Wer ist hier gestört? - Oliver Igelbrink - E-Book

Wer ist hier gestört? E-Book

Oliver Igelbrink

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Beschreibung

"Wer ist hier gestört?" handelt von schwierigen Lebenssituationen und Problemen, welche die Charaktere irgendwie bewältigen müssen. Doch leider ist die Lage so verzwickt, dass auch die Figuren selbst häufiger die Hoffnung aufgeben. In der Geschichte wird die Thematik "Was ist Freiheit?" aufgegriffen.

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Seitenzahl: 228

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Danksagung

Ich danke DIR, dass du dich zum Erwerb dieses Buches entschieden hast und somit dazu beiträgst, dass meine Geschichte bekannter wird. Zudem möchte ich mich beim BoD-Verlag dafür bedanken, dass er jedem / jeder Autor / Autorin die Möglichkeit gibt, sein eigenes Buch kostengünstig zu veröffentlichen. Außerdem danke ich Annika Beerelsmann, welche mir unmittelbar die Zusage für die Veröffentlichung eines Artikels, der in meiner lokalen Zeitung erschienen ist, gegeben hat. Darüber hi-naus danke ich Acelya Soylu, welche das Cover für dieses Buch erstellt hat. Zu guter Letzt möchte ich mich bei meinen Freunden und Bekannten, welche mir Hoffnung und Ratschläge mit auf den Weg gegeben haben, bedanken. Falls auch DU schon immer ein eigenes Buch herausbringen wolltest, nimm dir die Zeit und tu es, bevor es zu spät ist!

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Ungewollter Umzug

Kapitel 2: Die Geschlossene

Kapitel 3: Eine heiße Hochzeit

Kapitel 4: Wahres Leiden

Kapitel 5: Waghalsig

Kapitel 6: Heirat, diesmal ohne Stress

Kapitel 7: Leandro von der Rolle

Kapitel 8: Comeback

Kapitel 9: Nachwuchs

Kapitel 1: Ungewollter Umzug

„Wer glotz mich denn da schon wieder aus der Ferne an?“, fragte sich der fünfunddreißigjährige und knappe zwei Meter große Aurelian, während er aus den Fenstern seiner Erdgeschosswohnung sah, wie er von seinen Nachbarn beobachtet wurde. Dies war nichts Neues, im Gegenteil, tagtäglich interessierten sich Schaulustige dafür, was dieses Mal in seiner Flimmerkiste mit HD-Qualität lief. Das lag daran, dass Aurelian sich gerne sehr spezielle Fernsehsendungen anschaute, solche, die man eigentlich, wenn überhaupt, nur ansehen sollte, wenn man die absolute Gewissheit allein zu sein, besaß. Aurelian konnte sehr ignorant sein, sodass er den nervigen Nachbarn bisher keinerlei Beachtung geschenkt hatte, aber jetzt platzte ihm der Kragen. Er stürmte nach draußen. „Was wollen Sie hier, verdammte Scheiße? Lasst mich in meiner Wohnung doch einfach machen, was ich will!“, rastete er so stark aus, dass es seinen Stimmbändern nicht guttat. Ohne ihre Gefühlslage zu offenbaren, zogen die beiden älteren Nachbarn ab. „Meine Fresse!“, fluchte Aurelian, dann widmete er sich wieder dem Fernseher zu. Seine Finger waren voller Fettflecken, die daraus resultierten, dass er sich haufenweise Chips reinschob. Einen Job besaß Aurelian nicht, obwohl er keineswegs dumm war. Das Abitur hatte er solide gemeistert, ohne auch nur einmal für eine Klausur zu lernen. Er wollte das Leben genießen, was für ihn bedeutete, dass er jederzeit nur das machte, was ihm lieb war und keinen ätzenden Job antreten oder ein Studium, wo außer ihm bestimmt nur Leute wären, die keine Ahnung von den wirklich wichtigen Dingen des Lebens hätten, zu absolvieren. Als er am übernächsten Morgen die Fernsehzeitung durchstöberte, klingelte es an seiner Haustür. Gespannt, wer da was von ihm wollen würde, öffnete er. „Wir müssen Sie mitnehmen, Herr Xen. Ihre Nachbarn haben uns darauf aufmerksam gemacht, dass sie zu auffälligen Verhaltensweisen neigen!“, sagte eine Politesse zu ihm. Aurelian konnte es nicht fassen, er war doch extra in diese ruhige Gegend gezogen, damit er mit keinem Menschen auf der Welt irgendwas zu tun haben müsste. Seine Angehörigen und Verwandten waren alle bereits verstorben und er wollte, nachdem er zahlreiche gleiche Tage in seiner Wohnung erlebt hätte, an diesem Ort sterben, ohne, dass ihm jemand Beachtung schenken würde. Vielleicht hätte er sich lieber eine Wohnung, die nicht im Erdgeschoss lag und ebenso wenig über große Fenster verfügte, ausgucken sollen. „Welche Nachbarn waren‘s denn? Zwei an die sechzigjährige, ein Mann und eine Frau mit Glubschaugen?“, machte sich Aurelian über die Situation lustig. „Wir legen Ihnen jetzt Handschellen an!“, sagte ein kräftiger Polizist, welcher seine Kollegin begleitete. „Die meinen das ja wirklich ernst!“, realisierte Aurelian, der sich schon gefragt hatte, ob heute Karneval war und die da vor ihm ein paar Jugendliche, die das immer noch cool fanden, waren. „Nimm das weg von mir!“, brüllte er den Polizisten, welcher gerade versuchte ihm die Handschellen anzulegen, an. Jetzt griffen die Bullen hart durch. Sie zerrten Aurelian auf den Rücksitz ihres Streifenwagens, die Frau nahm neben ihm Platz und behielt ihn im Auge. „Werde ich jetzt zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt?“, fragte er.

„Nein. Sie kommen nicht in den Knast!“

„Warum muss ich dann bei Ihnen mitfahren, ne Geldstrafe hätte ich auch so zahlen können, ich hab ne Menge Knete!“

„Das freut mich für Sie!“, meinte der Polizist. „Gummiknete?“, nuschelte die Polizistin vor sich hin, denn Aurelian sah nicht wohlhabend aus, er trug eine No-Name-Jogginghose und auch sonst kam seine Kleidung eher billig daher. Aurelian räusperte sich, weil der Polizist noch nicht auf seine Frage geantwortet hatte. „Sie werden zwangseingewiesen!“, sagte der, mit großer Neugier, wie die Reaktion seines Mitfahrers ausfallen würde. „Wie zwangseingewiesen?“, fragte Aurelian. „In die Psychiatrie!“, meinte die Polizistin, welche sich um eine besänftigende Tonlage bemühte, da sie davon ausging, dass Mr. Xen gleich sicher wieder ausrasten würde. „Warum das denn?“, fragte Aurelian, der sich nicht sicher war, ob sie ihn gerad veräppelten. „Es liegt der Verdacht vor, dass Sie ihre Mitmenschen und gegebenenfalls auch sich selbst gefährden könnten!“, gab der Polizist am Steuer von sich. „Das ich nicht lache! Die gefährden meine Ruhe!“, meckerte Aurelian. „Verfügen Sie denn überhaupt über die Befugnisse, mich zwangseinzuweisen?“, hakte Aurelian bei der blonden Politesse neben sich nach. „Ja, wenn Sie damit nicht einverstanden sind, werden Sie allerdings innerhalb von achtundvierzig Stunden einem Richter vorgeführt, der dann darüber entscheidet!“, klärte diese ihn auf. „Super, dann veranlassen Sie das bitte direkt!“, befahl Aurelian, womit er klarmachte, dass er sich auf keinen Fall in die Klapse begeben würde. Warum auch? Er neigte dazu, schnell laut zu werden, aber von psychischen Beeinträchtigungen war er gänzlich frei. „Wie Sie meinen!“, sagte der Polizist, welcher, ohne das Blaulicht eingeschaltet zu haben, einfach über eine rote Ampel fuhr. „Was ist das denn für‘ n Vogel?“, dachte Aurelian. Aber das sprach er lieber nicht laut aus. „Die sieht ja hässlich aus!“, sagte Aurelian, womit er nicht die Frau mit Hakennase, welche ihnen über den Weg lief, sondern die Fassade der Nervenheilanstalt meinte. „Wann bekomm ich denn meine Anhörung?“, grunzte er die Polizistin, welche mit ihm durch die Gänge der Psychiatrie lief, an. „Morgen Abend, 20:00 Uhr!“, sagte die mit einem Lächeln auf den Lippen. „Wollen Sie mich verarschen? Ich muss ernsthaft eine Nacht und einen ganzen Tag in dieser Irrenanstalt verbringen?“, meinte er mit verschärfter Miene. „Mindestens!“, antwortete sie und zwinkerte ihm zu. Aurelian kam in sein Zimmer, aber es war nicht nur sein Zimmer. Vier Betten standen hier, besetzt wurden sie von drei Kindern und Jugendlichen, die an starken Depressionen oder schlimmen Aufmerksamkeitsdefizitstörungen litten. Er legte sich auf sein Bett, das sein Gewicht kaum tragen konnte. Keine Sekunde verging geräuschlos, der absolute Horror für Aurelian, auch die Kopfhörer, welche er sich felsenfest in seine Ohren gesteckt hatte, halfen nicht. „Wer bist du?“, fragte ihn einer seiner Zimmergenossen. Aurelian wusste nicht, wie er am besten mit solchen Leuten sprechen sollte, daher gab er sich distanziert: „Nicht so wichtig, bin eh nur noch bis morgen Abend hier!“ Um Punkt acht am darauffolgenden Tag stand die Verhandlung an. In der Nacht hatte Aurelian kaum Schlaf finden können, vielleicht ganz gut, da er dann eventuell zu übermüdet für seine Ausraster wäre, die er sich beim Gespräch mit der Richterin bestimmt nicht verkneifen könnte, wenn diese ihn, mit aus seiner Sicht vollkommen hohlen Behauptungen, konfrontieren würde. „Guten Abend, alles gut bei Ihnen?“, fragte die konservativ angezogene Richterin. „Den Umständen entsprechend!“, sagte Aurelian, womit er ihr gleich unterschwellig signalisieren wollte, dass er definitiv nicht hier hingehöre. „Kann ich jetzt nach Hause?“, fragte er verwundert, da die Richterin nichts weiter sagte.

„Nein, die Kollegen von der Polizei haben mir von ihrer verbalen Entgleisung gegenüber den Nachbarn erzählt!“

„Ich gebe ja zu, dass ich mich da nicht korrekt verhalten habe. Aber wegen so einem Mumpitz wird man doch nicht zwangseingewiesen?“, sagte Aurelian, der sich schon freute, weil er sicher war, dagegen könne die Richterin nicht argumentieren. „Wegen so einer Kleinigkeit wird man auch nicht eingewiesen, ein Nachbarschaftsstreit?“, dann hätte ich ja schon hunderte Male das Vergnügen gehabt!“, merkte sie launisch an. „Dann würde ich jetzt nach Hause fahren!“, meinte er, nachdem die Richterin wieder nichts weiter gesagt hatte. „Nein, wenn nur das mit den Nachbarn vorgefallen wäre, hätte ich Sie direkt entlassen und die Gesetzeshüter angepfiffen, warum sie mich mit so einem Schmarrn belästigen. Jedoch haben Sie sich meinem Kollegen widersetzt, als dieser versucht hat ihnen Handschellen anzulegen. Dies in Verbindung mit ihrer aggressiven Art macht Sie zu einer potenziellen Gefahr für ihre Mitmenschen und ihre eigene Wenigkeit. Deshalb bleiben Sie in der Psychiatrie, bis Sie keine Gefahr mehr darstellen!“, ordnete die Richterin mit deutlicher Stimme an. „Ich glaub, es hackt!“, schrie Aurelian, der sich bis hierhin extra ruhig verhalten hatte, aber das übertraf seine Grenze der Akzeptanz. Ohne ein weiteres Wort ging die Richterin, Aurelian ging auch, und zwar durch sämtliche Gänge des Gebäudes, doch er kam hier nicht raus, die Türen waren verschlossen. Widerwillig begab er sich zurück auf sein Zimmer, der Fußboden lag voll. „Die Kinder haben scheinbar noch nie was von Mülleimern gehört!“, dachte er sich. Kaputt legte er sich in die Kiste, komischerweise war er allein. Anstatt zu viele Gedanken daran zu verschwenden, genoss er es einfach, eine harte Zeit stand ihm bevor. Wenigstens Ausschlafen ließen sie einen hier. Er hatte schon befürchtet, dass morgens um sieben eine Person in ihr Zimmer käme, die sie aufweckte und zu eiskaltem Wasser greifen würde, sollte einer wie ein Stein weiter pennen. „Cool, du hast ja dein Frühstück ans Bett gebracht bekommen!“, sagte er zu einem Jungen, der gegenüber von ihm lag, während er noch mit dem Wachwerden zu kämpfen hätte. „Nein, das musst du dir aus der Kantine holen!“, sagte der Junge mit zarter Stimme. Aurelian musterte ihn. „Gestört sieht der nicht aus! Vielleicht geht’ s hier noch mehr Leuten so wie mir und ich bin nicht der Einzige, der bloß wegen Schikane hier ist!“, überlegte er. „Dann will ich mich mal auf die Socken machen!“, sagte er und lief in die Kantine. „Hier gibt‘ s ja nur noch Brot. Die Butter ist alle!“, stellte er fest. Der Teller, den er sich geschnappt hatte, um darauf sein morgendliches Festmahl zu platzieren, blieb leer. „Hast du denn gar keinen Hunger?“, fragte der Junge, als er wieder ins Zimmer hereinkam. „Doch schon, aber gibt nichts Vernünftiges mehr!“, sagte er. „Der frühe Vogel fängt den Wurm!“, meinte der Kleine, während er einen schmackhaften Bissen von seinem Croissant, dass er mit hausgemachter Marmelade bestrichen hatte, nahm. Um seine Freiheit wurde er schon betrogen und jetzt auch noch so’ n kleiner Wicht, der einen auf Besserwisser machte. Aurelian war angepisst. „Willst du mein Müsli haben?“, fragte der Junge, welcher einen schüchternen Eindruck auf ihn machte. „Kannst du ruhig selber essen!“, sagte Aurelian, dem es sicher auch nicht schaden konnte, die ein oder andere Mahlzeit hin und wieder auszulassen. Von seiner Anti-Haltung gegenüber den anderen Menschen war er zwar nicht abgerückt, aber ihn interessierte schon, wie seine Zimmergenossen so tickten. Außerdem könnte er sie missbrauchen, indem er sie erpressen würde, morgens das beste vom Frühstücksangebot für ihn zu beschaffen. Aber das war nicht seine Art, für Jugendliche hatte er noch am meisten Verständnis, da er sich daran erinnerte, wie schwierig diese Phase damals für ihn selber war. Sein Abitur hatte er solide gemeistert, ohne auch nur einmal für eine Klausur zu lernen, doch alle seine Angehörigen und Verwandten, die in seinem Fall lediglich aus einer Tante und deren Tochter bestanden, waren bei einem Amokanschlag ums Leben gekommen. Damals war er tieftraurig darüber, aber nachdem er den Schock verdaut hatte, freute es ihn, dass er nicht mehr zu Weihnachten an Familienfeiern, auf die er gar kein Bock hatte, teilnehmen oder seiner cholerischen Tante bei deren Steuererklärung helfen musste. War es Karma, dass er jetzt mit zahlreichen Personen seine Zeit verbringen musste? „Warum seid ihr eigentlich hier?“, fragte er. Ein sechzehnjähriges Mädchen, welches das Bett über ihm hütete, erzählte ihm, dass sie bereits fünf Suizidversuche hinter sich hatte. Warum? Das wollte sie ihm nicht verraten. Sie hatten sich gegenseitig noch nicht gesehen, nur wusste Aurelian, dass sie ihn offenbar für genauso gefährdet wie ein Mädchen, das bereits mehrfach zum Messer gegriffen hatte, hielten. „Und warum bist du hier?“, fragte ein zwölfjähriger Junge. Oder war es ein Mädchen? Aurelian wusste es nicht. Genauso wenig wusste er, was er antworten sollte. „Wenn ich erzähle, dass ich hier bin, weil ich mich einem Beamten wiedersetzt habe, lachen die mich aus und obendrein bin ich dann noch ein schlechtes Vorbild!“, grübelte er. „Auf der anderen Seite merken Sie dann, wie die Welt abläuft. Dass man sich seine Nachbarn nicht aussuchen kann!“, fand er auch Argumente, die dafürsprachen, dass er einfach die Wahrheit erzählen sollte. „Bin hier, weil ich nicht wollte, dass mir ein Cop Handschellen anlegt!“, antwortete er dem Jungen, der bereits nachgehakt hatte. „Bist du ein Schwerverbrecher?“, fragte das Mädchen über ihm. Die Blicke der beiden Jungs visierten ihn an. „Nein, keine Sorge.“ „Meine Nachbarn sind Schuld, dass ich hier bin!“, sagte er dann nach einer kleinen Atempause. „Immer sind es die Nachbarn!“, meinte der ältere der beiden Jungs. „Ähm?“, wollte er fragen, aber der Junge drehte völlig durch: „Nachbarn. Immer die scheiß Nachbarn. Nachbarn, Nachbarn, pfui Nachbarn!“, hörte man es laut durch die ganze Anstalt. „Hier!“, sagte der Junge, der unter ihm lag und ihm eine Tablette gab. „Danke!“

„Was haben deine Nachbarn denn getan?“, wollte der Junge, welcher vor ein paar Sekunden noch die ganze Psychiatrie angeschrien hatte, wissen. „Ähm, haben mich nicht das lassen tun, was ich gerne wollte!“, ließ Aurelian weitere Ausführungen bleiben. „Das heißt?“, fragte das Mädchen. Genau das wollte er doch vermeiden. Aber wem wollte er es verübeln, schließlich waren Kinder ja neugierig. „Die ganze Story erzähl ich euch, wenn ihr mir verratet, wie ich hier rauskomme!“, sagte er spaßeshalber, woraufhin sich die Jugendlichen verdutzt ansahen. „Wenn deine Eltern beziehungsweise deine gesetzlichen Vertreter der Meinung sind, dass du geheilt bist!“, sagte der Junge, bei dem seine Beeinträchtigungen unheilbar waren, was Aurelian natürlich nicht wusste. „Ich bin volljährig, normalerweise sollte ich selbst darüber entscheiden können, was ich in meiner Freizeit anstelle!“, sagte Aurelian jähzornig. „Kannst du doch auch. Erwachsene werden nicht gegen ihren Willen in die Klapse gesteckt!“, sagte das Mädchen, welches überlegte, was dieser Aurelian wohl so für ein Typ war. Sie kannte ihn wahrlich noch nicht lange, aber irgendwie war sie sich sicher, dass er ein Arbeitsloser sein musste. Sein Verhalten passte perfekt dazu. „Normalerweise nicht!“ „Aber was ist schon normal?“, dachte er sich, wobei er fast vergaß, seine Antwort zu erklären. „Schon mal was von Zwangseinweisung gehört?“, fragte er dann. „Ja, aber das passiert nur bei wirklich schlimmen Fällen. Nicht einmal ich wurde eingewiesen!“, teilte das Mädchen mit. „Dann bin ich scheinbar einer von diesen Fällen!“, entgegnete Aurelian, der beobachtete, wie die Jungs ihre Bettdecken vor ihr Gesicht zogen. „Fürchtet ihr euch?“, sagte er einerseits belustigt, andererseits aber auch ernst, weil er ihnen keine Angst einjagen wollte. „Naja, du musst dann ja schon was ziemlich Schlimmes verbrochen haben!“, sagte einer der Jungen, welcher seine Bettdecke halb von seinem Gesicht weggezogen hatte. Statt darüber zu lachen, fühlte sich Aurelian wie ein zu Unrecht Beschuldigter. „Wird mich jeder hier für gefährlich halten, wenn ich erzähle, dass ich zwangseingewiesen wurde?“, schoss es durch seinen Kopf. Jedoch konnte es ihm egal sein. Er würde eh nicht mit anderen Personen, außer seinen drei Zimmergenossen, ein Wort wechseln. Zumindest hatte er sich das vorgenommen. Lang und breit schilderte er die ganze Geschichte, die anderen glaubten ihm und hatten sogar ein bisschen Mitleid. „Ich glaube, du bist nicht der Erste, der zu Unrecht hier ist!“, meinte der ältere Junge. „Wie meins‘ t denn das?“, horchte Aurelian nach. „Die Richterin, die Bullen. Die Mitarbeiter hier im Heim. Alle etwas sonderbar!“, ergänzte der zweite Junge. „Stimmt!“, kam es von Aurelian wie aus der Pistole geschossen, obwohl er noch keinen einzigen der Mitarbeiter kennengelernt hatte, was sich jedoch zwangsweise ändern sollte. „Wie heißt ihr eigentlich?“, fragte er. „Wir sind Teo und Theo!“, meinte einer von ihnen. „Ihr wollt mich doch aufs Kreuz nehmen! Wie soll ich denn da unterscheiden, wer wer von euch ist!“, meckerte Aurelian. „Ich bin der, wegen dem Neue nachts ihr Leben verfluchen!“, sagte Teo. „Außerdem ist unsere Schreibweise anders!“, meinte Theo. „Das hilft ja ungeheuer viel!“, gab Aurelian sarkastisch von sich. „Hilft es echt!“, meinte Theo, welcher an seiner Brille rumfummelte, weil diese mal wieder nicht richtig auf seiner kleinen Nase saß. „Scheiß Teil!“, sagte er in seiner tiefen Stimme und warf seine Sehhilfe emotionsgeladen in den Mülleimer. „Ihr kriegt es nicht geschissen den Müll eurer ganzen Süßigkeiten fachgerecht zu entsorgen, aber deine Brille wirfst du in den Mülleimer?“, maulte Aurelian ihn an, weshalb bei Theo eine Träne floss. „Du darfst nicht vergessen, wo wir hier sind!“, meinte das Mädchen. Nebenbei erwähnte sie, dass sie übrigens Isabelle heiße. „Sorry!“, sagte Aurelian und gab Theo die Hand, doch der nahm nicht an. „Bist du jetzt eingeschnappt?“, fragte er ihn. „Alles gut!“, sagte der Junge. „Und wie ist dein Name?“, Aurelian kam sich wie in einer Kennenlernrunde, wenn man in eine neue Klasse kam, vor. „Aurelian!“, antwortete er in aller Kürze. „Noch nie gehört!“, meinte einer der T(h)eos. „Du wirst auch schon bald nichts mehr von mir hören!“, entgegnete er. „Es ist hier doch sicher schon mal ein Zwangseingewiesener entlassen worden! Wie läuft sowas denn ab?“, fragte er todsicher, dass er nur noch wenige Tage seines Lebens an diesem Ort verbringen und in sein Zuhause mitsamt seinen geliebten Fernsehsendungen zurückkönnen würde. „Ich würde mal die Leitung fragen!“, sagte Isabelle, welche froh darüber wäre, wenn ihr neuer Zimmergenosse schnell wieder die Fliege machen würde. Sie teilte mit ihm, dass sie wenig für Menschen übrighatte, ihr Meerschweinchen war ihr heilig, doch das durfte sie hier nicht mithinnehmen. Auf Grund dessen, dass sie sich mehrmals das Leben nehmen wollte, würde ihr Haustier wohl längst gestorben sein, wenn sie wieder hier rauskäme. Sie bezweifelte, dass dies jemals der Fall sein würde. Isabelle wäre froh darüber, sie war jetzt mitten im Erwachsenwerden und hatte weder einen Schulabschluss, noch stand ihr eine Ausbildung in Aussicht. Zwar wurden in der Anstalt Ausbildungsplätze in der Küche angeboten, jedoch verbot man ihr sich darauf zu bewerben, da das mit ihrer Hintergrundgeschichte viel zu gefährlich für sie sei. Köchin wäre ohnehin nichts für sie gewesen, viel zu langweilig. Sie war kreativ, ihre Suizidversuche waren bis auf eine Ausnahme allesamt nicht gerade gewöhnlich, wenn man diese mit Suizidversuchen anderer Jugendlicher verglich. „Und wo finde ich diese Leitung?“, sagte Aurelian genervt. „Leitung. Hahaha. Schlechte Leitung!“, Teo hatte wieder einen seiner Anfälle. „Ich halt‘ s hier nicht mehr aus!“, dachte er sich und schlug mit der Faust auf sein Bett. „Alles gut bei Ihnen?“

„Bitte?“ Eine Betreuerin war in ihr Zimmer hineingekommen, ohne vorher anzuklopfen. „Oh, ja, alles gut bei mir!“, sagte er. „Wird schon alles gut!“, sagte die Betreuerin zu ihm, wobei sie klang, als würde eine Mutter zu ihrem Kind, das gerade in Tränen ausgebrochen war, sprechen. Es fehlte nur noch, dass sie ihm die Hand auf die Stirn auflegen würde. „Haben die hier noch nie was von Privatsphäre gehört?“, fragte er. „Das Problem ist, dass viele die hier sind sowieso nicht darauf reagieren würden, wenn die Betreuer vorher klopfen würden!“, meinte Isabelle. „Das ist ja ganz toll!“, sagte Aurelian und ließ die Matratze weiter seine Gefühlslage spüren. „Die Leitung ist immer sehr beschäftigt, da kannst du nicht ein Einzel-Date ausmachen!“, meinte Theo, der Aurelians Frage nicht vergessen hatte, was nicht selbstverständlich war, da bereits über zehn Minuten vergangen waren, seit dieser seine Frage gestellt hatte. „Aha!“, sagte Aurelian zunehmend frustriert. „Morgen siehst du ihn, insofern du da Bock drauf hast!“, meinte Isabelle. „Warum sollt ich da kein Bock drauf haben?“, fragte Aurelian verwirrt. War die Leitung etwa so schlimm? Wenn auch, geschlagen gab er sich in einer Diskussion sowieso nie. „Morgen Abend haben wir Sammelrunde! Da kommen alle zusammen und wir können sagen, wenn uns etwas auf dem Herzen liegt! Da ist dann auch der Chef anwesend!“, sagte Isabelle. „Das mögt ihr doch sicher gerne, wenn ihr mal mit anderen reden könnt, dürft ja sonst nur unter euch dreien Kontakt haben!“, meinte Aurelian, der allerdings begriffen hatte, warum Isabelle ihm sagte, „insofern du da Bock drauf hast!“

„Quatsch, erst labert die Leitung irgendeinen Dünnpfiff, der keinen interessiert, dann herrscht eine halbe Stunde Totenstille und dann verziehen sich alle wieder auf ihre Zimmer!“, sagte Isabelle. „Als ob irgendwer Bock drauf hätte, da vor versammelter Mannschaft von seinen Problemen zu erzählen!“, erklärte Theo, der ein großes Fragezeichen in Aurelians Augen sah, diesem. „Ihr dürft die anderen Kinder und Jugendlichen eh schon nicht sehen und wenn ihr sie dann mal sehen dürft, darf kein Wort gewechselt werden, es sei denn, es geht um die Probleme von jemandem?“, fragte er. „Jo!“, „Ja!“, „So ist es!“, sagten alle durcheinander. „Kein Wunder, dass da noch nie einer geredet hat. Würde ich doch auch nicht machen!“, erklärte er ihnen. „Sicher?“, fragte Isabelle, die sich kopfüber über die Seitenlehne ihres Bettes gebeugt hatte und Aurelian in dieser Position anstarrte. „Sicher!“, sagte er, alles andere als sicher. „Dann wirst du uns wohl noch lange Gesellschaft leisten!“, sagte sie und schwang sich wieder hoch in ihr Bett, nur um kurz darauf erneut ihre Gelenke zu verdrehen und Aurelian von Angesicht zu Angesicht zu fragen, ob er verstanden hatte, auf welchen Gedanken sie ihn bringen wollte. „Kacke. Hochgradig peinlich!“, analysierte er für sich in seinem Kopf. „Ja. Ganz sicher!“, sagte er zu Isabelle. Die Wochen vergingen nur extrem langsam, jeder Tag war gleich, nichts Neues für Aurelian, aber anders als seine Fernsehsendungen bereitete ihm das hier keinen Spaß. „Gibt es hier denn gar keine Beschäftigungsmöglichkeit?“, meinte er, der sich fragte, wieso sie den Kindern nicht wenigstens einen Kicker ins Zimmer stellten. „Nein!“, sagte Theo karg. „Ich bestell uns was bei Amazon!“, meinte Aurelian, die T(h)eos konnten nicht mehr vor Lachen. Aurelian runzelte die Stirn. „Das dürfen wir nicht, wir sowieso nicht, aber du auch nicht!“, erklärte Theo, der ihm sagte, dass hier niemand etwas besitzen dürfe, was nicht auch jeder andere besaß, warum wiederum Keiner etwas Besonderes besaß. Selbst Isabelles Handy durfte die eigentlich nicht besitzen, aber Isabelle war geschickt. „Ich darf das!“, sagte Aurelian und füllte seinen Warenkorb mit einem Airhockey Tisch, wenn er schon etwas kaufte, dann sollten sie wenigstens alle daran Spaß haben können. Er klickte auf Bestellung jetzt abschließen, doch es erschien eine Fehlermeldung. „Wie damals in der Schule, wenn man in das heißeste Mädchen verliebt war, so sehr man sich auch angestrengt hat, man bekam sie ja am Ende doch nie!“, zog er einen Vergleich, der die T(h)eos, beide hatten noch keine Freundin, erst bedrückte, aber dann doch froh stimmte, weil sie dachten, dass es bei Aurelian bestimmt nicht anders war. „So ist das!“, sagte Teo, obwohl er noch nie einen Versuch unternommen hatte. „Die erwischen die nicht!“, prognostizierte der ältere T(h)eo. Isabelle war zum Gesprächsthema geworden. „Mehrere Suizidversuche, in dem Alter. Grausam!“, murmelte Aurelian, was Theo mitbekam. „Sie hat es nicht einfach!“, sein Blick kreuzte sich mit dem von Aurelian, der Mutmaßungen darüber anstellte, was wohl der Auslöser gewesen sein konnte. „Ich weiß es auch nicht!“, sagte Theo, als hätte er gewusst, was in Aurelian vorging. „Die hatte was!“, meinte Aurelian, das ließ Theo unkommentiert. „Wie ist das eigentlich bezüglich Wäsche, müssen wir das selber machen?“, fragte Aurelian. „Wir natürlich nicht, wie es bei dir ist, weiß ich nicht!“, sagte der jüngere T(h)eo. Er fühlte sich ausgegrenzt, weil die ganze Zeit nur die zwei anderen sprachen. „Wäre sogar froh, wenn ich’s selber machen darf. Hätte ich wenigstens was zu tun!“, sagte Aurelian. Er checkte das Bad ab, da er eine Dusche nehmen wollte. „Eiskalt!“, er zitterte. Nach fünf Sekunden stieg er wieder aus. „Wie kann man so schnell duschen?“, fragte Theo. „Indem man darin geübt ist!“, log Aurelian. „Au!“, er war in eine der vielen Plastikdosen auf dem Fußboden getreten. „Auf diesem Fußboden geht’s ja kunterbunter zu als in Herrn Frieses Oberstübchen!“, sagte er, in dessen eigener Wohnung ebenfalls kein Besuch zu empfangen war. Rrrr, das Telefon klingelte. „Ja?“, fragte Aurelian hoffnungsvoll. „Aufgelegt!“, meinte er dann verdutzt und wählte die Nummer der Leitung, um sich bei Herrn Friese zu vergewissern, ob er es war, der da angerufen hatte. „Nein!“, sagte Herr Friese vertieft in die Bearbeitung seiner Aufgaben. Aurelian rief die übrigen Telefonnummern an, aber niemand wollte ihn angerufen haben. „Ist euch das schon mal passiert?“, fragte Aurelian, der einen Telefonstreich witterte und sich gut vorstellen konnte, dass Herr Friese dahintersteckte. „Nope!“, meinte Theo. Aurelian machte sich wieder auf in sein Bett. Er war nach oben umgezogen, wovon er sich bessere Luft in dem schlecht klimatisierten Raum erhofft hatte, aber an Stelle, dass er hier nicht bei jedem Atemzug das Gefühl hatte, sich in einer überfüllten Fußgängerzone in einer chinesischen Großstadt zu befinden, fand er eine Spinne, die ihre Fäden zog, vor. „Zielstrebig!“, sagte er zu sich selbst.

„Frei und doch gefangen!“, meinte ein Mädchen, deren neues Zuhause die Straße war. „Scheiß Regen!“, fluchte sie im Wissen, dass ihre Kleidung nach dieser Nacht triefnass sein würde, was ein Problem darstellte, da selbst die Second-Hand-Sachen von dem Flohmarkt, der auf der gegenüberliegenden Seite in vollem Gange war, nicht im Bereich des Finanzierbaren lägen. Sie wechselte die Straßenseite, mischte sich unter die Leute, das sollte ihr das Gefühl geben, ein Teil von ihnen zu sein. Doch das war sie nicht. „Haben Sie vielleicht Interesse an diesem seltenen Gemälde?“, fragte eine alte Frau, vermutlich schon in der Pension, die ihres Äußerem zufolge entweder sehr gut verdient, oder aber einen reichen Mann geheiratet haben musste. Doch das Mädchen ging weiter, wechselte die Straßenseite wieder und begann kläglich zu weinen. Das sollte keiner sehen. Genau wie auch das Gemälde der Verkäuferin besser nicht die falschen Leute sehen sollten, von wegen selten, schlechte Fälschung traf es eher. Logisch, wäre es echt gewesen, würde es niemand auf einem stinknormalen Flohmarkt anbieten. „Soll ich wieder dahin, wo ich her bin?“ Keine Freunde, kein Dach über dem Kopf, ein leeres Portemonnaie, das Mädchen war verzweifelt. Doch die genannten Dinge waren nicht einmal die Schlimmsten. Zu faul, um sich nach einer Überdachung umzuschauen, schmiss sie sich einfach auf die Straße, über welche vor zwei Minuten noch ein Raser gebrettert war. „Das soll für heute mein Schlafplatz sein. Wenn schon nass, dann auch richtig!“, sagte sie. Rrrrr. „Herr Friese am Apparat, nächsten Freitag können Sie einen Termin bekommen, wenn es Ihnen passt, Herr Xen!“

„Ja, bitte. So früh wie möglich!“, meinte Aurelian höflich. „Sechs Uhr?“, fragte Herr Friese, der sich gedacht hatte, dass es Aurelian bestimmt nicht schmeckte, wenn er ihn beim Wort nehmen würde. „So früh muss es dann auch wieder nicht sein!“, nuschelte Aurelian, den Hörer von seinem Ohr weggehalten. „In Ordnung!“, sagte er zu Herr Friese und ließ sich von diesem alles Weitere erklären. „Noch Fragen?“, meinte der dann irgendwann. „Wie komme ich da hin?“, fragte Aurelian. „Mit mir. Unsere Patienten dürfen alle nur in Begleitung fahren!“, sagte Herr Friese, der mit einem teuflischen Grinsen auf seinem Schreibtischstuhl hin und her wippte. „Können wir mit Taxi fahren?“, fragte Aurelian, der hoffte, dass immerhin eine dritte, neutrale Person mitfahren würde. „Können schon. Aber Sie wollen doch sicher wissen, was für ein Auto ich fahre!“, prahlte Herr Friese. Aurelian interessierte tatsächlich, welches Gefährt Herrn Friese morgens zur Arbeit brachte. War es ein handelsüblicher VW Golf, eine S-Klasse oder doch gleich der Aventador? „Schicke Karre!“, sagte Aurelian, der