Wer ist dein Gott? - Vitus Seibel - E-Book

Wer ist dein Gott? E-Book

Vitus Seibel

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Beschreibung

Der Jesuit Jorge Bergoglio verfasste zu seiner Priesterweihe ein persönliches Glaubensbekenntnis. Es ist in diesem Buch ebenso vertreten wie das des hl. Ignatius und das 75 anderer Jesuiten. Sie alle schreiben in je eigener Weise über ihren Gottesglauben und seine Geschichte. Und dies hinein in eine Zeit, die ganz gut ohne Gott auszukommen scheint, in der Gott nur noch in rituellen Nischen vorkommt, Glaube Privatsache ist. Umso wichtiger bleibt für Sinn- und Wahrheitssucher die Frage: Wer ist dein Gott??

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Vitus Seibel (Hg.)

Wer ist dein Gott?

77 Jesuiten geben eine persönliche Antwort

Ignatianische Impulse

Herausgegeben von Stefan Kiechle SJ, Willi Lambert SJ und Martin Müller SJ

Band 80

Ignatianische Impulse gründen in der Spiritualität des Ignatius von Loyola. Diese wird heute von vielen Menschen neu entdeckt.

Ignatianische Impulse greifen aktuelle und existentielle Fragen wie auch umstrittene Themen auf. Weltoffen und konkret, lebensnah und nach vorne gerichtet, gut lesbar und persönlich anregend sprechen sie suchende Menschen an und helfen ihnen, das alltägliche Leben spirituell zu deuten und zu gestalten.

Ignatianische Impulse werden begleitet durch den Jesuitenorden, der von Ignatius gegründet wurde. Ihre Themen orientieren sich an dem, was Jesuiten heute als ihre Leitlinien gewählt haben: Christlicher Glaube – soziale Gerechtigkeit – interreligiöser Dialog – moderne Kultur.

Vitus Seibel (Hg.)

Wer ist dein Gott?

77 Jesuiten geben eine persönliche Antwort

echter

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2018 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter.de

E-Book-Herstellung und Auslieferung:, Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

ISBN

978-3-429-04499-2 (Print)

978-3-429-04991-1 (PDF)

978-3-429-06401-3 (ePub)

Inhalt

Zur Einführung (Vitus Seibel)

Wen spreche ich an? (Hans Abart)

Die Weltformel des Glaubens (Beat Altenbach)

Mein Sein in seinem Sein (Anton Altnöder)

Gott des Alltags (Lukas Ambraziejus)

Der Gott meiner Freiheit und Verantwortung (Peter Balleis)

Gott – fern und nah (Andreas Batlogg)

Du führst mich hinaus ins Weite (Axel Bödefeld)

Nimm dich nicht so wichtig! (Christian Braunigger)

Wenn ich Gott sage … (Hermann Breulmann)

Wir und Gott: nüchternes Feststellen und jubelnder Dank (Norbert Brieskorn)

Mein Gott für die anderen (Jörg Dantscher)

Du, mein Gott (Stefan Dartmann)

GOTT – abwesend und gegenwärtig (Robert Deinhammer)

Das sich entäußernde Geheimnis (Bertram Dickerhof)

Gott, mein Gott bist du, dich suche ich (Klaus Dietz)

Der Gott meines Alters hat mich mit dem Gott meiner Jugend versöhnt (Pierre Emonet)

Mit Gott die Verantwortung teilen (Reinhold Ettel)

Mensch sein – nach Gott fragen (Bernd Franke)

»Gott gibt es nicht« (Markus Franz)

Vom »lieben Gott« zum Gott Jesu (Eckhard Frick)

Wie kann ein allmächtiger Gott so viel Leid zulassen? (Eberhard von Gemmingen)

Nicht nur moralisch – nicht nur gerecht (Thomas Gertler)

Der Gott der Gegensätze (Marc-Stephan Giese)

»Erfüllt sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit«? (Bernhard Grom)

Gott und die weißen Buchstaben (Walter Heck)

Gott – eine persönliche Langzeitstudie (Bernhard Heindl)

Du bist der Gott des Lebens (Dag Heinrichowski)

Der Gegenwärtige (Ex 3,14) (Christian Herwartz)

Gott erweitert meinen Horizont (Ludger Hillebrand)

Gerade auf krummen Wegen (Eugen Hillengass)

»Ich bin mitten inne« (Gundikar Hock)

Gott des Lebens (Werner Holter)

»Wie ein Freund mit seinem Freunde« (Ludger Joos)

»Geh deinen Weg vor mir …« (Karl Kern)

»Wohin führt dein Weg?« (Feri Kiss)

Wer ist »Gott«? (Peter Knauer)

»Segne uns, du dunkler Gott!« (Bernd Knüfer)

Er macht eine gute Geschichte daraus (Felix Körner)

Gott – eine Vertrauenssache (Wendelin Köster)

Vom Kopf in das Herz (Matthias Kramm)

Glauben heißt: Die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang aushalten (K. Rahner) (Hermann Kügler)

Erfahrungen machen mit Gott (Christian Kummer)

Quelle des Lebens und der Liebe (Erhard Kunz)

Aus dem Staunen nie herausgekommen (Willi Lambert)

Niemand hat Gott je gesehen (Hans Langendörfer)

Mein Gedankenexperiment (Stephan Lipke)

Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde (Gen 1,1) – Prinzip und Fundament (Werner Löser)

Gott – ein glühender Backofen voller Liebe (Martin Maier)

Dreifaltig einer (Sebastian Maly)

Geheimnis meines Lebens (Josef Maureder)

Der bettelnde Herr (Klaus Mertes)

»… und in Ehrfurcht vor ihn treten« (Franz Meures)

In die Welt – in die Kirche – zum Kern meiner Persönlichkeit (Paul Oberholzer)

Er wird mir noch große Dinge zeigen (Claus Pfuff)

»Erwägen, wie Gott in den Geschöpfen wohnt« (Friedo Ricken)

Der Gott des Lebens (Hans-Martin Rieder)

Gott erscheint mir immer mehr wie in der Bibel (Christian Rutishauser)

So ist Gott nicht … (Georg Sans)

Alles meinem Gott zu Ehren … (Otto I. Schabowicz)

»Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit« (2 Kor 3,17) (Josef Schmidt)

Mehr und anders: Gott (Wolf Z. Schmidt)

»Mit Gott wird man nicht fertig« (Josef Schuster)

»Reife Naivität« (Vitus Seibel)

Alles, aber nicht Gott (Johannes Siebner)

Die Zumutung (Christoph Soyer)

»Kopf hoch!« (Tobias Specker)

Der zurücksetzt und der voranstellt (Georg Sporschill)

Gott braucht mich nicht (Dominik Terstriep)

Aus der Quelle entspringt ein Fluss (Josef Thorer)

Im Dienen hier begegnest du mir! (Christian Troll)

Wie mit tausend Fingerspitzen (Joe Übelmesser)

Dein Reich komme (Klaus Väthröder)

Kein Gott der Philosophen? (Heinrich Watzka)

Christus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes (Kol 1,15) (Ossi Wopperer)

Anders als gedacht (Hans Zollner)

Vom Blick eines liebenden Gottes durchdrungen Das Credo von Jorge Bergoglio

Vom Gottesweg des Ignatius von Loyola Worte des ersten Jesuiten – ausgewählt und kommentiert von Willi Lambert

Zur Einführung

Als ich meine Mitbrüder gebeten habe, mir einen Beitrag für dieses Buch zu schreiben, war mir bewusst, dass dies keine leicht zu erfüllende Bitte ist. Dass sich Jesuiten über Gott äußern, ist zwar nicht verwunderlich. Es gehört von Berufs wegen ins Zentrum ihrer Aufgaben. Aber wie sie es hier tun, übersteigt die gewöhnlichen Erwartungen. Es geschieht sehr persönlich, sehr offen, gar nicht überheblich, herzlich, bewegt und bewegend oder auch angefochten.

Es sind erstaunliche Zeugnisse geworden – wie auch schon in zwei vorausgehenden Bänden dieser Reihe: »Was bedeutet dir Jesus Christus?« (Nr. 33) und »Wie betest du?« (Nr. 68).

Jesuiten öffnen ihr Herz und geben Einblick in ihr Inneres. Da ist von Lobpreis die Rede, aber auch von unausweichlichen Fragen, vom tragenden Fundament bis hin zu schweren Erschütterungen dieses Fundaments, von der sich durchhaltenden Freude und von der Last des Leidens, von Gottesbildern und dem davon verschiedenen Geheimnis Gottes, vom Finden Gottes in allen Dingen bis zu offen bleibender Ratlosigkeit, von vorgegebenen Formulierungen bis zum hilflosen Stammeln, von Anstrengungen des Verstandes bis zur Ahnung von Mystik, von kindlicher Hingabe bis zu abgründigen Dunkelheiten, von vertrauter Begegnung bis zu demütiger Ehrfurcht, von tapferen Bekenntnissen bis zum Verstummen vor dem ganz Anderen.

Und immer wieder Jesus als Offenbarer des Vaters, als Antlitz des lebendigen Gottes, als Abstieg aus der Ewigkeit in die unbegreifliche Nähe der Brüderlichkeit und Gefährtenschaft. In der Nachfolge des Gekreuzigten geschehen Teilhabe an seinem Geist der Liebe und der Barmherzigkeit und die Anbetung der heiligsten Dreifaltigkeit.

Hilfen auf dem Glaubensweg werden genannt. Da sind vor allem Begebnisse und Worte der Heiligen Schrift. Dann auch Aussprüche von Heiligen. Und auch wichtige Menschen werden zitiert, die hilfreiche Formulierungen gefunden haben. Karl Rahner ist für manche einer unter ihnen. Die einen schildern Entwicklungen in ihren Lebensphasen, andere greifen eine bestimmte Thematik auf, die ihnen wichtig ist. Das ignatianische Erbe der Unterscheidung der Geister ist ebenso bemerkbar wie das Einbetten der Erkenntnisse in eine ehrliche Gebetspraxis.

Fast überflüssig zu sagen, dass es bei diesen Fragen um das zentrale Ringen aller Christen geht, nicht um konfessionelle Abgrenzungen.

Das Buch verdankt sein Entstehen der Anregung meines Mitbruders Willi Lambert. Er stellt auch in einem eigenen Beitrag die Verbindung her zwischen dem Gott unseres Ordensvaters, des hl. Ignatius, und den Prägungen, die wir in seiner Gründung empfangen haben.

In allen Computerfragen hat mir mein Mitbruder Gundikar Hock (wieder) geholfen.

Meine Hoffnung ist, dass die Zeilen dieses Bandes Anregungen für die Leserinnen und Leser sein mögen, um die Spuren Gottes im eigenen Leben neu und vertieft zu entdecken.

Vitus Seibel SJ

Wen spreche ich an?

Meine Mutter hat mir den Glauben an Gott beigebracht. Ich glaube nicht durch die obligatorischen Gute-Nacht-Gebete. Sondern durch ihr Verhalten in der Kirche. Ich war wohl gewollt dabei, aber nicht die Hauptsache. Die war geheimnisvoll vorne, wo ich nichts verstand. Die Aufmerksamkeit meiner Mutter und ihr Gesammeltsein haben mich beeindruckt. Ich kann mich gut daran erinnern.

So habe ich von klein auf an Gott zu glauben gelernt. An welchen Gott? Das kann ich mir nicht mehr so recht ins Gedächtnis rufen. Vielleicht so: Von Gott kommt die Welt, und er achtet auf ein gutes Verhalten. Das war der Anfang des Glaubens.

Im Laufe der Zeit hat sich vieles, vor allem gefühlsmäßig, angelagert. Wichtig waren mir Naturerfahrungen, vor allem die Berge, aber nicht nur. Weiter die Musik. Auch Erfahrungen im Gewissen bei guten Entscheidungen. Hinter allem wohl, aber kaum bewusst, das Gemochtsein in der Familie und bei Freunden. Das Leben war gut und dahinter stand ein guter Gott. Die Plausibilität des Gottesglaubens in meiner Lebensumgebung tat ihr Übriges.

Das Studium der Philosophie und Theologie brachte die Auseinandersetzung mit der grundsätzlichen Weltüberlegenheit Gottes. Immer deutlicher wurde mir, dass Gott nicht neben anderen Dingen »vorkommt«. Für mich hat vor allem Karl Rahner, innerlich davon bewegt, die Unbegreiflichkeit Gottes beschworen.

Lange hat mich die Frage beschäftigt: Wen spreche ich denn an, wenn ich bete? Ich habe keine Vorstellung von Gott. Aber komme ich ohne eine Vorstellung aus? Ich scheine auf irgendetwas angewiesen zu sein, auch wenn es noch so undeutlich ist. Ich meine, für mich etwas gefunden zu haben.

Ich lebe in der Welt. Sie ist mir gegeben. Etwas anderes habe ich nicht. Von ihr muss meine Vorstellung von Gott ihren Anfang nehmen. Ich nehme wahr, was vor mir ist, was ich in irgendeiner Weise berühre. Aber dann weite ich meine Aufmerksamkeit aus auf alles, was ist. Das Gesamte versuche ich zu umfassen. Auf das Dasein überhaupt gehen mein Blick und mein Empfinden: auf die Welt, in der ich lebe.

Ich bleibe dabei nicht stehen. Ich denke über die Welt hinaus. Geht das? Meine Erfahrung ist: Es geht. Es muss im Leben mehr als alles geben (Maurice Sendak). Genauer gesagt: Es ist nicht nur ein Denken. Darf ich es auch ein Fühlen nennen? Ich glaube ja, sonst würde ich mich dort, wo Gott ist, nicht zu Hause fühlen. Dann wird mir bewusst: Ich muss die Welt nicht verlassen, um Gott zu finden. Er ist in der Welt. Sie ist seine Sprache für uns. Alles spricht von Gott.

Und Jesus? Übersetzt er nicht den unbegreiflichen Gott ins Menschlich-Begreifliche? Aber ich komme nicht darum herum: Auch in ihm muss ich den unerforschlichen Gott zu ertasten suchen. Wo zeigt er sich? Es gibt Erstaunliches, vor allem seinen unbeirrt guten Blick auf die »Zöllner und Sünder«. Ihr Fehlverhalten billigt er nicht. Dennoch schaut er auf ihre kostbare Mitte, dorthin, wo ihr wahres Herz ist. Seine Klarheit und zugleich seine Zuwendung ohne jede Spur von Ablehnung ziehen diese Menschen an. Und so ist Gott. Das ist mehr als meine Versuche, mir Gott vorzustellen. Reicht ein Menschenleben, dass beides zusammenwachsen kann?

Hans Abart SJ, Neumarkt/Opf., geb. 1937

Die Weltformel des Glaubens

Gott ist Liebe. Zugegeben: Dieser Satz klingt nicht sehr originell. Und doch, je länger ich darüber nachdenke, desto weniger fällt mir etwas anderes ein. Der französische Jesuit François Varillon hatte einmal sinngemäß geschrieben: »Wenn ihr bei einem Streit um theologische Fragen nicht einseht, dass es letztlich immer um Liebe geht, dann lasst es sein … vorläufig.« Vielleicht ist es meine naturwissenschaftliche Prägung, aber ich bin je länger je mehr davon überzeugt, dass das Eigentliche, um das es im Glauben geht, nicht einfach genug sein kann. Und daher sind es vor allem zwei einfache Formeln, die seit ein paar Jahren meine Erfahrungen mit Gott erhellen und mein Reden über Gott prägen.

Die erste stammt vom verstorbenen irischen Jesuiten Michael Paul Gallagher, der uns die kürzeste Definition des Wortes »glauben« vorgelegt hatte: »Say yes to a yes!« Sag ja zu einem Ja! Nicht irgendwelche abstrakten Wahrheiten und Lehrsätze stehen im Zentrum des Glaubens, sondern eine Beziehung. Glauben heißt, sich auf den einlassen und auf den vertrauen, der zu mir ja sagt ohne Wenn und Aber. Und dieses bedingungslose Ja Gottes zur Welt und zu uns Menschen ist es, worum es im christlichen Glauben geht und was wir an Weihnachten feiern. Gott, der Schöpfer des Universums, wird selber Mensch in der konkreten Wirklichkeit unserer Welt. Und er tut dies nicht mit Pauken und Trompeten, sondern still und diskret in der Gestalt eines kleinen Kindes. In der gewaltlosen Erscheinung und in der wehrlosen Liebe dieses Kindes beginnt das, was am Kreuz seine Vollendung finden wird: die Offenbarung der Liebe und Barmherzigkeit Gottes durch das Lebenszeugnis von Jesus von Nazareth. Er möchte uns zeigen und erfahren lassen, wer er ist und wer wir sind für ihn. In der ganz konkreten Begegnung mit Jesus erfahren sich Menschen als von Gott gesehen und wahrgenommen, als gekannt und anerkannt, als beim Namen gerufen und persönlich gemeint, als bedingungslos bejaht und geliebt.

Hier kommt die zweite Formel ins Spiel, die ich dem amerikanischen Franziskaner Richard Rohr zu verdanken habe. Er hatte 1998 in einem Vortrag in Zürich die wesentliche Aussage der Bibel in einem Satz zusammengefasst: »You are not o.k., but that’s o.k.!« Gottes Liebe stellt keine Bedingungen. Er fragt weder nach der Vergangenheit noch nach der Leistung. Seine Sehnsucht ist der lebendige, aufrechte Mensch. Er möchte mich frei machen von allem, was mich am Leben hindert. Und er tut das nicht etwa, indem er einfach ignoriert, was alles nicht o.k. ist. Nein, er nimmt meinen jeweiligen Ausgangspunkt ernst mit allem, was verletzt, lebensfeindlich oder eben sündhaft ist. Und weil er mich – wie es Papst Franziskus so schön ausdrückt – auch als Sünder anschaut und dennoch o.k. findet, kann ich immer wieder neu meinen Weg mit ihm wagen, ohne an meinem dauernden Scheitern zu verzweifeln. Ja, Gott ist für mich die Erfahrung, dass da einer ist, der ja zu mir sagt, auch wenn ich einmal nein sage … ja selbst dann noch, wenn ich einfach nicht aufhören kann, nein zu sagen. Manche Naturwissenschaftler träumen von der letzten, einfachen Formel hinter aller Wirklichkeit, der Weltformel. Im Glauben habe ich sie gefunden: Gott ist Liebe.

Beat Altenbach SJ, Basel, geb. 1965

Mein Sein in seinem Sein

Als Kind begegnete mir Gott nur indirekt, durch die Bilder von Schutzengeln, die Brüderchen und Schwesterchen sicher über zerbrochene Holzbrücken über den tosenden Wildbach geleiten, oder als Herz-Jesu-Bildchen. Gott war einer, der mich beschützt, der für mich da ist und dem ich am Abend sagen durfte, wie gerne ich ihn habe, und den ich bat, auf mich aufzupassen, wenn ich schlafe. Die Kirche war der Ort, wo der liebe Gott wohnt, verborgen in einer goldenen Kiste über dem Hochaltar, in die niemand hineinsehen durfte. Deshalb gab es hinter der geöffneten Tür noch mal einen Vorhang, aber es gelang mir nie, einen Blick auf das Innere zu erhaschen. Wenn der Priester beim Gottesdienst mit dem Rücken zum Volk bei der Wandlung die Hostie hob, mussten alle nach unten blicken, und ich tat es so wie alle anderen. Gott war ein unnahbares Geheimnis.

Im Beichtunterricht zur Vorbereitung auf die Erstkommunion begegnete mir dann ein anderes Gottesbild: der allmächtige Vater, überall gegenwärtig, alles sehend (symbolisiert im Gottesauge über dem Hochaltar), vor dem es kein Entkommen gab. Er wusste alles: unsere geheimsten Gedanken; er wusste, wenn ich genascht hatte oder abgepflückte Blumen wegwarf, wenn ich gemein war oder gelogen hatte. Und er bestrafte mich, wenn ich auch nur gegen das kleinste seiner Gebote verstoßen hatte.

Das war ein Gottesbild, das mich lange begleitet und mir die Freude an Gott verdorben hatte. Es führte dazu, dass ich diesem Gott und seiner Kirche gegenüber eher ablehnend dastand. Wenn ich ihn rief, dann nur, wenn ich verzweifelt, einsam war, Hilfe brauchte. Aber in guten Zeiten wollte ich nichts von ihm hören, war er mir gleichgültig geworden. Nicht, dass ich nicht mehr an seine Existenz glaubte, aber er war mir nicht wichtig genug, um mich mit ihm zu beschäftigen.

Und dann, als es mir wieder einmal sehr schlecht ging, trat mir aus dieser Dunkelheit eine neue Wahrheit entgegen: ein liebender, ein verzeihender Gott, einer, dem ich trauen, vertrauen kann. Der mich so annimmt, wie ich bin, für den ich mich nicht verändern muss, um ihm zu gefallen. Aus dieser neu entdeckten »Liebe« wuchs eine neue Sehnsucht: mich ihm ganz in seinen Dienst zu stellen. Mein Leben änderte sich radikal. Ich trat in den Orden ein, um das zu leben und das weiterzugeben, was ich selber erfahren hatte, ein Geschenk, das ich teilen wollte.

Heute ist mein Gottesbild einfacher geworden, ja ich versuche alle Bilder, Gefühle, Vorstellungen auf ihn hin loszulassen. Gott ist Gott. Mein Sein in seinem Sein. Alles darf sein, auch ich in allem, so wie er mich geschaffen hat. Wenn Gott den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen hat, dann tritt er mir in jedem Menschen so entgegen, wie dieser ist, egal ob hässlich, schön, betrunken, voller Wut und Hass, hungrig, gleichgültig, satt, strahlend oder auch zweifelnd. In jedem Menschen kann ich seine Anwesenheit oder Abwesenheit spüren. Auch in meiner Angst oder Freude, ihnen zu begegnen. Durch Menschen spricht er zu mir, wenn er eine menschliche Stimme braucht. Oder ich spreche zu ihnen, wenn er ihnen etwas sagen will. Der Ort, wo Gott mir am nächsten ist, ist die Stille, in einer ganz einfachen, schlichten Gewissheit, dass er da ist. Nicht immer, aber immer wieder. Das genügt.

Anton Altnöder SJ, Nürnberg, geb. 1950

Gott des Alltags

Gott ist für mich derjenige, der mich bewegt hat, diesen Beitrag zu schreiben. Sonst hätte ich über Gott gar nichts zu sagen. Aber sobald Gott selbst sich meiner Vernunft, meines Herzens und meiner Hände bedient, habe ich sehr wohl etwas über ihn zu sagen. Deshalb soll hier die Rede nicht von Gott sein, sondern mit Gott. Wenn ich also überhaupt etwas über Gott zu reden vermag, dann nur in der Form des Dialogs.

Gott ist stets erwartungsvoll. Er ist immer interessiert, etwas über mich und mein Leben zu erfahren. Es klingt ein wenig paradox, aber gewiss. Gott freut sich über jede freudige Geschichte, die ich ihm »erzähle«, als ob er sie zum ersten Mal hörte. Wenn ich voll Kummer mit meinen Klagen vor ihn trete, dann zeigt er sich zutiefst bewegt. Wenn ich schwach und schweigsam seine Gegenwart suche, dann ist er da, mir seinen stillen Beistand zu leisten. Gott ist mir also zunächst ein ganz zarter, feinfühliger Freund. Gott, der erhabene und alles Verstehen und Vorstellen übersteigende Schöpfer des Universums, macht sich für meine Bedürfnisse vollkommen verfügbar. Diese meine Bedürfnisse werden fast immer einwandfrei erfüllt. Und zugleich fast immer in einer Art und Weise, wie ich mir das selbst nie ausdenken könnte. Dann bleibt mir am Ende des Tages nur noch ein großes mit Dankbarkeit erfülltes Staunen.

Gott ist aber nicht nur ein Empfänger, der nur auf meine Initiativen reagiert, sondern vielmehr ein ganz aktiver Geber. Er ist überhaupt die Motivationsquelle, die mich bewegt, eine Initiative aufzugreifen und ihn zu suchen. Er sucht mich also, indem er versucht, mich zum Suchen nach ihm zu bewegen. Das fällt ihm nicht immer sehr leicht, weil ich manchmal ganz schön stur sein kann. Aber er ist doch Gott, er schafft das.

Gott ist gegenwärtig. Das bedeutet für mich, dass er sich in meinem Leben finden lässt. Eine große Motivation, warum ich ein Jesuit geworden bin, war, mein Leben zu verleugnen und dafür nur Gott zu suchen. Aber mit der Zeit hat mich diese Suche nach Gott in mein Leben zurückgeführt, wenn auch mit ganz anderen Augen. Gott hat mir gezeigt, dass er mir in der Wirklichkeit begegnen möchte, und deshalb suche ich jeden Abend diese Wirklichkeit, wenn ich die Hände zusammenfalte und einen Rückblick auf den vergangenen Tag werfe. Dort zeigen sich mir Gespräche, Begegnungen, Erkenntnisse, Gefühle, Stimmungen usw., die eine bestimmte Botschaft über mich selbst und über Gott in sich bergen. Diese Botschaften sind Ermutigungen oder Bestätigungen, die mich in diese oder jene Richtung zu bewegen bzw. die schon eingeschlagene Richtung zu bewahren versuchen. Mittlerweile gibt es jeden Tag eine solche Fülle an Botschaften, die von Gott geschenkt werden, dass ich, ganz überwältigt, meine Hände wieder entfalte und alle diese empfangenen Ermutigungen und Bestätigungen zurück in seine Barmherzigkeit vertrauensvoll versenke. Mich tröstet dann sein Wort: »Was ich in dir angefangen habe, werde ich auch vollenden.« Und dieses Wort richtet sich auch an jeden, der diese Zeilen liest.

Lukas Ambraziejus SJ, München, geb. 1995

Der Gott meiner Freiheit und Verantwortung

»Es standen mir mehrmals die Tränen in den Augen die letzten Tage. Ich bin einiges gewohnt und kenne viel, aber dies stößt wirklich an meine psychischen Kräfte. Was alles möglich ist in dieser Welt, überschreitet meine Denkkapazität. Menschen werden hier mit Füßen getreten, die MINUSCA schaut weg, und Menschenrechtsverletzungen werden noch nicht einmal dokumentiert, weil der Zugang zu den umkämpften Gebieten es nicht zulässt, Dörfer alle abgebrannt werden, die alten Menschen, die nicht mehr gehen können, werden in ihren eigenen Hütten verbrannt. Eine Katastrophe, die man sich nicht vorstellen kann. Sag mir bitte, wo ist unser Herrgott.«

Diese Frage stellt eine humanitäre Arbeiterin in der Zentralafrikanischen Republik in ihrer E-Mail an mich. Eine oft gestellte und schwer zu beantwortende Frage. Es ist weniger die Frage, wer Gott ist, sondern wo Gott ist. Vielleicht ist es besser, zu dieser Frage, die ein verzweifelter Schrei der leidenden Menschheit ist, zu schweigen. Die schreiende Gottesfrage hat viele Aspekte, und ich frage mich manchmal: Ist denn Gott immer dann verantwortlich, wenn wir Menschen diese Grausamkeiten und Katastrophen verursachen? Alles, was in der Zentralafrikanischen Republik geschieht, ist Menschen-gemacht. Gott – der abwesende Gott – wird als eine verzweifelte Erklärung herbeigezogen angesichts des völligen Versagens von Menschen in ihrer Freiheit. Wir Menschen halten den Abgrund der menschenmöglichen Barbarei nicht aus und brauchen wenigstens da noch den abwesenden Gott als Letztentschuldigung.

So verständlich diese Frage nach Gott sein mag, so bleiben Menschen – allein Menschen – verantwortlich für die vielen Gräueltaten und Unmenschlichkeiten, die anderen Menschen angetan werden. Es ist unsere gottgegebene menschliche Freiheit, die uns befähigt, so oder anders zu handeln. Wir sind verantwortlich für das, was wir tun oder nicht tun.

Gott bleibt für mich dieser Urgrund unserer menschlichen Freiheit und Verantwortung, der uns ernst nimmt in unserer Freiheit, auch wenn wir versagen und Unmenschliches tun. Aber gerade dort, in der menschlichen Katastrophe des völligen Versagens und der Eigenverschuldung des Menschen, ist Gott, der uns selbst in unserem Versagen auffängt. Da ist Gott in denen, die geschunden werden. Nirgendwo ist Gott mehr präsent als in den Leidenden, in den Gekreuzigten unserer Tage. Gott ist da im stummen Leiden. Aber wo ist der Mensch – der Mitmensch?

Peter Balleis SJ, Genf, geb. 1957

Gott – fern und nah

Der alte Mann mit wallendem weißem Bart fern oder über den Wolken – diese Erinnerung an Gott habe ich überhaupt nicht. Von (meist ungarischen) Sacré-Cœur-Schwestern religiös sozialisiert – Kindergarten und Grundschule im Kloster Riedenburg in Bregenz –, wurde ich anhand von großen, anschaulichen Schaubildern im Nazarenerstil mit Jesus vertraut gemacht: dem Heiler und Menschenfreund, dem Prediger und Meister, dem Freund. Auch wenn ich diese Tafeln heute kitschig nennen würde: Damals regten sie meine kindliche Phantasie an. So einer will ich auch sein – ein Jünger in der Nähe Jesu!

Gott spielte dabei keine große Rolle. Keine, an die ich mich erinnern kann. Das blieb lange so. Als Seminarist (1981/84) stand ebenfalls Jesus im Vordergrund. Bewusst wurde mir der Kontrast in den Gebeten, die sich an Gott richteten, etwa im Stundengebet, oder bei den Psalmen. Erst die Bibelschule in Nazareth und Jerusalem im Sommersemester 1984 brachte eine Horizonterweiterung: Am Sinai, auf dem Berg Horeb und im Katharinenkloster, fühlte ich mich – bei einem unglaublich klaren Sternenhimmel – Gott nahe: dem Schöpfer und Gestalter der Welt, auch wenn ich mich mitten in der Wüste vorfand. Die Psalmen, etwa Ps 8, begannen neu zu wirken. Ein Jahr später trat ich in Innsbruck in den Jesuitenorden ein.

Als mir mein hochverehrter Lehrer Walter Kern SJ empfahl, Karl Rahner SJ zu lesen, ihn selber, seine Texte, nicht Artikel über ihn, konnte ich anfangs mit dem »namenlosen«, »unergründlichen«, »schweigenden«, »fernen« Gott wenig anfangen. Das klang für mich zu abstrakt und zu unpersönlich – und kontrastierte stark mit meiner Heilig-Land-Erfahrung: mit den Augen Jesu sehen und staunen. Erst allmählich, zunächst eher auf der intellektuellen Schiene, entdeckte ich Gott – als »Gott meines Herrn Jesus Christus«. Dass ich mit Jesus dem Christus zusammen vor Gott stehe, zu Gott, dem Vater und Schöpfer, bete, dass ich mich wie Jesus verloren und von Gott verlassen fühlen kann – das brachte mich in die Nähe Gottes. Er war plötzlich fern und nah zugleich. Und weil ich das IHS als »Iesum Habemus Socium« (Wir haben Jesus zum Gefährten) lese, bedeutet mir die Stelle im Kolosserbrief sehr viel: in Jesus »das Bild des unsichtbaren Gottes« (Kol 1,15) vor mir zu haben. Oder Joh 14,9: »Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.«

Etwas kam dazu: Gebete und Meditationen, liturgische Texte, in denen Gott Attribute zugesprochen wurden, die ihn »verfügbar« machen wollen, unbewusst oder bewusst, stießen mich mit der Zeit zunehmend ab als religiöser Kitsch. Vielleicht ist das eine Alterserscheinung. Die »Gras-und-Ufer«-Romantik, so lautstark ich sie als Jugendlicher mitsang, erschien mir unerträglich. So einen Kuschel-Gott wollte ich nicht (mehr). Die beiden Tagebücher von Fridolin Stier (»Vielleicht ist irgendwo Tag« und »An der Wurzel der Berge«) lösten ein gewaltiges Aha-Erlebnis aus und ließen mich Gott neu entdecken – als den nahen, mir innerlicher als ich mir selbst, wie Augustinus sagt, und als den fernen, unantastbaren Gott zugleich.