Werde erwachsen, Josy! - Patricia Vandenberg - E-Book

Werde erwachsen, Josy! E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. »Weißt du, wo die Akte von Carla Baumann verschwunden ist?« Dr. Nordens langjährige Assistentin Annemarie Wendel, von allen nur Wendy genannt, stand vor der großen Schublade mit den Patientenkarten. »Ich hab den Buchstaben B schon mindestens drei Mal durchforstet. Sie ist weg. Oder ich bin blind.« Janine kam aus der Küche, wo die Kaffeemaschine vielversprechend blubberte und zischte. Es war noch früh am Morgen, die Sprechstunde begann erst in einer halben Stunde. »Carla Baumann?«, wiederholte sie und trat an Wendys Schreibtisch. »Die hast du doch vorhin schon rausgelegt, weil du eine Impfung nachtragen wolltest.« Wendy sah sie ungläubig an, ehe sie beschloss, sich selbst davon zu überzeugen. Sie trat an ihren Tisch und nahm die Karte, die ihre Freundin und Kollegin ihr hinhielt. »Tatsächlich.« Sie schüttelte den Kopf. »Jetzt ist es so weit. Ich werde alt.« »Ach, Quatsch. Das passiert doch jedem Mal.« Janine lachte.

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Dr. Norden – 15 –

Werde erwachsen, Josy!

Dein Freund braucht dich in seiner Not

Patricia Vandenberg

»Weißt du, wo die Akte von Carla Baumann verschwunden ist?« Dr. Nordens langjährige Assistentin Annemarie Wendel, von allen nur Wendy genannt, stand vor der großen Schublade mit den Patientenkarten. »Ich hab den Buchstaben B schon mindestens drei Mal durchforstet. Sie ist weg. Oder ich bin blind.«

Janine kam aus der Küche, wo die Kaffeemaschine vielversprechend blubberte und zischte. Es war noch früh am Morgen, die Sprechstunde begann erst in einer halben Stunde.

»Carla Baumann?«, wiederholte sie und trat an Wendys Schreibtisch. »Die hast du doch vorhin schon rausgelegt, weil du eine Impfung nachtragen wolltest.«

Wendy sah sie ungläubig an, ehe sie beschloss, sich selbst davon zu überzeugen. Sie trat an ihren Tisch und nahm die Karte, die ihre Freundin und Kollegin ihr hinhielt.

»Tatsächlich.« Sie schüttelte den Kopf. »Jetzt ist es so weit. Ich werde alt.«

»Ach, Quatsch. Das passiert doch jedem Mal.« Janine lachte. Aber nur kurz. Ihr Blick war auf ein Kuvert gefallen, das auf Wendys Schreibtisch lag. »Da liegt ja noch der Brief an Dr. Schneider. Der Chef hat doch gestern gesagt, dass der dringend weg muss.«

Wendys Augen folgte ihrem Fingerzeig. Sie wurde bleich wie eine Wand und schlug die Hände auf die Wangen.

»O mein Gott, den hab ich total vergessen.« Obwohl es noch so früh war, sank sie kraftlos auf den Stuhl.

Janine sah auf die Uhr und dachte nach.

»Wenn ich gleich loslaufe und ihn per Express wegschicke, kommt er bestimmt noch pünktlich an.« Mit wenigen Schritten war sie an der Garderobe und schlüpfte in die leichte Sommerjacke, während Wendy immer noch wie versteinert auf dem Stuhl saß.

»Ich versteh das nicht …«, murmelte sie vor sich hin. »Wie konnte das passieren …«

»Darüber reden wir später. Jetzt musst du dich erst einmal um unseren geschätzten Pharmareferenten kümmern.« Janine deutete aufs Fenster, an dem in diesem Augenblick Sebastian Klotz mit geschäftigem Schritt vorbeieilte. »Der liebe Gott straft jede kleine Sünde sofort.«

»Mir bleibt heute aber auch nichts erspart«, seufzte Wendy gottergeben und stand auf.

»Wer weiß. Vielleicht sind ein paar Komplimente von unserem Herrn Klotz genau das Richtige jetzt.«

»Das sagst du nur, weil du gleich weg bist«, unkte Wendy.

»Du kannst auch gehen«, bot Janine großzügig an.

Aber ihrer Freundin war nicht nach hektischer Bewegung.

»Alles in Ordnung. Ich krieg das hier schon hin.« Die Tür öffnete sich, und sie setzte ein Lächeln auf.

Doch zunächst galt die Aufmerksamkeit des Pharmareferenten Janine, die ihm entgegenkam.

»Holla, schöne Frau, wohin des Wegs?«

»Ich muss dringend zur Post. Aber Wendy erwartet Sie bereits.«

So eine freundliche Begrüßung war Sebastian Klotz nicht gewohnt.

»Wirklich?« Seine Augen leuchteten auf. Ehe er eintrat, strich er sich die Strähnen glatt, die er jeden Morgen über die Halbglatze drapierte. Er versicherte sich des tadellosen Sitzes des braunen Cordsakkos. Dann trat er durch die Tür.

»Ich hörte, dass Sie mich bereits erwarten«, begrüßte er Wendy freundlich. Die wusste sofort, dass sie sein erwartungsvolles Gesicht Janine zu verdanken hatte und nahm sich vor, sich bei allernächster Gelegenheit zu rächen.

Doch zunächst hieß es, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

»Herr Klotz, Sie waren ja schon lang nicht mehr hier«, begrüßte sie ihn so freundlich wie möglich.

»Nach der letzten Abfuhr hab ich mich nicht mehr hergetraut«, gestand er. Er stellte die Aktentasche vor dem Tresen ab und lächelte sie an.

Peinliches Schweigen erfüllte den Vorraum. Verzweifelt suchte Wendy nach ein paar unverfänglichen Worten. In ihre Gedanken hinein brodelte die Kaffeemaschine.

»Lust auf einen Kaffee?«, fragte sie erleichtert.

»Sehr gern.« Wenn möglich, wurde Sebastians Strahlen noch tiefer. »Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich ein Stück Kuchen mitgebracht.«

»Nicht nötig.« Unbemerkt war Danny Norden hereinkommen. Schon an der Statur hatte er den Pharmareferenten erkannt, der in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen vorbeikam, um Salben und Tinkturen anzupreisen und nebenbei den beiden Assistentinnen den Hof zu machen. Anfangs war Danny genervt gewesen von dem hartnäckigen Besucher, der nicht zu merken schien, dass er lästig war. Inzwischen nahm er die Besuche aber sportlich. Deshalb schwenkte er die Tüte mit Leckereien durch die Luft, die er wie fast jeden Morgen in der Bäckerei seiner Freundin besorgt hatte. »Kirschrollen, Rahmschnitten, Mandelbögen … alles, was das Herz begehrt«, pries er seine Waren an.

Verdutzt blickte Sebastian Klotz von einem zum anderen.

»So ein freundlicher Empfang! Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich schon viel früher wiedergekommen.«

Wendy verzog das Gesicht zu einem gequälten Lächeln.

»Ich hol dann mal den Kaffee«, verkündete sie und floh in die Küche.

Ermutigt sah Sebastian ihr nach.

»Aber kommen Sie bald wieder. Auf Ihren hübschen Anblick verzichte ich nicht gern.«

Um ein Haar wäre Danny geplatzt vor unterdrücktem Lachen und freute sich schon jetzt auf den schnippischen Kommentar der langjährigen Assistentin.

Doch Wendy sagte nichts und wunderte sich selbst darüber, wo ihr Widerspruchsgeist geblieben war.

*

In letzter Zeit erfreute sich Tatjana Bohdes Geschäft ›Schöne Aussichten‹ immer größerer Beliebtheit. Schon am Morgen machte die Bäckerei guten Umsatz mit Brot und Backwaren. Auch die Tische des kleinen Cafés waren fast alle besetzt. Das änderte sich auch im Laufe des Tages nicht. Frühe und späte Frühstücksgäste gaben sich die Klinke in die Hand, ehe sie von der Mittagskundschaft abgelöst wurden.

In der Backstube hatte der Auszubildende Titus alle Hände voll zu tun.

»Aus dem Weg! Die Brezen sind fertig!«, rief er seiner Chefin Tatjana zu, die zwischen dem Klinikkiosk und der Bäckerei pendelte und hier wie dort nach dem Rechten sah. In der einen Hand balancierte er ein neues Tablett mit Teigrohlingen. Der Ofen gab ein durchdringendes Signal von sich. Tatjana sah einen Schatten auf sich zukommen. Mit einem beherzten Sprung zur Seite rettete sie sich vor dem drohenden Zusammenstoß.

»Meine Güte, das ist ja lebensgefährlich hier.«

»Das ist effektive Arbeit hier.« Mit wenigen Handgriffen tauschte Titus die Tabletts, ehe er die Ofentür zustieß und die Uhr einstellte. Er griff sich an den Kopf, um die obligatorische Mütze zurechtzurücken und drehte sich zu Tatjana um.

Die musterte ihn mit schief gelegtem Kopf.

»Täusche ich mich oder hast du eine Mütze auf?« Wegen ihrer Sehbehinderung konnte sie ihn nicht genau erkennen.

»Gut aussehen in allen Lebenslagen … Du als Frau solltest das doch eigentlich wissen«, ließ die schlagfertige Antwort nicht auf sich warten. »Ich meine, es könnte ja sein, dass meine Traumfrau in die Backstube spaziert, oder?« Titus grinste.

»Ein Glück, dass das Josephine nicht gehört hat.«

Seufzend kehrte er an den Arbeitstisch zurück, wo noch mehr Teig auf ihn wartete.

»Ach, Josy … Die geht mir in letzter Zeit ehrlich gesagt ganz schön auf den Wecker.« Er nahm einen Batzen Teig aus der Schüssel. Mit einem Klatschen landete er auf dem Backbrett und wirbelte Mehl auf. »Die ist so was von eifersüchtig. Ist das eigentlich normal?«

Tatjana griff nach einem Backhandschuh. Sie pflückte die frischen Brezen vom Blech und warf sie in einen Korb, um sie später in den Verkaufsraum zu bringen.

»Entweder spürt sie, dass was nicht in Ordnung ist. Oder aber, sie ist unsicher«, tat sie ihre Meinung kund.

»Oder beides. Schätze mal, wir drehen uns im Kreis.« Mit aller Kraft bearbeitete Titus den Teig. »Wegen ihrer Unsicherheit ist sie eifersüchtig. Das nervt mich, und ich geh auf Abstand, was sie noch unsicherer macht.« Nachdenklich sah er hoch. »Wenn ich gewusst hätte, wie kompliziert Frauen sind, hätte ich die Finger davon gelassen«, prophezeite er düster.

Tatjana lachte.

»Ich glaub dir kein Wort. Im Grunde schmeichelt es dir doch, dass sie so auf dich steht«, sagte sie ihm auf den Kopf zu.

Titus konnte nicht anders und lachte mit ihr.

»Eins zu null für dich. Trotzdem nervt es manchmal.« Mit geschickten Fingern begann er, gleich große Brötchen aus dem Teig zu formen.

Zufrieden sah ihm seine Chefin dabei zu. Titus hatte das Zeug zu einem herausragenden Bäcker. Wenn er sich im Café genausogut anstellte, könnte sie ihm eines Tages die Geschäftsführung anvertrauen.

»Tut mir leid, wenn ich unser beziehungspsychologisches Gespräch an dieser Stelle unterbrechen muss. Aber eigentlich bin ich gekommen, um dich was zu fragen.«

»Die Geburtstagsfeier heute Mittag?« Er ahnte, worum es ging. »Keine Sorge, die Gemüsequiches sind vorbereitet, die müssen nur noch in den Ofen. Der Salat steht neben der Zitronenmousse in der Kühlung.«

Tatjana nickte anerkennend. Doch das war noch nicht alles, was sie von ihm wollte.

»Jetzt brauch ich nur noch jemanden, der beim Servieren hilft. Marla fällt überraschend aus. Fynn hat einen Magen-Darm-Infekt aufgeschnappt und kann nicht in der Krippe bleiben.«

»Und da hast du gleich an mich gedacht«, grinste Titus. Unter der Mütze war es heiß geworden. Abgenommen hätte er sie trotzdem niemals. So begnügte er sich damit, sie ein paar Mal vor und zurück zu schieben. »Also schön. Aber nur, wenn ein paar hübsche Mädels kommen …«

»Ich dachte, du wolltest der Frauenwelt entsagen …« Tatjana machte Anstalten, nach dem Korb zu greifen, doch ihr Auszubildender kam ihr zuvor.

»Ja oder nein?« Zwei kräftige Arme packten zu.

»Eine ganze Klasse von der Fachakademie für Sozialpädagogik. 99 Prozent Frauen. Ob ein paar hübsche dabei sind?«

Belustigt zuckte Tatjana mit den Schultern. »Schönheit liegt ja bekanntlich im Auge des Betrach…«

»Schon überzeugt!«, unterbrach Titus sie und drehte sich mit Schwung um, um den Korb mit den Brezen nach vorn in die Backstube zu bringen. Die Schlange der Kunden reichte bereits bis zur Tür, und händeringend wartete die Aushilfe auf Nachschub.

*

»Und? Schon was von Felix gehört?«

Danny Norden nutzte eine Stippvisite im Sprechzimmer seines Vaters, um sich nach dem Bruder zu erkundigen.

Daniel saß am Schreibtisch und verglich einen Befund mit den Eintragungen im Computer. Auf seinen Zweitältesten angesprochen, der sich auf eigenen Wunsch in der Kinderkurklinik des Onkels von den Folgen des Flugzeugabsturzes erholte, hob er die Augen.

»Er macht seinem Ruf als Herzensbrecher mal wieder alle Ehre«, gab er bereitwillig Auskunft. »Mario ist schon völlig verzweifelt. Sämtliche Mädels zwischen dreizehn und achtzehn drehen total durch, wenn Felix nur auf der Bildfläche erscheint.«

Unwillig schüttelte Danny den Kopf.

»Möchte mal wissen, von wem er das hat.«

Er durchbohrte seinen Vater mit Blicken.

»Von mir jedenfalls nicht.« Lächelnd hob Daniel die Hände. »Brauchst mich gar nicht so anschauen.« Schließlich kehrte seine Aufmerksamkeit zurück zu den Unterlagen. »Ich versteh das nicht. Der Befund sollte längst aufgenommen sein«, murmelte er vor sich hin. »Ist es möglich, dass Wendy das vergessen hat? Das sähe ihr gar nicht ähnlich.«

Auf die langjährige Assistentin angesprochen, vergaß Danny den Bruder fürs Erste.

»Bei mir hat sie sich auch ein paar Fehler erlaubt. Einen Termin doppelt vergeben, den Brief eines Kollegen in eine falsche Akte sortiert … Solche Sachen.« Unwillig schüttelte er den Kopf.

»Irgendwas stimmt da nicht.« Gewissenhaft, wie Wendy im Normalfall war, lag dieser Schluss nahe. Hast du eine Idee?« Sein forschender Blick ruhte auf Danny.

Der wiegte nachdenklich den Kopf.

»In der Zeit, in der du so viel wegen Felix in der Klinik warst, hat hier ganz schön der Bär ge­steppt. Und die Jüngste ist sie ja auch nicht mehr. Schon möglich, dass sie das mehr angestrengt hat, als sie und wir dachten.«

Diese Erklärung klang plausibel in den Ohren des Seniors.

»Ich denke, ich werde mal mit ihr reden«, überlegte er laut.

»Kannst du das bitte in meiner Mittagspause erledigen?« Danny schnitt eine Grimasse. »Diesen Stich ins Wespennest will ich nicht unbedingt erleben.«

»Seit wann bist du ein Feigling?« Das Blitzen in Daniels Augen verriet, dass er es nicht ernst meinte.

»Bin ich gar nicht. Aber ich finde, ich hab dir lange genug den Rücken freigehalten«, gab Danny schlagfertig zurück. Er hob die Hand zum Gruß und machte Anstalten zu gehen. An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Falls du mich suchst: Ich bin im ›Schönen Aussichten‹ und danach in der Klinik, einen Patienten besuchen.«

»Wer weiß, vielleicht komm ich später nach. Liegend. Auf eine Bahre geschnallt. Im Sondertransport«, unkte Dr. Norden senior und erntete ein schallendes Lachen.

*

Der Schulgong war noch nicht verhallt, als die Türen aufgerissen wurden und sich Ströme von Schülern auf die Flure ergossen. Die Jüngeren drängelten und schubsten der wiedergewonnen Freiheit entgegen, während sich die Älteren betont lässig gaben.