9,99 €
Was soll aus mir werden, wenn du mich vergisst? Eine Demenz schleicht sich ganz unbemerkt ins Leben der Betroffenen. Zunächst vergisst man mal ein Wort, dann verschwindet die Zeit und schließlich verblasst die Welt immer mehr. Was sind Erinnerungen noch wert, wenn sie nicht mehr geteilt werden können? Welche Auswirkungen hat das im Alltag? Und wie geht man damit um? Demenz ist eine Diagnose, die jedes Jahr 300.000 Menschen und mindestens genauso viele Angehörige vor ungeahnte Aufgaben stellt. Gertrud Teusen gibt praktische und hilfreiche Antworten auf die unzähligen Fragen, die sich auftun, und führt pflegende Angehörige einfühlsam durch die verschiedenen Phasen der Demenz. Dabei erinnert sie vor allem daran, sich bei allen Bemühungen und Sorgen nicht selbst zu vergessen. Wenn Demenz zum Alltag wird lässt niemanden ohne Hilfe zurück und ebnet den Weg für ein liebevolles, unterstützendes Miteinander.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 210
Betroffene liebevoll unterstützen – ein Ratgeber für Angehörige
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen
Wichtiger Hinweis
Dieses Buch ist für Lernzwecke gedacht. Es stellt keinen Ersatz für eine individuelle medizinische Beratung dar und sollte auch nicht als solcher benutzt werden. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und der Autor haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.
Originalausgabe
1. Auflage 2020
© 2020 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Redaktion: Susanne Meinrenken
Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer
Umschlagabbildung: Shutterstock.com/Rawpixel.com
Satz: ZeroSoft, Timisoara
Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien
eBook: ePubMATIC.com
ISBN Print 978-3-7474-0097-5
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-444-0
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-445-7
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.mvg-verlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de
EinleitungWenn Demenz zum Alltag wird …
Ein Buch gegen die Angst
Worum geht es, wenn von Demenz die Rede ist?
Der Diagnose-Schock – und dann?
Wir schaffen das … gemeinsam!
Die richtige Wortwahl
Kapitel 1Kommunikation und Demenz
Die Reise in eine neue Welt
Klare Worte finden – ganz schön schwierig
Gestik, Mimik, Tonlage – darauf kommt es an
Die Gestik
Die Mimik
Die Tonlage und die Intonation
Was bei einer Demenz mit dem Sprachvermögen passiert
Für Angehörige: Wie geht man mit den Veränderungen um?
Sprechen Sie mit Menschen mit Demenz wie zu einem Erwachsenen.
Mitgefühl gegen Missverständnisse
Demenzgerecht kommunizieren – nehmen Sie sich Zeit!
Kommunikation geht auch anders
Die Basis der Verständigung: Einfache Fragen stellen
Ganz praktisch: Erinnerungsstützen richtig einsetzen
Betroffene Angehörige liebevoll unterstützen
Hören und Aufmerksamkeit erwecken
Verstehen und erinnern
Bestätigen und korrigieren
Richtiger Ton und richtige Haltung
Verstehen ohne Worte
Kapitel 2Demenz in den Alltag integrieren
Nur ein bisschen tüdelig oder schon dement?
Völlig losgelöst – was vom Alltag übrig bleibt
Sorge ums Geld
Sorge um den Wohnraum
Was bei einer Demenz mit der Bewältigung des Alltags passiert
Für Angehörige: Wie geht man mit den Veränderungen um?
Ständige Vorwürfe nicht persönlich nehmen
Nichts ist beständiger als der Wandel
Gefühl in den Mittelpunkt stellen
Den Alltag demenzgerecht gestalten
Anforderungen fördern Fähigkeiten
Ganz praktisch: Den Haushalt neu organisieren
Ordnung schaffen
Orientierungshilfe geben
Gefahrenquellen entschärfen
Betroffene Angehörige liebevoll unterstützen
Sinnvolle Beschäftigungen
Pflege und Hygiene
Körperpflege
Auswahl von Kleidung und anziehen
Toilettengang
Essen und Trinken
Gefahren vermeiden
Der Zeit einen Rahmen geben
Kapitel 3Die Magie des Augenblicks – was der Seele guttut
Emotionen machen das Leben bunter
Was hat es nun mit den Emotionen auf sich?
Emotionen sind sichtbar – schauen Sie genau hin!
Miteinander – gegeneinander – gemeinsam
Was bei einer Demenz mit den Emotionen passiert
Die Scham
Von der Scham zum Beschämtwerden
Die Angst
Die Wut
Für Angehörige: Wie geht man mit den emotionalen Veränderungen um?
Wie geht man mit Scham um?
Wie geht man mit Angst um?
Wie geht man mit Wut um?
Ganz praktisch: Vertrauensvolle Welten schaffen
Wohlfühl-Oasen schaffen
Gegen das Vergessen: Erinnerungsarbeit
So kommen Sie der emotionalen Biografie auf die Spur:
Liebe im Fokus
Liebe zur Musik
Liebe zu Tieren
Liebe zur Kunst
Liebe kann man riechen
Kapitel 4Herausforderndes Verhalten
Harmonie für jeden Tag
Die ewige Jammerei
Was bei einer Demenz mit der Psyche passiert …
Angststörungen – Traumata und Phobien
Depressionen
Verkennungen – zwischen Illusion und Halluzination
Unruhe und Agitiertheit
Aggressivität
Für Angehörige: Wie Sie mit herausforderndem Verhalten umgehen können
Umgang mit Angststörungen
Umgang mit Halluzinationen
Umgang mit Verkennung
Was an die Nerven geht … Unruhe und Agitiertheit
Immer unterwegs: weglaufen, hinlaufen, verlaufen
Ständiges Rufen
Aggressives Verhalten
Über Geschmack lässt sich streiten
Zu warm, zu kalt – egal!
Ist das nicht schön?
Zwischen Pflicht und Toleranz
Verweigerung von Medikamenten
Verweigern von Getränken
Verweigerung von Nahrung
Extreme Unhöflichkeit
Das ist nicht meins
Das kann weg!
Wer bist du?
Kapitel 5Mit Demenz leben – Überforderung vermeiden
Die anderen Opfer der Demenz: Pflegende Angehörige
Wie pflegende Angehörige durch die Demenz belastet werden
Was pflegende Angehörige brauchen
Pflegende Angehörige brauchen alles – außer Gegenwind
Was den Unterschied macht – Mitleid oder Mitgefühl
Ganz praktisch: Was die Pflegebeziehung entlasten kann
Akzeptieren Sie die Krankheit
Trainieren Sie Ihr Einfühlungsvermögen
Sich selbst ernst nehmen
Wege aus der Pflegekrise – Haltung statt Technik
Krisenbewältigung beginnt mit der richtigen Einstellung
Resilienz lernen: Krisen besser meistern
Warnzeichen für Überforderung
Überforderung vermeiden
Hilfe annehmen
Gewalt vermeiden
Planen für später
Kapitel 6Abschied ist manchmal für immer
Beziehung neu definieren
Von der Paarbeziehung zur Pflegebeziehung
Eine neue Beziehung etablieren
Umgekehrte Verhältnisse
Angst vor der Verantwortung
Sich kümmern – Pflicht oder Kür?
Alleine leben trotz Demenz – geht das?
Nur allein zu Hause, ist keine gute Idee
In Würde altern
Zwischen Scham und Hilflosigkeit
Unabänderliches nicht hinterfragen
Die dritte Phase der Demenz
Bring mich bloß nicht ins Heim!
Versprechen brechen
Immer diese Schuldgefühle
Sorge um die rechtlichen Angelegenheiten
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben
Ganz praktisch: Veränderungen in Angriff nehmen
Offen für neue Konzepte
Literatur
»Im Alter nehmen die Fähigkeiten ab und die Krankheiten zu.« Diesen Satz schrieb ich vor gut zehn Jahren in einem Senioren-Ratgeber. Damals dachte ich, es würde kein weiteres Buch von mir zu diesem Thema geben. Ich hatte die dritte Lebens-phase mit all ihren Facetten ausführlich beschrieben. Ich hatte eine Idee davon bekommen, was es bedeutet, mit den Einschränkungen des Alters umzugehen.
Wenn man ein Thema so ausführlich beleuchtet, dann bleibt da oft trotz allem ein blinder Fleck. Etwas, was man gar nicht so genau ausleuchten möchte und ein Punkt, an dem der Wissensdurst gestillt scheint. Dem ist nicht so. Manchmal muss man genau dort hinschauen, wo es wehtut, um zu verstehen, dass man eben nicht ausweichen kann.
Wer von Pflegebedürftigkeit im Alter spricht, meint damit nicht automatisch auch die Pflege von Menschen mit Demenz. Früher gab es dafür noch gar keine Pflegestufe und erst recht keine finanzielle Unterstützung, wenn Angehörige sich um betroffene Familienmitglieder kümmerten. Für eine adäquate Unterbringung in einer speziellen Pflegeeinrichtung musste man ganz tief in die eigene Tasche greifen. Häufig blieb nur die häusliche Versorgung. Niemand wollte wirklich genau wissen, was es kostete, sich so in die Pflicht nehmen zu lassen.
Einerseits hat sich seit damals viel geändert, andererseits nun doch wieder nicht. Immer noch tragen überwiegend die nächsten Angehörigen die Last der Pflege (mehr oder minder) alleine. Sie werden zwar von Pflegediensten unterstützt, dennoch lebt rund ein Drittel aller Menschen, die an Demenz erkranken, weiterhin im gewohnten häuslichen Umfeld und wird dort versorgt: Eine unglaubliche Leistung, die getragen ist von Liebe und Verantwortung – manchmal allerdings auch bis zur Erschöpfung und bis an die Grenze der eigenen Überforderung.
Wer so sehr mit der Pflege beschäftigt ist, dem fällt es oft schwer, selbst die einfachsten körperlichen Warnsignale wahrzunehmen. Das permanent anwesende schlechte Gewissen, dem betroffenen Angehörigen nicht gerecht werden zu können, tut ein Übriges, um die Überforderungsspirale noch ein bisschen schneller zu drehen als sie es ohnehin schon tut.
Deshalb wird auch das scheinbar Offensichtliche so gerne verdrängt. Niemand denkt bei kleinen Aussetzern gleich an eine drohende Demenz. Das ist so, weil man es nicht sehen will – und natürlich auch deshalb, weil betroffene Angehörige es nicht wahrhaben möchten. Es ist nur allzu verständlich und nachvollziehbar, denn die Realität der demenziellen Krankheiten macht schlicht und ergreifend Angst.
Dieses Buch handelt von dieser Angst, die betroffene und sich kümmernde Angehörige durch den Alltag begleitet. Die einen, die Menschen mit Demenz, ängstigen sich vor dem Hier und Jetzt. Die anderen, die Menschen, die sich liebevoll um einen betroffenen Angehörigen kümmern, ängstigt das, was kommt. Das ist der Unterschied.
Kann ein Buch helfen, so etwas Ungeheuerliches wie das stete Vergessen in den Alltag zu integrieren? Kann es Rat und Hilfe geben, wo Hilflosigkeit das bestimmende Gefühl ist? Wenn Demenz zum Alltag wird, so wird sie doch nie Routine sein. Es gibt keine pauschalen Antworten auf die individuellen Fragen, denn jeder Mensch ist anders und genauso vielfältig sind die Variationen des Vergessens und die Einschränkungen, die daraus entstehen.
Ein Buch über Demenz ist und bleibt ein Annäherungsversuch. Es gilt, ein Syndrom in Worte zu fassen, was aber an sich unfassbar ist. Man kann sich dem Thema medizinisch, neurologisch oder psychologisch nähern, doch ganz zu greifen bekommt man es nicht. Den verschiedenen Perspektiven fehlt immer eine Ebene, und zwar die des Betroffenen selbst, die des an Demenz erkrankten Menschen.
Es gibt keinen, der aus dieser Erfahrung berichten kann, keinen, der herausgekommen ist und zu erzählen weiß, wie es dort ist, in diesem Land des Vergessens. Was also bleibt, sind Annäherungsversuche und nüchterne Fakten, und natürlich die tausend Geschichten der Angehörigen, die einen mutigen Feldzug gegen die Vergesslichkeit ihrer betroffenen Angehörigen führen. Tag für Tag, Stunde für Stunde. Ihre Anforderungen an sich selbst ist das, was liebevolle Zuwendung möglich macht. Wie sie immer wieder aufs Neue versuchen, der unfassbaren Veränderung von lieb gewonnenen Menschen Stand zu halten und Ordnung in verwirrte Gedanken zu bringen.
In diesem Buch finden Sie keine Geschichten und Berichte aus dem Leben mit an Demenz erkrankten Menschen. Es gäbe zu viel zu erzählen, und doch ist jede Geschichte ein klein wenig anders und bringt in der Konsequenz nur wenig Erhellung. Vielmehr konzentriert sich dieses Buch darauf, Angehörigen von Menschen, die an Demenz erkrankt sind, neue, hoffentlich inspirierende Möglichkeiten zu eröffnen, die ihnen das Leben vielleicht ein bisschen leichter machen.
Zunächst einmal ist Demenz keine Krankheit, sondern ein Syndrom. Demenz ist auch nicht gleich Alzheimer, selbst wenn die meisten Betroffenen an Alzheimer-Demenz leiden. Im medizinischen Fachjargon spricht man vom demenziellen Syndrom. Darunter versteht man eine Bündelung von verschiedenen Beschwerden, die in der Gesamtheit ähnlich sind, aber unterschiedliche Ursachen und vor allem unterschiedliche Verläufe haben.
So kennt man bislang rund 50 ganz unterschiedliche Erkrankungen, die zu einer Demenz führen können. Nicht immer geht eine Demenz vom Kopf aus, die überwiegenden demenziellen Krankheitsbilder haben ihre Ursachen in anderen chronischen Fehlfunktionen verschiedener Organe, die sich schlussendlich auf die Gedächtnisleistung niederschlagen.
Mediziner unterscheiden deshalb zwischen primären und sekundären Demenzformen.
Primäre Demenzen sind neurodegenerative Erkrankungen. Das bedeutet, sie haben ihren Ursprung im Gehirn und werden deshalb auch als hirnorganische Demenzen bezeichnet. Wenn man hierzulande über Demenz spricht, dann sind überwiegend diese primären Formen gemeint. Dazu gehören:
die Alzheimer-Demenz,
die gefäßbedingte (vaskuläre) Demenz,
die Lewy-Körperchen-Demenz (in Verbindung mit Parkinson)
und die sehr seltene frontotemporale Demenz.
Diese vier primären Demenzformen machen rund 90 Prozent aller Demenzerkrankungen aus. Grob vereinfacht passiert dabei Folgendes: Im Krankheitsverlauf sterben im Gehirn Nervenzellen ab, und die Verbindungen zwischen den einzelnen Zellen verkümmern. Dabei ist das auch schon die einzige Gemeinsamkeit.
Bei der Alzheimer-Demenz verläuft der Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit in drei Phasen ab und ist in diesem Sinne kontinuierlich fortschreitend und nicht reversibel. Schlussendlich gehen dabei wesentliche Gehirnareale zugrunde, sodass der Verlauf zwar verlangsamt, aber nicht aufgehalten werden kann. Circa 60 bis 70 Prozent aller Demenzerkrankten haben Alzheimer.
Bei einer vaskulären Demenz kommt es (stark vereinfacht) zu Durchblutungsstörungen im Gehirn, die kleine Mini-Schlaganfälle auslösen können. In der Folge leiden immer die Gehirnareale, die gerade betroffen sind. Die Aussetzer in Bezug auf die geistigen Fähigkeiten treten also sprunghaft in den unterschiedlichsten Bereichen auf und können sich manchmal auch wieder zurückbilden.
Auch die Lewy-Körperchen-Demenz, die in Verbindung mit Parkinson auftritt, hat wiederum eine Besonderheit. Vor allem führt der Morbus Parkinson an sich noch nicht automatisch zu einer Demenz, sondern betrifft im Wesentlichen die Motorik. Die Patienten erstarren (das nennt man Rigor) oder zittern (das nennt man Tremor). Im letzten Stadium des Morbus Parkinson kann es dann auch zu demenziellen Aussetzern kommen.
Die Frontotemporale Demenz (FTD) ist eine eher seltene Form der Demenz. Dabei sind vom Niedergang im Wesentlichen die Nervenzellen in den Stirnlappen (den sogenannten Frontallappen) und den Schläfenlappen (den sogenannten Temporallappen) des Gehirns betroffen. Bei fast allen Patienten, die daran erkranken, fallen zu Beginn Veränderungen der Persönlichkeit und des zwischenmenschlichen Verhaltens auf. Sie sind besonders aggressiv und taktlos, ja manchmal auch enthemmt. Das Gedächtnis wird erst in einem späten Stadium in Mitleidenschaft gezogen.
So oder so kann man den Verlauf einer primären Demenzerkrankung nicht umkehren, allerdings lässt sich durch Medikamente und Therapie der Weg zum Vergessen verlangsamen.
Die sekundären Demenzerkrankungen sind zwar eher selten, dafür aber in Bezug auf die Ursachen besonders vielfältig. Sie können beispielsweise durch Depressionen, Medikamente, Alkoholsucht, Schilddrüsenerkrankungen oder eine Vita-minunterversorgung ausgelöst werden. Im Gegensatz zu Alzheimer und vielen anderen primären Demenzerkrankungen können sekundäre Demenzen mitunter geheilt werden, wenn die zugrunde liegende Erkrankung früh genug behandelt wird.
ICD-10: Demenz
Nach dem internationalen System zur Klassifikation von Krankheiten gilt für die Demenz folgende Definition: »Demenz (ICD-10-Code: F00-F03) ist ein Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns mit Störung vieler höherer kortikaler Funktionen, einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache, Sprechen und Urteilsvermögen im Sinne der Fähigkeit zur Entscheidung. Das Bewusstsein ist nicht getrübt. Für die Diagnose einer Demenz müssen die Symptome nach ICD über mindestens 6 Monate bestanden haben. [...] Gewöhnlich begleiten Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation die kognitiven Beeinträchtigungen; [...]. Sie kommen bei Alzheimer-Krankheit, Gefäßerkrankungen des Gehirns und anderen Zustandsbildern vor, die primär oder sekundär das Gehirn und die Neuronen betreffen.«
Was ist, das ist … wie geht es jetzt weiter? In vielen Ratgebern wird empfohlen, sich umfassend über das individuelle Krankheitsbild zu informieren, um die Diagnose besser verarbeiten zu können. Wie jedoch der Einzelne damit umgeht, ist höchst verschieden, und dabei hilft auch kein noch so gut gemeinter Ratgeber. Die Diagnose Demenz macht da keinen Unterscheid zu anderen schweren Krankheiten. Nun kann man als Betroffener oder Angehöriger die Hände in den Schoß legen und darauf warten, dass das Schicksal seinen Lauf nimmt. Oder man nimmt sein Leben noch mal in die Hand und gestaltet die verbleibenden guten Jahre nach persönlichem Geschmack. Letzteres ist leider viel zu selten, aber das kann wahrscheinlich nur der verstehen, der in solch einer Situation gefangen ist. Die Hoffnung, dass alles irgendwie wieder gut wird, stirbt einfach zuletzt. So sind wir Menschen nun einmal.
Dennoch sollte man den Blick nach vorn richten und wenigstens die Dinge regeln, die für die Zukunft wichtig sind. Eine Patientenverfügung ist beispielsweise wichtig, um dem sich kümmernden Angehörigen einen Leitfaden an die Hand zu geben, wie man es sich vorstellt – zumindest theoretisch. Auch eine Vorsorgevollmacht, die medizinische Belange mit abdecken kann, wäre solch ein Projekt mit Zukunftspotenzial. Je nach Formulierung treten solche Bevollmächtigungen erst dann in Kraft, wenn man selbst nicht mehr in der Lage ist, seine Dinge zu regeln. Solche Vorsorge geht nämlich nicht automatisch an die nächsten Angehörigen über, wenn es denn nötig ist. Denn manchmal wird eine Betreuung von außen bestellt, und dabei weiß man dann nie, an wen man gerade gerät.
Es ist völlig normal, dass die meisten alten Menschen (mit und ohne Demenz) einerseits zu Hause gepflegt werden möchten. Andererseits wollen auch viele Betroffene ihren Angehörigen nicht zur Last fallen. Welche Entscheidungen in Zukunft wie getroffen werden, sollte man, wenn möglich, zuvor festlegen.
Doch all solche Regelungen und Empfehlungen sind in diesem Buch kein explizites Thema. Hier geht es um das Zusammenleben im Alltag, und es richtet sich an die Angehörigen, die die Pflege übernehmen und später dann die Verantwortung annehmen.
Erich Kästner soll einmal gesagt haben: »Auch aus Steinen, die dir in den Weg gelegt werden, kannst du etwas Schönes bauen.« Dieser Ratgeber möchte genau das: Nämlich, dass Sie die Steine, die auf Ihrem Weg liegen, dazu benutzen, um Brücken zu bauen – Brücken der Verständigung, der Teilhabe, des Wohlfühlens und des Annehmens.
Niemand sagt, dass es einfach ist, die Diagnose Demenz in den Alltag zu integrieren. Aber es geht: Millionen von pflegenden Angehörigen stellen das täglich unter Beweis.
Die folgenden Kapitel sind in Schwerpunkte gegliedert und im Wesentlichen gleich aufgebaut, sodass Sie sich schnell zurechtfinden. Es gibt allgemeine Informationen zum jeweiligen Thema wie zum Beispiel Kommunikation oder herausforderndes Verhalten, die Ihnen eine Idee über Hintergründe und Zusammenhänge geben.
Es gibt immer einen Teil, der sich mit den drei Phasen einer Demenz beschäftigt und versucht, soweit möglich, die Sichtweise des betroffenen Angehörigen mit Demenz zu reflektieren. Die Einteilung in die drei Phasen orientiert sich an dem Verlauf der Alzheimer-Krankheit; die einzelnen Elemente treten jedoch auch bei anderen Demenzformen auf, wenn auch in unterschiedlicher Intensität.
Im direkten Anschluss wird betreuenden Angehörigen erklärt, wie sie mit den teils schwer nachvollziehbaren Verhaltensweisen und Phänomenen umgehen können.
In jedem Kapitel finden Sie Abschnitte, wie Sie bestimmte Elemente der Betreuung aufgreifen und umsetzen können. Wo passend, finden Sie dort Checklisten zum Beispiel für sinnvolle Beschäftigungen oder Schritt-für-Schritt-Anleitungen, wie beispielsweise für die so wichtige Erinnerungsarbeit. Im Fokus aller Vorschläge steht die Aktivierung der betroffenen Angehörigen und wenn möglich die sinnvolle Auslastung, um das Selbstwertgefühl zu unterstützen.
All das wurde mit dem Ziel zusammengestellt, die Überforderung im Alltag des Zusammenlebens mit Menschen mit Demenz zu vermeiden bzw. zu minimieren. So wendet sich das fünfte Kapitel exklusiv an Angehörige, die sich kümmern und die sich dabei aber selbst nicht aus den Augen verlieren sollten.
Wo die Grenzen der liebevollen Betreuung erreicht sind, setzt Kapitel 6 noch einmal ganz neu an. Denn manchmal ist eine Versorgung außerhalb des eigenen Hauses im fortgeschrittenen Stadium einer Demenzerkrankung notwendig.
In diesem Buch die richtige Sprache und Ansprache zu finden war nicht einfach. In Zeiten der Genderifizierung, im Ringen um eine gleichberechtigte Wortwahl wird es schwierig zu formulieren, ohne auszugrenzen oder herabwürdigend zu sein. Deshalb wird auf den folgenden Seiten immer von Menschen mit Demenz oder betroffenen Angehörigen geschrieben. Manchmal wird auch der betroffene Angehörige verwendet. Die männliche Form dient allein der besseren Lesbarkeit und trägt nicht den statistischen Tatsachen Rechenschaft, dass sowohl Menschen mit Demenz als auch solche, die pflegen, überwiegend Frauen sind.
Was sind Erinnerungen noch wert, wenn sie nicht mehr geteilt werden können? Die Sprache ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Austauschs und gilt häufig als Basis für Verständigung. Aber es ist noch mehr: Kommunikation bedeutet auch, einander zu verstehen. All das verändert sich, wenn Angehörige die Diagnose demenzielles Syndrom erhalten.
Dabei wird häufig außer Acht gelassen, dass sich die sprachlichen Fähigkeiten im Laufe eines Lebens verändern. Sie wachsen, werden vielfältiger und schließlich durch Erfahrungen, Wissen und Erkenntnisse angereichert. Wir sammeln Erinnerungen und erwerben Fertigkeiten. Das alles ist Futter für unsere grauen Zellen.
Nur allzu oft wird vergessen, dass man auch Sprache (wie so vieles andere) erst einmal lernen muss. Kleine Kinder lernen noch nebenbei. Dann kommen sie in die Schule, und damit bekommt das Lernen ein System. Je älter Menschen nun werden, desto schwieriger und aufwendiger ist es, Neues zu lernen. Doch die grauen Zellen täglich herauszufordern ist wichtig, denn mit Herausforderungen bleiben sie fit und gesund.
Mit dem Alter verändert sich das. Bei den meisten Menschen ist der Prozess schleichend und zeichnet sich nur dadurch ab, dass die Denkprozesse etwas langsamer ablaufen. Deshalb ist man nicht gleich dement. Doch wenn es so ist, verändert sich nicht nur der Mensch, sondern es verändert sich auch seine Fähigkeit, zu kommunizieren. Im Grunde verändert sich alles.
Der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan erkrankte mit 83 Jahren an Alzheimer. Er schrieb damals einen Brief an die Nation, in dem er seine Diagnose öffentlich machte. Darin verglich Reagan seine Demenz mit einer Reise zum Sonnenuntergang des Lebens. Ein schönes (wenn auch trauriges) Bild für das, was auch auf Sie und Ihren Angehörigen zukommt.
Zuerst leidet die Fähigkeit, wie gewohnt zu kommunizieren. Das hört sich zunächst wenig spektakulär an, hat jedoch im Verlauf der Erkrankungen weitreichende Konsequenzen. Reagans Vergleich mit einer Reise trifft es jedoch ganz gut, denn genau so muss man es sich vorstellen: Wie wäre folgendes Szenario für Sie? Sie erwachen eines Tages und die Menschen in Ihrer Umgebung sprechen ständig von Dingen, die Sie nicht verstehen. Das Schlimme daran ist, dass jeder gerade so tut, als sei alles ganz selbstverständlich. Niemand nimmt Rücksicht darauf, dass Sie förmlich sprachlos sind, eben weil Sie nicht wissen, worum es geht. Wie würden Sie reagieren? Wütend oder verärgert? Mit Sicherheit wären Sie verstört, vielleicht auch ängstlich, auf alle Fälle aber eingeschüchtert.
Wenn Ihnen diese kurze Beschreibung Angst macht, dann wissen Sie nun, wie sich an Demenz erkrankte Menschen fühlen.
Wer unter Demenz leidet, verliert nach und nach die Fähigkeit, sich wie bislang gewohnt auszudrücken. Das ist für alle Betroffenen schmerzlich. Normale Gespräche mit dem Partner oder der Partnerin, der Mutter oder dem Vater werden zunächst schwierig, dann kompliziert und schließlich unmöglich. Wichtig ist es, sich immer wieder in die Situation des Erkrankten zu versetzen. Denn dann lassen sich Wege finden, um miteinander in Kontakt zu bleiben.
Die Basis für ein gutes Miteinander ist die klare Kommunikation. Wie schwer das sein kann, weiß jeder Mensch aus eigener Erfahrung. Insbesondere im Gespräch mit älteren (und an Demenz erkrankten) Menschen neigen wir mehr zur Verschleierungstaktik als zu offenen Worten. Dabei sind das Verbiegen und Vertuschen meist vergebene Liebesmühe, denn unser Körper spricht immer mit – und oft eine ganz andere Sprache, als die Worte glauben machen wollen.
Jeder Mensch spricht nicht nur mit Worten, sondern unterstreicht das Gesagte ganz automatisch durch Gesten, Mimik und Stimmlage – oder führt es ad absurdum. Sie können sich, wenn Sie beispielsweise von Gewissensbissen geplagt sind, noch so sehr bemühen, einen souveränen Eindruck zu machen; das schlechte Gewissen steht Ihnen doch buchstäblich ins Gesicht geschrieben.
Was für Kommunikation allgemein zutrifft, gilt für die Gespräche mit Menschen, die an Demenz erkrankt sind, im Besonderen. Und nicht zu vergessen: Ihr Gesprächspartner, also Vater oder Mutter oder Lebenspartner, kennt Sie schon lange, oft sogar ein Leben lang. Häufig haben Menschen mit Demenz ein feines Gespür für Zwischentöne und ebenso für ernste Worte. Zwischen dem, was man sagt, und dem, was man fühlt, liegen manchmal Welten – und nochmal größer ist der Unterschied, was bei unserem Gegenüber ankommt.
Insbesondere beim Gespräch mit älteren Menschen, die an Demenz leiden, fällt es schwer, Worte und Empfindungen in Einklang zu bringen, weil man sie nicht verärgern will, weil man sie nicht verletzen oder einfach nur, weil man lästigen Diskussionen aus dem Weg gehen möchte. Probleme tauchen beispielsweise regelmäßig auf, wenn wir ja sagen, aber nein meinen.
Zu einer gelungenen Kommunikation gehört so viel mehr als die richtige Wort-wahl. Gestik, Mimik, Tonlage werden zumeist unbewusst eingesetzt und begleiten Gespräche quasi automatisch. Im Umgang mit Angehörigen, die an Demenz erkrankt sind, ist es gut, sich damit zu beschäftigen, wie Körpersprache wirkt und wie sie sich beeinflussen lässt. Denn gerade der unbedachte Umgang damit löst oft unerwartete Reaktionen aus.
Als Gestik werden landläufig alle Bewegungen der Arme, Hände und des Kopfs bezeichnet, die ein Gespräch begleiten. Im Idealfall unterstreichen oder ersetzen sie Mitteilungen in einer jeweiligen Lautsprache.
Gesten begleiten unsere Kommunikation praktisch permanent. Sie heben Bedeutsames hervor, transportieren Gefühle und machen dadurch auch komplizierte Sachverhalte nachvollziehbar.
Im Umgang mit Menschen, die an Demenz erkrankt sind, ist es wichtig, sich der Aussagekraft von Gesten bewusst zu sein. Sie können Angst einflößen oder beschwichtigen, Aufmerksamkeit wecken oder Desinteresse offenbaren. Gestik ist also durchaus ein zweischneidiges Schwert.
Der US-amerikanische Psychologe David McNeill gilt als Pionier der Gestenforschung. Für ihn war klar, dass Gesten mehr über die wahren Gedanken und Absichten verraten als bloße Worte. In den 1990er-Jahren entwickelte er vier Basistypen der verwendeten Gesten.
Man unterscheidet sprachbegleitende und sprachersetzende Gesten. Im Verlauf einer Demenzerkrankung gewinnt das zunehmend an Bedeutung, da der Wortschatz geringer und die Aussagen immer unpräziser werden.
Gesten sind überwiegend redebegleitend und im Umgang mit Angehörigen, die an Demenz erkrankt sind, ist es gut, die eigene Gestik zu prüfen und sich eine facettenreiche Körpersprache anzugewöhnen.
Wenn die Sprachfähigkeit infolge der Demenzerkrankung nachlässt, gewinnen sogenannte deiktischen (also zeigenden) Gesten, an Bedeutung. Gerade in der Phase, in der dem betroffenen Angehörigen immer mehr Worte fehlen, kann es sinnvoll sein, sich so zu behelfen, um eine klare Kommunikation zu bewahren. Zeigt man beispielsweise bei der Frage »Könntest du die Blumen gießen?« zuerst auf die Blumen und dann auf die Gießkanne, wird deutlicher, worauf die Frage abzielt.
Je mehr sich die Sprachfähigkeit des betroffenen Angehörigen reduziert, desto intensiver sollten sogenannte symbolische Gesten (also solche, die für sich sprechen) genutzt werden. Solche sprachersetzenden Gesten sind unter anderem die offene Handfläche am ausgestreckten Arm als »Stopp«-Signal. Schüttelt man den Kopf, bedeutet das »nein«, ein Nicken wird als Zustimmung verstanden.
Eine facettenreiche Gestik kann man sich regelrecht antrainieren, wenn man nicht zu jenen Menschen gehört, die das von Natur aus so machen. Aber bitte nicht übertreiben, denn: Wildes Herumfuchteln kann auch furchteinflößend wirken.