind die Wendepunkte im Leben, an denen sich alles hätte anders entwickeln können.

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Seitenzahl: 134

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Robin Hut

Wendepunkte

und andere Schicksale

© 2020 Robin Hut

Titelgestaltung: Sophie von Luhering

Verlag und Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-347-08752-1

Hardcover:

978-3-347-08753-8

e-Book:

978-3-347-08754-5

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhaltsverzeichnis

Biographie

Der Jackpot

Flug FG 712

Henkersmahl

Die Gelegenheit

Käsemafia

Der Lottoschein

Der Nachruf

Car Rental

Der gelbe Mercedes

Diamantenfieber

Müllionär

Vorpommern

Das Versprechen

Ende gut – alles gut

Anmerkung des Autors:

Dieses Buch basiert im Wesentlichen auf eigenen Einfällen und eigenem Erleben. Grundsätzlich sind alle Gegebenheiten und Personen rein fiktiv. Eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen wären rein zufällig.

Allerdings entstehen eigene Ideen durchaus auch im Zusammenhang mit Informationen, die ich irgendwann, irgendwie und irgendwo aufgenommen habe. Gesehen, gehört, gelesen. Und daraus entstehen dann Geschichten und Ähnliches. Leider kann ich nicht völlig ausschließen, dass die eine oder andere schon mal recht nahe an der ursprünglichen Information geblieben ist, besonders wenn dazwischen eine gewisse Zeit vergangen ist. Daher bitte ich rein vorsorglich schon einmal um Vergebung, wenn ich eine Idee oder gar ein Zitat von jemand anderem verwendet haben sollte, ohne dies speziell zu kennzeichnen. Dann ist dies sicherlich ohne Arg geschehen, und meinem schwächelnden Erinnerungsvermögen zuzuschreiben. Freispruch, Euer Ehren!

Lieber für einen Tag Tiger als ein Leben lang Schaf.

(Altes tibetanisches Sprichwort)

Biographie

Gestatten, mein Name ist Hut, Robin Hut. Meine Martinis mag ich am liebsten von einer rührenden Barkeeperin geschüttelt. Anders als mein berühmter englischer Namensverwandter lebe ich nicht in den Tiefen des Sherwood Forest, sondern in einem Forsthaus im Norden Deutschlands. Und mich begleitet auch kein fetter, glatzköpfiger Mönch namens Bruder Tuck, sondern eine hübsche, blonde Frau und ein ebenso bezaubernder, kleiner Hund namens Miss Sophie.

Geboren in der späten Mitte des vergangenen Jahrhunderts wuchs ich in einer westdeutschen Großstadt auf, die sich mit wechselndem Erfolg durch Eingemeindungen immer wieder redlich Mühe gab, eine Millionenstadt zu werden. Nach Studium und Ausflügen in die Welten von Werbung, Industrie und Kunst habe ich nun beschlossen, endlich meinem Innersten nachzugeben und der Menschheit meine erstklassige Gebrauchslyrik und ideenreiche Prosa nicht mehr vorzuenthalten.

Die bei meiner Geburt schon vorhandene Neigung zu Undichtigkeiten begleitet mich seitdem, mittlerweile allerdings eher in literarischer Form. Und wenn es sich mal nicht reimt, soll es wenigstens dichten. Zum Leidwesen meiner Gattin kommen mir die besten Ideen und Verse oft schon morgens beim Rasieren oder spätestens beim Hundespaziergang. Und so ist sie stets die erste Testerin meiner geistigen Ergüsse. Ich gebe zu, das ist sicherlich manchmal hart, und ich entschuldige mich für das zugefügte Leid in aller Form. Aber meine Liebste ist hart im Nehmen. Mein Hund weniger, was sich durch anhaltendes Knurren zeigt. So entstanden zunächst die „Undichtigkeiten“, eine Sammlung von Schrägem, Poetischem und Prosaischem.

Parallel dazu beschäftigt mich immer wieder die Frage, wie Menschen wohl reagieren, wenn das Schicksal sie manipuliert. Wenn gewissermaßen Einbahnstraßen, Durchfahrtverbote, Fahrbahnverengungen und Sackgassen dafür sorgen, dass das Leben in anderen Bahnen verläuft als geplant. Was passiert an diesen Wendepunkten? Und welches sind die Konsequenzen?

Dreizehn Kurzgeschichten beschreiben das mehr oder minder wahre Leben auf ideenreiche Art und Weise: schicksalhafte Begegnungen, fundamentale Erkenntnisse, überraschende Wendungen, familiäre Beziehungen, kriminelle Machenschaften, süße Rachepläne und erotische Verlockungen. Eben, wie das Leben so spielt.

Hier sind sie nun endlich: die ‚Wendepunkte‘!

PS: Eigentlich wollte ich ja eine Autobiographie schreiben. Aber letztlich hat man mich doch noch überzeugt, dass sich der geneigte Leser wohl eher nicht für meine Autos interessieren dürfte.

Der Jackpot

An der Materialausgabe des Sanitärgroßhandels, an der Felix Gruber arbeitet, hat es wieder einmal Ärger gegeben. Zwei Waschtischarmaturen in Luxusausführung fehlen und es gibt keine Erklärung dafür. Sein Chef hat ihn heute bereits rund gemacht und gedroht, dass er ihm, dem Herrn Gruber, die 1.500 Euro vom Lohn abziehen werde, falls die beiden Teile nicht wieder auftauchen sollten. Für Felix eine Katastrophe, denn wie soll er dann die Raten für den achtjährigen Gebrauchtwagen und die neue Waschmaschine abbezahlen. Das Bankkonto ist ohnehin immer hoffnungslos überzogen.

Abends zuhause vor dem Fernseher träumen seine Freundin Mandy und er, wie so oft, von weiten Reisen in ferne Länder, malen sich aus, sie spazierten einen palmengesäumten, tropischen Sandstrand entlang oder besichtigten die Pyramiden. Leider nur Träume, die sich nie erfüllen werden. Wie auch? Der Alltag der Beiden verläuft eher ohne Sensationen, wenn man von dem ständigen Ärger auf der Arbeit einmal absieht. Mandy hat sich auch mal wieder mit unfreundlichen, arroganten Kunden herumplagen müssen in der Schuhabteilung des riesigen Einkaufscenters Badenhof, in der sie seit nunmehr vier Jahren für einen kleinen Lohn arbeitet. Oder besser gesagt, arbeiten muss. Denn sonst wüssten sie nicht, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollten. Und das trotz der billigen Geiz-ist-geil Angebote jeden Framstag bei Brutto.

Im Frühstücksradio kommt die Meldung: „Der Jackpot mit 75 Millionen Eurowurde diesmal von einem Lottospieler in Schleswig-Holstein geknackt.“

Felix Gruber aus Itzehoe spielt seit Jahren Lotto. Und seit es den Jackpot und das Internet gibt, hat er ein Jackpot-Abonnement, das garantiert, dass er keine Verlosung versäumt. Wenn er doch nur einmal gewinnen würde! Es müssten ja nicht gleich die 75 Millionen sein - nein - er wäre auch mit 1 Million, ach, mit 100.000 Euro schon zufrieden.

Und dann, nach vielen Jahren der wöchentlichen Anspannung an jedem Freitag, geschieht das Unfassbare: er gewinnt 75 Millionen Euro. Bei einer Chance von 1 zu 96 Millionen ist ausgerechnet Felix der Glückliche! Ganz offensichtlich haben seine Eltern ihm doch den richtigen Namen gegeben.

Wahnsinn! Auf einmal rücken alle Träume der vergangenen Jahrzehnte in greifbare Nähe. Felix träumte schon immer davon, einmal ferne Länder zu bereisen: Kanada, Neuseeland, Südafrika u.v.m. Doch nie reichte das Ersparte für mehr als zwei Wochen Urlaub in Antalya oder auf Kos. Bestenfalls mit Plastikbändchen am Handgelenk: All-Inclusive. Oder für ein Winterwochenende bei Schneematsch im Sauerland oder im Harz. Und jetzt endlich: Alles ist möglich!

75 Millionen - eine schier unvorstellbare Summe. Nie mehr Sorgen haben zu müssen. Sich alles leisten zu können, was man sich wünscht. Ein Leben ohne jede Einschränkung. Kurz gesagt: das Paradies öffnet sich!

Die Euphorie ist groß! Felix und seine langjährige Freundin Mandy überlegen, dass sie beide ihren Job aufgeben sollten. Er den seinen als Lagerist im Sanitärgroßhandel und sie den als Schuhverkäuferin. Und dann würden sie nur noch reisen, in alle Erdteile, nach Afrika, Nord- und Südamerika, Australien und nach Asien. Die ganze Welt kennen lernen.

Mit 75 Millionen Euro auf der hohen Kante hätten sie selbst bei den rekordverdächtig niedrigen Zinsen von nur 2 % allein aus den Zinserträgen immer noch 125.000 Euro in jedem Monat zur Verfügung: hundertfünfundzwanzigtausend! Das könnten sie überhaupt nicht ausgeben. Selbst wenn sie nur in den Suiten der Luxushotels wohnen und jeden Tag Hummer und Kaviar essen und täglich tausend Euro verprassen würden, hätten sie jeden Tag noch 3.000 Euro übrig, jeden Tag! Unvorstellbar, aber wahr! Sie würden sich nichts kaufen, was die Freiheit einschränkt, keine Luxusvilla, keinen teuren Sportwagen, keine Yacht. Nichts von den üblichen Statussymbolen der Reichen. Nichts davon, sondern einfach nur die Welt entdecken, aber dafür gleich die ganze Welt!

Drei Tage später liegt im Briefkasten die Bestätigung der Lottogesellschaft. Ein Mitarbeiter möchte einen Termin mit Felix vereinbaren. Ob der wohl einen Koffer mit Bargeld dabei haben wird? Bei der Summe kaum vorstellbar. Und überhaupt, Lottogewinne werden doch immer per Überweisung ausgezahlt. Na, da wird sich die Sparkasse aber wundern, wenn statt der üblichen Miesen auf dem Konto auf einmal 75 Millionen sind! Das ist ja mehr als man bei einem richtig fetten Bankraub erbeuten könnte oder es müsste schon die Bundesbank sein. Aber haben die überhaupt so viel Bares dort gelagert? So wie die amerikanischen Goldreserven in Fort Knox? Bestimmt nicht.

Das Geld steht inzwischen zur Verfügung, Felix und Mandy haben ihre Jobs zum Jahresende gekündigt und planen die erste große Reise. Eine dreimonatige Amerikareise mit Schiff, Flugzeug und Wohnmobil soll es werden. Zunächst mit dem Schiff nach New York, dann Kanada entdecken, auf der Panamericana von Alaska nach Feuerland, natürlich mit ausgiebigen Abstechern nach Westen und Osten. Und zum Abschluss noch vier Wochen nach Hawaii auf den Spuren des Fernsehdetektivs Thomas Magnum.

Und die nächsten Reisen würden sie dann in die ganze Welt führen. Von Südamerika aus nach Südafrika. Mit dem Blue Train von Kapstadt nach Johannesburg. Auf Safaris Löwen, Elefanten und Giraffen in freier Wildbahn erleben. In Asien dann Tibet, die Maharadscha-Schlösser Indiens, die berühmten Tempel in Südostasien, Hongkong, Shanghai, Peking, Bangkok, Bali, Singapur bis nach Australien und Neuseeland. Die Malediven nicht zu vergessen.

* * *

Felix hat seit zwei Wochen ein flaues Gefühl in der Magengegend. Er denkt, das sei sicherlich nur die Aufregung. Kein Wunder nach solchen 'breaking news', wie es auf Neudeutsch mittlerweile heißt. Vor der geplanten Weltreise, solle er unbedingt mal beim Arzt danach sehen lassen, rät ihm Mandy, zumal in den letzten Tagen auch noch Rückenschmerzen hinzugekommen sind.

Der Hausarzt untersucht ihn gründlich und überweist ihn an einen niedergelassenen Onkologen. Felix ist beunruhigt. Er wird doch wohl nicht krank werden, jetzt, wo doch das Paradies vor ihm liegt.

Nach Ultraschall und Röntgen wird Felix in die onkologische Abteilung der Hamburger Universitätsklinik in Eppendorf geschickt. Dort werden eine Kernspin-Tomografie und weitere spezifische Untersuchungen gemacht. Am Tage darauf bittet ihn der Oberarzt der Onkologie in seine Sprechstunde. „Ich muss Ihnen leider eine schlechte Nachricht mitteilen“, sagt der Arzt. „Sie müssen jetzt ganz stark sein! Sie haben ein Pankreas-Adenokarzinom und damit ist nicht zu spaßen.“ Völlig geschockt hat es Felix zunächst die Sprache verschlagen. Die Gedanken rasen durch seinen Kopf. Er weiß, dass das eine der übelsten Krebsarten ist. Endlich gelingt es ihm, seine Gedanken ein wenig zu sortieren und er fragt: „Wie geht es jetzt weiter, Herr Doktor? Bitte seien Sie ganz ehrlich!“ Der Arzt beschließt, ihm die Wahrheit zu sagen: „Der Bauchspeicheldrüsen-Krebs ist leider ziemlich bösartig, wächst aggressiv und schnell und er streut. Es haben sich bereits Metastasen in anderen Organen gebildet. Deshalb können wir leider nicht mehr operieren. Wir sollten also schnellstens eine Chemotherapie durchführen. Damit könnten wir den Krebs wohl noch eine Weile aufhalten.“

Zuhause angekommen wartet er, dass Mandy endlich von der Arbeit kommt. Er hält es kaum aus, zu warten, seine Verzweiflung nicht teilen zu können. Mandy ist ebenfalls am Boden zerstört, als sie von der Diagnose und der traurigen Prognose erfährt: „Es muss doch eine Möglichkeit geben, etwas gegen den Krebs zu tun! Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben!“

Am folgenden Tag in der Klinik fragt Felix: „Wie lange habe ich denn noch, Herr Doktor?“ „Wenn die Chemo anschlägt, schaffen Sie es bestimmt noch ein halbes Jahr, vielleicht auch länger. Aber dieser Krebs spricht auf Therapien nicht sonderlich gut an. Wie gesagt, die Aussichten sind nicht sehr gut.“

Nur noch 6 Monate! Das ist ja gar nichts mehr! Und er hatte doch noch so große Pläne. Gerade jetzt! Nichts mehr mit Felix, dem Glücklichen. Eher Felix, der Todgeweihte. Scheiße, erst ein eher schwieriges Leben ohne besondere Perspektiven. Dann das Wunder, sich auf einmal alle Träume erfüllen zu können. Und jetzt das!

Mit einem Vermögen von 75 Millionen muss es doch möglich sein, die besten Ärzte der Welt aufzusuchen, vielleicht in Amerika, die mir helfen, den Krebs zu besiegen. Mit so viel Geld muss man sich die Gesundheit doch kaufen können!

Vielleicht gibt es in den USA neue Therapien? In der Mayo-Klinik? Die haben doch so oft schon wahre Wunder vollbracht. Mandy und Felix verbringen Stunden im Internet, versuchen irgendwelche Hinweise auf neue Behandlungsmethoden für diese spezielle Krebsart zu finden: Nichts! Die Recherchen des behandelnden Onkologen ergeben ebenfalls: Nichts!

Alle Träume sind von einer Minute auf die andere unerfüllbar geworden. Felix hat nur noch einen Leidensweg vor sich und sie, Mandy, wird schließlich alleine bleiben. „Wir müssen alles daran setzen, dass dir wenigstens ein paar Monate mehr bleiben. Vielleicht können wir wenigstens noch eine gemeinsame Weltreise unternehmen. Und vielleicht gibt es ja doch eine Heilungschance! Die Medizin entwickelt sich schließlich ständig weiter.“ Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wie wahr dieser oft so lapidar dahingesagte Spruch ist, wird den Beiden erst jetzt bewusst. Alle Chancen nutzen heißt jetzt also, schnellstens die Chemotherapie zu beginnen. Je schneller, desto besser. Schon wieder so ein blöder Spruch. Schon wieder nur zu wahr.

Der erste Zyklus der Chemotherapie, bei dem im Abstand von wenigen Tagen hochwirksame Zytostatika verabreicht werden, die die Krebszellen zerstören und deren Wachstum hemmen sollen, beginnt. Da hierbei auch gesunde Zellen in Mitleidenschaft gezogen werden, leidet Felix während dieser Zeit unter völliger Erschöpfung, begleitet von heftiger Übelkeit und Durchfall. Aufgrund seiner Appetitlosigkeit, einer beginnenden Entzündung der Mundschleimhaut und Schluckbeschwerden fällt ihm auch das Essen schwer. Mandys Versuche, ihn durch ein liebevoll zubereitetes Essen ein wenig zu trösten, gelingen ihr nicht. Die Situation bessert sich im Laufe der Tage. Aber bei jeder Medikamentengabe beginnt das Leiden von Neuem. Wenigstens fallen die Haare noch nicht aus. Doch das wird sicherlich auch noch kommen.

Über die Auskünfte des Arztes hinaus hat sich Felix im Internet über seine Erkrankung informiert, allerdings sind die Informationen nicht gerade ermutigend. Bei beginnender Metastasierung und daher fehlender operativer Therapiemöglichkeiten beträgt die Lebenserwartung nur 3 bis 5 Monate, also noch weniger als sein Arzt in Aussicht gestellt hat. Wie soll das nur weitergehen? Und wohin wird es führen?

Die Untersuchung nach dem Ende des ersten Chemo-Zyklus ergibt, dass sich die Krebszellen weiter vermehrt haben. Inzwischen hat der Tumor sich auf die Gallenblase ausgedehnt und ist schon in die Wand des Zwölffingerdarmes eingewachsen. Die Leberwerte sind auch bedenklich, die Lebermetastasen wohl auch nicht mehr weit. Der nächste Therapiezyklus soll nun stationär erfolgen.

In der Klinik findet Felix noch weniger Ablenkung als zuhause, sein langsamer Verfall wird immer deutlicher. Inzwischen beginnen die Haare auszufallen und er verliert stetig an Gewicht. Ist ja auch kein Wunder, wenn er kaum etwas zu sich nimmt und das Wenige dann auch noch auskotzt. Seine Augäpfel fangen an, sich leicht gelblich zu verfärben, der Urin ist schon gelb und der Stuhl dunkel. Die Verengung des Gallengangs könne eine Gelbsucht auslösen, meinte die junge Stationsärztin, aber das würden sie medikamentös schon wieder in den Griff bekommen.

Die Nebenwirkungen der Chemotherapie nehmen zu, Felix quält sich von Tag zu Tag mehr. Wenn die Sonne in sein Zimmer scheint, muss er die Augen zukneifen, so lichtempfindlich sind sie geworden. Die Besuche sind stark eingeschränkt worden, um der hohen Infektionsanfälligkeit Rechnung zu tragen. Mandy hat sich auch untersuchen lassen müssen, ob sie keine ansteckende Krankheit hat, damit sie überhaupt zu ihm darf. Eine Grippe oder ein Darminfekt würden schon ausreichen, ihn in akute Lebensgefahr zu bringen. Glücklicherweise haben die Ärzte das Okay gegeben, dass sie ihn besuchen darf. Oft sitzt sie schweigend bei ihm, hält seine Hand und bemüht sich die Tränen zu unterdrücken.

Felix befürchtet, dass es nur noch schlechter gehen wird, jedenfalls nicht besser. Wenn nun auch noch Organe zu versagen beginnen und die Schmerzen immer heftiger werden, was hat es dann für einen Sinn, die Lebenszeit durch qualvolle Therapiezyklen zu verlängern? Das Todesurteil ist doch längst gesprochen. Zeit für eine letzte, große Reise mit seiner Mandy wird auch nicht mehr bleiben. Letztlich bleibt für die letzten Wochen, vielleicht Monate, nur noch, durch palliative Schmerztherapie die Lebensqualität nicht völlig unter null fallen zu lassen. Der Arzt sprach schon davon, man werde ihm die Best Supportive Care, so die fachliche Bezeichnung, zukommen lassen. Man würde dafür sorgen, dass er sich möglichst lange noch normal ernähren könne, auch wenn dies eines Tages nur auf künstlichem Wege über eine Sonde stattfinden werde. Wenn dann nicht einmal mehr Breichen und Flüssignahrung möglich wären, ist wahrscheinlich ist auch der künstliche Darmausgang nicht mehr weit, mutmaßt Felix. Und wofür das alles? Das Ende wäre in jedem Falle qualvoll. Und das Leiden unnötig lang.

* * *