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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Frühling in Sophienlust. Seit Tagen wehte ein lauer Wind über die Hügel und nahm die letzten Reste des winterlichen Schnees mit sich. Auf den Wiesen wagten sich die ersten Gänseblümchen und Schlüsselblumen hervor, in der lauen Luft zwitscherten Meisen und Finken ihr Hochzeitslied. Auch in den Köpfen der Kinder spukte der Frühling herum. Auf einmal fanden es die meisten unerträglich, sich mit der langweiligen Schule herumzuplagen. Viel lieber nutzten sie jede nur denkbare Gelegenheit, im Freien herumzutollen. Es erging ihnen nicht anders als den Hunden oder den Ponys auf der nahe gelegenen Koppel. »Ein Glück, dass die Ferien vor der Tür stehen«, sagte Frau Rennert, die Heimleiterin, zu Denise von Schoenecker. »Die Kinder sind kaum noch zu bändigen.« Denise, der Fremde immer kaum glauben konnten, dass sie bereits einen sechzehnjährigen Sohn hatte, lächelte weich. »Seien Sie ehrlich, liebe Frau Rennert. Waren wir denn anders?« »Glücklicherweise nicht«, gab diese mit einem humorvollen Augenzwinkern zurück. »Die Kinder erinnern uns an unsere eigene Jugend und lassen uns das Alter vergessen. Trotzdem werde ich die Rasselbande heute Nachmittag ein bisschen beschäftigen. Sie sollen im Wald Palmkätzchen schneiden. Dabei können sie sich austoben.« Denise nickte zustimmend.
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Seitenzahl: 148
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Frühling in Sophienlust. Seit Tagen wehte ein lauer Wind über die Hügel und nahm die letzten Reste des winterlichen Schnees mit sich. Auf den Wiesen wagten sich die ersten Gänseblümchen und Schlüsselblumen hervor, in der lauen Luft zwitscherten Meisen und Finken ihr Hochzeitslied.
Auch in den Köpfen der Kinder spukte der Frühling herum. Auf einmal fanden es die meisten unerträglich, sich mit der langweiligen Schule herumzuplagen. Viel lieber nutzten sie jede nur denkbare Gelegenheit, im Freien herumzutollen. Es erging ihnen nicht anders als den Hunden oder den Ponys auf der nahe gelegenen Koppel.
»Ein Glück, dass die Ferien vor der Tür stehen«, sagte Frau Rennert, die Heimleiterin, zu Denise von Schoenecker. »Die Kinder sind kaum noch zu bändigen.«
Denise, der Fremde immer kaum glauben konnten, dass sie bereits einen sechzehnjährigen Sohn hatte, lächelte weich. »Seien Sie ehrlich, liebe Frau Rennert. Waren wir denn anders?«
»Glücklicherweise nicht«, gab diese mit einem humorvollen Augenzwinkern zurück. »Die Kinder erinnern uns an unsere eigene Jugend und lassen uns das Alter vergessen. Trotzdem werde ich die Rasselbande heute Nachmittag ein bisschen beschäftigen. Sie sollen im Wald Palmkätzchen schneiden. Dabei können sie sich austoben.«
Denise nickte zustimmend. »Eine glänzende Idee.« Sie streifte ihre Handschuhe über. »Ich fahre jetzt nach Maibach. Der Zahnarzt ist wieder einmal fündig«, setzte sie mit einer komischen kleinen Grimasse hinzu. »Am Spätnachmittag komme ich noch einmal vorbei und nehme Nick und Henrik mit. Für die beiden wird es kein Opfer sein, über Mittag in Sophienlust zu bleiben.«
»Besonders dann nicht, wenn es wie heute als Nachtisch Zitronencreme gibt«, meinte Frau Rennert. Denise lachte. »Unser Henrik weiß Magdas Kochkünste zu schätzen. Nick aber auch. Er lässt es sich nur nicht so anmerken.«
Dominik, genannt Nick, und Henrik waren die Söhne von Denise. Dominik, der ältere der beiden, entstammte ihrer ersten Ehe mit Dietmar von Wellentin, während Henrik ein Sohn Alexander von Schoeneckers war, den sie in zweiter Ehe geheiratet hatte.
Auch Alexander war verwitwet gewesen, als er Denise geheiratet hatte. Er hatte zwei Kinder aus erster Ehe in die zweite mitgebracht, Sascha und Andrea, die jetzt beide schon erwachsen waren. Sascha studierte in Heidelberg, Andrea war mit dem Tierarzt Dr. Hans Joachim von Lehn verheiratet. Das junge Ehepaar hatte schon selbst einen Jungen, den kleinen Peterle, der von allen nach Strich und Faden verwöhnt wurde.
Nick ging noch ins Gymnasium. Eines Tages würde Sophienlust ihm gehören. So hatte es seine Urgroßmutter Sophie von Wellentin bestimmt. Laut ihrem Testament war der große Besitz in eine Stiftung umgewandelt worden, die den Zweck hatte, in Not geratenen Kindern eine neue Heimat zu geben.
Bis zu Nicks Volljährigkeit wurde Sophienlust von Denise verwaltet. Ihre starke Persönlichkeit hatte es verstanden, aus einem landläufigen Kinderheim eine Oase des Glücks zu machen.
Es verging nur selten ein Tag, an dem Denise nicht von Schoeneich, dem Gut der Familie von Schoenecker, nach Sophienlust kam, um nach dem Rechten zu sehen. Ihr ganzes Herz hing an Sophienlust. So erging es jedoch allen, die damit zu tun hatten. Die Arbeit dort war eben mehr als ein Broterwerb. Sie war eher eine Aufgabe, der man sich mit Leib und Seele verschrieben hatte und von der man nicht mehr loskam.
Als Frau Rennert oder Tante Ma, wie sie von den Kindern liebevoll genannt wurde, nach dem Mittagessen ihren Vorschlag verkündete, wurde dieser von allen Seiten mit großer Begeisterung aufgenommen.
»Wir gehen gleich los«, sagte Fabian Schöller, ein zehnjähriger Junge.
»Erst werden aber noch die Schularbeiten gemacht«, mahnte Frau Rennert. Und als hier und da ein Flunsch gezogen wurde, meinte sie: »Wenn ihr euch beeilt, könnt ihr ganz bequem bis vierzehn Uhr fertig werden.«
Im Aufenthaltsraum war es während der nächsten Stunde mucksmäuschenstill. Sämtliche Kinder beugten sich über ihre Hefte oder waren in ein Buch vertieft.
»Uff«, sagte Angelika Langenbach nach einer Weile zu ihrer Freundin und schraubte ihren Füllfederhalter zu. »Das wäre geschafft. Bist du auch schon so weit?«
Pünktchen, ein hübsches dreizehnjähriges Mädchen mit zahllosen Sommersprossen, die ihrem feinen Gesicht einen besonderen Reiz verliehen, murmelte: »Gleich. Nur noch den letzten Satz. Die Übersetzung hatte es wieder einmal in sich.« Sie schielte hinüber zu Nick, dem ihre besondere Zuneigung galt. Dieser hatte bereits sein Buch zugeklappt und lächelte zurück.
»Ich habe eine Idee«, meinte er. »Wie wär’s, wenn wir auf dem Rückweg bei Andrea hineinschauen?«
»Fein«, stimmte Henrik seinem grollen Bruder zu. »Andrea hat bestimmt Kuchen für uns.«
Henrik war, wie schon gesagt, ein ausgesprochenes Leckermaul und musste sich deshalb manche Neckerei gefallen lassen. Der Hauptanziehungspunkt bei Andrea von Lehn war jedoch für die meisten Kinder nicht der zweifellos gute Kuchen, den das Hausmädchen Marianne zu backen pflegte, sondern das Tierheim Waldi & Co. Neuerdings lief diesem allerdings sehr häufig der kleine Peter den Rang ab.
Das Tierheim trug seinen Namen nach dem Langhaardackel Waldi, der sich seiner Rolle als Chef des Ganzen sehr wohl bewusst war. Neben Waldi gab es noch die Dogge Severin und den Schäferhund Munko sowie die vielfältigsten Tiere. Zu den Dauergästen im Tierheim zählten unter anderem ein Esel, ein junger Schimpanse und das Reh Bambi.
Pünktchen und Angelika liefen nach den Schularbeiten noch in die Küche, um sich von der Köchin Magda ein paar Zuckerstückchen für Billy, das Liliputpferdchen, geben zu lassen.
»So, ihr wollt Palmkätzchen holen?«, meinte Magda. »Dann bringt mir auch ein paar für den Herrgottswinkel in meiner Stube mit.«
Pünktchen nickte. »Wir vergessen dich schon nicht, Magda.«
Die beiden Mädchen rannten hinaus in den Park, wo sich die anderen Kinder bereits versammelt hatten. Mit von der Partie waren noch Barri, der Bernhardiner und Anglos, Fabians Dogge.
Für die Hunde war der Spaziergang ein köstlicher Spaß. Bis vor Kurzem hatte noch Schnee gelegen, der weite Ausflüge unmöglich gemacht hatte. Nun genossen die Hunde es, nach Herzenslust im Wald herumzutoben, im Unterholz zu stöbern und zu versuchen, alle die herrlichen Gerüche zu identifizieren.
Besonders Barri, der immer ein paar Nasenlängen voraus war, konnte sich gar nicht genug freuen. Eine Zeit lang folgte er der Spur eines Hasen, doch dann lenkte ihn eine neue Fährte ab. Ein Reh musste hier seinen Wechsel haben, Barri schnüffelte am Boden herum und hob dann witternd seinen Kopf.
Anglos folgte ihm in einiger Entfernung. Die Dogge war noch jung und sehr verspielt. Ihr machte es am meisten Spaß, wenn Fabian Äste oder Tannenzapfen warf und sie diese apportieren konnte. Sie wurde nicht müde, dieses Spiel immer wieder zu wiederholen.
Das vorläufige Ziel der Kinder war der kleine Waldsee, an dessen Ufer zahlreiche Weiden standen. Hier machten die Kinder auch erst einmal halt, um unter fachmännischer Leitung die Kätzchen abzuschneiden. Die Buben kletterten dazu auf die Weiden, während die Mädchen die Zweige bündelten.
Barri war es inzwischen langweilig geworden. Er kümmerte sich nicht mehr um die Kinder, sondern trabte durch den Hochwald, bis er zu einer kleinen, von dichten Bäumen umschlossenen Lichtung kam. Dort endete auch ein schmaler ehemaliger Holzabfuhrweg.
Der Hund warf nur einen flüchtigen Blick auf die Reifenspuren, die sich deutlich auf dem weichen Boden abzeichneten. Etwas ganz anderes erregte seine Aufmerksamkeit. Er stellte lauschend seine Ohren hoch. Was waren das doch für Laute, für seltsame Geräusche in dieser friedlichen Umgebung? Sie hatten so gar nichts mit den Stimmen des Waldes zu tun.
Barri entschloss sich, dies auf der Stelle zu untersuchen. Er wandte sich nach rechts und lief leichtfüßig um die Lichtung herum. Dort, wo die Zweige der Fichten fast bis auf den Boden herunterhingen, stand ein Auto. Der Motor lief, aber sonst regte sich nichts.
Barri schnupperte. Natürlich – Benzingestank, ein Gräuel für eine empfindliche Hundenase.
Eigentlich hätte ich das gleich wissen müssen, dachte Barri. Da er jedoch ziemlich neugierig war, ließ er es nicht bei dieser Erkenntnis bewenden. Er umkreiste das Fahrzeug, stemmte sich mit den Pfoten hoch und sah durch die Scheiben. Das, was er entdeckte, war sogar für einen intelligenten Hund wie ihn einigermaßen befremdlich.
Barri war gewöhnt, dass Leute am Steuer saßen und verschiedene Knöpfe drückten, wodurch sich das Fahrzeug auf geheimnisvolle Art und Weise fortbewegte. Dabei redeten sie oft, lachten oder schimpften, aber auf jeden Fall taten sie etwas. Doch hier herrschte völlige Stille. Auf dem Fahrersitz hockte in sich zusammengesunken eine weibliche Gestalt. Dicht an sie geschmiegt ein Kind, das von den Armen der Frau fest umschlossen wurde.
Sehr mysteriös das Ganze, fand Barri, und auf irgendeine Weise sogar erschreckend. Er stieß mehrmals einen kurzen bellenden Laut aus, in einiger Entfernung spitzte Anglos die Ohren. Er wusste, Barri hatte etwas Interessantes entdeckt. Deshalb gab es für ihn kein langes Überlegen. Nichts wie hin!
Anglos ließ den Tannenzapfen fallen, den er gerade seinem kleinen Herrn hatte bringen wollen und preschte durch das Gebüsch. Fast hätte er dabei noch Fabian umgerannt, der im letzten Moment gerade noch zur Seite springen konnte.
»Na, so was!«, stieß Fabian empört hervor. »Was fällt denn dir ein, Anglos? Komm sofort zurück!«
Anglos, im Allgemeinen recht gut erzogen, kümmerte sich nicht im Geringsten um diese Aufforderung, sondern hetzte in großen Sätzen weiter.
»Anglos muss verrückt geworden sein«, sagte Fabian zu Pünktchen, die gerade vor ihm auftauchte.
»Ich glaube, er verfolgt eine Spur«, antwortete Pünktchen. »Hast du Barri nicht bellen hören? Vielleicht hat er ein krankes Wild gestellt. Los, rennen wir ihm nach.«
Inzwischen hatte Anglos Barri längst erreicht. Aber es war kein Spiel, zu dem der Bernhardiner ihn eingeladen hatte.
Der Instinkt sagte Barri, dass hier ein Fall vorlag, der schnelles Handeln verlangte. Mit seinen dicken Pfoten versuchte er das Auto zu öffnen, was ihm natürlich nicht gelang. Nun lief er auf die andere Seite des Wagens und versuchte dort sein Glück. Diesmal brauchte er sich nicht vergeblich zu bemühen. Die Tür zum Beifahrersitz war nicht fest ins Schloss gezogen. Nach mehrmaligem Kratzen spürte Barri einen Spalt. Er zerrte und rüttelte ein bisschen. Dann sprang die Tür auf.
Barri steckte den Kopf ins Wageninnere. Puh, was war das für eine grässliche Luft? Nichts für einen rechtschaffenen Hund. Und ganz bestimmt auch nichts für das kleine Menschenwesen.
Mit den Zähnen packte der Bernhardiner den Mantel des kleinen Mädchens und zog es vorsichtig heraus. Gleich darauf blaffte er Anglos an. Steh nicht so herum, sondern tu etwas, sollte das bedeuten. Hole Hilfe! Anglos setzte sich gehorsam in Bewegung. Es dauerte nicht lange, da begegnete er Fabian und Pünktchen sowie dem ziemlich atemlosen Nick, der Pünktchens Rufe gehört hatte und quer durch den Wald gelaufen war.
Anglos baute sich vor den Kindern auf und bellte laut, während seine Rute kräftig auf den Boden schlug.
»Ist ja gut, Anglos«, sagte Fabian. Er beugte sich zu ihm hinab und kraulte ihn im Nacken.
Auch Pünktchen schenkte Anglos ein freundliches Lächeln. »Ihr seid alle zwei sehr tüchtige Hunde«, meinte sie. »Nick, sieh nur, Barri hat ein Kind aus dem Auto geholt. Verstehst du, was das zu bedeuten hat?«
Nick fühlte, dass sein Herzschlag für einige Sekunden aussetzte. Er ahnte, dass sie Zeugen einer menschlichen Tragödie waren, wie er sie noch nicht erlebt hatte.
Nach einem flüchtigen Blick auf die leblose Gestalt des Mädchens sagte Nick mit rauer Stimme: »Fabian, Pünktchen, wir müssen auch die Frau herausholen.« Er griff über sie hinweg und öffnete den Sicherheitsverschluss der Tür. »So packt schon mit an. Ganz vorsichtig, damit wir ihr nicht wehtun.«
Dabei kommt es auf ein paar Schrammen wirklich nicht an, dachte er bei sich. Die werden das Wenigste sein, was ihr passiert ist.
Als Mutter und Kind nebeneinander auf denn weichen Waldboden lagen, sahen sich die Kinder einen Moment lang ratlos an.
Nick fasste sich zuerst.
»Sie brauchen künstliche Beatmung. Leider verstehen wir davon alle drei nichts. Ich laufe zum Forsthaus. Ihr bleibt hier und passt auf.«
Pünktchen und Fabian setzten sich ins Gras. Beide waren traurig und bedrückt, weil sie nicht mehr tun konnten.
»Es war doch ein Unfall, Pünktchen?«, fragte Fabian nach einer Weile.
Pünktchen blickte auf das Auto. Den Motor hatte Nick natürlich gleich abgestellt. Aber da war noch der unheimliche Plastikschlauch, der vom Vergaser durch ein Fenster in das Wageninnere führte. Ganz begriff Pünktchen die technischen Zusammenhänge nicht, doch sie begriff, dass das alles nichts Gutes bedeutete.
»Vielleicht«, murmelte sie leise. Unwillkürlich faltete sie die Hände. Ein Gebet, dass die Hilfe nicht zu spät kommen möge, konnte sicher nicht schaden.
*
Klaus Schröder, der Revierförster, saß gerade beim Nachmittagskaffee, als Nick mit hochrotem Kopf hereinstürzte.
»Nanu, wo brennt’s denn diesmal?«, fragte der junge Förster mit einem amüsierten Lächeln. »Setz dich zu uns, Nick.«
»Keine Zeit«, stieß Nick hervor. »Sie müssen sofort mitkommen. Im Wald, auf der kleinen Lichtung, Sie wissen schon, Herr Schröder, ein Auto … Mutter und Kind. Barri hat sie herausgezogen. Sie haben, ich glaube, sie haben …«
Das Wort Selbstmord wollte nicht über Nicks Lippen. Doch Klaus Schröder begriff auch so. Er sprang sofort auf. »Irgendwelche Lebenszeichen, Nick?«
Nick zuckte die Achseln. »Sie atmen noch, ich kann mich aber auch irren. Ich war so aufgeregt.«
»Sabine, ruf sofort das Krankenhaus in Maibach an«, bat der Förster seine junge Frau. »Sie sollen einen Sanitätswagen schicken. Die Lichtung hinter dem Waldsee. Kannst du ihnen das erklären?«
»Ich werde mich an die Straße stellen und ihnen den Weg zeigen«, antwortete Sabine Schröder. »Darf ich auch mit?«, erkundigte sich der fünfjährige Andi.
Sabine schloss ihn mit einer jähen Bewegung in die Arme. »Ein andermal, mein Schatz.« Dann griff sie zum Hörer des Telefons, während ihr Mann, gefolgt von Nick, schon auf der Treppe war.
Unterwegs berichtete Nick alles, was er wusste. »Wenn die beiden durchkommen, hat Barri ihnen das Leben gerettet. Wir konnten ja nicht viel tun. Verstehen Sie etwas von künstlicher Beatmung, Herr Schröder?«
»Ein bisschen. Auf jeden Fall werde ich alles versuchen. Allerdings sind es zwei, und ich kann mich jeweils nur mit einem beschäftigen.«
Das war wirklich ein Problem für Klaus Schröder. Jede Minute konnte über Leben oder Tod entscheiden. Wem sollte er also seine Hilfe zuerst zuwenden?
Bei der Lichtung angekommen, fiel ihm dann die Entscheidung leichter, als er befürchtet hatte. Das Mädchen war noch klein, höchstens vier Jahre alt. Ihr Organismus würde vermutlich sehr viel schwerer mit dem tödlichen Gift fertig werden als der der erwachsenen Frau.
Die Kinder, zu denen sich inzwischen auch Henrik gesellt hatte, beobachteten fasziniert, wie Klaus Schröder versuchte, das entfliehende Leben in den Körper des Kindes durch Mund-zu-Mund-Beatmung zurückzuholen. Auf seiner Stirn bildeten sich dabei Schweißtropfen, so groß war die Anstrengung, aber noch immer gab es keinerlei Anzeichen für einen Erfolg.
Dann endlich, nach einiger Zeit, die allen wie eine kleine Ewigkeit vorkam, hob ein zitternder Atemzug die Brust des Kindes. Die Augenlider flatterten ein wenig, aber sie blieben geschlossen, Pünktchen, der erst jetzt auffiel, dass sie sich wie ein Schraubstock an Nicks Arm geklammert hatte, ließ den Jungen los. »Gott sei Dank«, flüsterte sie. »Ich bin vor lauter Angst fast gestorben.«
Nick, Fabian und Henrik war es nicht viel anders zumute. »Als Nächstes mache ich einen Sanitätskurs mit«, sagte Nick. »Man kann nicht früh genug damit anfangen.«
Gerade als der Förster sich der jungen Frau zuwenden wollte, hörten sie das Signal des Unfallwagens. Da tauchte er auch schon auf dem Holzabfuhrweg auf.
»Gute Leistung, Herr Schröder«, sagte der Sanitäter nach einem Blick auf das Kind. »Wir haben Sauerstoff dabei. Den haben die beiden dringend nötig. Besonders die Mutter.«
Zusammen mit seinem Kameraden legte er die beiden noch immer Bewusstlosen auf Bahren und schob diese in das Auto. »Es wird ein Protokoll aufgenommen werden müssen«, sagte er beim Einsteigen. »Na ja, wir wissen ja, wo ihr zu finden seid.«
»Soll ich euch nach Sophienlust bringen?«, bot sich Klaus Schröder an.
Keines der Kinder hatte noch Lust, den geplanten Besuch im Tierheim zu machen.
Alle sehnten sich nach Sophienlust und vor allem nach Denise. Wenn sie ihr erst erzählt haben würden, was ihnen widerfahren war, würde es leichter sein. Sie fand immer das richtige Wort zur rechten Zeit.
Nur Fabian hatte noch einen Einwand. »Und Anglos und Barri?«
»Die haben in meinem Kombi auch noch Platz«, antwortete Klaus Schröder mit einem verständnisinnigen Lächeln. »Ihr müsst halt ein bisschen zusammenrücken. Vielleicht sehen wir auf dem Heimweg noch die anderen Kinder, bevor sie den ganzen Wald nach euch absuchen.«
*
Das Maibacher Kreiskrankenhaus besaß eine gut eingerichtete Unfallstation, die rund um die Uhr von erfahrenen Ärzten besetzt war.
Mutter und Kind, denen schon unterwegs reichlich Sauerstoff zugeführt worden war, wurden sofort einer ganzen Reihe von Maßnahmen unterzogen, um im Wettlauf mit Gevatter Tod Sieger zu bleiben. Bei dem Mädchen stellte sich der Erfolg verhältnismäßig schnell ein. Die von Klaus Schröder geleistete Erste Hilfe machte sich günstig bemerkbar. Noch ehe die Nacht hereinbrach, schlug die Kleine zum ersten Mal die Augen auf. Ihre Mundwinkel zuckten, als sie die fremde Umgebung sah. Sie versuchte, sich aufzurichten, aber die Schwester, die an ihrem Bett Wache hielt, drückte sie sanft in die Kissen zurück.
»Mami«, schluchzte das Kind. »Bitte, Mami, komm zu mir!«
»Deine Mami schläft. Aber es geht ihr gut«, sagte Schwester Petronia wider besseres Wissen, denn noch immer kämpften die Ärzte auf der Intensivstation um das Leben der jungen Frau. Manchmal schien es, als sei alles zwecklos, doch keiner gab auf.
»Ich will, dass meine Mami kommt«, beharrte das Kind. Zwei dicke Tränen rollten dabei über seine blassen Wangen.
Schwester Petronias Herz zog sich zusammen. In all den vielen Berufsjahren war sie noch immer nicht immun geworden gegen menschliches Leid und die Tragödien des Lebens.
Die Schwester nahm ein Stück Zellstoff und betupfte die schweißnasse Stirn des kleinen Mädchens. »Magst du etwas trinken?«, erkundigte sie sich freundlich. »Ich habe eine gute Zitronenlimonade für dich.«
Für einen Augenblick schien das Kind abgelenkt. Es nahm ein paar Schluck Limonade, kehrte aber dann sofort zu dem zurück, was es am meisten bewegte.
»Meine Mami …«
»Wir dürfen deine Mami jetzt nicht stören. Du willst, doch dass sie schnell gesund wird, nicht wahr?«