Wenn dir dein eigenes Kind fremd ist (und es deinem Kind mit dir genauso geht) - Oliver Dierssen - E-Book

Wenn dir dein eigenes Kind fremd ist (und es deinem Kind mit dir genauso geht) E-Book

Oliver Dierssen

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  • Herausgeber: Mosaik
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Wie Sie Enttäuschung überwinden und die Liebe Ihres Kindes neu entdecken

Wenn ein Kind auf die Welt kommt, haben Eltern die Chance, eine völlig neue Beziehung zu beginnen. Viele wünschen sich das glücklichste Kind der Welt zu Hause. Sie sind bereit, alles dafür zu tun, dass die Kindheit zur schönsten Zeit in seinem Leben wird. Dieser Anspruch begründet zugleich außerordentliche Erwartungen der Eltern an sich selbst. Wenn sich dann Gefühle von Unverstandensein, Zurückweisung oder Enttäuschung einstellen, kann es zu erheblichen Konflikten in der Eltern-Kind-Beziehung kommen. Für manche Eltern ist es die schwerste emotionale Verletzung, wenn ihre Kinder sie nicht so lieben, wie sie es sich ersehnt hatten. Nicht wenige werden darüber krank, körperlich und seelisch. Eltern — und Kinder. Der renommierte Kinder- und Jugendpsychiater Dr. med. Oliver Dierssen zeigt anhand zahlreicher Beispiele aus der Praxis Wege zu einem gelingenden Miteinander: Ohnmachtsgefühle überwinden, seelischen Schmerz wahrnehmen, verstehen und bewältigen und neues Vertrauen wagen.

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Seitenzahl: 360

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Buch

Wenn ein Kind auf die Welt kommt, haben Eltern die Chance, eine völlig neue Beziehung zu beginnen. Viele wünschen sich das glücklichste Kind der Welt zu Hause. Sie sind bereit, alles dafür zu tun, dass die Kindheit zur schönsten Zeit in seinem Leben wird. Dieser Anspruch begründet zugleich außerordentliche Erwartungen der Eltern an sich selbst. Wenn sich dann Gefühle von Unverstandensein, Zurückweisung oder Enttäuschung einstellen, kann es zu erheblichen Konflikten in der Eltern-Kind-Beziehung kommen. Für manche Eltern ist es die schwerste emotionale Verletzung, wenn ihre Kinder sie nicht so lieben, wie sie es sich ersehnt hatten. Nicht wenige werden darüber krank, körperlich und seelisch. Eltern – und Kinder. Der renommierte Kinder- und Jugendpsychiater Dr. med. Oliver Dierssen zeigt anhand zahlreicher Beispiele aus der Praxis Wege zu einem gelingenden Miteinander: Ohnmachtsgefühle überwinden, seelischen Schmerz wahrnehmen, verstehen und bewältigen und neues Vertrauen wagen.

Autor

Dr. med. Oliver Dierssen, 1980 in Hannover geboren, ist als niedergelassener Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Region Hannover tätig. Er engagiert sich in der Patientenarbeit und in sozialen Medien für den Kinderschutz und gewaltfreie, bindungsorientierte Erziehung, ist regelmäßig zu Gast in profilierten Podcasts (»Das gewünschteste Wunschkind«, »Kakadu-Podcast«(Deutschlandfunk Kultur)), meldet sich in seiner ZEIT Leo-Kolumne zu Wort und informiert auf seinem viel gelesenen Twitter-Account zu aktuellen Themen. Für seinen ersten Roman Fledermausland erhielt er 2010 den Deutschen Phantastik Preis. Der vielseitig interessierte Autor von Fachliteratur und Romanen lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in der Nähe von Hannover. Dies ist sein erstes populärwissenschaftliches Sachbuch.

Twitter: @KJPGehrden;

www.kjp-gehrden.de

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden vom Autor und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Originalausgabe Oktober 2022

Copyright © 2022: Mosaik Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Covergestaltung: Sabine Kwauka

Covermotiv: © Vanesa Munoz / Trevillion Images

Redaktion: Bettina Spangler

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

KF ∙ IH

ISBN 978-3-641-28790-0V002www.mosaik-verlag.de

Wolfgang Kämmerer gewidmet

Einander kennenlernen heißt lernen,wie fremd man einander ist.

— Christian Morgenstern

Inhalt

Einleitung

1  Wie Sie Enttäuschung überwinden und die Liebe Ihres Kindes neu entdecken

Fallbeispiel: Alexander

Was macht es gerade so schwierig?

Sie sind nicht allein

Was wir zurücklassen können

Neue Ideen

Zusammenfassung

Übung: Was ist an mir liebenswert?

2  Wie Sie mit Schuldgefühlen und Undankbarkeit umgehen lernen

Fallbeispiel: Nele

Was macht es gerade so schwierig?

Sie sind nicht allein

Was wir zurücklassen können

Neue Ideen

Zusammenfassung

Übung: Wie geht es uns miteinander?

3  Wie Sie mit Zurückweisung umgehen lernen und neue Wege finden, Ihrem Kind Ihre Liebe zu zeigen

Fallbeispiel: Hannes

Was macht es gerade so schwierig?

Sie sind nicht allein

Was wir zurücklassen können

Neue Ideen

Zusammenfassung

Übung: Ihr Kind in anderen Welten

4  Warum Konflikte so wehtun und wie Sie diesen Schmerz überwinden lernen

Fallbeispiel: Leon

Was macht es gerade so schwierig?

Sie sind nicht allein

Was wir zurücklassen können

Neue Ideen

Zusammenfassung

Experiment: Den seelischen Schmerz verorten

5  Wie Sie aus Machtkämpfen aussteigen und Hilflosigkeit überwinden

Fallbeispiel: Philipp und Tobias

Was macht es gerade so schwierig?

Sie sind nicht allein

Was wir zurücklassen können

Neue Ideen

Zusammenfassung

Übung: Die Füße tragen mich weiter

6  Wie gegenseitiger Respekt in Ihre Familie zurückkehren kann

Fallbeispiel: Oskar

Was macht es gerade so schwierig?

Sie sind nicht allein

Was wir zurücklassen können

Neue Ideen

Zusammenfassung

Experiment: »Ich werde dir schon noch Respekt beibringen!« – Drei Monate für eine Veränderung

7  Wie Sie die psychische Krise Ihres Kindes bewältigen, ohne Ihr Kind oder sich selbst dabei aus den Augen zu verlieren

Fallbeispiel: Samira

Was macht es gerade so schwierig?

Sie sind nicht allein

Was wir zurücklassen können

Neue Ideen

Zusammenfassung

Übung: Ihr umzäuntes Fleckchen Erde

8  Wenn nichts mehr geht: Wie Sie die Krise überwinden und zu einem freieren und glücklicheren Leben finden

Fallbeispiel: Kilian

Was macht es gerade so schwierig?

Sie sind nicht allein

Was wir zurücklassen können

Neue Ideen

Zusammenfassung

Übung: Bausteine für Ihre eigene Entwicklung

Danksagung

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Register

Einleitung

Dass ich einmal ein Buch über Eltern-Kind-Beziehungen schreiben würde, die von Unverständnis, Fremdheit und Abstand geprägt sind – das hatte ich nicht erwartet. Im Zentrum meiner täglichen Arbeit in einer kinderpsychiatrischen und -psychotherapeutischen Praxis stehen ja stets die Bindung und die Stärkung von familiären Beziehungen.

Bindungs- und beziehungsorientiertes Zusammenleben von Kindern und Erwachsenen, ein gleichwürdiges Miteinander, die Berücksichtigung der Bedürfnisse aller Familienmitglieder und das beständige und geduldige Aushandeln von Kompromissen sind die Pfeiler, auf denen mein Verständnis vom Leben mit Kindern ruht. Ich bin der festen Überzeugung, dass der sanftmütige, geduldige und ehrliche Umgang mit Kindern nicht nur deren Leben (und unser Leben als Eltern) verbessert, sondern unsere Gesellschaft an sich.

Kinder, deren Grenzen respektiert werden, werden später zu Erwachsenen, die die Grenzen anderer spüren und ernst nehmen. Kinder, denen man feinfühlig und geduldig begegnet, werden später die Werte von Mitgefühl und Rücksichtnahme leben und weitergeben. Kinder, deren Würde von Anfang an gewahrt wird, nehmen später ihre eigene Würde, ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen ernst. Aus einer solchen Kindheit speist sich die Kraft, sich zu dem erwachsenen Menschen zu entwickeln, der man aufgrund der eigenen Veranlagungen, Sehnsüchte und Träume werden möchte.

Doch wie ist es möglich, harmonisch mit seinen Kindern zusammenzuleben, wenn man vom Temperament scheinbar nicht zueinander passt? Wenn man nicht zueinanderfindet? Wie gehen wir mit dem Gefühl um, vom eigenen Kind infrage gestellt und vielleicht sogar zurückgewiesen zu werden? Wie kann ein harmonisches Zusammenleben gelingen, wenn man mit dem eigenen Kind kaum Interessen und Wesenszüge teilt und nur schwer eine gemeinsame Sprache findet?

Mit diesen Fragen beschäftigt sich dieses Buch. Es handelt weniger vom einfühlsamen Verstehen des Kindes als vom Sich-fremd-Fühlen, von Missverständnissen, Kränkungen und Enttäuschungen, an einigen Stellen sogar von Gewalt und vielleicht Hass zwischen Kindern und ihren Eltern. Es ist ein Buch über das Missverstehen und Augenrollen, über Schweigen und Brüllen, über die Sehnsucht nach Nähe und nach Abstand. Es geht um Störungen im Beziehungsgeflecht zwischen Eltern und ihren Kindern. Meine Beobachtung ist, dass Familien, die von solchen Beziehungsstörungen betroffen sind, sich in ein Netz aus Machtkämpfen, Ehrverletzungen und Bestrafungen verstricken. Ausgangspunkt ist hierbei das Nicht-Verstehen, das Scheitern beim Versuch, eine gemeinsame Basis herzustellen, die auf Ähnlichkeit und Einverständnis beruht.

In diesem Buch geht es um das Elternsein. Es nimmt nicht für sich in Anspruch, die Entwicklung der kindlichen Seele vollständig darzustellen. Es ist insofern ein Elternbuch, als es von den Wünschen und Bedürfnissen handelt, die wir an unsere Kinder richten, von den Hoffnungen, Träumen und Enttäuschungen, die sich an die Elternschaft knüpfen. Wir werden Eltern-Kind-Beziehungen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und auch die Beziehung zu unseren eigenen Eltern unter die Lupe nehmen. Es wird um Momente gehen, in denen sich Eltern ihren Kindern fremd fühlen, zurückgewiesen und abgelehnt. Ich versuche, einen Weg aufzuzeigen, wie Sie das Anderssein Ihres Kindes akzeptieren, es vielleicht sogar als Kraftquelle und Inspiration nutzen und die Momente von Glück und Zusammenhalt ganz besonders wertschätzen.

Was mich vor allem zu diesem Buch bewogen hat, sind Gespräche mit verletzten Eltern. Die meisten Mütter und Väter, die ich täglich in der Praxis kennenlerne, geben sich große Mühe. Sie kämpfen sich durch den Alltag und versuchen, ihre Paarbeziehungen und das Berufsleben mit dem liebevollen Zusammensein und dem erfolgreichen »Großziehen« ihrer Kinder unter einen Hut zu kriegen. Einige haben sehr hohe Ansprüche an sich selbst und andere; viele sind sich selbst die strengsten Kritiker und Lehrmeister – und ihren Kindern dabei manchmal auch. In einigen dieser Familien kommt es zu massiven täglichen Konflikten, wobei die Familienmitglieder oft nur Gutes wollen und sich nach Harmonie und Glück sehnen. Doch wenn das familiäre Miteinander in dieser Weise überschattet wird, ist es schwer, zusammen ein glückliches Leben zu führen.

Jene Eltern, die daran scheitern, die schließlich entmutigt oder sogar schwer krank aufgeben, die sich grollend zurückziehen oder sich sogar räumlich von ihren Kindern trennen, scheitern oft nach unglaublichen Anstrengungen. Hinter ihnen und ihren Kindern liegen unendliche Bemühungen, bittere Machtkämpfe, schlaflose Nächte, gebrochene Versprechen und leere Drohungen. Die Mitglieder dieser Familien empfinden Scham und Verzweiflung und sind einsam. Diese Familien benötigen Trost und Hoffnung, dass es einen Weg »zurück« gibt: in ein Familienleben, in dem jeder und jede seinen sicheren Platz finden und in Frieden leben kann.

Dieses Buch soll die Bemühungen jener Eltern nachzeichnen, die um Liebe und Bindung zu ihren Kindern ringen und doch immer wieder an deren »Fremdheit« scheitern. Es soll einen Weg aufzeigen, wie wir es aushalten können, uns unseren Kindern manchmal fremd zu fühlen, vielleicht auch unverstanden und mitunter zurückgewiesen – und sie dennoch zu lieben.

Gebrauchsanweisung

Dieses Buch ist ein Elternratgeber, es möchte Sie aber auch auf eine »therapeutische Reise« mitnehmen. Es ist sinnvoll, aber nicht zwingend notwendig, die Kapitel in der vorliegenden Reihenfolge zu lesen.

Jedes Kapitel ist in sieben Abschnitte gegliedert:

Fallbeispiel – Hier finden Sie einen Fallbericht, der aus Sicht eines Elternteils, eines Kindes oder einer Jugendlichen geschildert ist. Schon aus Gründen der ärztlichen Schweigepflicht sind alle Beispiele stark verfremdet. Keine der Personen, die in diesen Fallgeschichten zitiert werden, existiert. Dennoch lege ich den fiktiven Menschen in den Mund, was ich von vielen Eltern so oder ähnlich gehört und im Kontakt mit ihnen erlebt habe.Was macht es gerade so schwierig? – In diesem Abschnitt wird das Problem umrissen. Checklisten sollen Ihnen bei der Einschätzung helfen, wie ausgeprägt eine Problemlage in Ihrer Familie vorliegt.Sie sind nicht allein – Hier finden Sie theoretische Hintergründe zur Fragestellung des Kapitels und erfahren, wie die Problematik in einen fachlich fundierten Hintergrund einzuordnen ist.Was wir zurücklassen können – Wir sind mit nützlichen, aber auch unpassendem Gepäck in die Elternschaft gestartet. In diesem Kapitel finden Sie Hinweise darauf, welche Ideen und Haltungen Sie ohne schlechtes Gewissen hinter sich lassen können.Neue Ideen – Sie finden in diesem Buch kaum konkrete »Erziehungstipps«, stattdessen versuche ich, neue elterliche Haltungen zu vermitteln und Ihnen dabei zu helfen, alte Muster zu durchbrechen. Zusammenfassung – Dieser Abschnitt liefert einen Überblick über das Kapitel, der Ihnen auch dabei helfen soll, besser in die abschließende Übung einzusteigen, auch wenn Sie das Kapitel vielleicht noch nicht gelesen oder das Buch lange nicht mehr in der Hand gehabt haben.Übung –Im psychologischen und pädagogischen Arbeitsbereich sind solche Übungen weit verbreitet. Wenn Sie der Begriff »Übung« abschreckt, nennen Sie sie Gedankenexperimente oder Veranschaulichungen. Probieren Sie aus, welche davon zu Ihnen passen und sich gut anfühlen. Die anderen lassen Sie einfach weg.

Überblick über die Kapitel

Wenn Eltern sich von ihren Kindern nicht geliebt fühlen, kann dies eine der schwersten Enttäuschungen im Leben sein. Im 1. Kapitel: »Wie Sie Enttäuschung überwinden und die Liebe Ihres Kindes neu entdecken« schauen wir uns an, wie kindliche Liebe aussieht und was sie nicht zu leisten vermag. Im Übungsteil geht es darum, die elterliche Fähigkeit zur Selbstliebe zu stärken.

Viele Eltern verausgaben sich und haben das Gefühl, ihre elterlichen Bemühungen seien nie richtig ausreichend. Sie geben sich die Schuld für vieles, das nicht gut läuft. Häufig lässt sich der Leitsatz »Du strengst dich nie genug an« in die eigene Kindheit zurückverfolgen. Im 2. Kapitel: »Wie Sie mit Schuldgefühlen und Undankbarkeit umgehen lernen« wird eine Vorstellung von Beziehungen umrissen, in denen Schuld und Dankbarkeit keine große Rolle mehr spielen. Im Übungsteil geht es darum, Probleme zwischen Eltern und Kindern ohne Vorwürfe zu besprechen und die gegenseitigen Gefühle vorbehaltlos zu akzeptieren.

Gegenseitige Ablehnung entsteht häufig aus dem Gefühl von Unterschiedlichkeit – man passt scheinbar nicht zusammen. Manche Kinder reagieren auf diese Unterschiedlichkeit mit anstrengender Überanpassung, andere mit Rebellion gegen die Eltern. Beides belastet die Eltern-Kind-Beziehung. Im 3. Kapitel: »Wie Sie mit Zurückweisung und Ablehnung umgehen lernen« versuche ich einen Weg aufzuzeigen, Unterschiedlichkeit in der Beziehung besser zu akzeptieren. Im Übungsteil bekommen Eltern eine Anleitung, wie sie »unpassende« Eigenschaften ihres Kindes neu entdecken und wertschätzen können.

Wenn es zwischen Eltern und Kindern schwierig ist, kann dies sehr wehtun – beinahe wie eine körperliche Verletzung. Das 4. Kapitel: »Warum Konflikte so wehtun und wie Sie diesen Schmerz überwinden lernen« untersucht, wie dieser Schmerz entsteht, und zeigt Umgangsweisen damit auf. Im Übungsteil erhalten Eltern Hilfestellung, wie sie diesen seelischen Schmerz besser verstehen und bewältigen können.

Macht- und Dominanzkämpfe gehören zu den häufigsten Ursachen von Konflikten in Familien und nehmen in Beratungsstellen großen Raum ein. Häufig erleben sich Eltern und Kinder hierbei als ohnmächtig, sodass sich Eskalationsspiralen aus Kontrollbedürfnissen und Kontrollverlusten entwickeln. Im 5. Kapitel: »Wie Sie aus Machtkämpfen aussteigen und Hilflosigkeit überwinden« suche ich nach einem Weg, wie Eltern-Kind-Beziehungen ohne Machtausübung gelingen und wie Eltern die Ohnmachtszeichen ihrer Kinder besser wahrnehmen können. Im Übungsteil erhalten Eltern eine Anleitung, wie sie Ohnmachtsgefühle besser überwinden können und sich als wirksamer erleben.

Gegenseitige Verletzung des Stolzes und des Ehrgefühls sind eine häufige Ursache für Streit. Allerdings ist es sehr schwer, über verletzten Stolz zu sprechen und seine eigene Kränkung zu verbalisieren. Im 6. Kapitel: »Wie gegenseitiger Respekt in Ihre Familie zurückkehren kann« werden Eltern angeleitet, Gefühle von Selbstrespekt und Integrität ihres Kindes stärker zu beachten, Beschämungen zu vermeiden und Verletzungszeichen zu erkennen. Im Übungsteil erhalten Eltern die Anleitung zu einem Experiment für die ganze Familie, in dem Höflichkeit, Geduld und Zurückhaltung eine viel größere Rolle spielen als bislang.

Eine schwere seelische Krise eines Kindes stellt Eltern vor eine gewaltige Herausforderung, und nicht selten bringt sie auch eine schwere emotionale Belastung mit sich. Im 7. Kapitel: »Wie Sie die psychische Krise Ihres Kindes bewältigen« erhalten Eltern Hilfestellung, um mit Verzweiflung bis hin zur Suizidalität ihrer eigenen Kinder umzugehen und in der Krise einen »Kommunikationskanal« des Vertrauens neu aufzubauen. Im Übungsteil wird eine Perspektive aufgezeigt, die kindlichen Krisenbewältigungsfähigkeiten stärker wertzuschätzen und negative Gefühle von Kindern besser auszuhalten.

Manchmal sind Konflikte so sehr zum Alltag geworden, dass eine normale Kommunikation kaum noch möglich ist. Verbale und körperliche Gewalt können sich aus einer solchen Atmosphäre leicht entwickeln, und Drohungen gehören oft zum Alltag. Im 8. Kapitel: »Wenn nichts mehr geht« erhaltenEltern Anregungen, wie sie wieder Sicherheit herstellen können und die Familie vor aggressiven Eskalationen schützen. Sie werden darin bestärkt, Hilfe zu suchen und Verantwortung nach außen auszulagern. Im Übungsteil lernen Eltern, sich allmählich wieder mehr Raum für die eigene Entwicklung zu gewähren und die große Verantwortung für ihr Kind schrittweise noch stärker mit anderen zu teilen.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit schreibe ich oft von »Ihrem Kind«, wenn es im Text allgemein um die Beziehung zwischen Ihnen beiden geht. Wenn Ihr Kind schon im Jugendalter ist, lassen Sie sich davon nicht irritieren. Bei Problemen oder Fragestellungen, die gehäuft im Jugendalter und weniger in der Kindheit auftreten, schreibe ich von »Kindern und Jugendlichen«.

1Wie Sie Enttäuschung überwinden und die Liebe Ihres Kindes neu entdecken

Fallbeispiel: Alexander

Florian, 45, erzählt:

Wenn ich gewusst hätte, wie das Familienleben wirklich ist, hätte ich mich erst viel später auf Kinder eingelassen. Oder vielleicht nie. Natürlich hatten mir Freunde mit Kindern gesagt: »Kinder verändern einfach alles, du wirst dein Leben nicht wiedererkennen.« Aber für Anne und mich war trotzdem klar, dass wir es schnell probieren wollten.

Das Verhältnis zu meinen Eltern war nie besonders eng gewesen, mein Vater war viel unterwegs, als meine Geschwister und ich im Grundschulalter waren. Ich wollte es immer besser machen als er, wollte viel mehr für meine eigenen Kinder da sein und auch für meine Frau.

Ich hatte mich wahnsinnig auf Alexander und das Vatersein gefreut. Ich habe fest daran geglaubt, dass wir eine bessere Beziehung haben würden als mein Vater und ich. Ich war ja bereit, auf fast alles zu verzichten: auf Zeit mit Freunden, die alle noch keine Kinder hatten und nicht verstanden, warum ich lieber vormittags in den Zoo ging als abends in eine Kneipe. Auf Zeit, die ich früher für meinen Sport hatte. Und sogar auf Zweisamkeit mit Anne. Ich wollte alles dafür tun, dass Alexander nicht das passierte, was mir passiert war – mit einem Vater großzuwerden, den er kaum sah.

Harmonie ist mir wichtig. Darum konnte ich schwer mit Alexanders Wutanfällen umgehen, die begannen, als er gerade eins war. Es war oft stundenlang unmöglich, ihn zu beruhigen, und manchmal war auch ein ganzer Tag vom Aufstehen bis zum Einschlafen sehr schwierig. Diese Wutanfälle gehörten in den letzten sieben Jahren fast jeden Tag dazu. Immer gibt es Streit. Anne und ich haben uns früher nie gestritten, aber auch das hat sich geändert. Wir streiten oft, und immer geht es um Alexanders Verhalten und meine Reaktion darauf.

Alexander und ich sprechen einfach nicht dieselbe Sprache, und selbst wenn ich mir Mühe gebe, so geduldig mit ihm zu reden wie seine Mutter, reagiert er entweder kaum auf mich oder total respektlos. Und das tut weh. »Ihr seid wie Hund und Katze«, sagt Anne manchmal, und sie hat recht. Es läuft einfach schlecht mit uns.

»Wir streiten ja nur, wenn du da bist«, hat er vor Kurzem gesagt, und das hat so wehgetan, dass ich es ihm nicht so einfach verzeihen kann. Es klang, als wäre ich derjenige, der bei uns zu Hause stört. Vielleicht bin ich einfach zu ungeduldig. Vielleicht bin ich auch der Einzige, der sich so sehr nach Ruhe und Harmonie sehnt und der den ständigen Streit nicht mehr erträgt.

Ich gebe mir so viel Mühe, Alexander meine Liebe zu zeigen. Manchmal denke ich, er liebt mich überhaupt nicht. Ich bin einfach furchtbar enttäuscht von allem.

Was macht es gerade so schwierig?

Unsere Sehnsucht nach Liebe

Sehr viele Menschen sehnen sich nach vollkommenen Beziehungen. Diese Sehnsucht ist in fast jedem von uns angelegt: Beziehungen, in denen wir uns so zeigen können, wie wir sind, und dennoch ohne Wenn und Aber angenommen, gehalten und geliebt werden – vorbehaltlos geliebt! Eine Liebe, die so stark ist, dass sie jeden Schmerz überdecken kann, jede Angst überstrahlen. Es kann die Liebe zu einer Partnerin oder einem Partner sein, zu den eigenen Eltern, Geschwistern oder auch Freunden und natürlich vor allem die Liebe zu den eigenen Kindern. Manche Menschen sind ihr Leben lang auf der Suche nach dieser vollkommenen Liebe. Einige finden sie. Andere tragen zeitlebens eine ungefähre Vorstellung von dieser Liebe in sich, ohne sie jemals wirklich zu erfahren. Eine Liebe, die so stark ist, dass sie alle Schwierigkeiten überwindet: Das ist eine paradiesische Vorstellung. Diese bedingungslose Liebe »bedeutet Seligkeit, sie bedeutet Frieden«, schreibt der Philosoph und Psychoanalytiker Erich Fromm (1980). »Ist sie vorhanden, so ist sie ein Segen; ist sie nicht vorhanden, so ist es, als ob alle Schönheit aus dem Leben verschwunden wäre, und ich kann nichts tun, um sie hervorzurufen.«

Vielleicht haben Sie diese großartige Liebe als Kind selbst erfahren und wollen sie nun an Ihr Kind weitergeben. Oder Sie mussten schon als Kind und auch im Erwachsenenleben auf diese einzigartige Liebe verzichten, sodass sie nur eine ungefähre Hoffnung ist. Vielleicht haben Sie diese alles überstrahlende, sehnsüchtige Liebe gefühlt, als Ihr Kind auf die Welt gekommen ist. Diese Liebe überdeckt oft die Ängste der Schwangerschaft, die Schmerzen und die Furcht der Geburtsstunden. Die Liebe zu einem Säugling kann tatsächlich grenzenlos erscheinen. Unsere eigenen körperlichen und emotionalen Grenzen können verschwimmen, wenn wir Eltern werden. Wären die meisten Eltern nicht bereit, für ihre Kinder beinahe alles zu tun, für sie alles aufzugeben? Verzichten wir nicht auf Schlaf und körperliche Fitness, auf lustige Unternehmungen, Partys mit Freunden und vor allem auf ungestörte Zweisamkeit? Die meisten Eltern werden sagen: »Ich habe das doch gern gemacht – für mein Kind und für unsere Beziehung.«

Viele Eltern treten mit diesem liebevollen Wunschtraum in die Elternschaft ein – und erleben dann viele Momente, in denen das überhaupt nicht gut klappt, obwohl sie sich doch die allergrößte Mühe gegeben haben: Mit jedem Lebensmonat werden Kinder ja größer und reifer, grenzen sich immer mehr ab, suchen weniger Nähe zu den Eltern. Die Temperamentsunterschiede zwischen Kindern und Eltern werden deutlicher. Manchmal zeigt sich dann, dass man nicht so gut zueinander passt, wie man es sich so sehnsüchtig erhofft hat.

Eine Geschichte über eine Eltern-Kind-Beziehung in der Krise ist eine traurige Geschichte, und der Kummer tritt oft täglich auf. Für viele Eltern ist gerade die Beziehung zu den eigenen Kindern diejenige im Leben, von der sie sich am meisten versprochen haben. Die Erwartungen sind häufig riesengroß: Besonders intensiv soll diese Eltern-Kind-Liebe sein, besonders unschuldig, durch nichts zu erschüttern, von einer unvergleichlichen Vertrautheit und Intensität. Da sind Enttäuschungen häufig vorprogrammiert.

Ich lerne oft Eltern kennen, die sehr enttäuscht auf die Beziehung zu ihren Kindern blicken. Sie sagen: »Ich habe mein altes Leben in dem Moment aufgegeben, als unser Kind auf die Welt kam. Ich lebe in erster Linie für meine Familie.« Sie überwinden sich wieder und wieder, verhandeln und geben nach, kämpfen und drohen, bitten und verzweifeln. Die Beziehung zu ihren Kindern wird von Jahr zu Jahr immer stärker von Machtfragen geprägt. Das Miteinander in der Familie macht weder Eltern noch Kinder glücklich. Dafür wird umso härter gekämpft, mitunter um jeden erfolgreich geschlossenen Jackenreißverschluss am Morgen, um jede Handyminute am Abend. Viele Familienmitglieder leiden jahrelang an ihrem schwierigen Miteinander und haben sich das alles ganz anders vorgestellt.

Für manche Eltern ist es die schwerste emotionale Verletzung ihres Lebens, dass die Beziehung zu ihren Kindern nicht so glückt, wie sie es sich ersehnt haben. Dass ihre Kinder sie nicht auf die erhoffte Art lieben. Einige erkranken daran, körperlich und seelisch. Eltern – und natürlich auch ihre Kinder.

Wie möchten Sie geliebt werden?

»Wenn unser Kind da ist, werde ich einiges anders machen als meine Eltern.« Diesen Satz haben Sie vielleicht auch schon einmal gedacht, so wie viele. Wenn unsere Kinder auf die Welt kommen, haben wir als Eltern die Chance, eine neue Beziehung in unserem Leben zu beginnen, und es scheint zunächst, als könnten wir sie nach unseren Vorstellungen gestalten. »Ich werde mein Kind niemals schlagen – ich werde meinen Sohn nie ohne Abendessen ins Bett schicken – ich werde meiner Tochter die Liebe geben, die ich selbst als Kind nicht bekommen habe. Ich werde alles tun, um mein Kind glücklich zu machen – alles soll perfekt zwischen uns sein.«

Andere Eltern werden von der Sorge getrieben, dass die Beziehung zu ihrem Kind misslingen, falsch oder fehlerhaft sein könnte – obwohl man sich als Elternteil solche Mühe gibt und obwohl man diese Liebe so sehr herbeisehnt.

Wie geht es Ihnen damit? Erhoffen Sie sich, von Ihrem Kind in der gleichen Weise zurückgeliebt zu werden, wie Sie selbst lieben? Sehnen Sie sich danach, in Ihrem Kind einen wahren Seelenpartner zu finden, der Sie wortlos versteht und die Welt aus Ihren Augen sieht? Wenn Sie in der Beziehung zu Ihrem Kind auf der Suche nach der einen wahren und vollkommenen Liebe sind, in der Sie vorbehaltlos angenommen werden, müssen Sie weitersuchen. Ihr Kind wird Ihnen all das nicht geben können. Die Liebe von Kindern hat oft eine ganz andere Gestalt, und die zu erkennen gehört zu den großen, lohnenden Herausforderungen der Elternschaft.

Sie sind nicht allein

Liebe ich mein Kind genug?

Den meisten frischgebackenen Eltern fällt es nicht schwer, ihre Kinder von ganzem Herzen zu lieben, sie vorbehaltlos anzunehmen, die eigenen Interessen zurückzustellen und alles zu teilen, was sie haben. Ob alle Eltern ihre Kinder gleich stark lieben? Nein. Was die Kleinkindpädagogin Susanne Mierau in ihrem Buch Mutter. Sein. (2019) über Mütter schreibt, gilt natürlich ebenso für Väter: »Auch wenn es ein Tabu ist, dass Mütter ihre Kinder nicht lieben können, gibt es die fehlende Mutterliebe. Mütter, die ihre Kinder nicht zwangsläufig lieben, sind nicht so ungewöhnlich, wie wir denken.«

Ich möchte Müttern und Väter an dieser Stelle zu Gelassenheit raten. Die Frage »Liebe ich mein Kind genug?« kann einen wahnsinnig machen, und mir ist kein wissenschaftliches Verfahren bekannt, das diese elterliche Liebe messen oder vergleichen könnte. Unabhängig davon, ob Eltern ihre Kinder »genug« lieben: Die meisten wollen es. Sie kämpfen um ihre elterliche Liebe, sie geben sich Mühe. Sie wollen auf das Positive schauen, sich nicht entmutigen lassen. Sie wollen gute Eltern sein und fürchten sich vor einem Scheitern in dieser Rolle. Sie sind selten bereit, über Gefühle von Ablehnung des eigenen Kindes auch nur nachzudenken. Kritik an den eigenen Eltern, an Partnerin oder bestem Freund kommt den meisten Erwachsenen ja durchaus über die Lippen. »Doch bei Kindern hört bei den meisten von uns die Akzeptanz der als negativ empfundenen Gefühle auf«, schreibt Mierau. »Ich liebe mein Kind und Punkt.«

Doch was, wenn man als Elternteil um die Liebe zum eigenen Kind ringt und kämpft, wenn man versucht, Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, damit diese Beziehung gelingt und glücklich macht – nur um festzustellen, dass es nicht klappt? Dass das eigene Kind einen nicht in dieser Weise zurücklieben kann, wie man es sich erhofft? Zwar lieben Kinder ihre Eltern ebenfalls, mit ganzem Herzen! Dennoch sind sie Kinder. Gerade Kleinkinder und erst recht Säuglinge haben nur sehr begrenzte Fähigkeiten, sich in Erwachsene hineinzufühlen oder hineinzudenken. Ein Kind kann das komplexe Seelenleben der Erwachsenen nicht vollständig verstehen. Es kann nicht im selben Maße Rücksicht nehmen, wie Erwachsene das tun. Kinder können ihre Eltern also gar nicht auf dieselbe Weise lieben, wie diese es umgekehrt tun. Und sie müssen es auch nicht.

Kinder sind im ersten Lebensjahrzehnt stark mit sich selbst beschäftigt (und im zweiten Jahrzehnt erst recht, wenn auch auf andere Weise). Kinder benötigen ihre ganze Energie für ihr eigenes Wachstum, ihre Entwicklung. Es ist überhaupt nicht notwendig, dass sie einen wesentlichen Teil ihrer Kräfte auf die Beziehung zu den Eltern richten. Kinder, die sich intensiv um ihre kranken oder bedürftigen Eltern kümmern müssen und sie emotional oder sogar körperlich versorgen, tragen schwer daran. Es kann passieren, dass sie sich emotional verausgaben und lebenslang an den Folgen leiden. Sie investieren dann ihre kindliche Energie in das Wohlergehen der Eltern, hoffen auf deren Glück, hungern nach deren Anerkennung, sorgen für sie, so gut sie es können – und müssen sich dabei auch noch selbst versorgen und sicherstellen, dass sie von den Eltern ausreichend gesehen und verstanden werden.

Liebt mein Kind mich genug?

»Der Säugling ist der größte Egoist auf dem Planeten« – so beschrieb im Dokumentarfilm »Elternschule« der leitende Psychologe der Kinderpsychosomatik in Gelsenkirchen, Dietmar Langer, die Beziehungsgestaltung eines Neugeborenen (Adolph & Bücheler 2018). Für diesen Satz wurde er zu Recht kritisiert, denn er lädt mit diesen Worten dazu ein, die Wünsche und Bedürfnisse von Kindern als egoistisch und damit negativ zu brandmarken. Dennoch muss ich ihm in einer Hinsicht beipflichten: Die Liebe zu einem Kind kann sich mitunter einseitig anfühlen. Zwar lieben Kinder ihre Eltern sehr, die Komplexität ihrer Gefühlswelt steht der ihrer Eltern in nichts nach. Noch deutlicher wird es, wenn wir auf die Bindung der Kinder zu ihren Eltern schauen. Die Journalistin Nora Imlau (2020) schreibt hierzu:

»Eine Bindung zu unseren Kindern müssen wir nicht bewusst aufbauen. Das passiert ganz von selbst, in Tausenden kleinen Momenten. Jede Berührung, jeder Blick, jedes Wort trägt dazu bei. Was auch immer wir tun: Bindung passiert. Unsere Kinder können nicht anders, als zu binden. So sind sie veranlagt.«

Und dennoch: Kinder können ihren Eltern ihre Liebe nicht in der gleichen Weise zurückgeben. Eltern können von ihren Kindern eher wenig Fürsorge, Rücksichtnahme, Geduld und Trost erwarten, und das ist ganz normal. Und es ist normal, dass viele Eltern dies zunächst als Rücksichtslosigkeit, Ich-Bezogenheit und fehlendes Einfühlungsvermögen ihres Kindes missverstehen, ehe sie gelernt haben, die Liebessprache ihres Kindes zu entschlüsseln.

Neben allen wunderbaren Seiten, die das Zusammenleben mit Kindern hat, ist es oft sehr anstrengend. Gerade in den ersten Lebensjahren sind Kinder auch manchmal sehr laut und gierig, wütend oder sogar jähzornig, mitunter brutal und scheinbar rücksichtslos und oft auf das eigene Wohlergehen bedacht. Kinder pfeifen erst mal auf Tischmanieren. Kinder essen den letzten Schokobon, und sie tun es ohne schlechtes Gewissen. Schimpft man sie aus, lügen sie einem womöglich ins Gesicht und behaupten, es sei der kleine Bruder gewesen. Kinder kloppen sich und sagen: »Der andere hat angefangen!«, und sie entschuldigen sich ohne echte Reue.

Kinder führen ihre Beziehungen eben ganz anders als wir Erwachsene. Sie haben nicht die Kraftreserven, um Beziehungen im gleichen Maße zu pflegen und zu gestalten. Damit meine ich zum Beispiel, dass Kinder sich im ersten Lebensjahrzehnt nur schwer wirklich in andere Personen hineinversetzen können. Das ist ganz normal. Die Fähigkeit, eine Situation vollkommen aus der Perspektive des anderen zu betrachten, entsteht erst allmählich, und selbst wir Erwachsenen merken oft, dass es in Streitsituationen schwierig ist, das eigene Fehlverhalten aus der Sicht des anderen zu sehen. Für jüngere Kinder ist dieser Perspektivenwechsel beinahe unmöglich.

Die Schwierigkeiten beim »Perspektivenwechsel« sind gut zu bemerken, wenn man Kinder dazu bringen möchte, sich zu entschuldigen. Die meisten Kinder bringen das geforderte »Tschuldigung!« irgendwie über die Lippen. Wer als Elternteil die unlösbare Aufgabe übernimmt, Kinder tatsächlich auch die Verletzung nachempfinden zu lassen, die ihr Verhalten bei anderen ausgelöst hat, kommt schnell ins Predigen: »Stell dir vor, wie es dir gegangen wäre!« Manchen Kindern gelingt diese recht schwierige Empathieleistung, oft ufern solche »Moralpredigten« aber aus, ohne dass sich die geforderte »Einsicht« einstellt. Das ist nicht schlimm, sondern (mindestens noch im Grundschulalter) altersentsprechend.

Kinder nehmen sich die Sorgen anderer erst einmal nicht so sehr zu Herzen, und das ist gut so. Sie sind von Natur aus unbeschwert. Kinder haben Mühe, die Belastungen eines Erwachsenenlebens in vollem Umfang zu begreifen. Sie haben glücklicherweise keine richtige Vorstellung davon, wie stressig das Leben ihrer Eltern ist – und das ist ein Segen, denn sie wären völlig überfordert von den Anforderungen, mit denen wir Erwachsene uns auseinandersetzen müssen. Aus diesem Grund bringen Kinder den Mühen und Sorgen der Erwachsenen oft weniger Wertschätzung entgegen, als es sich viele Eltern wünschen. Und auch das ist in Ordnung.

Was wir zurücklassen können

Kinder lieben anders

Kinder benötigen alle Kraft, um ihren eigenen Platz in der Welt zu finden. Sie sollen sich auf keinen Fall damit beschäftigen, wie stressig das Leben ihrer Eltern wirklich ist. Dies kann aber dazu führen, dass sich Eltern von ihrem Kind nicht ausreichend gesehen und wertgeschätzt fühlen. Das wird manchmal als Missachtung, Respektlosigkeit oder Zurückweisung empfunden und kann sehr schmerzen.

Wie sieht also die kindliche Liebe zu ihren Eltern aus? Woran erkennen wir sie – und wie schaffen wir es, sie nicht zu übersehen? Kinder zeigen ihre Liebe nicht durch Beteuerungen (»Ich hab dich lieb, Papa!«), es braucht auch keine selbstgepflückten Blumen, gedeckten Tische oder selbstgemalten Bilder mit Liebesreimen. Die Liebe zwischen Kindern und Eltern muss auch nicht abgefragt werden (»Hast du mich denn noch lieb?«). Und auch ritualisierte Formeln (»Ich hab dich lieb!« – »Ich dich noch mehr.« – »Und ich dich am allermeisten.«) sind nicht notwendig, um Liebe zu zeigen und zu geben. Die Liebe unserer Kinder äußert sich in kurzen Blicken und flüchtigen Berührungen, in ausgelassenem und überdrehtem Spiel, in stillen Schmusestunden, in einem Spaziergang mit der kleinen Hand in der großen. Die Liebe der Kinder ist ohne Worte, sie ist voller Vertrauen und verzeiht fast alles. Die Liebe der Kinder verzeiht sogar die schlimmsten Dinge, die unter Erwachsenen oft unentschuldbar wären. Selbst wenn die Seele von Kindern durch elterliches Fehlverhalten schon kaum reparablen Schaden genommen hat, lieben und verzeihen diese oft unbeirrt weiter.

Unsere Kinder lieben uns genug. Auch wenn ihre Liebessprache vielleicht unverständlich ist und die Zeichen schwer zu entschlüsseln sind. Gary Chapman (2014) benennt in seinem Buch Die fünf Sprachen der Liebe unterschiedliche Aspekte des Liebens: Lieben durch Lob und Anerkennung, Lieben durch Zuwendung und den Wunsch nach Zeit zu zweit, Lieben durch Geschenke und kleine Aufmerksamkeiten, Lieben durch Hilfe und Unterstützung sowie Lieben durch körperliche Nähe und Zärtlichkeit. Jeder Mensch hat seinen eigenen »Liebesmix« – und jedes Kind natürlich auch.

Zeichen der kindlichen Liebe

»Unser Kind will keine Liebe, es will nur Aufmerksamkeit!« Ich habe diesen Satz schon oft gehört, und vielleicht kennen Sie ihn selbst. Hinter diesen Wünschen nach »Aufmerksamkeit« steckt oft viel mehr, zum Beispiel echte Nähewünsche und auch Zeichen kindlicher Liebe. Einige Signale erscheinen tatsächlich nicht immer auf den ersten Blick »liebevoll«. Häufig verlangen Kinder lautstark, kompromisslos, risikofreudig oder konfliktbeladen nach Nähe, Bindung und Beziehung.

Solche Wünsche nach Nähe, Liebe und Beziehung stecken oft dahinter, wenn Kinder

bei Kleinigkeiten um Rat bitten, die sie eigentlich längst allein können,in der Küche mithelfen möchten, während die Eltern eigentlich lieber schnell und ungestört arbeiten,sich nach einem Streit mit dem Geschwisterkind schmollend in die Nähe der Erwachsenen setzen und nicht mehr sprechen,sich immer wieder lautstark über Langeweile beklagen,Unmut deutlich äußern, z. B. durch Türenschlagen, Schimpfen, Spielzeugwerfen,die Erwachsenen auf Schritt und Tritt beobachten und ihnen keine Rückzugsräume lassen,kämpfen und toben möchten, um ihre wachsenden Kräfte zu demonstrieren,beständig für Geräusche sorgen, die ablenken und stören können.

Diese »Kontaktversuche« von Kindern sind nicht immer leicht zu ertragen – besonders weil viele der heutigen Eltern früher, als Kinder, selbst auf solche Art Kontakt und Nähe gesucht haben, dabei aber zurückgewiesen oder ausgeschimpft wurden. Wenn man diese harsche Zurückweisung als Kind häufig erlebt hat, wird man auf diesem Ohr sozusagen emotional taub: Je mehr Zurückweisung unserer eigenen Kontakt- und Liebessignale wir in unserem Leben erfahren haben, desto schwieriger ist es, diese Signale selbst zu entschlüsseln und auszusenden. Einigen Menschen fällt es schwer, die Liebessprache ihrer Kinder zu verstehen, weil sie nicht einmal sicher sind, wie sie ihre eigene Liebe zeigen können. Es lohnt sich, hier einen Moment innezuhalten: Welche Signale unserer Liebe werden normalerweise leicht verstanden? Welche Signale werden häufig überhört oder zurückgewiesen? Welche Liebessignale trauen Sie sich nicht mehr auszusenden?

Manchen Erwachsenen fällt es schwer, die Liebeszeichen ihres Kindes zu sehen, weil sie selbst noch kein sicheres Gespür dafür entwickelt haben, wofür man sie selbst lieben kann und was wirklich liebenswert an ihnen ist. Diese Erwachsenen zweifeln viel zu oft an den Gefühlen von Menschen, die ihnen nahe sind. Sie haben vielleicht das Gefühl, dass sie ihre Liebe nie ausreichend zeigen können und sich darum noch intensiver bemühen müssen, damit eine Beziehung gelingt und sie von ihren Mitmenschen nicht abgelehnt oder verlassen werden. Jeder von uns braucht dieses Gefühl: Ganzheitlich angenommen und akzeptiert zu werden, mit allen Eigenschaften, den offenen und verborgenen, den positiven und negativen, den wunderbar liebenswerten und den anstößigen. Dies brauchen wir von Geburt an. »Kinder brauchen mehr von ihren Eltern, als von ihnen geliebt zu werden«, schrieb bereits 1965 der wegweisende englische Kinderarzt und Psychoanalytiker Donald Winnicott. »Sie brauchen etwas, das auch dann noch tragfähig ist, wenn sie gehasst oder hassenswert sind.«

Liebevolle Grenzen ziehen

Auch wenn sich hinter lautem, störendem Verhalten von Kindern Nähewünsche verbergen mögen, heißt das nicht, dass den Wünschen eines Kindes (anders als denen eines Säuglings) immer und sofort nachgekommen werden muss – besonders, wenn dabei die Grenzen der Erwachsenen oder anderer Kinder verletzt werden. Dieses Buch wird Sie niemals dazu auffordern, Ihrem Kind vermeintlich einen Gefallen zu tun, indem Sie Ihre eigenen wichtigen Bedürfnisse verleugnen. Ganz im Gegenteil: Der Psychoanalytiker Heinz Kohut (1981) spricht von »optimalen Versagungen«, wenn er die wichtigen Momente im Leben eines Kindes meint, in denen die kindlichen Bedürfnisse hinter denen der Eltern zurückstehen müssen. Versagungen – also Einschränkungen, die das Kind aushalten muss, müssen »phasengerecht« und »nicht-traumatisch« erfolgen und sich möglichst empathisch auf das Kind einstellen. Damit ist gemeint, dass wir Kindern ruhig und einfühlsam erklären sollten, was wir bereit sind, für sie zu tun, und was wir nicht tun möchten. Kinder sollten dabei nicht überfordert werden, sondern wir sollten ihr Alter und die damit verbundenen Grenzen im Kopf behalten. Diese »optimalen Versagungen« sind Eltern also nicht nur erlaubt, sondern sie sind für die Entwicklung von Kindern sogar notwendig: Sie helfen dem Kind dabei, seine Eltern nicht nur als zugewandt und feinfühlig, unterstützend und liebevoll wahrzunehmen, sondern als »ganze Menschen«, die über eigene Belastungsgrenzen und eigene Wünsche verfügen. Dies deckt sich mit der berühmten Definition, die Donald Winnicott über die »hinreichend gute Mutter« (»good enough mother») gemacht hat. (Als Vater fühle ich mich hier einfach mal mitgemeint.) Perfekt müssen Eltern nicht sein, sondern Menschen mit echten Ecken und Kanten, die ihre Bedürfnisse gut auf dem Schirm haben.

Sie müssen also nicht alles aushalten, selbst wenn Ihnen Ihre innere Stimme eingibt: »Ein guter Vater oder eine gute Mutter opfern sich auf, solange sie noch irgendwie können.« Wenn wir innerlich zusammenzucken, während uns ein Kind anschreit, und am liebsten zurückschreien möchten, ist das ganz normal. Mit etwas Glück und Übung gelingt es den Erwachsenen dann, sich zurückzuziehen und zu sagen: »Ich sehe, wie wütend du bist. Aber mir ist es viel zu laut, so verstehe ich gar nichts mehr.« Wenn Eltern Rückzugsräume brauchen, dürfen und sollten sie das ihrem Kind sagen und sich auch für eine Zeit in den Bastelkeller oder auf den Fahrradsattel zurückziehen können. Wichtig ist aber, den Wunsch unserer Kinder nach Nähe, Bindung und Beziehung nicht zu überhören, selbst wenn wir ihn in diesem Moment nicht erfüllen können oder möchten.

Neue Ideen

Die Liebe annehmen

Sollte man die Hoffnung auf eine rundum liebevolle Beziehung zum eigenen Kind, auf ein vollkommen vertrauensvolles Familienleben denn nun abschreiben? Nur ein Zyniker würde so einen harten Rat geben. Er würde vielleicht sagen: »Erwarte bloß nicht zu viel, dann wirst du auch nicht enttäuscht.« Ich will es etwas anders formulieren: Je weniger wir von unseren Kindern erwarten, dass sie uns vollkommen verstehen und annehmen, und je mehr wir bereit sind, das Andersartige und Fremdartige in unseren Kindern zu akzeptieren und ihre Liebe so anzunehmen, wie sie ist, desto besser ist das für unsere Beziehung. Und desto mehr Vertrauen und Liebe wird schließlich wachsen.

Wenn es Ihnen schwerfällt, die Liebe Ihres Kindes zu sehen, habe ich einen sehr einfachen Ratschlag. Er ist so einfach, dass Sie vielleicht nicht glauben, dass er funktioniert. Sagen Sie laut: »Ich beschließe, die Liebe zu sehen, die man mir entgegenbringt.« Gestatten Sie sich, die Liebe Ihres Kindes künftig zu erkennen, ihre kleinen und großen, offenen und verborgenen Zeichen. Es mag anfangs nicht leicht sein, diese zu erkennen. »Der Junge stört uns nur beim Fernsehen, weil er Aufmerksamkeit möchte«, haben Sie vielleicht selbst schon einmal gedacht. Es ist nicht leicht, diesen Blickwinkel zu verändern und zu verstehen, dass Ihr Kind Ihre Nähe sucht, weil es Sie tatsächlich liebt und Ihren Geruch und Ihre Worte sehr angenehm findet. Weil es gern bei Ihnen ist. Nicht unbedingt, weil das Alleinsein für Ihr Kind so unangenehm ist – sondern weil es Sie liebt.

Natürlich dürfen wir Eltern immer auf unsere Grenzen achten. Wir müssen uns heute Nachmittag nicht das vierte Improvisationstheaterstück im Kinderzimmer anschauen, wenn wir nicht möchten. Wir müssen nicht stundenlang neben unserem Kind sitzen, weil es nicht allein einschlafen will. Wir dürfen Kindern in angemessenen Worten sagen, was wir denken und was wir uns wünschen. Aber wir sollten uns gestatten, die Zeichen der Liebe zu sehen, die sich im Kontaktverhalten der Kinder verbergen. Kinder wollen uns etwas vortanzen, weil unsere Meinung wichtig ist. Kinder wollen mit uns alle Sammelkarten durchdiskutieren, weil ihnen unser Urteil etwas bedeutet. Kinder kommen abends zum fünften Mal aus dem Zimmer, weil sie alleine nicht zur Ruhe finden und wir ihr Ruhepol in dieser Welt sind. Auch Ihr Kind tut all diese Dinge, weil es Sie wunderbar und liebenswert findet, und vielleicht haben Sie keine rechte Ahnung, was genau an Ihnen liebenswert ist.

Was könnte es sein, das Ihr Kind an Ihnen liebt?

Achten Sie ganz besonders auf Momente, in denen Ihr Kind »Aufmerksamkeit« sucht. Aufmerksamkeit ist inzwischen ein Reizwort geworden, was vielleicht auch an der angeblich zu leichtfertig vergebenen »Modediagnose« ADHS liegt. Wenn Kinder wieder und wieder »Aufmerksamkeit suchen«, durch stolzes Präsentieren ihrer Spielideen, durch Zurschaustellung von akrobatischen und kämpferischen Fähigkeiten, vielleicht auch durch weinerliches oder nörgelndes Verhalten, hat dies einen zentralen Grund: Die Eltern sind wichtig. Kinder schauen in diesem Moment auf ihre Eltern, auf niemanden sonst. Etwas an ihnen, vielleicht die Stimme, ihr Blick, der Geruch, ist für Kinder etwas ganz Besonderes.

Es ist für uns Erwachsene eine schwierige, vielleicht sogar schmerzhafte Aufgabe, uns vorzustellen, welche Eigenschaften unsere Kinder an uns lieben. Ich habe viele Eltern kennengelernt, die nach Jahren der familiären Krise der Überzeugung waren, ihr Kind liebe sie ausschließlich für die Vorteile und Vergünstigungen, die sie ihnen zur Verfügung stellen, zum Beispiel für die Playstation-Zeit, für das Handy-Guthaben oder für das teure Downhill-Mountainbike. Nie hat das gestimmt. Es kostet Zeit und Überwindung, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wofür andere einen lieben.

Und diese Überlegung wirft unweigerlich die nächste Frage auf: Sind wir bereit, uns selbst anzunehmen und zu lieben? Schaffen wir es, uns – den Erwachsenen, die wir jetzt sind, und den Kindern, die wir einmal waren – im Hier und Heute »liebevolle Erwachsene« zu sein, wie die Psychologinnen Erika Chopich und Margaret Paul (2012) es beschreiben: »Der liebevolle Erwachsene in uns bringt den Mut auf, in unser Inneres zu schauen, uns mit uns selbst zu konfrontieren und uns kennenzulernen.« Sich selbst lieben und annehmen zu können und sich von anderen geliebt und angenommen zu fühlen, das hat viel miteinander zu tun.

»Sei liebevoll zu dir«, empfahl mir eine therapeutische Kollegin zu Beginn meiner kinder- und jugendpsychiatrischen Ausbildung, als sie sah, wie ich mich auf der Akutstation aufrieb, damit es den anderen gut ging. So schwer es auch ist, diesen Ratschlag immer umzusetzen – er ist einer der wertvollsten, die ich bekommen habe.

Zusammenfassung

Die Sehnsucht danach, vollkommen angenommen und verstanden zu werden, vorbehaltlos geliebt zu werden, ist in den meisten Menschen angelegt. Auch viele Eltern sehnen diesen vollkommenen Zustand des Einverständnisses und des Einsseins mit den eigenen Kindern herbei. Es kann zu großem Kummer und zu Enttäuschung führen, wenn man feststellt, dass man sich seinen Kindern fremd fühlt und diese Fremdheit immer weiter wächst.

Sie haben vielleicht schon gemerkt, dass es in diesem Buch nicht so sehr um das Kindsein geht, sondern vielmehr um das Elternsein. Es geht um Väter und Mütter, die mit wundervollen Vorstellungen in die Elternschaft aufbrechen und nach Monaten oder Jahren feststellen, dass sich die Beziehung zu ihren Kindern trotz aller Bemühungen ganz anders entwickelt, als sie es sich erhofft hatten. Hieraus können sich bei Eltern wie auch bei Kindern belastende Gefühle entwickeln, wie etwa das der Zurückweisung und des Unverstandenseins – und die Befürchtung, dass die Liebe zueinander in Gefahr ist.

Liebe ist für jeden anders, und die Sprache der Liebe unterscheidet sich von Mensch zu Mensch, von Lebensphase zu Lebensphase, manchmal sogar von Tag zu Tag erheblich. Ich möchte Sie ermutigen, sich zu gestatten, die Liebe Ihres Kindes wieder mehr zu spüren und darauf zu vertrauen, dass Sie als Elternteil geliebt werden. Sich vorzustellen, dass man liebenswert, wertvoll und besonders ist, gelingt nicht allen Menschen. Besonders denjenigen unter uns, deren Kindheit konfliktreich und deren Beziehung zu den eigenen Eltern schwierig war, fällt es manchmal schwer zu spüren: »Ich bin liebenswert. Ich bin wertvoll.«