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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Andrea von Lehn half ihrem Mann in der Praxis. Es war ein Montag, und montags kamen immer die meisten Patienten. »Der Nächste, bitte«, sagte Andrea. Eine junge Frau mit einem Schäferhund stand auf. Dr. Hans-Joachim von Lehn sah sofort, was dem Tier fehlte. »Ihr Hund hat Staupe«, sagte er zu der jungen Frau, die sich als Melissa Mertens vorgestellt hatte. »Staupe?« Sie blickte hilflos von Andrea zu deren Mann. »Aber man hat mir versichert, dass der Hund gegen Staupe geimpft sei.« »Wer hat Ihnen das versichert?«, fragte Dr. Hans-Joachim von Lehn. Er hatte bereits begonnen, den Schäferhund zu untersuchen. »Der Händler, von dem ich das Tier gekauft habe.« »Haben Sie einen Impfschein?« Melissa Mertens schüttelte den Kopf. »Nein.«
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Seitenzahl: 139
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Andrea von Lehn half ihrem Mann in der Praxis. Es war ein Montag, und montags kamen immer die meisten Patienten.
»Der Nächste, bitte«, sagte Andrea. Eine junge Frau mit einem Schäferhund stand auf.
Dr. Hans-Joachim von Lehn sah sofort, was dem Tier fehlte. »Ihr Hund hat Staupe«, sagte er zu der jungen Frau, die sich als Melissa Mertens vorgestellt hatte.
»Staupe?« Sie blickte hilflos von Andrea zu deren Mann. »Aber man hat mir versichert, dass der Hund gegen Staupe geimpft sei.«
»Wer hat Ihnen das versichert?«, fragte Dr. Hans-Joachim von Lehn.
Er hatte bereits begonnen, den Schäferhund zu untersuchen.
»Der Händler, von dem ich das Tier gekauft habe.«
»Haben Sie einen Impfschein?«
Melissa Mertens schüttelte den Kopf. »Nein.«
Seufzend richtete sich Hans-Joachim wieder auf. »Dann ist der Hund auch nicht geimpft. Wie gesagt, er hat die Staupe. Ich werde ihn behandeln. Aber es ist sehr fraglich, ob er durchkommt. Schade, es ist ein so schönes Tier.«
Mit einem gequälten Blick schaute der Schäferhund zu Hans-Joachim von Lehn auf. Er ist nicht ganz reinrassig, vermutete der Tierarzt, aber trotzdem ein hübscher Kerl. Schade, vermutlich wird er eingehen.
»Können Sie denn gar nichts tun, Herr Doktor?«, fragte Melissa unglücklich.
»Doch. Aber ich fürchte, es wird nicht viel helfen.«
Hilflos beugte sich Melissa zu dem Hund hinab. »Meine Kinder hängen so an ihm.«
»Wie heißt der Tierhändler, von dem Sie den Hund gekauft haben?« Melissa nannte den Namen.
»Nie gehört.« Hans-Joachim schüttelte verwundert den Kopf, denn er kannte in der näheren und weiteren Umgebung alle Tierhändler.
»Vielleicht ist er neu«, meinte Andrea. Sie erklärte Melissa die Anwendung der Medizin und strich dem leidenden Tier mitfühlend übers Fell.
»Kommen Sie in drei oder vier Tagen wieder«, sagte Hans-Joachim.
Erst als Melissa mit ihrem kranken Hund gegangen war, machte der Tierarzt seiner Entrüstung Luft. »So einem Händler sollte wirklich die Lizenz entzogen werden. Der Hund war einwandfrei nicht geimpft. Dabei ist es Pflicht, jeden Hund gegen Staupe impfen zu lassen.«
»Glaubst du, dass er durchkommt?«, fragte Andrea.
Hans-Joachim schüttelte de Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Wahrscheinlich wird man ihn ein schläfern müssen.«
Andrea dachte an die Kinder de jungen Frau, die angeblich so an de Hund hingen. Doch ihr blieb nick viel Zeit, ihren Gedanken nachzuhängen. Denn schon verlangte Hans Joachim nach dem nächsten Patienten.
Sie arbeiteten durch bis halb zwei. Erst dann war auch das letzte Tier behandelt.
»Gott sei Dank!« Andrea atmete auf. »Ich gehe schnell in die Küche und sehe nach, wie weit Mariann mit dem Essen ist.«
»Gut, ich komme gleich nach.«
Die Praxis des Tierarztes war mit seiner Wohnung verbunden. Andrea stand schon in der Küche neben ihrem Hausmädchen und prüfte den Inhalt zweier Töpfe. »Schmeckt wunderbar. Ist der Tisch schon gedeckt? Mein Mann wird gleich hier sein.«
»Es ist alles bereit«, sagte Marianne. »Und Peterle habe ich schon gefüttert und hingelegt.«
Andrea ging zum Kinderzimmer und öffnete vorsichtig die Tür. Lautlos spähte sie ins Zimmer. Peterle schlief bereits.
Beruhigt schloss Andrea die Tür wieder und ging ins Esszimmer. Hans-Joachim wartete dort schon auf sie. »Können wir?«
»Ja, alles fertig. Marianne bringt sofort das Gulasch.«
Während des Essens kam Hans-Joachim noch einmal auf den kranken Schäferhund zurück.
»Am liebsten würde ich mir diesen gewissenlosen Tierhändler einmal aus der Nähe betrachten.«
»Du hast ohnehin genug am Hals«, sagte Andrea. »Und außerdem kann der Hund ja wieder gesund werden.«
Doch das bezweifelte Hans-Joachim.
*
Der Tierarzt behielt recht. Drei Tage später saß Melissa Mertens schon wieder in seinem Wartezimmer.
Andrea half auch an diesem Vormittag ihrem Mann. Als sie den Schäferhund sah, erschrak sie. Es gelang ihr nicht ganz, das vor Melissa Mertens zu verbergen.
»Du machst ihn doch wieder gesund, Tante Doktor?«, fragte ein kleines Mädchen besorgt.
»Das ist meine Tochter Nicole«, sagte Melissa.
»Können wir hinausgehen, Mutti?«, fragte ein kleiner Bub. Er stand bereits an der Tür. Seine Ähnlichkeit mit Nicole war nicht zu übersehen.
»Sind die beiden Geschwister?«, fragte Andrea.
Melissa bestätigte es. »Marco ist ein Jahr älter als seine Schwester.«
»Dürfen wir, Mutti?«, fragte Marco nun drängend.
»Ich will gar nicht«, antwortete seine Schwester anstelle seiner Mutter. »Ich bleibe lieber bei unserem Hund.«
»Geh ruhig mit deinem Bruder hinaus zum Spielen«, schlug Andrea vor. »Deine Mutti ist ja bei eurem Hund. Sobald der Onkel Doktor ihn behandelt hat, sage ich euch Bescheid. Einverstanden?«
»Na gut«, sagte die Kleine und stand auf. »Aber du musst dem Onkel Doktor sagen, dass er unseren Hund wieder gesund machen soll, ja?«
»Ich werde es ihm sagen«, versprach Andrea. Dann brachte sie die Kinder auf den Hof. Sie war überzeugt, dass ihr Mann den Hund einschläfern würde. Das sollten die Kinder aber lieber nicht sehen.
»Frau Mertens ist mit ihrem Schäferhund wieder da«, sagte Andrea, als sie das Behandlungszimmer betrat.
Hans-Joachim schaute auf. Er hatte gerade einem Wellensittich eine Spritze gegeben. »Und wie sieht der Hund aus?«
»Entsetzlich«, sagte Andrea leise.
Die alte Dame mit ihrem Wellensittich hatte es trotzdem gehört. »Mein Vogel wird doch wieder gesund, Herr Doktor?«, fragte sie ängstlich.
»Er wird ganz bestimmt wieder gesund«, versicherte Hans-Joachim ihr. »Sie müssen nur ein bisschen Geduld mit ihm haben.«
Andrea brachte die alte Frau mit ihrem Wellensittich zur Haustür. Dann bat sie den nächsten Patienten zu ihrem Mann.
Es war ein kleiner Goldhamster, den ein zwölfjähriger Junge brachte. Erst nach ihm war Melissa mit ihrem Hund an der Reihe. Das arme Tier konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Immer wieder knickten seine Hinterläufe ein.
»Ich habe alles getan, was Sie angeordnet haben, Herr Doktor«, sagte Melissa. »Aber sein Zustand hat sich trotzdem laufend verschlechtert.«
Hans-Joachim schüttelte betrübt den Kopf. »Da ist nichts mehr zu machen, Frau Mertens.«
Andrea hatte richtig vermutet. Der Hund musste eingeschläfert werden. Als der Tierarzt das Melissa sagte, rang sie verzweifelt die Hände. »Gibt es denn gar keinen Weg, ihn zu retten?«
»Keinen«, sagte Hans-Joachim bedauernd. »Nicht mehr, wenn dieses Stadium erreicht ist. Da ist der Hund verloren. Die Staupe ist eine heimtückische Krankheit. Nicht umsonst ist jeder Hundehalter verpflichtet, sein Tier dagegen impfen zu lassen.«
»Ich werde mich bei dem Tierhändler beschweren«, sagte Melissa leise. Dann nahm sie von ihrem Hund Abschied. Nur gut, dass Nicole und Marco nicht hier sind, dachte sie.
Der letzte Blick, den der Hund ihr aus seinen treuen Augen zuwarf, trieb ihr das Wasser in die Augen. Schnell wandte sie sich ab.
»Sind noch Patienten draußen?«, fragte Hans-Joachim.
Andrea schüttelte den Kopf. »Nein. Frau Mertens war für heute der letzte Patient mit ihrem Schäferhund.«
Während Hans-Joachim das Tier einschläferte, begleitete Andrea die junge Frau hinaus.
Auf der Schwelle blieb Melissa abrupt stehen. Auf dem Hof befanden sich plötzlich mindestens zehn Kinder. Und mitten unter ihnen waren Marco und Nicole.
»Die Kinder sind aus Sophienlust«, erklärte Andrea.
»Aus dem Kinderheim?« Melissa hatte schon davon gehört.
»Mutti!« Nicole kam zu ihr gelaufen. »Wo ist unser Bello?«
»Er …« Melissa konnte nicht mehr weitersprechen. Sie schaute hilflos zu Andrea.
Diese nahm Nicole und ihren Bruder bei der Hand. Gesagt werden musste es den Kindern ja schließlich. »Euer Bello ist jetzt im Hundehimmel.«
»Tot?«, fragte Marco entrüstet. Andrea nickte.
Da begann Nicole laut zu weinen. »Mein Bello! Es war mein Hund. Mutti hat ihn mir geschenkt.«
»Er hat auch mir gehört«, rief Marco trotzig. Er bemühte sich krampfhaft, die Tränen zu unterdrücken. Aber auch ihm gelang es nicht.
Andrea nahm den vierjährigen Jungen bei der Hand und lief mit ihm hinüber zum Tierheim. Sie wollte ihn ablenken.
Die Kinder aus Sophienlust verstanden sie und kamen ihr nach. Allen voran Henrik und Pünktchen.
Melissa hatte die dreijährige Nicole auf den Arm genommen und folgte den Kindern langsam.
»Ist das ein Affe?«, fragte Marco schnüffelnd, als Andrea und die Kinder vor Moglis Box stehenblieben.
»Ja«, sagte Pünktchen. »Es ist ein Schimpanse. Er ist noch jung.«
Der Schimpanse gefiel Marco. »Kann man ihn kaufen?«
»Nein«, antwortete Nick. »Er ist hier aufgewachsen und muss hierbleiben.«
»Warum?« Marco fuhr sich mit dem Ärmel über die Nase.
»Weil er in anderer Umgebung vielleicht sterben würde«, sagte Nick.
Damit erinnerte er Marco wieder an seinen toten Bello. Ein neuer Tränenstrom floss über die Wangen des kleinen Jungen.
»Das war nicht besonders, geschickt von dir«, flüsterte Pünktchen Nick zu.
»Habe ich auch bemerkt, aber zu spät«, murmelte Nick. Dabei dachte er: Ich habe wohl doch nicht das richtige Talent, kleine Kinder zu trösten.
Henrik und Pünktchen gelang es schließlich, Marco und dessen Schwester von ihrem Schmerz abzulenken. Sie zeigten den Geschwistern die Tiere im Freigehege und erzählten dabei von Sophienlust.
Das machte Marco und Nicole neugierig und lenkte sie ab.
»Besucht uns doch einmal in Sophienlust«, schlug Henrik vor.
Nicole schaute ihren Bruder an. »Machen wir das?«
»Klar.«
»Aber wir müssen erst Mutti fragen«, meinte Nicole.
Marco winkte ab. »Mutti sagt bestimmt ja.«
Melissa nickte, als die Kinder ihr ihren Wunsch vortrugen. »Natürlich fahren wir einmal nach Sophienlust«, versprach sie Marco und Nicole. Dann verabschiedete sie sich von den Sophienluster Kindern und von Andrea.
»Habt ihr den Hund wirklich umbringen müssen?«, fragte Henrik, als Melissa mit ihren Kindern gegangen war.
Andrea nickte. »Er hatte Staupe. Da war nichts mehr zu machen.«
»Ich denke, jeder Hund muss rechtzeitig gegen Staupe geimpft werden?«, sagte Nick.
»Das stimmt«, bestätigte Andrea ihm. »Aber offensichtlich gibt es immer noch Tierhändler, die sich nicht daran halten. Frau Mertens hat den Schäferhund nämlich von einem Tierhändler gekauft.«
»Den würde ich anzeigen«, rief Nick spontan.
Andrea pflichtete ihrem Halbbruder bei. »Dafür bin ich auch. Ich werde gleich nachher einmal mit Hans-Joachim darüber sprechen.«
Doch Hans-Joachim schreckte vor so einem Schritt zurück. »Wenn jemand diesen verantwortungslosen Tierhändler anzeigen soll, dann müsste das Frau Mertens sein. Sie ist schließlich die Geschädigte. Nicht wir.«
Hoffentlich tut sie es, dachte Andrea.
Doch Melissa war nach Bellos Tod viel zu traurig und viel zu apathisch, um an eine Anzeige zu denken. Sie nahm sich vor, mit ihrem Mann darüber zu sprechen.
Bernd Mertens war jedoch gerade in diesen Tagen nicht ansprechbar. »Lass mich in Ruhe, ich habe geschäftliche Sorgen«, antwortete er auf jede Frage.
Also ließ Melissa ihn in Ruhe. Sie achtete auch darauf, dass er von den Kindern nicht gestört wurde, wenn er abends nach Hause kam und sich in sein Arbeitszimmer einschloss.
Melissa hatte Bernd Mertens erst vor drei Jahren geheiratet. Damals war sie fünfundzwanzig gewesen. Bernd dreiundvierzig. Er war schon einmal verheiratet gewesen und hatte Marco und Nicole mit in die Ehe gebracht. Diese Kinder hatte Melissa vom ersten Augenblick an geliebt. Sie wusste, dass sie keine eigenen Kinder bekommen konnte, aber sie hatte sich immer Kinder gewünscht. Durch die Heirat mit Bernd hatte sie zwei Kinder bekommen, die sie abgöttisch liebten und die gar nicht wussten, dass Melissa ihre Stiefmutter war. Sie sollten es auch nie erfahren, hatte Melissa beschlossen.
Als Bernd Mertens an diesem Abend nach Hause kam, fiel ihm gar nicht auf, dass Bello fehlte.
Das nahm Marco seinem Vater übel. »Merkst du gar nichts?«
»Was soll ich denn merken«, knurrte Bernd. Er konnte nicht mit Kindern umgehen und wollte sich auch nicht mit ihnen beschäftigen.
»Bello ist nicht da«, rief Marco laut und stampfte mit dem Fuß auf.
»Bello? Ach so, du meinst den Hund. Und wo ist er, wenn er nicht da ist?« Bernd schlug seine Zeitung auf.
»Tot«, sagte Marco vorwurfsvoll. Dabei schaute er den Vater so strafend an, als sei dieser für den Tod des Schäferhundes verantwortlich.
»Also ist er doch gestorben. Ich hab’s euch ja gleich gesagt. Es war überhaupt eine verrückte Idee, den Hund zu kaufen.«
Marco starrte seinen Vater feindselig an.
»Komm, wir gehen in die Küche«, sagte Melissa rasch. Sie wusste, dass es keinen Zweck hatte, mit Bernd noch weiter über den Hund oder über den verantwortungslosen Tierhändler zu sprechen. Also versuchte auch sie, den Schäferhund Bello zu vergessen. Aber das fiel ihr nicht leicht, denn die Kinder sprachen immer wieder von Bello. Sie konnten ihn nicht so leicht vergessen.
»Vati ist richtig garstig«, sagte Marco trotzig, als Melissa die Küchentür geschlossen hatte.
»Er hat nur sehr viel zu tun«, erwiderte Melissa. »Ihr müsst ihn deshalb in Ruhe lassen.«
»Das sagst du immer«, mischte sich die dreijährige Nicole ins Gespräch ein. »Immer sagst du, Vati hat zu tun.«
»Er hat ja auch viel zu tun«, verteidigte Melissa ihren Mann, obwohl sie nicht wusste, was er abends eigentlich noch arbeitete. Das hatte er früher nie getan.
Bernd Mertens war Immobilienmakler. Sein Büro ging gut, und er hatte in den letzten zehn Jahren sehr viel Geld verdient. Davon hatte er das hübsche Landhaus in der Nähe von Bachenau gekauft. Melissa liebte dieses Haus, und für die Kinder war es ein Paradies. Sie hatten einen großen Garten zum Spielen, und im Haus selbst hatte Bernd zwischen den beiden Kinderzimmern extra noch ein Spielzimmer eingerichtet. Darauf hatte Melissa bestanden.
»Warum hat Vati denn jetzt immer so viel zu tun?«, wollte Marco wissen. »Er spielt überhaupt nicht mehr mit uns.«
Das hatte er allerdings früher auch nicht getan. Aber er war wenigstens nicht so abweisend gewesen wie jetzt. Melissa verstand das ja selbst nicht. Wie sollte sie es da den Kindern erklären?
Trotzdem versuchte sie es. »Vati muss doch für uns Geld verdienen.«
»Auch abends?« Ungläubig schaute Marco zu seiner Stiefmutter, die er für seine richtige Mutti hielt und über alles liebte, auf.
Nicole saß auf Melissas Schoß. Sie interessierte es gar nicht so sehr, ob der Vater Zeit hatte oder nicht. Hauptsache, die Mutti war immer da und hörte sich alle ihre Sorgen an.
Das tat Melissa auch, und zwar mit aller Liebe und Fürsorge, deren sie fähig war.
»Manchmal müssen Väter auch abends arbeiten«, sagte Melissa zu dem vierjährigen Marco, der eigentlich schon viereinhalb war.
»Aber früher musste er auch nicht abends arbeiten«, erklärte Marco aggressiv. Er verübelte es dem Vater immer noch, dass er so herzlos auf Bellos Tod reagiert hatte. Bello war doch so lieb gewesen und hatte niemandem etwas getan.
»Bäckst du wieder einen Kuchen, Mutti?« Nicole tunkte schnell den Finger in die Backschüssel und leckte ihn ab. »Mm, schmeckt gut.«
»Das wird eine Torte«, verriet Melissa ihr. Sie beschäftigte sich genauso gern mit der Hausarbeit wie mit den Kindern, weil es genau das war, was sie sich immer gewünscht hatte. Sie hatte immer ein schönes Haus haben und eine große Familie versorgen wollen. Schon mit siebzehn war das ihr Traum gewesen. Aber das Schicksal hatte sie damals in eine andere Bahn gelenkt. Es hatte ihr nicht den ersehnten Traummann und viele Kinder beschert, sondern eine steile Karriere als Mannequin. Sie war von allen beneidet worden, obwohl sie sich als Topstar gar nicht wohlgefühlt hatte. Doch dann hatte ihr der Arzt eines Tages gesagt, sie werde nie eigene Kinder bekommen können. Das war der schwerste Tag ihres jungen Lebens gewesen. Von diesem Tag an hatte sie wie besessen gearbeitet und noch mehr Erfolg gehabt als zuvor.
Das war ihr Leben gewesen, bis sie Bernd kennengelernt hatte, einen Witwer mit zwei Kindern – dem einjährigen Marco und dem Baby Nicole. Bernd hatte eben erst seine Frau verloren gehabt und nicht gewusst, wohin mit den Kindern. Noch dazu besaß er nicht das geringste Talent, mit Kindern umzugehen. Er hatte sie in ein Heim geben wollen. Das hatte Melissa als einen Wink des Schicksals betrachtet. Sie hatte den Witwer mit den beiden Kindern geheiratet – und alle hatten sie daraufhin für verrückt erklärt.
Eine Freundin hatte das damals so ausgedrückt: »Du bist ungeschickt, Melissa. Mit deinem Aussehen und deinem Erfolg kannst du jeden Mann bekommen, den du nur haben willst. Auch einen Millionär, einen Prinz! Und was machst du? Du heiratest einen Witwer mit zwei Kindern. Einen kleinen Immobilienmakler.«
Die Freundin hatte verständnislos den Kopf geschüttelt.
Doch Bernd hatte Melissa das geben können, wonach sie sich gesehnt hatte: Kinder. Zwei niedliche lebhafte Kinder, die sie selbst niemals hätte zur Welt bringen können. Sie war glücklich gewesen.
Als Bernds Geschäft dann floriert und er das schöne Haus gekauft hatte, war ihr Glück vollkommen gewesen. Zwar war Bernd weder ein idealer Ehemann noch ein idealer Vater, aber er hatte immer für seine Familie gesorgt. Und Melissa hatte ja die Kinder gehabt. Diese beiden quicklebendigen kleinen Rangen, die sie über alles liebte.
An all das dachte Melissa jetzt, während sie mit Marco und Nicole in der Küche saß und eine Torte buk.
»Wird es eine Schokoladentorte?«, fragte Nicole.
»Es wird eine Schokoladentorte«, bestätigte Melissa. Sie wusste, dass Nicole Schokoladentorte am liebsten aß.
»Aber tu wenigstens ein paar Nüsse hinein«, bettelte Marco. »Ich esse so gern Nüsse.«
»Dort in der bunten Dose sind noch welche«, sagte Melissa lächelnd. »Die könnt ihr aufessen.«
Marco griff sofort nach der Dose, doch Nicole zog sie ihm weg. Prompt landete der Inhalt auf dem Küchenfußboden.
Lachend bückte sich Melissa, um den Kindern beim Einsammeln zu helfen.