Wenn ein Mädchen Toni heißt - Patricia Vandenberg - E-Book

Wenn ein Mädchen Toni heißt E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. »So, jetzt noch eine Aufnahme von dir, Nick«, sagte Toni Uhlig, und ehe es sich der Junge versah, klickte schon der Apparat. Dominik von Schoenecker lachte dem bildhübschen jungen Mädchen zu. »So schön bin ich nun auch wieder nicht«, entgegnete er. »Aber eine liebe Erinnerung an diesen schönen Tag«, widersprach Toni Uhlig fröhlich. »Ihr seid beneidenswerte Kinder. Ich wünschte, mein kleiner Bruder könnte auch mal hier sein. Es würde ihm guttun.« »Das kann er doch«, meinte Nick. Sie brauchen ihn bloß herzubringen, Fräulein Uhlig.« Er stellt sich das so einfach vor, dachte Toni. Das muss doch sündhaft teuer sein, ein Kind für ein paar Wochen in Sophienlust unterzubringen. Toni hatte von Denise von Schoen? ecker zwar erfahren, dass Kinder in Ausnahmefällen auch ohne jede Bezahlung in dem herrlichen Kinderheim Sophienlust aufgenommen wurden, aber es wäre ihr vermessen erschienen, solche Erwartungen für Jerry zu hegen. Sie kam ja zusammen mit ihrem Bruder eigentlich ganz gut zurecht, denn sie war trotz ihrer jungen Jahre schon eine recht bekannte Fotografin, und der Auftrag, eine Bildserie über Sophienlust zu machen, hatte sie sehr gereizt. In ihrer liebenswürdigen, unkonventionellen Art hatte Denise von Schoenecker sich lange mit dem jungen Mädchen unterhalten und ihm auch manches über die Entwicklung dieses Heimes erzählt. ?wundert, war mit den Kindern durch den Park gegangen, hatte Aufnahmen noch und noch gemacht und war immer wieder voller Entzücken darüber gewesen, welch eine herrliche Zufluchtstätte die Kinder hier hatten, wie liebevoll sie betreut wurden und wie aufgeschlossen und fröhlich sie waren.

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Seitenzahl: 154

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sophienlust Bestseller – 233 –Wenn ein Mädchen Toni heißt

… kann auch ein Missverständnis Wunder wirken

Patricia Vandenberg

»So, jetzt noch eine Aufnahme von dir, Nick«, sagte Toni Uhlig, und ehe es sich der Junge versah, klickte schon der Apparat.

Dominik von Schoenecker lachte dem bildhübschen jungen Mädchen zu. »So schön bin ich nun auch wieder nicht«, entgegnete er.

»Aber eine liebe Erinnerung an diesen schönen Tag«, widersprach Toni Uhlig fröhlich. »Ihr seid beneidenswerte Kinder. Ich wünschte, mein kleiner Bruder könnte auch mal hier sein. Es würde ihm guttun.«

»Das kann er doch«, meinte Nick.

Sie brauchen ihn bloß herzubringen, Fräulein Uhlig.«

Er stellt sich das so einfach vor, dachte Toni. Das muss doch sündhaft teuer sein, ein Kind für ein paar Wochen in Sophienlust unterzubringen.

Toni hatte von Denise von Schoen?ecker zwar erfahren, dass Kinder in Ausnahmefällen auch ohne jede Bezahlung in dem herrlichen Kinderheim Sophienlust aufgenommen wurden, aber es wäre ihr vermessen erschienen, solche Erwartungen für Jerry zu hegen. Sie kam ja zusammen mit ihrem Bruder eigentlich ganz gut zurecht, denn sie war trotz ihrer jungen Jahre schon eine recht bekannte Fotografin, und der Auftrag, eine Bildserie über Sophienlust zu machen, hatte sie sehr gereizt.

In ihrer liebenswürdigen, unkonventionellen Art hatte Denise von Schoenecker sich lange mit dem jungen Mädchen unterhalten und ihm auch manches über die Entwicklung dieses Heimes erzählt. Toni hatte das wunderschöne ehemalige Herrenhaus be-

?wundert, war mit den Kindern durch den Park gegangen, hatte Aufnahmen noch und noch gemacht und war immer wieder voller Entzücken darüber gewesen, welch eine herrliche Zufluchtstätte die Kinder hier hatten, wie liebevoll sie betreut wurden und wie aufgeschlossen und fröhlich sie waren. O ja, Jerry würde sich hier wohlfühlen, aber Toni scheute sich doch, dies verlauten zu lassen.

Das feinfühlige Mädchen hatte ihren Stolz. Sie hatte für Jerry, den Kleinen, wie sie ihn nannte, nach dem Tod der Eltern wie eine Mutter gesorgt, obgleich sie selbst jetzt erst einundzwanzig Jahre alt war. Jerry hatte nichts von dem zu entbehren brauchen, was zum täglichen Leben gehörte. Toni war enorm fleißig und hatte große Zukunftspläne. Wenn es weiter so gut ging mit den Aufträgen wie in den letzten Monaten, dann würde sie nächstes Jahr in der Lage sein, Jerry ein paar Wochen hier unterzubringen. Aber bis dahin wollte sie darüber mit Denise von Schoenecker lieber nicht sprechen, damit diese nicht den Eindruck gewann, sie wolle sich sogleich einen Vorteil verschaffen.

Toni mochte Menschen nicht, die hemmungslos auf ihren Vorteil bedacht waren. Da sie Denise von Schoenecker obendrein bewunderte, wollte sie erst recht nicht ins Zwielicht geraten.

»Ich bin mächtig gespannt auf die Aufnahmen«, sagte Nick in das lange Schweigen hinein. »Besonders auf die von Mutti. Sie lässt sich so ungern fotografieren. Macht dieser Beruf Spaß?«

»Ja«, erwiderte Toni, obwohl sie ihn zunächst nur deshalb ergriffen hatte, weil ihr da schnell eine Chance und gute Verdienstmöglichkeiten eingeräumt worden waren. Aber schon bald hatte sie sich diesem Beruf mit wahrem Enthusiasmus gewidmet und ihm die schönsten Seiten abgewannen. Eigentlich hatte sie nämlich Kunstgeschichte studieren wollen, aber dazu hatte nach dem Tod der Eltern das Geld gefehlt, und eine Rücklage musste bleiben, damit Jerry niemals Not zu leiden brauchte. Toni liebte ihren siebenjährigen Bruder, der der Mutter das Leben gekostet hatte, abgöttisch. Schon als Vierzehnjährige hatte sie rührend für ihn gesorgt, und als dann fünf Jahre später auch der Vater gestorben war, der den Verlust der geliebten Frau nie verwunden hatte, war es für sie beschlossene Sache gewesen, sich niemals von Jerry zu trennen.

Nun kam Denise von Schoenecker auf Toni Uhlig zu. Diese bildschöne Frau hätte die junge Fotografin am liebsten hundertmal fotografiert. Dieses lebhafte, ausdrucksvolle Gesicht musste ein Mädchen wie Toni, das so viel Schönheitssinn besaß, reizen.

»Ich freue mich schon auf die Bilderserie«, versicherte jetzt auch De?nise. »Welche Aufgaben warten nun auf Sie, Fräulein Uhlig?«

»Erst ein paar Tage Atelier, dann unternehme ich wieder Streifzüge«, erwiderte Toni. »Aber so etwas Schönes wie Sophienlust werde ich wohl so schnell nicht wieder finden. Ich bin Ihnen sehr dankbar, Frau von Schoenecker, dass Sie mir gestattet haben, die Aufnahmen zu machen.«

»Ich finde, dass es eine glänzende Idee von Ihnen war«, sagte Denise herzlich. »Wir werden ein Buch daraus machen.«

»Erst müssen wir abwarten, ob Ihnen die Aufnahmen auch zusagen«, erklärte Toni. »Aber jetzt muss ich mich sputen, sonst denkt Jerry, ich komme gar nicht mehr heim.«

»Warum haben Sie Ihren Bruder nicht mitgebracht?«, fragte Denise.

»Er muss doch zur Schule. Eine nette Nachbarin kümmert sich inzwischen um ihn. Er ist sehr vernünftig.«

»Aber in den Ferien könnte er doch mal zu uns kommen. Meinst du nicht, Mutti?«, fragte Nick.

»Sehr gern. Machen Sie Gebrauch davon, Fräulein Uhlig, auch dann, wenn Sie mal längere Zeit abwesend sein müssten«, bat Denise. »Natürlich soll er dann unser Gast sein.«

Toni errötete. »Das kann ich nicht annehmen«, entgegnete sie leise.

»Natürlich können Sie das«, widersprach Denise. »Wir würden uns freuen. Wirklich, Fräulein Uhlig. Ich hoffe doch sehr, dass wir uns bald einmal wiedersehen.«

Denise hatte das Mädchen gleich gemocht. So reizvoll und doch so natürlich war Toni, und dazu auch noch tüchtig und bescheiden. Denise war sehr angetan von ihr. Ihr Abschied von dem Mädchen war ebenso herzlich wie ihre Empfindungen.

Das jüngste Mitglied der Familie von Schoenecker, Henrik, der Toni ebenfalls nachwinkte, sah seine Mutter nachdenklich an, als er sagte: »Sie sieht aus wie Aschenbrödel.«

»Wie Aschenbrödel?«, fragte Denise erstaunt zurück. »Sie ist doch sehr hübsch gekleidet gewesen.«

»Ich meine nur so«, erläuterte Henrik. »Sie arbeitet, und eigentlich sieht sie aus wie eine Prinzessin.«

Denise lächelte.

Nick dagegen lachte laut auf. »Henrik hat es jetzt mit den Prinzessinnen, seit er mal bei der Theateraufführung den Prinzen spielen durfte«, meinte

er.

»Sie ist aber doch sehr hübsch«, versuchte Henrik sich zu rechtfertigen.

»Na, du fängst ja früh an«, neckte Nick ihn.

»Was meint er damit, Mutti?«, fragte Henrik.

Denise lächelte und fuhr ihm mit der Hand durch das Haar. »Ich finde Toni Uhlig auch sehr hübsch und reizend«, sagte sie. »Es wäre gar nicht übel, wenn alle Prinzessinnen so wären.«

»Wenn ihr Bruder auch so nett ist wie sie, wäre es doch schön, wenn er mal zu uns kommen würde«, überlegte Henrik.

»Sicher möchte Toni das auch gern«, warf Nick ein. »Sie hat sich bloß geniert. Bestimmt denkt sie, es ist zu teuer bei uns.«

Was er doch schon für eine gute Menschenkenntnis hat, dachte Denise. Ihr selbst waren bereits die gleichen Gedanken gekommen.

*

Toni sollte sich rasch wieder an das Angebot erinnern. Sie kam nach Hause und wurde freudig von Jerry empfangen. Er war immer brav, wenn sie nicht da war. Da brauchte sie sich nicht erst zu erkundigen.

Jerry war ein richtiger Lausbub dem Aussehen nach. Seine kleine Nase und seine schelmischen Augen waren die einzige Ähnlichkeit, die er mit seiner Schwester hatte. Sein Haar war blond und ein bisschen struppig. Toni stellte fest, dass sie es ihm wieder einmal schneiden musste. Zum Friseur zu gehen, dazu war er nicht zu bewegen. Also musste sie die Arbeit machen.

»Na, wars schön in dem Kinderheim?«, erkundigte sich Jerry beiläufig, aber ohne große Neugierde.

»Wunderschön«, erwiderte Toni.

»Na, ich weiß nicht«, meinte er. »Ein Kinderheim kann mir nicht imponieren.«

»Sophienlust würde dir aber gefallen«, sagte Toni, während sie das Abendessen zubereitete. »Es gibt dort sogar Ponys.«

Nun horchte Jerry doch auf. Ponys, das war schon etwas. Die gab es in der Stadt nicht.

Toni erzählte, und Jerry lauschte nun doch interessiert. »Das muss ja wie ein Schloss sein«, bemerkte er mit leichter Skepsis.

»So etwas Ähnliches war es auch einmal.«

»Du fotografierst Schlösser so gern«, stellte Jerry fest. »Möchtest du auch in einem wohnen, Toni?«

Sie lachte leicht auf. »Nein, mein Kleiner, ich bin ganz zufrieden mit unserer Wohnung.«

»Mir gefällt sie auch. Vor allem, weil wir beisammen sind«, erklärte er. »Du, Toni, es ist ein Haufen Post gekommen. Auf einem Brief ist auch ein Wappen drauf. Der kommt bestimmt auch von einem Schloss.«

»Ich schaue mir die Post nachher an, wenn wir gegessen haben, Jerry«, erwiderte Toni. »Und dann entwickele ich gleich die Aufnahmen von Sophienlust. Du kannst dir die Bilder anschauen.«

»Morgen schon?«, fragte er gespannt.

»Ja, schon morgen.«

»Wenn auch nette Kinder dort sind, mich magst du doch am liebsten?«, schmeichelte er etwas besorgt.

»Freilich, du bist ja mein Schatz«, entgegnete sie zärtlich. »So einen lieben kleinen Bruder hat nicht jeder.«

»Wenn ich dich nicht hätte, Toni, müsste ich auch in einem Heim leben«, bemerkte er mit einem tiefen Seufzer. »Ich finde das gar nicht schön.«

»Du hast mich aber«, lenkte sie ab, denn ein jäher Schmerz durchzuckte sie. Warum nur hatten sie so früh die Eltern verlieren müssen, an die sie selbst nur gute und liebevolle Erinnerungen hatte?

*

Sie hatten gegessen, und Toni hatte Jerry zu Bett gebracht. Wie immer, wenn sie mal einen Tag abwesend gewesen war und der Junge sie schmerzlich vermisst hatte, musste sie von den Eltern erzählen. Sie wollte wenigstens die Erinnerung an sie in ihm wachhalten. Jerry sollte wissen, wie lieb die Eltern gewesen waren.

»Und morgen, wenn Sonntag ist, gehen wir wieder auf den Friedhof«, flüsterte er. »Dann sage ich unserer Mami, dass ich sie sehr lieb gehabt hätte, wenn sie am Leben geblieben wäre, und unserem Papi, dass ich mich noch genau an ihn erinnern kann.«

Toni küsste ihren Bruder auf die Stirn. »Mein lieber Kleiner«, sagte sie weich. »Ich arbeite gern für dich.«

»Aber wenn ich groß bin, arbeite ich für dich«, versicherte er. »Wenn du nun aber mal heiratest, Toni, und dein Mann mich nicht haben will?«

»Einen solchen Mann würde ich nie heiraten, Jerry. Außerdem denke ich noch gar nicht ans Heiraten.«

»Es müsste ja auch mindestens ein Prinz sein«, meinte er.

»Liebe Güte, meinst du, die Prinzen wären so begehrenswert?«

»In den Märchen sind sie immer gut«, sagte er schläfrig und wusste nicht, dass er ebenso wie Henrik von Schoenecker an Märchen dachte.

Jerry schlief nun schnell ein, und Toni konnte sich der Post widmen. Ein Schreiben interessierte sie besonders. Es war das, das ein Wappen auf dem Umschlag hatte. Es war ihr bereits aufgefallen, weil es an Herrn Toni Uhlig gerichtet war.

Natürlich konnte man hinter dem Namen auch einen Mann vermuten. Aber sie vermutete, dass der Absender des Briefes durch eines ihrer Bilder, die stets mit ihrem Namen gezeichnet waren, auf sie aufmerksam geworden war.

Das Schreiben stammte von der Gräfin von Bastian auf Schloss Rosenau. Es war höflich, aber sehr verbindlich abgefasst und enthielt die Bitte, dass Toni Innen- und Außenaufnahmen von dem Schloss und dem Park machen solle.

»Ich bin durch Ihre bestechenden Aufnahmen von Schloss Miramare auf Sie aufmerksam geworden«, hieß es weiter. »Selbstverständlich werde ich Ihre Arbeit, die sicher einige Tage erfordern wird, angemessen honorieren. Zugleich bitte ich Sie, in dieser Zeit mein Gast zu sein.«

Das war ein verlockendes Angebot. Fast zu verlockend, wenn Toni in Betracht zog, dass es Jerry gab.

Doch da dachte sie an Sophienlust und an Denises freundliches Angebot. Wenn das Honorar so großzügig ausfiel, wie dieses Schreiben vermuten ließ, konnte sie auch Jerrys Aufenthalt bezahlen. Ja, Toni hatte ihre Prinzi?pien.

Aber was würde die Gräfin wohl sagen, wenn anstelle eines Mannes ein junges Mädchen, dem man kaum Erfahrung zutraute, erschien?

Toni hatte nicht nur ihren Stolz, sie hatte auch Ehrgeiz. Bisher hatte sie solche Aufnahmen immer auf eigene Verantwortung gemacht und sie dann an Zeitschriften verkauft. Dies aber war ein Auftrag, mit dem sie einen großen Schritt weiterkommen konnte. So mancherlei Gedanken gingen ihr bereits durch den Sinn, wie sie sich das Wohlwollen der Gräfin sichern könnte. Zuerst ein paar Schnappschüsse aus der Umgebung des Schlosses, die sie vorlegen konnte, und dann würde man vielleicht doch nicht danach fragen, wie jung sie noch war. Toni traute sich zu, gute Bilder zustande zu bringen. Sie war sich dessen erst recht sicher, als sie die Aufnahmen von Sophienlust entwickelt hatte.

Wie hatte ihr Vater doch immer gesagt? Was du auch immer unternimmst, mein Kind, mach es so gut, wie du nur kannst. Daran hatte sie sich gehalten, und daran wollte sie sich auch in Zukunft halten.

*

Es war Sonntag! Sie konnten ausschlafen und dann in aller Ruhe und Gemütlichkeit frühstücken. Der Tag war trüb, aber das machte ihnen nichts aus.

»Ich werde dir die Bilder von Sophienlust zeigen, Jerry«, sagte Toni.

»Sind sie gut geworden?«

»Ich bin zufrieden.«

»Bei dir werden alle Bilder gut, Toni«, stellte Jerry anerkennend fest. »Du machst überhaupt alles gut. Ich bin schrecklich stolz auf dich.«

Toni zeigte ihm die Bilder und erklärte ihm alles. Andächtig hörte er zu und betrachtete dabei die Bilder.

»Die Dame sieht sehr schön aus«, bemerkte er, »und die Kinder gefallen mir auch.«

»Frau von Schoenecker ist auch wirklich sehr lieb. Es könnte sein, dass ich dich doch für ein paar Tage dort unterbringen muss, Jerry. Ich habe einen Auftrag angeboten bekommen, den ich sehr gern ausführen möchte. Ich soll nämlich wieder ein Schloss fotografieren.«

»Gleich ein paar Tage? Das muss aber ein großes Schloss sein«, meinte er nachdenklich. »Gibt es da auch Prinzen und Prinzessinnen?«

»Eine Gräfin«, erwiderte sie lä?chelnd.

»Ist das weniger?«, fragte er.

»Es kommt doch nicht auf den Titel an. Ich denke, dass ich ein gutes Honorar bekommen werde. Dann können auch mal wir in den Ferien ein paar Tage fortfahren.«

»Das braucht’s doch nicht, Toni. Wir gehen mal spazieren«, schlug er bescheiden vor. »Du sollst nicht immer an mich denken. Gehen wir jetzt zum Friedhof?«

Es rührte sie tief, dass er dies nie vergaß. Also machten sie sich zum Ausgehen bereit.

»Wenn du das Schloss so gern fotografieren willst, gehe ich auch in das Kinderheim«, versicherte Jerry eifrig. »Ein paar Tage werde ich es schon aushalten.«

Er war immer lieb und nachgiebig und darauf bedacht, ihr nur ja keinen Kummer zu bereiten. Als die beiden unterwegs waren, boten sie einen so erfreulichen Anblick, dass ihnen viele Blicke folgten. Heiter plaudernd gingen sie durch die Straßen zum Friedhof und zu dem schlichten Waldgrab, das das umschloss, was sie verloren hatten.

*

Toni rief gleich am Montagvormittag in Sophienlust an. Ein wenig beklommen war sie schon, aber Denise war so herzlich, dass Tonis Befangenheit rasch wieder schwand.

»Schloss Rosenau?«, fragte Denise, »oh, da werden Sie aber viele schöne Motive finden. Es ist weithin bekannt und gar nicht so weit von uns entfernt.«

Toni war bereits von Spannung erfüllt. Sie erledigte die vordringlichsten Arbeiten und fuhr dann zur Schule. Dort genoss sie großes Ansehen, weil jedermann das tapfere junge Mädchen bewunderte, und weil Jerry ein sehr guter Schüler war.

Der Rektor sagte, nachdem sie ihn über ihre Pläne informiert hatte, seufzend: »Wenn sich doch die Eltern, deren Sprösslinge uns Sorgen bereiten, so um ihre Kinder kümmern würden, wie Sie sich um Ihren Bruder kümmern, Fräulein Uhlig, unsere Arbeit wäre dann bedeutend leichter.«

»Das geht ja Ruckzuck«, meinte Jerry, als er vom neuesten Stand der Dinge erfuhr. »Du bist wohl mächtig neugierig auf das Schloss, Toni?«

Das konnte sie nicht leugnen. Aber die Aussicht auf den guten Verdienst war für sie ebenso verlockend.

»Kann ich denn in Sophienlust auch in die Schule gehen?«, fragte Jerry.

Sie bestätigte es ihm, und Jerry gab sich zufrieden. »Versäumen will ich nämlich nichts«, erklärte er. »In einem Monat gibt es Zeugnisse.«

Toni brauchte sich darum keine Sorgen zu machen. Jerry war den Klassenkameraden weit voraus. Das war ihr eben wieder bestätigt worden. Es machte sie glücklich, denn sie war sich sehr wohl bewusst, dass es auch anders hätte sein können. Doch dann hätte sie nicht so beruhigt ihrem Beruf nachgehen können.

Sie stand fest mit beiden Beinen im Leben, die hübsche junge Toni Uhlig. Aber während ihre Altersgenossinnen die Freuden des Daseins genossen und auch Ausschau nach einer guten Partie hielten, dachte sie nur an Jerrys Zukunft.

»Wenn ich dich bloß nicht so schrecklich vermissen würde, Toni«, flüsterte der Junge, als sie in Tonis altem kleinem Auto nach Sophienlust fuhren.

»Es sind ja nur ein paar Tage«, tröstete sie ihn. »Ich vermisse dich doch auch.«

*

»Nun kommt der Jerry doch«, verkündete Henrik seinem großen Bruder Nick triumphierend, als dieser aus der Schule kam.

»Ich weiß es doch schon«, entgegnete Nick.

»Mutti hat es mir gesagt.«

»Mir aber nicht«, erklärte Henrik beleidigt. »Du erfährst immer alles zuerst.«

»Ich bin ja auch der Ältere. Nun mach kein Gesicht! Du weißt doch, dass Mutti nicht alles gleich ausposaunt. Dann werden die Kinder aufgeregt.«

»Wenn Mutti es mir sagt, rege ich die Kinder nicht auf«, widersprach Henrik, noch immer gekränkt. »Ich möchte auch mal der Ältere sein.«

»Sei doch froh, dass du der Jüngste bist«, meinte Nick gutmütig. »Wirst doch von uns allen verhätschelt.«

»Aber Jerry ist dann mein Freund. Er ist doch nicht älter als ich.«

Sie waren dann auch gleich ein Herz und eine Seele, die beiden, als Toni und Jerry ankamen. Jerry war ganz fidel, als Henrik ihn freudig begrüßte und ihm auch sofort alles zeigen wollte.

»Zuerst möchte ich aber deine Mutti sehen«, bat Jerry. »Sie gefällt mir sehr gut auf den Bildern. Es sind aber auch sehr schöne Bilder, die Toni gemacht hat.«

Darauf waren nun alle sehr gespannt. Und dann waren sie davon ebenso begeistert wie Jerry.

Alexander von Schoenecker äußerte sich so lobend über die Bilder, dass Toni ganz verlegen wurde.

»Der Herr von Schoenecker gefällt mir auch sehr gut«, raunte Jerry seiner Schwester später zu. »So einen Mann darfst du auch mal heiraten. Mit dem würde ich mich verstehen.«

»Solche Männer gibt es aber nur sehr selten, Jerry«, stellte Toni lächelnd fest.

»Nick ist noch ein bisschen jung«, meinte Jerry sinnend. »Er wird sicher auch mal so ein Mann.«

Er vermisst den Vater oder einen großen Freund, dachte Toni. Ein Junge braucht eben ein männliches Ideal. Wenn Jerry mal zwanzig ist, bin ich vierunddreißig und eine alte Jungfer.

Ach was, sagte sie sich dann. Bis dahin ist noch lange Zeit. Sie war nun mal keine pessimistische Natur.

*

Toni hatte sich den Weg nach Schloss Rosenau auf der Karte mit einem roten Stift eingezeichnet. Es war schon ein vertrackter Weg. Sie musste höllisch aufpassen, damit sie die schmale Zufahrtstraße nicht verfehlte. Es war ja auch inzwischen schon dunkel geworden, denn so schnell hatte man sie nicht von Sophienlust fortgelassen.

Denise hatte ihr noch gute Ratschläge auf den Weg mitgegeben, und Alexander von Schoenecker hatte ihr einen Gasthof empfohlen, der einen sehr gu?ten Ruf hatte. Vor dem hielt Toni nun an.